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Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik

Leopold Kirner, Bernhard Stürmer
und Elisabeth Hainfellner (Hrsg.)

 

Wissenschaftliche Beiträge
in der Agrar- und Umweltpädagogik

 

 

 

 

 

 

 

Zeitschrift für agrar- und umweltpädagogische Forschung Band 2

Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik

Leopold Kirner, Bernhard Stürmer
und Elisabeth Hainfellner (Hrsg.)

Wissenschaftliche Beiträge in der Agrar- und Umweltpädagogik

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Renate Cervinka und Markus Schwab
Naturverbundenheit –
Ergebnisse der umweltpsychologischen Forschung für Agrar- und Umweltpädagogik und Green Care

Marianna Doppelmair, Birgit Kaltenbrunner und Lara Paschold
Werte, Einstellungen und subjektive Wirklichkeit
zum Bild der Landwirtschaft in österreichischen Schulen

Michael Holzwieser
Nachhaltigkeitswerte in der Grünen Pädagogik bilden: Ein philosophisch-ethischer Beitrag

Leopold Kirner, Kerstin Landstetter und Florian Stürzenbecher
Vom Nutzen der Buchführung in der land- und forstwirtschaftlichen Unternehmensführung am Beispiel des Testbetriebsnetzes und deren Implikationen für die agrarische Bildung und Beratung in Österreich

Andrea Payrhuber
Umwelt – Ernährung – Landwirtschaft

Christian Schroll
Die Bedeutung von Emotionen im Kontext forschenden Lehrens und Lernens – ein Forschungsprojekt

Ingrid Wagner und Renate Cervinka
Naturbezogene Betreuung im Alter am Beispiel von acht Tageszentren in Wien

Liste der Gutachterinnen und Gutachter

Vorwort

Die Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik forscht in den Bereichen Grüne Pädagogik, Beratung und Bildungsmanagement, Unternehmensführung und Innovation, Fachdidaktik, Agrar, Umwelt und Energie sowie Green Care. Seit 2019 werden aktuelle wissenschaftliche Beiträge in der Zeitschrift für agrar- und umweltpädagogische Forschung publiziert, um die Vielfalt an Themen der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik im Bereich der grundlagenorientierten, angewandten und berufsfeldbezogenen Bildungsforschung in einem wissenschaftlichen Format abzubilden und zu diskutieren.

Für den vorliegenden Band 2 wurden acht Beiträge eingereicht, alle Beiträge durchliefen ein Peer-Review-Verfahren mit jeweils zwei anonymen Gutachterinnen bzw. Gutachtern, eine Liste der am Begutachtungsverfahren beteiligten Personen findet sich am Ende des Bands. Die Publikationsreihe macht somit die Forschungsergebnisse der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik der Scientific Community zugänglich und damit ihre Umsetzung in der forschungsgeleiteten Lehre möglich.

Als Herausgeber der Publikationsreihe freuen wir uns, Ihnen im vorliegenden Band 2 sieben Beiträge präsentieren zu können; ein Beitrag wurde nach dem Gutachten zurückgezogen. Sie spannen einen weiten thematischen Bogen und belegen die große Vielfalt an Forschungsthemen an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik. Die Beiträge sind alphabetisch nach der Erstautorenschaft gereiht.

Unser besonderer Dank gilt den Autorinnen und Autoren für die verfassten und eingereichten Beiträge. Ebenso bedanken wir uns herzlich bei den Gutachterinnen und Gutachtern für das Einbringen ihrer fachlichen und methodischen Expertise.

Leopold Kirner, Bernhard Stürmer und Elisabeth Hainfellner
Wien, im März 2020

Das Herausgeber-Team

HS-Prof. Priv.-Doz. Dr. Leopold Kirner leitet das Institut für Unternehmensführung, Forschung und Innovation an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik. Er forscht und lehrt hier zu ökonomischen Aspekten in der Agrar- und Ernährungswirtschaft und koordiniert die hausinterne Forschung.

HS-Prof. Dr. Bernhard Stürmer lehrt und forscht an der Hochschule für Agrarund Umweltpädagogik im Bereich Agrar- und Umweltökonomie. Zudem ist er Geschäftsführer beim Kompost und Biogas Verband Österreich.

