SIBYLLE TOBLER

Neuanfänge –
Veränderung wagen
und gewinnen

Impressum

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2013 by J. G. Cotta'sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

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Cover: Weiß-Freiburg GmbH – Graphik & Buchgestaltung

Foto: © Xavi Arnau/istockphotos

Abb.: Microsoft ClipArts

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-86115-0

E-Book: ISBN 978-3-608-10377-9

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20315-8

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Inhalt

Einleitung: Was im Umgang mit Veränderung vorwärtsführt

1. BEREITSCHAFT, genau hinzuschauen:
Bewusst wahrnehmen

1.1 Ihre Wahrnehmung bestimmt Ihr Handeln

1.2 Ihre Wahrnehmung wird beeinflusst durch Ihre Lebensorientierung

1.3 Sie können Ihre Wahrnehmung ändern!

1.4 Schlüsselfrage: Ist meine Wahrnehmung motivierend und hilfreich?

1.5 Anregungen

1.6 Zwischenhalt

2. ENTSCHLOSSENHEIT und MUT, vorwärtszugehen:
Entscheiden und handeln

2.1 Sie brauchen einen Horizont, der Sie motiviert, vorwärtszugehen

2.2 Entscheiden Sie, Kurs zu nehmen auf Ihren motivierenden Horizont

2.3 Mögliche Wege erkunden, entscheiden, losziehen und dranbleiben

2.4 Schlüsselfrage: Gehe ich in Richtung eines motivierenden Horizontes?

2.5 Anregungen

2.6 Zwischenhalt

3. VERTRAUEN »anzukommen«:
Mit dem Leben zusammenarbeiten

3.1 Vertrauen – Ein inneres Wissen, dass Sie »ankommen« werden

3.2 Der »Vertrauenskreis« – Wie Sie Vertrauen Raum geben

3.3 Unterwegs im »Vertrauenskreis«

3.4 Schlüsselfrage: Gebe ich wirklich Vertrauen Raum?

3.5 Anregungen

3.6 Zwischenhalt

4. Was Sie gewinnen, wenn Sie Veränderung wagen

Bücher zum Weiterlesen

Einleitung: Was im Umgang mit Veränderung vorwärtsführt

»Es ist nie zu spät, so zu sein,

wie man es gerne gewesen wäre.«

George Eliot

Dieses Buch ist geschrieben für Menschen, die Veränderung produktiv angehen wollen. Es ist geschrieben für Menschen, die motiviert sind, einer Veränderung in ihrer Lebenssituation offen, selbstverantwortlich und vertrauend zu begegnen; die bereit sind, Veränderung zu wagen; und die verstehen wollen, worauf es dabei ankommt.

Möglicherweise sind Sie so jemand?

Vielleicht finden Sie die Veränderung überhaupt nicht schön, sind durch Ereignisse überrumpelt worden, die Sie sich nicht gewünscht haben – und doch wollen Sie jetzt herausfinden, wie Sie auf gute Weise vorwärtsgehen können. Möglicherweise freuen Sie sich auch. Veränderung kann erwünscht, erhofft sein. Sie wollen Ihren Beitrag leisten, dass das, worüber Sie sich freuen, gedeihen kann. Vielleicht hören Sie aber auch eine innere Stimme, die Ihnen sagt, dass es Zeit ist, sich dafür zu engagieren, dass Ihre Situation anders wird, als sie heute ist. Sie spüren eine Kraft, die Sie ermutigt, Veränderung zu wagen.

Ob Sie durch ein Ereignis zu Veränderung gezwungen werden oder ob Sie Veränderung auf eigene Initiative angehen – was Sie dabei weiterbringt, ist universal und unabhängig von Umständen. Wenn Sie verstehen, was in der Essenz im Umgang mit Veränderung förderlich ist, können Sie dies in jede Situation »übersetzen«.

Sie können Veränderungen produktiv angehen. Immer. Sie können Veränderungen mutig und vertrauend begegnen. Sie sind auch unerwünschten Veränderungen nicht ausgeliefert. Sie können Situationen nicht immer sofort ändern, aber Sie können immer bestimmen, wie Sie Situationen begegnen.

