„Hör auf deine Gefühle. Sie sind nie umsonst.
Gefühle sind kein Zufall. Gefühle sind Sprache ohne Laut.
Nicht immer entspricht das, was laut ist,
was Lärm macht, der Wahrheit.
Manchmal sind es die leisen Stimmen, die Gesten,
die Mimik oder ein Augenzwinkern, die dich warnen.
Manchmal ist es deine innere Stimme, die dir erzählt,
was richtig und was falsch für dich ist.
Höre in dieser lauten Welt auf deine Gefühle.
Nimm sie ernst.
Dann wirst du immer das Richtige tun.“

Mutter Erde

„Ohne Zweifel haben wir jetzt das Nadelöhr
mit Körper, Geist und Seele durchschritten.
Wir haben unsere Haut der westlich zivilisierten Welt abgelegt
und befinden uns mit vollem Bewusstsein in einem fremdartigen und gleichzeitig faszinierenden Sibirien.“

Denis Katzer

Für meine große Liebe Tanja

den wichtigsten Menschen in meinem Leben,
meinen besten Freund, meinen unschätzbaren Kameraden,
meinen zuverlässigsten Partner, meinen kostbarsten Reisegefährten,
meinen obersten Schutzengel, meinen einfühlenden Motivator,
meine Sonne im Herzen, meine Luft, die ich zum Atmen
und meine Nahrung, die ich zum Leben brauche.

Für meine Eltern, die mir immer Liebe, Kraft,
Zuversicht und Wärme geben.

Inhalt

Vorbemerkungen:

Erklärung der großen Reise

Biographie eines Vollblut-Abenteurers

Deutschland: (Die Reisetage werden von Beginn der Etappe 1 gezählt) Endspurt vor der kommenden Etappe

Russland:

Tag 399 Sprung in die andere Welt

Am Moskauer Flughafen

Tag 400 In Sibirien

Tag 401 Zerstörte Daten und Glück des Lebens

Tag 402-403 Exkursion in die Taiga

Abgestürzt

Gefährliche Zecken

Tag 404 Dadscha und russische Banja

Tag 405-408 Erlebnisse von Jahrhunderten gespeichert

Tag 409 Gott, der Kosmos oder Mutter Erde

Tag 410 Tagebuch-Update macht Schwierigkeiten

Tag 411 Schwerer Abschied, Berge, Matsch und Regen

Gibt es Engel?

Tag 412 Eisregen, Schleifende Bremsen und Unfälle

Tag 413-414 Ort des Drachens

Tag 415 Süße Stimmen rufen

Tag 416 Bäume sind Lebewesen!

Gestochen

Tag 417 Registrierung

Tag 418 Entspanntheit

Tag 419 Selbstverständlichkeit der Gastfreundschaft

Tag 420 Tag des Wassers

Der Meister meldet sich wieder

Tag 421-422 Mütterchen Russland

Tag 423 An unseren Grenzen

Tag 424-425 Unverhoffte Überraschung

Georgio

Bes Mikrowolnowaja

Gefährliche Mikrowellen!

Tag 426 Bürokratismus in der Post

Dörfer, einem optischen Paradies entsprungen

Tag 427 Gnadenloser Schotter und Berge

Entscheidung

Wir haben die Wahl

Tag 428 Falschaussage

Tag 429 Wegelagerer

Feuerfisch

Tag 430-433 Brathendel-Camp

Tag 434 Gewitterflucht

Tag 435 Suche

Tag 436 Zu Gast bei einer sibirischen Familie

Tag 437 Im Land der Burjaten

Ein großartiges Geschenk Mensch sein zu dürfen

Einblicke in die Dorfbevölkerung

Geschichte der Burjaten

Tag 438 Priester und heiliges Wasser

Tag 439 Auf die Gefühle hören!

Was es mit den Gesprächen mit Mutter Erde auf sich hat

Tag 440-442 1.000 Kilometer Südsibirisches Gebirge

Tag 443 Ein Tag wie eine Woche

Ausweglose Lage

Im Haus der Oberschicht Sibiriens

Sagt, dass ihr Freunde von mir seid, dann werdet ihr nicht erschossen!

Tag 444 Reiseorganisation

Tag 445-446 Irkutsk, die Hauptstadt von Sibirien

Tag 447 Baikal, der Vater aller Seen

Tag 448 Am heiligen Meer

Tag 449 Wilder Osten

Tag 450-455 Die Insel auf der Insel

Tag 456 Bezaubernde Steppe und Arbeitslager

Tag 457 Am Reißzahn-Kap

Tag 458-462 In unserem Blockhaus am Baikal

Tag 463-465 Fahrräder über Bord?

Tag 466-467 Legendäre Bahnstrecke am heiligen Meer

Bebende Geräusche

Wie vor hundert Jahren

Gnadenloses Abholzen der sibirischen Wälder

Tag 468 Helden der Schiene

Tag 469 Nur zwei Minuten

Tag 470-471 Alte Bücher

Tag 472 Ein schöner Tag

Tag 473 Abruptes Reiseende?

Der traurige Ort Babushkin

Tag 474 Sturz

Tag 475 Tanjas Geburtstag

Tag 476-480 Je genauer du planst, desto eher trifft dich der Zufall

Tuberkulose, eine ernste Bedrohung für die Dorfbevölkerung

Tag 481 Keine Energien an die Vergangenheit verschwenden

Tag 482-483 Mit Gott unterwegs

Tag 484 Gut oder Böse?

Tag 485 Zweifelhafte Unterkunft

Sie schlagen ihm den Beutel auf den Kopf

Langfinger

Tag 486 Windstärke sechs

Tag 487 Platten

Mongolei:

Tag 488 Wasserknappheit

Tag 489 Im Land Dschingis Khans

Tag 490-492 Eingewöhnung

Tag 493 Sie wollen sich dann meist schlagen

Tag 494-495 Enkelin des letzten Kaisers

Tag 496 Winter ist ausgebrochen

Tag 497 Traumhaft schönes Land

Tag 498 Berge werden immer höher

Tag 499 Wie Meditation

Tag 500 Wetter ist auf unserer Seite

Tag 501 Unter erschwerten Bedingungen

Tag 502-510 Luxus – Gegensätze – Überleben

Anhang:

Resümee

Pläne

Epilog

Danksagung

Danksagung Sponsoren

Danksagung Ausrüstung

Danksagung Partner

Ausrüstung

Präsentation unserer Partner, die dieses Buchprojekt unterstützen

GDC Graphics – design – conception – www.gdc-knauer.de

Brettschneider Fernreisebedarf GmbH – www.brettschneider.de

Leica Camera AG – www.leica.de

LEKI Lenhart GmbH – www.leki.de

Lorpen Industrias Savidai S.L. – www.lorpen.com

GUSTAV MAGENWIRTH GmbH & Co. KG – www.magura.com

Rapunzel Naturkost AG – www.rapunzel.de

Sanatur GmbH – www.sanatur.de

Simpert Reiter GmbH – www.travellunch.de

UVEX SPORTS GmbH & Co. KG – www.uvex.de

VITAL ZENTRUM – www.rehavalznerweiher.de

Vitajuwel – www.vitajuwel.com

Die Berliner Zeltschmiede GmbH – www.wechsel-tents.de

Präsentation Projekte/Bücher:

