Für meine geliebte Tanja

Hunderttausende von Kilometern haben wir uns
nicht selten in die entlegensten Winkel dieser Erde vorgewagt.
Wir haben Wüsten und Dschungellandschaften durchquert,
Berge und unzählige Hindernisse überwunden.
Wir haben unser Lager nebeneinander aufgeschlagen,
zusammen die Sterne gezählt und zusammen geträumt.
Unsere Leben sind zusammengeschweißt,
sind wie Himmel und Erde geworden.
Unsere beider Leben sind wie ein geflochtener Zopf,
der sich ineinander windet, bis er im Alles und Nichts endet,
um sich in einer anderen Form an einem anderen Ort wieder zu begegnen.
Ich danke dem Universum, dass es dich gibt.

Für meine Eltern, die mir immer Liebe, Kraft, Zuversicht
und ein wunderschönes Zuhause geben.

Inhalt

Vorbemerkungen:

Erklärung der großen Reise

Ein Traum wird wahr

Deutschland: (Die Reisetage werden von Beginn der Etappe 1 gezählt)

Tag 118 Abschied von unserer Familie und unseren Freunden

Rumänien

Tag 119 Obligatorisches Lehrgeld

Tag 120 Geschenke für die Armen

Tag 121-123 Gepeinigte Stadt

Einklang von Körper, Geist und Seele

Tag 124 Wieder unterwegs

Tag 125 Zweiter Tag im Paradies

Tag 126 Ein wunderschöner Tag an der Fischerhütte

Erklärung für die Gespräche mit Mutter Erde

Nächtliche Besucher

Tag 127 Zimmer, nicht exklusiv

Tag 128 Verunstaltetes Monster

Tag 129 Mann in Weiß

Tag 130 Welche Route bis zum Schwarzen Meer?

Tag 131 Fahrräder nicht erlaubt

Gegenwind

Bedrohliches Schwarz und Windsog

Tag 133 Hügel ohne Ende

Bei armen Bauern zu Gast

Tag 134-142 Ankunft am Schwarzen Meer

Ranzige Laune

Tag 143 Von Null auf Hundertzwölf

Leistungsfähigkeit, die alles in den Schatten stellt

Tag 144 Wie in vergangenen Zeiten

Tag 145-148 Geld, Zigaretten und die Hochburg der Diebe

Tag 149 Auf der Fähre

Tag 150-151 Naturparadies Donaudelta

Tag 152 Die Mündung

Tag 153 Kloster Saon

Tag 154 Hechelst du nicht den Berg hoch, sitzt du nicht hier

Tag 155-156 Unfreiwilliges Abendessen

Tag 157-158 Ein Tag, der es wert ist, gelebt zu werden

Moldawien:

Tag 159 Sind die Flüsse der Mutter Erde mit den Adern der Menschen vergleichbar?

Tag 159 Zweifel

Tag 160-161 Tanjas Gedanken

Tag 162 Unmenschliche Hitze

Tag 163-164 Im Schlund des Drachens

Tag 165 Altes Mütterchen

Tag 166 Keine Perspektiven

Tag 167 In den Bergen gefangen

Wie eine verkappte Ballerina

Tag 168 Heiß. Kaputter Kühlschrank

Salmonellenvergiftung

Sauftour mit korrupter Polizei?

Moldawien – Transnistrien:

Tag 169 Bestimmung

Willkür und Korruption

Wie Königin und König behandelt

Tag 170 Gespräche mit Pater Andrew

Wer kann schon auf Dauer Sahneschnitten essen?

Vater Andrews Geschichte über Glück, Liebe und Freundschaft

Tag 171 Die alten Felsenklöster von Butuceni

Wie das Fundament der Kirche entstand

Woher das Holz für den Kirchendachstuhl stammt

Tag 172 Danke für das Geschenk, an solch einem Ort Gast sein zu dürfen

Tag 173 Ziegen- und Schafstallungen des Klosters

Nächtliches Lager am See

Tag 174 Transnistrien

Tag 175-182 Tage im Kloster

Tag 183-190 Wer bestimmt den Zeitplan?

Tag 191-195 Verregneter Aufbruch

Tag 196 Es gibt keinen Tod

Schwerer Abschied vom Ort der Liebe

Ukraine:

Tag 197 Grenzen und ein Wink von Transnistrien

Über die Ukraine

Ein letzter Wink von Transnistrien

Die erste Nacht in der Ukraine verläuft anders als geplant

Tag 198 Fast am Ziel – und dann?

Von stinkenden Blechhaufen bespuckt

Tag 199 Wieder bei Luda

Gespräche mit ehemaligen Wolgadeutschen

Tag 200 Ausruhen bei Luda

Tag 201 Odessa

Tag 202-204 Bückling vor der Ärztin

Von Betrunkenen eingeladen

Tag 205-207 Tanjas Geburtstag

Tag 208-209 Abschied von Luda

Tag 210 Im Umbruch

Tag 211 Deutschland und die Ukraine sind Freunde

Tag 212-214 Mit dem Rad auf der Autobahn

Halbinsel Krim:

Der erste Dauerregen

Tag 215 Rückenwind

Trostlosigkeit und Müll

Sergei aus Sibirien

Tag 216 Kalter Gewitterregen und Gegenwind

Tag 217-219 Unter mir fliegt das grobe Erdpech vorbei

Perfektes Timing

Zwischen dem Asowschen- und Schwarzen Meer

Tag 220 Turbulente Vergangenheit der Halbinsel Krim

Tag 221-225 Anders als gedacht

Tag 226 Einsame Unterkunft

Tag 227 Zwischen den Meeren

Russland:

Tag 228 Die Grenze

Tag 229 Wie eine Möwe über dem Asowschen Meer

Tag 230 Gruseliger Keller und Tollwut

Tag 231 Nebel und Trostlosigkeit

Tag 232-233 Erster Kontakt zu russischen Behörden

Tag 234 Auf dem Markt

Tag 235 Extremer Ostwind

Tag 236 Bis an die Grenzen

Tag 237-239 Weiter, weiter, weiter, nur nicht aufgeben!

Tag 240 Verkehrskreuz um Rostow am Don

Tag 241 Schilfland

Tag 242 Gastfreundschaft, die mit Worten kaum zu erklären ist

Tag 243-246 1.000 Kilometer gegen den Ostwind

Tag 247 Der Wind, ein fantastischer Trainer

Tag 248 Weites Etappenziel

Liebevolle Babuschka und liebevoller Deduschka

Tag 249 Tausche Altlasten gegen Stricksocken und Hausmantel!

Großmutter Valas Kochkünste

Tag 250 Wolgograd, ehemaliges Stalingrad

Tag 251-254 Wild-Camp

Tag 255 Südwind

Tag 256-257 Bis in die Finsternis

Ist Energie trennbar?

Tag 258 Den Bogen schließen

Tag 259 Wieder an der Wolga

Tag 260-263 Kontrollposten

Tag 264 Winteranfang

Tag 265 Kalter Nieselregen

Tag 266 Ist das die Grenze des Machbaren?

Tag 276 Nebel lichtet sich

Tag 268 Ein Tag wie ein Geschenk

Tag 269 Kurz vor dem Etappenziel

Tag 270 Wird man uns Gastfreundschaft gewähren?

