Ziel der Individuation in der 2. Lebenshälfte ist es, der oder die zu werden, der/die man ist oder auch, seine Bestimmung, sein Selbst zu verwirklichen und anzunehmen. Dazu ist es erforderlich, sich von falschen Anhaftungen zu lösen. Dieser Prozess wird vom inneren Selbst, immer tiefer zur inneren Mitte hin, gesteuert. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei das Erleben der inneren Gegensätze, die auch den Antrieb für die weitere Entwicklung geben. Stationen dieses Prozesses werden hier als Denkanstöße lyrisch festgehalten.
Die weibliche Sprache ist lyrisch, da sie an das subjektive Erleben gebunden ist (Mondlicht) im Gegensatz zum männlichen Bewusstsein, das abstrakt ist (Sonnenlicht) und dadurch mehr dazu neigt, das Subjektive zu „verbrennen“. Beide sollten sich ergänzen und befruchten.
Liesel Solscheid, 1. Lebenshälfte: Schule, Ausbildung, Studium zur Dipl. Betriebswirtin und Dipl. Verwaltungswirtin, Studium zum Magister der Philosophie, Ausbildung zur Psychotherapeutin nach dem HPG; Erkrankung.
2. Lebenshälfte: Rückzug in die „Herberge zum Sinn und mehr Autonomie“; in dieser Zeit entstand auch u.a. vorliegendes Werk.
Wasser wird Licht
Lyrik als Brücke
auf dem mühsamen Weg zur
inneren Mitte
Der Beginn einer langen Reise
©2014 tao.de in J. Kamphausen Mediengruppe GmbH, Bielefeld
Autor: Liesel Solscheid
Umschlaggestaltung: Jörg Rutenbeck
Bildvorlage: Gemälde von Jörg Rutenbeck, Titel „Das Gelbe vom Ei“
Verlag: tao.de in J. Kamphausen Mediengruppe GmbH, Bielefeld
ISBN: 978-3-95802-098-6 (Paperback)
978-3-95802-099-3 (Hardcover)
978-3-95802-100-6 (e-Book)
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Was nützt all´ die Weisheit (Bewusstsein) ohne die eigene Dummheit (Unbewusstes), die nie ganz besiegbar sein wird. Nur das aus dem Selbst mit eigenem Sinn erfasste Leben, das Mond-Bewusstsein, lässt die dunklen Teile heller werden.
Vorwort
Ich habe mich entschieden, keine Korrekturen an meinem Werk vornehmen zu lassen, da es sich um ein einsames Werk der Wandlung zum Selbst-Bewusstsein, durch Selbsterkenntnis, handelt und darin auch authentisch bleiben muss. Dieser Wandlungsprozess ist vom Unbewussten abhängig. Es handelt sich hier nicht um einen Gestaltungsprozess, dessen Initiative beim Ich liegt. Authentizität erfordert nicht, dass nochmals jemand „drüber“ schaut und man von einer Autorität den „Segen“ zur Gestaltung bekommt. Es ist der Ausdruck dessen, „dass ich nicht tun kann, sondern lassen muss“. Wie alle Mysterien, kann auch das Geschriebene unkontrollierbar und willkürlich und damit in einem steten Fluss sein. Der Zensor des Selbst ist nur es selbst. Jegliche fremde Korrektur würde dem Geschriebenen die Eigendynamik und den entsprechenden Rhythmus nehmen. Es würde sich einem verschulten Konsens einer Persona (Maske) unterordnen und gerade das, soll verhindert werden. Wer es korrigieren möchte, der solle es tun, weil er es aus sich und für sich tun muss. Dies ändert aber nichts an der Selbständigkeit des Werkes. Ich weiß um meine Fehlerhaftigkeit und stehe dazu. Ich kann sie nie ausschließen. Fehler gehören, wie alle Gegensätze, zum Leben und unbedingt, zu einem möglichst autonomen Leben. Diese, in ihrer Gegensätzlichkeit, zu akzeptieren
und zu verantworten, macht den Mut zum eigenen Leben aus.
Jedes Selbst tut, was es tun muss. Ich kann niemanden für mein Werk schuldig machen. Es entspricht meinem Bewusstsein vom Unbewussten und das ist zum Teil weit entfernt von jeglicher gesellschaftlichen Norm oder Regel. Dies macht Selbsterkenntnis erst aus, dass das Leben sich gegen die Norm richtet, um der Erkenntnis dienlich zu sein. Wer der Norm entspricht, lebt nicht zwangsläufig bewusst.
