Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Gründe, warum ich aufhören muss, an Linnea zu denken:

1. Sie ist zu jung für mich.

2. Sie ist das Kindermädchen meiner Tochter.

An der Stelle könnte ich doch schon aufhören, oder? Ich bin das lebende Klischee. Der alleinerziehende Vater, der scharf auf das Kindermädchen ist. Aber es kommt noch schlimmer:

3. Sie ist meine Schwägerin.

Meine Frau starb, als unsere Tochter noch ein Baby war, und Linnea war damals ein ruhiger, unscheinbarer Teenager. Ich kannte sie kaum. Und als mir meine Schwiegereltern jetzt vorschlugen, dass sie nach Seattle zieht, um als Kindermädchen für meine Tochter zu arbeiten, stimmte ich nur ungern zu. Was sollte ich hier auch mit so einem blassen Wesen? Aber da die anderen Kindermädchen alles Reinfälle waren, blieb mir nichts anderes übrig.

Ich hatte nicht mit der heißen Blondine mit der Wahnsinnsfigur und diesem hinreißenden Lächeln gerechnet.

Und Linnea ist perfekt für meine Tochter – lustig, geduldig und freundlich.

Und sie wäre perfekt für mich.

Aber so darf ich nicht denken. Und es darf niemals etwas zwischen uns passieren …

Über Claire Kingsley

Claire Kingsley schreibt Liebesgeschichten mit starken, eigensinnigen Frauen, sexy Helden und großen Gefühlen.

Sie kann sich ein Leben ohne Kaffee, ihren Kindle und all den Geschichten, die ihrer Fantasie entspringen, nicht mehr vorstellen. Sie lebt im pazifischen Nordwesten der USA mit ihrem Mann und ihren drei Kindern.

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Claire Kingsley

Hot Single Dad

Caleb und Linnea

Aus dem Englischen übersetzt von Cécile G. Lecaux

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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1: Caleb

2: Linnea

3: Caleb

4: Linnea

5: Caleb

6: Linnea

7: Caleb

8: Linnea

9: Caleb

10: Linnea

11: Linnea

12: Caleb

13: Linnea

14: Caleb

15: Caleb

16: Linnea

17: Linnea

18: Caleb

19: Caleb

20: Linnea

21: Linnea

22: Caleb

23: Linnea

24: Caleb

25: Linnea

26: Caleb

27: Linnea

Epilog: Caleb

Bonus-Geschichte: Audrey Reid: Weston

Impressum

1: Caleb

Ein endloser Menschenstrom kommt mit der Rolltreppe heruntergefahren, aber das Mädchen, auf das ich warte, ist nicht dabei.

»Wo wird Linnea denn schlafen?«, fragt Charlotte.

»Wir haben ein Gästezimmer, das weißt du doch, Liebes«, entgegne ich.

Meine sechsjährige Tochter sitzt auf meinem Schoß. Sie trägt das Haar heute offen, und mir fällt auf, dass es im Rücken ein wenig zerzaust ist. Ich hätte es noch einmal bürsten sollen, bevor wir losgefahren sind, aber ich wollte nicht zu spät kommen.

Von dort, wo wir sitzen, haben wir einen guten Blick auf die Rolltreppe, und so ist es leichter, Charlotte bei mir zu halten. Ich habe ihr schützend einen Arm um die Taille gelegt und unterdrücke den Impuls, den Passanten prüfende Blicke zuzuwerfen. Ein Flughafen mit regem Betrieb gehört zu den Orten, an denen mein Beschützerinstinkt besonders geschärft ist.

»Ich weiß, aber kann sie nicht bei mir in meinem Zimmer schlafen?«, möchte Charlotte wissen.

»Aha, daher weht der Wind also. Ich denke, Linnea wird ein eigenes Zimmer haben wollen.« Ich kitzle sie am Bauch, und sie windet sich kichernd. »Lass das, Daddy.«

Mein Telefon vibriert, und ich hole es aus der Tasche. Es ist mein Bruder Alex.

»Hey, Mann.«

»Hey. Wo steckst du?«, fragt er. »Ich bin im Sportcenter. Ich dachte, wir werfen heute Abend ein paar Körbe.«

»Geht nicht. Ich bin am Flughafen.« Ich ziehe Charlotte auf dem Schoß näher an mich heran. »Tut mir leid, ich dachte, ich hätte dir Bescheid gesagt, dass ich es heute nicht schaffe.«

»Am Flughafen? Habe ich was verpasst?«

Ich hole tief Luft. Ich habe meiner Familie noch nichts erzählt. Es ist alles so schnell gegangen. Erst letzte Woche haben Charlottes Großeltern noch uns geskypt, und nur wenige Tage später sitze ich am Flughafen und warte auf einen Flug aus Michigan.

»Ich hole jemanden ab«, entgegne ich. »Ist eine lange Geschichte, aber um es kurz zu machen, Melanies Schwester Linnea kommt.«

»Oh, wow. Und kommt Linnea allein oder mit ihren Eltern?«, fragt Alex.

»Sie kommt allein.« Gott sei Dank. Die Beziehung zu meinen Ex-Schwiegereltern ist gelinde gesagt angespannt – das war sie immer. Sie waren von Anfang an der Meinung, dass es für Melanie viel zu früh gewesen sei zum Heiraten. Sie fürchteten, das würde ihrer Karriere schaden. Wir waren damals noch Medizinstudenten und sehr jung. Aber wenn Melanie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte nichts und niemand sie davon abhalten, ihren Willen durchzusetzen – auch nicht ihre Eltern.

