Ziel der Individuation in der 2. Lebenshälfte ist es, der oder die zu werden, der/die man ist oder auch, seine Bestimmung, sein Selbst zu verwirklichen und anzunehmen. Dazu ist es erforderlich, sich von falschen Anhaftungen zu lösen. Dieser Prozess wird vom inneren Selbst, immer tiefer zur inneren Mitte hin, gesteuert. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei das Erleben der inneren Gegensätze, die auch den Antrieb für die weitere Entwicklung geben. Stationen dieses Prozesses werden hier als Denkanstöße lyrisch festgehalten.

Die weibliche Sprache ist lyrisch, da sie an das subjektive Erleben gebunden ist (Mondlicht) im Gegensatz zum männlichen Bewusstsein, das abstrakt ist (Sonnenlicht) und dadurch mehr dazu neigt, das Subjektive zu „verbrennen“. Beide sollten sich ergänzen und befruchten.

Liesel Solscheid, 1. Lebenshälfte: Schule, Ausbildung, Studium zur Dipl. Betriebswirtin und Dipl. Verwaltungswirtin, Studium zum Magister der Philosophie, Ausbildung zur Psychotherapeutin nach dem HPG; Erkrankung.

2. Lebenshälfte: Rückzug in die „Herberge zum Sinn und mehr Autonomie“; in dieser Zeit entstand auch u.a. vorliegendes Werk.

Liesel Solscheid

Wasser wird Licht

Lyrik als Brücke
auf dem mühsamen Weg zur
inneren Mitte

Der Beginn einer langen Reise

Was nützt all´ die Weisheit (Bewusstsein) ohne die eigene Dummheit (Unbewusstes), die nie ganz besiegbar sein wird. Nur das aus dem Selbst mit eigenem Sinn erfasste Leben, das Mond-Bewusstsein, lässt die dunklen Teile heller werden.

Vorwort

Ich habe mich entschieden, keine Korrekturen an meinem Werk vornehmen zu lassen, da es sich um ein einsames Werk der Wandlung zum Selbst-Bewusstsein, durch Selbsterkenntnis, handelt und darin auch authentisch bleiben muss. Dieser Wandlungsprozess ist vom Unbewussten abhängig. Es handelt sich hier nicht um einen Gestaltungsprozess, dessen Initiative beim Ich liegt. Authentizität erfordert nicht, dass nochmals jemand „drüber“ schaut und man von einer Autorität den „Segen“ zur Gestaltung bekommt. Es ist der Ausdruck dessen, „dass ich nicht tun kann, sondern lassen muss“. Wie alle Mysterien, kann auch das Geschriebene unkontrollierbar und willkürlich und damit in einem steten Fluss sein. Der Zensor des Selbst ist nur es selbst. Jegliche fremde Korrektur würde dem Geschriebenen die Eigendynamik und den entsprechenden Rhythmus nehmen. Es würde sich einem verschulten Konsens einer Persona (Maske) unterordnen und gerade das, soll verhindert werden. Wer es korrigieren möchte, der solle es tun, weil er es aus sich und für sich tun muss. Dies ändert aber nichts an der Selbständigkeit des Werkes. Ich weiß um meine Fehlerhaftigkeit und stehe dazu. Ich kann sie nie ausschließen. Fehler gehören, wie alle Gegensätze, zum Leben und unbedingt, zu einem möglichst autonomen Leben. Diese, in ihrer Gegensätzlichkeit, zu akzeptieren

und zu verantworten, macht den Mut zum eigenen Leben aus.

Jedes Selbst tut, was es tun muss. Ich kann niemanden für mein Werk schuldig machen. Es entspricht meinem Bewusstsein vom Unbewussten und das ist zum Teil weit entfernt von jeglicher gesellschaftlichen Norm oder Regel. Dies macht Selbsterkenntnis erst aus, dass das Leben sich gegen die Norm richtet, um der Erkenntnis dienlich zu sein. Wer der Norm entspricht, lebt nicht zwangsläufig bewusst.

Ich schaue nicht mehr darauf, ob mein Leben irgendwelchen gesellschaftlich erstrebenswerten Zielen entspricht. Heute bin ich nicht mehr so nachahmungswillig, wie man es noch in jungen Jahren sein muss. Ich lebe, was kommt ohne einen großartigen Plan vom Leben zu haben, was es noch alles zu erreichen oder zu erstreben gibt, außer dem Tod. So muss auch meine Zeit nicht mehr verplant und ausgefüllt sein. Sie füllt sich selbst. So wachse ich stets an mir selbst. Aller Beginn liegt im Erleben des Gegensatzes und der Rücknahme der Projektionen.