Tag 271-273 Jeder kann die Welle der positiven Energie surfen

Einen schöneren Abschluss können wir uns kaum vorstellen

Anhang:

Tag 274-275 Resümee

Epilog

Danksagung

Danksagung Sponsoren

Danksagung Ausrüstung

Danksagung Partner

Ausrüstung

Präsentation unserer Partner, die dieses Buchprojekt unterstützen

ARTIACH Deutschland GmbH

Bayer MaterialScience AG

Brettschneider Fernreisebedarf

GDC Graphics – design – conception

Gustav Magenwirth GmbH & Co. KG

PRIMAVERA LIFE GmbH

Rapunzel Naturkost AG

Rohloff AG

Sanatur GmbH

Simpert Reiter GmbH

ZARGES GmbH

Präsentation Bücher/Projekte

Projekt Grüne Ader

Buch Trans-Ost-Expedition Etappe 1

Buch Red-Earth-Expedition Etappe 1

Wohin geht die Energie, die den Körper in Gang hält?
Die den Fisch durch die Stromschnellen gleiten lässt?
Den Mensch immer weiter zu neuen Ufern treibt?
Die Hitze des Feuers?
Ohne Zweifel geht alles, was wir sind,
was existiert auf Erden, früher oder später
ins Universum, in den Kosmos.
Es vereint sich mit „Allem Was Ist“.
Und „Alles Was Ist“, ist eine Bezeichnung für Gott, Allah oder Brahman
die kosmische Weltenseele.
Das bedeutet wiederum, dass wir mit „Allem Was Ist“ verbunden sind.
Auch mit Mutter Erde. Zu Lebzeiten und danach auch.

Erklärung der großen Reise

30 Jahre lang wollen wir auf dem Land- und Seeweg von Deutschland bis nach Südamerika reisen, und zwar mit landesüblichen Verkehrsmitteln. In den letzten 17 Jahren legten wir über 275.000 Kilometer ohne Flüge zurück. Wir waren mehrmals über mehrere Monate, manchmal bis zu zwei Jahre am Stück unterwegs. Spätestens nach zwei Jahren Reise müssen wir aber immer wieder nach Deutschland zurück, um den Kontakt zu unseren Sponsoren, zu den Medien und vor allem zu unserer Familie nicht zu verlieren. Wenn wir dann die sozialen Beziehungen wieder aufgefrischt, die Finanzierung und vieles weitere Organisatorische geklärt haben, begeben wir uns wieder genau an den Ort, an dem wir zuletzt unser Lebensprojekt unterbrochen hatten und setzen von dort aus unsere Expeditionsreise fort. So soll im Laufe der Jahrzehnte die längste dokumentierte Expedition der Geschichte entstehen. Durch die wichtigen Zwischenaufenthalte in Deutschland wird die 30jährige Expedition, die unter dem Namen „Die große Reise“ bekannt ist, entschieden länger als 30 Jahre dauern. Unser ganzes Leben fließt hier ein.

Begonnen hat unsere große Reise 1991 in Deutschland und führte uns nach Österreich, Italien, mit der Fähre nach Griechenland und Ägypten. In Ägypten machten wir das erste Mal Bekanntschaft mit Kamelen und durchquerten mit ihnen die Wüste Sinai. Dann überquerten wir per Schiff den Golf von Aqabha nach Jordanien und setzten unsere Reise mit dem Bus durch Syrien, die Türkei und den Iran fort.

In einem Schmugglerzug - bis zum Dach mit Handelsgütern gefüllt - ging es über die Grenze nach Belutschistan, wo wir Kamele kauften, mit denen wir dann durch Pakistan ritten. Die gefährliche Expedition führte uns am Indus entlang, dem Vater aller Flüsse, weiter an der afghanischen Grenze und durch Stammesgebiet bis nach Peshawar.

Um nach Indien zu gelangen, nutzten wir wieder den Zug. Indien, das Land der Gegensätze, bereisten wir eineinhalb Jahre lang auf einem alten indischen Motorrad, besuchten Sri Lanka, um nur kurze Zeit später mit dem Schiff zu den Andamanen aufzubrechen. Auf dieser Inselgruppe im Golf von Bengalen gelang uns ein seltener Kontakt zu den wie in der Steinzeit lebenden Jarawas, die in einem militärischen Speergebiet lebten. Das Militär bekam Wind von den zwei Abenteurern, weshalb wir dann unseren Aufenthalt abbrechen und fliehen mussten. Wieder führte uns der Weg nach Pakistan, entlang der alten Seidenstraße bis nach Westchina. Dort stellten Tanja und ich eine Expedition auf die Beine, um die Wüste des Todes, die Taklamakan, von Süd nach Nord ca. 1.000km zu Fuß und mit Kamelen zu durchqueren.

Nach diesem riskanten Unternehmen sollte es weiter nach Tibet gehen. Wegen der Reinkarnation des Panchen Lama waren die Grenzen allerdings geschlossen. Eingewickelt in Decken und Mäntel ließen wir uns in einer 36 Stunden langen Busfahrt von tibetischen Mönchen nach Lhasa schmuggeln. Mit dem Jeep überquerten wir das Dach der Welt, um nach Nepal zu gelangen, dessen Tiefland wir auf dem Rücken eines Elefanten erkundeten. Danach fuhren wir mit dem Zug durch China bis in die Mongolei. Das Land Dschingis Khans durchritten wir 1.600 Kilometer von Ost nach West. Wir überlebten dabei einen bewaffneten Überfall, waren den Härten einer gnadenlosen Natur ausgeliefert und erfuhren als Ausgleich für alle Strapazen eine unermessliche Gastfreundschaft.

Im Rahmen unserer großen Reise durchquerten wir von 1999 bis 2003 die endlosen Weiten des australischen Outbacks. 7.000 Kilometer zu Fuß und mit eigenen Kamelen durchmaßen wir den Kontinent von Süd nach Nord und von der Westküste bis zur Ostküste. Es war eine gewagte Unternehmung, deren Ausgang von Beginn an ungewiss war. Ein Abenteuer der Superlative, eine Reise in das noch unbekannte Innere eines mystischen und geheimnisvollen Landes.

Seit 2005 befinden wir uns auf der Trans-Ost-Expedition. Es handelt sich dabei um eine 25.000 Kilometer lange Fahrrad-, Pferde- und Elefanten-Expedition, die mit kurzen Unterbrechungen mindestens fünf Jahre dauern wird.

Natürlich können wir nicht wissen, ob wir unseren Traum - die längste dokumentierte Expedition der Geschichte -je verwirklichen können. Das hängt nicht von uns allein ab - viele Aspekte und Unwägbarkeiten spielen hier mit hinein. Eine wichtige Voraussetzung ist natürlich, dass Tanja und ich unsere gemeinsamen Interessen bewahren und über die Jahrzehnte hinweg das gleiche Ziel verfolgen. Enorm wichtig ist auch die Gesundheit, die uns nicht im Stich lassen darf. Auch hatten wir immer wieder Unfälle oder Überfälle, ja sogar Naturkatastrophen oder sonstige Schicksalsschläge zu überstehen. Natürlich dürfen wir bei alledem auch nicht die Lust, die Energie, den Willen, die Kraft und unsere Zuversicht verlieren. Nebenbei muss auch die Finanzierung geregelt sein. Angesichts knapper Budgets ist es ein spannendes Abenteuer für sich, die richtigen Förderer zu finden, die zu uns passen, sie dauerhaft für unser Projekt zu begeistern und sie auch langfristig an unserer Expedition teilhaben zu lassen.