DI Elisabeth Hainfellner ist Vizerektorin an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik und zuständig für die Bereiche Forschung und Entwicklung, Umweltpädagogik sowie Fort- und Weiterbildung. Sie lehrt in den Bereichen Partizipation und Regionalentwicklung.

Renate Cervinka und Markus Schwab

Naturverbundenheit – Ergebnisse der umweltpsychologischen Forschung für Agrar- und Umweltpädagogik und Green Care

Zusammenfassung

Die Verbundenheit mit der Natur erscheint als ein wichtiger Indikator für umweltfreundliches und gesundheitsförderliches Verhalten. Daher kann sie wichtig im Bereich der Bildung sein. Dieser Artikel stellt wissenschaftliche Erkenntnisse der Umweltpsychologie zur Verbundenheit mit der Natur vor. Ergebnisse aus Originalarbeiten, Übersichtsarbeiten und Metaanalysen zeigen einen robusten Zusammenhang zwischen Naturverbundenheit, umweltschonendem Verhalten, menschlicher Gesundheit und Wohlbefinden. Etablierte Instrumente zur Messung des Konstrukts sind aufgelistet. Die Relevanz von Naturverbundenheit für die Förderung einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung, im Speziellen für Agrar- und Umweltpädagogik sowie für Green Care, wird diskutiert.

Schlagworte: Mensch-Umwelt-Beziehung, Nachhaltigkeit, Naturkontakt

Abstract

Connectedness with nature seems a prominent predictor for pro-environmental behavior, and health behavior. Thus, it may play an important role in education. This paper is aimed at presenting scientific knowledge about connectedness with nature from Environmental Psychology. Findings from original papers, reviews, and meta-analysis show a robust relationship between connectedness with nature, pro-environmental behavior, human health and well-being. Established instruments for measurement are listed. We discuss the relevance of connectedness with nature for the education for sustainable development, in particular for agricultural and environmental education as well as for Green Care.

Keywords: Human-environment relationship, nature contact, sustainability

 