Ich schaue nicht mehr darauf, ob mein Leben irgendwelchen gesellschaftlich erstrebenswerten Zielen entspricht. Heute bin ich nicht mehr so nachahmungswillig, wie man es noch in jungen Jahren sein muss. Ich lebe, was kommt ohne einen großartigen Plan vom Leben zu haben, was es noch alles zu erreichen oder zu erstreben gibt, außer dem Tod. So muss auch meine Zeit nicht mehr verplant und ausgefüllt sein. Sie füllt sich selbst. So wachse ich stets an mir selbst. Aller Beginn liegt im Erleben des Gegensatzes und der Rücknahme der Projektionen.
Wie ich lebe, so schreibe ich auch. Hier, im Wort, habe ich die Freiheit die zu sein, die ich bin. Ich benutze daher die Worte als Freiraum des Ausdrucks der Erkenntnis. Nur im erlebten Bewusstsein zeigt sich meine Autonomie.
Das Geschriebene ist, als hätte ich ein Bild gemalt, an dem kein Strich von einer fremden Person hinzugefügt oder verändert wurde. Alles entstand aus einem Prozess, den man Leben nennen kann und an dem ich im Nachhinein nichts verändern kann oder sogar durch fremde Hand verändern lassen könnte. Somit ist Leben ein Kunstwerk – für alle Möglichkeiten und Interpretationen offen.
So wie jeder einsam sterben muss, muss er auch lernen, mit seinen einsamen Entscheidungen, die ihm stets abverlangt werden, autonomer zu leben und zu wachsen. Täglich muss ich tun, was mein Leben von mir verlangt. Oftmals erfordert dies den Mut, jenseits der Regeln meinen Weg zu finden und viel Leid auszuhalten. Ob die Einsamkeit des Selbst purer Egoismus ist oder ob jedem Einzelnen ein eigenes moralisches Gewissen a priori zugrunde liegt, möge der Leser an sich selbst und seiner eigenen Gegensatzdynamik erfahren.
Der Baum der Schuld
Jeden Herbst weint der Baum
Weil er sein Kleid verliert
Blätter fallen wie Tränen des Verlustes
Hoffnungslosigkeit begleitet die Trauer
Kahl ist er nun
Der Schönheit beraubt
Seine schönsten Seiten vergangen
Jetzt ist er derb und kalt
Nicht mehr so
Wie er sein sollte
Der Trauer beraubt
Der Schönheit vergessen
Zum Unmut des Lebens geworden
Der Schuldige der Vergänglichkeit und Traurigkeit
Jetzt ist er tot
Durch Menschengewalt.
Guten Morgen Leben
Leben ist peireal
Ein Versuch, ein Wagnis, ein Abstraktum
Jeden Tag aufs Neue versuchen wir,
wagen wir,
abstrahieren wir,
das Ergebnis ist ein schöner oder schlechter Tag
Real und irreal sind Begriffe der Vernunft
Für etwas, was sie erfassen kann oder nicht
Das Peireale ist wie das Leben selbst
Das Peireale ist Leben überhaupt
Jeden Morgen können wir es begrüßen
Guten Morgen Leben
Ich bin jetzt auch da und folge dir.
Winter
Es ist Winter
Es ist Schlafenszeit
Alles ist müde
Ohne Licht
Schöpferische Ruhe
Nichts Beunruhigendes
Schlafe ruhig ein!
Lass´ sein all die Kram
Schlaf ein!
Ich
Ich will
Die Welt ist heute wieder gegen mich
Ich will sie richten
Sie soll sein, wie ich das möchte
Auch du sollst so sein
Auch dich schließe ich da mit ein
Ich bin wütend
Ich bin sauer
Nichts ist so, wie es sein soll
Ich kämpfe gegen sie
Nein, ich lege mich vor den Fernseher
Ach, das lass ich sein
Ich trink´ mir einen
Nicht die Welt
Nicht du
Das Ich ist schuld
Das Ich ist noch dein Führer
Stell´ dich auf die Mitte ein
Das ist nicht das Leben nach
praktischen oder theoretischen Regeln
Die Mitte ist leer und doch gefüllt
Sie ist nichts und doch alles
Sie macht alles möglich
Die Mitte will nicht sein,
Die Mitte lässt sein.
Novemberglanz
Siehst du die Sterne nicht?
Hörst du nicht die Stimme der Natur, die zu dir spricht:
Mach´ auf dein Herz
Lass´ mich zu dir rein
Ich will dein Licht in der Dunkelheit sein.
Ich begleite dich, wohin du auch gehst
Die Trauer führt dich zum Licht
Wie die Dunkelheit zum Stern
Jeder Blitz leuchtet mehr als das Tageslicht
Siehst du die Blitze in dir nicht?
Gerade im Dunkeln sind sie leuchtend hell
Sie machen den November zum Feuerball
Plötzlich wird es hell und klar
Das Licht entsteht aus der Dunkelheit
November ist es
Jetzt kannst du das Licht in dir sehn´
Es ist da
Zunächst ganz klein
Bald wird es größer sein.