Bergwaldprojekt (Grüne Ader) – www.bergwaldprojekt.de

Buch: Die große Reise An die Grenze des Ichs

Buch: Red-Earth-Expedition Etappe 1

Buch: Trans-Ost-Expedition 1

Buch: Trans-Ost-Expedition 2

Buch: LAND DES WINDES/Trans-Ost-Expedition 3

Autorenvorstellung

Als Botschafter und Dokumentaristen von Mutter Erde haben wir die Verpflichtung, eine objektive, nicht ver- oder beurteilende Reisedokumentation niederzuschreiben. So besitzen unsere Erlebnisse, unsere Geschichten und Erfahrungen nicht nur sonnige, sondern auch schattige Seiten. Aber wir wollen auch nichts überdramatisieren. Wir leben auf einem wunderbaren, schützenswerten Planeten, der von Menschen, Tieren und Pflanzen bewohnt wird, die alle ein Recht darauf haben zu überleben. Wir sind auf einem Planeten geboren, den Tanja und ich Mutter Erde nennen und der von Erdwissenschaftlern nach der alten griechischen Muttergöttin Gaia benannt wird. Gaia ist wie ein Superorganismus zu betrachten, der ähnlich wie unser Körper funktioniert. Ein Superorganismus, dessen Herz schlägt. Ein Superorganismus, der weit entfernt davon ist als tot bezeichnet zu werden. Unsere Mutter Erde ist eine lebende Kreatur, deren empfindliche Haut mit Wäldern, Wiesen und Blumen bewachsen ist, deren Adern die Flüsse sind, deren Atmung das Auseinanderdriften und Zusammenziehen der Landmassen ist. Hundertzwanzig Millionen Jahre dauert diese Phase, jedoch ist Zeit relativ, denn was für uns ein winziger Bruchteil einer Sekunde ist, ist ein ganzes Leben für ein Atomteilchen, genauso wie das Dasein der Erde nur einen Sekundenbruchteil im Leben der Gestirne und Galaxien bedeutet. Weil wir miterleben wie die Natur um uns stirbt, sollten wir alle erkennen, dass Mutter Erde lebt, denn was nicht lebt kann nicht sterben. Wir sollten Mutter Erde wieder als Quelle der schöpferischen und geistigen Energien verehren. Ähnlich wie es die australischen Aborigines getan haben, bevor der weiße Mann sie umbrachte. Wir Menschen, die Natur und Mutter Erde bedeuten eine Einheit. Etwas untrennbares Ganzes. „Wenn die Erde krank und verschmutzt ist, wird Gesundheit für uns Menschen unmöglich. Um uns selbst zu heilen, müssen wir unseren Planeten heilen“, hat ein Aborigine gesagt.

Denis Katzer

Erklärung der großen Reise

30 Jahre lang wollen wir auf dem Land- und Seeweg von Deutschland bis nach Südamerika reisen, und zwar mit landesüblichen Verkehrsmitteln. In den letzten 19 Jahren legten wir über 291.000 Kilometer ohne Flüge zurück. Wir waren mehrmals über mehrere Monate, manchmal bis zu zwei Jahre am Stück unterwegs. Spätestens nach zwei Jahren Reise müssen wir aber immer wieder nach Deutschland zurück, um den Kontakt zu unseren Sponsoren, zu den Medien und vor allem zu unserer Familie nicht zu verlieren. Wenn wir dann die sozialen Beziehungen wieder aufgefrischt, die Finanzierung und vieles weitere Organisatorische geklärt haben, begeben wir uns wieder genau an den Ort, an dem wir zuletzt unser Lebensprojekt unterbrochen hatten und setzen von dort aus unsere Expeditionsreise fort. So soll im Laufe der Jahrzehnte die längste dokumentierte Expedition der Geschichte entstehen. Durch die wichtigen Zwischenaufenthalte in Deutschland wird die 30-jährige Expedition, die unter dem Namen „Die große Reise“ bekannt ist, entschieden länger als 30 Jahre dauern. Unser ganzes Leben fließt hier ein.

Begonnen hat unsere große Reise 1991 in Deutschland und führte uns nach Österreich, Italien, mit der Fähre nach Griechenland und Ägypten. In Ägypten machten wir das erste Mal Bekanntschaft mit Kamelen und durchquerten mit ihnen die Wüste Sinai. Dann überquerten wir per Schiff den Golf von Aqabha nach Jordanien und setzten unsere Reise mit dem Bus durch Syrien, die Türkei und den Iran fort.

In einem Schmugglerzug - bis zum Dach mit Handelsgütern gefüllt - ging es über die Grenze nach Belutschistan, wo wir Kamele kauften, mit denen wir dann durch Pakistan ritten. Die gefährliche Expedition führte uns am Indus entlang, dem Vater aller Flüsse, weiter an der afghanischen Grenze und durch Stammesgebiet bis nach Peshawar.

Um nach Indien zu gelangen, nutzten wir wieder den Zug. Indien, das Land der Gegensätze, bereisten wir eineinhalb Jahre lang auf einem alten indischen Motorrad, besuchten Sri Lanka, um nur kurze Zeit später mit dem Schiff zu den Andamanen aufzubrechen. Auf dieser Inselgruppe im Golf von Bengalen gelang uns ein seltener Kontakt zu den wie in der Steinzeit lebenden Jarawas, die in einem militärischen Speergebiet lebten. Das Militär bekam Wind von den zwei Abenteurern, weshalb wir dann unseren Aufenthalt abbrechen und fliehen mussten. Wieder führte uns der Weg nach Pakistan, entlang der alten Seidenstraße bis nach Westchina. Dort stellten Tanja und ich eine Expedition auf die Beine, um die Wüste des Todes, die Taklamakan, von Süd nach Nord ca. 1.000km zu Fuß und mit Kamelen zu durchqueren.

Nach diesem riskanten Unternehmen sollte es weiter nach Tibet gehen. Wegen der Reinkarnation des Panchen Lama waren die Grenzen allerdings geschlossen. Eingewickelt in Decken und Mäntel ließen wir uns in einer 36 Stunden langen Busfahrt von tibetischen Mönchen nach Lhasa schmuggeln. Mit dem Jeep überquerten wir das Dach der Welt, um nach Nepal zu gelangen, dessen Tiefland wir auf dem Rücken eines Elefanten erkundeten. Danach fuhren wir mit dem Zug durch China bis in die Mongolei. Das Land Dschingis Khans durchritten wir 1.600 Kilometer von Ost nach West. Wir überlebten dabei einen bewaffneten Überfall, waren den Härten einer gnadenlosen Natur ausgeliefert und erfuhren als Ausgleich für alle Strapazen eine unermessliche Gastfreundschaft.

Im Rahmen unserer großen Reise durchquerten wir von 1999 bis 2003 die endlosen Weiten des australischen Outbacks. 7.000 Kilometer zu Fuß und mit eigenen Kamelen durchmaßen wir den Kontinent von Süd nach Nord und von der Westküste bis zur Ostküste. Es war eine gewagte Unternehmung, deren Ausgang von Beginn an ungewiss war. Ein Abenteuer der Superlative, eine Reise in das noch unbekannte Innere eines mystischen und geheimnisvollen Landes.

Seit 2005 befinden wir uns auf der Trans-Ost-Expedition. Es handelt sich dabei um eine 25.000 Kilometer lange Fahrrad-, Pferde- und Elefanten-Expedition.

