Eine Dänin als Großmutter väterlicherseits

Großvaters Frau, Henriette Christine Bernhardine Arnold, geb.1866, kaufte sich nach seinem Tod in ein Stift für alte Damen an der Landwehr in Hammerbrook ein, um dort einen ruhigen Lebensabend zu verbringen. Da sie mit 81 Jahren relativ alt geworden ist, habe ich sie noch mit vollem Bewusstsein erlebt. Sie war eine sehr liebe, freundliche, zurückhaltende Frau, die es mit meinem recht robusten Großvater sicherlich nicht leicht hatte. Sie war Dänin aus Sonderburg und lebte mit ihrem Bruder Harald Schmidt in Hamburg, als mein Opa sie im Sonderburg-Klub kennenlernte. Ihre Geschwister Christian, Dora und Christina waren in die USA ausgewandert.

Vor dem zweiten Weltkrieg besuchte ich meine Großmutter mit meinem Vater oft in ihrem Stift. Sie empfing uns dann in ihrem Appartement immer schwarz gekleidet mit einem großen, weißen Spitzentuch auf der Brust, einem sogenannten Jabot.

In ihrem kleinen Appartement lernte ich die Anfänge des Rundfunks kennen. Mein Vater hatte ihr ein kleines Detektorradio gebaut. Man musste sich einen Kopfhörer aufsetzen und vorsichtig eine offene kleine Walze drehen, über die eine feine Stahlfeder gespannt war. Mit etwas Geschick und größter Verwunderung konnte ich dann Sprache und Musik einiger Sender hören.

Dieses Damenstift ging in einer der Bombennächte Ende Juli 1943 in Flammen auf wie praktisch alle anderen Häuser in den Stadtteilen Hamm, Hammerbrook und Hasselbrook, denn dort tobten, durch Flächenbrände verursacht, die berüchtigten Feuerstürme. Bei höchster Temperaturentfaltung, die Glas zum Schmelzen brachte, rissen sie alles mit sich in gewaltige, kaminartige Feuerschlote und raubten den Menschen den Sauerstoff zum Atmen. Oma Arnold hatte das große Glück, dass sie sich in einen Park flüchten konnte, der unmittelbar beim Stift lag und auf dessen Wiesen noch Sauerstoff zum Atmen verblieb.

Sie ist dann nach ihrer Rettung durch Luftschutzkräfte in die Wohnung ihrer Tochter Olga und deren Mann nach Duderstadt im Eichsfeld, südlich des Harzes, evakuiert worden. Dort lebte sie mit ihnen die letzten zehn Jahre bis zu ihrem Tode in sehr beengten Verhältnissen in der kleinen Wohnung eines Fachwerkhauses. Duderstadt ist eine wunderschöne, mittelalterliche Stadt, deren Fachwerkhäuser schön anzusehen sind; nur es lebte sich in ihnen auch fast noch wie im Mittelalter.

Meine Großeltern väterlicherseits gehörten zu den glücklichen Menschen, die im ersten und zweiten Weltkrieg ihr  Leben nicht verloren, nicht aus ihrer Heimat vertrieben wurden und keine körperlichen Beeinträchtigungen erfuhren, und dennoch wurde auch ihr Leben durch diese Kriege nachhaltig negativ beeinflusst. Mein Großvater verlor infolge des ersten Weltkrieges seine wirtschaftliche Existenz. Meiner Großmutter blieb durch die Ausbombung in Hamburg der ruhige, selbstbestimmte Lebensabend verwehrt, den sie sich durch den Einkauf in das Damenstift erhofft hatte. In dem engen Zusammenleben in einer zu kleinen mittelalterlichen Wohnung mit ihrer Tochter und deren Mann, die über diese Situation auch keinesfalls erfreut waren, wurden ihre letzten Lebensjahre sicher sehr eingetrübt, was meine Mutter einmal zu der Aussage veranlasste, sie wolle in ihrem Alter auf keinen Fall bei einem ihrer Kinder leben.

Meine Großmutter Henriette Arnold verstarb mit 81 Jahren in Duderstadt, Spiegelbrücke 9, am 8. Dezember 1947.

Oma Arnold mit ihren Kindern Margarethe, Wilhelm und Dora

Tante Dora und Tante Olga 1965 in Duderstadt

Tante Dora und Tante Erna 1975 in New York

Wenden als Großeltern mütterlicherseits

Meine Großeltern mütterlicher-seits hatten einen kleinen Bauernhof in dem sehr alten Weiler Finkenthal, der etwa sechs Kilometer südlich von Gnoien an der Landstraße zu Dagun liegt. Der Marktflecken Gnoien befindet sich etwa 30 km südöstlich von Rostock. Das Dorf Finkenthal hat eine sehr alte Geschichte. Sie geht  auf eine Gründung durch Wenden, also Sorben, zurück. Auch der Namen „Templin“ meines am 17. 4. 1867 geborenen Großvaters ist sorbischen Ur-sprungs. In der gleichen Region gibt es auch eine kleine Stadt mit dem Namen Templin.

Es war eine andere, märchenhafte Welt, in die ich in den Sommerferien als Fünf- bis Neunjähriger eintauchte, wenn ich mit meiner Schwester und meiner Mutter in den Ferien zu ihren Eltern nach Finkenthal fuhr. Tourismus gab es damals noch nicht, jedenfalls nicht in unserer kleinbürgerlichen Welt. Man fuhr in die „Sommerfrische“ aufs Land zu seinen Verwandten, die fast jeder Städter dort noch hatte. Hamburg wurde oft als Hauptstadt von Mecklenburg bezeichnet, weil der Zuzug aus Mecklenburg besonders groß war.

Es war für mich als Großstädter immer eine Fahrt in eine abgelegene, verwunschene Welt. Das kam schon in der Annäherung mit den Zügen zum Ausdruck. Die Verkehrsmittel wurden nach jedem Umsteigen immer altmodischer und liebenswerter. In Hamburg fuhren wir mit einem modernen Zug ab, der von einer schweren Dampflokomotive gezogen wurde und bei dem jeder Waggon diverse Abteile für jeweils sechs Personen hatte, die alle eine eigene Tür besaßen und durch zwei übereinanderliegende, durchlaufende Trittbretter verbunden waren. Aber schon in Güstrow stiegen wir in einen Zug viel älterer Bauart um, und in Teterow wechselten wir dann in einen Zug aus einer anderen, vergangenen Welt. Er wurde von einer kleinen, alten Dampflokomotive gezogen. Die Waggons besaßen keine eigenen kleinen Abteile, sondern waren durchgängig zwischen ihren beiden Enden, an denen der Zugang jeweils über offene Perrons führte. Die Wagen hatten noch harte Holzsitze und waren mit einem eisernen Ofen mit einem langen Ofenrohr ausgestattet.

Nach der Ankunft in Gnoien wurde es dann noch ländlicher, denn wir wurden von Onkel Walter, dem Bruder meiner Mutter, mit einem von einem Pferd gezogenen, offenen Leiterwagen mit großen, eisenberingten Speichenrädern abgeholt. Platz zum Sitzen gab es nur auf dem Kutschbock für meine Mutter und ihren Bruder, der die Zügel hielt. Wir Kinder machten es uns auf dem Holzboden des Leiterwagens bequem, der aus einem langen Brett bestand, oder lehnten uns an eine der beiden Seitenteile, die wie breite Leitern aussahen, und an jeweils zwei schräg stehende Holmen angelehnt und wohl auch befestigt waren. Sie gaben dem Wagen seinen Namen. Diese Leiterwagen wurden insbesondere für den Transport von Getreide und Heu benutzt.