Alles im allem ist nicht absehbar, was morgen sein wird. Von Anfang an haben wir unsere Lust an der großen Reise, am Entdecken und Forschen nicht verloren - am wenigsten die Liebe zu den Menschen und zur Mutter Erde. Ungebremst und vielleicht mehr denn je suchen wir das Unbekannte, um jeden Tag mehr und mehr Teil eines großen Ganzen zu werden.

Ein Traum wird wahr

Denis

„Geht es wirklich wieder los?”, frage ich mich und sehe aus dem Fenster meines Büros auf die Dorfstraße. Lachend und freudig johlend spielen die Nachbarskinder Blindekuh. Nachdenklich sehe ich ihnen zu. Nur noch wenige Stunden, dann werden wir unser Lebensprojekt „Die große Reise” tatsächlich fortsetzen. Irgendwie kann ich es noch immer nicht richtig glauben, kann mein Glück kaum begreifen. „Fang mich! Fang mich doch!”, schallen die hellen Kinderstimmen zu mir herauf. „Glück und Unglück liegen so nahe beieinander”, geht es mir durch den Kopf. Ein kleiner Schritt in die falsche Richtung, eine kleine Unaufmerksamkeit, eine unachtsame Bewegung und das Leben kann in eine völlig unerwartete Richtung stürzen. Möglich ist alles in diesem Leben. Höhen und Tiefen, Tiefen und Höhen, Lachen und Weinen, es wechselt wie ein Pulsschlag. Ich möchte mich nicht darüber beklagen, denn genau das macht unser Leben aus, gibt ihm die Würze, Spannung, Zufriedenheit und Glücksgefühle. Im Augenblick fühle ich mich, als würde ich auf der Spitze einer Welle surfen, denn mein Wunschleben, unser Traum, reisen und die Welt für uns zu erforschen, darf weitergehen.

Vor knapp einem Jahr waren wir schon mal so weit, um die zweite Etappe unserer Trans-Ost-Expedition zu beginnen. Wie es das Schicksal anscheinend geplant hatte, kamen wir nicht weit. Genau gesagt stolperte ich nur ca. 250 Meter hinter unserem Hotel in Bukarest mit meinem schwer beladenen Fahrrad etwas unglücklich den Gehsteig hinunter. Um nicht zu fallen, fing ich mich mit dem rechten gestreckten Fuß auf dem Asphalt ab. Die Folgen waren fatal und nach einer tagelangen Leidenstortur endete ich in einem Krankenhaus in Bukarest. „Sie müssen sich so schnell wie möglich operieren lassen”, schockte mich der Arzt. Da ich gelähmt und nicht transportfähig war, stimmten meine Frau Tanja und ich notgedrungen einer Rückenoperation zu.

Nach der geglückten OP strahlte ich Tanja an. „Weißt du, was mit mir geschehen ist?”, fragte ich sie. „Wie soll ich die Frage verstehen?”, wollte Tanja wissen. „Nun, ich hatte heute Morgen einen Tagtraum. Es war so etwas Ähnliches wie eine Vision. Es war so als wäre der grausame Schmerz durch meinen gesamten Körper gebrannt wie ein Feuer. Ein Feuer, das alles, was ich einmal war, völlig vernichtet hat. Völlig verbrannt. Verstehst du? Dieses Feuer hat nichts hinterlassen, nur Asche. Aber es ist keine tote Asche, sondern eine Asche voller Energie. Eine Asche, die sehr nährreich ist. Letztlich ist diese Asche nichts anderes als ein Dünger, ein Dünger der den Boden noch fruchtbarer macht. Ich fühle, als wäre in mir alles klar, alles rein. Ich fühle, als hätte ich jetzt die einmalige Gelegenheit, in meinem Leben neue, junge Samen in eine frisch gedüngte Erde zu setzen. Samen für Veränderung. Samen für neue Ideen. Samen des Glücks und der Harmonie. Obwohl ich glaube, schon immer auf dem richtigen Weg gewesen zu sein, habe ich für meine Begriffe zu viel gearbeitet. Jetzt besitze ich die neue Chance, Dinge, die sich im Laufe der Jahre in mir eingenistet haben zu ändern, denn der alte Denis ist in den letzten Tagen restlos verbrannt. Es ist ein fantastisches Gefühl, eine fantastische Chance, die ich nutzen möchte. Ich möchte etwas verändern. Ich möchte noch mehr Glückseligkeit, noch mehr innere Freiheit, um die Details im Leben zu erkennen, um zu erkennen, welcher Schatz dieses Leben bedeutet.”

Jetzt, ein Jahr danach, kommt es mir so vor, als wäre das alles erst gestern gewesen. In der Tat habe ich viel gelernt und gehe Aufgaben und Herausforderungen, die auf uns zukommen, gelassener an. Es hat sich bewährt, denn ich habe mich schon seit Jahren nicht mehr so fit gefühlt. Drei bis viermal trainierte ich seither jede Woche. Mein Rücken fühlt sich gesund und stark an. Jetzt kommt es darauf an, ob er hält was er verspricht, ob er mir den Halt antiker Tempelstützsäulen gibt.

Auf unserer geplanten Trans-Ost-Expedition wollen wir mit dem Fahrrad, auf Pferden und Elefanten 25.000 Kilometer von Deutschland bis nach Burma1 gelangen. Fünf Jahre haben wir uns dafür Zeit genommen. Fünf Jahre um die Länder, Völker und die Kulturen im Osten kennen und verstehen zu lernen, um sie in Schrift, Bild und Film zu dokumentieren.

In den kommenden Monaten wollen wir ca. 4.000 bis 5.000 Kilometer von Rumänien, über Moldawien, Ukraine bis nach Russland zum Ural radeln. Wenn alles gut geht, wird diesmal der russische Winter die Reise unterbrechen und nicht irgendein Unfall. Wir sind voller Tatendrang und freuen uns ganz besonders darauf, unser Lebensprojekt mit einer Baumpflanzaktion zu vereinen. Gemeinsam mit unseren Lesern wollen wir 25.000 Bäume pflanzen, pro Kilometer ein Baum. Am Ende wird das symbolisch wie eine grüne Ader aussehen, die sich von Deutschland bis nach Myanmar schlängelt.

Unser Partner, das Bergwaldprojekt (www.bergwaldprojekt.de), wird die Baumsetzlinge dort pflanzen, wo sie von Nöten sind. Welch ein aufmunternder Gedanke, mit unserer Reise Mutter Erde direkt und unbürokratisch helfen zu können.