1.   Einleitung

Die Beziehung der Menschen mit der Umwelt bzw. mit der sie umgebenden Natur ist Gegenstand zahlloser populärer, künstlerischer und wissenschaftlicher Abhandlungen. Das Konstrukt Naturverbundenheit beschreibt die Beziehung von Menschen mit der Natur. Die Naturverbundenheit erscheint als menschliche Schlüsseleigenschaft sowohl für den Umweltschutz als auch für die Gesundheitsvorsorge und eine Nachhaltige Entwicklung (Cervinka & Schmuck, 2010). Umweltschutz und Gesundheitsvorsorge stellen zwei der acht Themenbereiche für eine Bildung für Nachhaltige Entwicklung dar (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, 2019). Die Österreichische Strategie zur Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) nennt Umweltbildung und Gesundheitsbildung als Unterrichtsprinzipien (Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt- und Wasserwirtschaft, Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur & Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, 2008). Die Umsetzung einer Nachhaltigen Entwicklung ist ein gemeinschaftliches, interdisziplinäres Anliegen. Sie benötigt zudem die aktive Teilnahme lokaler Gruppen und individueller Akteur*innen. Vielen Personen wird erst jetzt so richtig bewusst, dass ein gutes Leben, ja ein Überleben ohne Klimaschutz nicht möglich ist. Aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, wie z. B. die Bewegung „Fridays for Future“ zur Bekämpfung des Klimawandels, machen die gesellschaftliche Brisanz des Themas deutlich. Diese Bewegung wird vor allem von der Jugend, vorwiegend von Schüler*innen, getragen. Die Nachhaltigkeitsforschung fordert schon länger eine Verstärkung der Mensch-Naturbeziehung (Nisbet, Zelenski & Murphy, 2009; Zylstra et al., 2014). Ein Überblick über die multidisziplinäre Forschungslandschaft zum Thema Naturverbundenheit weist auf unterschiedliche Forschungsstränge zum Thema hin (Ives et al., 2017). Eine einheitliche Definition von Naturverbundenheit ist aufgrund der vielfältigen wissenschaftlichen Zugänge schwer zu geben. In der englischsprachigen Literatur wird für Naturverbundenheit häufig der Überbegriff human-nature-connection (HNC) verwendet. In ihrer Übersichtsarbeit konnten Ives et al. (2017) drei Forschungsstränge herausarbeiten. Diese stellen unterschiedliche erkenntnistheoretische Positionen dar und unterscheiden sich hinsichtlich der methodischen und kontextuellen Herangehensweisen zur Mensch-Umweltbeziehung. Dabei erwies sich die Psychologie als die Disziplin mit den meisten Beiträgen zum Thema. Im Fokus dieses Ansatzes steht die Erforschung der existierenden Beziehung zu unterschiedlichen Elementen der Natur (z.B. zur Landschaft oder dem Wald) bzw. der Beziehung zur Natur im Allgemeinen. Was dabei unter Natur an sich zu verstehen ist, oblag zumeist den Befragten. In einer qualitativen Studie zu den mentalen Repräsentationen, den inneren Bildern der Befragten zu Natur, reichten die Aussagen von wilder Natur, z.B. Berge, zu kultivierten Landschaften (Wälder, Felder), blühenden Wiesen und Tieren (Röderer & Cervinka, 2012). Die Naturverbundenheit als Eigenschaft der Person und ihre Bedeutung für den Umwelt- und Gesundheitsschutz rückte in den letzten zwei Jahrzehnten verstärkt speziell in den Fokus der umweltpsychologischen Forschung. Denn es zeigt sich, dass eine Nachhaltige Entwicklung sowohl auf lokaler als auch globaler Ebene ohne Umwelt-, Natur- und Klimaschutz nicht machbar erscheint und dass für die Förderung der menschlichen Gesundheit eine intakte Umwelt unabdingbar ist (Cervinka & Schmuck, 2010). Naturverbundenheit kann als Schlüsseleigenschaft verstanden werden. Um einen gesellschaftlichen Wandel in Richtung einer nachhaltigeren Entwicklung zu erreichen, braucht es neben Handlungsmöglichkeiten auch Werte und Einstellungen. Die Naturverbundenheit erscheint als wesentliche Disposition auf dem Weg zur Entwicklung von Kompetenzen (Kaiser et al., 2008). Sie ist in jeder Phase der menschlichen Entwicklung relevant und sollte daher auch bei Bildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen gezielt angesprochen und gefördert werden. Es ist das Anliegen der vorliegenden theoretischen Arbeit, die Ergebnisse der umweltpsychologischen Forschung zum Thema Naturverbundenheit für die Agrar- und Umweltpädagogik sowie für Green Care aufzubereiten und zur Diskussion zu stellen.

2.   Methode

Die Recherche zu dieser theoretischen Arbeit erfolgte über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren in mehreren Wellen. Für Kongress- und wissenschaftliche Zeitschriftenbeiträge (Cervinka et al., 2009; Cervinka et al., 2012; Cervinka et al., 2016; Feselmayer et al., 2008; Haluza et al., 2014; Pirgie et al., 2016) fand jeweils eine Suche in der eigenen Datenbank und eine Definition der Suchtermini in deutscher und englischer Sprache statt. Die Suche in Fachbüchern und Abschlussarbeiten erfolgte in inund ausländischen Verbundkatalogen. Dem folgte jeweils eine breit angelegte Suche im Internet und in elektronischen Datenbanken (BASE, CINHAL, CiteSeer, DOAJ, EZB, MEDLINE, SCIRUS, SCOPUS, SSOAR und Web of Science). Zur Abrundung der Ergebnisse erfolgte 2019 eine Abfrage nach Review-Arbeiten mit Google Scholar. Verwendung fanden 34 Originalarbeiten und vier Review-Arbeiten. Um den Stand der umweltpsychologischen Forschung zum Thema Naturverbundenheit für die Bereiche Agrar- und Umweltpädagogik sowie Green Care zur Verfügung zu stellen, erfolgte eine Aufarbeitung und Kategorisierung der gefundenen wissenschaftlichen Arbeiten in zwei Hauptkategorien, nämlich Umweltschutz und Gesundheitsvorsorge. Dabei zeigte sich, dass in der umweltpsychologischen Forschung der Sammelbegriff Umweltschutz als Überbegriff dient und Klima- und Naturschutz mit einschließt (Kals & Müller, 2012). Im nächsten Abschnitt erfolgt zuerst eine Darstellung des Konstrukts Naturverbundenheit und dessen Operationalisierung. Dem folgen die Ergebnisse zu den Themenfeldern Naturverbundenheit und Umweltschutz sowie Naturverbundenheit, Gesundheit, Wohlbefinden und Gesundheitsvorsorge.

