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Eduard von Keyserling

Schwüle Tage

Novelle

Eduard von Keyserling

Schwüle Tage

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
EV: S. Fischer, Berlin, 1916
1. Auflage, ISBN 978-3-962814-56-4

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Schwüle Tage

Schon die Ei­sen­bahn­fahrt von der Stadt nach Fer­now, un­se­rem Gute, war ganz so schwer­mü­tig, wie ich es er­war­tet hat­te. Es reg­ne­te un­un­ter­bro­chen, ein fei­ner, schief nie­der­ge­hen­der Re­gen, der den Som­mer ge­ra­de­zu aus­zu­lö­schen schi­en. Mein Va­ter und ich wa­ren al­lein im Coupé. Mein Va­ter sprach nicht mit mir, er über­sah mich. Den Kopf leicht ge­gen die Sei­ten­leh­ne des Ses­sels ge­stützt, schloss er die Au­gen, als schla­fe er. Und wenn er zu­wei­len die schwe­ren Au­gen­li­der mit den lan­gen, ge­bo­ge­nen Wim­pern auf­schlug und mich an­sah, dann zog er die Au­gen­brau­en em­por, was ein Zei­chen der Ver­ach­tung war. Ich saß ihm ge­gen­über, streck­te mei­ne Bei­ne lang aus und spiel­te mit der Quas­te des Fens­ter­ban­des. Ich fühl­te mich sehr klein und elend. Ich war im Abi­tu­ri­en­tenex­amen durch­ge­fal­len, ich weiß nicht durch wel­che Int­ri­ge der Leh­rer. Bei mei­nen bald acht­zehn Jah­ren war das schlimm. Nun hieß es, ich wäre faul ge­we­sen, und statt mit Mama und den Ge­schwis­tern am Mee­re eine gute Fe­ri­en­zeit zu ha­ben, muss­te ich mit mei­nem Va­ter al­lein nach Fer­now, um an­geb­lich Ver­säum­tes nach­zu­ho­len, wäh­rend er sei­ne Rech­nun­gen ab­schloss und die Ern­te über­wach­te. Nicht drü­ben mit den an­de­ren sein zu dür­fen, war hart; eine glatt ver­lo­re­ne Fe­ri­en­zeit. Schlim­mer noch war es, al­lein mit mei­nem Va­ter den Som­mer ver­brin­gen zu müs­sen. Wir Kin­der emp­fan­den vor ihm stets große Be­fan­gen­heit. Er war viel auf Rei­sen. Kam er heim, dann nahm das Haus gleich ein an­de­res Aus­se­hen an. Et­was er­regt Fest­li­ches kam in das Le­ben, als sei Be­such da. Zu Mit­tag muss­ten wir uns sorg­sa­mer klei­den, das Es­sen war bes­ser, die Die­ner auf­ge­reg­ter. Es roch in den Zim­mern nach ägyp­ti­schen Zi­ga­ret­ten und star­kem, eng­li­schen Par­füm. Mama hat­te rote Fle­cken auf den sonst so blei­chen Wan­gen. Bei Tisch war von fer­nen, frem­den Din­gen die Rede, Orts­na­men wie Ober­mu­stafa ka­men vor, Men­schen, die Pel­la­vi­ci­ni hie­ßen. Es wur­de viel Fran­zö­sisch ge­spro­chen, da­mit die Die­ner es nicht ver­stan­den. Un­ge­müt­lich war es, wenn mein Va­ter sei­ne graublau­en Au­gen auf einen von uns rich­te­te. Wir fühl­ten es, dass wir ihm miss­fie­len. Ge­wöhn­lich wand­te er sich auch ab, zog die Au­gen­brau­en em­por und sag­te zu Mama: »Mais c’est im­pos­si­ble, com­me il man­ge, ce garçon!«1 Mama er­rö­te­te dann für uns. Und jetzt soll­te ich einen gan­zen Som­mer hin­durch mit die­sem mir so frem­den Herrn al­lein sein, Tag für Tag al­lein ihm ge­gen­über bei Tisch sit­zen! Et­was Un­an­ge­neh­me­res war schwer zu fin­den.