Das einfache Leben
-weiblich-
Natur
Nichts sein wollen
Nur werden und vergehen
Dem Wandel zuschauen
Sich ergeben und erniedrigen
Sein, der man ist
Einfach und klein
Nicht der Bezwinger der Natur
Sondern darin geboren
-männlich-
Vernunft
So musst du sein
So sollst du werden
Da zwing´ ich dich rein
Jetzt und in alle Ewigkeit
Amen
Vernunft! Du mein Glaubensesser
Die sich selbst zeugende Hoffnung
Die aber nicht gebärt
Vernunft w i l l sein
-Hochzeit-
Die Hoch-Zeit ist die Vermählung
Von weiblich und männlich
Von Natur und Geist
Es ist der entstandene Sinn
Der aus dem Herzen kommt
Gefühle, Leben, Tod bekommen Sinn
Die Natur des einfachen Lebens
Sie wird zum sinnvollen Leben.
Macht der Worte
Das Wort ist mächtiger als jeglicher Zauber
Worte können töten
Worte schaffen Liebe
Denn Worte sind Taten
Die sagen:
Lasset uns den Taten folgen
Der Mensch versucht ihnen zu folgen
Weil er die Worte nachempfindet
Er glaubt es seien seine Worte
Sie kamen wie aus seinem Munde
All´ das Gesagte sieht er ganz genau so
Er lebt nach den Worten aus anderem Munde
Diese Worte haben Macht über ihn
Dem Menschen wird früh gelehrt nach den Worten zu handeln
Die man ihn lehrte
Worte machen Angst
Worte ziehen in den Bann
Worte lassen nicht schlafen
Worte machen Sorgen
Worte machen Sinn
Jesus sprach:
Gedenket meiner Worte
Und sie folgten ihm
Worte sind Willen zur Macht
Sie greifen an
Sie wollen siegen und herrschen
Darum lob ich mir die Stille
Oder die Einsamkeit
In der keine Worte zählen
Ein Lob dem, der nicht viel spricht
Ein Lob dem, der dem Wort nicht so viel Bedeutung gibt
Worte dienen der Kommunikation und nicht
der Macht
Sonst sind Worte nicht mehr als Bellen
All-zu viele bellten schon um Macht
Worte sind etwas Einzigartiges und Individuelles
Weil sie der Ausdruck meiner selbst sind
Die Worte des Anderen sind nie meine Worte
Wie alles Einzigartige haben sie keine Allgemeingültigkeit
Da sie sich mit Macht hervordrängen
Glauben wir, sie haben allgemein-gültige Macht
Darin sind sie wie Gefühle
Sie sind wie der Schrei in der Stille
Gewaltig und mitreißend
Und doch wieder bedeutungslos
Worte sehen nie klar
Der befreite Augenblick ist immer ohne Worte
Worte suchen die Klarheit
Worte umkreisen
Und finden doch nicht
Wer Worte sucht, wird nichts finden
Ein Leben lang Worte gesucht
Und unerfüllt gestorben
Glücklich ist die Zeit, in der wir keine Worte brauchen
Die Zeit ohne Worte
Ist die Zeit des inneren Friedens
Lebe frei
Ohne
Worte.
alles so klein
leben kommt von innen
zunächst ganz klein
es will dinge annehmen
und groß sein
so bleibt es aber unbemerkt klein
leben lässt sich nichts sagen
es will immer selbst sein
im Selbst ist alles ganz klein
das große kommt immer von außen
und ist von natur aus klein
nur was klein war hat wirkliches sein
alles was geboren wird ist klein
großes wird nicht geboren
es wird gemacht und
dient der nachahmung
ich lobe mir das kleine
das zu bewahrende
das zu beschützende
vielerorts geht es ein
darum braucht es einen ort
an dem es sich entfalten kann
an dem es werden kann
an dem es klein sein kann
es ist so klein
dass es vor lauter streben
nach dem großen
nicht gesehen wird
das wahre sein ist so klein
das große ist nie das wahre
wer das große sucht
sieht das wahre nicht
groß
größer
das größte
soll es sein
dabei ist alles wahre
so sehr klein
die kleinen dinge
machen das leben aus
weise und wahr lebt der
der das kleine in sich spürt
und ihm folgen kann
nicht der
der viel weiß
und dem wissen folgt.
