Jutta Schütz wurde in Lebach (Saarland) geboren.

Mit ihrem ersten Bestseller „Plötzlich Diabetes“ gilt die Autorin bei Kritikern als Querdenkerin. 2010 startete sie mit ihren Gesundheitsbüchern ihr Pilotprojekt in Bruchsal und später bei der VHS in Wolfsburg. Sie hat bis heute über 40 Bücher geschrieben und an vielen anderen Büchern mitgewirkt. Als Journalistin schreibt Schütz für viele Verlage und Zeitungen. Ihre Themen sind: Gesundheit, Kunst, Literatur, Musik, Film, Bühne, Entertainment.

Mehr Infos finden Sie auf der Webseite der Autorin. www.jutta-schuetz-autorin.de/

© 2015 Autor: Jutta Schütz (3. Auflage)

(Erstveröffentlichung 2008)

Webseite: www.jutta-schuetz-autorin.de/

E-Mail: info.jschuetz@googlemail.com

© 2015 Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7386-7536-8

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Ich wünsche „UWE“ für seine/ihre Zukunft alles Gute und viel Glück und bedanke mich recht herzlich bei der Selbsthilfegruppe für die vielen Tipps.

Kapitel 1

Als ich gegen siebzehn Uhr in der Firma ankam, klebte mein hauchdünner, schwarzer Hosenanzug an meinem Körper wie eine zweite Haut, auf meinem Dekolleté bildeten sich die ersten Schweißperlen und sehnsuchtsvoll dachte ich an Palmen und Meer.

Aber es war nicht nur die unerträgliche schwüle Hitze, die mir zu schaffen machte, sondern auch meine großen Probleme mit meinem Mann Roger. Die unendlich vielen Streitereien mit ihm und im Anschluss die langen nächtlichen Diskussionen, die am Ende doch keine positiven Ergebnisse brachten, zerrten an meinen Nerven. So langsam kam es mir vor, als balancierte ich auf einem schmalen Pfad und wartete nur darauf abzustürzen. Und weil ich keine Ignorantin war, musste ich mir selbst eingestehen, dass unsere Ehe nur noch eine Farce war. Aber dennoch glaubte ich immer noch, in all dem Durcheinander um meine Ehe kämpfen zu müssen.

Als ich an der Firma ankam, um Roger abzuholen, schickte ich ihm eine kurze SMS: Er sollte wissen, dass ich jetzt da war. Hoffentlich wird sein Auto bald repariert sein, dachte ich mir, dann brauche ich nicht mehr hin und her zu fahren.

Wie aus heiterem Himmel streckte plötzlich ein junger Mann seinen Kopf durch das geöffnete Fenster an der Beifahrertür und starrte einen Augenblick zu lang auf meine Brüste.

„Hallo, ich bin Uwe, und du bist sicherlich Rogers Frau. Deine Kuchen sind wirklich lecker. Ich sage Roger, dass du schon da bist“, stellte er sich mir vor und war so schnell wieder verschwunden, wie er aufgetaucht war. Wie sollte ich jetzt diese Vorstellung verstehen? Mir fehlten die Worte und ich konnte für Sekunden nicht mehr klar denken. Was war das für ein komischer Kauz?

Als Roger dann ein paar Minuten später ins Auto stieg, erzählte er mir, dass Uwe schon lange von meinen Backkünsten schwärmen würde und er sich gefreut hatte, mich auch mal persönlich gesehen zu haben.

Ich backte immer Kuchen, wenn ich mich nach einem Streit mit Roger abreagieren musste. Und da ich in den Wochen zuvor sehr backwütig gewesen war, ich aber selbst nicht viel davon essen konnte, freuten sich seine Kollegen in der Firma über seine Mitbringsel. Dort gab es viele willige Abnehmer.

Zwei Wochen danach traf sich die ganze Firma an einem großen Baggersee zu einem geselligen Betriebsausflug. Uwe brachte auch seine Frau Betty mit, die mir von Anfang an nicht sonderlich sympathisch erschien. Irgendwann an diesem Tag erklärte sie mir ihren gasbetriebenen Lockenstab, den sie natürlich immer dabei hatte. Ich musste ihr den Spiegel halten, damit sie ihre Haare in Form bringen konnte, nachdem sie ihre Füße ein wenig ins Wasser gehalten hatte. Anschließend redete sie ununterbrochen über wasserfeste Kosmetik und schwärmte von einem neu eröffneten Fingernagelstudio.

Ziemlich gelangweilt sah ich zwischendurch den Männern bei ihrem Ballspiel zu, und als auch noch ihre Freundin damit anfing, über Schmuck und andere Accessoires zu reden, begriff ich, dass es wohl für solche Frauen anscheinend kein anderes Thema mehr gab. Um diesem oberflächlichen Geplapper zu entkommen, begab ich mich fluchtartig in das verlockende kühle Wasser des Sees.

Zum Ende dieses Tages erzählte Betty mir dann auch noch von ihrer unglücklichen Ehe mit Uwe, und ich fragte mich, warum sie mir das jetzt anvertraute. Wir kannten uns doch gar nicht! Ich äußerte mich nicht dazu, versuchte aber wenigstens, ihr ein bedauerndes Gesicht zu zeigen.