Bisherige Reiseroute: Deutschland, Österreich, Slowakei, Ungarn, Serbien, Rumänien, Transnistrien, Ukraine, Halbinsel Krim, Russland, Kasachstan, Sibirien und die Mongolei.

Natürlich können wir nicht wissen, ob wir unseren Traum - die längste dokumentierte Expedition der Geschichte -je verwirklichen können. Das hängt nicht von uns allein ab - viele Aspekte und Unwägbarkeiten spielen hier mit hinein. Eine wichtige Voraussetzung ist natürlich, dass Tanja und ich unsere gemeinsamen Interessen bewahren und über die Jahrzehnte hinweg das gleiche Ziel verfolgen. Enorm wichtig ist auch die Gesundheit, die uns nicht im Stich lassen darf. Auch hatten wir immer wieder Unfälle oder Überfälle, ja sogar Naturkatastrophen oder sonstige Schicksalsschläge zu überstehen. Natürlich dürfen wir bei alledem auch nicht die Lust, die Energie, den Willen, die Kraft und unsere Zuversicht verlieren. Nebenbei muss auch die Finanzierung geregelt sein. Angesichts knapper Budgets ist es ein spannendes Abenteuer für sich, die richtigen Förderer zu finden, die zu uns passen, sie dauerhaft für unser Projekt zu begeistern und sie auch langfristig an unserer Expedition teilhaben zu lassen.

Alles im allem ist nicht absehbar, was morgen sein wird. Von Anfang an haben wir unsere Lust an der großen Reise, am Entdecken und Forschen nicht verloren - am wenigsten die Liebe zu den Menschen und zur Mutter Erde. Ungebremst und vielleicht mehr denn je suchen wir das Unbekannte, um jeden Tag mehr und mehr Teil eines großen Ganzen zu werden.

Wenn Sie sich jetzt fragen, wie ein Mensch auf die Idee kommt sein Leben dem Reisen zu widmen, dann erklärt das eventuell der bisherige Verlauf meines Lebens.

Biographie eines Vollblut-Abenteurers

1960 Erste Erfahrung

Die ersten Jahre meines Lebens wohnte ich mit meinen Eltern in einer kleinen Holzhütte am Waldrand von Nürnberg. Es gab kein fließend Wasser, keine Zentralheizung und keinen Strom. Im Winter legte meine Mutter die Windeln vor die Hütte. Sobald sie steif gefroren waren, konnte sie diese gegen den Apfelbaum schlagen und grob reinigen. Wegen der knappen finanziellen Mittel waren meine Eltern gezwungen, ganztägig zu arbeiten. Deswegen verbrachte ich schon als Zweieinhalbjähriger die Wochentage in einem katholischen Kindergarten. Um dem Zwangsaufenthalt dort zu entgehen, nutzte ich morgens bald jede Gelegenheit zur Flucht. Ich kletterte auf den Apfelbaum, versteckte mich im Garten oder in der Hütte unseres Hundes. Vielleicht wurde in diesen frühen Lebensjahren meine Abneigung gegen Zwänge, Fremdbestimmung und Unfreiheit geprägt und der spätere Abenteurer in mir geweckt. Nach dem Kindergarten gab es die nächste unangenehme Überraschung: Schule und Kinderhort. Für ein junges, unbeflecktes und freies Abenteurerherz der absolute Alptraum. Erneut war ich dazu verdammt, weitere neun Jahre meines Lebens in einer Gesellschaftsschmiede geformt zu werden.

1967 Zwang

Wegen großer Prüfungsangst vermasselte ich alle Aufnahmeprüfungen in weiterführende Schulen. Meine Freunde waren nicht von dieser Angst geplagt, schafften den Sprung aufs Gymnasium und ließen mich in der Hauptschule zurück. Im Alter von 16 Jahren bekam ich als Zweitbester der Schule meinen Abschluss. Nun hatte ich das geeignete Zeugnis, um ohne weitere Prüfungen auf eine höhere Schule zu gehen, doch man riet mir davon erst einmal ab. „Du musst eine Lehre machen. Dann hast du etwas in der Hand. Wenn du dann immer noch dein Abitur machen willst, kannst du es nachholen und später vielleicht sogar studieren.“ „Die müssen es wissen“, dachte ich mir und suchte das Arbeitsamt auf, um mich beraten zu lassen, welcher Job für mich geeignet wäre. „Büromaschinenmechaniker ist ein toller Beruf. Der passt zu Ihnen. Sie sind handwerklich begabt und kommen im Außendienst mit Menschen zusammen. Sie sind ein kommunikativer Mensch, dieser Beruf ist ideal für Sie“, sagte der Berater. Ich bewarb mich also als Büromaschinenmechaniker. Während der Aufnahmeprüfung bei der Fa. Olympia sollte ich unter anderem mit einer Zange Draht in einer vorgegebenen Zeit zurechtbiegen. Trotz meiner handwerklichen Begabung habe ich das Ding vor lauter Aufregung verbogen. Geknickt offenbarte ich dem Ausbildungsmeister meine Prüfungsangst. Der wiederum war von meiner Ehrlichkeit so angetan, dass ich unter 130 Bewerbern die Lehrstelle bekam.

1979 Einzelkämpfer

3 ½ Jahre später, nach dem Abschluss der Gesellenprüfung, stand ich vor der Wahl, den Wehrdienst zu verweigern oder anzutreten. Für mich als jungen, sportlich sehr engagierten Mann war die Versuchung verlockend, bei einer Spezialeinheit der Bundeswehr sportlich gefördert zu werden und dabei noch Geld zu verdienen. Da ich die Musterung in allen Bereichen mit Bestnoten abschloss, hatte ich die Wahl, in welcher Form ich dem Staat dienen wollte. Ich entschied mich für eine Spezialeinheit der Fallschirmjäger. Endlich lagen Abenteuer, Action und Freiheit vor mir. In den folgenden 15 Monaten durchlief ich alle Ausbildungen mit Bravour und wurde zum Unteroffizier und Ausbilder junger Soldaten befördert. Endlich glaubte ich, dort angekommen zu sein, wo ich immer hin wollte, denn als Einzelkämpfer, Elitesoldat und Extremsportler war ich in meinem Element und fühlte zum ersten Mal in meinem Leben Selbstsicherheit. Es war die Zeit des Falklandkrieges 1982, als ich, von einem inneren Gefühl getrieben, meine Soldaten fragte, wer sich von ihnen zum Falklandkrieg freiwillig melden würde, um die Engländer zu unterstützen. Da die Bundeswehr eine reine Verteidigungsarmee war, eine Frage ohne realen Hintergrund. Als ca. 80 Prozent der jungen Männer mit hohem Bildungsniveau die Hand hoben, war ich fassungslos und entsetzt. „Warum?“, fragte ich. „Weil Sie uns ausgebildet haben, um zu töten. Wir wollen nicht mehr auf Pappfiguren schießen, Herr Unteroffizier. Das langweilt. Wir wollen die Realität!“ In diesen Minuten wurde mir bewusst, dass ich selber ausgebildeter Killer war mit der Aufgabe, junge Männer ebenfalls zum Profikiller auszubilden. Offensichtlich war mir das gelungen. Für mich der erste dramatische Wendepunkt im Leben. Ich bemerkte, dass ich im Grunde meines Herzens Pazifist bin, und obwohl mir meine Vorgesetzten eine fantastische Karriere versprachen, verlängerte ich meinen Vertrag nicht

1982 Veränderung

Als ausgebildeter Elitesoldat saß ich nun wieder in der Werkstatt und reparierte Schreibmaschinen. Welch ein Schock. Durch meinen hohen Fitnessstand bekam ich die Chance, bei einer ersten Bundesliga-Mannschaft American Football zu spielen. Innerhalb von sechs Wochen war ich offizielles Mannschaftsmitglied der Nürnberg Rams. Neun Monate später, kurz vor der Prüfung zum Skilehrer, wurde meine Sportkarriere durch einen schweren Sportunfall - doppelter Bänderriss und Meniskusabriss im Knie - abrupt beendet. „Wenn Sie Ihr Leben nicht umstellen, werden sie mit 30 im Rollstuhl sitzen“, warnte mich der Operateur.