1 Myanmar

„Ein Reisender wird viel erleben, viel sehen.
Seine Gefühle werden manchmal gebeutelt,
geschunden und betrogen.
Aber viel öfter werden sie liebkost, verwöhnt,
gestreichelt und umsorgt.
Es ist ein großes Geschenk, unterwegs sein zu dürfen
und solche tiefgehenden Erlebnisse zu erfahren.“

Mutter Erde

Abschied von unserer Familie und Freunden

Deutschland - Anfang Juni

Tag 118

Kilometer 30047,6 gesamt

Ort: Nürnberg

Breitengrad 49°27’00.0”

Längengrad 011°03’00.0”

Auf dem Bahnsteig wartet bereits das Fernsehteam von Franken TV. Noch bevor Interessierte und Freunde kommen, geben wir unserem regionalen Sender ein Interview. Es dauert nicht lange, bis die ersten Freunde uns umarmen und Glück für die Reise wünschen. Wir plaudern, scherzen und lachen. Eine Pressefotografin knipst drauf los, um den heiteren Moment festzuhalten. „Zug kommt!”, ruft jemand. Die Aufregung steigert sich. Der Bahndamm ist überfüllt mit Reisegästen, die alle in den ICE wollen. Unsere Leute bilden eine Kette und reichen auf diese Weise die Gepäckstücke zu uns durch. Der Schaffner beklagt sich, trotzdem wird gelacht und gescherzt. Noch eine schnelle Umarmung. „Passt auf Euch auf”, sagt meine Mutter leise. „Ganz bestimmt. Diesmal wird alles positiv laufen”, verspreche ich. „Lasst es euch gut gehen! Viel Glück!”, hören Tanja und ich im hektischen Treiben, als sich die Tür des Schnellzuges mit einem schmatzenden Laut schließt. Aufatmend lassen wir uns in die bequemen Sitze sinken. „Wir sind tatsächlich wieder unterwegs”, flüstere ich. „Ja”, lächelt mich meine Tanja zuversichtlich an.

Stunden später steigen wir in Wien um und schlichten unser Gepäck in das Schlafabteil des Zuges nach Bukarest. Da wir unsere Fahrräder in Rumänien lassen mussten, geht alles reibungslos und ohne jeglichen Stress. Als die rostige, sehr betagte eiserne Schlange in Richtung Osten losruckt, genießen wir unsere Vesper, die uns meine Mutter eingepackt hat. Wir lassen uns Fleischklöße, leckeren Kartoffelsalat und Bier aus der Dose munden. Zufrieden beobachten wir die an uns vorbeifliegende Landschaft. In Gedanken versunken folgt mein Blick dem Auf und Ab der Hügel, gleitet über Äcker, stiehlt sich für Augenblicke durch schmutzige Hausfenster, bewundert große Windräder, die sich mit ihren großen Schaufeln durch die Dämmerung arbeiten. „Schließen Sie ihr Abteil”, warnt uns der Schaffner vor eventuellen Dieben. Da wir jetzt zum zweiten Mal in diesem heruntergekommenen Zug von Österreich über Ungarn nach Rumänien rattern, wissen wir Bescheid und befestigen einen Riemen am Türgriff, um diesen mit der Gepäckablage zu verbinden. Somit ist es für Diebe unmöglich, die Abteiltür von außen zu öffnen.

Familie, Freunde und Presse verabschieden uns am Nürnberger Hauptbahnhof
Familie, Freunde und Presse verabschieden uns am Nürnberger Hauptbahnhof.

„Reisen heißt nichts anderes
als das Leben in vollen Zügen zu inhalieren.“

Mutter Erde

Obligatorisches Lehrgeld

Rumänien - Anfang Juni

Tag 119

Camp 56

Kilometer 30047,6 gesamt

Ort: Bukarest

Breitengrad 44°26’48.2”

Längengrad 026°03’41.6”

Nach ca. 24 Stunden fährt der Zug in den schwer mitgenommenen Hauptbahnhof von Bukarest ein. Der Osten und seine Armut haben uns wieder. Obwohl die Eindrücke und die Atmosphäre nichts Neues für uns sind, sind wir überrascht. Der Wechsel zwischen Kulturen ist nach bald 25 Reisejahren noch immer sehr gewöhnungsbedürftig. Wer weiß, ob man sich je daran gewöhnen kann? Kommen wir doch aus einem reichen Land, einem Land in dem nahezu alle Häuser hübsch und gepflegt sind, einem Land, in dem viele Menschen oftmals unseren Reichtum und die Schönheit nicht mehr erkennen. „Schau mal, da ist der Gepäckträger”, meint Tanja, als wir unsere Ausrüstung vom Zug auf den Bahndamm geschlichtet haben. Ein kleines Schildchen auf seiner Brust zeigt, dass der Gepäcktransport zum Taxi 2,5 Ron1 kostet. Obwohl wir im Laufe unseres Reiselebens nicht die besten Erfahrungen mit Gepäckträgern gemacht haben, sage ich freudig: „Den nehmen wir.” Sofort schlichten wir die vielen Taschen und zwei Koffer auf den Gepäckwagen des strahlenden und freundlichen Servicemannes. Gut gelaunt bringt er uns zum Taxi. „Zum Hotel Orchidea fahre ich nicht mit dem Taxameter, das ist zu nah. Aber für 30 Ron2 kein Problem”, lacht der Fahrer. Da wir uns nicht schon am Anfang unserer Reise mit den unverschämten Taxifahrern streiten wollen und unsere gute Laune viel zu wertvoll ist, um sie hier auf der Strecke zu lassen, handeln wir ihn auf 20 Ron herunter. „Okay”, geht er schnell auf den Betrag ein.

In der Zwischenzeit hat unser Gepäckträger die Ausrüstung in das Taxi geschlichtet. Er hält die Hand auf und grinst mich an: „20 Ron, Sir.” Meine bis dahin schlafenden Gehirnzellen werden unsanft aus ihrer Müdigkeit gerissen. „Hast du das gehört Tanja? Er möchte doch glatt 7 Euro für die 200 Meter Gepäcktransport von uns.” Der bisher freundlich wirkende Mann verliert seine Heiterkeit und zeigt hektisch auf sein Brustschild. Mein erneuter Blick fällt auf die zweite klein geschriebene Zeile, „Pro Gepäckstück”. Mit den Kamerataschen sind es acht Gepäckstücke, die der Mann für uns transportiert hat. Um jeden Zweifel aus dem Weg zu gehen, zaubert der Träger einen Quittungsblock aus seiner Tasche, reißt 8 Tickets ab und reicht sie mir. „Ich habe nichts von dem Geld, es gehört meinem Chef”, verstehen wir. „Willkommen in Rumänien”, fährt es mir mehr amüsiert als verärgert über die Lippen und ich gebe dem Mann seine 20 Ron. „Wenn ein Arzt in der Stunde ca. 2 Ron verdient, muss dieser Herr ein echter Kapitalist sein”, meine ich und steige zu Tanja in das Taxi.

Nach ca. drei Minuten Fahrzeit sind wir im Orchidea. Als Reiseprofis sind wir schon jetzt rekordverdächtig, haben wir doch innerhalb der ersten 10 Minuten in Bukarest anstatt 3 Euro 16 Euro ausgegeben.

Im Hotel gibt es kein Doppelzimmer. „Sie hätten reservieren sollen”, meint die junge Dame an Rezeption gelangweilt und bläst den Rauch einer Zigarette in die Luft. „Haben sie ein Einzelzimmer?” „Haben wir.” „Kann ich es sehen?” „Können Sie.” Nachdem wir 20 Minuten gewartet haben, darf ich einen Blick in das Zimmer werfen. Es ist ein Doppelzimmer. Unsere gute Laune aufrecht haltend, checken wir ein. Wir genießen eine Dusche und freuen uns einfach, wieder hier sein zu dürfen. Nach einer geglückten Rückenoperation wird man bescheiden. Tanja und ich betrachten diese Tatsache als ein Geschenk Gottes.