Die Fahrt durch den Wald und die Felder dauerte nicht allzu lange, und immer wenn wir an eine bestimmte Stelle kamen, an der der Nachbar Westphal, von dem das Pferd ausgeliehen war, einen Acker besaß, schwenkte das Pferd automatisch in den Feldweg ein und musste entsprechend korrigiert werden.

Das Dorf Finkenthal liegt abseits der Landstraße. Eine kurze Stich-straße führt vom Dorf zur Landstraße, die Gnoien mit Dagun verbindet. Das Zentrum des Weilers bildet ein ovaler, unbebauter Anger, der von großen, alten Eichen eingerahmt wird. An diesem Anger liegt der Friedhof, in dem eine kleine Fachwerkkirche von 1750 steht, die auf einem etwa einen Meter hohen Sockel von Findlingen erbaut ist. Auch das kleine Fachwerkhaus der damals einklassigen Schule lag am Anger.

Neben dem Friedhof stand ein großer hufeisenförmiger Gutshof. Die Reihe der Ställe und Scheunen auf der einen Seite und auf der gegenüberliegenden Seite die langgezogenen, einstöckigen Wohnun-gen des Gesindes rahmten das Herrenhaus ein, das zwischen ihnen lag. Das war ein schlichter, zweistöckiger Bau, der nur in der Mitte durch seinen zweiseitigen, mit einem schmiedeeisernen Gitter versehenen Aufgang zur großen Eingangstür etwas aus dem Rahmen fiel. Heute befindet sich hier ein leerer Platz, auf dem lediglich an einer Seite ein kleiner, flacher, fensterloser Bau steht, dessen Funktion nicht erkennbar ist. In seinem kalkigen Weiß wirkt er wie ein Störfaktor am Dorfanger. Die Russen und ihre Nachfolger, die Vertreter des Arbeiter- und Bauernstaates der DDR, haben ganze Arbeit geleistet. An den Gutshof erinnert nichts mehr, selbst die vielen alten Bäume wurden entfernt.

Ich hatte mich mit dem etwa gleichaltrigen Sohn des Gutsbesitzers angefreundet und erlebte mit ihm viele schöne und für mich, der ich aus der Großstadt kam, ungewohnte Dinge. So sah ich, wie der übermächtige, kraftstrotzende Bulle von vier Männern mit Tauen am großen Nasenring gehalten wurde, wenn er aus dem Stall geführt wurde, um eine Kuh zu decken.

Ich habe verwundert gesehen, dass die zum Verzehr vorgesehenen Tauben kopflos noch eine Zeit lang durch die Luft flatterten, nachdem man ihnen mit dem Beil auf dem Holzbock den Kopf abgeschlagen hatte.

Den ammoniakartigen Geruch im Pferdestall habe ich immer als sehr angenehm empfunden. Dort standen vier edle Reitpferde und einige schwere Arbeitspferde.

Die Kuh- und Schweineställe haben mein Interesse weniger wecken können. Aber der Hofhund, ein Münsterländer Jagdhund, hatte immer meine volle Aufmerksamkeit. Wenn der Mähwagen über die Kornfelder fuhr und hinter sich einen Streifen freien Stoppelfeldes mit den Laufröhren der Feldmäuse freilegte, dann sprang der Hund aufgeregt hin und her, um möglichst viele der aufgeschreckten, ihrer Deckung beraubten Mäuse tot zu beißen.

Nach dem Mähen der Getreidefelder, auf denen noch viele schöne rote Mohn- und blaue Kornblumen wuchsen, kam immer ein großes Ungetüm in den Ort, eine Dreschmaschine, die die Ähren vom Stroh befreite, die Ähren drosch, das Korn in Säcke abfüllte und das Stroh in viereckigen, gebundenen Ballen ausspuckte. Der sonore Lärm dieser überdimensionierten Maschine, ihr ganztägiges tiefes, gleichmäßiges Brummen mit eingefügtem Knattern und Zischen bestimmte dann wie Musik für einige Tage den Alltag im Dorf.

Die Strohballen wurden auf den Feldern an der Landstraße zu großen, haushohen Quadern aufgeschichtet. Wir erkletterten sie und funktionierten sie oben zu kleinen Burgen um, in denen wir uns sicher fühlten. Der Versuch mit Dosen und einem Band mit der Besatzung einer anderen Burg zu kommunizieren, gewissermaßen zu telefonieren, ist zu unserer Enttäuschung immer wieder fehlgeschla-gen.

An der dem Gutshof gegenüberliegenden Seite des Angers führt eine unbefestigte Straße in den Wald, umrundet den nördlichen Teil des Dorfes, verlässt den Wald wieder und wird zu einer kurzen, mit Feldsteinen befestigten Straße, an der beidseitig die Siedlungshöfe der Teilerwerbsbauern liegen. Sie mündet dann nach etwa 150 Metern in die Stichstraße ein, die das Dorf mit der Landstraße verbindet. An der dem Dorfteich zugewandten Straßenecke liegt der Hof meiner Großeltern.

Es war und ist ein kleiner Hof. Ein Siedlungshaus mit kleinem, blumengeschmücktem Vorgarten, einem Hofplatz, noch mit Pumpe, der begrenzt wird durch eine Scheune, einen Stall, einen Holzschuppen und den großen, tiefen Garten, der sich an der Stichstraße entlang bis zur Brahmskuhle, dem Dorfteich, hinzieht.

Auf dem Hof lebte meine verwitwete Großmutter und ihr Sohn Walter mit seiner Frau Emma, die meine Schwester Ingrid und ich als sehr unfreundlich und unzufrieden empfanden. Wir versuchten immer, ihr aus dem Wege zu gehen.

Nach dem Einmarsch der Russen wurde Tante Emma wie viele andere Frauen in der sowjetisch besetzten Zone vergewaltigt. Onkel Walter, der das zu verhindern versuchte, wurde von den Russen krankenhausreif geschlagen. Allein in Berlin sollen 200.000 Frauen und Mädchen vergewaltigt worden sein, wobei die Dunkelziffer natürlich sehr hoch ist. Die Mutter meines Schulfreundes Erich erzählte einmal, dass in ihrem Dorf die Frauen abends auf dem Marktplatz in einer Reihe antreten mussten und die Russen sich dann ihr Opfer aussuchten. Solche Praktiken trieben viele Frauen in den Tod.

Meinen Großvater hatte ich nur in sehr jungen Jahren noch erlebt. Er wirkte sehr alt und war von uns Kindern kaum noch ansprechbar. Wenn das Wetter es zuließ, saß er gern stundenlang auf einem Stuhl neben der Hoftür und wärmte sich in der Sonne. Er hatte das Grauen und die Brutalität des Schlachtens in den Grabenkämpfen an der Westfront des 1. Weltkrieges miterlebt.

