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Reinhard Lamer

Freimaurer in Österreich

Reinhard Lamer

FREIMAURER IN ÖSTERREICH

Weg und Schicksal der
„Königlichen Kunst“
1742-2001

Edition zum rauhen Stein

Editorische Notiz:

Zum ersten Mal wird hier auch die jüngste Geschichte der Freimaurerei in Österreich dargestellt. Der Autor, ein profunder Kenner der königlichen Kunst, behandelt auch die immer wieder gestellte Frage nach Frauen in der Freimaurerei. Die Edition zum rauhen Stein leistet mit diesem Werk einen Beitrag zur aktuellen freimaurerischen Entwicklung.

Michael Kernstock, Herausgeber

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

ZWECK UND ZIEL DER KÖNIGLICHEN KUNST

Symbole und Rituale

Das Geheimnis

Frauen in der Freimaurerei

Ursprünge und Vorläufer

Alte Pflichten und Alte Landmarken

VON DEN ANFÄNGEN ZU GLANZVOLLEN HÖHEPUNKTEN

Die ersten Logen

Unerbittlicher Gegner

Aufschwung und erste Blüte

Glanzzeit

WEG DURCH SCHWIERIGE ZEITEN

Mißglückte Reformen

Zeiten der Dunkelheit

Die Grenzlogen

AUF SELTSAMEN PFADEN

Gratwanderung

Lichtblicke

Löschen der Lichter

NEUBEGINN AUF RECHTEM WEG

Ein neuer Anfang

Gerecht und vollkommen

Brüderlicher Dialog

AUFSTIEG UND NEUE BLÜTE

Erfolge und erreichte Ziele

Neue Residenz der Großloge

Internationale Aktivitäten

Freimaurer-Museum Schloß Rosenau

Solange die Welt besteht

Wie werde ich Freimaurer in Österreich

ANHANG

Frühere Logen

Die österreichischen Großmeister

Heutige Logen

 

LITERATURVERZEICHNIS

BILDNACHWEIS

PERSONEN- UND SACHREGISTER

VORWORT

Viel ist in den vergangenen Jahrzehnten über die Freimaurerei geschrieben worden, und nicht wenige dieser Publikationen beschäftigen sich auch mit der Freimaurerei in Österreich. Doch meist widmete man sich nur bestimmten Perioden oder dem Schicksal einzelner Logen, während eine zusammenfassende Darstellung noch fehlt, die bis in die Gegenwart reicht und die vor allem nicht nur schildert, was geschah, sondern auch abwägt, was erreicht wurde.

Die vorliegende Schrift möchte daher den Weg nachzeichnen, den die Freimaurerei auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich von den dunklen Anfängen bis in unsere Tage nahm, wobei auch die oft sehr engen Bindungen zwischen der österreichischen und der deutschen Freimaurerei aufgezeigt werden. Sie will aber nicht nur den Spuren der österreichischen Freimaurer folgen, sondern möchte auch ihre Ideen und Ideale erläutern und auf diese Weise dem Uneingeweihten die „Königliche Kunst“ näherbringen, dem Logenbruder aber über 250 Jahre unermüdlicher, wenn auch oft unterbrochener „Arbeit am rauhen Stein“ wieder gegenwärtig machen.

Neben den alten und oft nicht leicht zugänglichen Standardwerken über die Freimaurerei stützt sich die Darstellung vor allem auf die Jubiläumsschriften der Logen und Großlogen, auf die Kataloge und Materialien des Freimaurer-Museums Schloß Rosenau und nicht zuletzt auf das Archiv der Großloge von Österreich. Dem Großbibliothekar und Großarchivar der Großloge, Herrn Regierungsrat Rudolf Pohl, bin ich für eine Fülle von Anregungen und sachkundigen Ratschlägen zu besonderem Dank verpflichtet. Dank schulde ich aber auch dem Herausgeber der Edition zum rauhen Stein, in der dieses Buch erscheint, Herrn Michael Kernstock für viele nützliche Hinweise und dem Großbibliothekar und Großarchivar der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland in Berlin, Herrn Karl Thierbach, der für mich das Archiv der Großen Landesloge durchgesehen und im ehemaligen Preußischen Geheimen Staatsarchiv nachgeforscht hat und mir wertvolle Informationen geben konnte.