Roger und ich besuchten jetzt jedes Wochenende irgendwelche Veranstaltungen oder gemeinsame Freunde. So konnten wir unsere Eheprobleme etwas zur Seite schieben und mussten uns nicht damit befassen. Am Silvesterabend hatte ich das Gefühl, dass dies vielleicht die letzte gemeinsame Feier mit Roger sein könnte.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 2

Auch andere Ehen gingen zu Ende. Zu Ostern teilte uns Uwe mit, dass er sich schon vor Monaten von Betty getrennt hätte und auch schon geschieden sei. Er wollte nicht erzählen, woran es gelegen hatte, und wir wollten auch nicht taktlos nachfragen. Bald gehörte er zu unserem festen Freundeskreis. Irgendwann allerdings sah ich in ihm einen Weiberhelden, da er jeder Frau hinterher sah: Ich glaubte erkennen zu können, dass er unter seiner Scheidung nicht allzu viel litt.

Im Mai flogen Roger und ich nach Kenia. Ohne es direkt auszusprechen, wollten wir beide versuchen, mit diesem Urlaub unsere Ehe zu kitten. Es freute mich, dass Uwe sich anbot, uns zum Flughafen zu fahren. Als ich mich von ihm verabschiedete, spürte ich ein sonderbares, ja prickelndes Gefühl, und wir umarmten uns länger als nötig. Auf dem langen Flug musste ich oft an diese Situation denken und ich fragte mich, wie es wohl wäre, wenn jetzt Uwe anstelle von Roger neben mir säße.

Als wir nach zehn Stunden aus dem Flugzeug stiegen, prallte uns direkt die schwüle Hitze von Kenia entgegen, und es roch auch sehr unangenehm. Übermüdet und verschwitzt rumpelten wir in einem klapprigen Bus vierzig Kilometer an üppigen Küstenvegetationen aus Palmen, Oleander und Mangobäumen vorbei zu unserem Hotel. Roger und ich stritten uns zwar nicht, aber wir hatten uns auch nicht mehr viel zu sagen. So konnten wir uns beide unabhängig voneinander unseren Gedanken hingeben. Ich dachte bei dem fantastischen Anblick des vom ewigen Eis bedeckten Gipfels des Kilimandscharo wieder an Uwe. Was er wohl im Moment gerade so machte? Am letzten Tag unseres Urlaubes spazierten wir mit einer Gruppe noch einmal durch Mombasa. Wir schlenderten langsam an den großen Markthallen vorbei, und der Duft von vielen Gewürzen beflügelte unsere Sinne. Viele Menschen drängelten sich eilig durch die engen Gassen zwischen den Verkaufsständen, an denen wir uns holzgeschnitzte Löwen, Elefanten und andere Schnitzereien ansahen. Hier gab es alles, was sich ein Touristenherz nur wünschen konnte. Unter den metallenen Elefantenstoßzähnen, die das Wahrzeichen von Mombasa darstellen, wurde mir schlagartig bewusst, dass ich mir sehr gut ein Leben ohne Roger vorstellen konnte. Auf dem Rückflug sprachen wir kaum ein Wort miteinander und auch die Fahrt mit dem Zug verbrachten wir schweigsam.

Kapitel 3

D as dicke Ende meiner Ehe mit Roger kam nur eine Woche nach diesem Urlaub: Diesmal hatte sich Roger in seinem Jähzorn selbst übertroffen. Nachdem er unsere Wohnung verwüstet hatte, fuhr er wie immer mit quietschenden Reifen davon. Ich wusste, es würden Stunden vergehen, bis er zerknirscht und reumütig wieder auftauchen würde. Am ganzen Körper zitternd, setzte ich mich auf die noch heil gebliebene Eckbank und begann zu meiner großen Verwunderung dieses Mal nicht zu weinen, sondern atmete tief durch. Am Kühlschrank hing die Tür nur noch an einer Schraube, und die Kühlung schaltete sich immer wieder neu ein.

Das würde eine saftige Stromrechnung geben, dachte ich mir und stand vorsichtig auf. Das Ganze ging mich nichts mehr an, entschied ich sehr schnell und stopfte all meine Papiere in einen Koffer. Schnell sortierte ich meine Lieblingskleidung in weitere Koffer und platzierte diese in den Hausflur. Glücklicherweise besaß ich einen Schlüssel für die Wohnung meiner Freundin Charly, die für mehrere Wochen verreist war. Aber leider lag diese Wohnung zwanzig Kilometer von hier entfernt, und Roger war mit meinem Auto unterwegs, da sein Wagen einmal mehr wegen einer Reparatur in einer Werkstatt stand. Mit dem Bus konnte ich unmöglich das ganze Gepäck transportieren, überlegte ich mir. Vielleicht war ja Uwe zu Hause, der in der gleichen Stadt wie Charly wohnte. Und außerdem könnte ein Freund sich dieses Desaster auch mal ansehen.

Es war Sonntagmorgen und vielleicht konnte ich Uwe zu Hause erreichen. Zu meiner großen Erleichterung hob er beim dritten Klingeln ab.

„Hallo Lissy, ich habe gerade an dich gedacht“, begrüßte er mich mit seiner schönen dunklen Stimme, die mich auf sonderbare Weise immer berührte. Sie gab mir in diesem Augenblick so etwas wie Zuversicht und Geborgenheit. Er fragte, wie es mir und Roger so ergangen sei im Urlaub und was wir im Moment denn gerade täten. Ohne auf seine Fragen einzugehen, fragte ich ihn, ob er gleich kommen konnte. Natürlich konnte er, und ich war froh, dass er keine Fragen stellte. Es dauerte keine dreißig Minuten, bis ich durch das Wohnzimmerfenster sah, wie er sportlich aus seinem Wagen sprang. Zögernd bat ich ihn hereinzukommen. Seine Fröhlichkeit wechselte in Erstaunen und Ungläubigkeit, als er die verwüstete Wohnung sah. Er schaute mich stumm an und wartete wohl auf eine Erklärung.