An meine Großmutter, Anna Templin, geborene Westphal, erinnere ich mich als eine sehr freundliche, liebe Frau, zu der wir Kinder uns immer hingezogen fühlten. Sie litt unter regelmäßigen, starken Kopfschmerzen, gegen die sie immer, wie sie sagte, „ihr weißes Pulver“ einsetzte, das sie in Gnoien vom Apotheker in einem flach gefalteten Papier erhielt. Sie starb leider schon mit 54 Jahren an Krebs. Das war sehr bedrückend, ein schwerer Schatten fiel über das Haus, was auch meine Schwester Ingrid und mich sehr bedrückte. Vor der Beerdigung wurde der Sarg noch einige Tage in der „guten Stube“ aufgebahrt. Während ich sonst immer durch dieses Wohnzimmer auf die Straße ging, nahm ich jetzt lieber den Umweg über den Hof um das Haus herum, weil mir der Weg am Sarg vorbei zu beklemmend war.

Die Bezeichnung „Wohnzimmer“ trugen die „guten Stuben“ bei den Bauern und auch bei vielen Städtern zu Unrecht. Sie wohnten in der Küche. Das Wohnzimmer besaß eine rein repräsentative Funktion. Dort wurde nur gegessen und zusammengesessen, wenn Besuch im Hause war. In der Wohnung meiner Eltern in Hamburg war das glücklicherweise nicht mehr der Fall. Wir wohnten in der „guten Stube“, und mein Vater sprach von den vielen, bei denen es noch nicht der Fall war, immer abschätzig von „Küchenbewohnern“.

Meine Großeltern hatten fünf Kinder. Es waren dies in der Reihenfolge ihrer Geburt Walter, meine Mutter Elsbeth, Grete, Otto und Ilse. Nur Walter, der erstgeborene Sohn, konnte auf dem Hof bleiben und ihn übernehmen. Alle anderen Kinder mussten ihre Heimat in sehr jungen Jahren verlassen, da der Hof sie nicht ernähren konnte; meine Mutter schon mit 16 Jahren. Die Mecklenburger gingen in solchen Fällen nach Rostock, insbesondere aber nach Hamburg, weil dort am ehesten Arbeitsplätze zu finden waren. Die Mädchen gingen meist „in Stellung“, sie verdingten sich als Dienstmädchen in großbürgerlichen Haushalten gegen sehr geringen Lohn, aber gegen Unterkunft und Verpflegung. Durch wachsende Erfahrung konnten sie sich, wie meine Mutter im Hause eines bekannten Juweliers, in der Küche von einer Zugehfrau bis zur „Kaltmamsel“ hocharbeiten, die für die Zubereitung der kalten Speisen verantwortlich war. Nach einigen Jahren wurde meine Mutter zum Mädchen für alles und sogar zum Kindermädchen.

Erste Anlaufstelle für meine Mutter und ihre Geschwister war in Hamburg ihre Tante Martha, eine Schwester meiner Großmutter, die in Hamburg mit einem Taxifahrer verheiratet war und zur Miete in einer Wohnung am Mühlenkamp in Winterhude, nicht unweit der Außenalster, wohnte. Dort gewährte sie den Kindern der Familie Templin so lange Aufenthalt, bis diese eine Anstellung und Unterkunft gefunden hatten.

Meine Großeltern unterhielten in Finkenthal in ihrem Stall zwei Kühe und mehrere Schweine. Wenn die Schweine mittags gefüttert werden sollten, wurden in einem großen Kessel Kartoffeln gekocht. Sobald die Pellkartoffeln dem Kessel entnommen und gestampft, mit etwas Milch und geschrotetem Korn versehen wurden, erklang jedes Mal ein aufgeregter Chor laut grunzender und quiekender Schweine, die sich abdrängten und übereinander kletterten, um sich möglichst gute Plätze an der Futterrinne zu sichern. Damals lachte ich darüber, und erst viele Jahre später merkte ich, dass diese Verhaltensweise sinnbildlich auch im menschlichen Zusammenleben durchaus verbreitet ist.

Regelmäßig schlachtete Onkel Walter eines der Schweine, denn es wurde in der Familie viel Fleisch gegessen. Nach der Schlachtung gab es dann immer eine würzige Blutsuppe mit Graupen. Bald nach dem Schlachten hingen dann auf dem Speicher an der Decke wieder die schmackhaften, würzigen Leberwürste, die nach einem alten Rezept zubereitet wurden, und die unübertroffenen Mettwürste, wie ich sie nie wieder mit diesem feinen, würzigen Geschmack gegessen habe. Auch Schinken und Speckseiten hingen dort in Leinensäcken an den Querbalken auf Abruf. Auf den sauberen Holzdielen des Bodens lagen neben Speck-Mausefallen aufgeschüttete kleine Berge von Weizen, Gerste und Roggen.

Onkel Walter beeindruckte mich immer wieder, wenn er sich zum Frühstück Spiegeleier machte und sich dazu acht Eier in eine große Pfanne schlug, in der einige breite Scheiben Schinkenspeck schmorten. Trotz dieser aus heutiger Sicht ungesunden Ernährung ist er fast siebzig Jahre alt geworden. Er musste allerdings als Teilerwerbsbauer und in seinem Beruf als Maurer immer körperlich hart arbeiten.

Das Einsammeln der von den Hühnern gelegten Eier erwies sich immer als schwierig, denn die vielen Hühner waren nicht dazu zu bewegen, ihre Eier immer an derselben Stelle abzulegen. So gestaltete sich das Suchen als sehr aufwendig. Selbst unter den Büschen, die den Hof begrenzten, scharrten sie kleine Nester in den Sand und legten ihre Eier dort hinein.

Die Enten waren dagegen sehr viel disziplinierter und pflegeleichter. Jeden Morgen sammelten sie sich zur gleichen Zeit und watschelten, mit dem Erpel an der Spitze, eine hinter der anderen im Gänsemarsch, oder besser Entenmarsch, auf dem Fußweg, der am Garten des Grundstückes entlang führte, zu der etwa 80 Meter entfernten „Brahmskuhle“. Das war der Feuerlöschteich, der an den Garten meiner Großeltern angrenzte. Am späten Nachmittag kamen sie dann immer wieder zur gleichen Zeit, eine hinter der anderen, auf dem gleichen Weg zurück. Immer, wenn ich an Finkenthal denke, habe ich auch die kleinen gelben Bällchen der Entenküken vor Augen, die in einem großen mit einem Tuch abgedeckten Korb schnatterten, der auf der äußersten Seite des großen Herdes stand, wo dieser nur noch eine mäßige Wärme verbreitete.

Die Brahmskuhle lag in der Mitte des Dorfes. Der kreisrunde Teich  besaß einen Durchmesser von etwa fünfzehn Metern. Mit der Brahmskuhle verbinde ich viele angenehme Erinnerungen. Dort ließ ich mit meinem Freund „Schiffe“ fahren, die wir aus der dicken Borke von Kiefern schnitzten und mit Gänsefedern als Segel versahen. Schwimmen konnten wir noch nicht, aber wir wagten uns mutig auch selbst auf dieses „Meer“ unserer Phantasie mit kleinen Flößen aus Brettern, die wir auf runde Stämme nagelten. Mit großen Bohnenstangen bewegten wir uns stakend fort.


Mit Freunden an der Brahmskuhle

Besonders stolz war ich immer, wenn ich mit dem Sohn des Gutsbesitzers eines der schweren Arbeitspferde des Gutes nach getaner Arbeit zur Tränke in die Brahmskuhle reiten durfte.