Veränderungen sind mehr als allenfalls lästige Störung. Veränderungen fordern Sie nicht nur auf, Verantwortung zu übernehmen und zu tun, was Sie tun können – sie laden Sie auch ein, neu zu bestimmen, wohin und wie Sie vorwärtsgehen. »Es ist nie zu spät, so zu sein, wie man es gerne gewesen wäre.« Veränderungen ermuntern Sie zu klären, wie Sie »gerne gewesen« wären, und es zu wagen, entsprechend zu handeln. Sie haben alles, was Sie dazu benötigen, in sich. Veränderungen bedeuten nicht, dass Sie ein anderer Mensch zu werden brauchen. Veränderungen bedeuten vielmehr, dass Sie sich bewusst werden und nutzen lernen, was schon in Ihnen angelegt ist. Veränderungen sind Ausgangspunkt für persönliches Wachstum. Dies rückt Ihre aktuelle Situation in ein neues Licht.

Üben Sie sich darin, nicht defensiv auf Veränderungen zu reagieren, sondern kreativ zu agieren. Üben Sie sich darin, nicht gegen Veränderungen zu kämpfen, sondern diese so anzugehen, dass Sie als Mensch wachsen. So werden Sie gewinnen: Sie werden nicht nur erfahren, dass Sie die Entwicklung der Dinge positiv beeinflussen können. Sie werden auch erleben, dass Sie dabei ein Stück mehr der Mensch werden, der Sie sind. Dadurch werden nicht nur Ihr Selbstvertrauen und Ihr Vertrauen ins Leben gestärkt, sondern Sie werden auch in Situationen kommen, die Ihnen entsprechen und Raum für Entfaltung geben.

Dieses Buch unterstützt Sie in diesem Prozess. Sie erhalten einerseits Informationen darüber, was für einen förderlichen Umgang mit Veränderung zentral wichtig ist. Sie erhalten andererseits Anregungen, wie Sie dies in Ihrer Situation umsetzen können. Beides ist wichtig: verstehen und umsetzen; wissen und tun.

Es ist wichtig zu verstehen, was einen förderlichen Umgang mit Veränderung ermöglicht. Drei Dimensionen spielen eine essenzielle Rolle: Bereitschaft, genau hinzuschauen, Entschlossenheit und Mut, vorwärtszugehen, sowie Vertrauen, »anzukommen«. Bereitschaft, genau hinzuschauen, heißt, die Bereitschaft aufzubringen, bewusst wahrzunehmen. Ihre Wahrnehmung bestimmt wesentlich, wie Sie einer Veränderung begegnen. Oft realisieren Menschen dies nicht. Bereitschaft, genau hinzuschauen, bedeutet, dass Sie bereit sind, sich ein klares Bild Ihrer Situation zu machen sowie sich bewusst zu werden, wie Sie diese Situation wahrnehmen. Es bedeutet, dass Sie motivierende und hilfreiche Sicht- und Denkweisen entwickeln. Dies ist im Umgang mit jeder Veränderung die Grundlage, auf der Sie Ihre Zeit und Kraft optimal einsetzen und auf eine Weise handeln können, die Sie vorwärtskommen lässt. Um diese Dimension der Wahrnehmung geht es in Kapitel 1. Entschlossenheit und Mut, vorwärtszugehen, heißt, den Mut aufzubringen, zu entscheiden und zu handeln. Veränderung produktiv anzugehen, erfordert, dass Sie aktiv dazu beitragen, in positive neue Situationen zu gelangen. Dazu brauchen Sie einen Horizont, der Sie motiviert, vorwärtszugehen, ein inneres Bild, wohin Sie gelangen wollen, was Ihnen entspricht. Ein solcher Horizont gibt Ihnen Energie und Orientierung. Es erfordert Entschlossenheit und Mut, Kurs zu nehmen auf diesen Horizont. Um diese Dimension des Handelns geht es in Kapitel 2. Vertrauen, »anzukommen«, heißt schließlich, mit dem Leben zusammenzuarbeiten. Die Dimension des Vertrauens erinnert daran, dass Prozesse und Resultate nicht abgezwungen werden können, sondern zugelassen werden dürfen. Prozesse verlaufen nicht schneller und besser, wenn Sie Druck machen. Im Gegenteil. Prozesse können sich am besten entwickeln, wenn Sie entschlossen tun, was Sie tun können, und zugleich offen bleiben für Lösungen, die sich ergeben. Damit geben Sie dem Vertrauen Raum, dass es auch für Sie möglich ist, in positive neue Situationen zu gelangen. Je mehr sich dieses Vertrauen entwickeln kann, desto leichter und flotter kommen Sie voran. Um diese Dimension des Vertrauens geht es in Kapitel 3.

