cover
Anna Martach

Alpendoktor Daniel Ingold #29: Notfall mit Folgen

Cassiopeiapress Bergroman





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Notfall mit Folgen

Alpendoktor Daniel Ingold – Band 29

von Anna Martach

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 101 Taschenbuchseiten.

 

Aufregung im beschaulichen Hindelfingen! Besonders hart trifft es den Sparkassenangestellten Jochen. Kaum ist er einer gefährlichen Situation entronnen, stürzt er sich in das nächste riskante Abenteuer. Kann ihn die Liebe retten? Daniel Ingold bekommt jedenfalls wieder eine Menge zu tun. Schafft er es endlich, seinem Herzensmadl Bernie einen Heiratsantrag zu machen?

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de



1

„Und denken S’ bitte daran, die Tabletten müssen immer zur gleichen Zeit genommen werden. Das heißt, es gibt ein sogenanntes Fenster von etwa dreißig Minuten, innerhalb dieser Zeit müssen die Tabletten genommen werden, damit immer die gleiche Menge des Mittels im Körper ist. Dann hilft’s am besten. Net mehr, und net weniger. Stellen S’ sich am besten einen Wecker.“

Daniel Ingold, der beliebte Alpendoktor von Hindelfingen, sprach ruhig und eindringlich auf die Patientin mittleren Alters ein. Die nickte eifrig.

„Und bitte, noch etwas, net mit Milch einnehmen“, fügte der Arzt hinzu. Jetzt zeigte sich leichtes Erschrecken in ihrem Gesicht.

„Aber ich trink’ nun mal gerne Milch, die ist doch auch gesund.“

„Ja, ich versteh’ das. Aber hier handelt es sich um ein Antibiotikum, das verträgt sich net gut mit Milch“, erklärte Daniel geduldig.

„Na, wenn S’ meinen.“ Skeptisch zuckte sie die Schultern und verabschiedete sich von Daniel, der sich seiner Sprechstundenhilfe zudrehte. Sie wandte sich ab und begann mit Hermine Walther, Minchen genannt, zu reden, der tüchtigen älteren Sprechstundenhilfe und dem guten Geist der Praxis. Die zweite Helferin, Maria Schwetzinger, ein bildhübsche Madl, drückte dem verdutzten Arzt die nächste Karteikarte in die Hand und schmunzelte vor sich hin.

Daniel stutzte, als er den Namen sah. „Was soll das denn?“, fragte er irritiert, lächelte dann aber und steckte den Kopf ins Wartezimmer. „Alois Huber, bittschön“, sagte er amüsiert, und auch die übrigen Patienten konnten ein Kichern nicht unterdrücken.

Ein älterer Mann mit einem verschmitzten Gesicht erhob sich von seinem Platz. „Ja, hier bin ich schon.“

Die allgemeine Belustigung wurde verständlich, wenn man wusste, dass es sich bei Alois Huber um den Vorgänger von Daniel Ingold in der Praxis handelte. Der alte Arzt war längst pensioniert, half jedoch zeitweise gerne aus, wenn Daniel viel zu tun hatte oder auch mal einen freien Tag brauchte. Es war jedoch mehr als ungewöhnlich, dass der alte Doktor wie ein ganz gewöhnlicher Patient in die Praxis kam. Das hatte er ja nun eigentlich auch gar nicht nötig. Daniel würde jederzeit zu ihm nach Hause kommen, mochte es sich nun um eine medizinische Angelegenheit handeln, oder um einen privaten Schwatz.

Alois ächzte ein paarmal, als er sich auf das Sprechzimmer zubewegte. Das war so stark übertrieben, dass ein jeder wusste, der Huber machte sich einen Scherz daraus, den jüngeren Kollegen auf den Arm zu nehmen.

„Was machst du denn hier?“, fragte der jüngere Arzt, als die beiden Männer sich allein in Raum befanden.