3.   Naturverbundenheit

Naturverbundenheit ist ein Konstrukt, das in der umweltpsychologischen Forschung vor allem im englischsprachigen Raum in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit erfahren hat. Es wird unter einer Vielzahl verschiedener Bezeichnungen wissenschaftlich untersucht und diskutiert. Den unterschiedlichen Ansätzen ist gemein, dass sie Naturverbundenheit als eine Eigenschaft der Person sehen, sich als Einheit mit der Natur wahrzunehmen. Die meisten Konzeptualisierungen von Naturverbundenheit gehen auf das Postulat des Ökologen Leopold (1949) über die enge Beziehung einer Person mit der Natur zurück. Nach Leopold sehen sich Personen in unterschiedlichem Ausmaß als Teil einer größeren Einheit, mit der sie sich verbunden fühlen und für die sie ein tiefes Verständnis haben. Personen sind Teil der Natur, genauso wie die Natur Teil ihrer Persönlichkeit ist. Wilson (1984) postuliert in seiner Biophilia-Hypothese eine emotionale, angeborene Bindung des Menschen zur Natur als ein Gefühl der Anziehung. Diese Anziehung ist nach Wilson als universelles evolutionäres Erbe der menschlichen Spezies anzusehen. Naturverbundenheit wird dem aktuellen Verständnis nach nicht als biologisch konstantes Merkmal des Menschen gesehen, sondern als interindividuell unterschiedlich stark ausgeprägte Eigenschaft (Giusti et al., 2018; Mayer & Frantz, 2004; Nisbet, Zelenski & Murphy, 2009).

Entsteht Naturverbundenheit im Zuge emotionaler Erlebnisse oder geistiger Erkenntnisse? Die wissenschaftlichen Arbeiten gehen von unterschiedlichen Annahmen aus. So verstehen Mayer und Frantz (2004), wie auch Kals et al. (1999), Nisbet, Zelenski & Murphy (2009) oder Raudsepp (2005), Naturverbundenheit als das Ausmaß, in dem Personen sich emotional mit der Natur verbunden fühlen, also eine positive emotionale Beziehung zur Natur haben. Andere beschreiben Naturverbundenheit eher als einen kognitiven Sachverhalt (Brügger et al., 2011; Schultz, 2000, 2002). Hierbei wird Naturverbundenheit als das Ausmaß angesehen, in dem die Natur im Selbstbild der Person eingebettet ist. Eine positive Verbundenheit mit der Natur zu haben scheint gemäß vorliegender Forschungsergebnisse sowohl emotional als auch kognitiv verankert zu sein.

Wie bildet sich Naturverbundenheit im Rahmen der menschlichen Entwicklung aus? Naturverbundenheit bildet sich im Zusammenhang mit relevanten Erlebnissen aus, die bei aktuellen oder vergangenen Aufenthalten in der Natur gemacht werden bzw. gemacht wurden. Der Zugang zur Natur, bereits in der Kindheit, stellt eine wichtige Voraussetzung für das Erleben positiver Emotionen dar und festigt auf diese Weise wiederum die Naturverbundenheit (Gebhard, 2001; Hinds & Sparks, 2008; Müller et al., 2009). Während die Ausprägung der Naturverbundenheit bei den Kindern relativ hoch ist, nimmt sie während der Pubertät stark ab (Sothmann & Menzel, 2016) und steigt dann im jungen Erwachsenenalter wieder auf das ursprünglich hohe Niveau an. Auch war die Naturverbundenheit bei Frauen höher ausgeprägt als bei Männern (Richardson et al., 2019).