Wie ich lebe, so schreibe ich auch. Hier, im Wort, habe ich die Freiheit die zu sein, die ich bin. Ich benutze daher die Worte als Freiraum des Ausdrucks der Erkenntnis. Nur im erlebten Bewusstsein zeigt sich meine Autonomie.

Das Geschriebene ist, als hätte ich ein Bild gemalt, an dem kein Strich von einer fremden Person hinzugefügt oder verändert wurde. Alles entstand aus einem Prozess, den man Leben nennen kann und an dem ich im Nachhinein nichts verändern kann oder sogar durch fremde Hand verändern lassen könnte. Somit ist Leben ein Kunstwerk – für alle Möglichkeiten und Interpretationen offen.

So wie jeder einsam sterben muss, muss er auch lernen, mit seinen einsamen Entscheidungen, die ihm stets abverlangt werden, autonomer zu leben und zu wachsen. Täglich muss ich tun, was mein Leben von mir verlangt. Oftmals erfordert dies den Mut, jenseits der Regeln meinen Weg zu finden und viel Leid auszuhalten. Ob die Einsamkeit des Selbst purer Egoismus ist oder ob jedem Einzelnen ein eigenes moralisches Gewissen a priori zugrunde liegt, möge der Leser an sich selbst und seiner eigenen Gegensatzdynamik erfahren.

Der Baum der Schuld

Jeden Herbst weint der Baum

Weil er sein Kleid verliert

Blätter fallen wie Tränen des Verlustes

Hoffnungslosigkeit begleitet die Trauer

Kahl ist er nun

Der Schönheit beraubt

Seine schönsten Seiten vergangen

Jetzt ist er derb und kalt

Nicht mehr so

Wie er sein sollte

Der Trauer beraubt

Der Schönheit vergessen

Zum Unmut des Lebens geworden

Der Schuldige der Vergänglichkeit und Traurigkeit

Jetzt ist er tot

Durch Menschengewalt.

Guten Morgen Leben

Leben ist peireal

Ein Versuch, ein Wagnis, ein Abstraktum

Jeden Tag aufs Neue versuchen wir,

wagen wir,

abstrahieren wir,

das Ergebnis ist ein schöner oder schlechter Tag

Real und irreal sind Begriffe der Vernunft

Für etwas, was sie erfassen kann oder nicht

Das Peireale ist wie das Leben selbst

Das Peireale ist Leben überhaupt

Jeden Morgen können wir es begrüßen

Guten Morgen Leben

Ich bin jetzt auch da und folge dir.

Winter

Es ist Winter

Es ist Schlafenszeit

Alles ist müde

Ohne Licht

Schöpferische Ruhe

Nichts Beunruhigendes

Schlafe ruhig ein!

Lass´ sein all die Kram

Schlaf ein!

Ich

Ich will

Die Welt ist heute wieder gegen mich

Ich will sie richten

Sie soll sein, wie ich das möchte

Auch du sollst so sein

Auch dich schließe ich da mit ein

Ich bin wütend

Ich bin sauer

Nichts ist so, wie es sein soll

Ich kämpfe gegen sie

Nein, ich lege mich vor den Fernseher

Ach, das lass ich sein

Ich trink´ mir einen

Nicht die Welt

Nicht du

Das Ich ist schuld

Das Ich ist noch dein Führer

Stell´ dich auf die Mitte ein

Das ist nicht das Leben nach

praktischen oder theoretischen Regeln

Die Mitte ist leer und doch gefüllt

Sie ist nichts und doch alles

Sie macht alles möglich

Die Mitte will nicht sein,

Die Mitte lässt sein.

Novemberglanz

Siehst du die Sterne nicht?

Hörst du nicht die Stimme der Natur, die zu dir spricht:

Mach´ auf dein Herz

Lass´ mich zu dir rein

Ich will dein Licht in der Dunkelheit sein.

Ich begleite dich, wohin du auch gehst

Die Trauer führt dich zum Licht

Wie die Dunkelheit zum Stern

Jeder Blitz leuchtet mehr als das Tageslicht

Siehst du die Blitze in dir nicht?

Gerade im Dunkeln sind sie leuchtend hell

Sie machen den November zum Feuerball

Plötzlich wird es hell und klar

Das Licht entsteht aus der Dunkelheit

November ist es

Jetzt kannst du das Licht in dir sehn´

Es ist da

Zunächst ganz klein

Bald wird es größer sein.