September 2001

Reinhard Lamer

ZWECK UND ZIEL DER KÖNIGLICHEN KUNST

SYMBOLE UND RITUALE

Ein Schleier des Geheimnisvollen liegt seit jeher über der Bruderschaft der Freimaurer und ihren Logen, und tatsächlich erscheint vieles an der Freimaurerei oder – wie die Logenbrüder gerne sagen – an der „Königlichen Kunst“ auf den ersten Blick rätselhaft und unerklärlich. Schon der Versammlungsraum ist kein gewöhnliches Vereinszimmer, sondern eine Andachtsstätte ganz eigener Art. Die Brüder sind seltsam gekleidet und das Zeremoniell wird von einer rätselhaften Bildsprache beherrscht, in der Symbole aus der Werkmaurerei der mittelalterlichen Dombaumeister und Steinmetzen eine dominierende Rolle spielen. Vor allem aber werden die Logenfeiern von einem zeitlos anmutenden, feierlichen Ritual geprägt, das sich an den Verstand ebenso wendet wie an das Gemüt.

Um diese seltsamen Einrichtungen und rätselhaften Vorgänge zu verstehen, die eine Loge von allen Vereinen und Organisationen so augenfällig unterscheiden, sollte man die Logenbrüder einmal in Gedanken in jenen Versammlungsraum begleiten, in dem „Loge gehalten“ wird. Zunächst fällt auf, daß weihevolle Stimmung die Brüder empfängt, wenn sie sich nach des Tages Arbeit festlich gekleidet im Vorraum der Loge versammeln, den man in vielen Logen den „Raum der verlorenen Schritte“ nennt. Haben sie sich mit dem weißen und meist blau verbrämten Lederschurz, dem Sinnbild der Arbeit, und weißen Handschuhen, dem Symbol reiner Gesinnung und ehrlichen Handelns, gelegentlich auch mit dem Zylinder, dem Zeichen des freien Mannes, bekleidet und das „Bijou“ angelegt, das Wappen der Loge am blauen Bande, so betreten sie schweigend und „in geordnetem Zuge“ den nur schwach erleuchteten Logenraum. Dieser „Logentempel“ ist überall auf der Welt weder rund noch quadratisch, sondern hat die Form eines „rechtwinkligen länglichen Vierecks“, wie es in der Sprache der alten Werkmaurer heißt. Er ist also rechteckig und erinnert damit an die antike Vorstellung, die im Rechteck ein Abbild der Erde sah, über dem sich der Sternenhimmel wölbte. Der Fußboden des Tempels oder der Teppich, der auf dem Boden liegt, zeigt zum Teil schachbrettartig angeordnete weiße und schwarze Felder, und dieses sogenannte musivische Pflaster symbolisiert das Gute und das Böse in der menschlichen Existenz.

Unter den Klängen feierlicher Musik treten die Brüder in das mystische Halbdunkel des Tempels und schreiten gemessenen Schrittes nach Osten, „dem Licht entgegen“, wo sich der Hauptaltar erhebt und dahinter der Sitz des „Meisters vom Stuhl“ oder „Logenmeisters“, wie der Vorsitzende der Loge genannt wird. Am Eingang des oft in blau gehaltenen Logentempels stehen zwei Säulen. Sie erinnern an die beiden Säulen im Vorhof des salomonischen Tempels und gelten in der Freimaurerei als die Symbole der Gerechtigkeit und der Toleranz und damit als die Grundpfeiler der Humanität. Sie bilden sozusagen das Fundament, auf das der Bund der Freimaurer sich stützt. In der freien Mitte des Tempels stehen drei Säulen, nicht selten eine dorische, eine ionische und eine korinthische, die in einem rechtwinkligen Dreieck angeordnet sind und je eine Kerze tragen. Sie gelten als die „drei kleinen Lichter“ der Freimaurerei und symbolisieren Weisheit, Stärke und Schönheit. Auf ihnen soll dereinst das Dach jenes geistigen Gebäudes der Menschheit ruhen, an dem die weltweit rund sechs Millionen Brüder des Freimaurerbundes bauen. In Anlehnung an das Alte Testament nennen sie dieses geistige Gebäude gern den „Salomonischen Tempel“, den „Tempel der Humanität“ oder den „Dom der Menschheit“.