1 ca. 80 Cent

2 knapp 10 Euro

Geschenke für die Armen

Nach einem Frühstück aus der Dose: Weißbrot, in Plastik eingepacktes Schokohörnchen, Marmelade, Käse und dergleichen, gewöhnen wir uns schnell an die Kost eines Großstadthotels. Natürlich hätten wir gerne frisches Obst und Joghurt, aber zuversichtlich, wie wir im Augenblick gestimmt sind, werden wir bald wieder echte Nahrung zu uns nehmen können. Am Mittag verlassen wir das Orchidea, um durch Bukarest zu schlendern. Wir sind auf der Suche nach armen Menschen, nach Menschen, die Kleidung dringend benötigen. Nachdem wir während unseres letzten Aufenthaltes in Bukarest auch mit der Armut der Straßenkinder und Bettler konfrontiert waren, haben wir uns diesmal vorgenommen, nicht mit leeren Händen dazustehen. Tanja hat in Deutschland einen Koffer mit getragener Kleidung, die wir nicht mehr nutzen, vollgepackt.

Schon wenige hundert Meter hinter unserem Hotel werden wir fündig. Wir treffen auf Jugendliche, die unter einer Brücke sitzen und Leim schnüffeln. Auf diese Weise betäuben sie sich, um der harten Realität der Obdachlosigkeit zu entfliehen. Wir gehen zum Zaun und winken die jungen Männer zu uns. Schüchtern, was wohl die Touristen von ihnen wollen könnten, kommen sie auf uns zu. Tanja reicht ihnen Socken und etwas zum Essen. Freudig nehmen sie die bescheidenen Gaben und bedanken sich. Wir ziehen weiter und finden vor einem Supermarkt eine Frau mit ihren zwei Kindern. Auch sie ist dankbar. „Es ist ein schönes Gefühl, den Menschen etwas geben zu dürfen”, meint Tanja und strahlt. Mit ihrer liebenswerten Art ist sie jetzt in ihrem Element. Am liebsten würde sie wohl tagelang durch Bukarest ziehen, um den Armen zu helfen. In einem Park treffen wir auf eine alte heruntergekommene Frau. Als Tanja auf sie zugeht, reagiert diese schüchtern und beschämt. Aus der Ferne können wir beobachten, wie die Bettlerin dann umgehend die Socken über ihre nackten Füße zieht. So laufen wir etwa sechs Kilometer durch die Stadt, bis wir unseren Hunger in einem Restaurant befriedigen. Wir sprechen über unsere geplante Reise, über die Armen in Rumänien und über das Schicksal. Warum es manchen Menschen so wohl gesonnen ist und warum es vielen Menschen das letzte Hemd raubt. Wir wollen uns aber nicht über das Schicksal, die Traurigkeit und das Unglück beschweren. Wir wollen mit unserem Glück, in einem westeuropäischen Land geboren zu sein, etwas aus unserem Leben machen. Wir wollen zufrieden sein und aus unserer subjektiven Sicht über Menschen erzählen, die unseren Pfad des Lebens kreuzen.

Tanja schenkt einer Bettlerin Socken und etwas zu essen
Tanja schenkt einer Bettlerin Socken und etwas zu essen.

Gepeinigte Stadt

Als ich kurz vor 11 Uhr in die Empfangshalle unseres Hotels komme, ist Huib der Holländer schon da. Fast ein Jahr haben wir uns nicht mehr gesehen und in dieser Zeit nur per E-Mail kommuniziert. Huib gabelte uns letztes Jahr auf der Bundesstraße nach Konstanza auf. Er war unser Engel, der uns in der Not aufgenommen hat und für uns den Krankenwagen nach Bukarest organisierte. Außerdem bewarte er bis zum heutigen Tag unsere Räder und unsere Ausrüstung in seinem Haus sicher auf. Schnell laden wir unsere Ausrüstung in seinen Jeep und brausen durch die Hauptstadt Rumäniens in Richtung Mariuta - das Dorf, in dem Huib ein Haus besitzt.

Bukarest ist eine der hässlichsten Großstädte, die wir während unserer Reisen zu Gesicht bekommen haben. Es gibt wenig zu besichtigen, kaum Orte der Ruhe, viel geschäftiges Treiben, noch mehr Hektik und unendlich viele, vor allem stinkende Autos, die sich, so scheint es, zu einem Monster vereinen. Einem Monster, das sich durch die Öffnung zum Westen, immer schneller zu einem Supergeschwür entwickelt. Klar möchte jeder ein Auto besitzen. Straßen werden von gefräßigen Baumaschinen aufgerissen und -wie es auf uns wirkt - nicht mehr zugeschaufelt. Geschmacklose, verwahrloste, in kommunistischer Plattenbauweise errichtete Häuser gähnen uns in heruntergekommenen Fassaden an.

Bukarest ist für uns eine der hässlichsten Großstädte
Bukarest ist für uns eine der hässlichsten Großstädte.

Staub schwängert die Luft. Es ist, als würden wir einem Hexenkessel entfliehen. Es wird gehupt, gebremst, geschimpft. Reifen quietschen, Kinder rennen über die Straße, Fahrbahnen enden ohne Vorwarnung vor einer verrosteten Blockade. Presslufthammer rattern, Betonmischer scheppern. Die Stadt atmet wie eine asthmakranke Kreatur. Sie hechelt und hustet in einem Abgasnebel, der sich in die Behausungen und Wohnungen schleicht. Unfreundliche Betonblöcke reihen sich schier endlos aneinander. Die Einwohnerzahl auf dem Quadratmeter ist eine der höchsten weltweit. Es dauert eine halbe Stunde, bis wir das ungesunde Treiben hinter uns lassen. Die Luft wird besser, der Staub weniger, aber der Müll trübt weiterhin unsere Blicke. In Rumänien wird alles, was man nicht braucht, achtlos weggeworfen - vor allem eines der größten Übel der Welt: Plastikflaschen. Wasser, Softdrinks und alles, was der Weltmarkt so bietet, wird in den noch viel zu billigen Rohstoff abgepackt, um dann zu Millionen und Abermillionen die Landschaft zu verschmutzen. Selbst die Felder sind zum Teil übersät mit Plastik. Ich verschließe die Augen, will meine gute Laune nicht verlieren. Was nützt es schon, wenn ich wegen dem Müllproblem und dem Konsumwahn meiner Mitmenschen schlecht drauf komme. Wahrscheinlich wachen wir erst auf, wenn wir beim Atmen aus Versehen Plastik inhalieren.

Einklang von Körper, Geist und Seele

In Mariuta angekommen präsentiert uns Huib freudig unsere Räder. Wir sind glücklich, unsere Drahtesel unversehrt und im besten Zustand vorzufinden. Sofort macht sich Tanja daran, die Ausrüstung zu sortieren. Was bleibt da? Was geht mit? Sie muss genau überlegen. Vieles haben wir bei unserem bald fluchtartigen Verlassen vor einem Jahr hier zurückgelassen, vieles haben wir im Gepäck mitgebracht. Ich rolle unsere Bikes in den Garten, unterziehe sie einer genauen Inspektion und pumpe die Reifen auf. Erfreut stelle ich fest, dass außer ein paar Tropfen Öl nichts fehlt.

Nach der langen Pause sind unsere Räder noch immer unversehrt
Nach der langen Pause sind unsere Räder noch immer unversehrt.
Huib, unser Gastgeber, lädt auch die Jugendlichen aus dem Dorf zum Essen ein
Huib, unser Gastgeber, lädt auch die Jugendlichen aus dem Dorf zum Essen ein.

