GREG WOOLF

ROM

DIE BIOGRAPHIE EINES WELTREICHS

Aus dem Englischen
von Andreas Wittenburg

Impressum

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Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»Rome: An Empire’s Story« im Verlag

Oxford University Press, Oxford 2012

© 2012 by Greg Woolf

Für die deutsche Ausgabe

© 2015, 2017 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Schutzumschlag: Rothfos & Gabler, Hamburg

unter Verwendung eines Fotos von © Musée des Beaux-Arts, Dunkerque, France/Bridgeman Images – Hubert Robert (1733–1808): Hafen, ca. 1760 (Öl auf Leinwand)

Karten im Inhalt: Seite 51, 90 f., 185, 216 f., 281, 302, 359

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-96194-2

E-Book: ISBN 978-3-608-10796-8

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

»Für meine Studenten«

INHALT

JEDE RÖMISCHE GESCHICHTE IST DIE GESCHICHTE EINES WELTREICHS

KAPITEL 1
DIE GESCHICHTE ROMS IN SCHNELLER ÜBERSICHT

Die Königszeit und die freie Republik

Die frühe Kaiserzeit

Das spätrömische Reich

KAPITEL 2
DAS WELTREICH ALS VISION

Ein Herrschervolk

Vom Werden eines Weltreichs

Der Urtypus eines Weltreichs

Das Weltreich als Kategorie

Zeittafel zu Kapitel 3

KAPITEL 3
HERRSCHER ÜBER ITALIEN

Die Stadt am Tiber

Geschichte und Mythos

Mittel und Wege

Pyrrhus und die Geschichte

KAPITEL 4
ÖKOLOGIE EINES WELTREICHS

Die Umwelt in der Klassischen Antike

Eine Welt der Bauern

Ökologie und Reichsherrschaft

Zeittafel zu Kapitel 5

KAPITEL 5
DIE HEGEMONIE ÜBER DEN MITTELMEERRAUM

Die Rivalen Roms

Imperialismus in der Zeit der mittleren Republik

Gewinn und Kosten der Herrschaft

Das Verständnis der Reichsherrschaft

KAPITEL 6
SKLAVEREI UND REICHSHERRSCHAFT

Ein Reich der Vermögenden

Sklaverei und römische Wirtschaft

Sklaven, Bürger und Soldaten

Zeittafel zu Kapitel 7

KAPITEL 7
DIE KRISE

Die letzte Großmacht

Die Grenzen der Vorherrschaft im Mittelmeerraum

Lösungen und Versagen

KAPITEL 8
AUF BEFEHL DES HIMMELS?

Ein moralisches Reich

Religiöser Imperialismus?

Ein Reich verstehen

Zeittafel zu Kapitel 9

KAPITEL 9
DIE FELDHERREN

Tödliche Rivalen

Die Kunst, das Reich zu regieren

Der Bürgerkrieg

Eroberung ohne Grenzen

KAPITEL 10
DIE FREUDEN DER REICHSHERRSCHAFT

Die letzte Generation der freien Republik

Ein Leben im Reich

Das griechische Geistesleben in Rom

Neue Klassische Studien für ein neues Reich

Zeittafel zu Kapitel 11

KAPITEL 11
KAISER

Die Rückkehr zur Monarchie

Augustus

Dynastien

Die Kaiser und ihre Reiche

Hof und Reich

KAPITEL 12
MITTEL ZUR REICHSHERRSCHAFT

Die politische Ökonomie der aus Tributen finanzierten Reichsherrschaft

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Die Nutzbarmachung der Ökonomie in der Antike

Zeittafel zu Kapitel 13

KAPITEL 13
KRIEG

Die Trägheit der Caesaren

Eine Welt ohne Geschichte?

Das frühe Sicherheitssystem des Reichs

Die Krise an den Grenzen

Krieg an zwei Fronten

KAPITEL 14
IDENTITÄT IN EINEM WELTREICH

Römer … verzweifelt gesucht

Gelehrige Leute

Identitäten und Weltreiche

Zeittafel zu Kapitel 15

KAPITEL 15
ERHOLUNG UND ZUSAMMENBRUCH

Kaiser und Christen

Ein neues Weltreich?

Ein Weltreich im Umbruch

Zivilisation ohne Herrschaft? Der Zusammenbruch des Westens

KAPITEL 16
EIN CHRISTLICHES WELTREICH

Der Aufstieg der Religionen

Der Aufstieg des Christentums

Ein christliches Reich

Zeittafel zu Kapitel 17

KAPITEL 17
ALLES ZERFÄLLT

Wie Weltreiche enden

Langfristige Kontinuitäten

Die Städte und ihre herrschenden Eliten

Reich, Aristokratie und Krise

KAPITEL 18
RÖMISCHE VERGANGENHEIT UND RÖMISCHE ZUKUNFT

Zufälle

Monumente

Das zukünftige Geschick Roms

TAFELTEIL

ANHANG

Anmerkungen

Bibliographie

Bibliographische Hinweise und Übersetzungen antiker Autoren

Glossar der Fachbegriffe

Bild- und Kartennachweis

Personen- und Sachregister

JEDE RÖMISCHE GESCHICHTE
IST DIE GESCHICHTE EINES
WELTREICHS

Jede römische Geschichte, die geschrieben wird, ist die Geschichte eines Weltreichs. Der Aufstieg Roms zur Macht, der lang andauernde Frieden und der noch längere Niedergang bilden insgesamt den Hintergrund für jeden Bericht über seine Geschichte. Mein Thema ist aber das Reich als solches. Wie ist es gewachsen? Wodurch war es imstande, Niederlagen zu überstehen und Siege zu nutzen? Warum war Rom erfolgreich, wo seine Feinde versagten? Wie überstand die Reichsherrschaft Krisen, konnte Wurzeln schlagen und chaotische Eroberungszüge in stabile Verhältnisse überführen? Wie gelang es dem Reich, die breiten Ströme des Reichtums und der Bevölkerung, von denen sein Erfolg abhing, zu kanalisieren? Wie entwickelte es sich, um neuen Bedürfnissen und neuen Bedrohungen zu widerstehen? Warum wankte es, gewann von neuem sein Gleichgewicht, schrumpfte dann aber infolge einer Reihe von militärischen Niederlagen zusammen, bis es wieder ein Stadtstaat wurde? Welche Umstände und technischen Fähigkeiten ermöglichten die Schaffung und Erhaltung eines Weltreichs gerade in diesem Teil der Welt und zu eben dieser Zeit? Welche Institutionen und Gewohnheiten und welcher Glaube befähigten Rom, seine Rolle auszufüllen? Und welche Auswirkungen hatte der Umstand der Reichsherrschaft auf all seine Institutionen, Gewohnheiten und den Glauben, mit deren Hilfe die Welt erobert worden war? Welche Rolle spielten Glück und Schicksal bei seinen Erfolgen und seinem Scheitern?