Es ist aber auch wichtig, diese drei Dimensionen in die eigene Situation zu »übersetzen«. In den Kapiteln 1.5, 2.5 und 3.5 finden Sie Anregungen dazu.

Dieses Buch ist Resultat jahrelanger Erfahrungen in der Begleitung von Hunderten von Menschen in Veränderungsprozessen. Es fließen auch zentrale Elemente meiner Forschungstätigkeit ein. Das Buch stellt die Bündelung meiner wichtigsten Erkenntnisse dar. Sein Inhalt ist ohne Vorkenntnisse nachvollziehbar, weil er an Lebensprinzipien anschließt, die Sie aus eigener Erfahrung kennen, auch wenn Sie sich vielleicht bisher nicht so bewusst damit beschäftigt haben. Der Inhalt des Buches ist vielseitig anwendbar. Richte ich mich hier an Menschen, die motiviert sind, Veränderung selbst anzupacken, so wird das Buch auch all denen Impulse geben, die solche Menschen begleiten.

An dieser Stelle geht ein herzlicher Dank an alle, die mich in meiner Arbeit inspirieren: Menschen, die ich in ihren Veränderungsprozessen begleitet habe; Menschen in meinem privaten Umfeld und bekannte Persönlichkeiten, die mir aufgefallen sind durch ihre mutige Art, mit Veränderungen umzugehen; sowie mein Mann, Bert Wenkenbach, mit dem ich immer wieder Veränderungen durchlaufe. Sie alle haben mich bestärkt, dieses Buch zu schreiben. Von ihnen habe ich Wichtiges gelernt. Sie haben immer wieder die Bedeutung der hier beschriebenen Dimensionen bestätigt. So finden Sie in diesem Buch auch Fallbeispiele. Ich freue mich, wenn Sie daraus Mut schöpfen für Ihren Umgang mit Veränderung. Außer bei öffentlich bekannten Personen und Hinweisen auf eigene Erfahrungen sind alle Namen im Text geändert.

»Veränderung wagen und gewinnen« wird möglich, wenn Sie die drei Dimensionen – Bereitschaft, genau hinzuschauen, Entschlossenheit und Mut, vorwärtszugehen, sowie Vertrauen, »anzukommen« – verstehen und in Ihre Situation übertragen. Je nach Umständen und Persönlichkeit können einzelne Aspekte mehr oder weniger Gewicht haben. Gewichten Sie, was Sie in Ihrer Situation für bedeutend und hilfreich halten.

Von Herzen wünsche ich Ihnen auf Ihrem Weg viel Mut, die nötige Ausdauer, positive Erfahrungen und immer auch Neugierde, Freude und Leichtigkeit. Sie werden »ankommen«!

1 BEREITSCHAFT, genau hinzuschauen: Bewusst wahrnehmen

»Wir können unsere eigene Situation

als Himmel oder als Hölle erfahren –

alles hängt von unserer Wahrnehmung ab.«

Pema Chödrön

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Wenn sich in unserer Lebenssituation etwas verändert bzw. wenn wir etwas verändern wollen oder müssen, steht oft das Handeln im Zentrum: Was kann ich tun? Wie verhalte ich mich gegenüber dieser Veränderung? Möglicherweise lehnen wir uns auf. Vielleicht wollen wir nicht wahrhaben, was ansteht, lenken uns ab. Möglicherweise lassen wir Dinge hilflos über uns ergehen. Oder das Gegenteil: Wir wollen alles sofort lösen. Vielleicht beginnen wir aber gerade jetzt, uns mit Vehemenz für das, was uns wichtig ist, einzusetzen. Wie auch immer: Wir sind beschäftigt damit, Dinge zu tun oder zu lassen, uns zu der Veränderung auf bestimmte Weise zu verhalten.

Meist fragen wir nicht, warum wir einer Veränderung so begegnen, wie wir es tun. Meist fragen wir nicht, ob wir wirklich ein klares Bild unserer Situation haben und ob unser Handeln in dieser Situation optimal ist.

Viele Menschen sind sich nicht bewusst, dass die Art, wie sie einer Veränderung begegnen, damit zu tun hat, wie sie ihre Situation wahrnehmen, worauf sie ihre Aufmerksamkeit lenken, was sie denken, glauben und fühlen.

Alles, was Sie tun – oder auch nicht tun –, kommt nicht aus dem Nichts, sondern wird ausgelöst durch die Art, wie Sie wahrnehmen. Ihre Wahrnehmung bestimmt, wie Sie eine Veränderung angehen, und beeinflusst damit, welche Resultate Sie erzielen. Die folgenden beiden Beispiele veranschaulichen dies.