Ich be­trach­te­te mei­nen Va­ter. Schön war er, das wur­de mir jetzt erst deut­lich be­wusst. Die Züge wa­ren re­gel­mä­ßig, scharf und klar. Der Mund un­ter dem Schnurr­bart hat­te schma­le, sehr rote Lip­pen. Auf der Stirn, zwi­schen den Au­gen­brau­en, stan­den drei klei­ne, auf­rech­te Fal­ten, wie mit dem Fe­der­mes­ser hin­ein­ge­ritzt. Das blan­ke Haar lock­te sich, nur an den Schlä­fen war es ein we­nig grau. Und dann die Hand, schmal und weiß, wie eine Frau­en­hand. Am Hand­ge­lenk klirr­te lei­se ein gol­de­nes Arm­band. Schön war das al­les, aber Gott! wie un­ge­müt­lich! Ich moch­te gar nicht hin­se­hen. Ich schloss die Au­gen. War denn für die­sen Som­mer nir­gends Aus­sicht auf eine klei­ne Freu­de? Doch! Die War­nower wa­ren da, nur eine hal­be Stun­de von Fer­now. Dort wird ein we­nig Fe­ri­en­luft we­hen; dort war al­les so hübsch und weich. Die Tan­te auf ih­rer Cou­chet­te mit ih­rem Samt­mor­gen­rock und ih­rer Mi­grä­ne. Dann die Mäd­chen. El­li­ta war äl­ter als ich und zu hoch­mü­tig, als dass un­serei­ner sich in sie ver­lie­ben konn­te. Aber zu­wei­len, wenn sie mich an­sah mit den man­del­för­mi­gen Samtau­gen, da konn­te mir heiß wer­den. Ich hat­te dann das Ge­fühl, als müss­te sich et­was Gro­ßes er­eig­nen. Ger­da war in mei­nem Al­ter und in sie war ich ver­liebt, – von je­her. Wenn ich an ihre blan­ken Zöp­fe dach­te, an das schma­le Ge­sicht, das so zart war, dass die blau­en Au­gen fast ge­walt­sam dun­kel dar­in sa­ßen, wenn ich die­se Vi­si­on von blau, rosa und gold vor mir sah, dann reg­te es sich in der Herz­gru­be fast wie ein Schmerz und doch woh­lig. Ich muss­te tief auf­seuf­zen.

»Hat man et­was schlecht ge­macht, so nimmt man sich zu­sam­men und trägt die Kon­se­quen­zen«, hör­te ich mei­nen Va­ter sa­gen. Er­schro­cken öff­ne­te ich die Au­gen. Mein Va­ter sah mich ge­lang­weilt an, gähn­te dis­kret und mein­te: »Es ist wirk­lich nicht an­ge­nehm, ein Ge­gen­über zu ha­ben, das im­mer seufzt und das Lamm, das zur Schlacht­bank ge­führt wird, spielt. Also – et­was te­nue2 – wenn ich bit­ten darf.«

Ich war ent­rüs­tet. In Ge­dan­ken hielt ich lan­ge, un­ehr­er­bie­ti­ge Re­den: »Es ist ge­wiss auch nicht an­ge­nehm, ein Ge­gen­über zu ha­ben, das einen im­mer von oben her­un­ter an­schaut, das, wenn es et­was sagt, nur von wid­ri­gen Din­gen spricht. Ich habe üb­ri­gens jetzt gar nicht an das dum­me Ex­amen ge­dacht. An Ger­da habe ich ge­dacht und ich wün­sche dar­in nicht ge­stört zu wer­den.«

Jetzt hielt der Zug. Sta­ti­on Fer­now! – »End­lich«, sag­te mein Va­ter, als sei ich an der lang­wei­li­gen Fahrt schuld.