Der lange Zeitraum, der von einer Anzahl verstreuter Dörfer an den Ufern des Tiber bis zur mittelalterlichen Stadt am Bosporus reicht, die vom einstigen Ruhm träumt, erstreckt sich über eineinhalb Jahrtausende. Diese Geschichte in einem einzigen Buch zu erzählen, ist vielleicht ein vermessenes Vorhaben, aber es ist auch eine aufregende Herausforderung. Vielleicht hat die römische Geschichte unter den vielen Perioden der Vergangenheit, über die wir nachdenken und die unsere Welt beeinflusst haben, keinen besonderen Anspruch auf unsere Aufmerksamkeit. Aber als Student bin ich der Faszination erlegen, etwas so Unermessliches zu erforschen, einen Gegenstand, der sich über so lange Zeit und einen so weiten Raum erstreckte. Was konnte ein menschliches Vorhaben ermöglicht haben, das auf einen so gewaltigem Maßstab angelegt war? Wie konnte menschliches Wirken von so langer Dauer sein? Unsere eigene Lebenserfahrung verändert sich atemberaubend schnell. Vorangehende Generationen, die auf die Dauer ihrer eigenen Weltreiche und den ununterbrochenen Fortschritt vertrauten, standen ganz im Bann der Geschichte vom Niedergang und Fall Roms. Für uns ist es heute die Langlebigkeit Roms, das unsere Vorstellung fesselt. Meine eigene Faszination aus der Studentenzeit hat keineswegs abgenommen. Selbst heute noch gleicht für mich die römische Welt einem gewaltigen Sandkasten, in dem ich spielen kann, oder besser gesagt einem gewaltigen Laboratorium der Geschichte, in dem man alle möglichen langlebigen Prozesse und Gebilde untersuchen kann. Die römische Geschichte ähnelt in dieser Hinsicht der Astronomie. Neue Experimente kann man zwar nicht erfinden und durchführen, aber eine stattliche Menge an entfernten, sehr alten Phänomenen anhand einer kleinen Gruppe von noch vorhandenen Daten lassen sich beobachten und so die Kräfte und verheerenden Ereignisse rekonstruieren, die das zu beobachtende historische Universum geformt haben. Wie Astronomen suchen die Althistoriker nach Mustern und versuchen sie zu erklären. Dieses Buch ist ein Versuch, die Muster zu erklären, die ich beobachtet habe.

Das Römische Reich lädt zu Vergleichen ein. Die Menschen der Antike benutzten häufig biologische Analogien: Jedes Reich oder jeder Staat hatte eine Jugend, eine Zeit der Reife und ein Alter. Ein moderner Historiker hat einmal das Bild eines Vampirs in Gestalt einer Fledermaus benutzt und das Reich als ein Mittel gesehen, mit dessen Hilfe die Römer den Lebenssaft aus den Bauern und Sklaven saugten, auf deren Arbeitskraft das Reich sich gründete. Mir erscheint das Römische Reich dagegen nicht so sehr wie ein Organismus, sofern man es nicht für eine Epidemie ansehen will, die sich unter der betroffenen Bevölkerung ausbreitet und sich aus den Kräften der von ihr Infizierten speist, bis sie sich erschöpft. Andere Vergleiche aus dem Bereich der Naturwissenschaften scheinen das Muster des Reichs besser zu treffen: Das Römische Reich war wie eine gewaltige Flutwelle, die sich immer höher aufrichtete, bis sich ihre Kraft verströmte. Oder es war wie eine Lawine, die klein begann, sich durch die Substanz der von ihr überrollten Schnee- und Geröllmassen anreicherte und sich dann am Ende des Hangs verlangsamte. Beide Bilder erfassen die Bedeutung eines kolossalen Bewegungsmusters, das klein beginnt, dann mehr und mehr Substanz und Energie mit sich reißt und sich schließlich erschöpft. Dieses Muster, d. h. das Reich, durchläuft die Zeit und verdrängt für einige Zeit alle anderen Muster, bis es sich abschwächt und von anderen großräumigen Bewegungen überlagert wird.

Ein ehemaliger Prorektor der Universität St. Andrews hat einmal festgestellt, dass ich offenbar an eine Art von Resonanzverhalten denke, an einen allmählichen Aufbau eines Vibrationsmusters über eine immense Zahl von Menschen und Dingen, das am Ende seinen Zusammenhalt verliert und sich in kleinere Muster auflöst. Dieses Bild scheint mir das Wachsen einer Reichsordnung und ihr darauffolgendes Abklingen genau zu erfassen. Das Wesen der Reichsherrschaft ist die Durchsetzung eines großen Entwurfs auf Kosten kleinerer. Dieses Muster ist in der Regel weniger gerecht und hierarchischer als das, was ihm vorangeht. Neue Stufen der Komplexität bedeuten, dass manche Reiche noch reicher werden und manche Arme einer noch härteren Disziplin unterworfen werden, obwohl die soziale Mobilität, die die Reichsherrschaft zur Folge hat, dass es Gewinner und Verlierer auf jeder Ebene gibt. Auf der materiellen Seite führt das Muster der Reichsherrschaft zu regelmäßigen Ortsveränderungen von Menschen und Dingen und gewaltigen Strömen an Steuern und Handelswaren. Diese gewohnheitsmäßigen Bewegungen zeigen sich heute in den Spuren von Straßen und Häfen, die das steinerne Skelett bilden, an dem das weiche Fleisch des menschlichen Reichs einst hing. Ich habe versucht, den harten materiellen Resten Aufmerksamkeit zu schenken. Aber einer der erfreulichen Vorteile der römischen Geschichte ist, dass wir auch die Stimmen so vieler Menschen hören können, die an ihr hingen. Ich habe versucht, auch ihre Sicht der Reichsherrschaft zu erfassen und darzustellen.

Während ich dieses Buch geschrieben habe, habe ich versucht, mich immer daran zu erinnern, dass die Reichsherrschaft eine in den historischen Zeitlauf eingeschriebene Bewegung ist und nicht ein fester Bestand von Institutionen. Wenn ich am Ende meiner Erzählung auf Byzanz zu sprechen komme, wird sich alles verändert haben: Römer sprechen Griechisch statt Latein, die Hauptstadt befindet sich jetzt in einer einst eroberten Provinz und im altehrwürdigen Rom herrschen Barbaren. Das Reich hat einen neuen Gott, neue Sitten und Gebräuche, ein neues Verständnis seiner Vergangenheit und seiner Zukunft. Eine Welt der Städte wird (wieder) von einer einzigen Stadt regiert. Der Name Istanbul stammt schließlich von der mittelalterlichen griechischen Formulierung »eis tēn pŏlin«, »in die Stadt (hinein)«. Aber es war doch immer noch Rom.