Und Melanies Tod – sie starb bei einem Autounfall, als Charlotte noch ganz klein war –, hatte nicht eben dazu beigetragen, unser Verhältnis zu entspannen. Zwar machten ihre Eltern mich nicht direkt für ihren Tod verantwortlich – wie auch, ich war ja nicht einmal in der Nähe, als es passierte –, aber ich wusste, dass sie immer noch der Meinung waren, dass alles anders gekommen wäre, wenn ich ihre Tochter nicht vom rechten Weg abgebracht hätte. Wenn sie mich nicht geheiratet hätte, wäre sie nicht nach Houston gezogen, um dort ihre Assistenzzeit abzuleisten, und folglich an jenem Tag nicht auf dieser Straße unterwegs gewesen.

»Kommt sie, um Charlotte zu besuchen?«, fragt Alex.

»Nicht direkt.« Charlotte wechselt auf den freien Platz neben mir, und ich stehe auf, wobei ich mich leicht abwenden muss, sodass ich sie zwar noch im Auge behalten, sie aber mein Gespräch nicht mithören kann. »Sie kommt her, um auf Charlotte aufzupassen.«

»Hey, ist doch toll.«

»Ja«, sage ich, wobei ihm mein skeptischer Unterton nicht entgehen dürfte. »Das war nicht meine Idee, aber im Augenblick habe ich keine andere Wahl.«

»Was heißt das, es war nicht deine Idee?«, hakt er nach.

»Steve und Margo haben darauf bestanden. Ich schätze, Charlotte hat ihnen erzählt, was für ein Reinfall Brittany war.«

»Stimmt. Brittany hat vergessen, Charlotte von der Schule abzuholen, oder?«, fragt er.

»Genau. Und das, als ich buchstäblich die Hände in einer fremden Bauchhöhle hatte. Gott sei Dank ist Kendra eingesprungen.«

»Echt jetzt?«

Seit wir zurück nach Seattle gezogen sind, hat meine Schwester Kendra unzählige Male auf Charlotte aufgepasst, wenn ich einen Babysitter brauchte. Um ehrlich zu sein, war das auch einer der Gründe, weshalb ich zurückgekommen bin. Als alleinerziehender Vater hat man es nicht leicht, und meine unregelmäßigen Arbeitszeiten als Unfallchirurg verkompliziert meine Situation zusätzlich. Ich wollte in der Nähe meiner Familie sein und bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass meine Entscheidung absolut richtig war. Aber ich brauche unbedingt ein festes Kindermädchen, jemanden, dem ich meine kleine Tochter anvertrauen kann. Bislang hatte ich bei der Suche nach einer geeigneten Nanny kein glückliches Händchen.

»Sie haben vor ein paar Tagen mit Charlotte geskypt, und plötzlich sagte sie, die beiden wollten mich sprechen. Normalerweise halte ich mich aus den Telefonaten raus. Ich lasse Charlotte mit ihren Großeltern skypen, so lange sie möchte, aber ich persönlich fühle mich einfach nicht wohl dabei. Ich habe also mit Margo gesprochen, und sie meinte, sie wüsste eine Lösung für mein Betreuungsproblem.«

»Und die lautete Linnea, nehme ich an«, schlussfolgert er.

»Genau. Sie hat kürzlich den Collegeabschluss gemacht und lebt noch bei ihren Eltern. Sie haben mir gewissermaßen die Pistole auf die Brust gesetzt. Wenn Margo sich etwas in den Kopf gesetzt hat, lässt sie sich das nur schwer wieder ausreden.«

»Hm. Hat sie Medizin studiert, so wie Melanie?«

»Nein. Sie ist Musikerin. Pianistin, glaube ich. Wie auch immer, jedenfalls trifft sie heute ein.«

»Du klingst ja unfassbar begeistert für jemanden, der tatsächlich dringend eine Nanny braucht«, sagt Alex. »Hast du Angst, Linnea könnte es auch vermasseln?«

Ich blicke auf Charlotte hinunter, doch sie ist in eines der Bücher vertieft, die sie in ihrem kleinen rosa Rucksack mitgebracht hat. Trotzdem spreche ich leiser. »Das ist es nicht. Kann sein, dass sie gut mit Charlotte klarkommt, keine Ahnung. Aber genau das ist der Punkt – ich weiß es eben nicht.« Melanies Familie lebt in Michigan, sodass wir uns während unserer Ehe nur selten begegnet sind. Ich kann mich kaum an das Mädchen erinnern. »Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, war sie ein introvertierter Teenager und hat kaum ein Wort von sich gegeben. Sie trug Hoodies in Übergröße, saß in der Ecke und schwieg. Ich fand das sonderbar.«

»Das ist wirklich sonderbar«, bestätigte er.

»Ich denke, sie war nur schüchtern oder so was. Aber ganz ehrlich, das ist das Letzte, was Charlotte jetzt gebrauchen kann. Sie ist ja selbst extrem schüchtern. Sie braucht jemanden, der sie aus der Reserve lockt. Jemanden, von dem sie lernt, wie man auf andere zugeht und wie man Freundschaften schließt. Ich glaube, Charlotte hat in der Schule keine Freunde. Sie spricht mit niemandem. Ihre Lehrerin hat mich deshalb schon einbestellt, um mit mir darüber zu reden.«

»Herrje, das wusste ich nicht.«

»Kein Wunder. Bei euch ist sie völlig anders als gegenüber anderen Menschen. Aber es wird immer schlimmer, und mittlerweile macht sie in der Schule total dicht. Im Kindergarten hat sie wenigstens noch Anweisungen befolgt, inzwischen gibt es allerdings Tage, in denen sie sich völlig verweigert.« Ich werfe kurz einen weiteren Blick auf Charlotte, bevor ich fortfahre, doch sie liest noch.