Fallgeschichte

Hans, Ende sechzig und sehr vital, erhielt aus heiterem Himmel die Diagnose einer nicht heilbaren, schnell voranschreitenden Krebserkrankung. Die Konfrontation mit einer enormen Veränderung. Er sah, wie es um ihn stand – er machte sich keine Illusionen. Zugleich richtete er seine Aufmerksamkeit darauf, dass er bisher gesund und erfüllt gelebt hatte, und darauf, dass er die Gelegenheit erhielt, Abschied zu nehmen. Er war dankbar, dass er Zeit hatte, noch zu machen, was ihm wichtig war. Er nahm sehr bewusst Abschied von Tätigkeiten, Orten, Menschen. Er genoss, was ihm in der kurzen Zeit noch möglich war. Daraus schöpfte er Kraft für den Umgang mit der Krankheit. Diese Kraft wirkte auf sein Umfeld.

Fallgeschichte

Eine andere Situation: Barbara, Ende vierzig, erhielt ebenfalls plötzlich die Diagnose einer schnell voranschreitenden Krebskrankheit. Die Diagnose verschärfte die ohnehin schon belastete Lebenssituation: Barbara lebte in einer Ehe, in der sie unglücklich war. Es war nur noch etwas mehr, was zu ihrem Unglück dazukam – so nahm Barbara es wahr. Barbaras Aufmerksamkeit war und blieb auf ihr Unglücklichsein und die damit verbundenen Konflikte gerichtet. Sie brauchte enorm viel Kraft dafür und ließ sich dadurch davon abhalten, das zu machen, was ihr wichtig und noch möglich war.

Zwei ähnlich herausfordernde Situationen. Zwei unterschiedliche Wahrnehmungen. Zwei unterschiedliche Weisen, mit Veränderung umzugehen. Hans brachte die Bereitschaft auf, genau hinzuschauen. Es war ihm klar, dass er es mit einer unheilbaren Krankheit zu tun hatte. Zugleich lenkte er seine Aufmerksamkeit auf Zufriedenheit über Gewesenes und auf Möglichkeiten der noch verbleibenden Zeit. Beides befähigte ihn, die wenigen restlichen Monate seines Lebens optimal zu nutzen und erfüllend zu gestalten. Das Umfeld reagierte mit großem Respekt. Hans machte es anderen leicht, auf ihn zuzugehen, was wiederum zu vielen aufbauenden Erfahrungen führte. Hans starb gelöst – er hatte das Bestmögliche aus seiner Situation gemacht. Anders bei Barbara. Sie brachte die Bereitschaft nicht auf, genau hinzuschauen. Sie wich der Konfrontation mit ihrer Situation aus. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit nicht auf das, was ihr jetzt wichtig und noch möglich war. Sie erschöpfte sich in destruktiven Wahrnehmungen. Dadurch verbaute sie sich die Erfahrung, Lösungen finden zu können und darin Kraft zu tanken. Sie hätte die Diagnose auffassen können als letzten Aufruf, die Situation rund um ihre Ehe genau anzuschauen, Prioritäten zu setzen und Maßnahmen zu treffen. Sie hatte den Wunsch, die letzten Monate allein zu wohnen. Es war ihr ein Anliegen, dass ihr Bruder nach ihrem Tod eine wichtige Rolle in der Erziehung ihrer Kinder spielen würde. Dieser und seine Familie waren dazu auch gerne bereit. Doch Barbara richtete ihre Aufmerksamkeit und Kraft nicht auf solche konstruktiven Möglichkeiten. Sie starb in Stress, unglücklich und ihre Kinder in einer ungeregelten Situation hinterlassend. Auf den ersten Blick scheint es verständlich, dass Barbara und Hans aufgrund ihrer Lebensumstände unterschiedlich auf eine ähnliche Diagnose reagierten. Es scheint logisch, dass ein älterer Mann, der zufrieden auf sein Leben zurückblickt, sich positiver auf eine solche Situation einstellt als eine Frau Ende vierzig mit Kindern. Doch selbst wenn dies so wäre – ebenso gut hätte Hans in Panik geraten und Barbara die Diagnose als Impuls verstehen können, jetzt zu ändern, was noch möglich war. Entscheidend ist hier zu erkennen, wie die Wahrnehmung einer Situation den Umgang damit bestimmt.