Es hat­te auf­ge­hört zu reg­nen. Die Lin­den um das klei­ne Sta­ti­ons­ge­bäu­de her­um wa­ren blank und tropf­ten. Über den nas­sen Bahn­steig zog lang­sam eine Schar En­ten. Mäg­de stan­den am Zaun und starr­ten den Zug an. Es roch nach Lin­den­blü­ten, nach feuch­tem Laub. Das al­les er­schi­en mir trau­rig ge­nug. Da stand auch schon die Jagd­drosch­ke mit den Füch­sen. Klaus nick­te mir un­ter der großen Tres­sen­müt­ze mit sei­nem ver­wit­ter­ten Chris­tus­ge­sich­te zu. Der alte Kon­rad band die Kof­fer auf. »Lus­tig, Graf­chen«, sag­te er, »scha­d’t nichts.« Merk­wür­dig, wir tun uns sel­ber dann am meis­ten leid, wenn die an­de­ren uns trös­ten. Ich hät­te über mich wei­nen kön­nen, als Kon­rad das sag­te. »Fer­tig«, rief mein Va­ter. Wir fuh­ren ab. Die Son­ne war un­ter­ge­gan­gen, der Him­mel klar, bleich und glas­hell. Über die ge­mäh­ten Wie­sen span­nen die Ne­bel hin. In den Korn­fel­dern schnarr­ten die Wach­teln. Ein großer, röt­li­cher Mond stieg über dem Wal­de auf. Das tat gut. Be­ru­higt und weit lag das Land in der Som­mer­däm­me­rung da, und doch schi­en es mir, als ver­steck­ten sich in die­se Schat­ten und die­se Stil­le Träu­me und Mög­lich­kei­ten, die das Blut heiß mach­ten.

»Ban­dags in War­now müs­sen wir be­su­chen«, sag­te mein Va­ter. »Aber der Ver­kehr mit den Ver­wand­ten darf nicht Di­men­sio­nen an­neh­men, die dich von den Stu­di­en ab­hal­ten. Das Stu­di­um geht vor.«

Na­tür­lich! das muss­te ge­sagt wer­den, jetzt ge­ra­de, da ein an­ge­neh­mes, ge­heim­nis­vol­les Ge­fühl an­fing, mich mei­ne Sor­gen ver­ges­sen zu las­sen.

Es dun­kel­te schon, als wir vor dem al­ten, ein­stö­cki­gen Land­hau­se mit dem großen Gie­bel hiel­ten. Die Mam­sell3 stand auf der Trep­pe, zog ihr schwar­zes Tuch über den Kopf und mach­te ein ängst­li­ches Ge­sicht. Die freu­te sich auch nicht über un­ser Kom­men. Die Zim­mer­flucht war still und dun­kel. Trotz der ge­öff­ne­ten Fens­ter roch es feucht nach un­be­wohn­ten Räu­men. Heim­chen hat­ten sich ein­ge­nis­tet und schrill­ten laut in den Wän­den. Mich frös­tel­te or­dent­lich. Im Ess­saal war Licht. Mein Va­ter rief laut nach dem Es­sen. Tri­na, das klei­ne Stu­ben­mäd­chen, von je­her ein fre­ches Ding, lach­te mich an und flüs­ter­te: »Un­ser Graf­chen ist un­ar­tig ge­we­sen, muss nu bei uns blei­ben?« Die Ex­amen­ge­schich­te war also schon bis zu den Stu­ben­mäd­chen ge­drun­gen. Ich spür­te Hun­ger. Aber in dem großen, ein­sa­men Ess­saal mei­nem Va­ter ge­gen­über­zu­sit­zen, er­schi­en mir so ge­spens­tig, dass das Es­sen mir nicht schmeck­te. Mein Va­ter tat, als sei ich nicht da. Er trank viel Port­wein, sah ge­ra­de vor sich hin, wie in eine Fer­ne. Zu­wei­len schi­en es, als woll­te er lä­cheln, dann blin­zel­te er mit den lan­gen Wim­pern. Es war recht un­heim­lich! Plötz­lich er­in­ner­te er sich mei­ner. »Mor­gen«, sag­te er, »wird eine prak­ti­sche Ta­ge­s­ein­tei­lung ent­wor­fen. Un­be­scha­det der Stu­di­en, wün­sche ich, dass du auch die kör­per­li­chen Übun­gen nicht ver­nach­läs­sigst. Denn …«, er sann vor sich hin, »zu – zum Ver­sit­zen reicht’s denn doch nicht.« – »Was?« fuhr es mir zu mei­nem Be­dau­ern her­aus. Mein Va­ter schi­en die Fra­ge na­tür­lich zu fin­den. Er sog an sei­ner Zi­gar­re und sag­te nach­denk­lich: »Das Le­ben.«