»Wie dem auch sei. Charlotte braucht eine Nanny, die ihr hilft, sich zu öffnen, und nicht jemanden, der in diesen Dingen möglicherweise ein noch größere Eigenbrötlerin ist als sie selbst. Und wie soll ich mit jemandem umgehen, der den Mund nicht aufkriegt? Das würde mir das Leben nicht leichter machen, sondern noch zusätzlich verkomplizieren.«

»Schwierig, das Ganze«, entgegnet Alex. »Tut mir leid für dich, Mann.«

»Ich komme schon irgendwie klar. Ich sehe mir das ein paar Wochen an, und dann kann ich sie immer noch in ein Flugzeug zurück nach Michigan setzen. Aber ich will dich nicht länger aufhalten. Ist Weston bereits da?«

»Ja, gerade gekommen.«

Weston ist unser frisch angeheirateter Schwager. Er und meine Schwester Kendra haben vor ein paar Monaten geheiratet und hatten vorab niemanden in ihre Pläne eingeweiht. Alle Gäste wurden per Textnachricht aufgefordert, sich mit ihnen in der Innenstadt zu treffen, und als wir dort ankamen, standen sie in vollem Ornat draußen vor dem Standesamt. Jeden anderen hätte ich für verrückt erklärt, immerhin sind die beiden noch nicht lange zusammen. Aber Weston ist verrückt nach ihr, und Kendra weiß sehr genau, was sie tut.

»Klingt gut«, sagt Alex. »Viel Glück.«

»Danke.«

Ich lege auf und werfe einen Blick auf die Uhr, ehe ich das Handy wieder einstecke. Linnea ist vor zwanzig Minuten gelandet, sie sollte also bald aufkreuzen.

Ich wünschte, ich wäre nicht so voreingenommen, doch ich habe nun einmal ernste Zweifel. Positiv ist sicher, dass Charlotte Linnea bereits von den Skypeanrufen mit ihren Großeltern her kennt. Vielleicht haben die beiden ja sogar schon miteinander gesprochen. Auch wenn Brittany – die letzte Nanny, die ich eingestellt hatte – nicht vergessen hätte, Charlotte von der Schule abzuholen, hätte es mit ihr langfristig nicht funktioniert. Charlotte hatte auch nach Wochen noch kein Wort mit ihr gesprochen.

Aber wie ich bereits zu Alex sagte, werde ich es ein paar Wochen mit Linnea probieren und sie dann wieder heimschicken. Ihre Eltern werden mir keinen Vorwurf machen können, wenn Linnea und Charlotte nicht miteinander auskommen. Immerhin bin ich nicht dafür verantwortlich, ihre Tochter finanziell zu unterstützen, bis sie Arbeit als Musikerin gefunden hat.

Ich beobachte wieder die Leute, die mit der Rolltreppe heruntergefahren kommen, und halte Ausschau nach Linnea. Ich weiß nicht mehr genau, wie sie aussieht, aber ich denke schon, dass ich sie wiedererkennen werde. Wahrscheinlich. Ich weiß, dass sie ganz anders aussieht als Melanie. Mel hatte olivfarbene Haut und braune Haare, die sie zu einem kurzen Bob frisiert trug. Wenn ich mich recht erinnere, ist Linnea blond, doch ich kann mich auch irren. Ich weiß nur noch, dass ich mich damals gefragt hatte, nach wem Linnea kommen mochte, da sie so völlig anders aussah als alle anderen in der Familie.

Eigentlich bin ich froh, dass Linnea ihrer Schwester nicht ähnlich sieht. Ich fürchte jetzt schon, dass es schwer werden könnte, jemanden um mich zu haben, der mich ständig an die Frau erinnert, die ich auf so tragische Weise verloren habe. Der Schmerz hat sich mit der Zeit in eine unterschwellige Trauer verwandelt, etwas, das der Vergangenheit angehört. Ehrlich gesagt, vermisse ich sie inzwischen mehr unserer Tochter ,als um meiner selbst willen. Es macht mich traurig, dass mein kleines Mädchen ohne Mutter aufwachsen muss. Ich gebe mein Bestes, damit sie alles hat, was sie braucht, aber mir ist bewusst, dass mir das nicht immer gelingt.

»Daddy, was heißt das?«, fragt Charlotte.

Ich beuge mich herab und blicke auf die Seite. »Da steht Fahrrad. Das ›h‹ spricht man nicht.«

Charlotte vertieft sich wieder in ihre Lektüre und fährt mit einem Finger die Zeile entlang. Als ich mich wieder der Rolltreppe zuwende, erregt ein Paar roter High Heels meine Aufmerksamkeit. Mein Blick wandert aufwärts, als die Frau langsam auf der Rolltreppe runter fährt.

Ach du Scheiße.