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Meister vom Stuhl einer deutschen Loge

Der Bau ist also noch längst nicht fertig, und das ist einer der Gründe, weshalb an der Decke vieler Logen der Sternenhimmel leuchtet. Das Fundament aber – bestehend aus Gerechtigkeit und Toleranz – ist bereits gelegt, und auch die Säulen, die das Gebälk tragen sollen – Weisheit, Stärke und. Schönheit – sind wie gesagt schon aufgerichtet. Und da diese drei Säulen die tragenden Stützen des ganzen Gebäudes sind, heißt es auch in einem Gedicht, das in vielen deutschsprachigen Logen während der Tempelarbeit gesprochen wird:

„Hoch steht vor uns das Ziel,
groß sind die Zwecke des Bundes.
Nur wer wandelt im Licht,
schreitet die Stufen empor.
Ewiger Schöpfer des Alls,
laß Weisheit und Stärke und Schönheit
nimmer fehlen dem Bau,
dem wir uns brüderlich weihen.“

Die drei Säulen versinnbildlichen aber auch zugleich die Maximen maurerischer Arbeit. Denn die Weisheit plant und leitet den Bau, die sittliche Kraft und Stärke führt aus, was die Weisheit erdachte, und die harmonische Schönheit, oder mit anderen Worten, die Brüderlichkeit soll zieren, was die Stärke vollbracht hat.

Nach diesen fundamentalen Grundsätzen arbeiten die Brüder an der Vollendung des großen Menschheitsbaus, der Zweck und Ziel aller maurerischen Arbeit ist und der nicht aus Steinen und Mörtel errichtet wird, sondern aus Menschen und Menschenliebe. So wie der Mörtel die Steine zusammenhält, so ist die Menschenliebe und die Brüderlichkeit das Bindemittel, das die Menschen zum großen Dom verbinden soll. Das Bauwerk, das die Freimaurer errichten wollen, ist also ein geistiges und moralisches, und daher ist auch die Arbeit der Freimaurer eine geistige und moralische. Dennoch ist es genau genommen Maurerarbeit, wenn auch nur eine symbolische, und deshalb ist es nicht überraschend, daß Maureraber auch Baumeisterwerkzeuge, wie etwa das Reißbrett, als Symbole eine so wichtige Rolle spielen, und daß die Brüder ihre feierlichen Zusammenkünfte „Arbeiten“ nennen. Sehr anschaulich sind diese Bestrebungen der Bruderschaft schon vor hundert Jahren im Allgemeinen Handbuch der Freimaurerei definiert worden. Dort heißt es treffend: „Freimaurerei ist die Tätigkeit engverbundener Männer, die unter Anwendung sinnbildlicher, größtenteil dem Maurerhandwerk und der Baukunst entlehnter Formen für das Wohl der Menschheit wirken, indem sie sich und andere sittlich zu veredeln suchen, um dadurch einen allgemeinen Menschheitsbund herbeizuführen, den sie unter sich im kleinen Kreis bereits darstellen wollen.“ Die Logen sollen also Vorbild sein, damit allmählich, wie der Dichter und Freimaurer Christoph Martin Wieland vor fast zweihundert Jahren sagte,

„das menschliche Geschlecht
eine Bruderkette werde,
teilend Wahrheit, Licht und Recht.“