Das buschige Ufer des Teiches am Garten meiner Großmutter nutzten wir, um von ihm aus im Schutze von Fliederbeerbüschen über den Zaun in den Garten meiner Großeltern zu klettern. Denn dort in der Tiefe des Gartens verborgen stand ein Birnbaum, der große, besonders saftige Butterbirnen trug.

Unvergesslich ist mir der wochenlange Mecklenburger Landregen, wie es ihn heute in dieser Ausprägung wohl nicht mehr gibt. Tag für Tag, zwei oder drei Wochen lang oder auch länger, fiel im Sommer ein gleichmäßiger, nicht sehr starker Regen. Mit seinen immer gleichen, nicht enden wollenden Geräuschen erzeugte er eine monotone, fast melancholische Stimmung.

Mit meinem Freund saß ich dann meist in unserem Holzschuppen. Wir schnitzten Schiffe aus Borke und Flöten aus Holunderzweigen, aus denen wir das Mark entfernt hatten. Solche ausgehöhlten Holunderzweige kleinerer Ausprägung nutzten wir auch als Pfeifenstiele. Ausgehöhlte Kastanien dienten uns als Pfeifenköpfe. Als Tabak rauchten wir die braunen Fäden, die von den Spitzen der Maiskolben herunterhingen. Ununterbrochen platterte gleichmäßig der Regen mit trommelnden Geräuschen auf die Teerpappe des Schuppendaches, tropfte in kleinen Rinnsalen von der Dachtraufe auf den sandigen Boden, in dem sich kleine Abflüsse bildeten. Es roch in dem Schuppen sehr intensiv nach einer unvergesslichen, angenehmen Mischung aus Holz, Harz und Regen.

Der Holzschuppen war zur Belüftung so gebaut, dass zwischen den kleinen senkrechten Stämmen immer einer fehlte, so dass wir hinaus sehen konnten. Wir bekamen alle Geräusche des Regens mit und hörten, wie die Tropfen in den Sand platschten, sahen auch den Himmel, an dem wir kleine Zeichen für eine Wetterbesserung zu entdecken hofften. Aber er blieb meist hoffnungslos grau.

An der Straße stand vor jedem Hof ein mannshoher Bock, auf den die Bauern früh morgens ihre großen Milchkannen aus Zink stellten. Wenn dann morgens der mit zwei Pferden bespannte Milchwagen aus Gnoien kam, übernahm er die vollen Kannen und stellte die mitgebrachten leeren auf den Bock. Unser Hof war der erste, der angefahren wurde, und ich durfte, wann immer ich wollte, auf dem Kutschbock mitfahren. Sobald alle Milchkannen in der kleinen Siedlungsstraße übernommen worden waren, ging es mit Peitschenknallen in schnellem Lauf der Pferde mit scheppernden Milchkannen auf dem abschüssigen, unbefestigten Weg in den Wald hinein, im Halbkreis um das Dorf herum und wieder aus dem Wald heraus in die ebenfalls unbefestigte Straße zu den Bauernhöfen am Anger. Ich hatte immer den Eindruck, dass das schnelle Traben durch das Waldstück den Pferden genau so viel Spaß machte wie mir. Ich genoss jedenfalls die schnelle Fahrt auf dem weichen Waldboden. Zu dieser frühen Morgenstunde war es noch kühl und die Gerüche des Waldes schienen noch intensiver zu sein, als es sonst der Fall war.

Ein besonderes Erlebnis war es auch immer wieder, wenn zweimal in der Woche der Bäckerwagen aus Gnoien kam. Er wurde von einem Pferd gezogen und war ein verschlossener Kastenwagen. Wenn er bei uns hielt und hinten die große Tür geöffnet wurde, entströmte ihm ein geballter, unbeschreiblich verführerischer Duft aus einer Mischung von Zucker, Butter, Honig, Zimt, Mandelmasse und ähnlichen süßen Leckereien. Ich bekam dann jedes Mal ein Stück Kuchen, meistens einen „Amerikaner“, ein Stück aus Mürbeteig mit Zuckerguss.

Um Zuckerstangen und andere süße Leckereien ging es immer in der Kirmes, die einen ganz besonderen Reiz hatte, denn sie fand an der Landstraße zwischen Gnoien und Finkenthal im Kiefernwald statt. Die vielen bunten Verkaufsstände und Vergnügungsattraktionen standen im Wald verstreut unter den Bäumen. Das verlieh dieser Kirmes immer eine ganz besondere Atmosphäre.

Nach der ersten Nacht der schweren, zehntägigen Luftangriffe auf Hamburg im Juli/August 1943, in der unser Viertel massiv in Mitleidenschaft gezogen war (rund herum brannte es oder die Häuser waren durch Sprengbomben zerstört), floh meine Mutter mit meiner Schwester und mir zu ihren Eltern nach Finkenthal. Weil unsere Wohnung beschädigt wurde und nicht mehr bewohnbar war, lebten wir ungefähr ein Vierteljahr in Finkenthal im Haus der Großeltern. Unsere Wohnung in Hamburg lag im vierten, obersten Stockwerk. Sie war schwer beschädigt, weil durch das Dach und die Wohnzimmerdecke eine Brandbombe eingeschlagen war und einen Brand entfacht hatte. Eine Luftmine, die auf der Straße vor dem Haus explodierte, zerstörte alle Fenster und Türen. Glücklicherweise wurde nach etwa drei Monaten im Hause in der zweiten Etage eine Wohnung frei, die wir dann beziehen konnten.

So nahm ich in Finkenthal auch einige Wochen am Schulunterricht in der dortigen einklassigen Schule teil. Sie bestand aus nur einem Klassenraum, in dem die Kinder aller Jahrgänge gleichzeitig unterrichtet wurden, insgesamt etwa zwölf Kinder. Es gab nur einen Lehrer, da dieser aber zugleich leidenschaftlicher Imker war, ging er während des Unterrichts sehr oft zu seinen Bienenvölkern und überließ dann den Unterricht der ältesten Schülerin, meiner Cousine Inge. In dieser Einklassenschule schrieben wir noch mit dem Griffel auf Schiefertafeln, an denen ein Schwamm zum Auslöschen des Geschriebenen hing. Wir schrieben dort mit der alten, deutschen Sütterlinschrift, die heute kaum noch jemand lesen kann.

Nicht alle mochten mich, den Jungen aus der Großstadt. Schon gar nicht der Sohn des Bauern auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er warf einmal wütend einen großen Stein nach mir, der mich mitten auf der Stirn traf. Da kein Arzt zur Verfügung stand, der die Stelle hätte klammern können, behielt ich eine Narbe als bleibendes Andenken an diesen Burschen. Er hatte offenbar die Fähigkeit, seine Abneigung auch auf den Hofhund, einen Spitz, zu übertragen, denn dieser biss mich, ohne dass er dazu Veranlassung gehabt hätte. Möglicherweise liegt es aber auch in der Art der Spitze, plötzlich und ohne Vorwarnung, unbegründet zuzubeißen.