Das einfache Leben

-weiblich-

Natur

Nichts sein wollen

Nur werden und vergehen

Dem Wandel zuschauen

Sich ergeben und erniedrigen

Sein, der man ist

Einfach und klein

Nicht der Bezwinger der Natur

Sondern darin geboren

-männlich-

Vernunft

So musst du sein

So sollst du werden

Da zwing´ ich dich rein

Jetzt und in alle Ewigkeit

Amen

Vernunft! Du mein Glaubensesser

Die sich selbst zeugende Hoffnung

Die aber nicht gebärt

Vernunft w i l l sein

-Hochzeit-

Die Hoch-Zeit ist die Vermählung

Von weiblich und männlich

Von Natur und Geist

Es ist der entstandene Sinn

Der aus dem Herzen kommt

Gefühle, Leben, Tod bekommen Sinn

Die Natur des einfachen Lebens

Sie wird zum sinnvollen Leben.

Macht der Worte

Das Wort ist mächtiger als jeglicher Zauber

Worte können töten

Worte schaffen Liebe

Denn Worte sind Taten

Die sagen:

Lasset uns den Taten folgen

Der Mensch versucht ihnen zu folgen

Weil er die Worte nachempfindet

Er glaubt es seien seine Worte

Sie kamen wie aus seinem Munde

All´ das Gesagte sieht er ganz genau so

Er lebt nach den Worten aus anderem Munde

Diese Worte haben Macht über ihn

Dem Menschen wird früh gelehrt nach den Worten zu handeln

Die man ihn lehrte

Worte machen Angst

Worte ziehen in den Bann

Worte lassen nicht schlafen

Worte machen Sorgen

Worte machen Sinn

Jesus sprach:

Gedenket meiner Worte

Und sie folgten ihm

Worte sind Willen zur Macht

Sie greifen an

Sie wollen siegen und herrschen

Darum lob ich mir die Stille

Oder die Einsamkeit

In der keine Worte zählen

Ein Lob dem, der nicht viel spricht

Ein Lob dem, der dem Wort nicht so viel Bedeutung gibt

Worte dienen der Kommunikation und nicht

der Macht

Sonst sind Worte nicht mehr als Bellen

All-zu viele bellten schon um Macht

Worte sind etwas Einzigartiges und Individuelles

Weil sie der Ausdruck meiner selbst sind

Die Worte des Anderen sind nie meine Worte

Wie alles Einzigartige haben sie keine Allgemeingültigkeit

Da sie sich mit Macht hervordrängen

Glauben wir, sie haben allgemein-gültige Macht

Darin sind sie wie Gefühle

Sie sind wie der Schrei in der Stille

Gewaltig und mitreißend

Und doch wieder bedeutungslos

Worte sehen nie klar

Der befreite Augenblick ist immer ohne Worte

Worte suchen die Klarheit

Worte umkreisen

Und finden doch nicht

Wer Worte sucht, wird nichts finden

Ein Leben lang Worte gesucht

Und unerfüllt gestorben

Glücklich ist die Zeit, in der wir keine Worte brauchen

Die Zeit ohne Worte

Ist die Zeit des inneren Friedens

Lebe frei

Ohne

Worte.

alles so klein

leben kommt von innen

zunächst ganz klein

es will dinge annehmen

und groß sein

so bleibt es aber unbemerkt klein

leben lässt sich nichts sagen

es will immer selbst sein

im Selbst ist alles ganz klein

das große kommt immer von außen

und ist von natur aus klein

nur was klein war hat wirkliches sein

alles was geboren wird ist klein

großes wird nicht geboren

es wird gemacht und

dient der nachahmung

ich lobe mir das kleine

das zu bewahrende

das zu beschützende

vielerorts geht es ein

darum braucht es einen ort

an dem es sich entfalten kann

an dem es werden kann

an dem es klein sein kann

es ist so klein

dass es vor lauter streben

nach dem großen

nicht gesehen wird

das wahre sein ist so klein

das große ist nie das wahre

wer das große sucht

sieht das wahre nicht

groß

größer

das größte

soll es sein

dabei ist alles wahre

so sehr klein

die kleinen dinge

machen das leben aus

weise und wahr lebt der

der das kleine in sich spürt

und ihm folgen kann

nicht der

der viel weiß

und dem wissen folgt.

Die Weisheit der Finis

Alle Weisheit steckt in mir

Mein wahres Leben

Ist ein weises Leben

Weil es nur das eine Leben gibt

In mir steckt nicht Gott

In mir ist eine Göttin

In mir ist des Weiblichen höchste Macht

Nicht Gott ist das Höchste

Nebst Jesus oder Buddha

In mir ist eine Frau das Höchste

Es steckt kein Buddha in mir

Es ist Finis

Die Vollendete

Sie arbeitet mit Fortuna

Und wenn mein Schicksal eine Frau ist

So ist meine Wahrheit weiblich

So ist meine Wahrheit die von Finis

Und nicht göttlich oder von einem Gott

Ich habe mich vom göttlichen Vorbild getrennt

Und gehe zu meiner Finis

Sie ist kein Vorbild

Sie ist immer sie selbst

Im Guten und im Schlechten

Finis ist meine individuelle Vollendung

Auch über den Tod hinaus.