Da die Freimaurer – wenn auch nur in übertragenem Sinne – Bauleute sind, die am großen „Dom der Menschheit“ bauen, bezeichnen sie ihre Vereinigung ebenso wie ihre Versammlungen als Loge, was im Grunde nichts anderes bedeutet als „Bauhütte“. Gemeint war damit ursprünglich jene Werkstatt, die an den Dom angebaut war oder in seiner unmittelbaren Umgebung lag, und in der die Werkzeuge und Baupläne aufbewahrt wurden, die jedoch auch als Versammlungsraum diente. Schon im Mittelalter bezeichnete man mit Bauhütte aber auch die genossenschaftliche Vereinigung aller an einem Kirchenbau arbeitenden Steinmetzen. Daher betrachten sich die Logen des weltweiten englischen Systems als Bauhütten in übertragenem Sinne. Die Logen des schwedischen Systems oder – wie man auch und vielleicht zutreffender sagt – der schwedischen Lehrart dagegen verstehen sich mehr als Glieder eines geistigen Ritterordens denn als symbolische Bauhütten und nennen ihre Organisation daher den Freimaurerorden, an dessen Spitze neben dem Großmeister ein Ordensmeister steht, dessen Hauptaufgabe die Bewahrung von Lehre und Brauchtum ist.

Obzwar erst künftige Generationen den Bau vollenden werden, haben die Freimaurer aller Zeiten die Hände nie in den Schoß gelegt, sondern waren unermüdlich am Werk, wie es die „Alten Pflichten“ verlangen. Wegweiser bei ihrer Arbeit ist seit jeher eine Art Arbeitstafel, die entweder in Form eines Reißbretts die Blicke auf sich lenkt oder die in Form eines Teppichs zwischen den drei Säulen auf dem Boden liegt. Dieser Teppich oder – wie die österreichischen Freimaurer sagen – Tapis zeigt die wichtigsten Maurerwerkzeuge und Sinnbilder, wie etwa die Wasserwaage und das Senkblei, die für den Freimaurer die ursprüngliche Gleichheit aller Menschen und das gerechte Urteil symbolisieren. Dahinter, auf dem etwas erhöhten Altar im Osten liegen Bibel, Winkelmaß und Zirkel, die als die „drei großen Lichter“ der Freimaurerei gelten, meist auch das Logenschwert als Symbol der Gerechtigkeit. Bei manchen Großlogen ist die bei Großlogenarbeiten auf dem Altar liegende Bibel ein Exemplar mit interessanter Vergangenheit und auch das Logenschwert hat zuweilen musealen Wert. So liegt bei den Tempelarbeiten der in London residierenden Großloge von England der Degen des Schwedenkönigs Gustav Adolf aus dem 17. Jahrhundert auf dem Altar.

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Ältester österreichischer Tapis

Die „drei großen Lichter“ Bibel, Winkelmaß und Zirkel mögen als eine recht wahllose und willkürliche Kombination erscheinen, doch für den Freimaurer sind sie eng miteinander verbunden. Denn die Bibel ist für ihn der Ausdruck des Glaubens an eine sittliche Weltordnung; das Winkelmaß, mit dem die Werkmaurer den rechten Winkel maßen, ist das Symbol für Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit; und der Zirkel schließlich, mit dem man die vollkommenste geometrische Figur, den Kreis, zeichnen kann, versinnbildlicht die Brüderlichkeit und den Dienst am Mitmenschen. Überglänzt werden diese drei großen Lichter vom „Flammenden Stern“, der für den Freimaurer das Sinnbild des „Allmächtigen Baumeisters aller Welten“ ist und den der Freimaurer Johann Wolfgang von Goethe so deutet:

„Zum Beginnen, zum Vollenden
Zirkel, Blei und Wasserwaage,
Allee starrt und stockt in Händen,
leuchtet nicht der Stern am Tage.“