„Danke Uwe, dass du so schnell gekommen bist. Das hier erkläre ich dir später. Können wir zuerst meine Koffer ins Auto tragen?“

Als ich einige neugierige Nachbarn aus den Fenstern schauen sah, war ich doppelt froh, von hier verschwinden zu können. Nur für Sekunden ließ ich die Vergangenheit mit Roger noch einmal Revue passieren und ich war mir sicher, niemals mehr hierher zurückzukehren.

„Was ist passiert?“ wagte Uwe erst nach circa zehn Kilometern Fahrt zu fragen.

„Wir hatten mal wieder Krach und es war nicht das erste Mal, dass Roger dann alles verwüstet. Aber heute war es am schlimmsten.“

„Was hast du jetzt vor, Lissy?“

„Charly ist mit Horst vor ein paar Tagen in Urlaub geflogen, und sie hat mir den Auftrag gegeben, nach ihrer Wohnung zu sehen. Ich glaube nicht, dass sie etwas dagegen hat, wenn ich kurzfristig dort wohne.“

„Gut; bringen wir also zuerst einmal deine ganzen Sachen dorthin, und dann zeige ich dir auch mal mein neues Zuhause. Du warst ja noch nicht bei mir. Und nach der Wohnungsbesichtigung lade ich dich zu einer Pizza ein.“ Er versuchte mich zu beruhigen, indem er zärtlich mit seiner Hand über meine Wange strich.

Als wir eine Stunde später das Lokal betraten, empfing uns ein Duft von eben gebackenem Hefeteig und frischen Kräutern. Der freundliche Kellner führte uns galant an einen abgelegenen Tisch. Sicher hielt er uns für ein verliebtes Pärchen und wollte uns mit dieser Geste einen Gefallen tun. Das Ambiente um uns herum war im italienischen Stil gehalten. Bis auf das I-Tüpfelchen war alles aufeinander abgestimmt, und aus den Lautsprechern erklangen leise italienische Liebeslieder. Eigentlich müsste ich jetzt doch tieftraurig sein, dass meine Ehe zu Ende ging, dachte ich, aber ich fühlte nur eine große Erleichterung. Ich wusste zwar nicht, wie es mit mir weiter gehen sollte, aber einen Weg zu Roger zurück würde es nicht mehr geben.

Uwe streichelte angelegentlich meine Hand, und ich dachte mir, dass er mich damit wohl trösten wollte. Seine Hände waren sehr gepflegt und weich, seine Fingernägel perfekt manikürt. Solche Hände hatte ich bei einem Mann noch nie gesehen. Nur einen Bruchteil einer Sekunde stellte ich mir vor, wie sie mich überall an meinem Körper streichelten.

„Und was wirst du jetzt tun?“ Er riss mich mit seiner Frage aus meinen Gedanken. Wie konnte ich jetzt an solche Dinge denken? Ich schüttelte innerlich den Kopf über mich und versuchte mich zusammenzureißen.

„Nun ja, den ersten Schritt habe ich ja jetzt getan. Und dank Charly habe ich auch sofort eine gemütliche Unterkunft. Bis sie wieder zurückkommt, hoffe ich, eine eigene Wohnung gefunden zu haben. Wenn du morgen Roger in der Firma siehst, dann sage ihm bitte nicht, dass du über uns Bescheid weißt.“

„Das wäre mir auch lieber. Für mich als seinen Arbeitskollegen und Freund wird es auch nicht einfach sein, wenn ich mich weiterhin mit dir treffen werde. Und das möchte ich schon. Wann willst du ihm sagen, wo du bist?“

„Also heute bestimmt nicht mehr. Der kann ruhig ein paar Tage schmoren. Und wenn ich daran denke, dass ich morgen zur Arbeit muss, wird mir jetzt schon schlecht.“

„Ja, das ist jetzt wohl ein Nachteil, dass dein Arbeitsplatz genau gegenüber eurer Wohnung liegt.“

„Dafür wird sich auch eine Lösung finden. Nur heute will ich keine Entscheidung mehr treffen.“ Er sah mich nachdenklich an und meinte:

„Als ich euch zum Flughafen brachte, ist mir schon aufgefallen, dass zwischen euch etwas nicht in Ordnung sein kann.“

Als der Kellner das Essen brachte, redeten wir nicht mehr über unsere gescheiterten Ehen, es gab andere, interessantere Themen. Es war eigentlich das erste Mal, dass ich mich alleine mit ihm unterhielt, ihn auch als Mann wahrnahm und nicht nur als den gemeinsamen Freund. Es fiel mir auch zum ersten Mal auf, wie interessant er zu erzählen wusste. Er sah nicht nur gut aus, sondern war auch sehr intelligent, was mir gut an ihm gefiel.

Nach der Pizza bestellten wir einen Nachtisch und schließlich einen Cappuccino. Wir wollten wohl beide diese schöne Atmosphäre noch lange genießen. Wie gern hätte ich jetzt die Zeit angehalten! Denn gerade jetzt schien sie uns davonzulaufen. Ich hatte ein wenig Angst, die Nacht alleine in Charlys Wohnung zu verbringen und zögerte das nach Hause gehen richtig heraus. Aber die Tatsache, dass wir beide am nächsten Tag früh aufstehen mussten, holte mich schneller wieder ein als mir lieb war.