Ich bin in meinem Leben nur zweimal von Hunden gebissen worden. Beim zweiten Mal war es wieder ein Spitz. Es war Sonntag, und ich spazierte mit meinem Freund bei Flottbek auf dem Elbuferweg, als uns auf meiner Seite eine Dame mit einem Spitz entgegenkam. Aus meiner heutigen Sicht war die Dame jung, aus meiner damaligen Sicht nicht mehr ganz so jung. Da ich mich mit meinem Freund angeregt unterhielt, schenkte ich ihr und ihrem Hund keine Beachtung. Als die beiden fast an uns vorüber waren, drehte sich der Spitz im rechten Winkel um und biss mich ohne Vorwarnung in die Wade, was einen Dreiangel in meiner Hose zur Folge hatte. Die Dame entschuldigte sich lebhaft und erklärte, sie könne Kunststopfen. Sie gab sich untröstlich und wollte unbedingt einen Termin zum Kunststopfen bei ihr vereinbaren. Das machte mich misstrauisch und gab mir Veranlassung zu der Vermutung, dass der Hund dressiert war, um ihr junge Männer zum kunstvollen Stopfen und/oder Ähnlichem ins Haus zu holen. Ich entschied mich daher, die Hose bei ihr nicht auszuziehen. Damals hatte ich so kurz nach dem Krieg nur eine gute lange Hose.

Nach Bildung der DDR im Herbst 1949 blieb mir keine Möglichkeit mehr, in den Ferien in die ländliche Abgeschiedenheit Finkenthals einzutauchen. Die Grenze zur DDR, zu der Mecklenburg gehörte, war dicht. Es gab keine Einreisegenehmigung, und ich musste mich in den Ferien damit begnügen, in den Trümmerbergen und den ausgebrannten Ruinen zu spielen, die um uns herum reichlich vorhanden waren. Nur meine Mutter bekam für wenige Anlässe noch eine Einreise-genehmigung, nachdem sie ein Dokument unterschrieben hatte, in dem sie erklären musste, dass sie auf alle ihre Erbansprüche an Haus und Hof ihrer Eltern verzichtet.

 

Meine Mutter Elsbeth Templin

Aus dem 1. Weltkrieg nichts gelernt


Von meinem Ur-Großvater existiert das obige Bild, wie er in Uniform in „Knobelbechern“ mit Koppel, Patronentaschen, Pickelhaube, mit Wolldecke umwickelten Tornister und Karabiner etwas deplaziert auf seinem Hof steht. Er wird nicht zu denen gehört haben, die blumengeschmückt, singend, vom Volk bejubelt, mit dem begeistern-den Hochgefühl, dem Franzmann noch einmal kräftig auf den Helm zu schlagen, in Berlin an Kaiser Wilhelm II vorbeigezogen sind, der ihnen zurief: „Weihnachten seid Ihr zurück!“ Aber er hat mit ihnen dann später von 1914 bis 1918 im erbarmungslosen Stellungskrieg vor Verdun und an der Somme in den von Regen aufgeweichten, schlammigen Schützengräben gelegen. Schwerstes Trommelfeuer und Giftgasangriffe waren sein Alltag wie in den Pausen dazwischen der Kampf mit dem Dreck, dem Schlamm, den Läusen und den unzähligen fetten Ratten, die in und um die Schützengräben von den vielen unbeerdigt herumliegenden toten Soldaten reichlich Nahrung fanden.

Welch eine unselige, unfassbar unmenschliche Zeit! In diesem von der deutschen Generalität bewusst als „Abnutzungsschlacht“ betriebenen Stellungskrieg, der den Gegner „ermüden“ und „ausbluten“ lassen sollte, waren die Verluste der Deutschen, Franzosen und Engländer auf engstem Raum so groß, dass in den entsprechenden Regionen, die vielen, übergroßen Soldaten-Friedhöfe sogar landschaftsbildend sind. Endlose Reihen weißer Kreuze bedecken die weit geschwungenen Hügel.

Insgesamt haben im 1. Weltkrieg fast 10 Millionen Männer ihr meist junges Leben lassen müssen, und etwa 20 Millionen Soldaten wurden verwundet. Außerdem wurden ca. 7 Millionen Zivilisten durch Kriegs-einwirkungen getötet.

Und dennoch: Die nächste Generation hatte vom dem sinnlosen, grauenvollem Gemetzel des Krieges nichts gelernt. 20 Jahre später musste sein Sohn, mein Onkel Walter, im 2. Weltkrieg wieder gegen Frankreich in den Krieg ziehen. Er hatte noch Glück, dass seine Einheit an die Westfront nach Frankreich verlegt wurde und nicht an die Ostfront. In den Kämpfen nach der Invasion der Alliierten in der Normandie wurde er gefangen genommen, und kam zur Arbeit auf einen kleinen Bauernhof. Ihm blieb der brutale, hemmungslose Kampf in Russland erspart und die Gefangenschaft in den primitiven Barackenlagern in der Kälte Sibiriens mit härtester körperlicher Arbeit und minimaler Ernährung, aus denen die letzten deutschen Gefangenen erst 1955, zehn Jahre nach Kriegsende, zurückkamen.

Sonstige Verwandtschaft

Onkel Arthur auf der Yacht „Hohenzollern“

des Kaisers Wilhelm II.

Onkel Arthur war der Mann von Tante Olga, der ältesten Schwester meines Vaters. Sie war die einzige seiner vier Schwestern, die in Deutschland geblieben war.

Onkel Arthur war Berliner. Er lief im Alter von 16 Jahren von zuhause weg, um in Hamburg zur See zu gehen. Er muss eine schwere Zeit gehabt haben, da er als Deckshand begonnen hat. Später ließ er sich von der Marine anwerben. Er war ein sogenannter Zwölfender. So nannte man die Berufssoldaten, die zwölf Jahre im kaiserlichen Heer gedient hatten und dann nach ihrer Ausmusterung automatisch Beamte wurden. Onkel Arthur wurde auf diese Weise Zöllner an der holländischen und dann später an der tschechischen Grenze. Über seinen Kampf mit den Schmugglern und ihre Tricks erzählte er gern und viel, über seine Zeit als Seemann seltsamerweise sehr viel weniger.

Auf mehreren Bildern sieht man ihn in einer schicken Paradeuniform mit Schirmmütze, einem an zwei Schnüren am Koppel hängendem

Dolch, weißen Handschuhen und einer Kordel mit geflochtenem Kopf am Koppel. Nach der Uniform zu urteilen muss er einen, wenn auch niedrigen, Offiziersgrad gehabt haben. Seine Funktion war die eines Marinesanitäters oder Sanitätsoffiziers. Was ihn aus der Masse heraushob war der Umstand, dass er auf der Yacht des Kaisers, der "Hohenzollern", Dienst tat. Ich erinnere noch wie er einmal spitzbübisch erzählte, dass die Mannschaft einmal dem Kaiser das Bier „weggesoffen“ hätte.

Onkel Artur auf der Yacht „Hohenzollern“ des Kaisers Wilhelm II. nach Änderung seines Nachnamens von Hasenfuss auf Hagen auf Veranlassung des Kaisers

Ein herausragendes Ereignis seiner Dienstzeit auf der "Hohenzollern" passierte, als das Schiff an der Peer von New York lag, und die Schaulustigen so drängelten, dass ein Junge ins Hafenbecken fiel. Onkel Arthur sprang sofort über Bord und rettete den Jungen. Wie Tante Olga mir erzählte, soll das Ereignis sogar in der örtlichen Presse New Yorks lobend erwähnt worden sein.