Huib lässt es sich nicht nehmen, uns nach getaner Arbeit zu einem Grillabend mit Fisch, Steaks, gutem Wein und Bier einzuladen. Wir feiern unser Wiedersehen und trinken darauf, dass diesmal alles besser laufen wird und unsere Reise unter einem gutem Stern steht. Ich genieße die Gespräche mit ihm bis spät in die Nacht, vor allem genieße ich hier zu sitzen und mich völlig gesund zu fühlen. Seitdem mein Rücken von den rumänischen Ärzten operiert wurde, bin ich jeden Tag dankbar. Ich bin dankbar, keine Schmerzen mehr zu haben und weitermachen zu dürfen. Welch ein großartiges Geschenk! Erst, nachdem mein Reiseleben fast in einem Rollstuhl enden musste, schätze ich es, wie schön es ist, gesund zu sein. Jeden Tag bin ich von neuem glücklich. Auch wenn es seltsam klingen mag, war das vergangene Jahr eines der freudigsten meines Lebens. Nie hätte ich gedacht, dass ich in der Lage bin, jeden Tag von neuem Glück zu empfinden. Ohne Zweifel bin ich bescheidener geworden und ehrlich gesagt, ist es sehr angenehm, bescheiden sein zu dürfen. Natürlich bin ich überaus gespannt, wie unsere Reise diesmal verläuft und wohin uns der Fluss des Lebens treibt. Ich kann es kaum erwarten in die Pedale zu treten, um Körper, Geist und Seele wieder in ein harmonisches Gleichgewicht zu bringen und vor allem, um weiterhin Mutter Erde erforschen und erleben zu dürfen.

Wieder unterwegs

Ich öffne meine Augen und starre an die Zimmerdecke. Draußen zwitschern die Vögel und die Sonne taucht den Tag in grelles Licht. Tanja schlummert noch friedlich neben mir. Ich beobachte sie eine Weile und frage mich, wie es uns heute ergehen wird. Heute ist der Tag der Tage. Bald ein Jahr habe ich darauf gewartet und jetzt ist es so weit. Eine Wallung der Aufregung durchbebt meinen Körper. Wie jeden Morgen nutze ich die frühe Stunde, um meine Rückengymnastik zu betreiben. Die alte Matratze ist nicht gerade geeignet dafür, aber egal. Sie gibt mir genügend Halt, um meinen Muskeln die nötige Bewegung zu verschaffen. „Wie fühlst du dich?”, fragt Tanja lächelnd. „Großartig”, schwindle ich ein wenig, denn obwohl ich im letzten Jahr viel trainiert habe, würgt mich ein flaues Gefühl. „Es ist doch nur Rad fahren, Mann”, beruhigt mich meine innere Stimme.

Nach einer ausgiebigen Dusche und einem leckeren Frühstück beladen wir unsere riese und müller Räder. „In welche Tasche kommen meine Sandalen?”, frage ich vor Aufregung etwas unkoordiniert. „Hinten links”, antwortet Tanja. Dann belade ich den Anhänger und am Ende stehen die schwer bepackten Roadtrains fertig aufgepackt in Huibs Garage. „Seid ihr soweit?”, möchte er wissen. „Ja, es kann losgehen”, antworten wir. „Wann werdet ihr an der Kreuzung sein?”, fragt Huib. „In 30 Minuten”, sage ich und versuche, meine unsichere Stimme in den Griff zu bekommen. Dann schieben wir unsere Drahtesel aus der Garage auf die staubige Dorfstraße. Etwas wacklig schwingen wir uns in den Sattel und - ich kann es kaum glauben - meine Beine lassen die Drehtkurbel kreisen. Nichts geschieht, außer, dass wir die ersten Meter voranrollen. Wir drehen uns um und winken den Nachbarn von Huib, die auf der Piste stehen und uns nachsehen. „Hurra!”, ruft Tanja freudig. „Hurra!”, rufe auch ich. Wir biegen auf den schmalen Asphaltstreifen und holpern den ersten leichten Hügel hinab. Das Wetter ist perfekt. Es ist nicht zu heiß und nicht zu kalt. Menschen stehen an ihrem Gartenzaun, auf der Straße oder vor ihren Häusern und winken verhalten. Ganz Mariuta weiß, dass die zwei Deutschen heute aufbrechen. Vorbei geht es an von der Sonne verbrannten Feldern. Ab und zu durchfahren wir leichte Rauchschwaden. Plastik wird verbrannt und verpestet die Dorfluft. Als wir durch sind, riecht es wieder, wie es auf dem Land riechen soll. Vögel trällern ihr morgendliches Lied. Die ersten Autos überholen uns und empfangen uns mit ihrem Hupen. Die Fahrer freuen sich offensichtlich, die zwei fremdartig aussehenden Radfahren zu sehen. Kurz bevor die Dorfstraße auf die Bundesstraße trifft, überholt uns Huib mit seinem Jeep. Er bringt uns freundlicherweise die schweren Anhänger nach, damit wir uns die ersten Kilometer an die beladenen Räder gewöhnen können. Unter den interessierten Blicken einiger Passanten kuppeln wir dann die Anhänger an die Hinterachse. „Vielen Dank nochmal für deine große Hilfe”, bedanken wir uns bei Huib. „Keine Ursache. Ich wünsche euch eine gute und sichere Reise”, antwortet er lachend. Wir schwingen uns in die Sättel, winken ein letztes Mal und lassen unseren Engel in menschlicher Gestalt hinter uns.

Ab jetzt gilt es den Blick nach vorne zu richten und Vergangenes hinter uns zu lassen. Die ersten Meter schwanken unsere Straßenzüge noch ein wenig, doch mit jedem Meter mehr gewöhnen wir uns wieder an das Gepäck. Obwohl wir einiges an Ausrüstung zurückgelassen haben, wiegt mein Rad inklusive Anhänger ca. 105 Kilogramm und Tanjas Rad ca. 80 Kilogramm. Klar ist die Frage berechtigt, warum wir soviel Gepäck dabei haben. Am Luxus liegt es sicherlich nicht, denn wir sind es gewohnt, auf vieles zu verzichten. Es liegt einzig und allein an der Technik. Da wir über unsere Tour online in unsere Webseite berichten, brauchen wir einen Laptop, der die ständigen Erschütterungen aushält ohne sofort das Zeitliche zu segnen. Wir brauchen Film und Fotokameras, Objektive, Kabel, Speicherchips, Solarpattel und Akkus, um unsere Erlebnisse zu dokumentieren. Denn wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, unsere 30jährige große Reise in Bild, Film und Schrift festzuhalten. Darin sehen wir unsere Berufung, unseren Job und unser Leben. Deswegen also bewegen wir dieses Gewicht. Ein Gewicht, das für einen Radler eine gewaltige Herausforderung bedeutet. Schon Hügel mit einer Steigung von 7% sind eine ernsthafte Aufgabe für Körper und Geist. Die ersten 3.000 Kilometer vom Bodensee bis hierher haben uns aber gezeigt, dass unser Vorhaben machbar ist. Obwohl viele eingefleischte Radler meinten, das sei nicht durchführbar. Manche waren sich sogar sicher, dass wir bald aufgeben würden. Nun, bisher haben wir nicht aufgegeben. Ganz im Gegenteil hat uns die Reise trotz Anstrengung viel Freude bereitet und jetzt, nach der unfreiwilligen Unterbrechung, sind wir noch motivierter als zuvor, unser Ziel zu erreichen.