Es folg­te wie­der ein pein­li­ches Schwei­gen, das mein Va­ter nur ein­mal mit der Be­mer­kung un­ter­brach: »Brot­kü­gel­chen bei Ti­sche zu rol­len, ist eine schlech­te An­ge­wohn­heit.« Gut! mir lag ge­wiss nichts dar­an, Brot­kü­gel­chen zu rol­len! End­lich kam der In­spek­tor, füll­te das Zim­mer mit dem Ge­ruch sei­ner Tran­s­tie­fel und sprach von Dün­ger, von rus­si­schen Ar­bei­tern, vom Vieh, von lau­ter fried­li­chen Din­gen, die da drau­ßen im Mon­den­schein schlie­fen. Zer­streut hör­te ich zu und blin­zel­te schläf­rig in das Licht. »Geh schla­fen«, sag­te mein Va­ter. »Gute Nacht. Und mor­gen wün­sche ich ein lie­bens­wür­di­ge­res Ge­sicht zu se­hen.« – Ich auch, dach­te ich in­grim­mig.

Mei­ne Stu­be lag am Ende des Hau­ses. Ich hör­te ne­ben­an in der lee­ren Zim­mer­flucht das Par­kett knacken. Die Heim­chen schrill­ten, als feil­ten eif­ri­ge, klei­ne We­sen an fei­nen Ket­ten. Mei­ne Fens­ter gin­gen auf den Gar­ten hin­aus und stan­den weit of­fen. Die Li­li­en leuch­te­ten weiß aus der Däm­me­rung. Der Mond war hö­her ge­stie­gen und warf durch die Zwei­ge der Kas­ta­ni­en­bäu­me gel­be Licht­fle­cken auf den Ra­sen. Un­ten im Park­teich quarr­ten die Frösche. Und dann drang noch ein Ton zu mir, dort aus dem Dun­kel der Al­leen, eine tie­fe Mäd­chen­stim­me, die ein Lied sang, eine ein­tö­ni­ge Fol­ge lang­ge­zo­ge­ner No­ten. Die Wor­te ver­stand ich nicht, aber jede Stro­phe schloss mit rai-rai-rah-r-a-h. Das klang ein­sam und trau­rig in die Som­mer­nacht hin­aus. Ich muss­te wirk­lich wei­nen. Es tat mir wohl, da­bei das Ge­sicht zu ver­zie­hen wie als Kind. Dann leg­te ich mich zu Bett und ließ mich von der fer­nen Stim­me im Park in den Schlaf sin­gen: rai-rai-r-a-h. –

Ich hat­te den Tisch an das Fens­ter ge­rückt und die Bü­cher auf­ge­schla­gen, denn es war Stu­dier­zeit, wie mein Va­ter es zu nen­nen lieb­te. Drau­ßen seng­te die Son­ne auf die Blu­men­bee­te nie­der. Der Duft der Li­li­en, der Ro­sen drang heiß zu mir her­ein, be­nahm mir den Kopf wie ein sehr sü­ßes, war­mes Ge­tränk. Da­bei leuch­te­te al­les so grell. Die Gla­dio­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­