Basierend auf einer Befragung von Expert*innen zur Entwicklung von Naturverbundenheit von Kindern beschreiben Giusti et al. (2018) zehn verschiedene Fähigkeiten als Indikatoren für die Beurteilung der Naturverbundenheit von Kindern. Diese Fähigkeiten reichen von angstfreiem Aufenthalt in der Natur und Kontakt mit natürlichen Bedingungen (z.B. Erde, Schlamm, Regen) bis hin zur Entwicklung einer naturbezogenen Identität. Diese Indikatoren für die Naturverbundenheit von Kindern ordneten sie drei Entwicklungsclustern zu. Der erste umfasst angenehme Naturerfahrungen und Neugier der Natur gegenüber. Der zweite Cluster besteht im Wesentlichen aus Aneignungsprozessen, wie z.B. sich in der Natur zurechtzufinden, entsprechend zu handeln und Wissen über Natur zu erwerben. Der dritte Cluster beinhaltet Sorge und Empathie für die Natur empfinden zu können sowie die Integration von Natur in das Selbstbild. Die Autor*innen streichen dabei besonders hervor, dass bestimmte Naturerfahrungen zur Entwicklung von Naturverbundenheit beitragen. Solche Naturerfahrungen sollen: lustvoll sein und Spaß machen, zum Nachdenken anregen, wie Mensch, Tier und Natur zusammenhängen, Privatheit und Rückzug ermöglichen, persönliche Erfahrungen mit der Natur erlauben, Vertrautheit erleben lassen, einen Wow-Effekt verursachen, bezaubernd sein, zum Staunen einladen, ein Flow-Erleben ermöglichen, in den Bann ziehen, Aufmerksamkeit ohne bewusste Konzentration erlauben, Überraschung bieten, kreative Aktivitäten unterstützen, körperliche Aktivitäten wie Laufen, Springen, oder Klettern erfordern und die Sinne stimulieren. Naturverbundenheit kann jedoch auch noch im Erwachsenenalter angeregt, erhöht oder weiter ausdifferenziert werden (Mayer & Frantz, 2004; Mayer et al., 2009; Nisbet, Zelenski & Murphy, 2009; Schultz, 2000). So erhöhten spezielle Interventionen in der Natur die Naturverbundenheit bei Erwachsenen (Lumber, Richardson & Sheffield, 2017).

Wie hängen Naturverbundenheit und die in der Natur verbrachte Zeit zusammen? Ward Thompson et al. (2008) konnten zeigen, dass die Häufigkeit von Aufenthalten in der Natur in der Kindheit der beste Prädiktor für Naturkontakt im Erwachsenenalter ist. Die Häufigkeit von Aufenthalten in der Natur im Erwachsenenalter hängt wiederum eng mit der Ausprägung der Naturverbundenheit einer Person zusammen. So zeigte sich in einer Studie von Cervinka et al. (2009), dass Personen, die eine höhere Naturverbundenheit aufwiesen, sich in ihrer Freizeit öfter in der Natur aufhielten als Personen, die weniger naturverbunden waren. Zusammenhänge zwischen Naturverbundenheit und verbrachter Zeit in der Natur konnten darüber hinaus in weiteren Studien für Erwachsene (Hinds & Sparks, 2008; Mayer & Frantz, 2004; Nisbet, Zelenski & Murphy, 2009; Raudsepp, 2005) und Jugendliche (Karlegger, 2010; Müller et al., 2009) nachgewiesen werden.