Wieder ein einschneidendes Erlebnis in meinem Leben, denn ich dachte, ohne meinen Sport mache das Leben keinen Sinn. Ein Freund empfahl mir, nach Asien zu reisen, um auf andere Gedanken zu kommen. „Was soll ich in Asien?“, sagte ich. „Ich möchte Fallschirmspringen, Starkwindsurfen, Tauchen, Mädels und ein schönes Auto fahren.“ Kaum genesen, flog ich trotzdem nach Asien. Als sich die Tür des Jumbos öffnete und mich die tropisch schwüle Luft umarmte, als mein Gaumen Speisen entdeckte, die ich nicht kannte, als ich nette Menschen traf, deren Charme und Kultur mich bezauberten, wusste ich, dass ich das Tor zu einer anderen Welt durchschritten hatte, die mich nicht mehr loslassen sollte und ein wesentlicher Teil meines Lebens werden würde.

Plötzlich ergaben der bisherige Lebensweg und alle Einschnitte einen Sinn. Ab diesem Zeitpunkt reiste ich jedes Jahr für drei Monate nach Asien, um die fernöstlichen Länder mit meinem Rucksack zu erkunden. Noch immer war ich allerdings Büromaschinenmechaniker und musste mein Leben so einrichten, dass ich in den Sommermonaten, während meine Technikerkollegen mit ihren Kindern in den Urlaub gingen, in der Firma anwesend war, um Notdienst zu schieben. Aus Dankbarkeit dafür bekam ich von meinem Chef neben den sechs Wochen Urlaub weitere sechs Wochen unbezahlten Urlaub. Eine ideale Lösung für einen jungen Mann, der die Welt entdecken wollte.

Aus meinen ausgiebigen Reisen wurden Expeditionen und wegen meiner Veranlagung zum Extremsport, der Navigations- und Überlebensausbildung der Bundeswehr und der nützlichen Ausbildung als Mechaniker und Techniker hatte ich bis auf Geld alles, was ein Expeditionsreisender und Entdecker benötigte.

1986 Karriere

Die Direktion meiner Firma bot mir an, mir eine Vertriebsausbildung zu finanzieren und stellte bei Erfolg einen Gebietsverkaufsleiterposten in Aussicht. Wow, welch eine Aufstiegsmöglichkeit, denn man konnte in solch einer Position 100.000 DM oder mehr in einem einzigen Jahr verdienen. Ich fasste die Gelegenheit beim Schopf und fuhr das erste Mal mit einem Firmenwagen von Nürnberg ins ferne Wilhelmshaven an der Nordsee. Dort wurden 16 ausgewählte Mitarbeiter einen Monat lang geschult. Ich war gerade von einer Asienreise zurückgekehrt und voller Tatendrang. Allerdings schüchterten mich manche Mitschüler wegen ihres hohen Ausbildungsstandes ein. Neben mir saß zum Beispiel die Sekretärin des damaligen Vorstandvorsitzenden der AEG, die ebenfalls umschulen wollte. Nach einem Monat bekam mein Direktor ein Schreiben, in dem man mir große Chancen und Talent einräumte. Der Ausbildungsstandort wurde nach Berlin verlegt. Feldtraining war die letzte Hürde. Hoch motiviert beendete ich das Feldtraining mit dem besten Ergebnis in der Geschichte der Firma Olympia und bekam sofort eine Verkaufsleiterstelle im Raum Nordbayern. Innerhalb des ersten Jahres mauserte ich mich zum zweitbesten Verkäufer Deutschlands und gewann eine lncentive-Reise nach New York. Ab diesem Zeitpunkt verdiente ich genügend Geld, um mir meine eigenen Expeditionen zu finanzieren.

1987 erste Expedition

Urvölker hatten mich schon mein ganzes Leben interessiert. Durch Zufall lernte ich auf den Galapagosinseln einen Menschen kennen, dessen bester Freund Halbindianer war. Sofort verließ ich die Galapagos und fuhr mit dem Bus in ein abgelegenes Urwaldnest am Amazonas. Dort lernte ich Gallo Sevilla, den Halbindianer, kennen. Obwohl mein Freund und ich nicht genügend Geld in der Tasche hatten, führte uns Gallo zum vom Aussterben bedrohten, kriegerischen Stamm der Auka Indianer, die nur wenige Wochen vorher vier Ingenieure mit Speeren getötet hatten. Die Begegnung mit den Aukas veränderte mein Leben und öffnete mir die Augen. Ab diesem Zeitpunkt setzte ich mich, so weit es meine Kraft zuließ, für bedrohte Völker ein und machte jedes Jahr eine extreme Expedition zu abgelegenen Völkern dieser Erde. Mein Engagement öffnete mir Kontakte zu den Medien. Die ersten TV-Auftritte, das Schreiben von Artikeln, das erste Buch, die ersten Sponsoren, waren die Folge.

Wegen der damit verbundenen ungeheuren Arbeitsflut musste ich mein Leben erneut überdenken. Ich kam zu dem Schluss Geld zu sparen, um meine Heimat für ein paar Jahre zu verlassen. Ich wollte bei Völkern leben, in ihre Welt einsteigen, sie verstehen. Ich wollte wissen, was es bedeutet, ohne Zeitdruck reisen zu können, echte Freunde anderer Nationen zu gewinnen, deren Religionen und Anschauungen zu verstehen und vieles mehr. Ab diesem Zeitpunkt legte ich jede Mark auf die Seite, um meinem großen Traum des Reisens Stück für Stück näher zu kommen.

1988 Tanja

Während eines Skiausflugs lernte ich ein junges, sehr hübsches, sehr sympathisches Mädchen namens Tanja kennen. Ich war zu diesem Zeitpunkt ein 28-jähriger erfolgreicher, weit gereister Vertriebsmann und sie eine 17 Jahre junge Schülerin. Weil ihre Mutter erst wenige Monate vorher gestorben war, wurde Tanja in kurzer Zeit erwachsen. Der große Altersunterschied war also keine Hürde und wir wurden ein Paar. Ohne Tanja würde ich heute nicht mehr leben. Sie hat durch ihren selbstlosen Einsatz während unserer gemeinsamen Expeditionen in verschiedenen Fällen ihr Leben riskiert, um meines zu retten.