Landflucht

Das Land ist der Tod

Die ewige Ruhe

Das langsame Sterben

Die Stadt ist das Leben

Die stetige Bewegung

Der schnelle Tod

Dem Tod zu entfliehen

Geht alles in die Stadt

Weil die Stadt DAS Leben hat

Niemand will dem Tod ins Auge sehen

Niemand hält die Ruhe aus

Lieber sterben als hier leben

Den Tod verdrängen

Aus der Ruhe flüchten

Das Sterben vertagen

Auch das Sterben will gelernt sein

Noch gibt es hierfür kein Diplom

Noch keinen „Meister im Sterben“

Jeden Augenblick sterben können

Wie eine Biene im Honigwasser

Gerade lebte sie noch, jetzt ist sie tot

Die wenigsten wollen sterben

Der Tod ist Depression

Niemand, der den Tod annimmt wie sein Hemd

Ruhe, diese göttliche Ruhe

Gibt es etwas Schöneres als in Ruhe zu sterben

Ruhe in Frieden

Nur wer im Leben ruht

Ruht im Frieden

Jederzeit im Frieden mit sich selbst

Der Ehrgeiz ist verflogen

Der Neid gemildert

Der Tod das Ziel.

Gott hat keinen Bart

Gott ist die Ewigkeit

Gott ist das Ziel

Gott ist der Sinn

Gott ist die Befreiung

Gott ist das Urvertrauen

Gott ist der ewige Frieden in dir

Der Mensch ist Gefangener des Irdischen

Solange die göttliche Flamme nicht lodert

Er glaubt sein Ich sei seine Welt

Das Ich ist dieser Welt verhaftet

Es ist ihr Sklave

Willst du kein Sklave sein

Dann bringe deinen wahren Geist heim

Der wahre Geist hebt die Freiheit über das Ich

Das Ich wird schwächer

Der Sinn wird stärker

Der Sinn geht über das Ich hinaus

Er ist im Ich nicht gefangen

Er schließt Gott und Natur ein

Der Sinn ist die königliche Vermählung.

Flurzeit

In keinem Raum befindlich

In keiner Wahrheit geparkt

Ohne Orientierung und doch nicht ohne Willen

Durchschreite ich das Haus

Türen öffnen sich

Menschen bitten mich

Aber des Menschen Not ist nur noch Gier

Die Gier ist zur Wahrheit geworden

Die Gier ist die Tür zum Sein

Aus dem Überlebenstrieb ist Gier geworden

Überleben alleine reicht nicht mehr

Paradiesische Vorstellungen treiben in die Sinn-Flut

In der das Herz ein Geldbeutel ist

Ich stehe an der Türe zu Wissen und Wahrheit

Hier steht geschrieben „Wissen ist Macht“

Ich gehe vorbei

Ich will nicht, dass jemand Macht über mich hat

Ebenso geht es mir an der Schwelle zu Glauben und Religion

Ich bin nichts und ich habe nichts

Weil ich nirgends einkehre

Ich gehe an allen Türen vorbei

So befreie ich mich von zusätzlichen Bildern

Und handle nach meinem wahren Herzen.

Eiskalt

Schneelandschaft die nicht vergeht

Erwartungsvoll

Der Frühling

Erwartungsvoll

Bin auch ich

So wie das Außen

Ist auch mein Innen

Drum wollte ich in die Stadt

Wo es Leben hat:

Alles bunt

Alles neu

Alles schön

Ich mitten drin

Immer angepasst

Wie das Außen

So mein Innen

Diese nasse Kälte

Geht aufs Gemüt

Eiszeit

Sonne im Herzen

Sie ist da

Ich fühle sie

Ohne bunte Stadt

Trotz Eiszeit

Ich lebe aus mir

Nicht in mich hinein

Das Äußere soll nicht mehr mein Innen sein

Regentropfen in sonnigem Herzen

Eisige Kälte in frohem Gemüt

Bunte Blüten drücken sich durch die Schneedecke

Flammendes Herz in kalter Nacht

Abdruck im Schnee

Sich selbst die Welt schaffen

Das ist sinnvolles Dasein

Sich nichts vorgeben lassen

Selber sein heißt

Selber Sinn schaffen.