Welche Instrumente stehen zur Messung von Naturverbundenheit zur Verfügung? Die unterschiedlichen Zugänge verschiedener wissenschaftlicher Gruppen zum Thema bilden sich auch in den Bezeichnungen der Messinstrumente ab: z.B. Emotional Affinity toward Nature (Kals et al., 1999), Inclusion of Nature in Self (Schultz, 2002), Connectedness to Nature (Mayer & Franz, 2004), Connectivity with Nature (Dutcher et al., 2007), Nature Relatedness (Nisbet, Zelenski & Murphy, 2009), Love and Care for Nature (Perkins, 2010), Disposition to Connect with Nature (Brügger et al., 2011) oder Dispositional Empathy with Nature (Tam, 2013). Die Anzahl der Fragen je Skala und gemessenen Dimensionen variiert. Hier seien die drei gängigsten Instrumente näher beleuchtet. Inclusion of Natur in the Self (Schultz, 2000) wird mit einer Frage (Wie verbunden fühlen Sie sich mit der Natur?) erhoben. Zu antworten ist auf einer siebenteiligen graphischen Skala mit je zwei zuerst separierten und zunehmend überlappenden Kreisen. Die Überlappung symbolisiert die Verbundenheit zwischen dem Ich und der Natur. Die Connectedness to Nature Scale (Mayer und Frantz, 2004) misst die emotionale Verbundenheit mit der Natur ebenfalls eindimensional, jedoch mit 14 Fragen. Die Befragten urteilen auf einer fünfstufigen Skala, die von trifft nicht zu bis trifft zu reicht. Ein Beispiel lautet: Ich fühle mich oft als Teil der Natur. Die Nature Relatedness Scale (Nisbet, Zelenski & Murphy, 2009) misst mit insgesamt 21 Fragen drei Faktoren der Naturverbundenheit (Nature Related-Self, Nature Related-Perspective, Nature Related-Experience). Der Nature Connection Index (NCI) stellt ein Messinstrument sowohl für Kinder als auch Erwachsene dar. Er kommt mit sechs Fragen aus und wurde erst 2019 hinsichtlich der guten psychometrischen Eigenschaften bestätigt (Richardson et al., 2019). Zudem existieren Fragebögen zur Fremdbeurteilung von Kindern durch Bezugspersonen (Sobko et al., 2018). Die oben beschriebenen Skalen korrelieren einerseits untereinander recht hoch (ca. zu .6) und andererseits unterschiedlich, aber meist statistisch signifikant mit Umweltschutzverhalten sowie Wohlbefinden und subjektiver Gesundheit (Tam, 2013). Die gesammelten Befunde deuten auf eine stabile empirische Evidenz im Bereich der Naturverbundenheit hin.

3.1 Naturverbundenheit und Umweltschutz

Umweltfreundliches Verhalten wird durch eine Vielzahl von internen und externen Faktoren begünstigt. So z.B. durch Wissen, Einstellungen, Werte, Normen, Verantwortlichkeit, Verhaltensangebote, Handlungsanreize sowie die Rückmeldung von Verhaltenskonsequenzen (Fietkau & Kessel, 1981; Kaiser et al., 2008; Schwartz, 1977; Stern 2000). Aber auch Kosten-Nutzen-Erwartungen und der wahrgenommene Verhaltensspielraum spielen eine Rolle (Matthies et al., 2004).

Im Review von Zylstra et al. (2014) erweist sich Naturverbundenheit als ein wesentlicher Prädiktor für umweltverträgliches Verhalten. Kals et al. (1999) konnten zeigen, dass die emotionale Verbundenheit einer Person mit der Natur, neben direkten Naturerfahrungen und Interesse an der Natur, einen entscheidenden Antrieb zu individuellem Umweltschutzverhalten im eigenen Haushalt darstellt. Naturverbundene Personen berichteten in höherem Ausmaß als nicht naturverbundene von Verhaltensweisen wie Wasser sparen, Solarpaneele installieren, weniger Auto fahren oder bedrohte Pflanzen schützen. Der Fokus der Befragung lag dabei eindeutig auf der emotionalen Verbundenheit mit der Natur und nicht auf einem kognitiven Interesse für die Natur. Auch Mayer und Frantz (2004), ebenso wie Schultz (2002), fanden positive Zusammenhänge zwischen Naturverbundenheit und umweltschutzbezogenem Verhalten. Naturverbundene Personen löschten zum Beispiel beim Verlassen eines Raums das Licht oder waren bereit, Verpackungsmaterial der Wiederverwertung zuzuführen. Dabei fanden Mayer und Frantz (2004) Korrelationen zwischen Naturverbundenheit und Umweltschutzverhalten von .39 bis .45 in drei unabhängigen Studien. Personen mit starker Bindung zur Natur kauften eher biologische und fair gehandelte Produkte, verbrachten mehr Zeit mit naturbezogenen Aktivitäten und sahen sich selbst mit größerer Wahrscheinlichkeit als Umweltschützer*innen im Vergleich zu weniger naturverbundenen Personen. Darüber hinaus engagierten sie sich nach eigener Aussage stärker in umweltschutzbezogenen Verhaltensweisen (Nisbet, Zelenski & Murphy, 2009). In einer Arbeit von Dutcher et al. (2007) stellte sich Naturverbundenheit als wesentlicher Faktor für die Vorhersage von umweltfreundlichem Verhalten heraus und war für 10 % der aufgeklärten Varianz des Verhaltens verantwortlich. Untersucht wurde die Bereitschaft, an Umweltschutzorganisationen zu spenden oder umweltfreundliche Produkte zu kaufen. Claytons (2003) breiter gefasstes Konzept der Umweltidentität hängt ebenfalls positiv mit umweltschutzbezogenem Verhalten, wie beispielsweise beim Verlassen eines Raumes das Licht abzuschalten oder an Umweltschutzorganisationen zu spenden, zusammen (r = .64). Bei australischen Farmern untersuchten Gosling und Williams (2010) den Zusammenhang zwischen Umweltschutzverhalten, wie beispielsweise heimische Tiere und Pflanzen zu schützen, und Naturverbundenheit. Sie konnten zeigen, dass umweltfreundliches Verhalten vermehrt mit einem erhöhten Grad an Naturverbundenheit einherging. Dieser Zusammenhang wurde zudem durch die Wichtigkeit beeinflusst, welche die Farmer den Maßnahmen des Vegetationsmanagements beimaßen. Die Ergebnisse dieser Studie lassen jedoch keine kausalen Ursachenzuschreibungen zu. So könnten einerseits naturverbundene Farmer motivierter sein, die Umwelt zu schützen, andererseits könnte jedoch auch konkretes Umweltschutzverhalten dazu führen, dass sich die Farmer stärker mit der Natur verbunden fühlen.