Es ist wichtig, vor allem Handeln genau hinzuschauen: Was ist das für eine Veränderung, die ansteht? Aber auch: Wie nehme ich meine Situation wahr? Worauf lenke ich meine Aufmerksamkeit? Was sehe ich? Was denke, glaube und fühle ich? Wie wirkt sich dies aus?

Genaues Hinschauen lässt entdecken, wo Wege weiterführen.

1.1 Ihre Wahrnehmung bestimmt Ihr Handeln

»Der Vorfahre jedes Tuns ist ein Gedanke.«

Ralph Waldo Emerson

Genaues Hinschauen beginnt damit, dass Sie Veränderung benennen. Indem Sie sich bewusst sind, dass die Art, wie Sie diese Veränderung wahrnehmen, wesentlich bestimmt, wie Sie handeln, haben Sie den Schlüssel in der Hand, Veränderung produktiv anzugehen.

Basis erfolgreichen Handelns: Veränderung benennen

Veränderung zu benennen heißt: Klarheit schaffen, wie und wo Veränderung ein Thema ist (Ausgangslage), sowie auf den Punkt bringen, wozu diese Veränderung herausfordert (Inhalt). Etwa: »Ich bin unsicher, ob ich den Schwerpunkt auf meine Karriere oder doch lieber auf meine Familie legen will – es geht darum: Wie kann ich eine zu mir passende Antwort auf diese Frage finden und entsprechend handeln?« Oder: »Ich habe Mühe mit der bevorstehenden Pensionierung; ich habe das Gefühl, niemand zu sein, wenn ich nicht arbeite – es geht darum: Was hilft mir, diesen Übergang so anzugehen, dass ich mich darauf freuen kann?«

Manchmal fällt es nicht schwer, Veränderung zu benennen: Sie trennen sich von Ihrem Partner. Die Veränderung liegt darin, dass Sie Ihr Leben ohne diesen Menschen neu ausrichten. Oder Sie sind durch eine Herzkrankheit gezwungen, Ihre bisherige Berufstätigkeit aufzugeben. Die Veränderung beinhaltet, dass Sie einen neuen Umgang mit Ihrem Körper einüben und abklären, was beruflich möglich ist.

Manchmal stellt aber bereits das Benennen einer Veränderung eine Herausforderung dar. Sie hören eine innere Stimme, die sagt: »Das kann es doch nicht sein!« oder »Wenn du so weitermachst, tut dir das nicht gut!« Sie fühlen eine Unruhe, vielleicht Unzufriedenheit, vielleicht auch einen Druck. Dinge sind diffus, Sie spüren, dass etwas ansteht, aber Sie vermögen (noch) nicht auf den Punkt zu bringen, was. Möglicherweise stellt das Benennen einer Veränderung auch eine Herausforderung dar, weil mehrere Veränderungen gleichzeitig anstehen und nicht ohne Weiteres klar ist, wo zu beginnen ist. Wie können Sie Veränderung benennen, wenn Dinge diffus oder mehrere Themen miteinander verwoben sind? Indem Sie die Bereitschaft aufbringen, genau hinzuschauen. Das heißt: Indem Sie innehalten, dem nachgehen, was Ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht, und wie ein Detektiv erkunden, wohin diese Spur führt. Wenn Sie etwa eine innere Stimme hören, die sagt: »Wenn du so weitermachst, tut dir das nicht gut!« Erkunden Sie: Was heißt »so weitermachen«? Aha, das heißt, am Arbeitsplatz so weiterzumachen, obwohl mehrere Anzeichen auf Rot stehen. Und schon können Sie die Veränderung benennen: »Es geht darum, die Arbeitssituation unter die Lupe zu nehmen, zu klären, was dort verbessert werden kann, bzw. allenfalls eine neue berufliche Perspektive zu entwickeln.« Das gleiche Vorgehen ermöglicht auch in Situationen, in denen mehrere Veränderungen gleichzeitig anstehen, auf den Punkt zu bringen, wo anzusetzen ist. Bei Barbara, von der in der Einleitung zu diesem Kapitel die Rede war, ging es vordergründig um die durch die Krankheitsdiagnose ausgelöste Veränderung. Auf den ersten Blick würde man annehmen, dass Veränderung hier beinhaltete, die optimalen medizinischen Therapien zu finden und einen passenden Umgang mit der Krankheit zu entwickeln. Doch die Krankheit konfrontierte sie mit einer anderen, länger anstehenden Veränderung: Einer Veränderung in der Partnerschaft. Letztlich beinhaltete Veränderung hier die Herausforderung, die private Situation noch so weit in Ordnung zu bringen, dass Barbara in Frieden sterben und die Kinder in einer geregelten Situation hinterlassen konnte. Hätte Barbara sich ihre Situation genau angeschaut und erkundet, worauf ihre Aufmerksamkeit gerichtet war, wäre sie schnell auf ihr Unglücklichsein gekommen – darüber sprach sie auch oft. Dann hätte sie weiterfragen können: Was genau löst dieses Gefühl aus? Auch hier lag die Antwort auf der Hand: die jahrelangen Konflikte mit ihrem Partner, aber auch die Sorgen um die Erziehung ihrer Kinder in dieser gespannten Situation. Und schon hätte sie Veränderung benennen können: »Ich muss damit rechnen, nicht mehr viel Zeit zu haben. Es geht darum, dass ich unter diesen Umständen die Situation in der Partnerschaft so weit wie möglich stehen lasse, um meine Zeit und Energie für eine gute Regelung für die Kinder nutzen zu können und für das, was mir jetzt guttut.«