Dennoch waren einige Institutionen über lange Zeit von absolut zentraler Bedeutung für die lange Geschichte des Reichs, und in wichtigen Bereichen war die Welt, in der sich die römische Macht ausbreitete und dann wieder zurückging, stabil. Ich habe versucht, diese Kombination von steter Entwicklung und lang andauernder struktureller Stabilität verständlich zu machen, indem ich auf die Kapitel, die den geschichtlichen Ablauf voranbringen, solche folgen lasse, die es mir erlauben, ein wenig Abstand zu gewinnen, d. h. mich von der zeitlichen Entwicklung zu lösen und auf Aspekte von dauerhafter Bedeutung hinzuweisen. Der aufmerksame Leser wird ganz wie ich bemerken, dass diese Aufteilung nicht immer gelingt. Aber Historiker müssen eben immer wieder Zugeständnisse an das verfügbare Material machen. Ein anderes Zugeständnis an das vorliegende Material ist die Liste der wichtigsten Daten, die ich jedem den Ablauf erzählenden Kapitel vorangestellt habe. Die Reise der Römer war ebenso vielschichtig wie lang, und da wir sie nur als Fahrgäste mitmachen, ist eine ungefähre Karte des Wegs manchmal hilfreich.

Bilder sind ein Mittel zum Verständnis. Der Vergleich ist ein weiterer. Dieses Buch ist keine Übung in systematischer vergleichender Geschichte, das Rom an anderen antiken (oder auch modernen) Weltreichen messen will. Der Vergleich ist eine interessante Methode, aber sie ist überaus schwierig angesichts der Lücken in unserer Kenntnis der antiken Weltreiche und der zusätzlichen Unannehmlichkeit, dass diese Lücken von Weltreich zu Weltreich nicht dieselben sind. Aber meine Darstellung enthält doch auch Betrachtungen zu anderen Weltreichen, wobei ich manchmal versuche, einen allgemeinen Trend oder häufiger noch, das Ungewöhnliche oder sogar Einzigartige an dem römischen Beispiel zu entdecken. Eine breite Lektüre ist gewiss hilfreich, aber ich bin mir doch durchaus bewusst, wie viel ich bei der Teilnahme an Kolloquien und Treffen gelernt habe, bei denen Spezialisten anderer Fächer ihre Kenntnisse bereitwillig geteilt haben. Aus der beachtlichen Zahl solcher Veranstaltungen möchte ich ein Kolloquium herausgreifen, das Susan Alcock, Terry D’Altroy, Kathy Morrison und Carla Sinopoli 1997 in Las Mijas organisiert haben und das großzügig von der Wenner-Gren-Stiftung unterstützt worden ist. Damals habe ich erstmals den Gedanken zu diesem Buch gefasst. Ich konnte auch an einer ganzen Reihe von Studiengruppen zur vergleichenden Untersuchung von Weltreichen teilnehmen, die Peter Fibiger Bang mit außerordentlichem Einsatz organisiert hat und die von der European Science Foundation im Rahmen von COST Action A 36, ›Tributary Empires Compared‹, finanziert worden sind.

Mein Verständnis der römischen Geschichte beruht natürlich auch auf den Forschungen vieler anderer Historiker. Es ist unmöglich, hier alle zu nennen, deren Werke eine Anregung oder wesentliche Leitfäden oder beides für mich waren. Dieses Buch ist keine vollständige Geschichte Roms, sondern eine untersuchende Darstellung zum Thema Weltreich. Doch die Herrschaft über das Reich ist ein so zentrales Thema der römischen Geschichte, dass ich bei der Abfassung auf einen umfangreichen Bestand an veröffentlichten Werken zurückgreifen konnte. In den Anmerkungen und den Literaturhinweisen habe ich nur eine kleine Zahl derer angegeben, denen ich besonders verpflichtet bin. Vor allem wollte ich neuere Arbeiten nennen, da wir inzwischen über so gute Zusammenfassungen der älteren Forschung verfügen und sich die neue auf diesem Gebiet so schnell weiterentwickelt. Den größten Teil dieses Buchs habe ich in St. Andrews während einer Beurlaubung geschrieben, die ich der generösen Finanzierung durch den Leverhulme Trust verdanke. Teile des ersten Entwurfs sind indes auf dem UNICAMP in Sao Paolo entstanden, wo ich zu Beginn 2011 auf Einladung von Pedro Paulo Funari Gastprofessor war. Dieser erste Entwurf wurde später in demselben Jahr 2011 am Max-Weber-Kolleg in Erfurt fertiggestellt, wo Jörg Rüpke – wieder ein Mal – mein Gastgeber war.

Viele andere haben dazu beigetragen, dass ich dieses Buch schreiben konnte. Besonders danken möchte ich meiner Agentin Georgina Capel für ihre Ermutigung und vieles mehr. Stefan Vranka und Matthew Cotton von Oxford University Press danke ich für ihre Geduld, ihren Rat und ihren Enthusiasmus. Ebenfalls Stefan sowie Nate Rosenstein bin ich für ihre ausführlichen Bemerkungen zu einem früheren Entwurf dieses Texts verbunden, die mich vor vielen Irrtümern bewahrt haben und dieses Buch sehr viel lesbarer gemacht haben. Emma Barber, Emmanuelle Peri und Jackie Pritchard in Oxford danke ich für ihre Hilfe in den diversen Produktionsphasen dieses Buchs. Meiner Familie schulde ich Dank für ihre Toleranz und manche Realitätsprüfung.

Dies ist natürlich nicht mein erster Versuch, die monumentalen Zusammenhänge zu erklären, die hinter der Geschichte des Römischen Reichs stehen. Lektüre und tiefere Betrachtung sind zwar gut und notwendig, aber die Probe für das eigene Verständnis ist, ob man seine Überlegungen anderen erklären kann. Historiker versuchen im allgemeinen, ihre Erklärungen im Dialog auf die Probe zu stellen. Aber wir wissen doch schon zu viel, und als Zuhörer und Kritiker gehen wir doch häufig zu nachsichtig miteinander um. Meine sämtlichen Fähigkeiten, Sachverhalte angemessen zu erklären, verdanke ich aufeinanderfolgenden Generationen von Studenten in Leicester, Oxford und St. Andrews. Aus diesem Grunde widme ich ihnen dieses Buch in Dankbarkeit.

ZUR DEUTSCHEN AUSGABE

Die englische Ausgabe dieses Buchs wurde teilweise fertiggestellt, als ich Mitglied des Max-Weber-Kollegs der Universität Erfurt war. Ich bin daher besonders glücklich, dass nun eine deutsche Ausgabe erscheint. Ich biete, wie man mir gesagt hat, eine eher englische Sicht der Antike, und aus diesem Grunde hätte ich mir keinen erfahreneren Übersetzer als Andreas Wittenburg wünschen können, der mit unseren beiden akademischen Traditionen vertraut ist. Ich bin ihm sehr dankbar, und ebenso Christoph Selzer, Johannes Czaja, allen Beteiligten bei Klett-Cotta sowie Monika Müller und allen anderen Beteiligten im Verlag Klett-Cotta für all das, was sie dazu beigetragen haben, um dieses Vorhaben zu einem so guten Ende zu bringen.