Ein anderes Geschehen wirft ein typisches Licht auf Kaiser Wilhelm II. und seine Zeit. Onkel Arthur hieß mit dem Nachnamen Hasenfuß. Als der Kaiser erfuhr, dass ein Hasenfuß, Synonym für einen ängstlichen Menschen, auf seiner Yacht Dienst machte, befahl er, dass dessen Name sofort zu ändern sei. Er gab ihm den Namen Hagen, der aus der Siegfriedsage als tapferer Ritter bekannt ist. Die Urkunde, in der mit großer, schwungvoller Schrift des Kapitäns festgehalten wurde, dass auf Geheiß seiner allerhöchsten Majestät des Kaisers II. Arthur Hasenfuß künftighin den Namen Arthur Hagen tragen wird, schenkte mir Tante Olga.

Onkel Arthur fand einen gnädigen Tod. Als er nach seiner Pensionierung eines Tages im Jahre 1958 wie üblich mit Tante Olga morgens am Frühstückstisch saß, fiel sein Kopf auf die Tischplatte. Er war tot – Herzinfarkt.

Obermaat Artur Hasenfuß


Tante Olga


Tante Olga


Onkel Otto in Norwegen „auf der Flucht erschossen“


Onkel Otto war der jüngere Bruder meiner Mutter. Auch er musste wie drei seiner Geschwister den kleinen Bauernhof der Familie Templin im Weiler Finkenthal bei Gnoien in Mecklenburg in sehr jungen Jahren verlassen. Es gab für ihn weder in dem aus einem Gutshof und wenigen Kleinbauernhöfen bestehendem Finkenthal noch in der nahen Kreisstadt Gnoien eine Arbeitsmöglichkeit. Den kleinen Bauernhof sollte sein erstgeborener Bruder Walter übernehmen, der als Maurer in Gnoien arbeitete und den Hof als Nebenerwerb führen konnte.

Wie vorher schon meine Mutter und später ihre jüngere Schwester  Ilse ging auch Onkel Otto nach Hamburg, das damals als Hauptstadt on Mecklenburg bezeichnet wurde, weil die Stadt ihr Wachstum aus der Zuwanderung von Mecklenburg bezog.

Erste Anlaufstelle in Hamburg war auch in seinem Fall Tante Martha, die Schwester der Mutter meiner Mutter. Sie lebte mit ihrem Mann, einem Hafenarbeiter, der später Taxi gefahren ist, in einer Mietswoh-nung in Winterhude in einem Vieretagenhaus.

Otto begann eine Lehre als Einzelhandelskaufmann und schloss diese auch erfolgreich ab. Er hatte schon in jungen Jahren eine klare politische Einstellung, die ihn in Opposition zu den National-sozialisten führte. So hat mir Tante Olga, die Schwester meines Vaters, einen Brief gezeigt, in dem er ihr schon Anfang der dreißiger Jahre schrieb: „Wenn Hitler an die Macht kommt, dann gibt es Krieg.“ Seiner Schwester Elsbeth, meiner Mutter, prophezeite er: „Es wird Krieg geben, und dann bleibt kein Stein auf dem anderen. Deine Kinder werden einmal nichts zu essen haben.“

Seine Frau, Tante Grete, war bei uns nicht sehr beliebt. Es hieß, sie habe die Hosen an, und Onkel Otto habe bei ihr nichts zu sagen. Aber vielleicht, gab meine Mutter zu bedenken, müsse ein solcher Luftikus eine solche Frau haben. 

Jedenfalls konnte Tante Grete keinen Kuchen nach unserem Geschmack backen. Wenn wir bei Ihr eingeladen waren, sagte mein Vater immer: „Kinder, wir gehen heute wieder Glitschkuchen essen.“ Wir wussten dann, es geht zu Onkel Otto und Tante Grete. Sie hatte eine einmalige Gabe, Hefekuchen zuverlässig so zu backen, dass die mittlere Schicht nicht aufging und sich zu einer feuchten, unappetitlichen Masse verdichtete. Mein Vater meinte, sie könne den Kuchen doch zum Nachbacken in die Sonne legen.

Bei solchen Besuchen sind wir immer durch Harvestehude und über die alte Lombardsbrücke gegangen, um nach Schwane-wik auf die andere Seite der Alster zu gelangen, von wo es nur noch ein Katzensprung bis zur Wohnung von Onkel Otto in der Bülaustraße 8 war. Es wurde damals viel in der Stadt zu Fuß gegangen, für viele Menschen war es einfach zu teuer, die Straßenbahn zu benutzen.

Onkel Otto war zu der Zeit, als ich ihn kennenlernte, selbständiger Geschäftsmann und offenbar kein schlechter. Schräg gegenüber seiner Wohnung hatte er in dem oberen, vom Hauptbahnhof abgewandten Teil der Langen Reihe, einen kleinen Konfitürenladen, und zwar im Souterrain. Man konnte von oben auf die Auslage im Schaufenster hinunter sehen, und man musste ein paar Stufen hinabsteigen, wenn man seinen kleinen Laden betreten wollte.

Ich erinnere mich noch sehr genau, wie mein Vater und ich ihn eines Tages aufsuchten und mein Vater mir Pralinen kaufen wollte. Es gab zwei Ausführungen zu unterschiedlichen Preisen von der Sorte, die mein Interesse geweckt hatte. Großzügig, wie mein Vater war, entschied er sich für die teureren. Onkel Otto sagte dann jedoch: „Dir kann ich es ja sagen, Willy. Nimm ruhig die billigeren, es sind die gleichen. Es gibt außer dem Preis keinen Unterschied.“

Beim großen Luftangriff auf Hamburg im Juli/August 1943 – Onkel Otto war inzwischen im Krieg – wurde ein Teil des viergeschossigen Wohnhauses, in dem er seine Wohnung hatte, von einer Sprengbombe so weggerissen, dass man von der Straße aus in die im dritten Stock liegende Wohnung von Tante Grete sehen konnte. Ein Teil des Fußbodens des Schlafzimmers hing noch in der Luft. Man sah die Tür vom Schlafzimmer und die Tapete mit einem Bild an der Wand. Tante Gretel war froh, dass sie trotzdem die Wohnung zunächst weiter bewohnen konnte, sie durfte nur die Tür zum Schlafzimmer nicht öffnen.

Sie hatte großes Glück gehabt, denn sowohl die rechts und links angrenzenden Häuser in der Bülaustraße, wie auch der Langen Reihe, fielen den Spreng- und Brandbomben zum Opfer. Die Häuserzeilen sind auch heute – mehr als 60 Jahre nach dem Kriege – immer noch nicht wieder aufgebaut worden. Rund um das Haus erstrecken sich immer noch die ebenerdigen, provisorischen Verkaufsbereiche der Firma „Tausend Töpfe“.

Onkel Otto war ein großer, gut aussehender Mann, der nicht ohne Charme war und bei Frauen gut ankam. Er erschien mir immer gut gelaunt, ja fröhlich und spontan zu sein. Geschildert wurde er oft als lebensfroh und leichtlebig aber auch als angeberisch oder gar aufschneiderisch. Immer wenn ich, wie meine Mutter es formulierte, „das große Wort führte“ oder spekulative Pläne entwarf, meinte meine sehr realistische, nüchterne und wenig zu überbordender Phantasie neigende Mutter, ich hätte „Rosinen im Sack“ wie Onkel Otto, ich sei ein wenig wie Onkel Otto.