Doch was bedeutet es schon, das Ziel zu erreichen? Geht es doch darum, sich des Lebens zu freuen. Jeder Mensch benötigt zwar mindestens ein Ziel, aber doch nur deswegen, damit ein Weg sichtbar wird. Also, der uralte Spruch, der Weg ist das Ziel, hat seine Berechtigung. Als Reisende haben wir diesen Spruch inhaliert, wir haben ihn verstanden und sind uns darüber klar, dass es im Leben darauf ankommt, unterwegs zu sein. Das ist für mich mein Ziel. Das bedeutet für mich Lebensfreude, die Quelle der Erfahrungen ständig anzapfen zu dürfen, Neues zu lernen, zu begreifen, Weitsicht zu erlangen. Es bedeutet ein hochwertiges, bis zum Anschlag erfülltes Leben leben zu dürfen. Es bedeutet aber auch, diese Erfahrungen mit anderen Menschen teilen zu dürfen, mit Menschen, die unsere Erfahrungen nicht machen können, aus welchen Gründen auch immer.

Aber es ist auch wichtig zu erwähnen, dass jeder Mensch, ob Reisender oder nicht, seine Erfahrungen sammelt. Dabei ist es egal wie er unterwegs ist. Hauptsache, er ist unterwegs. Denn unterwegs sein heißt nichts anderes als zu leben. Wie wir Menschen unterwegs sein wollen, bleibt uns überlassen. Der eine zieht es vor, seinen Lebensinhalt im Luxus zu suchen. Ein großes Auto, ein schönes Haus, eine neue Stereoanlage, ein Plasmabildschirm usw. Wir ziehen es vor, unsere schweren Räder zu strampeln und zwar freiwillig, mit Freude und Zuversicht. Keiner von uns weiß, was am Ende dabei heraus kommt. Wir Menschen haben unsere Taten selbst zu verantworten. Eines ist mir aber schon lange klar: Tanjas und mein Leben ist erfüllt. Es ist so angereichert mit Ereignissen und Erfahrungen, dass, sollte es einmal zu Ende gehen, wir nichts versäumt haben. Es ist seltsam, kaum beginnt der Alltag des Radfahrens, kreisen meine Gedanken schon wieder um die Sinnfrage unserer Tour. Ich bin erleichtert über diesen positiven Gedankenstrom.

„Denis? Wollen wir da vorne mal anhalten?”, ruft Tanja. „Klar!”, antworte ich und lenke mein Roadtrain in Richtung Raststätte. „Guten Tag. Sie können ihre Fahrräder dort drüben parken. Setzen sie sich doch unter die Bäume. Da haben sie Schatten”, lädt uns der junge Tankwart freundlich ein. Wir sind angenehm überrascht, schon am ersten Tag so eine schöne Begegnung zu haben. Durch die ersten 25km ermüdet, lasse ich mich in den Stuhl sinken, während Tanja in den kleinen Laden geht. Es dauert nicht lange und ich schlafe ein. Die Aufregung, ob alles klappt, ob meine Psyche mir einen Streich spielt und dieser Aufbruch wieder von einem unvorhersehbaren Zwischenfall vereitelt wird, hat mich mehr mitgenommen als ich mir eingestehen möchte. Tanja kommt zurück und bringt mir einen Kaffee. „Geht‘s dir gut?”, fragt sie. „Klar”, antworte ich gähnend.

Der freundliche Tankstellenbesitzer Dan schenkt Tanja einen Talisman
Der freundliche Tankstellenbesitzer Dan schenkt Tanja einen Talisman.

Ein freundlich dreinblickender Mann kommt auf uns zu. Er reicht Tanja eine Rose und einen kleinen Teddybären. „Ein Geschenk für dich. Er soll euer Talisman sein und euch beschützen”, verstehen wir. „Oh das ist aber sehr nett. Vielen, vielen Dank”, antwortet Tanja lachend. Auch der Tankstellenbesitzer lacht. Dann drückt er dem kleinen Kerl aus Stoff auf den Bauch. „I love you! I love you!”, plärrt es, worauf wir alle zusammen herzhaft lachen. „Ich fühle, dass du müde bist. Wir haben nicht weit von hier einen kleinen See und eine bescheidene Hütte. Wenn ihr wollt dürft ihr dort gerne die Nacht verbringen. Es ist ein schöner, ruhiger Ort. Keiner wird euch stören. Wir wollen dafür kein Geld”, bietet uns der Sohn des Tankstellenbesitzers an. Tanja und ich trauen unseren Ohren kaum. Als völlig fremde Menschen sitzen wir hier, bekommen eine Rose und einen Talisman geschenkt, einen Kaffee spendiert und jetzt auch noch das Angebot einer kostenfreien Übernachtung. Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen, oder doch? Das ist das Leben eines Reisenden. Auch solche Begegnungen können einem ganz unverhofft widerfahren. Obwohl wir heute noch nicht weit gekommen sind, brauchen wir nicht lange, um uns zu entscheiden. „Wir würden gerne bleiben”, sage ich zur großen Freude der Familie. Nur wenige Minuten danach fährt uns ein alter Dacia voraus. Wir folgen ihm, bis wir die Hauptstraße verlassen und auf eine Erdstraße abbiegen. Die Landschaft wird immer schöner und lieblicher. Kleine Seen tauchen auf. Der Dacia hält vor einer niedlichen Hütte. „Hier sind wir“, sagt Andrei, der Sohn des Tankwarts, als er aus dem Auto steigt. Er hat Englisch im Internet gelernt und wir können uns mit ihm sehr gut verständigen. Dan, der Vater von Andrei, kehrt die Hütte sauber. „Fühlt euch wohl hier”, sagt er in gebrochenem Englisch. „Wenn nachts jemand kommen sollte, nehme diese Lampe. Leuchte einfach auf ihn und er weiß, dass jemand da ist. Das wird ihn vertreiben. Solltet ihr trotzdem Probleme mit ungebetenen Gästen haben, geben wir euch unsere Mobilnummer. Euer Handy funktioniert doch?”, möchte er wissen. „Ja”, antworten wir über die unverhoffte Gastfreundschaft noch immer überrascht.

Andrei und Dan verlassen uns wieder. Plötzlich, als wären die beiden eine Fata Morgana gewesen, sind wir an dem lieblichen See alleine. „Was soll ich dazu sagen?”, frage ich Tanja. „Hm, tolle Menschen, die Rumänen”, antwortet sie. „Stimmt”, meine ich nachdenklich. „Magst du Nudeln mit Tomatenpesto von Rapunzel?”, fragt sie. „Oh jaaa”, rufe ich und spüre, wie mir das Wasser im Mund zusammen läuft. Augenblicke später sitzt ein Topf mit Wasser auf dem Kocher. Es dauert nicht lange und Tanja hat uns ein leckeres Mahl bereitet. Obwohl wir heute nur 27 Kilometer zurückgelegt haben, verspüre ich einen Bärenhunger. Wir genießen das gute Essen, blicken auf den See und beobachten die Schafherde am gegenüberliegenden Ufer. Ein Schäfer geht seelenruhig seiner Aufgabe nach und treibt die blökende Menge gemächlich in einen nahe Einfriedung. Wie Gäste in einem Kino lassen wir die beruhigende Szene auf uns wirken. Die Sonne verabschiedet sich mit einem glühenden Rot hinter dem Hügel. Als es dunkel ist, blasen wir unsere Isomatten auf und legen uns auf die kleine Terrasse der Fischerhütte. Wegen den Mosquitos kriechen wir in unsere Schlafsäcke und schwitzen. Gegen 3 Uhr Morgens kommt starker Wind auf, der die Mossis verjagt.