KAPITEL 1
DIE GESCHICHTE ROMS IN SCHNELLER ÜBERSICHT

Was von der Gründung der Stadt oder dem Plan zu ihrer Gründung mehr mit dichterischen Erzählungen ausgeschmückt als in unverfälschten Zeugnissen der Ereignisse überliefert wird, das möchte ich weder als richtig hinstellen noch zurückweisen.

Livius, Römische Geschichte, praef. 6

Die Geschichte Roms ist sehr lang. Das folgende Kapitel wird sie in atemberaubender Geschwindigkeit in Gänze und in ihrem Zusammenhang erzählen und sich dabei auf die Höhepunkte ihres über ein Jahrtausend währenden Verlaufs vom Aufstieg bis zum Niedergang konzentrieren. Es soll so als Navigationsgerät durch den Aufbau dieses Buchs dienen, das aus einer Reihe von in weiten Abständen aufgenommenen Satellitenbildern besteht und so eine erste Orientierung erlaubt. Diejenigen Leser, die die römische Vergangenheit in großen Linien bereits kennen, können dieses Kapitel überspringen. Sofern das nicht der Fall ist, viel Spaß bei der Tour d’Horizon!

DIE KÖNIGSZEIT UND DIE FREIE REPUBLIK

In der Zeit der gesicherten historischen Überlieferung glaubten die Römer, dass ihre Stadt von Romulus zu einem Zeitpunkt gegründet worden war, der in unserer Zeitrechnung dem Jahr 753 v. Chr. entspricht. Romulus war der erste von sieben Königen. Die früheren Könige wurden als Gründerväter geehrt, die späteren als Tyrannen geschmäht. Schließlich wurde der letzte König, Tarquinius der Hochmütige, aus Rom vertrieben und man gründete eine Republik. Als konventionelles Datum dieser Gründung galt das Jahr 509 v. Chr.

Dies war nach Aeneas und Romulus eine Art dritte Gründung Roms, und ihr Held war ein Mann namens Brutus. Als Julius Caesar sich fast 500 Jahre später zum Diktator auf Lebenszeit machen ließ, waren es Grafitti auf dem Sockel der Statue dieses ersten Brutus, durch die sein entfernter Nachfahre aufgefordert wurde, zu den Waffen zu greifen und den Tyrannen zu ermorden.

Alle erhaltenen Berichte über die Königszeit haben diesen mythisch-legendären Charakter. Keiner von ihnen ist weniger als dreihundert Jahre nach der angeblichen Gründung der Republik geschrieben worden. Im späten 6. Jahrhundert v. Chr. war Rom noch lange nicht im Blickwinkel der Griechen, die auch ihre eigene Geschichte erst ein Jahrhundert später zu schreiben beginnen sollten. Dennoch ist es hinreichend wahrscheinlich, dass es im frühen Rom eine Monarchie gab, denn viele andere Städte im Mittelmeerraum hatten in der archaischen Zeit Könige, und dazu gehörten auch viele der Städte Etruriens im Norden Roms. Zahlreiche der späteren Institutionen Roms erklären sich zudem am besten als Rudiment einer monarchischen Herrschaft: Auf dem Forum gab es ein Haus, das man Regia, »das königliche«, nannte und in dem der höchste Priester, der Pontifex maximus, residierte. Den Beamten, der bei einer Vakanz zwischen zwei Amtsinhabern die Wahlen organisierte, nannte man interrex, »Zwischenkönig«. Nur wenigen der überlieferten Einzelheiten kann man wirklich Glauben schenken.

Einzelne Könige wurden in der späteren Erinnerung zu Urhebern bestimmter Teile der römischen Staatsorganisation: Romulus schuf die Stadt und bevölkerte sie, indem er sie erst zu einem sicheren Asyl für Missetäter erklärte und dann den Raub der Sabinerinnen anführte, um seine Gefolgsmänner mit Frauen zu versorgen. Numa, der zweite König, erfand die römische Religion. Servius Tullius ordnete das Heer, nahm die Einteilung in Bezirke und Abteilungen vor und führte den Zensus ein. Und so ging es weiter. Geschichten über die späteren Könige ähneln meist denen, die man im ganzen Mittelmeerraum über Tyrannen erzählte: Sie waren hochmütige, grausame Herrscher und übten sexuelle Gewalt aus, und schwache Söhne folgten auf starke Väter. Solche Klagen waren häufig zu hören in den aristokratischen Republiken der archaischen Mittelmeerwelt, und sie zeigen das Aufkommen neuer Regeln bürgerlichen Verhaltens.

Die Römer erinnerten sich zudem an ihre letzten Könige als Fremde, genauer gesagt als Etrusker. Die Geschichten über die Königsherrschaft fügen sich zu einem Bild dessen, was für Rom als wesentlich und einmalig angesehen wurde, zumindest in den Augen derer, die sie erzählten und ihnen lauschten. Die einzig mögliche Kontrolle dieser Mythen, über die wir verfügen, sind die archäologischen Quellen.

Die Zeit der Republik hat beinahe fünfhundert Jahre gedauert, vom späten 6. Jahrhundert v. Chr. bis zum ausgehenden 1. Jahrhundert v. Chr. Sie galt später als eine Zeit der Freiheit und des frommen Anstands. Es waren die Reichen, die in den Genuss dieser Freiheit kamen, und darunter vor allem die aristokratischen Familien, die gemeinsam die politischen Ämter und die religiöse Führung monopolisierten. Die Sehnsucht ihrer Erben nach einstiger Größe gibt der ganzen Geschichte dieser Zeit ihre Färbung. Wenige Familien – vor allem die Cornelii Scipiones und später die Caecilii Metelli – waren so erfolgreich, dass sie tatsächlich den Staat beherrschten, vergleichbar mit den Medici im Florenz der Renaissance. Aber die Quellen ihres Reichtums waren ganz andere. Die Anführer der römischen Eroberungen brachten Schätze heim, mit denen sie die Stadt schmückten, sowie Geld, mit dem sie Land kaufen oder pachten konnten, und Sklaven, mit denen sie es bebauen konnten. Wie die meisten Städte der Antike stützte sich Rom auf eine Armee von Bürgern.

Zu Beginn waren die meisten von ihnen Bauern, die sich zu Feldzügen einfanden, die in für die Landwirtschaft verhältnismäßig ruhigen Zeiten unternommen wurden. Viele zogen reichlichen Gewinn aus den Eroberungen. Diejenigen, die nahe genug an der Stadt Rom lebten, hatten einen gewissen Einfluss in den politischen Versammlungen, die die Beamten wählten und die wichtigsten Entscheidungen trafen, wie etwa die, ob man in den Krieg ziehen sollte oder nicht. Aber Rom gelangte doch niemals zu der Art demokratischer Verhältnisse, wie man sie in Athen geschaffen hatte, wo die Reichen gezwungen waren, ihren Reichtum zu verbergen und einen Teil davon für öffentliche Zwecke aufzuwenden.