„Ich wollt einfach mal wissen, wie das ausschaut, wenn man im Wartezimmer auf das Jüngste Gericht wartet.“

Daniel runzelte die Stirn. „Du magst ja ein paar Jährchen älter sein als ich, und vielleicht bist sogar ein bisserl klüger, obwohl das noch unter Beweis gestellt werden müsst. Aber glaub ja net, dass es dir gelingt, mich hinters Licht zu führen. Ich lüg` mindestens ebenso gut wie du, oder noch besser. Da brauchst mir also gar net mit irgendwelchen Kinkerlitzchen zu kommen, die würd’ ich dir nämlich net glauben. Also, dann erzählen S’ mal, Herr Doktor, wo drückt denn der Schuh?“

Alois verzog das Gesicht, schmunzelte dann aber. „Hast ja mittlerweile doch was gelernt“, lobte er etwas spöttisch. „Ich bin hier, weil ich selbst spüren kann, dass sich bei meinem Herzen und seiner Insuffizienz etwas geändert hat. Es ist aber gar net so einfach, sich selbst zu untersuchen, wie du auch weißt. Und ich leg’ nun eigentlich keinen großen Wert darauf, noch mal am Boden zu liegen und zu denken, dass ich sterben muss.“

Huber spielte auf einen Vorfall vor einiger Zeit an, als er nach einem Herzanfall im Kreuzkrug leblos am Boden lag. Daniel hatte damals um das Leben des älteren Mannes gekämpft und ihm das Versprechen abgenommen, mehr auf sich selbst zu achten und bei einer Veränderung, besonders bei einer Verschlechterung, sofort eine Nachricht zu geben. So hatte Alois sein Wort gehalten, und Daniel ging in Gedanken schon die Methoden durch, mit welchen Untersuchungen er am schnellsten zu einem Ergebnis kommen konnte. Einen Teil konnte er jetzt gleich erledigen, und Minchen Walther, die schon für den alten Huber gearbeitet hatte, würde ihre helle Freude daran haben, ihren ehemaligen Chef auf den Folterstuhl zu setzen, wie das Belastungs-EKG allgemein genannt wurde.

„Ich muss dir net erklären, wie das jetzt weitergeht“, grinste Daniel also und machte eine einladende Bewegung in Richtung auf das Labor. Der alte Arzt verzog das Gesicht, sträubte sich aber nicht, er wusste, wieviel von dieser Untersuchung abhing.

Eine gute Stunde später war Alois soweit, Daniel und sich selbst bis zum Teufel zu schicken. Er fühlte sich tatsächlich wie gefoltert, und der nächste, der auch nur eine falsche oder sinnlose Bemerkung von sich gab, würde die spitze Zunge des alten Arztes zu spüren bekommen. Für heute war es mehr als genug, er hatte die Nase voll. Mit langsamen Bewegungen zog er sich an, ignorierte den leichten Schwindel, der sich in ihm ausbreitete und ging dann scheinbar ruhig und gelassen auf die Tür zu. Seine frühere Angestellte konnte er damit natürlich nicht täuschen, die kannte ihn viel zu gut, um dies Theater für bare Münze zu nehmen.

„Ich würd’ an Ihrer Stelle noch ein bisserl abwarten. Der Kreislauf und das Herz brauchen eine Weile, bis sie wieder auf Normalmaß sind. Und ich möchte’ net gleich den Doktor laufen sehen, um einem alten Narren zu helfen, der sich selbst überschätzt und am Boden liegt“, erklärte sie burschikos.

Diesen Ton konnte sie sich leisten, Huber wusste recht gut, was er von der tüchtigen Frau zuhalten hatte. Und sie hatte ja auch nicht unrecht, aber welcher Arzt würde das schon von sich selbst zugeben, nicht ganz auf der Höhe zu sein. Also streckte er sich, warf den Kopf in den Nacken und ignorierte ihre Worte, was beiden schließlich ein Lächeln entlockte.

„Pfüat di, Minchen, musst jetzt wen anders quälen, ich brauch’ erst mal eine ordentliche Erholung von euch“, erklärte er nicht ganz ernst gemeint.

Die ältere Frau lachte auf. „Ist net so einfach, wenn man die eigene Medizin zu kosten bekommt, was?“

„Wer hat dir erlaubt, dich über einen alten Mann lustig zu machen?“

„Ach, gehen S’ daher, Herr Doktor, so schlimm ist’s nun auch wieder net, andre Patienten haben das auch überlebt, nur haben S’ da auf der anderen Seite gestanden und konnten selbst drüber lästern. Morgen sind S’ also wieder hier? Vor dem Frühstück, nüchtern.“