1991 Schnitt

„Sitzt du?“, fragte mich mein Boss am Telefon. „Ja warum?“, wollte ich wissen und ließ mich in den Sessel sinken. „Ich schaffe meinen Job nicht mehr alleine und brauche eine rechte Hand. Was hältst du davon, Topmanager zu werden? Du wirst mit mir gemeinsam für einen Umsatz von 30 Millionen verantwortlich sein. Ich biete dir im ersten Jahr ein Gehalt von 150.000 und im zweiten Jahr eine viertel Million plus Spesen, Umsatzbeteiligung und einen Mercedes als Geschäftswagen. Was meinst du dazu?“, hörte ich es am anderen Ende der Leitung. Es dauerte eine Weile, bis ich meine Sprache wiederfand. Endlich sollte ich wirklich dort sein, wo ich schon immer hin wollte. Ganz oben und die Taschen voller Geld. „Wow“, entfuhr es mir. Als Michael über die Einzelheiten sprach, ließ ich meinen Blick über die Ausrüstung gleiten, die vor mir auf den Boden lag. Rucksack, Isomatte, Wasserfilter, Zelt, Traveller-Schecks usw. Die gesamte Ausrüstung, die ein Mensch benötigt, um für mehrere Jahre auszusteigen und um die Welt zu reisen. Eigentlich wollte ich in wenigen Wochen kündigen und mindestens drei Jahre unterwegs sein. Tanja und ich hatten alles akribisch genau vorbereitet und geplant. Meine Ersparnisse machten mich für mindestens fünf Jahre unabhängig, und Tanja sollte eine Unterstützung von ihrem Vater bekommen.

31 Jahre jung und nach 29 ½ Jahren Zivilisationsschmiede, Zwängen und Fremdbestimmung war ich das erste Mal kurz davor, wirklich frei zu sein. Und jetzt hatte ich meinen Chef an der Leitung, der mir anbot, in der Karriereleiter ganz nach oben zu klettern. In wenigen Jahren konnte ich ein reicher Mann sein. Was sollte ich nur tun? „Michael. Das ist ein fantastisches Angebot. Tausend Dank für dein Vertrauen. Ich spreche mit Tanja darüber und gebe dir morgen Bescheid“, sagte ich und legte den Hörer auf.

„Ich muss nur zwei Jahre durchhalten. Dann haben wir genügend Geld, um für den Rest des Lebens reisen zu können. Wir müssen nie mehr arbeiten“, erklärte ich Tanja. Sie sah mich an, überlegte eine Weile und sagte: „Wenn du wirklich Topmanager wirst und das große Geld verdienst, kann es sein, dass du nie mehr deinen Traum verwirklichen wirst. Die Gefahr ist sehr groß.“

Am nächsten Morgen rief ich Michael an. „Sitzt du?“, fragte ich. „Ja“, antwortete er. „Nochmals vielen Dank für das beste Angebot, das ich je in meinem Leben bekommen habe, aber ich kann es nicht annehmen. Ich sitze vor meiner Ausrüstung, die ich für einen Trip um die Welt benötige. Ich habe diesen Moment seit Jahren vorbereitet und werde in wenigen Monaten aufbrechen.“ Nach einigen Sekunden der Sprachlosigkeit gratulierte mir mein damaliger Chef zu dieser gewaltigen Entscheidung. „Ich komme vorbei und bringe ein paar Bocksbeutel. Die trinken wir dann, wenn du wieder da bist“, sagte er.

1991 Sommer. Aufbruch in eine andere Lebenswelt

Im Spätsommer kappten wir die letzten Verbindungen zu Deutschland und brachen zu unserer großen Reise auf. Sie dauerte länger als drei Jahre, denn fast zwei Jahrzehnte später sind wir noch immer unterwegs. Mittlerweile ist diese Reise eine lebenslange Reise geworden, die insgesamt 30 Jahre dauern wird und die längste dokumentierte Reise in der Geschichte der Menschheit werden soll. Seit Beginn legten wir mit Kamelen, Pferden, Elefanten, zu Fuß und mit landesüblichen Verkehrsmitteln 285.000 Kilometer zurück: „Die große Reise“ - eine Weltexpedition zu Zeugen des Ursprungs der Menschheit, die wir etappenweise ausschließlich auf dem Land- und Seeweg durchführen.

2005 Unfall! Das Ende meines Lebenstraums?

Auf der zweiten Etappe unserer aktuellen Trans-Ost-Expedition hatte ich nur 500 Meter nach dem Start einen Unfall mit fatalen Folgen: Extremer Bandscheibenvorfall mit Lähmungserscheinungen und folgender Notoperation in Bukarest. Die Fortsetzung unseres Expeditions- und Reiselebens war gefährdet. Die Operation ist geglückt und nach einem Jahr Reha setzten wir unsere Reise erfolgreich fort.

Seither hat sich mein Leben wieder einmal geändert. Nach der OP kam es mir so vor, als wäre ich innerlich völlig ausgebrannt. Es ist nur noch Asche übrig geblieben, fruchtbare Asche, in die ein symbolischer Samen fiel und aus der ein anderer Mensch erwuchs. Heute gehe ich viele Dinge im Leben anders und gelassener an. Die Gewichtung hat sich verändert. Im Nachhinein war die Verletzung ein Geschenk. Genauso wie mein damaliger Bänderriss, der mich dazu zwang, mein Leben total zu verändern und mich zu einem Reisenden beförderte.

Resümee

Mein heutiges Leben steht auf den Säulen verschiedener Schicksalsschläge und Entscheidungen: Kindheit, die ich zum Teil als unfrei empfand, unglückliche Schulzeit, Ausbildung zu einem Beruf, der nicht zu meinen Träumen passte, Ausbildung zum Einzelkämpfer einer Spezialeinheit, als geläuterter Pazifist Beendigung der Bundeswehrkarriere, Ende der Sportkarriere durch extreme Knieverletzung, die erste Reise nach Asien, Beförderung zum Verkaufsleiter, Erfolg und Geldverdienen, die Entscheidung, Tanja mit auf die Lebensreise um die Welt zu nehmen, Absage an eine Topmanagement-Karriere, Start zu einer lebenslangen Reise um Mutter Erde und deren Bewohner zu dokumentieren, das Geschenk, dem Rollstuhl entronnen zu sein und unseren gemeinsamen Lebenstraum weiterführen zu dürfen.

Endspurt vor der kommenden Etappe

Deutschland - Mitte Juni 2009
Kilometer 10845,80 gesamt
Ort: Schwaig bei Nürnberg
Breitengrad 49°27’00.0”
Längengrad 011°03’00.0”

Denis

Wie vor jeder größeren Reise gibt es ungeheuer viel zu organisieren. Obwohl sich das für mich schon seit 1982 wiederholt und Tanja und ich bereits seit 1991 auf unserer großen Reise sind, bleiben die Herausforderungen. An manchen Tagen empfinde ich sie als nahezu unüberwindbar. Vielleicht so wie ein Bergsteiger, der im Basiscamp des Mount Everest auf den Gipfel sieht und sich fragt, wie er da raufkommen soll. Jedoch geben uns die Erinnerungen an die vergangenen Reisejahre viel positive Energie und so gehen wir es mit Zuversicht und Kraft an. Immer ein Schritt vor den anderen, keinen Stress aufkommen lassen und jeden Tag das bewältigen, was wir bewältigen können. So kündigen wir Versicherungen, die wir nicht wirklich brauchen, leiten unsere Post zum elterlichen Haus um, machen unsere Steuer fertig, melden unser Auto ab, kümmern uns um die Finanzierung der kommenden sechs Monate, überprüfen die technische Ausrüstung und bringen sie teilweise auf den neuesten Stand, schicken die Leica Kameras zur Überholung ins Werk, führen einen Satellitentelefontest durch um zu sehen, ob die Übertragung unserer kommenden Onlineberichterstattung auch reibungslos klappt, bringen die Website in deutscher und englischer Sprache auf aktuellen Stand, kümmern uns um das Flugticket, stellen fest, dass die Aeroflot unsere Räder als Übergepäck und nicht als Sportgerät behandelt und wir pro Kilogramm 11 Euro bezahlen müssen. Da wir mit Fahrrädern, deren Verpackung und weiterer Ausrüstung über 100 Kilogramm Übergepäck auf die Waage bringen, kostet der Flug 1.100 Euro mehr als erwartet. Sofort schreibe ich eine Bewerbung an Aeroflot und bitte höflichst um ein Entgegenkommen. Tatsächlich reagiert die Airline und schickt eine Faxanfrage nach Moskau.