Ich sollte nicht starren, doch meine Augen registrieren wohlgeformte Beine und Hüften in einem engen grauen Rock. Dazu trägt die Unbekannte eine weiße Bluse, die im Rockbund steckt, was die schmale Taille betont. Und darüber spannt sich der Stoff über einer prallen, wohlgeformten Oberweite. Dazu langes blondes Haar und volle rote Lippen. Die Frau ist der Hammer. Sie sieht aus wie ein Pin-up-Girl, und ich kann mich einfach nicht von dem Anblick losreißen.

Sie verlässt die Rolltreppe, hängt sich eine braune Tasche über die Schulter und sieht sich suchend um. Ich verspüre den unwiderstehlichen Drang, zu ihr zu gehen und sie anzusprechen, ehe sie auf Nimmerwiedersehen verschwindet.

Ihr wunderschöner Mund verzieht sich zu einem breiten Lächeln, und sie winkt jemandem zu. Unwillkürlich werfe ich einen Blick über die Schulter und frage mich, wer wohl der Glückspilz sein mag, der sie abholen darf.

Charlotte springt von ihrem Sitz und rennt los. Reflexartig strecke ich den Arm aus, um sie aufzuhalten. »Charlotte, wo willst du denn …«

Die Frau geht vor Charlotte in die Hocke. »Hallo, Liebes!«

Meine Tochter schlingt der Fremden die Arme um den Hals und drückt sie, während ich wie angewurzelt dastehe und die beiden anstarre wie ein Volltrottel.

Ach du Scheiße. Ist das etwa Linnea?

Die Frau, die gerade meine Tochter umarmt, hat keinerlei Ähnlichkeit mit dem Teenager aus meiner Erinnerung. Wie lange ist es her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben? Fünf Jahre? Kann sich jemand in so kurzer Zeit so radikal verändern?

Linnea hebt den Blick und lächelt mich an. Sie drückt Charlotte noch einmal, richtet sich dann auf und nimmt ihre Hand.

»Hey.« Sie streicht sich das Haar aus dem Gesicht und rückt den Riemen ihrer Handtasche zurecht. »Es ist lange her.«

Sag etwas, Caleb. Hör auf, sie anzustarren wie ein Lustmolch. »Ja, wow. Hey. Tut mir leid, ich habe dich nicht gleich wiedererkannt.«

Sie lächelt wieder, und ihre blauen Augen funkeln. »Schon okay. Ich habe Charlotte erkannt. Und dich auch.«

Mein Gehirn kann meine Erinnerungen an Linnea immer noch nicht mit der atemberaubenden Frau verknüpfen, die vor mir steht. Das kann unmöglich dieselbe Person sein.

Aber Charlotte hat panische Angst vor Menschen, die sie nicht kennt, und sie ist dieser Frau ohne zu zögern um den Hals gefallen. Das hätte sie niemals getan, wenn sie sie nicht kennen würde. Ich schätze, ich hätte vielleicht doch bei ihren Skypeanrufen mal Hallo sagen sollen, dann hätte mich die Begegnung nicht so unvorbereitet getroffen. Und ich würde nicht immer noch dastehen und sie anglotzen, als wäre ich nicht ganz richtig im Kopf.

»Ich muss noch meine Koffer holen«, sagt Linnea und zeigt auf das Gepäckband. »Sollen wir mal nachsehen, ob sie bereits ausgeladen wurden?«

»Klar.« Es kommt mir vor, als würde ich aus einer Trance erwachen. »Nimm deinen Rucksack, Schatz«, sage ich zu meiner Tochter.

»Ich glaube, mein Förderband ist gleich da drüben.« Linnea zeigt auf einen der Monitore.

Wir warten ein paar Minuten am Band auf Linneas Gepäck. Sie plaudert mit einer ungewöhnlich gesprächigen Charlotte, während ich sie möglichst unauffällig beobachte. Sie beugt sich vor, um sich etwas anzusehen, das Charlotte in der Hand hält, und ich kann geradewegs in ihre Bluse sehen. Ihre Wahnsinnsbrüste stecken in einem weißen Spitzen-BH. Brennende Röte steigt mir in die Wangen. Hastig wende ich den Blick ab.

Ach du Scheiße, was tue ich da? Linnea ist zweiundzwanzig und hat gerade erst ihr Studium beendet. Sie ist hier, um meine Tochter zu betreuen, wenn ich arbeiten bin. Außerdem ist sie die kleine Schwester meiner verstorbenen Frau. Aber nichts von alledem scheint mein bestes Stück zu beeindrucken, das ich diskret zurechtrücken muss, als die Mädels gerade nicht hinsehen.

Linnea zeigt mir ihre zwei Koffer, als diese auf dem Gepäckband auftauchen. Sie sind sehr groß, aber das macht ja auch Sinn. Ich bin zwar davon ausgegangen, dass es sich nur um ein vorübergehendes Arrangement handeln wird, doch bei meinem Gespräch mit ihren Eltern hatten wir keinen festen Zeitraum ausgemacht. Der Umstand, dass sie einfach bloß umwerfend aussieht, sollte mich nicht jetzt schon dazu bewegen, meinen Entschluss, sie nach ein paar Wochen heimzuschicken, zu überdenken.

Aber ich bin auch nur ein Mann.

Wir gehen in Richtung Parkhaus, wobei Linnea und ich jeweils einen ihrer Trolleys hinter uns herziehen. Charlotte geht neben ihr her und hält ihre Hand.