In Rom blieb die Macht in Händen der Wenigen. Ämter bekleidete man zwar nur für ein Jahr, aber ehemalige Beamte saßen lebenslang in einem Rat, dem Senat, der in Wahrheit die Regierung, die Gesetzgebung, den Staatskult und die auswärtige Politik leitete. Wie die republikanische Aristokratie so lange so beherrschend bleiben konnte, ist eine der großen Fragen der römischen Geschichte. War es die Einrichtung des Klientelwesens, das die römische Gesellschaft durchzog? Oder die religiöse Autorität, die sie aus ihren Priesterämtern bezog? Andere Städte sahen sich revolutionären Bewegungen ausgesetzt, wenn entmachtete Aristokraten das Volk gegen ihre Rivalen aufbrachten. Römische Adlige befanden sich in Konkurrenz zueinander wie Angehörige anderer Aristokratien, aber irgendwie hielten sie sich im Kampf gegeneinander bis ganz zum Ende der Republik zurück. Als diese Zurückhaltung zusammenbrach, ging ihre Welt unter.

Die Republik war auch das Zeitalter, in dem sich Rom von einem italischen Stadtstaat zur Führungsmacht in der antiken Mittelmeerwelt wandelte. Die Könige müssen Rom ziemlich mächtig gemacht haben. Die Stärke der Befestigungsmauern, die vermutliche Einwohnerzahl und vor allem die militärischen Erfolge dieser frühen Zeit legen insgesamt nahe, dass Rom schon in der Zeit um 500 v. Chr. eine der politisch mächtigsten Städte in Mittelitalien war.

Die Geschichte der ersten Jahrhunderte ist verschwommen, aber zu Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. breitete sich der Einfluss Roms über die ganze italische Halbinsel aus. Römische Kolonien verteilten sich über die strategisch wichtigen Orte der Apenninen und an der tyrrhenischen Küste, während neue Straßen den Zugang zur adriatischen Küste eröffneten.

Im Laufe des 4. und 3. Jahrhunderts v. Chr. kämpfte Rom an allen Fronten: gegen die Gallier im Norden, die Griechen im Süden sowie eine Reihe italischer Stämme in den Abruzzen und den kargen Ebenen Süditaliens. In den Jahren um 270 v. Chr. erregten sie die Aufmerksamkeit des Königs Pyrrhus von Epirus, der mit einem starken Heer die Adria überquerte. Rom unterlag ihm in mehreren Schlachten, überlebte aber den Krieg. Gegen Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. gewannen die Römer zwei lange Kriege gegen die phönizischen (punischen) Karthager.

Der 1. Punische Krieg (264–241 v. Chr.) war im wesentlichen ein Seekrieg, bei dem Rom Sizilien eroberte und Herrin über die griechischen und punischen Städte der Insel sowie über die einheimischen Stämme im Innern Siziliens wurde. Der 2. Punische Krieg (218–201 v. Chr.) wurde in Spanien und Afrika, aber auch in Italien selbst ausgetragen. Hannibal überquerte 217 v. Chr. die Alpen und brachte den Römern im darauffolgenden Jahr bei Cannae eine furchtbare Niederlage bei. Aber er nutzte seinen Sieg nicht aus und verlor Zeit in Süditalien, bis er 203 v. Chr. nach Afrika zurückkehren musste, um Scipios Heer entgegenzutreten. Hannibals Niederlage bei Zama im folgenden Jahr besiegelte das Ende der karthagischen Macht. Während des 2. Jahrhunderts v. Chr. drangen die römischen Heere noch weiter vor. Sie bekämpften und besiegten die großen makedonischen Königreiche des Ostens, die Erben Alexanders des Großen. Karthago und die altehrwürdige griechische Stadt Korinth wurden beide im Jahr 146 v. Chr. dem Erdboden gleichgemacht.

Römische Heere besiegten gallische Stämme südlich und nördlich der Alpen, überzogen die spanische Hochebene mit Krieg und widerstanden germanischen Angriffen. Die Stadt Rom wuchs und wuchs und wurde mit Aquädukten, Basiliken und anderen Bauwerken ausgestattet, die man aus der Kriegsbeute bezahlte. Die Reichen wurden noch reicher, und die Bürgerarmeen blieben länger und länger fort von der Heimat.

Römer späterer Zeiten stellten sich vor, dass die Republik zur Zeit ihres Höhepunkts ein harmonisches Gefüge war, in dem der Ehrgeiz der Mächtigen von der Weisheit des Senats und mit Hilfe eines ergebenen Volks gezügelt wurde. Der Niedergang der Republik wurde (auf unterschiedliche Weise) dem Luxus und dem Hochmut zugeschrieben, die die Herrschaft über ein Reich mit sich gebracht hatte. Mit den Worten des frühkaiserzeitlichen Geschichtsschreibers Velleius Paterculus:

Der ältere Scipio hatte den Weg zur Macht der Römer eröffnet,
der jüngere eröffnete den zur Ausschweifung.
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Andere Historiker fanden andere Bruchstellen, aber das Muster eines tugendhaften Aufstiegs, dem ein tiefer Fall folgte, war weit verbreitet. Die Wahrheit ist komplizierter. Im Verlauf der ganzen römischen Geschichte sind soziale Auseinandersetzungen verschiedenster Art zu beobachten. Aber die Straßenkämpfe und Bürgerkriege, die am Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. begannen, hatten eine neue Qualität. Das letzte Jahrhundert der freien Republik war einerseits die Zeit der größten territorialen Ausdehnung und eine Zeit, in der die römische literarische und intellektuelle Kultur ihre klassische Form annahm, andererseits aber auch die Zeit eines hundertjährigen blutigen Bürgerkriegs. Auseinandersetzungen zwischen den Römern und ihren italischen Bundesgenossen fielen zusammen mit sozialen Kämpfen zwischen den armen Bürgern (oder denen, die behaupteten, deren Interessen zu vertreten) und den verbliebenen Reichen. Traditionelle Rivalitäten unter den Aristokraten wurden durch den fortschreitenden Imperialismus verstärkt. Politiker engagierten zunächst Volksmassen und dann Heere, um ihre Interessen durchzusetzen.