Wir sind zuversichtlich und arbeiten weiter, sprechen meinen Freund Pfleidi darauf an, ob er uns mit Sack und Pack nach Frankfurt fährt, worauf er einen Tag Urlaub einreicht und zusagt. Dann geht es an die detailgenaue Planung der Ausrüstung. Was haben wir bei unseren sibirischen Freunden Katja und Jenya in Krasnojarsk gelassen, als wir letzten Herbst unsere Reise unterbrachen? Gott sei Dank hat Tanja eine genaue Liste geschrieben, in der sie auch den kleinsten Gegenstand festgehalten hat. „Haben wir die Satteltaschen nun dort gelassen oder mitgebracht?“, frage ich. Tanja studiert ihre Liste und findet dazu keinen Eintrag. „Ich denke, die Taschen haben wir benutzt um einen Teil der Ausrüstung nach Deutschland zu schaffen“, meint sie. Und so vergehen die Tage wie im Flug. Am 16.06.2009 hebt der eiserne Vogel in Richtung Sibirien ab. Bis dahin haben wir noch einige Veranstaltungen und die restlichen 2.000 Höhenmeter bis zum Gipfel des Berges zu erledigen. Hoffend, dass während des Gipfelsturms kein Schlechtwetter aufkommt, arbeiten wir stetig weiter, ohne Stress – zumindest ist das unser Ziel.

Während ich jetzt hier sitze und diese Zeilen schreibe, denke ich über unsere Pläne nach. Eigentlich hatten wir geplant, am Ende dieser Radetappe in einem Tipi oder einer Jurte bei den tuwinischen Rentierzüchtern, den Zaatan, die in einer nur schwer zugänglichen Region der Mongolei leben, zu überwintern. Weil wir aber unsere Trans-Ost-Expedition letzten Herbst wegen eines technischen Defektes früher unterbrechen mussten als gewollt, liegt jetzt eine größere Strecke vor uns. Unter diesen Umständen erreichen wir die Hauptstadt der Mongolei, Ulan Bator, erst im Spätherbst. Das bedeutet, dass wir vor dem kommenden Winter nicht genügend Zeit haben, um eine Pferdeexpedition auf die Beine zu stellen. „Bestimmt eine gute Idee, dieses Projekt auf nächstes Jahr zu verschieben“, grüble ich. Geistesabwesend sehe ich aus dem Fenster meines Büros und beobachte die Vögel, die in den Baumkronen des nahen Waldes sitzen. Meine Gedanken beginnen plötzlich zu fliegen und ich befinde mich in Sibirien. „Nur noch wenige Tage, und Tanja und ich dürfen wieder in eine völlig andere Welt eintauchen, eine Welt, die mit dieser hier kaum etwas zu tun hat, und doch ist sie auf der gleichen Mutter Erde.“

Das heutige Sibirien umfasst den größten Teil des asiatischen Territoriums von Russland und grenzt im Westen ans Uralgebirge. Bis zum Norden, wo Sibirien vom an Polarmeer begrenzt wird, besitzt es eine ungefähre Breite von 3.300 Kilometern. Bis zum Osten an den Pazifischen Ozean hat es eine Ausdehnung von ca. 5.000 Kilometern, und vom Ural nach China sind es ca. 3.700 Kilometer. Hier im asiatischen Teil Russlands herrscht ein extremes Kontinentalklima. In der Stadt Werchojansk im Nordosten etwa wurden Extremwerte von minus 67,8° C gemessen. Im Juli klettert das Thermometer an manchen Tagen bis 35° C. Ein Unterschied zwischen Winter und Sommer von 102,8° C! Es gibt keinen anderen Ort auf unserer Erde, an dem diese extremen Werte übertroffen werden.

Wie es wohl diesmal wird? Was wird uns die Etappe Vier unserer Trans-Ost-Expedition an Erlebnissen und Erkenntnissen schenken? Ich sehe uns durch die nach frischem Harz duftende Taiga radeln, das größte zusammenhängende Nadelwaldgebiet der Erde. Das Wort Sibirien hat für uns nach wie vor einen geheimnisvollen, Respekt einflößenden Klang. Einen Klang nach Einsamkeit, Wölfen, wilden Tigern und Leoparden, Elchen, Rentieren, Polar- und Braunbären, nach grausiger Kälte, dem ehemaligen Lebensraum der vor 10.000 Jahren ausgestorbenen Mammuts, heißen Sommern und gefährlichen Zecken, deren Biss chronische Arthritis sowie Herz- und Nervensystemschäden und Meningitis zu Folge haben kann. Alles liegt in diesem Land: Trauer, Freude, Einsamkeit, Selbstfindung, Gefangenschaft und endlose Freiheit. Wir kommen als freie Reisende, wissen nur von den Geschichtsbüchern und Erzählungen von dem Sibirien Stalins, welches uns bis in die Gegenwart die Haare zu Berge stehen lässt. Doch das gehört der Vergangenheit an. Heute dürfen wir Sibirien auf die vielleicht schönste und zugleich aufregendste Art bereisen, nämlich mit unseren Fahrrädern, die uns bereits von Deutschland über Österreich, Slowakei, Ungarn, Serbien, Rumänien, Moldawien, Transnistrien, Ukraine, Halbinsel Krim, Westrussland und Kasachstan bis in das 11.000 Kilometer entlegene Sibirien getragen haben.

Ohne Zweifel freuen wir uns darauf Mütterchen Russland wieder zu sehen und euch, liebe Leser, davon zu berichten wie es uns ergeht.