Manchmal wird dem Benennen einer Veränderung ausgewichen. Barbara hatte nicht auf den Punkt gebracht, um welche Veränderung es bei ihr ging. Sie hatte vermutlich Angst, ihrem Unglücklichsein wirklich in die Augen zu sehen; nicht nur darunter zu leiden, sondern sich mit aller Konsequenz klarzumachen, dass sie selber dazu beitragen konnte, sich besser zu fühlen. Für das Ausweichen vor dem Benennen einer Veränderung gibt es nur ein Rezept: die Bereitschaft aufzubringen, dies zu ändern. Was dazu ermutigt, ist die Erkenntnis, dass mit Ausweichen die Belastung nicht verschwindet. Mit dem Benennen einer Veränderung legen Sie die Basis, auf der Sie die Entwicklung der Dinge beeinflussen und dazu beitragen können, in positive neue Situationen zu gelangen. Sie übernehmen Verantwortung. Das stärkt Ihre Selbstachtung und setzt Kräfte frei. Nehmen Sie sich an der Hand. Sie können nur gewinnen. Sie werden erfahren, dass dort, wo Sie Ausweichmanövern ins Auge schauen, Energie frei wird. Sie werden eine neue Seite an sich entdecken: Bereitschaft und Fähigkeit, Klarheit zu erlangen.

Wenn Sie Veränderung benennen, ist es enorm wichtig, dass Sie Ihre gesamte Lebenssituation im Blick haben und möglichst genau auf den Punkt bringen, um welche Veränderung es im Kern geht. Veränderung beeinflusst die ganze Lebenssituation. Veränderungen in einem Bereich können mit Veränderungen in anderen Bereichen einhergehen. Nicht immer steht Veränderung dort oder nur dort an, wo es auf den ersten Blick scheint. Seien Sie sich dessen bewusst, erkunden Sie Ihre gesamte Lebenssituation und fragen Sie kritisch: »Geht es wirklich um die Veränderung, die ich jetzt benannt habe? Ist das wirklich alles? Oder geht es noch um etwas anderes?« Genaues Hinschauen beinhaltet, dass Sie nicht nur Ausgangslage und Symptome wahrnehmen und benennen, sondern auch, dass Sie danach fragen, was diesen zugrunde liegt, ob es einen gemeinsamen Nenner gibt und wo anzusetzen ist. Bleiben Sie nicht bei Symptomen hängen. Insbesondere, wenn es an mehreren Orten gleichzeitig »brennt«, haben Menschen oft die Tendenz, atemlos Feuer zu löschen. Sie sind sehr beschäftigt, haben das Gefühl, keine Zeit zu haben, einmal genau hinzuschauen. Häufig führt dies zu Frustration und Erschöpfung statt zu einer Verbesserung der Situation. Worauf solche Menschen dann oft noch »mehr desselben« tun. Nicht selten führt dies in einen Burnout. Nehmen Sie sich Zeit und erkunden Sie, was hinter den Phänomenen liegt, die Sie zurzeit in Atem halten mögen. Dazu kann es nützlich sein, sich die Frage zu stellen, wie es zur aktuellen Situation gekommen ist und in welcher Reihenfolge all die »Feuer« entstanden sind, die Sie jetzt löschen möchten. Möglicherweise finden Sie einen gemeinsamen Nenner – dass beispielsweise die Überlastung am Arbeitsplatz, Schlafstörungen und Konflikte in der Partnerschaft darauf zurückzuführen sind, dass Sie Mühe haben, Prioritäten zu setzen, dies zu Arbeitsbergen führt, was sich wiederum negativ auf Schlaf und Beziehung auswirkt. Im Kern würde Veränderung hier beinhalten zu lernen, Prioritäten zu setzen. Indem Sie auf den Punkt bringen, worum es in Ihrer Situation geht, schaffen Sie die Basis, Veränderung wirksam angehen zu können.