Mein Vater erzählte mir, Onkel Otto hätte ihn einmal überredet, von Hamburg mit dem Taxi nach Finkenthal in Mecklenburg zu fahren, das immerhin ca. zweihundertfünfzig Kilometer entfernt liegt. Als sie dann dort großspurig ankamen, habe Onkel Otto gesagt: „Willy zahl' schon mal“, und sei ausgestiegen.

Im Krieg war Onkel Otto in Bergen in Norwegen stationiert, jedoch nicht als Soldat, sondern als Angestellter im „Luftgau-Nord“. Wir haben Onkel Otto nie wiedergesehen. Seine Frau, Tante Grete, bekam eines Tages ein amtliches Schreiben, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass er auf der Flucht erschossen worden sei und sie keinen Anspruch auf eine Rente als Kriegerwitwe hätte. Da er immer in Opposition zu den Nazis gestanden hatte, vermuteten wir, dass er den Mund nicht halten konnte und seine Überzeugung geäußert hatte, dass der Krieg nicht zu gewinnen sei, was dann als Wehrkraftzersetzung zu einer standrecht-lichen Erschießung geführt haben kann. Wie wir später hörten, soll er in Begleitung eines deutschen Offiziers versucht haben, in den Bergen über die Grenze in das neutrale Schweden zu gelangen. Also Fahnenflucht für den Offizier aber nicht unbedingt für ihn, denn er war kein Soldat, sondern Zivilangestellter des norddeutschen Luftgaukommandos. Drei Tage vor dem angegebenen Todestag hatte er seiner Frau noch einen ganz normalen Brief geschrieben.

Um 1980 habe ich in Wiesbaden Albrecht (Addi) Göring, einen Neffen von Hermann Göring, kennengelernt, der gesellschaftlich und politisch eine Art Gegenpol zu Onkel Otto war. Er kam nicht aus kleinen Verhältnissen, sondern aus dem großbürgerlichen Milieu Wiesbadens. Er hatte als Generalstabsoffizier den Überfall auf Norwegen geplant, oder – wie er sagte – den Norwegenfeldzug organisiert.

Von der amerikanischen Besatzungsmacht hatte er Berufsverbot bekommen, lebte aber doch sehr gut, da seine Frau in der Adolfsallee in bester Lage ein gediegenes Vieretagenhaus besaß und er unter dem Namen seiner Frau erfolgreich als Immobilienmakler arbeitete. Pikanterweise vermittelten sie überwiegend Objekte für die Amerikaner, die in Wiesbaden ein Headquarter, einen Hubschrauber-flugplatz und ein zentrales Militärkrankenhaus unterhielten. Frau Göring stellte, gut Englisch sprechend, die Kontakte her und vergaß dabei nicht, auf die historische Verwurzelung ihrer Familie in Amerika zu verweisen.

Uns gegenüber renommierte sie mit der Verbindung zu Hermann Göring und zeigte uns stolz Bilder, die sie in Karinhall, dem pompösen Landsitz Hermann Görings, gemacht hatte. Sie zeigte uns übrigens auch eine Regimentsfahne mit Einschüssen aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, an dem einer ihrer Vorfahren als Offizier teilgenommen hatte.

Selbst nach all dem, was inzwischen geschehen war, erzählte ihr Mann nicht ohne Stolz, dass er mit seinem Onkel in vielen Saalschlachten Wiesbaden kommunistenfrei gemacht habe. Auch auf seine Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg in der Legion Condor war er unverkennbar stolz und betonte, dass er noch sehr enge Kontakte zu spanischen Freunden, ehemaligen Franco-Anhängern, habe, die inzwischen hohe Positionen eingenommen hätten. Bezeichnender-weise war seine Bankverbindung die Tochter einer spanischen Bank in Deutschland.

In der Legion Condor war er Stuka-Pilot. Sturzkampfbomber (Stukas) waren Kleinflugzeuge, die ihre Bomben im Sturzflug möglichst weit an das Ziel herantrugen, um die Treffsicherheit zu erhöhen. Der Sturzflug wurde begleitet von einem ohrenbetäubenden, schrillen Sirenengeheul, das durch zwei Fahrtwindsirenen am Fahrwerk der Flugzeuge erzeugt wurde und eine nicht geringe psychologische Wirkung auf den Gegner hatte.

Er war etwas betreten, als ich ihm sagte, in der Kathedrale von Saragossa in Nordwest-Spanien würden an den Seiteneingängen Blindgänger von Bomben der Sturzkampfbomber der Legion Condor hängen, wie ich anlässlich einer Sitzung beim Banco Hispano Americano festgestellt hatte. Es war ihm sichtbar unangenehm, an diese unvorstellbar brutalen Überfälle auf Mensch und Tier erinnert zu werden, wie sie Picasso in seinem Bild „Guernica“ so eindrucksvoll dargestellt hat.

Onkel Harald, ein Däne als Patenonkel

Onkel Harald war mein Taufpate, nach ihm bekam ich meinen ungeliebten zweiten Vornamen Harald. Er war der Bruder meiner Großmutter väterlicherseits. Wie meine Großmutter war er aus Sonderburg, Dänemark, nach Deutschland eingewandert. Ich kannte Onkel Harald leider nur eine kurze Zeit, bis ich als Achtjähriger im Zuge der Kinderlandverschickung Hamburg verlassen musste und erst als Dreizehnjähriger zurückkehren konnte. Da war er jedoch schon verstorben. Ich erinnere ihn als liebenswürdig und fürsorglich.

Onkel Harald war ein leidenschaftlicher Briefmarkensammler. Er besaß eine große und wertvolle Briefmarkensammlung, die ich einmal erben sollte. Leider verbrannte diese Sammlung mit dem gesamten Hausrat, als er bei einem Luftangriff auf Hamburg in der Conventstr. 2 ausgebombt wurde. Seine Frau, Tante Lottchen, und er konnten im Alter von über siebzig Jahren nur das nackte Leben retten. Sie wurden in das ländliche Schnackenburg an der Elbe evakuiert, wo sie „hängen blieben“. Dort verstarb Onkel Harald 1945, Tante Lottchen Ende 1954.

Tante Lottchen war sehr resolut und liebte es, sich in Gesellschaft und auf Veranstaltungen zu bewegen. Im Hamburger Sonderburg-Club spielte sie offenbar eine größere Rolle, obwohl sie Deutsche war. Sie soll an mancher Eheanbahnung nicht unbeteiligt gewesen sein.

Onkel Harald und Tante Lottchen hatten nur ein Kind, den Sohn Harry. Der musste noch während seiner Lehrzeit in einem kaufmännischen Betrieb – wie es hieß „bei Nacht und Nebel“ – auf ein Schiff gebracht werden, das nach Nordamerika fuhr. Er soll, wie man erzählte, „in die Kasse gegriffen haben“. Harry wurde in Elmira, NY, von seinem Onkel Christian Schmidt, einem Bruder meiner Großmutter, aufgenommen, der von Dänemark in die Vereinigten Staaten ausgewandert war.