„Sei mir bitte nicht böse, Lissy, aber ich würde dich jetzt gerne nach Hause fahren. Ich muss morgen früh raus, weil ich einen Serviceeinsatz in Braunschweig habe.“

Ich hätte auch zu Fuß laufen können, denn sowohl das Lokal als auch seine Wohnung lagen nur zehn Minuten zu Fuß von Charlys Wohnung entfernt, aber er wollte mich um diese späte Zeit nicht mehr alleine gehen lassen. Bevor ich schlafen ging, stand ich noch lange auf dem Balkon im zehnten Stock und blickte auf die tausend Lichter, die immer noch in der Stadt brannten. Die Luft war vollgesogen von Blütenstaub, und ich spürte plötzlich eine ungeheure Stärke in mir wachsen. Ich wusste, dass jetzt ein neuer Lebensabschnitt für mich begann. Dieser Gedanke gefiel mir ausnehmend gut.

Natürlich wollte mir mein Chef so schnell keinen Urlaub geben, aber ich bestand ohne große Erklärung darauf. Dann telefonierte ich mit Charly.

„Lass dir ruhig Zeit mit dem Suchen einer Wohnung. Ich würde mich freuen, deine Gesellschaft noch lange zu genießen, wenn ich wieder zurück bin“, antwortete sie mir und sie schien nicht sehr überrascht zu sein, dass ich mich so plötzlich von Roger getrennt hatte.

„Du weißt doch, wo mein Autoschlüssel liegt! Also schnapp dir mein Auto und fahr es spazieren!“

„Das ist sehr lieb von dir, Charly. Das werde ich dir nie vergessen. Du glaubst gar nicht, wie viel du mir im Moment mit all dem hilfst.“

„Weißt du Lissy, du hast mir in all den vielen Jahren mit meinen schweren Depressionen immer wieder sehr geholfen. Ich konnte jederzeit damit zu dir kommen, und du hast mich immer wieder zu Recht gerückt. Es ist mir eine Ehre, dir endlich auch einmal helfen zu können.“

Anschließend fuhr ich zum Einwohnermeldeamt und danach direkt zu meiner Bank, wo ich meinem Mann die Kontovollmacht entzog. Es war eine kleine Filiale, und ich dachte, mein Sachbearbeiter wird schon komisch schauen, aber sie ließen sich nichts anmerken. Erleichtert ging ich hinaus und machte mich auf den Weg zum Supermarkt. Gegen Mittag rief ich meine Mutter an, die in Amerika lebte, und erzählte ihr die Neuigkeiten.

„Sei froh, dass du dich endlich zu diesem Entschluss durchringen konntest. Dieser Kerl war mir noch nie geheuer, und ich wusste, dass bei euch etwas nicht stimmt, auch wenn du mir nie etwas erzählt hast. Möchtest du zu mir kommen?“

„Nein Mama, das ist nicht nötig. Es geht mir ja gut, und ich habe hier auch viele liebe Freunde.“

Ja, die musste ich auch noch alle anrufen, dachte ich mir und machte mit meiner Freundin Traudel, die ich schon aus Kindheitstagen kannte, den Anfang.

„Oh, das tut mir aber leid, Lissy“, meinte sie. Der nächste Satz von ihr traf mich völlig unvorbereitet.

„Du kannst dich ja wieder melden, wenn es dir besser geht! Sei mir bitte nicht böse, aber da möchte ich mich nicht einmischen.“

Hatte ich jetzt richtig gehört? Ich durfte mich erst wieder melden, wenn es mir wieder gut ging?

Eine Freundin, bei der ich öfter den Babysitter für ihre Mädchen spielte, hatte keine anderen Worte für mich übrig als mich so am Telefon abzufertigen? Als ich mit Doris darüber redete, meinte sie, dass ich solch eine Freundin besser abschießen sollte. Am späten Abend rief mich Uwe aus dem Hotelzimmer an und fragte, wie es mir ginge.

„Ich habe heute Morgen Roger in der Firma noch kurz gesehen. Er hat sich überhaupt nichts anmerken lassen. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich gedacht, dass es ihm ganz gut geht!“

Erst am dritten Tag teilte ich Roger mit, dass ich jetzt bei Charly wohne. Wie ich es nicht anders erwartet hatte, versuchte er mir am Telefon zu drohen. Er wollte mir befehlen, auf der Stelle zurückzukommen, sonst würde ich mein Sparbuch und mein Geld auf der Bank nicht mehr zu Gesicht bekommen. Schade, dass er mich jetzt nicht lächeln sah, denn ich war diesmal schneller als er gewesen. Was bist du nur für ein dummer Mensch, dachte ich mir und sagte ihm, dass ich nie mehr zurückkomme. Als er merkte, dass seine drohenden Worte bei mir nicht ankamen, schwenkte er auf der Stelle um und versuchte es auf die sanfte Tour. Ach, wie flexibel konnte Roger in dieser Hinsicht sein! Weinerlich versuchte er mich umzustimmen und meinte, ohne mich nicht mehr leben zu können.

„Wenn du das denkst, empfehle ich dir zu unserem Hausarzt zu gehen. Vielleicht kann er dir einen guten Psychologen empfehlen!“

Er überlegte kurz, denn es wurde am anderen Ende der Leitung still.