Zweiter Tag im Paradies

Am frühen Morgen schleicht sich der kleine Wachhund Mustash an Tanjas Schlafsack heran. Dann leckt er ihr vorsichtig über die Hand. „Na, mein kleiner Freund? Willst wohl gestreichelt werden?”, flüstert sie und krault unseren Beschützer am Kopf. Mustash vergeht fast vor Wonne. Er legt sich flach auf den Boden und bleibt stocksteif liegen. Bloß nicht aufhören, soll das wohl bedeuten. Als die Sonne höher steigt, schlüpfen wir aus unseren Schlafsäcken. Wir genießen Müsli mit getrockneter Mandelmilch, die wir im Wasser auflösen. Um 10 Uhr kommt uns Dan besuchen. „Habt ihr die Nacht gut verbracht?”, fragt er freundlich. „Sehr gut. Es ist schön, wieder unter freiem Himmel schlafen zu können”, antworten wir gut gelaunt. Wir unterhalten uns eine Weile mit ihm und entscheiden, einen Tag länger zu bleiben. „Kein Problem. Bleibt so lange ihr wollt”, lädt uns Dan ein und verlässt uns wieder.

Tanja wird schon am frühen Morgen von Mustash geweckt
Tanja wird schon am frühen Morgen von Mustash geweckt.

Wir nutzen den Tag, um uns von den Ereignissen und der langen Anreise nach Rumänien auszuruhen. Dann organisieren wir in aller Ruhe die Ladung unserer Satteltaschen neu. „Gehst du mit baden?”, fragt Tanja, als es am Nachmittag brütend heiß wird. Voller Glück kühlen wir unsere Körper im See ab. Die Kulisse könnte nicht schöner sein. Heute grast eine Rinderherde am gegenüberliegenden Ufer.

Den Abend verbringen wir am Bootsteg beim Angeln
Den Abend verbringen wir am Bootsteg beim Angeln.

Am Abend kommen Dan und sein Sohn Andrei wieder vorbei. „Wollt ihr angeln?”, fragen sie und drücken uns eine Rute in die Hand. Wir setzen uns gemeinsam auf den Bootssteg und werfen unsere Angeln aus. Obwohl der See mit Fischen neu bestückt wurde, will keiner beißen. Als die Sonne tief steht, springen ganze Fischschwärme aus dem Wasser. Sie scheinen sich über uns lustig zu machen. „Hä! Hä! Hä! Eure Köder könnt ihr selber fressen!”, glauben wir sie im Chor singen zu hören. Enttäuscht geben wir den Versuch auf, etwas Leckeres auf den Grill zu bekommen.

Als uns Dan und Andrei wieder verlassen, bauen wir wegen der vielen Moskitos unser Zelt auf der Terrasse auf. Obwohl es laut Dan hier viel Gesindel gibt, Menschen die nachts nicht davor zurückschrecken, Fische aus dem See zu klauen, fühlen wir uns sicher. „Auch wenn unsere Hunde Mustash und Petilatiza sehr klein sind, werden sie jeden Eindringling beißen und euch beschützen”, versprachen uns unsere Gastgeber.

Tanja

So vieles ist seit unserer Abreise von Deutschland passiert, nichts Aufregendes, doch genug für mich, dass ich mich über die Zeit hier am wunderschönen Fischerhäuschen freue und meinen Gedanken nachhänge. Es ist irgendwie spektakulär, dass wir nun wieder unterwegs sind. Die Veränderung, als wir aus dem Zug in Bukarest ausstiegen. Menschen zu begegnen, denen die tägliche Nahrung fehlt, Kindern, die Benzin schnüffeln. Dinge, Erlebnisse, von denen Denis schon ausführlich berichtet hat und die ich an dieser Stelle nicht noch einmal beschreiben muss. Genug auf jeden Fall, dass ich ins Grübeln komme. Die Freude darüber, wie offen wir von den Menschen in Rumänien empfangen werden, ist groß. Auch die Dankbarkeit, täglich Neues erleben zu dürfen, auch wenn wir nicht alles ändern können, was uns nicht gefällt oder wovon wir glauben, dass es anders sein müsste. Während ich so auf den See blicke, fällt mir ein Erlebnis ein, das wir vor Jahren während einer Reise in Nepal hatten: Wir entschlossen uns, an einer Wildwassertour teilzunehmen. Um an den Fluss zu gelangen, wo unsere Rafting-Tour beginnen sollte, wanderten wir für zwei Tage über die Berge. Es war alles sehr gut organisiert. Träger waren dabei, um für die Rafter die schweren Boote zu tragen. An einer Biegung sahen wir die Männer sitzen. Sie rauchten und lachten. Wir unterhielten uns eine Weile und ich fragte, was sie neben dem offensichtlichen Ausruhen tun. „Wir lassen unsere Seele nachkommen”, antwortete mir ein sehniger Mann mit liebevollem Lächeln. Bis heute liebe ich diese Begebenheit und habe die Antwort des Mannes in mein Herz aufgenommen. So sitzen wir nun an der wunderschönen Fischerhütte und lassen unsere Seele nachkommen. Vielen Dank an Dich, Mutter Erde, und an unsere herzlichen Gastgeber!

Ein wunderschöner Tag an der Fischerhütte

Denis

„Uahh!”, gähne ich und strecke mich wohlig. „Hast du auch so gut geschlafen, Schnecke?”, fragt mich Tanja leise. „Fantastisch Schneckdieschneck”, antworte ich in mich hineinlachend, denn seit einiger Zeit hat sich Tanja wieder einen neuen Kosenamen für mich einfallen lassen. Sie ist mit den Namen für mich richtig gut und einfallsreich. Hase, Schnupsi, Wackerle, Knöder und Dicker Bär sind nur einige der unzähligen Bezeichnungen. Ich sehe es immer von der spaßigen Seite und bin fast nie beleidigt, da sie es ja absolut gut meint. Manchmal allerdings erhebe ich Einspruch. Als sie mich schnöder Knöder genannt hat, fand ich das gar nicht lustig. Klingt irgendwie schräg. „Was soll denn schnöder Knöder heißen?”, habe ich gefragt. „Keine Ahnung. Ist mir eben so eingefallen”, antwortete sie. Nun, wir haben uns darauf geeinigt, dass ich kein schnöder Knöder bin. Mit Schnecke kann ich ganz gut arbeiten. Ist ja auch keine Anspielung auf meine Geschwindigkeit, sondern einfach nur Schnecke. Eine Schnecke hat immer ihr eigenes Haus dabei, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und frisst gerne Salat. Da ich die eine oder andere Eigenschaft mit diesem Weichtier teile, finde ich Schnecke durchaus in Ordnung.

Als sich die ersten Sonnenstrahlen auf die Terrasse schleichen und unsere Stoffbehausung aufheizen, verlassen wir unser Zelt und bauen es zusammen. „Schau mal. Ist das da drüben am anderen Ufer Dan? Oder klaut da einer Fische aus dem See?”, fragt Tanja. „Sieht aus wie Dan. Ich denke, er möchte uns beweisen, dass es in seinem See Fische gibt, die seine Köder fressen”, meine ich lachend.