Sprung in die andere Welt

Sibirien - Mitte Juni 2009
Tag 399
Kilometer 10845,80 gesamt
Ort: Krasnojarsk
Breitengrad 56°03‘15.6“
Längengrad 092°54‘37.4“

Erneut klickt das Rad der Zeit um einen Zahn weiter. Diesmal jedoch ist es wieder ein Zeitklick der uns, wie so oft während unseres Reiselebens, in eine andere Welt springen lässt. Die umfangreichen Vorbereitungen sind abgeschlossen. Der kleine Transporter, mit dem wir während der Deutschlandaufenthalte die Showausrüstung für unsere Bild- und Filmvorführungen durch die Lande fahren, rauscht über die Autobahn in Richtung Frankfurt. Da mein Freund Pfleidi am Steuer sitzt, kann ich meinen Gedanken hinterherhängen. Die Bäume flitzen vorbei und machen mich schläfrig. Aus scheinbar weiter Entfernung höre ich, wie sich Tanja mit unserem Freund angeregt unterhält. Es dauert nicht lange und meine Nackenmuskeln versagen ihren Dienst, lassen meinen Kopf hin und her baumeln, ungefähr so als würde er auf dem langen Hals eines Truthahns sitzen. Gesprächsfetzen kreuzen meine Gehirnwindungen, vermischen sich mit der Außenwelt und dem dahinfließenden Straßenverkehr. „Wenn Ihr Visum erst ab dem 16.06. gültig ist und Sie schon am 15.06. am Schalter stehen, wird man Sie eventuell nicht mitfliegen lassen“, sagt Mario Lindenau von der Cibt Visumzentrale. „Wieso das denn? Die Maschine landet um 23.55 Uhr. Bis wir das Flugzeug verlassen haben und vor der Passkontrolle stehen, ist es bereits weit nach Mitternacht und somit der 16.06.“, antworte ich. „Also ich an Ihrer Stelle würde mal bei der Aeroflot anrufen und mich vergewissern, ob das Bodenpersonal Sie in diesem Fall mitnimmt“, höre ich, worauf ich sofort am Frankfurter Flughafen anrufe. „Es tut mir wirklich Leid, aber unter diesen Umständen können wir Sie nicht mitfliegen lassen. Sie benötigen zum Zeitpunkt des Eincheckens ein für diesen Tag gültiges Visum.“ „Aber es ist doch gültig, sobald wir gelandet sind“, entgegne ich etwas genervt. „Es kann sein, dass die Maschine früher als geplant ankommt. Solche Fälle hatten wir schon. Wenn Sie mitfliegen wollen, müssen Sie Ihr Ticket umbuchen.“ „Was kostet das?“ „Etwa 100 Euro pro Ticket.” „Aber ich habe doch erst vor fünf Minuten gebucht.“ „Trotzdem, wenn sie nach Russland möchten, müssen Sie umbuchen oder Ihr Visum ändern. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, aber wenn wir Sie mit diesem Visum einreisen lassen, können die Strafen bis zu 50.000 Euro betragen“, höre ich entsetzt, denn eigentlich wollen wir mit unseren Rädern nur durch Sibirien fahren und nicht wegen einem falschen Visum im Gefängnis landen, um dann auch noch für viele Jahre eine schwachsinnige Strafgebühr abzubezahlen. Sofort buche ich das Ticket auf den 16.06. um und hoffe, dass uns der Bürokratismus dieser Welt nicht weiter zu schaffen macht.

Als mein Kopf auf dem schlafenden Truthahnhals gegen die Seitenscheibe stößt, fahre ich erschrocken hoch. Nichts geschehen, beruhige ich mich. Durch meinen Traum aufgebracht, krame ich noch einmal die Flugtickets hervor. „Gut, das Datum passt“, brummle ich vor mich hin und werfe einen Blick auf die in Kartons verpackten Bikes, die zwei großen Seesäcke und die Kameraausrüstung. Alles da, nichts vergessen. Hoffentlich. Da wir nach der letzten Etappe unsere Räder wegen einer Generalüberholung und einigen Reparaturen nach Deutschland mitgebracht hatten, müssen wir sie jetzt wieder nach Sibirien schaffen. Ein nicht unerheblicher und eventuell kostspieliger Aufwand. Meine Bewerbung bei der Aeroflot, unser Übergepäck zu sponsoren, ist abgelehnt worden. Ärgerlich aber nicht hoffnungslos. Ein leitender Mitarbeiter der Airline hat mir am Telefon seine Unterstützung angeboten. Ob schon hier in Deutschland die russische Hilfsbereitschaft und legendäre Gastfreundschaft ihre schützenden Arme um uns legt? Wer weiß.

„Wir sind da“, sagt Pfleidi gut gelaunt. Direkt vor der Abflughalle bekommen wir einen passenden Parkplatz. „Läuft ja prima“, meine ich ebenfalls frohen Mutes. Schnell sind unsere Monsterkartons und Ausrüstung auf zwei Gepäckwagen verladen. Viel zu früh stehen wir am Schalter. Wir nutzen die Zeit, um den leckeren Kartoffelsalat und Nürnberger Bratwürste mit Senf und Meerrettich zu verspeisen, die meine Mutter extra für uns zubereitet hat. Für dieses Jahr das letzte gemeinsame Essen mit unserem Freund. Wenig später sehe ich auf der Straße eine Kamelkarawane vorbeisausen. Es ist unser mit Expeditionsfotos beklebter Bus, der seinen Weg wieder Richtung Heimat antritt.

„Ich erreiche meinen Vorgesetzten nicht, aber Sie können schon mal Ihr Gepäck einchecken“, meint dann ein Mitarbeiter der Aeroflot. Die schweren Kartons mit unseren Rädern werden auf ein Förderband gelegt und machen sich auf, im Bauch des Flugzeugs verladen zu werden. Hoffend, dass sie die lange Reise gut überstehen und beim Umladen in Moskau nicht verloren gehen, blicken wir ihnen hinterher. „Also, ich habe jetzt mit meinem Chef gesprochen“, sagt der Mann hinter seinem Schalter. „Und, was hat er gesagt?“, frage ich. „Nun, wir verstehen nicht, warum Moskau Ihre Anfrage nach Freigepäck abgelehnt hat. Das ist nicht üblich. Im Normalfall bekommen wir fast immer Übergepäck durch, besonders wenn es sich, wie in Ihrem Fall, um eine ungewöhnliche Reisesituation handelt. Aber Sie wissen ja, die Wirtschaftskrise. Auch die Aeroflot muss anscheinend sparen.“ „Aber Ihr Chef hat mir trotz dieser dummen Krise seine Hilfe angeboten“, entgegne ich. „Ja hat er. Ist auch kein Problem. Sie besitzen 110 Kilogramm minus 40 Kilogramm Reisegepäck, sind 70 Kilo. Leider können wir Ihnen nicht das gesamte Gepäck einfach so durchchecken. Dann bekommen wir bei einer eventuellen Kontrolle in Moskau Probleme und müssen eine Strafe bezahlen. Was halten Sie davon, wenn wir Ihnen nur 20 Kilogramm Ihres Übergepäcks verrechnen?“ „Eine gute Idee. Vielen Dank“, antworten Tanja und ich erleichtert. „Ich muss Sie allerdings darüber aufklären, dass im Falle eines Verlustes Sie nur die angegebenen Kilogramm ersetzt bekommen. Aber darüber brauchen Sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Bei uns geschieht es selten, dass etwas abhanden kommt“, meint er beruhigend. Tanja und ich sehen uns etwas erschrocken an. „Was zahlt einem die Airline für ein Kilo verloren gegangenes Gepäck?“, fragt Tanja. „Nicht viel“, meine ich. „Na dann sollte wir locker bleiben. Ich bin außerdem fest davon überzeugt, dass alles gut ankommt“, antwortet sie zuversichtlich. Als wir gerade gehen wollen, gibt uns der nette Herr noch einen Rat. „Wenn Sie in Moskau ankommen, müssen Sie vom Internationalen Flughafen zum Nationalen Flughafen. Man wird Sie mit einem Transitbus dorthin bringen. Lassen Sie sich damit nicht allzu viel Zeit, sonst ist eventuell Ihr Flieger weg.“ „Vielen Dank für den Tipp“, antworten wir, zahlen unsere 220 Euro Übergepäck und schlendern gut gelaunt zur Sicherheitskontrolle.