Einige dieser Symbole sind zugleich auch die Insignien jener Brüder, die ein Amt in der Loge ausüben. So trägt der Meister vom Stuhl als Emblem seines Amtes das Winkelmaß am blauen Bande, der erste Aufseher die Lotwaage, der zweite das Senkblei. Andere Symbole sind weniger auffallend und auch nicht so bedeutsam, aber keineswegs nebensächlich. So etwa der Spitzhammer, mit dem die Werkmaurer den rauhen Stein bearbeiteten und ihn zum kubischen Stein werden ließen, die Maurerkelle als Symbol der Bruderliebe, die Rose als das Zeichen der Verschwiegenheit, oder auch der 24-zöllige Maßstab, der den Freimaurer an die 24 Stunden des Tages erinnert und ihn mahnt, die Zeit mit Weisheit einzuteilen. Auch bestimmte Zahlen haben in der Freimaurerei, ähnlich wie schon in der Antike, eine besondere Bedeutung, allen voran die Drei, die als heilige Zahl gilt und die oft im Logennamen auftaucht. Und schließlich haben auch die Himmelsrichtungen für den Freimaurer eine tiefere Bedeutung, vor allem der Osten, in dem schon die ältesten Kulte die Quelle des Lichts und der Weisheit erblickten. Ebenso wie in den Kirchen erhebt sich auch in den Logentempeln der Hauptaltar im Osten. Von hier leitet der Meister vom Stuhl die Loge und von hier empfängt der neu aufgenommene Logenbruder das „maurerische Licht“. Diese besondere Bedeutung des Ostens macht verständlich, daß die Freimaurer jenen Ort, der Sitz einer Loge ist, „Orient“ nennen.

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Schurze und Werkzeuge

Die freimaurerischen Symbole präzise zu erklären, ist nicht leicht, weil manche eine mehrfache Bedeutung haben und weil es für die meisten keine genaue und allgemeingültige Definition gibt. Jeder kann sie für sich ein wenig anders deuten, sofern die Grundidee erhalten bleibt. Andererseits sind Symbole in ihrem bildhaften Ausdruck anschaulicher als jede sprachliche Interpretation und machen damit die Freimaurerei wahrhaft international. Winkelmaß und Zirkel sind nun einmal einprägsamer als jede gelehrte Definition von Rechtschaffenheit und Brüderlichkeit. Da beide, Rechtschaffenheit und Brüderlichkeit, Grundprinzipien der Freimaurerei sind, ist es kein Zufall, daß das „Winkelmaß des Rechts“ und der „Zirkel der Pflicht“ miteinander kombiniert das traditionelle Freimaurerabzeichen sind. Fast immer findet sich in der Mitte zwischen Winkelmaß und Zirkel der Buchstabe „G“, der nicht nur als Hinweis auf Gott verstanden wird, sondern der auch an die Geometrie erinnert, also an jene der sieben Freien Künste des Mittelalters, die in der Baukunst eine so hervorragende Rolle spielt.

Aus der überragenden Bedeutung, die den Symbolen zukommt, ergibt sich ganz zwangsläufig, daß die Freimaurerei kein genau festgelegtes Programm hat, das für alle Logen verbindlich wäre. Sie besaß nie ein solches detailliertes Programm, und sie wird es auch in Zukunft nicht haben. Was sie hat und was ihr die besondere Note gibt, sind eine Reihe ausdrucksvoller Symbole, von denen jedes im Grunde genommen einen Programmpunkt darstellt, sowie verschiedene Pflichten, letztere sind in den sogenannten „Alten Pflichten“ niedergelegt und 1723 zum ersten Mal gedruckt worden. Rituale, Symbole und Pflichten sind einfach und zeitlos, bilden zusammen eine wundervolle Einheit und verfolgen ein hohes idealistisches Ziel. Das hat der Freimaurerei zu allen Zeiten jene innere Kraft und Stärke verliehen, die es ihr ermöglichte, auch Zeiten großer Not und höchster Bedrängnis zu überstehen. Dabei stehen die Pflichten eines Bruders gegenüber seiner Loge nicht einmal an erster Stelle, wie man eigentlich vermuten würde. So heißt es beispielsweise in der Verfassung der früheren Großloge von Hamburg und Niedersachsen: „Jedes Mitglied hat das Recht, seine Pflichten gegen Gott, gegen den Staat und gegen seine Familie als die höheren zu betrachten und denselben seine Pflichten gegen die Loge unterzuordnen.“ Der Freimaurerei ist also jeder Egoismus fremd, der anderswo nicht selten anzutreffen ist. Diese Uneigennützigkeit und die in seltener Harmonie miteinander verbundenen freimaurerischen Rituale, Symbole und Pflichten haben immer wieder führende Männer aller Gesellschaftsschichten und Berufe zur Freimaurerei hingeführt und haben sie bewogen, mit Ausdauer und Hingabe in den Logentempeln zu arbeiten.