Interne Faktoren wie Naturverbundenheit und umweltschutzbezogene Werte, Normen und Einstellungen haben jedoch nur begrenzten Einfluss auf das umweltschutzbezogene Verhalten einer Person, wichtig sind auch die Rahmenbedingungen. Dafür sprechen die Arbeiten von Cialdini und Kollegen (Cialdini et al., 1990; Reno et al., 1993), welche die Rolle der Rahmenbedingungen auf das Verhalten im Bereich des Wegwerfverhaltens von Abfall (littering) untersuchten. Je nach Ausgestaltung der Rahmenbedingungen zeigten die Versuchspersonen ein mehr oder minder ausgeprägtes Umweltschutzverhalten beim Entsorgen des Hausmülls. In diesen Studien wurde die Bedeutung der Kontextbedingungen für die Ausführung von umweltfreundlichem Verhalten eindeutig nachgewiesen. In einer Studie von Schaupp (2011) zeigte sich, dass individuelles Mobilitätsverhalten bei Arbeitspendler*innen auch bei starker Naturverbundenheit nicht umweltfreundlicher ausfiel als bei weniger starker Naturverbundenheit. Da diese Resultate nicht den Erwartungen entsprachen, wurde gefolgert, dass die strukturellen und situativen Faktoren des Arbeitsweges, wie Wohnort, Länge der Pendelstrecke zur Arbeitsstelle, Infrastrukturangebote etc., den Einfluss der Naturverbundenheit auf das Mobilitätsverhalten zunichtemachen. Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen ebenfalls die große Bedeutung struktureller und situativer Rahmenbedingungen für die Ausübung individuellen nachhaltigen Verhaltens. Offenbar wirken sowohl interne Faktoren, wie Naturverbundenheit, als auch externe Faktoren, wie geeignete Rahmenbedingungen, förderlich auf umweltrelevantes Verhalten. Es ist jedoch festzuhalten, dass in aller Regel intrinsische Faktoren das Verhalten wirkungsvoller und langfristiger steuern als eine kurzfristige Modifikation der Kontextfaktoren. Gelingt es jedoch, die Kontextfaktoren im Sinne des Umweltschutzes zu gestalten, dann zeigen auch wenig naturverbundene oder umweltbewusste Personen das gewünschte Verhalten.

Für die Herausbildung umweltbezogener Verhaltensweisen stellt die Naturverbundenheit einen wesentlichen internen Faktor dar, der intrinsisch motiviertes Verhalten bedingt. Naturverbundenheit sollte daher bei Planungen im Rahmen von Design und Evaluation berücksichtigt werden. In einer rezenten Literaturstudie wurde das Potential von Naturverbundenheit für das Erreichen der Ziele von Umweltmanagement im Detail herausgearbeitet. Persönliche Werte und Einstellungen sollten daher vermehrt bei solchen Managementprozessen berücksichtigt werden, wird gefolgert (Restall & Conrad, 2015).