Die Weisheit der Finis
Alle Weisheit steckt in mir
Mein wahres Leben
Ist ein weises Leben
Weil es nur das eine Leben gibt
In mir steckt nicht Gott
In mir ist eine Göttin
In mir ist des Weiblichen höchste Macht
Nicht Gott ist das Höchste
Nebst Jesus oder Buddha
In mir ist eine Frau das Höchste
Es steckt kein Buddha in mir
Es ist Finis
Die Vollendete
Sie arbeitet mit Fortuna
Und wenn mein Schicksal eine Frau ist
So ist meine Wahrheit weiblich
So ist meine Wahrheit die von Finis
Und nicht göttlich oder von einem Gott
Ich habe mich vom göttlichen Vorbild getrennt
Und gehe zu meiner Finis
Sie ist kein Vorbild
Sie ist immer sie selbst
Im Guten und im Schlechten
Finis ist meine individuelle Vollendung
Auch über den Tod hinaus.
Landflucht
Das Land ist der Tod
Die ewige Ruhe
Das langsame Sterben
Die Stadt ist das Leben
Die stetige Bewegung
Der schnelle Tod
Dem Tod zu entfliehen
Geht alles in die Stadt
Weil die Stadt DAS Leben hat
Niemand will dem Tod ins Auge sehen
Niemand hält die Ruhe aus
Lieber sterben als hier leben
Den Tod verdrängen
Aus der Ruhe flüchten
Das Sterben vertagen
Auch das Sterben will gelernt sein
Noch gibt es hierfür kein Diplom
Noch keinen „Meister im Sterben“
Jeden Augenblick sterben können
Wie eine Biene im Honigwasser
Gerade lebte sie noch, jetzt ist sie tot
Die wenigsten wollen sterben
Der Tod ist Depression
Niemand, der den Tod annimmt wie sein Hemd
Ruhe, diese göttliche Ruhe
Gibt es etwas Schöneres als in Ruhe zu sterben
Ruhe in Frieden
Nur wer im Leben ruht
Ruht im Frieden
Jederzeit im Frieden mit sich selbst
Der Ehrgeiz ist verflogen
Der Neid gemildert
Der Tod das Ziel.
Gott hat keinen Bart
Gott ist die Ewigkeit
Gott ist das Ziel
Gott ist der Sinn
Gott ist die Befreiung
Gott ist das Urvertrauen
Gott ist der ewige Frieden in dir
Der Mensch ist Gefangener des Irdischen
Solange die göttliche Flamme nicht lodert
Er glaubt sein Ich sei seine Welt
Das Ich ist dieser Welt verhaftet
Es ist ihr Sklave
Willst du kein Sklave sein
Dann bringe deinen wahren Geist heim
Der wahre Geist hebt die Freiheit über das Ich
Das Ich wird schwächer
Der Sinn wird stärker
Der Sinn geht über das Ich hinaus
Er ist im Ich nicht gefangen
Er schließt Gott und Natur ein
Der Sinn ist die königliche Vermählung.
Flurzeit
In keinem Raum befindlich
In keiner Wahrheit geparkt
Ohne Orientierung und doch nicht ohne Willen
Durchschreite ich das Haus
Türen öffnen sich
Menschen bitten mich
Aber des Menschen Not ist nur noch Gier
Die Gier ist zur Wahrheit geworden
Die Gier ist die Tür zum Sein
Aus dem Überlebenstrieb ist Gier geworden
Überleben alleine reicht nicht mehr
Paradiesische Vorstellungen treiben in die Sinn-Flut
In der das Herz ein Geldbeutel ist
Ich stehe an der Türe zu Wissen und Wahrheit
Hier steht geschrieben „Wissen ist Macht“
Ich gehe vorbei
Ich will nicht, dass jemand Macht über mich hat
Ebenso geht es mir an der Schwelle zu Glauben und Religion
Ich bin nichts und ich habe nichts
Weil ich nirgends einkehre
Ich gehe an allen Türen vorbei
So befreie ich mich von zusätzlichen Bildern
Und handle nach meinem wahren Herzen.
Eiskalt
Schneelandschaft die nicht vergeht
Erwartungsvoll
Der Frühling
Erwartungsvoll
Bin auch ich
So wie das Außen
Ist auch mein Innen
Drum wollte ich in die Stadt
Wo es Leben hat:
Alles bunt
Alles neu
Alles schön
Ich mitten drin
Immer angepasst
Wie das Außen
So mein Innen
Diese nasse Kälte
Geht aufs Gemüt
Eiszeit
Sonne im Herzen
Sie ist da
Ich fühle sie
Ohne bunte Stadt
Trotz Eiszeit
Ich lebe aus mir
Nicht in mich hinein
Das Äußere soll nicht mehr mein Innen sein
Regentropfen in sonnigem Herzen
Eisige Kälte in frohem Gemüt
Bunte Blüten drücken sich durch die Schneedecke
Flammendes Herz in kalter Nacht
Abdruck im Schnee
Sich selbst die Welt schaffen
Das ist sinnvolles Dasein
Sich nichts vorgeben lassen
Selber sein heißt
Selber Sinn schaffen.