Ich ermahne mich, nicht ihren Hintern anzustarren,

doch das ist fast unmöglich. Die Art, wie er sich bei jedem Schritt unter dem engen Rock wiegt, übt eine geradezu magische Anziehung auf mich aus. Sie wirft mir über die Schulter hinweg einen Blick zu und schenkt mir ein weiteres zuckersüßes Lächeln. Ich lächle zurück, muss allerdings schlucken, als sie sich wieder abwendet.

Ich stecke in ernsten Schwierigkeiten.

2: Linnea

Gibt es wirklich so etwas wie Liebe auf den ersten Blick? Kann man sich, wenn man jemanden das erste Mal überhaupt sieht oder ihm nach langer Zeit wiederbegegnet, spontan zu dieser Person hingezogen fühlen, und zwar so intensiv, dass man Schmetterlinge im Bauch hat und kleine Herzen und Sterne sieht, die den Kopf des oder der Auserwählten umschwirren? Denn genau so ist es mir ergangen, als ich ihn unten an der Rolltreppe habe stehen sehen.

Als er sich ans Steuer seines Wagens setzt, lächelt Caleb mich an, und die Schmetterlinge in meinem Bauch flattern sofort wieder wild durcheinander. Wie konnte ich vergessen, wie attraktiv er ist? Vielleicht liegt es ja daran, dass es mir damals nicht aufgefallen ist. Bei unserer letzten Begegnung waren wir alle noch im Schockzustand wegen des plötzlichen Unfalltods meiner Schwester. Und davor war er mir so viel älter vorgekommen als ich. Ich hatte Melanies Ehemann nicht weiter beachtet. Außerdem wäre ich damals sowieso zu schüchtern gewesen, um mich mit ihm zu unterhalten, erst recht, wenn ich ihn attraktiv gefunden hätte.

Aber jetzt sitze ich mit einem Mann im Auto, der mit seinen braunen Augen, dem zerzausten dunklen Haar und den stoppeligen Wangen unfassbar sexy aussieht. Nicht nur das – ich werde auch noch bei ihm wohnen. Als Nanny seiner Tochter, klar. Trotzdem …

Ich hole tief Luft und rücke die Handtasche auf meinem Schoß zurecht. Es war ein langer Flug von Michigan, aber bei Calebs Anblick und dem Adrenalinstoß, den unsere Begegnung freigesetzt hatte, war meine Müdigkeit schlagartig verflogen. Ich hatte ihn zuerst gar nicht bemerkt. Als ich von der Rolltreppe kam, hatte ich zuerst nur Charlotte gesehen, die auf mich zulief. Erst als ich aufsah, hatte ich ihn dort stehen sehen. Und seit diesem Moment war ich bloß noch ein Nervenbündel.

Ich war wütend auf meine Mutter gewesen, als sie mir eröffnet hatte, dass sie Caleb versprochen hatte, mich als Charlottes Nanny nach Seattle zu schicken. Nicht, dass ich keine Lust gehabt hätte, mich um meine kleine Nichte zu kümmern – tatsächlich freue ich mich sehr darauf. Charlotte ist ein zuckersüßes kleines Mädchen, und es hatte mich traurig gemacht, dass wir uns immer bloß beim Skypen gesehen hatten. Ich freue mich sehr darauf, viel Zeit mit ihr zu verbringen und sie näher kennenzulernen.

Nur hatten meine Eltern es nicht für nötig befunden, mich vorab zu fragen. Sie informierten mich erst, nachdem sie mit Caleb gesprochen und einen Flug für mich gebucht hatten. Meine Mutter war in mein Zimmer gekommen und hatte mir lapidar eröffnet, ich solle meine Koffer packen, ich würde in zwei Tagen nach Seattle fliegen.

Typisch.

Ich hatte eigentlich nach dem Studium nicht wieder bei meinen Eltern wohnen wollen, doch mir war nichts anderes übriggeblieben. Ich habe mir meinen Musikabschluss hart erarbeitet, aber als klassische Pianistin braucht es eben eine Weile, bis man genug verdient, um davon leben zu können. Ich gebe seit der Highschool Klavierunterricht und verdiene mir damit ein ordentliches Zubrot, wenn ich allerdings vom Klavierspielen leben möchte, brauche ich schon ein Engagement bei einem großen Symphonieorchester.

Und genau das ist der Plan. Solange ich noch bei meinen Eltern wohnte, hatte ich Zeit genug, mich aufs Vorspielen vorzubereiten. Jetzt muss ich zwingend üben, während Charlotte in die Schule geht. Feste Engagements für Pianisten sind sehr rar, und die Konkurrenz ist groß.

Hinzu kommt, dass die Musik zwar mein Lebensinhalt ist, ich jedoch unter schrecklichem Lampenfieber leide. Ich liebe die Musik um ihrer selbst willen und spiele für mein Leben gern, aber unter Druck bekomme ich Panik. Ich bin vor jedem Auftritt unglaublich nervös und hinterher fix und fertig.

Doch da muss ich eben durch, wenn ich meinen Traum leben möchte, das haben meine Eltern mir oft genug eingeimpft. Ich muss alles geben und mir möglichst hohe Ziele setzen, mein ganzes Potenzial ausschöpfen. Sie erwarten von mir, dass ich meine natürliche Begabung nutze und mit harter Arbeit mein Potenzial maximal ausschöpfe.