„Als tät’ ich schon vor dem Frühstück trinken“, beschwerte sich der Huber mit einem uralten Scherz. „Ist schon recht. Jetzt werd’ ich jedenfalls erst mal zur Sparkasse gehen, damit ich mich anschließend im Kreuzkrug mit einem Viertel Wein von euch erholen kann.“

„Als wenn S’ das jemals nötig gehabt hätten“, lachte die ältere Frau, die vor langer Zeit einmal in ihren Chef verliebt gewesen war. Doch es war nie über ein freundschaftliches Verhältnis hinausgegangen, und so war es bis heute geblieben. „Auf jeden Fall wünsch’ ich viel Vergnügen.“

Minchen schaute ihrem früheren Chef hinterher. Sie machte sich schon Sorgen um den Huber. Sein Herz war stark angegriffen, und alle Medikamente würden nichts nützen, wenn die Zeit erst einmal abgelaufen. Aber soweit sollte es noch lange nicht sein. Was man dagegen unternehmen konnte, würde Doktor Ingold schon tun. Und sie würde ebenfalls dafür sorgen, dass der Huber noch möglichst lange erhalten blieb – ihnen allen.

Maria, die neunzehnjährige Schönheit, hielt der Kollegin eine Karteikarte hin. „Da, schau her, Minchen, der Jochen Kloiber hat schon wieder seinen Termin net eingehalten, dabei weiß er doch, wie wichtig es ist, dass die Kontrolluntersuchungen gemacht werden.“

Der noch recht junge Mann war vor fast zwei Jahren an Hautkrebs erkrankt. Zum Glück war das recht schnell erkannt worden, und die Behandlung hatte auch gut angeschlagen, obwohl eine Chemotherapie immer für den Patienten mit großen Unannehmlichkeiten und vor allem mit viel Angst verbunden war. Seitdem hatten sich nirgendwo Metastasen oder weitere bösartige Veränderungen irgendwo im Körper gezeigt, doch es blieb eine Notwendigkeit, in regelmäßigen Abständen Kontrollen durchzuführen. Erst fünf Jahre nach erfolgreicher Behandlung konnte man von einer Heilung sprechen, und bis dahin war es noch ein langer Weg.

Jochen arbeitete drüben in der Sparkasse als Kassierer, hatte die reizende Angelika Lorenz zur Freundin, die ebenfalls dort arbeitete, und galt im Allgemeinen als korrekt und zuverlässig. Nur wenn es um Arzttermine ging, dann schien es bei ihm eine Hemmschwelle zu geben. Vielleicht hatte er Angst, dass bei einer Untersuchung erneut ein Ausbruch der heimtückischen Krankheit festgestellt werden könnte.

Minchen und Maria hatten jedoch wenig Verständnis für diese Klüngelei, denn eine neue Attacke wurde bestimmt nicht dadurch verhindert, dass der junge Mann so tat, als gäbe es die heimtückische Krankheit gar nicht.

„Wenn S’ schon hinübergehen in die Sparkasse, dann sagen S’ dem Jochen, er soll schnellstens hier auftauchen, sonst holen wir ihn mit vereinten Kräften“, rief Minchen dem alten Arzt hinterher. Da auch er von Zeit zu Zeit den jungen Mann als Patienten behandelte, war diese Aufforderung kein Bruch der Schweigepflicht. Außerdem war die Krankheit des jungen Mannes im ganzen Ort bekannt, da gibt es keine Geheimnisse mehr zu brechen.

„Bin ich euer Dienstbote?“, brummelte Alois und schüttelte den Kopf über diese Zumutung, wobei er grinste.

„Noch net, aber wir können es ja mal versuchen“, lachte Maria. „Dann könnten S’ Ihre Pension ein bisserl aufstocken, vielleicht reicht’s dann auch für zwei Viertel Wein.“

Er schüttelte entsetzt den Kopf. „Eine Frechheit ist das heutzutag bei der Jugend, keinen Respekt mehr vor dem Alter. Will einen alten Mann mit dem Versprechen auf Alkohol durch die Gegend scheuchen, also wirklich.“ Die beiden Frauen lachten auf, aus dem Wartezimmer kamen glucksende Geräusche, weil man auch dort Freude an dem kleinen Geplänkel hatte, und der Huber grinste über das ganze Gesicht. „Ich werd’ dran denken. Benehmt euch anständig, Madln, ich sag’s dem Jochen.“ Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss, und die nächsten Patienten kamen an die Reihe.