Abbildung 1 auf Seite 18 fasst das bisher Gesagte zusammen.

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Abbildung 1

Die gleiche Situation kann unterschiedlich wahrgenommen werden!

Ebenso wichtig wie das Benennen einer Veränderung ist es, sich zu vergegenwärtigen, wie Sie diese wahrnehmen.

Wir nehmen Veränderung unterschiedlich wahr. Ja, die gleiche Situation kann sehr unterschiedlich wahrgenommen werden. Während die eine Person eine Kündigung als Katastrophe wahrnimmt, sieht die andere darin eine Möglichkeit, einen beruflichen Schritt zu wagen. Während die eine Person Konflikte in der Partnerschaft als unlösbar einstuft, sieht die andere darin den Anlass zu klären, wie sie die Situation verbessern kann. Während die eine Person eine Erkrankung für hoffnungslos hält, versteht die andere diese als Impuls, mit Vehemenz Prioritäten zu setzen. Wie im Zitat am Anfang von Kapitel 1 zum Ausdruck kommt: Wir können dieselbe Situation als Himmel oder als Hölle erfahren.

Warum ist das so? Ihre Wahrnehmung ist nicht die Wirklichkeit, sondern Ihre Sicht der Wirklichkeit. Das ist den meisten Menschen freilich oft nicht bewusst. Häufig wird die eigene Wahrnehmung für die Wirklichkeit gehalten, die Wahrnehmung der Situation mit der Situation selbst verwechselt. Wir sagen etwa: »Es ist doch so, dass ich meine Stelle verliere!«, »Es ist doch so, dass mein Mann mich abwertet!«, »Es ist doch so, dass ich unheilbar an Krebs erkrankt bin!« Das sind Wahrnehmungen, Teilabbildungen von Wirklichkeit. Es sind Abbildungen dessen, wie die Person, die so spricht, Wirklichkeit sieht, worauf sie ihre Aufmerksamkeit lenkt. Wenn jemand eine Kündigung erhalten hat, ist es so, dass diese Person nicht mehr in dieser Stelle arbeiten wird. Dies als Verlust zu sehen, ist eine Möglichkeit, diese Wirklichkeit wahrzunehmen. Die Person könnte auch sagen: »Es ist doch so, dass ich die Möglichkeit erhalte, beruflich noch etwas anderes zu machen!« Wo sich eine Frau von ihrem Mann abgewertet fühlt, ist ihre Aussage Abbildung einer Wirklichkeit, in der es eine Störung gibt. Sie könnte auch sagen: »Es ist doch so, dass ich mir klar werden will, wie ich unabhängig vom Verhalten meines Mannes in eine Situation komme, in der ich mich gut fühle.« Selbst die Aussage des Krebspatienten ist eine Teilabbildung von Wirklichkeit; die Person könnte auch sagen: »Es ist so, dass ich an Krebs erkrankt bin und vielleicht nicht mehr lange zu leben habe, aber es ist auch so, dass ich meine Gesundheitskräfte mobilisieren kann, um das zu tun, was mir jetzt wichtig ist.« Wahrnehmung ist Abbildung und Interpretation eines Teils der Wirklichkeit – eine mögliche Art, Ereignisse, Situationen, Beziehungen zu sehen. Es gibt auch andere.

Ihre Wahrnehmung ist wie eine Brille, durch die Sie Ihre Situation, eine Veränderung, sich und andere Menschen sehen. Durch diese Brille rücken bestimmte Dinge in den Vordergrund, während andere im Hintergrund bleiben. Mit Ihrer Wahrnehmung gewichten und filtern Sie. Sie fokussieren Ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte, während Sie andere unbeachtet lassen. Was nun entscheidend ist: Worauf richten Sie Ihre Aufmerksamkeit? Was rücken Sie in den Vordergrund? Was bleibt im Hintergrund? Der Aufmerksamkeitsfokus ist entscheidend: Worauf Sie Ihre Brille richten, bestimmt, was Sie sehen.