Diese Lektion haben sie ihren beiden Töchtern eingebläut. Meine Eltern sind beide Ärzte – mein Vater ist Neurochirurg, und meine Mutter arbeitet in der Krebsforschung. Beide sind in ihren jeweiligen Fachgebieten extrem erfolgreich, da ist es wohl nachvollziehbar, dass sie von mir erwarten, es in dem von mir ausgewählten Beruf auch weit zu bringen.

Allerdings hat mich der Druck mit der Zeit mehr frustriert als motiviert, zumal meine Mutter immer ungeduldiger wurde angesichts der seltenen Gelegenheiten zum Vorspielen – als hätte ich Einfluss darauf, wann in einem Symphonieorchester ein Platz frei wird.

Das war einer der Gründe, weshalb ich mich letztlich einverstanden erklärt habe, nach Seattle zu kommen. Ich war wütend, dass meine Eltern mich nicht gefragt hatten, bevor sie diese Vereinbarung mit Caleb trafen, aber nachdem ich erst darüber nachgedacht hatte, war mir klar geworden, dass diese Lösung im Grunde perfekt war. Eine andere Stadt, Arbeit und ein Dach über dem Kopf. Eine Chance auf einen Neuanfang, ohne dass meine Mutter mir ständig in den Ohren lag, weil ich mich vermeintlich nicht konsequent genug um eine Stelle bemühte.

Natürlich hätte ich nicht im Traum damit gerechnet, dass ich mich auf den ersten Blick in Caleb vergucken könnte. Ich hole tief Luft. Das geht bestimmt wieder vorbei. Ich werde mich daran gewöhnen, ihn zu sehen – ich werfe ihm aus den Augenwinkeln einen verstohlenen Blick zu, und wieder verschlägt sein Aussehen mir den Atem –, und dann wird seine Gegenwart mich nicht mehr derart aus der Ruhe bringen.

»Linnea, magst du bei mir im Zimmer schlafen?«, fragt Charlotte, die hinten im Fond sitzt.

Caleb lacht und wirft ihr im Rückspiegel einen Blick zu. »Darüber haben wir doch schon gesprochen, Liebes. Linnea braucht ihr eigenes Bett.« Er hüstelt. »Ich meine, ihr eigenes Zimmer.«

»Okay«, sagt Charlotte, aber sie klingt enttäuscht.

Ich drehe mich zu ihr um. »Hey, vielleicht machen wir ja mal eine Übernachtungsparty. Wenn dein Daddy mal spät arbeiten muss. Was hältst du davon?«

Sie nickt. »Kann es auch eine Pyjamaparty sein?«

»Na klar«, antworte ich.

»Was hast du für einen Schlafanzug?«, will sie wissen. »Meine sind fast alle rosa.«

»Also, ich trage eigentlich gar keinen Schlafanzug. Ich werde mir für unsere Party erst noch einen besorgen müssen.«

»Was trägst du denn zum Schlafen?«, fragt sie.

»Irgendwas Bequemes. Ein Top zum Beispiel.«

»Und dazu eine Unterhose? Was trägst du für Unterhosen? Meine sind von Little Pony und Strawberry Shortcake

Mein Gesicht fühlt sich warm an, und ich weiß, dass ich rot werde. Ich versuche, nicht zu Caleb hinüberzusehen, kann mir aber einen kurzen Seitenblick nicht verkneifen.

Er hält den Blick starr nach vorn gerichtet, beide Hände am Lenkrad. »Ich fürchte, meine sind nicht so lustig wie deine.«

»Hmmm«, überlegt sie. »Ich weiß nicht, ob es sie auch für Erwachsene gibt.«

»Vermutlich nicht.« Ich drehe mich wieder um und hoffe, dass sie das Thema Unterhosen nicht weiter vertieft. Vielleicht sollte ich vorsorglich die Initiative ergreifen und das Gespräch auf ein anderes Thema lenken. »Sag mal, Charlotte, hast du schon mal Klavier gespielt?«

»Nein.«

»Wenn du Lust hast, bringe ich es dir bei«, schlage ich vor.

»Ich weiß nicht, ob ich dafür bereits groß genug bin«, antwortet sie.

»Natürlich bist du das«, entgegne ich und schaue sie wieder an. »Als ich angefangen habe, Klavier zu spielen, war ich noch jünger als du.«

Sie legt die Stirn in Falten und zieht die Brauen zusammen. »Nein. Ich möchte nicht.«

»Oh. Okay, wie du willst.«

»Warum denn nicht, Liebes?«, fragte Caleb in sanftem Tonfall.

»Wegen der Konzerte«, antwortet sie.

»Konzerte?«, hakt Caleb nach.

»Wir haben in der Schule auch Musikunterricht, und der Lehrer hat uns ein Video gezeigt«, erklärt sie daraufhin. »Von einem Konzert. Die Musiker mussten in einem großen Saal vor ganz vielen Leuten spielen.«

»Oh.« Caleb wendet sich mir zu. »Sie glaubt, dass wenn sie Klavier spielen lernt, sie vor Publikum spielen muss«, sagt er leise. »Man merkt es ihr vielleicht gerade nicht so an, aber die meiste Zeit ist sie wahnsinnig schüchtern.«

Mir geht das Herz auf. Ich war als Kind ebenfalls furchtbar schüchtern und weiß genau, wie sich das anfühlt. »Weißt du, Liebes, wenn du magst, kannst du auch nur für dich allein Klavier spielen. Du brauchst nicht vor anderen Leuten zu spielen, wenn du nicht willst. Vielleicht nur vor mir oder deinem Daddy. Keine Konzerte, es sei denn, dass du das möchtest.«

»Oh«, sagt sie erleichtert, »dann gerne.«

Caleb lächelt mir zu, und in seinen Augenwinkeln bilden sich Lachfältchen. Ich lächle zurück, und es fühlt sich an, als würden meinem Herzen Flügel wachsen.