„Vielleicht tue ich das auch. Wenn du also nicht mehr zurückkommst, könnten wir doch auch Freunde bleiben?“

„Das werden wir sehen, Roger!“

Kapitel 4

Uwe war in den nächsten Tagen oft an meiner Seite, wenn ich mir eine Wohnung ansah. Nach nur zwei Wochen hatte ich die Richtige gefunden. Sie befand sich direkt gegenüber Charlys Eigentumswohnung, und ich konnte ein paar Tage später dort einziehen. Am letzten Tag in Charlys Wohnung lud ich Uwe abends auf ein Glas Wein ein. Als er dann gegen neunzehn Uhr in der Tür stand, begannen sich Gefühle bei mir zu regen, die wohl nichts mehr mit Freundschaft zu tun hatten. Wir setzten uns gleich zusammen aufs Sofa und Uwe fragte mich:

„Wie klappt es mit Roger?“

„Bis jetzt ganz gut. Er scheint es ehrlich mit seinem Angebot zur Freundschaft zu meinen. Aber ich wollte noch nicht, dass wir uns treffen. Außerdem habe ich ihm erzählt, dass wir ab und an Kontakt hätten.“

„Ich weiß, er hat es mir heute Morgen gesagt. Ich sehe da auch keine Schwierigkeiten, denn er meinte, dass es gut sei, dass ich für dich da bin. So könnte ich auch etwas auf dich aufpassen.“

Ich schaute in Uwes Gesicht und spürte eine starke Anziehung zu ihm. Verlegen griff er nach einem Kreuzworträtsel. In all der Zeit, die ich ihn nun kannte, musste ich immer wieder aufs Neue feststellen, dass er mir gegenüber sehr schüchtern war.

Der Wein zeigte bei mir seine Wirkung: Ich wurde mutiger. Langsam legte ich meinen Arm um seine Schultern, meine Finger verschwanden in seinem dichten schwarzen Haar. Ganz vorsichtig strich ich zärtlich über seinen Nacken, den Rücken hinunter bis zum Bund seiner Hose. Er ließ das alles geschehen, aber als ich versuchte sein Hemd aufzuknöpfen, sprang er panikartig auf.

„Das lässt du besser sein, Lissy“, sagte er energisch und sah mich mit weit aufgerissenen Augen an.

Jetzt stand ich ebenso ruckartig auf und riss dabei versehentlich die Damasttischdecke vom Tisch. Wie in Zeitlupe fiel das halb volle Glas um: Der Wein ergoss sich auf den Glastisch und tropfte von dort langsam auf Charlys weißen Teppich.

„Warum kommst du hierher und lässt dich von mir auch noch streicheln, wenn du nichts von mir willst?“ Ich war sehr enttäuscht darüber, dass meine Verführungskünste bei ihm nicht ankamen.

„Ich habe dir nicht gesagt, dass du das machen sollst.“

Nachdem wir uns minutenlang ungläubig angestarrt hatten, verließ er fluchtartig die Wohnung, und ich spürte, dass sich mein Gefühl der Niederlage langsam in Zorn verwandelte. Hatte ich mich so in ihm getäuscht? Uwe stand wartend am Aufzugschacht. Ich rief ihm zu, dass ich immer bekäme, was ich will und er antwortete, dass das bei ihm aber nicht klappen würde. In meiner ganzen Wut setzte ich mich gleich an den Tisch und schrieb ihm ein paar Zeilen des Inhalts, ich hielte ihn einfach nur für verklemmt und steckte den Brief noch in der gleichen Nacht in seinen Briefkasten. Natürlich tat mir meine unüberlegte Aktion am nächsten Tag wieder leid, aber ich konnte es nicht mehr ungeschehen machen. Der Brief lag in seinem Kasten, und da kam ich nicht mehr ran.

Ein paar Tage ließ er nichts von sich hören, was ich auch nicht als schlimm empfand, weil ich mit meinem Umzug beschäftigt war. Roger half mir dabei und organisierte einen kleinen Transporter. Es waren nur wenige Möbel aus unserer gemeinsamen Wohnung, die ich aus dem Gästezimmer mitnahm. Am gleichen Tag wurden auch das neue Bett und der neue Schrank geliefert, und Roger baute ihn mir auf. Ich freute mich sehr über seine plötzliche Hilfsbereitschaft. Eigentlich kamen wir in der letzten Zeit gut miteinander aus.

Er war freundlich und zuvorkommend und versuchte kein einziges Mal mich zu überreden, wieder zu ihm zurückzukommen. Natürlich erzählte ich ihm nicht, wie innig das Verhältnis zu Uwe geworden war, und auch nicht, dass ich versucht hatte, ihn zu verführen. Schon am späten Nachmittag waren wir fertig und bestellten uns eine Pizza, da ich ja noch keine Küche hatte. Als Roger sich gegen Abend verabschiedete, meinte er:

„Ich muss dir noch was erzählen, Lissy. Uwe hat mir gestern etwas Sonderbares gesagt.“

„Ja?“, fragte ich neugierig und mein Herz setzte für Sekunden aus.

„Als er gestern Abend von seinem Einsatz zurückkam, meinte er, ich bräuchte keine Angst zu haben, du seist nicht sein Typ. Lissy, weißt du vielleicht, was er damit gemeint haben könnte?“

Ich schaute Roger erstaunt an und wusste auch nicht, was ich darauf antworten sollte. Aber bevor Roger auf falsche Gedanken kam, sagte ich schnell:

„Vielleicht wollte er dir damit sagen, dass du keine Angst zu haben brauchst, wenn ich mich so oft mit ihm treffe.“ Ich fragte mich, was Uwe damit gemeint haben könnte. Vielleicht war das die Reaktion auf meine Annäherungsversuche und meinen Brief danach? Oder Uwe dachte, ich würde es ein zweites Mal bei ihm versuchen. Aber darauf konnte er lange warten, ich hatte schließlich auch meinen Stolz. Von Roger wusste ich, dass er für die Firma viel unterwegs war, auch in dieser Woche. So konnte ich Uwe leider nicht danach fragen, was das alles sollte.