Rivalitäten in Rom und aggressive Kriegsführung fern der Stadt traten in eine verhängnisvolle Wechselwirkung. Die militärischen Führer planten kurzfristig und hatten dabei immer ein Auge auf ihre Chancen bei ihrer Rückkehr. Sie gingen aufsehenerregende Risiken ein, griffen die Nachbarn Roms ohne Erlaubnis des Senats oder des römischen Volks an, vertrauten eroberte Gebiete ihren Gefolgsleuten an, damit diese sie ausbeuten konnten, und dachten wenig an die längerfristige Sicherheit Roms. Sie gestatteten es fremden Bundesgenossen von zweifelhafter Zuverlässigkeit, an den Grenzen des Reichs gewaltige Machtbastionen zu errichten. In den Provinzen waren die Römer verhasst. Der Tiefpunkt war erreicht, als Mithridates, König von Pontus und früherer Verbündeter Roms, in das westliche Kleinasien vordrang, das Rom eigentlich kontrollierte. Nachdem Rom seine Macht zuvor erst aufgebaut hatte, war der Senat durch Vorgänge in Italien abgelenkt und beachtete Mithridates’ zunehmend feindliches Vorgehen in der weiteren Folge nicht. Mithridates ließ mehr als 10 000 Italer in den griechischen Städten der Provinz ermorden. Für kurze Zeit verlor Rom die Kontrolle über alle Gebiete östlich der Adria.

Diese Ereignisse boten noch eine weitere Gelegenheit für römische Generäle, sich zu beweisen. Sulla erhielt zunächst das Kommando über das Heer, dann wurde es ihm aber wieder genommen, er weigerte sich jedoch zurückzutreten und marschierte stattdessen mit seinen Soldaten auf Rom. Das Forum troff von Blut. Sulla setzte sich durch, und nachdem er die Angelegenheiten in Rom hinreichend geregelt hatte, marschierte er wieder nach Osten, plünderte Athen und erkämpfte sich danach seine Rückkehr nach Rom. Dort ließ er sich zum Diktator ausrufen und »proskribierte« dann eine ganze Reihe politischer Gegner. Jeder, der sich auf der Liste befand, konnte straflos umgebracht werden; sein Besitz wurde beschlagnahmt. Sulla war das Vorbild für alle militärischen Führer nach ihm wie seinen Helfer Pompejus, seinen Feind Caesar sowie jene, die nach Caesar kamen, den späteren Kaiser Augustus eingeschlossen. Sie alle verschafften sich große Heere für auswärtige Kriege und benutzten diese Truppen am Ende, um in den Provinzen gegeneinander zu kämpfen, während sie in Rom Geld für die politische Parteienbildung und großartige Bauten ausgaben. Die Auseinandersetzungen fanden mit der Schlacht von Actium im Jahre 31 v. Chr. ihr Ende, als Mark Anton und Kleopatra von Oktavian, dem Erben Caesars, besiegt wurden. Letzterer versuchte später unter dem Ehrentitel Augustus, die Bürgerkriege (und damit auch die Freiheit der aristokratischen Gesellschaft und des Volks) zur geschichtlichen Vergangenheit zu machen.

DIE FRÜHE KAISERZEIT

Die lange Regierungszeit des ersten Kaisers – Augustus starb im Jahre 14 n. Chr. – ist ein Angelpunkt der römischen Geschichte. Vor ihm gab es die Republik, nach ihm gab es nur Kaiser. Die folgenden 300 Jahre sind als die frühe Kaiserzeit oder (nach dem anderen Titel des Augustus als erster Bürger, princeps) als das Prinzipat bekannt.

Vieles an der Art, wie Augustus (siehe Bildteil Abb. 1) Rom regierte, war eigentlich eine Fortsetzung der wichtigsten Grundsätze der republikanischen Geschichte, und genau so wollte er seine Herrschaft verstanden wissen. Sobald seine eigene Position in Rom einmal sicher und die Heere der Bürgerkriege weitgehend aufgelöst waren, widmete er sich den Eroberungszügen und der öffentlichen Bautätigkeit in einem Ausmaß, das die Errungenschaften des Pompejus und Caesars in den Schatten stellte. Zu Beginn seiner Regierungszeit beherrschte Rom die Mittelmeerwelt durch ein Netz von Provinzen und Bündnissen. Aber der Bürgerkrieg und die Rivalitäten innerhalb der Führungsschicht hatten zu vielen kriegerischen Auseinandersetzungen geführt, die über diesen Bereich hinaus reichten und weiterhin ungelöst blieben. Augustus dehnte das römische Herrschaftsgebiet über halb Europa und bis an den Rhein und die Donau aus, legte eine Grenze fest und schloss Frieden mit dem Perserreich. Zum Zeitpunkt der Ermordung Caesars waren viele Bauprojekte in Angriff genommen worden, aber noch nicht vollendet. Augustus stellte sie fertig, machte aus dem Marsfeld eine Art von monumentalem Schaufenster und nahm den Palatin in Beschlag, um dort einen Komplex kaiserlicher Residenzen zu errichten. Unsere Bezeichnung ›Palast‹ hat darin ihren Ursprung.

Auf weniger spektakuläre Weise gelang es Augustus, den römischen Staat gegen den Bürgerkrieg immun zu machen. Das ziemlich konfuse Durcheinander von politischen und fiskalischen Maßnahmen, die von einem Eroberer und militärischen Führer nach dem anderen eingeführt worden waren, wurde in ein beständigeres System der Provinzialverwaltung gebracht. Rom verfügte nun über ein reguläres Militärbudget, aus dem ein neues stehendes Heer bezahlt wurde. Den römischen und italischen Aristokratien wurden in der neuen Ordnung Positionen als Provinzverwalter und militärische Führer zugewiesen. Aber die Finanzen und die Loyalität der Soldaten behielt Augustus doch fest in seinen Händen. Die Entscheidung, welche der Aristokraten welche Magistrats- oder Priesterämter übernahmen, lag jetzt bei Augustus und nicht beim Volk, und gewiss nicht beim Senat.

Alle wichtigen Entscheidungen wurden in der Tat nun am kaiserlichen Hofe getroffen. Dem Senat und dem römischen Volk wurden größere Ehren zuteil, während sie gleichzeitig Macht einbüßten. Dagegen sah man überall Büsten und Statuen des Augustus, die ihn als Feldherren, Priester oder Gott darstellten. Er und seine Nachfolger wurden in jeder Stadt und Provinz neben den angestammten lokalen Gottheiten verehrt, und ebenso von den Soldaten in den Militärlagern.

Das wahre Zeichen des Erfolgs der Methode des Augustus war, dass er den größten Teil seiner Machtbefugnisse an eine Reihe von Nachfolgern weitergeben konnte.

Für hundert Jahre nach der Schlacht von Actium vermied Rom den Bürgerkrieg. Die unmittelbaren Nachfolger des Augustus waren nicht alle unbedingt begabt: einer von ihnen, Caligula, wurde ermordet, und ein anderer, Nero, beging Selbstmord, weil er dachte, dass er die Kontrolle über das Reich verloren hätte. Aber das System überlebte trotz einiger Veränderungen. Als nach der katastrophalen Regierungszeit Neros ein Konflikt zwischen militärischen Führern ausbrach, geschah das nur, weil keiner aus der Familie des Augustus übrig war, um neuer Kaiser zu werden. Der Krieg dauerte weniger als zwei Jahre (69–70 n. Chr.), und der Sieger, Vespasian, brachte eine sehr augusteische Restauration auf den Weg. Das Reich erbebte, aber es blieb unversehrt.