Aufgrund dessen, was Sie durch Ihre Brille sehen, entwickeln Sie bestimmte Gedanken, Überzeugungen und Gefühle. Sie denken: »Ich habe jetzt keine Zeit!«, »Warum muss mir das passieren?«, »Ich will nichts damit zu tun haben!« oder auch: »Was kann ich hier tun?«, »Das ist gut so!«, »Endlich!« Sie interpretieren, erklären das, was Sie sehen. Sie halten Dinge für möglich, andere für unmöglich. Sie glauben, dass es aussichtslos ist oder dass Sie das schaffen werden. Sie sind überzeugt, dass Sie ungerecht behandelt werden. Oder dass Sie Glück im Unglück haben. Sie werten und kategorisieren. Sie halten etwas für falsch oder für richtig, für unangebracht oder angemessen. Aufgrund dessen, was Sie sehen, denken und glauben, entwickeln Sie Gefühle: Was Sie sehen, macht Ihnen Angst. Oder löst Freude aus. Sie ärgern sich. Oder sind begeistert.

Aufmerksamkeitsfokus, Sehen, Denken, Glauben und Fühlen bilden eine Kette: Worauf Sie Ihre Aufmerksamkeit richten, bestimmt, was Sie sehen. Was Sie sehen, bestimmt, was Sie denken und glauben. Was Sie denken und glauben, bestimmt, was Sie fühlen. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf etwas richten, können Sie etwas anderes nicht sehen, schließen damit bestimmte Gedanken, Überzeugungen und Gefühle aus. Wenn Sie ins Dunkel schauen, sehen Sie Dunkelheit. Wenn Sie ins Licht schauen, sehen Sie Helligkeit. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das richten, was Sie nicht wollen, werden Sie entdecken, was Sie stört, belastet, unglücklich sein lässt. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das richten, was Sie sich wünschen, werden Sie erkennen, was Ihnen wichtig ist. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Probleme richten, türmen sich Probleme vor Ihnen auf. Sie denken: »Das ist schwierig!« oder: »Das ist doch ein Riesenproblem!« Sie glauben: »Das schaff ich kaum!«, »Es ist unmöglich, dass es dafür eine Lösung gibt!« Sie sind entmutigt, resignieren vielleicht oder ärgern sich. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Möglichkeiten und Lösungen richten, entdecken Sie Möglichkeiten und Lösungen. Sie denken: »Hier gibt es doch sicher eine Möglichkeit!« oder: »Ich habe noch immer eine Lösung gefunden!« Sie glauben »Ich werde Wege finden, wie ich das anpacken kann!« Sie strahlen Zuversicht und Optimismus aus.

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Abbildung 2

In Abbildung 2 ist die Kette von Aufmerksamkeitsfokus, Sehen, Denken, Glauben und Fühlen zusammengefasst.

Nicht die Situation, sondern Ihre Wahrnehmung bestimmt Ihr Handeln

Warum ist es wichtig, sich damit zu beschäftigen, wie Sie wahrnehmen?

Es ist wichtig, weil Ihre Wahrnehmung bestimmt, was Sie tun. Ihr Handeln entsteht aufgrund dessen, was Sie zuvor sehen, denken, glauben, fühlen. Es sind nicht Umstände, Personen, Geld, Glück, Schicksal oder Gott, die entscheiden, wie Sie eine Veränderung angehen. Es ist Ihre Wahrnehmung, das, was Sie sehen, denken, glauben, fühlen. Wenn Sie eine Veränderung als Katastrophe wahrnehmen, werden Sie anders entscheiden und handeln, als wenn Sie sie als Aufforderung und Chance verstehen, einen Schritt weiter zu kommen im Leben. Wenn Sie sich als machtloses Opfer von Umständen verstehen, werden Sie anders handeln, als wenn Sie überzeugt sind, dass Sie Einfluss nehmen können auf Ihre Situation. Wenn Sie denken, Sie könnten etwas nicht tun, weil Sie das Geld dazu nicht haben, werden Sie anders entscheiden und handeln, als wenn Sie überzeugt sind, dass Sie zuerst alles Ihnen Mögliche tun müssen, bevor Sie sagen, dass es nicht geht.

Ihre Wahrnehmung fördert bestimmte Handlungsrichtungen und schließt andere aus. Sie handeln aufgrund dessen, was Sie sehen, denken, glauben, fühlen. Sie handeln nicht aufgrund dessen, was Sie nicht sehen, nicht denken, nicht glauben, nicht