Onkel Harald sah seinen Sohn Harry nie wieder, Tante Lottchen erst nach dem Kriege, als sie schon weit über 80 Jahre alt war. Sie besuchte ihn 1954 in Chicago mit einem Propellerflugzeug. Dieser lange, anstrengende Flug einer 86-jährigen Frau, die mit einem der ersten Passagier-Flugzeuge nach dem Kriege in die USA flog, um dort ihren Sohn wiederzufinden, wurde in der regionalen Presse von Schnackenburg an der Elbe groß mit Bildern herausgestellt. Diesen Artikel schickte sie uns, und ich konnte darin lesen, dass ihr Sohn in Chicago eine führende Position inne habe.

Viele Jahre später erfuhr ich, dass das auch stimmte, wenn auch in einem anderen Sinne als ich es mir vorstellte. Tante Gretel schrieb uns damals aus New York, dass ihr Mann, Onkel Larry, auf einer seiner Geschäftsreisen im besten Hotel Chicagos abgestiegen sei und sehr verblüfft war, als sich die Fahrstuhltür öffnete, und Harry in führender Position vor ihm stand, nämlich als Fahrstuhlführer.

In den 50er Jahren besuchte uns Harry zweimal. Er war sehr pflegeleicht. Wir brauchten uns kaum um ihn zu kümmern, denn er hielt sich in den acht Tagen fast nur in dem nächstgelegenen Lokal auf, nur eine Ecke weiter in der Schlankreye im Klinkerkeller bei den Holi-Lichtspielen. Wenn er abends spät nach Hause kam, trank er Cognac aus der Tasse. Er war zweifelsfrei sehr trinkfest. Man merkte ihm nie an, dass er viel getrunken hatte. In dem Lokal machte er Freunde, wie die Amerikaner sagen. Den Rückflug trat er mit einem großen Karton an, der mit Andenken in Form von Bierdeckeln, bedruckten Aschenbechern und bedruckten Gläsern gefüllt war.

Was Andenken anging war Tante Gretel, die jüngste Schwester meines Vaters, als Frau eines Millionärs anspruchsvoller. Sie nahm sich im Restaurant des Hotels Vierjahreszeiten eine silberne Zuckerdose mit. Als sie am Tisch ihre Serviette über die Zuckerdose warf, um sie als Souvenir in ihrer Tasche verschwinden zu lassen, wären meine Eltern am liebsten im Erdboden versunken. Sie hatten nicht die Nerven einer amerikanischen Souvenirjägerin.

Von Ellie, meiner Cousine aus New York, erfuhr ich vor einigen Jahren, dass Harry einen Sohn hatte, der im Krieg zu Tode kam, als er über Deutschland als Bomberpilot abgeschossen wurde. Theoretisch könnte er die Bombe abgeworfen haben, die seinen Großvater um Hab und Gut brachte. Auch hier wird der Wahnwitz des Krieges wieder deutlich.

 

  Onkel Otto, seine Frau Grete, meine Mutter, Tante Lottchen,

Onkel Harald, ein mir unbekannter Herr

Tante Else und Onkel Franz – ein ungleiches Paar

Tante Else war eine Cousine meiner Mutter, die auch aus dem Mecklenburgischen kam, und zwar aus Malchin. Sie war eine große, wie man damals sagte, stattliche, vollschlanke Frau. Sie war hübsch, hatte lange, schwarze Haare, ein ansprechendes Gesicht und dunkle, braune Augen.

Ihren Mann, Onkel Franz, lernte sie auf etwas ungewöhnliche Weise kennen. Sie arbeitete als Dienstmädchen in einem Haushalt in der Karolinenstraße in Höhe des Sieveking Platzes. Wenn sie am Küchenfenster zum Innenhof stand, sah sie oft einen jungen Mann auf der gegenüberliegenden Hofseite an einem Fenster. Irgendwann lachten und winkten sie sich zu, und – wie es die Natur so will – kam es dazu, dass sie die Entfernung zwischen den beiden Fenstern überwanden und sich verabredeten. Ein Dienstmädchen, das regelmäßig in beiden Wohnungen zu tun hatte, diente ihnen als Zuträgerin von Kommunikationszetteln.

Als sie sich das erste Mal trafen, war das Erschrecken wechselseitig groß. Tante Else ging davon aus, dass Onkel Franz am Fenster stand, wenn sie ihn sah. Dem war aber nicht so, er saß am Fenster auf einem Schneidertisch, denn er war Schneider, und zwar ein kleines, zartes Schneiderlein, allerdings mit einem ungewöhnlich großen Kopf. Es war ein seltsames Paar. Tante Else war gut zwei Köpfe größer als Onkel Franz und brachte vermutlich das doppelte Gewicht auf die Waage. Auch vom Wesen her waren sie sehr unterschiedlich. Tante Else war weltzugewandt, lebensfroh und kontaktfreudig, ja tempera-mentvoll. Onkel Franz war dagegen eher nachdenklich und in sich gekehrt. Er war verinnerlicht, sehr belesen und neigte zu einer philosophischen Weltbetrachtung. Er versuchte, die Dinge hinter den Dingen zu sehen. Dennoch blieb das ungleiche Paar zusammen und  heiratete. Kinder blieben ihnen zunächst versagt. Erst im höheren Alter bekamen sie eine Tochter, die geistig behindert war und mit 16 Jahren verstarb.

Onkel Franz und Tante Else lebten zunächst im Sommer in einem kleinen Wochenendhaus später dann ganzjährig in ei-nem an dessen Stelle erbauten kleinen Häus-chen auf dem sehr großen Grundstück in Trittau-Feld einige Kilometer vor Trittau bei Hamburg. Dort standen in der Feldmark weit auseinander liegend vier oder fünf Siedlungshäuser, die aus Wochenendhäusern entstanden waren. Sie lagen weitab der Landstraße und waren nur über private, unbefestigte Stichwege zu erreichen.

Mit Onkel Franz und Tante Else vor ihrem Wochenendhaus

in Trittau-Feld beim Großensee

Der hintere Teil des Grundstücks von Tante Else und Onkel Franz fiel in ein mooriges Gebiet ab, in dem früher einmal Torf gestochen worden war. Gegen diesen tief liegenden, durch Buschwerk unübersichtlichen Bereich, der ein verlandeter See gewesen sein muss, war ihr Grundstück nicht abgegrenzt. Jenseits dieser feuchten Senke schloss sich ein höher gelegener, verwilderter Mischwald an, der sich bis zum Mönchsteich erstreckte.

Im Mönchsteich angelte ich einmal früh morgens sehr erfolgreich Karpfen. Aber schon nach kurzer Zeit kam ein Mann angerannt und zerbrach wütend meine Angel über seinem Knie. Er hatte den Mönchsteich gepachtet und zog dort Karpfen groß.

Dieser Flecken Natur war ein herrliches, phantasievolles Spielfeld für einen Jungen wie mich von sechs, sieben Jahren, der die Natur liebte. Ich verbrachte dort in der Abgeschiedenheit der Natur – oft auch mit dem Nachbarsjungen – viele schöne Stunden und Tage. Ich hatte dort einen jungen Baum, in dem ich mich auf einem Ast halb liegend mit weiter Sicht vom Winde schaukeln ließ.