Am Freitagabend rief Uwe mich von zu Hause an, um mich zu fragen, ob er mir noch bei irgendetwas in der neuen Wohnung helfen könnte. Er sprach weder das Gespräch mit Roger noch meinen Brief an.

„Das ist lieb von dir, dass du mir helfen möchtest, aber ich bin soweit fertig. Viel ist es ja nicht gewesen.“

„Es freut mich für Dich, dass das alles so gut geklappt hat.“

„Ich möchte mich für den doofen Brief entschuldigen, Uwe.“

„Der ist vom Tisch, Lissy. Ich habe ihn schon entsorgt. Ich denke, Du hattest einfach ein Glas Wein zu viel getrunken. Wir vergessen das Ganze einfach!“

„Warum hast du Roger gesagt, ich wäre nicht dein Typ!“

„Na ich wollte Roger etwas beruhigen, nicht dass er noch falsche Schlüsse zieht, wenn wir in der nächsten Zeit mehr zusammen sein werden.“

„Werden wir das sein?“, wunderte ich mich.

„Denke schon, natürlich nur, wenn ich nicht weg muss. Oder hast du etwas dagegen?“

„Du hast keine Angst, dass ich dich vielleicht wieder anbaggern möchte?“

„Das lass mal lieber. Aber wie du weißt, kann ich ganz gut Nein sagen!“

Kapitel 5

Ein paar Tage danach erhielt ich einen langen Brief von Uwe. Er musste ihn persönlich in meinen Briefkasten geworfen haben, denn der Umschlag war ohne Briefmarke. Ich steckte ihn, ohne zu öffnen in meine Tasche, da ich sehr in Eile war. Außerdem wollte ich seine Zeilen in Ruhe lesen. Ich fragte mich den ganzen Tag, was er mir wohl geschrieben hatte und wurde immer ungeduldiger. Gegen sechzehn Uhr verließ ich das Büro und fuhr nach Hause. Eilig schloss ich die Tür auf, warf meine Jacke achtlos aufs Sofa und begann zu lesen.

Er schrieb über seine Gefühle, die ihn nicht mehr losließen. Er beschrieb sie voller Leidenschaft, und ich konnte jedes einzelne Wort in meiner Seele spüren. Nein, sein Geständnis erschreckte mich nicht, seine Gefühle waren nur so überraschend für mich. Sollte ich jetzt schockiert, erschüttert oder traurig sein?

Ich saß auf meinem blau melierten Teppichboden und konnte wegen meiner weichen Knie nicht aufstehen. Dieser tolle Mann hatte mir soeben ein Geständnis gemacht und er vertraute jetzt auf mein Mitgefühl.

Rot lackierte Fingernägel, die Wimpern lang und seidenschwarz getuscht, Makeup und rubinrote, glänzende Lippen. Dazu einen engen und nur bis zum Po reichenden Minirock, Nylonstrümpfe und hohe Pumps.

Uwe fand das an Frauen toll.

Aber am meisten an sich selbst. Die Frau in ihm wollte endlich zu leben anfangen!

Nein, ich war nicht traurig und auch nicht entsetzt, vielleicht nur etwas erschüttert. Und was ich sonst noch fühlte, hätte ich nicht mit Worten beschreiben können. Vielleicht war es so wie rückwärtsgehen, oder im Kopfstand zu versuchen, ein Glas Sekt zu trinken und dabei die Schwerkraft außer Acht zu lassen? Selbstverständlich wusste ich, dass es „solche Menschen“ irgendwo gab, nur hatte ich nie einen von ihnen kennengelernt. Und ausgerechnet Uwe sollte solch ein Mensch sein?

Er schrieb über Gefühle, die weiblich oder männlich wären, und ich fragte mich, was Gefühle mit dem Geschlecht zu tun hatten? Und ich dachte mir, nicht männlich oder weiblich bilden den Unterschied, sondern echt und unecht.

Seine Schilderungen, diese Reise in sein Inneres, hatten mich auf eine Weise berührt wie die Tautropfen im Gras, wenn sich der Nebel langsam im Morgengrauen erhebt. Ich spürte, dass er jetzt wie ein Vergissmeinnicht für mich war, das ich ganz nah an meinem Herzen spüren wollte, aber trotzdem nicht pflücken durfte.

An den vorhergehenden Tagen hatte ich sehr viel an ihn denken müssen, und wenn ich an ihn gedacht hatte, dann war es stets ein berauschendes Gefühl gewesen. Daran änderte jetzt auch dieser Brief mit seinem Bekenntnis nichts mehr.

Kapitel 6

Der nächste Tag war mein dreißigster Geburtstag, und ich hatte Uwe zum Frühstück eingeladen. Pünktlich um neun Uhr klingelte es an meiner Tür und ich öffnete mit glühenden Wangen. Natürlich war ich unsicher und wusste nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Die letzten Wochen hatte ich immer deutlicher gespürt, wie magisch mich dieser Mann anzog, dieser Mann, der jetzt lieber eine Frau werden wollte. Wie selbstverständlich nahm er mich zur Begrüßung in seinen Arm und küsste mich auf den Mund. Viele unbekannte Gefühle baten in diesem Augenblick vor meinem Herzen um Einlass und ich ließ sie einfach ohne weiteres Nachdenken hinein. Als ich uns Kaffee einschenkte, brachten mich sein umwerfender Charme und sein unwiderstehliches Lächeln etwas aus dem Konzept, und er bemerkte das Zittern meiner Hände.