Ohne die Einführung einer neuen Verfassung oder eines neuen Titels war der römische Kaiser zur zentralen Figur des römischen Staats geworden. Schwache oder unfähige Kaiser konnten nun das System nicht mehr in Gefahr bringen, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass irgendwer ohne die Kaiser auskommen wollte. Als Caligula im Jahre 41 n. Chr. umgebracht worden war, hatte der Senat kurz über eine Rückkehr zur Republik diskutiert, verwandte dann aber mehr Zeit darauf, über einen möglichen Nachfolger nachzudenken. Während sie berieten, entdeckte die Prätorianergarde den Onkel des Caligula, Claudius, der sich im Palast hinter einem Vorhang versteckte, und machte ihn zum Kaiser. Von da an war die Frage immer einfach nur: Wer soll Kaiser werden?

Kaiser folgte auf Kaiser. Die flavische Dynastie regierte fast das ganze Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. Eroberungskriege erweiterten das Reich um Britannien und Teile des südwestlichen Germaniens, Klientelstaaten wurden dem Reich einverleibt und Grenzen befestigt. Eine Reihe von Kaiserforen erstreckte sich nun vom alten republikanischen Kapitol bis zum Tal des Kolosseums. Die Stadt nahm allmählich die Gestalt der Hauptstadt eines gewaltigen Reichs an. Die Ermordung des letzten Flaviers, Domitian, im Jahre 96 n. Chr. erschütterte das Herrschaftssystem sehr viel weniger als vorher der Tod Neros. Während des 2. Jahrhunderts n. Chr. herrschte eine Folge lang regierender Kaiser über ein relativ stabiles Reich. Trajan (98–117) führte Eroberungskriege nördlich der Donau und in dem Gebiet, das dem heutigen Irak entspricht. Sein Nachfolger Hadrian (117–139) unternahm weite Reisen im gesamten Reich. Die Kaiser zeigten sich offener als Monarchen und Angehörige einer Dynastie, und das galt besonders außerhalb Roms, wo sie sich nicht um die Empfindlichkeit des Senats sorgen mussten. Es entstand ein Hofstaat auf Reisen, an dem Günstlinge und Konkubinen um Einfluss buhlten, zu dem Gelehrte und Dichter gehörten und an dem die Präfekten der Prätorianergarde als Großwesire dienten. Gemeinden in den Provinzen sandten einen Strom von Botschaftern aus, um den Kaiser aufzuspüren, wo immer er sich gerade befinden mochte. Sie fanden Hadrian vielleicht an den Ufern des Nils oder bei der Aufsicht über die Errichtung des großen Walls, der sich im Norden Britanniens über die Insel erstreckte, oder als er sich an der Planung seines großen neuen Tempels der Venus gegenüber vom Kolosseum beteiligte, eine Ansprache an die Soldaten bei einer Truppenparade in Afrika hielt, oder wenn er sich in seinem riesigen Palast in Tivoli oder seinem geliebten Athen entspannte. Das Reich wurde von dem Ort aus regiert, an dem sich der Kaiser gerade befand.

Das frühe Kaiserreich war eine Zeit, in der sich die Welt im Frieden befand. Die Kriegsführung blieb begrenzt und die Kaiser hatten selten damit zu kämpfen, sie auf die Grenzregionen zu beschränken. Wirtschaft und Bevölkerung wuchsen. Die Zahl der römischen Bürger stieg an, als die provinzialen Oberschichten, frühere Soldaten und freigelassene Sklaven das Bürgerrecht erhielten. Durch ein Edikt des Kaisers Caracalla (198–217) im frühen 3. Jahrhundert n. Chr. wurde fast jeder Bewohner des Reichs römischer Bürger. Der Jurist Ulpian, der bald nach dieser allergrößten aller kaiserlichen Wohltaten schrieb, hob hervor, dass ein Testament in jeder Sprache gültig sei, ob Keltisch, Syrisch, Griechisch oder Latein. Überall nahm man römische Lebensgewohnheiten an, und neue Architektur- und Produktionstechniken verbreiteten sich in den Provinzen. Vor allem die wohlhabenden Schichten dekorierten ihre prächtigen Häuser mit importiertem Marmor und stifteten ihren Heimatorten großartige Bauwerke. In den Städten des Reichs bildete sich eine gemeinsame Kultur der Bäder, der Erziehung oder der Speisen heraus. Selbst die Ärmsten sahen bei Gladiatorenkämpfen, Kämpfen mit wilden Tieren, athletischen Wettspielen und anderen Festveranstaltungen zu, die sehr häufig das Kaiserhaus in den Mittelpunkt stellten. Das frühe 3. Jahrhundert n. Chr. markiert den Höhepunkt antiker Stadtkultur. Natürlich gab es Teile des Reichs, in denen 90 Prozent der Menschen noch immer auf dem Lande lebten. Aber in Mittelitalien und im westlichen Anatolien, in Nordafrika, in Syrien und in Ägypten lebten vielleicht bis zu 30 Prozent der Bevölkerung in Städten oder großen Dörfern. Die meisten Monumente des Römischen Reichs, die uns heute noch so stark beeindrucken, wenn wir seine früheren Provinzen bereisen, wurden in dieser Zeit errichtet. Die Eroberung Dakiens durch Trajan war die letzte dauerhafte Erweiterung des Reichs. Im Laufe des 2. Jahrhunderts n. Chr. wurden zwar weiter Kriege geführt, aber im allgemeinen nur dann, wenn der Kaiser es wünschte. Der Kaiser und die lokalen Oberschichten scheinen wirklich wohlhabend gewesen zu sein: Doch ist es nicht immer deutlich, inwieweit dieser Wohlstand auf echtem Wachstum beruhte oder auf der Konzentration des Besitzes in den Händen einer immer geringer werdenden Zahl von Personen.

Die Bedingungen veränderten sich im Übergang vom 2. zum 3. Jahrhundert n. Chr. Die Bautätigkeit in den Städten ging im Westen schon vor 200 und in den anderen Regionen vor 250 zurück. Nach diesem Zeitpunkt wurden keine neuen Theater oder Amphitheater mehr gebaut, die Zahl der Inschriften nimmt deutlich ab und Weihungen von Tempeln scheinen weniger zu werden. Offenbar ging die Ausdehnung einiger Städte zurück, besonders im Westen des Reichs. Die Kriege an den Nordgrenzen scheinen unterdessen mehr von der Zeit und den Mitteln der Kaiser in Anspruch genommen zu haben. Vielleicht hatte diese Entwicklung schon in der Regierungszeit Mark Aurels begonnen, als zwischen 166 und 180 fortwährende Kriege gegen die Markomannen an der mittleren Donau tobten. Auf die Ermordung des Commodus, des Sohns von Mark Aurel, folgte im Jahre 192 ein neuer Ausbruch eines Bürgerkriegs. Der Kampf zwischen Militärführern aus den Provinzen ähnelte den Ereignissen nach dem Selbstmord Neros sehr. Die Dynastie der Severer, die als Sieger daraus hervorging, herrschte auf recht traditionelle Weise von 193 bis 235 über Rom. Aber der Wiederaufstieg des Perserreichs unter der Dynastie der Sassaniden im frühen 3. Jahrhundert n. Chr. setzte das Heer (und die Finanzen) unter neuen Druck. Ein halbes Jahrhundert lang wurde das Reich an Rhein und Donau verstärkt angegriffen und erlitt tiefe Einfälle in sein Territorium, die zur Plünderung von Städten wie Athen und Tarragona führten, wo man zuvor in beinahe drei Jahrhunderten keinen Soldaten gesehen hatte. Darüber hinaus musste man bedeutende Angriffe der Perser abwehren und hatte sich mit Abfallbewegungen auseinanderzusetzen, die das Reich für eine gewisse Zeit in drei Teile spaltete.