Eröffnet wird jede „Tempelarbeit“ durch das Entzünden der Lichter und die rhythmischen Hammerschlägen der „hammerführenden Meister“, nämlich des Meisters vom Stuhl und der beiden Aufseher. Auch diese Hammerschläge sprechen eine besondere Sprache; denn der Meisterhammer ist für den Freimaurer das Symbol für Stärke und Entschlossenheit. Er ist stets besonders kunstvoll gearbeitet und nicht selten alt und wertvoll. So benutzt etwa die in Berlin residierende Große National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ bei ihren Tempelarbeiten den Meisterhammer Friedrichs des Großen, und die in London residierende Vereinigte Großloge von England verwendet bei besonders feierlichen Anlässen einen Hammer, der in einem ägyptischen Pharaonengrab aus dem Ende des Mittleren Reiches gefunden wurde und also mehr als 3.700 Jahre alt ist. Die Melodie des Bundesliedes hat kein geringerer als Wolfgang Amadeus Mozart komponiert. Dieses Bundeslied bildete ursprünglich den Schluß seiner Kleinen Freimaurerkantate und beginnt mit den Worten „Brüder, reicht die Hand zum Bunde“. Mit einem anderen Text ist es heute auch die österreichische Bundeshymne. Ein Gebet schließlich – das in österreichischen Logen übrigens nicht üblich ist – umreißt mit wenigen Worten, was man eigentlich als kurzgefaßtes Programm der Freimaurerei bezeichnen könnte – ein Programm, das sich seit den Anfängen nicht geändert hat:

„Allmächtiger Baumeister der Welt,
ewiger Vater der Menschheit!
Wie die Pflanze zum Licht,
so wendet sich unsere Seele zu Dir.
Erleuchte unseren Geist mit Deiner Weisheit,
erfülle unser Herz mit Deiner Liebe,
segne unsere Arbeit, damit diese Bauhütte
ein Tempel werde zu Deiner Verehrung,
eine Heimat brüderlicher Gesinnung
und eine sichere Stätte für die,
welche die Wahrheit suchen.“

Wichtigster Teil des Eröffnungszeremoniells ist das feierliche Entzünden der Lichter auf den drei Säulen, die Weisheit, Stärke und Schönheit symbolisieren, und erst jetzt weicht das mystische Halbdunkel und der Tempel erstrahlt in hellem Licht. Mit dem Entzünden der Lichter beginnt die Tempelarbeit, in der fast immer ein Vortrag gehalten oder – wie die Logenbrüder sagen – eine „Zeichnung aufgelegt“ oder ein „Baustück vorgelegt“ wird. Das Zeremoniell der Tempelarbeit ist in seinen Grundzügen überall auf der Welt gleich, weil es sich auf jenes uralte Ritual gründet, das von England seinen Ausgang nahm. Werden die Lichter in einer neuen Loge das erste Mal bei der Gründungsfeier entzündet, was nur durch einen Vertreter der Großloge geschehen kann, so nennt man das die „Lichteinbringung“. Am Ende jeder Logenfeier, aber auch wenn die Loge ihre Tätigkeit vorübergehend oder ganz einstellt, werden die Lichter in feierlichem Zeremoniell gelöscht. An all diesen Handlungen wird deutlich, daß die Königliche Kunst nicht nur Symbolmaurerei, sondern auch Lichtkult ist. Nicht zu Unrecht nennt man die Freimaurer daher auch gern die „Söhne des Lichts“. Dem Licht der Weisheit und Wahrheit, das sie im Weltenschöpfer erkennen, wandern die Brüder entgegen und bemühen sich, vollkommener zu werden. Sie wandern dabei auf den gleichen Pfaden, die Menschen aus allen Kulturen gegangen sind, wenn sie den Vorsatz hatten, ein erfülltes Leben zu erstreben – Goethe drückt das in seinem Gedicht „Symbolum“ poetisch aus:

„Des Maurers Wandeln
es gleicht dem Leben,
und sein Bestreben
es gleicht dem Handeln
der Menschen auf Erden.
...

Doch rufen von drüben
die Stimmen der Geister,
die Stimmen der Meister:
versäumt nicht zu üben
die Kräfte des Guten

Hier winden sich Kronen
in ewiger Stille,
die sollen mit Fülle
die Tätigen lohnen.
Wir heißen euch hoffen.“

Immer wieder wird der Freimaurer daran erinnert, daß er ein „rauher Stein“ voll Kanten und Ecken ist, der sich glätten muß, will er sich in das Ideal des großen Menschheitsbaus einfügen – zu seinem eigenen Nutzen und zum Wohl aller Menschen. Dazu ist es jedoch notwendig, daß jeder sich und seine Schwächen erkennt, und so ist das uralte „Erkenne dich selbst“ ein ständiger Begleiter auf der Lebenswanderung des Freimaurers. Der Freimaurer soll-, durch Selbsterkenntnis und Selbstbeherrschung zur Selbstveredelung zu gelangen. Weil Einsicht und Erkenntnis aber nur allmählich wachsen und man in der Königlichen Kunst daher nur schrittweise vorankommt, wird man nicht sogleich auf höhere Stufen gehoben. In den Bund aufgenommen wird jeder „das Licht Suchende“ als Lehrling. Nach einiger Zeit erfolgreicher „Arbeit am rauhen Stein“ wird er zum Gesellen befördert und schließlich in einem bewegenden Ritual zum Meister erhoben.

Diese drei Stufen oder Grade des Lehrlings, des Gesellen und des Meisters sind charakteristisch für alle Freimaurerlogen auf der ganzen Welt, die sich „Johannislogen“ oder „blaue Logen“ nennen, weil die Freimaurer Johannes den Täufer zu ihrem Schutzpatron erwählten und die englische Großloge, die erste Großloge der Welt, an seinem Namensfest gegründet wurde und weil blau, die Farbe des Himmels und der Unsterblichkeit, ihre typische Farbe ist. Über ihnen, jedoch mehr oder weniger unabhängig und getrennt von ihnen, erheben sich die Hochgrade, die man auch die „roten Logen“ nennt, weil ihre Erkennungsfarbe meist rot ist. Nur im schwedischen System, nach dem heute alle Logen in den nordischen Ländern – in Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und Island – sowie eine deutsche Großloge, nämlich die in Berlin residierende „Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland“, arbeiten, sind Johannisgrade und die hier Andreas- und Kapitelgrade genannten höheren Erkenntnisstufen eng miteinander verbunden und bilden ein in sich geschlossenes Gebäude.

In den drei Graden des Lehrlings, des Gesellen und des Meisters, die man sehr sinnvoll und treffend die „Johannisgrade“ nennt, sind alle Aufgaben und Ziele der Freimaurerei bereits enthalten und werden in den Ritualen der drei Grade sehr anschaulich und eindrucksvoll dargestellt. Die Hochgrade vermitteln daher nicht zusätzliche Aufgaben und Ziele der Königlichen Kunst. Sie sind genau genommen also keine Fortsetzung der Johannisgrade, und trotzdem sind sie mehr als nur interessantes Beiwerk. Denn sie vertiefen und ergänzen in einem beeindruckenden und sehr einprägsamen Zeremoniell Verschiedenes, was in den drei Johannisgraden mitunter nur in den Grundzügen enthalten ist.