3.2 Naturverbundenheit, Gesundheit, Wohlbefinden und Gesundheitsvorsorge

Eine gesunde Umwelt bildet die Grundlage für das Wohlbefinden und die Gesundheit der Bevölkerung (Frumkin, 2001; Hartig et al., 2014; Health Council of the Netherlands, 2004), ja für das Bestehen des Planeten. Umweltschützer werden seit Jahrzehnten nicht müde, auf diesen Sachverhalt hinzuweisen. In Zeiten großer Hitze, Dürre, brennender Wälder auf der einen Seite und Starkregen, Überschwemmungen und Abgängen von Muren auf der anderen Seite, wie im Sommer 2019, sorgen sich zunehmend mehr Menschen um Klimawandel, Gesundheit und Wohlbefinden. Naturverbundene Personen zeigen nicht nur umweltfreundliches Verhalten, sondern Naturverbundenheit hängt auch mit Gesundheit und Wohlbefinden zusammen, dies wird in diesem Abschnitt dargestellt.

Die gemeinsame Betrachtung von 21 Studien über den Zusammenhang zwischen Naturverbundenheit und Wohlbefinden zeigte, dass naturverbundene Menschen mehr positive Gefühle, bessere Vitalität und größere Lebenszufriedenheit berichteten als weniger naturverbundene (Capaldi, Dopko & Zelenski, 2014). Bereits 2004 wiesen Mayer und Frantz auf die Bedeutung der Naturverbundenheit für das Wohlbefinden sowohl der Natur als auch des Menschen hin. Mayer et al. (2009) ließen Versuchspersonen in einer experimentellen Studie 15-minütige Spaziergänge entweder in einer natürlichen oder in einer urbanen Umgebung durchführen. Sie sollten dabei gleichzeitig über ein persönliches Problem reflektieren. Dabei stellte sich heraus, dass die Versuchspersonen in der natürlichen Umgebung mehr positive Gefühle erlebten, besser über das gewählte Problem nachdenken konnten und eine höhere aktuelle Naturverbundenheit zeigten. Die Naturverbundenheit erwies sich dabei als wichtige Mediatorvariable für die erhobenen positiven Effekte der Natur auf das menschliche Wohlbefinden.

Beim Vergleich der positiven Auswirkungen von realer Naturerfahrung mit Erfahrungen virtueller Natur in Form von Videoaufnahmen stellte sich heraus, dass beide Bedingungen ähnliche Effekte auf die Naturverbundenheit zeigten. Die Effekte der realen Natur waren allerdings größer. Die virtuelle Natur hatte jedoch größere Effekte auf das Wohlbefinden als die urbane Umgebung. Um die positiven Effekte der Natur auf das Wohlbefinden und die subjektive Gesundheit erleben zu können, ist es also am besten, sich tatsächlich in der Natur aufzuhalten. Falls dies nicht möglich ist, bietet eine Simulation natürlicher Landschaften immer noch eine gute Möglichkeit, die positiven Auswirkungen der Natur zu genießen und Naturverbundenheit zu entwickeln (Mayer et al., 2009).

Auch im Bereich der naturbezogenen Therapieformen, wie zum Beispiel der Gartentherapie, nimmt die Naturverbundenheit einen wichtigen Stellenwert für die Erklärung gesundheits- und wohlbefindensbezogener Effekte ein. Im Modell des Sozialen und Therapeutischen Gartenbaus von Sempik et al. (2005) stellt die Naturverbundenheit eine der theoretischen Grundlagen für Gesundheit, Wohlbefinden, Selbstwert, soziale Eingliederung und die Erfüllung spiritueller Bedürfnisse dar. In einer Studie von Cervinka et al. (2009) wurde die Naturverbundenheit neben positiven Erlebnissen und Gefühlen als ein zweiter wesentlicher Wirkfaktor für die Gartentherapie empirisch bestätigt. Auch in der integrativen Therapie spielt die Ökophilie, also die Naturliebe und emotionale Verbundenheit mit der Natur, eine wesentliche Rolle für die biopsychosoziale Gesundheit (Petzold, 2006).