Die meisten Kaiser dieser Zeit regierten nur wenige Jahre, einige sogar nur wenige Monate, und wenige starben zu Hause in ihrem Bett. Zunehmend wählte man sie aus den Kreisen des Militärs, und ihre Bindung an Rom und an den Senat wurde immer schwächer. Der militärische Wiederaufstieg begann in den Jahren nach 260, aber das Reich wurde erst am Ende des 3. Jahrhunderts erneut ein einheitliches Ganzes. Die lange Regierung des Diokletian, der 284 zum Kaiser ausgerufen wurde und im Jahre 305 abdankte, ließ das Reich überleben.

DAS SPÄTRÖMISCHE REICH

Zu Beginn des 4. Jahrhunderts n. Chr. hatte sich die römische Welt sehr verändert. In manchen Regionen waren Städte zu kleinen Plätzen geschrumpft, deren Befestigungsmauern hastig aus dem Material zerstörter Bauten zusammengefügt waren. Einige der erst seit kürzerem eroberten Gebiete waren wieder aufgegeben worden. Es gab zwar noch einen Senat in Rom, aber seine Mitglieder hatten in Angelegenheiten der Regierung oder militärischer Befehlsgewalt nicht mehr viel zu sagen. Das Reich hatte eine neue Religion, das Christentum, und eine neue Hauptstadt, Konstantinopel, mit ihren eigenen sieben Hügeln und ihrem eigenen Kaiserpalast. Das Reich hatte auch eine neue Währung, mit der man sehr viel höhere Steuern als je zuvor und größere Heere sowie eine wachsende Bürokratie bezahlen musste. Es gab jetzt immer ein Kollegium von vier gleichzeitigen Kaisern, von denen die älteren ›Augusti‹ genannt wurden und die jüngeren ›Caesares‹. Jeder hatte seinen eigenen Hofstaat und jeder sollte sich einer anderen Region des Reichs widmen, aber vor allem der Verteidigung der nördlichen und östlichen Grenzen. Von nun an mussten die Kaiser die ›Barbaren‹ ständig unter Kontrolle halten und waren gezwungen, die schwierigen Beziehungen mit dem rivalisierenden Persischen Reich zu regeln.

Die Geschichte Persiens weist in dieser Zeit in vieler Hinsicht Parallelen mit der Roms auf. Der persische Großkönig Schapur II. (309–379) schuf ein sehr zentral verwaltetes Reich, in dem eine Bürokratie die fast unabhängigen Lehnsherren ersetzte, die die Oberhoheit der parthischen Könige oft kaum anerkannt hatten. Auch das Persische Reich hatte eine Staatsreligion, den Zoroastrismus. Im Verlauf der Spätantike verschob sich die Grenze kaum. Beide Reiche hatten mit religiösen Minderheiten und mächtigen Priestern zu kämpfen. Häufig gab es Krieg, und manche Städte wechselten in einem breiten Grenzgebiet, das sich von Armenien im Norden über Syrien bis zur arabischen Welt erstreckte, häufig die Seite. Aber es gab auch Zeiten relativer Ruhe, und Händler, Missionare, Spione und Abgesandte reisten dann zwischen den beiden brüderlichen Reichen hin und her. Diese Situation blieb bis zum 7. Jahrhundert n. Chr. unverändert, als die Eroberung durch die Araber schließlich das Sassanidische und fast auch das Römische Reich zerstörte.

Die Geschichte der späten Kaiserzeit zu schreiben war immer ein schwieriges Unterfangen. Zunächst war da das Problem der widerstreitenden Perspektiven von Heiden und Christen, nachdem Konstantin I. (306–337) zunächst die Verfolgung durch Toleranz ersetzt hatte und dann die christliche Kirche in großem Umfang zu fördern begann. Alle seine Nachfolger waren Christen, mit der einzigen Ausnahme von Julian, der in seiner kurzen Regierungszeit (361–363) die Reform Konstantins rückgängig zu machen suchte. Gegen Ende des Jahrhunderts waren Angriffe auf die Tempel der heidnischen Polytheisten an die Stelle der allgemeinen Toleranz getreten, und die Kaiser verwandten mehr und mehr ihrer Energie darauf, Häretiker zu bekämpfen. Einflussreiche Polytheisten überlebten in hinreichender Zahl, um die neue Religion für die Katastrophen des 5. Jahrhunderts n. Chr. verantwortlich zu machen. Unsere historischen Quellen sind zutiefst entzweit. Und dann ist da das Problem der nachträglichen Interpretation aus späterer Sicht. Wie können wir nicht davon ausgehen, dass der Verlust von Trajans dakischen Provinzen nur der erste von vielen Gebietsverlusten war, in deren Folge Britannien und das nördliche Gallien in der Mitte des 5. Jahrhunderts n. Chr. der römischen Kontrolle entglitten und der letzte weströmische Kaiser vor 500 durch eine Reihe von Barbarenkönigen ersetzt wurde?

Dennoch war das 4. Jahrhundert n. Chr. in gewisser Hinsicht eine Zeit des Optimismus, das eine teilweise Erholung des geistigen Lebens und eine lebhafte Bautätigkeit erlebte (auch wenn es sich jetzt eher um Kirchen und Paläste handelte als um die traditionellen Bauwerke der klassischen Städte), dazu im Osten eine echte wirtschaftliche Blüte. Selbst als man im Jahre 376 zuließ, dass eine große Gruppe von Ostgoten die Donau überquerte, konnten die Römer sich mit gutem Grund an andere Völker erinnern, die sich innerhalb des Reichs als Verbündete niedergelassen hatten. Aber die Niederlage des östlichen Heeres gegen die Goten in der Schlacht bei Adrianopel im Jahre 378 setzte eine Reihe von Wanderungsbewegungen und diplomatischen Manövern in Gang, die in nur hundert Jahren zum vollständigen Verlust des Westens führen sollten.

Vom frühen 5. Jahrhundert n.