Eine halbe Stunde später halten wir in einer ruhigen Straße vor einem niedlichen kleinen zweigeschossigen Einfamilienhaus. Caleb hilft mir mit den Koffern, und wir gehen hinein.

»Entschuldige die Unordnung«, sagt Caleb. »Wir sind erst vor einem Monat eingezogen, und ich bin noch nicht fertig mit Auspacken. Vorher haben wir in einer Wohnung gewohnt, es sind also noch nicht einmal alle Zimmer möbliert.«

Das Erdgeschoss ist offen gestaltet, mit einer gemütlichen Küche und Essecke. Nebenan ist noch ein separates Wohnzimmer, und in der Diele führt eine Treppe ins Obergeschoss. In den Ecken sind ein paar Kisten gestapelt, und es liegen ein paar Spielsachen von Charlotte herum. Aber alles in allem wirkt es nicht übermäßig unordentlich.

»Mach dir deswegen keinen Kopf«, sage ich. »Ich kann dir auch in organisatorischen Dingen helfen, wenn Not am Mann ist.«

»Ich möchte nicht, dass du das Gefühl hast, du müsstest hinter mir herräumen«, entgegnet er. »Ich arbeite bloß viel, und da bleibt zu Hause schon mal etwas liegen.«

»Ist ja klar, wenn du alles allein machen musst.«

»Stimmt.« Mir fällt auf, wie müde er aussieht. »Lass uns deine Sachen raufbringen, damit du erst einmal ankommen und dich einrichten kannst.«

Wir schleppen meine Koffer nach oben, und er zeigt mir alles. Charlottes Zimmer, das Bad, mein Zimmer. Er zeigt auf eine halb offen stehende Tür und murmelt undeutlich, das sei sein Schlafzimmer. Ich sterbe vor Neugier, doch natürlich verkneife ich es mir, einen Blick hineinzuwerfen.

»Ich hoffe, du wirst dich hier wohlfühlen«, sagt Caleb mit einer Geste, die das mir zugedachte Zimmer umfasst.

Es ist schlicht, aber mit allem ausgestattet, was man so braucht: Es gibt ein Doppelbett mit einem Nachttisch auf jeder Seite, einen Kleiderschrank und eine Kommode.

Er rollt meine Koffer herein und stellt sie neben dem Schrank ab. »Du wirst dir das Bad mit Charlotte teilen müssen. Ich hoffe, das ist okay für dich.«

»Natürlich«, versichere ich ihm, »alles bestens.«

»Sicher?«, fragt er.

»Ja, das Zimmer ist wunderbar.«

Charlotte zieht an meiner Hand. »Können wir schon heute Abend unsere Pyjamaparty machen, Linnea?«

»Heute nicht, Schätzchen«, mischt sich Caleb ein. »Du müsstest längst im Bett sein.«

»Bitte, Daddy«, bettelt sie. »Wir machen auch nicht mehr lange. Nur ein kleines bisschen.«

Er nimmt sie auf den Arm und küsst sie auf die Wange. »Tut mir leid, Liebes. Heute ist es bereits zu spät.«

»Okay, Daddy«, gibt sie nach. »Kann Linnea mich denn wenigstens ins Bett bringen?«

Caleb lacht. »Nicht heute, Liebes. Vergiss nicht, dass sie jetzt bei uns wohnt und sich um dich kümmern wird, wenn ich arbeiten bin.« Er wirft mir einen Blick zu. »Und ich hoffe sehr, dass sie lange bleiben wird. Da ergeben sich noch ganz viele Gelegenheiten, dich ins Bett zu bringen.«

Ich lächle die beiden an. »Genau. Wir sehen uns morgen früh, okay?«

Sie nickt und legt den Kopf an Calebs Schulter. Er reibt ihr mit der Hand den Rücken, lächelt mir noch einmal zu und geht dann mit ihr raus, um sie bettfertig zu machen. Ich schließe die Tür hinter ihnen und lehne mich mit einem tiefen Seufzer gegen die Tür.

Damit habe ich ganz sicher nicht gerechnet, als ich ins Flugzeug gestiegen war. Ich muss mich am Riemen reißen. Caleb ist fast zehn Jahre älter als ich, ich bin als Nanny für seine Tochter hier, und last but not least war er mit meiner verstorbenen Schwester verheiratet. Meine Schwärmerei ist also aus vielerlei Hinsicht unangemessen.

Aber das wird sich ganz sicher wieder geben. Ich muss nur meine dummen Hormone im Zaum halten.

3: Caleb

Ich gehe nach unten, ziehe mir im Gehen ein T-Shirt über und blinzele mir den Schlaf aus den Augen. Normalerweise weckt Charlotte mich morgens, aber jetzt ist es schon nach neun, und sie hat sich noch nicht bei mir blicken lassen. Es hat gutgetan, einmal auszuschlafen, doch ich frage mich, wie lange sie bereits auf sein mag. Aus der Küche dringen leise Stimmen. Ich biege um die Ecke und bleibe wie angewurzelt stehen.