„Ich spüre deine Unsicherheit mir gegenüber“, fing er zögernd an. „Du hast meinen Brief gelesen?“

„Ja, Uwe.“

„Und du weißt jetzt nicht, was du sagen sollst?“

„Stimmt.“

„Liebe Lissy, es ist heute dein Geburtstag und wir sollten wirklich ein anderes Mal darüber reden. Wärst du damit einverstanden?“

Natürlich war ich damit einverstanden, denn ich wusste ja überhaupt nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte. Aber wenn ich mir ihn ansah, konnte ich überhaupt nicht fassen, was ich gestern gelesen hatte. So ein toller Mann, dem alle Frauen hinterher schauten, wo auch immer er auftauchte, will eine Frau werden? Das war doch wohl ein Witz? Nach dem Frühstück gingen wir stundenlang am Fluss spazieren. Am Ufer sitzend schauten wir dem Wellenspiel des Wassers zu, in dem sich die verschiedenen Figuren der Wolken spiegelten. Unsere Hände fanden sich oft, und er drückte dann zärtlich für Sekunden meine Hand. Menschen, die an uns vorübergingen, hielten uns für ein Liebespaar.

Wieder zurück, hörten wir zusammen Tracy Chapman, Elton John, Robbie Williams und Roxette. Am Ende dieses Tages stellten wir uns beide die eine Frage:

Was ist Liebe?

Uwe spürte schnell, dass ich ihn noch genauso mochte wie vor seinem Bekenntnis, auch ohne dass wir viel darüber reden mussten. Wir gingen miteinander um wie zwei sehr gute Freunde, und meine Gefühle, die ich nicht beschreiben konnte, hielt ich aus Scheu - oder vielmehr aus Angst - vorerst einmal zurück. Ich wusste, es war diese Rücksichtnahme auf seine Situation und wohl manches Mal auch Unsicherheit und Trotz.

Kapitel 7

Ende August bekam Roger plötzlich eine Lungenentzündung. Er rief mich an und klagte über starke Rückenschmerzen mit hohem Fieber. Mit gemischten Gefühlen fuhr ich zu ihm und rief sofort den Hausarzt an. Der schrieb ihm eine Einweisung ins Krankenhaus. Ein kleines bisschen fühlte ich mich wohl Roger gegenüber noch verpflichtet. Jedenfalls kümmerte ich mich die nächsten drei Wochen um ihn.

Natürlich war das falsch gewesen, denn Roger bildete sich scheinbar ein, dass wieder etwas aus uns werden könnte. Als ich ihm bei seiner Entlassung klar machte, dass seine Krankheit nichts an unserem Verhältnis geändert hätte, rastete er aus und beschimpfte mich. Außerdem zeigte er zum ersten Mal seine Eifersucht auf Uwe. Es kam kein einziges Wort der Dankbarkeit über seine Lippen, dass ich drei Wochen lang seine Wäsche gewaschen hatte, ihn jeden Tag im Krankenhaus besucht und auch noch seine Wohnung geputzt hatte. Ich schaute ihn nur stumm an und verließ schnell das Krankenzimmer, bevor er vielleicht noch anfing, mit Gegenständen zu werfen.

Es war schön, nach solch einer Situation in meine eigene kleine Wohnung zurückzukommen, für die er keinen Schlüssel hatte. Aber Uwe hatte einen Schlüssel von mir bekommen, und im Wohnzimmer brannte Licht. Ob er da war?

Auf dem Tisch lag ein Brief, und auf meiner Musikanlage stand eine fünfzig Zentimeter große, vergoldete Frauenfigur die eine Uhr in Händen hielt. Das wäre einfach mal so ein Geschenk für mich, schrieb er mir. Und er meinte auch, dass ich, egal wie spät es bei mir würde, noch bei ihm anrufen konnte. Natürlich wollte ich mit ihm telefonieren, denn ich sehnte mich nach ihm.

„Vielen Dank für das tolle Geschenk. Wie komme ich zu der Ehre?“ Ich war sehr aufgeregt, und gleichzeitig freute ich mich, seine Stimme zu hören.

„Ich habe gehofft, dass du mich heute noch anrufst. Das mit der Uhr soll ein kleines Dankeschön sein, wenn du mir in den nächsten Tagen meine Blumen versorgst. Ich muss morgen nach Bremen!“

„Ach, darum hast du mir deine Schlüssel vorbei gebracht. Natürlich mache ich das gerne für dich“, antwortete ich und fand es schade, dass er wieder weg musste.

„Wie geht es Roger?“

„Na, das ist so eine Sache, Uwe. Heute hat er das erste Mal gezeigt, dass er ziemlich eifersüchtig auf dich ist. Er ist ganz schön zornig geworden.“

„Warum ist er eifersüchtig auf mich? Was hast du ihm denn von uns erzählt?“ fragte er, und ich dachte mir, dass es doch gar nichts so Geheimnisvolles von uns zu erzählen gab.

„Was könnte ich ihm denn sagen, außer dass wir nur gute Freunde sind. Er hat sich scheinbar eingebildet, nur weil ich ihm helfe, komme ich zu ihm zurück.“

„Das wirst du doch hoffentlich nicht tun?“ Uwes Stimme klang entsetzt.