Nachdem man von meinem Notebook eine Pinselprobe entnommen hat und diese auf speziellen Sprengstoff untersucht, entdeckt ein Sicherheitsmann in Tanjas Handgepäck ein verdächtiges Glas. „Was ist das?“, möchte er wissen. „Das ist Sesammus. Sehr lecker. Eine echte Kraftnahrung für Radreisende“, erklärt sie gelassen. „Das dürfen Sie nicht mitnehmen. Die Füllmenge des Glases ist um das Dreifache überschritten“, meint er freundlich aber bestimmt. „Aber das brauchen wir. Ist eine Art Notreserve für anstrengende Tage“, versucht Tanja zu argumentieren und erklärt dem Mann, dass wir mit unseren Fahrrädern 3.000 Kilometer durch Sibirien bis zur Mongolei radeln wollen. „Tut mir Leid. Ich bin selber Marathonläufer und weiß wie man solch eine Kraftnahrung brauchen kann. Trotzdem dürfen Sie Ihr Glas da nicht mit hineinnehmen. Vorschriften, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ Tanja tut sich beim Verstehen mit dieser eigenwilligen Vorschrift nicht leicht und lässt nicht locker. „Und wenn ich das Sesammus in drei kleinere Behältnisse verpacke?“, fragt sie und sieht den netten Herren lächelnd an. „Dann dürfen Sie es mitnehmen“, meint er. Während ich mich vor dem Schalter der Aeroflot setze und auf Tanja warte, geht sie noch einmal durch die Sicherheitskontrolle und sucht nach den passenden Gläsern. Es dauert nicht lange, und sie kommt wie ein Honigkuchen strahlend zurück. „Wie ich sehe, warst du erfolgreich.“ „Ja, Sesammus gerettet. Ich habe in einer Sushibar drei kleine Plastikdosen bekommen und alles umgefüllt.“ „Wirklich eine eigenwillige Bestimmung. Jetzt könnten wir wieder das gesamte Mus in den leeren Glasbehälter tun und wir wären da wo wir vorhin waren“, stelle ich amüsiert fest.

Am Moskauer Flughafen

Kaum ist die Maschine in Moskau gelandet, muss jeder Fluggast noch mal ein Formular ausfüllen, in dem nach dem Woher und Wohin gefragt wird. Obwohl wir bereits eine Zollerklärung ausgefüllt haben, setzen wir, ohne dumme, mit Sicherheit ungewünschte Fragen zu stellen, die passenden Buchstaben in die leeren Felder. Verwundert blicke ich auf, als mir eine Beamtin eine sehr eigenwillig aussehende Kamera vors Gesicht hält. Erst jetzt bemerke ich, dass jeder Reisende mit diesem Ding gespeichert wird. „Totale Überwachung und Kontrolle der Kontrolle“, geht es mir durch den Kopf, während die Passagiere wie gewohnt zum Ausgang hetzen. „Wir müssen uns beeilen“, ermahne ich uns. Trotzdem sind wir mit all den Kamerataschen und weiterem Handgepäck die Letzten. „Da ßwidanja i charoscho putascheswiee1“ verabschiedet uns die hübsche Stewardess. Allein eilen wir die Gangway in Richtung Flughafengebäude. Es ist 24 Uhr, der 16.06.09. Also noch ein paar Sekunden, bis die Datumsanzeige auf den 17.06.09 springt. „Gut, dass wir umgebucht haben“, geht es mir durch den Kopf. Als uns die Gangway ausspuckt, stehen zwei uniformierte Frauen vor uns. Eine von ihnen hält ein Schild in der Hand und streckt es uns entgegen. Da wir sehr selten in unserem Reiseleben an einem Flughafen mit solch einem Schild empfangen wurden, achten wir nicht darauf und eilen einen weiteren Gang nach rechts. Wir folgen einer Treppe ins Untergeschoss und werden von mehreren verschlossenen Türen gestoppt. „Geht es dahinten weiter?“, fragt Tanja und deutet auf einen Durchgang. „Auch zu“, meine ich, auf die Uhr sehend. „Wie viel Zeit bis zum Anschlussflug?“, fragt Tanja. „Noch eineinhalb Stunden”, beruhige ich uns, während wir die Treppe wieder nach oben eilen. „Warum haben Sie nicht auf das Schild geachtet?“, ermahnt uns die Frau in Uniform, als wir oben ankommen. „Keine Ahnung“, antworten wir. „Sie sollten auf die Schilder achten. Wir standen da extra für Sie. Kommen Sie bitte mit“, meint sie und schleicht uns im sprichwörtlichen Schneckentempo voraus. Diesmal folgen wir für etwa 100 Meter einer gläsernen Röhre, die an einigen Kontrollschaltern endet. Außer uns ist kein Mensch weit und breit zu sehen. „Wo sind denn die ganzen Fluggäste?“, wundert sich Tanja. „Wer weiß, vielleicht wollen die nicht nach Krasnojarsk“, überlege ich. „Zeigen Sie mir Ihre Gepäckbelege“, fordert uns die Frau jetzt auf. Ich reiche ihr die kleinen Papierstücke, welche sie sofort im Detail untersucht. Es dauert weitere fünf Minuten, bis sie aufsieht und sagt: „Wie sieht Ihr Gepäck denn aus?“ „Es sind zwei große Kartons mit Fahrrädern und zwei schwarzrote Seesäcke“, antworte ich. Die Beamtin greift zum Telefon und gibt unsere Beschreibung weiter. „Sie haben mehr Gepäck als erlaubt“, meint sie, worauf ich ihr die Quittung reiche, die man uns in Frankfurt für das bezahlte Übergepäck gegeben hat. „Aber auf den Belegen ist vermerkt, dass Sie 110 Kilogramm eingecheckt haben. Bezahlt sind allerdings nur 20 Kilogramm. Warum?“ „Keine Ahnung. Wir wissen nur, dass mit unserem Gepäck alles in Ordnung ist und unser Anschlussflug bald weitergeht.“ „Geben Sie mir mal Ihr Flugticket“, fordert mich die Dame auf, worauf ich ihr das elektronisch gebuchte Ticket zeige. „Sehen Sie, hier steht auch, dass Sie nur 20 Kilogramm pro Person mitnehmen dürfen. Jedes Kilo darüber kostet 11 Euro pro Kilogramm.“ „In Frankfurt lief alles korrekt. Man hat uns mit dem Gepäck geholfen“, versuchen wir uns zu rechtfertigen. „Kein Problem. Bleiben Sie gelassen. Setzen Sie sich dort auf die Bank und warten Sie. Ich rufe meinen Chef an. Die Papiere stimmen nicht. Sie haben eindeutig zu wenig bezahlt“, hören wir und hoffen, jetzt nicht noch mal 700 Euro berappen zu müssen. Während die Frau immer wieder eine Nummer wählt sehe ich nervös auf die Uhr. Noch 40 Minuten bis Abflug. „Wird knapp“, meine ich. „Ja“, sagt Tanja. „Bitte lassen Sie uns doch gehen, ansonsten ist unser Gepäck ohne uns in Krasnojarsk“, flehe ich beherrscht. „Warten Sie, mein Chef ruft gleich zurück. Gestern hatten wir Fluggäste, die es auch in 20 Minuten bis zum Nationalen Flughafen geschafft haben“, versucht sie uns zu beruhigen. Ich halte es nicht mehr aus, laufe den langen Glasgang auf und ab und sende einige Stoßgebete zum Himmel.