„Nein, natürlich nicht. Wie kommst du nur darauf?“

„Ich habe mir gleich gedacht, dass Roger deine Hilfe falsch verstehen wird. Hoffentlich macht er auf der Arbeit nicht auch noch Zoff, wenn er wieder da ist.“

Als ich das Telefonat beendet hatte, nahm ich seinen Brief mit dem Bekenntnis zur Hand, den ich mittlerweile schon oft gelesen hatte. Ich kam immer wieder zu dem gleichen Ergebnis: Der Mensch im Brief und Uwe waren zwei ganz verschiedene Personen. Mein Gott, so ein attraktiver Mann! Was wird nur aus ihm werden?

Am nächsten Morgen fuhr ich mit gemischten Gefühlen ins Büro, weil ich wusste, dass Roger aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Vom Fenster aus konnte ich genau auf das Wohnzimmerfenster meiner ehemaligen Wohnung schauen und sah, dass Roger dort stand und zu mir her starrte. Er hatte das Fenster weit geöffnet und rauchte eine Zigarette nach der Anderen. Gestern hatte er mir noch erklärt, dass er das Rauchen nicht mehr anfangen würde, weil es ihm die Ärzte geraten hätten. Sicherlich wollte er mich mit seinem Verhalten nur provozieren, dabei schadete er sich jedoch selbst. Mir war es doch egal, ob er rauchte oder nicht! Ich dachte nicht zum ersten Mal, was für ein dummer Mensch er eigentlich war, und war froh, dass ich mich endlich von ihm getrennt hatte. Jetzt rief er mich auch noch im Büro an und fragte, ob ich in der Mittagspause rüber käme, er würde uns etwas kochen.

„Das ist nett von dir, aber ich kann heute keine Mittagspause machen. Es gibt so viel zu tun“, versuchte ich freundlich zu ihm zu sein. Schließlich musste ich hier noch länger arbeiten. Wenn er wieder ausrastete, kam er womöglich auch noch hierher. Was die Leute von ihm dachten, war ihm ja völlig egal, wie ich wusste.

„Dann vielleicht nach Büroschluss“, ließ er nicht locker und ich überlegte schnell, was ich antworten könnte.

„Das geht auch nicht, tut mir leid. Heute Abend habe ich mich mit Charly verabredet. Eigentlich geht es in den nächsten Tagen überhaupt nicht, Roger. Am besten ist, wenn ich mich wieder bei dir melde.“

„Tu das“, sagte er knapp und legte auf.

Gott sei Dank ließ mich Roger in den nächsten Tagen in Ruhe.

Ein paar Tage später kam ich müde und ausgelaugt vom Büro nach Hause. Im Hausflur hörte ich schon mein Telefon klingeln und beeilte mich daher so sehr, dass ich mit meiner Seidenbluse am Türgriff hängen blieb. Ratsch, der dünne Stoff war eingerissen. Fluchend lief ich zum Telefon, weil ich sehr hoffte, dass es Uwe war, der sich seit Tagen nicht mehr gemeldet hatte.

„Was bist du denn so außer Atem?“, hörte ich seine wunderbare Stimme, und ich stand sofort unter Strom.

„Bin gerade erst nach Hause gekommen. Von wo rufst du an?“ Mein Herz klopfte jetzt sehr schnell.

„Von zu Hause. Ich bin gerade erst angekommen und habe Kaffee gemacht. Dazu gibt es leckere Croissants und Kuchen. Meinst du, ich könnte dich damit in meine Wohnung locken?“

Wenn jemand anders ihn jetzt so reden gehört hätte, würden doch alle denken, dass er etwas von mir wollte, nur: Ich allein wusste es besser!

„Ich wollte gerade duschen gehen!“

„Das kannst du auch bei mir tun, Lissy. Ich habe Sehnsucht nach dir und würde mich sehr freuen, wenn ich dich heute noch sehen könnte. Kommst du?“

Bei dem Wort Sehnsucht hätte ich mich fast verschluckt, aber ich wusste, dass er das zwar ehrlich meinte. Was das Wort allerdings für eine Bedeutung hatte, würde er mir nicht so richtig erklären können. Oder wollte er heute doch versuchen, mich zu verführen? Warum sollte ich sonst bei ihm duschen?

„Gut, ich werde kommen. Aber lass mir bitte ein paar Minuten Zeit. Bis gleich dann.“

Ich setzte mich erst einmal auf mein Sofa und dachte nach. Meine Wangen glühten, und mir war sehr heiß. Gut, dann werde ich bei ihm duschen, dachte ich mir und fragte mich, was dann danach geschehen würde. Ich schnappte mir mein neues Nachthemd, das ich in einem sündhaft teuren Laden gekauft hatte, und packte es in meine Tasche. Diese Errungenschaft war aus nachtblauer, durchsichtiger Spitze, und wenn man genau hinsah, konnte man meine Brustwarzen durchschimmern sehen. Es fiel fließend bis zu meinen Fußknöcheln, und mit hohen Schuhen sah ich richtig toll darin aus. Also, wenn er davon nicht schwach wurde, wovon dann?

Wie er mich anzog! Immer wenn ich an ihn dachte, bekam ich Tausende von diesen Schmetterlingen in meinen Bauch. Daran konnte auch dieser bestimmte Brief von ihm nichts ändern, der in meinem Schrank lag, und den ich gerne in einem solchen Moment ignorierte.

„Ich habe dir schon frische Handtücher und meinen Bademantel im Bad bereitgelegt. Du kannst gleich loslegen“, empfing er mich lächelnd. Ich bekam bei seinem Anblick weiche Knie.