Linnea steht mit dem Rücken zu mir am Herd. Sie trägt ein Tanktop mit Spaghettiträgern und dazu eine lässige graue Sweathose. Nichts Besonderes, aber ich schwör’s, dieser Körper würde auch in einem Müllsack noch sexy aussehen. Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen so perfekten Hintern gesehen.

Sie hat sich das Haar hochgesteckt, sodass ich viel nackte Haut sehen kann: ihre Schultern, die Arme und ihren Nacken. Ich bin noch ganz verschlafen, aber zumindest ein Körperteil ist hellwach.

»Hey, Daddy!«, ruft Charlotte.

Oh mein Gott, ich habe meine Tochter gar nicht bemerkt. Wie peinlich.

»Guten Morgen, Schatz.« Ich nehme sie hoch, und sie schlingt die Arme um meinen Hals und drückt mich. Ich halte sie einen Moment fest und atme den Erdbeerduft ihrer Haare ein. Ich liebe dieses kleine Mädchen so sehr. »Wie hast du geschlafen?«

»Gut«, antwortet sie. »Linnea macht Pancakes.«

Ich lasse sie wieder runter. »Lecker.«

Linnea wirft mir über die Schulter hinweg einen Blick zu. »Ich hoffe, das ist okay.«

»Klar«, entgegne ich. »Du wohnst jetzt hier. Fühl dich wie zu Hause.«

Sie lächelt. »Danke. Möchtest du auch welche?«

Gott, dieses Lächeln. »Gerne, klingt gut.«

Charlotte und ich decken den Tisch, während Linnea weiter backt. Dann kommt sie mit einem Teller rüber, auf dem sich ein beeindruckender Stapel Pancakes türmt, und setzt sich zu uns. Ich stehe noch einmal auf, um die Butter zu holen, und als ich zurückkomme, hilft Linnea Charlotte bereits dabei, ihren Pancake in mundgerechte Stücke zu schneiden.

»Danke«, sage ich.

»Kein Ding«, entgegnet sie lächelnd.

Als sie sich zu Charlotte hinüberbeugt, fällt mein Blick wieder auf ihren wunderschönen Busen. Bisher fand ich immer Adjektive wie »appetitlich« im Zusammenhang mit Brüsten albern, aber das war vor meiner ersten Begegnung mit Linneas makellosem Körper. Sie richtet sich wieder auf und greift nach dem Sirup. Ich zwinge mich, wegzusehen, und hoffe, sie hat nicht bemerkt, dass ich ihre Brüste angestarrt habe. Toll, sie ist noch keine vierundzwanzig Stunden da und wird schon von ihrem Ex-Schwager belästigt.

Ich lenke mich mit dem Frühstück ab. Pancakes sind nicht unbedingt meine Lieblingsspeise am Morgen – ich bin mehr für Eier mit Speck -, doch diese hier sind echt köstlich. Ich kann mich nicht erinnern, wann mir das letzte Mal jemand Frühstück gemacht hat. Es hat etwas heimeliges, am Tisch zu sitzen und Pancakes zu essen, die ich nicht selbst backen musste.

»Ich weiß, dass ich gerade erst angekommen bin und es hat auch keine Eile, aber ich würde gerne mit dir deinen Arbeitsplan besprechen«, sagt Linnea. »Ich würde unter der Woche gerne ein paar Klavierstunden geben. In erster Linie bin ich natürlich für Charlotte da, wenn das also nicht klappt, ist das auch okay.«

»Das kriegen wir sicher hin«, entgegne ich. »Notfalls kann meine Schwester Kendra mal auf Charlotte aufpassen, wenn ich weg muss und du nicht kannst. Wo wolltest du denn unterrichten? Hier?«

»Nein. In einem Musikladen«, erwidert sie. »Das habe ich auch daheim so gemacht. In der Nähe ist eine Filiale von Henley’s Music, die auch Unterricht anbietet. Ich werde die Woche mal mit dem Inhaber sprechen und sehen, ob ich einen der Unterrichtsräume nutzen kann. Sag mir nur, an welchen Tagen es dir am besten passt, dann kann ich das berücksichtigen.«

»Klar. Und wie willst du hinkommen? Willst du selbst fahren?«

»Ich habe einen Führerschein, aber ich nehme den Bus«, entgegnet sie. »Das bin ich gewohnt, und ich habe mir die Verbindungen schon angesehen. Nur zwei Blocks entfernt ist eine Haltestelle, das ist also kein Problem.«

»Okay.« Scheint, als hätte sie sich bereits alles gut überlegt. »Ich habe kein Klavier, wie du ja bemerkt haben wirst. Brauchst du einen Übungsraum?«

»Nein, nein. Ich habe ein elektrisches Klavier. Es wird in ein paar Tagen geliefert.«

»Taugt das denn?«

»Ja, das geht ganz prima«, versichert sie mir. »Ich habe ein ziemlich gutes Instrument mit gewichteten Tasten, sodass es sich beim Spielen anfühlt wie ein echtes Klavier. Es braucht nur weniger Platz.«

»Darf ich auf deinem Klavier spielen?«, fragte Charlotte.

»Natürlich«, antwortet Linnea. »Ich bringe dir viele lustige Melodien und Übungen bei.«

»Kümmern deine Eltern sich um den Versand des Klaviers?«, frage ich.

»Ja.« Sie legt die Gabel aus der Hand. »Wo wir gerade von meinen Eltern sprechen … Na ja, tut mir leid, wenn sie dich da etwas überrumpelt haben.«

Ich habe plötzlich ein schlechtes Gewissen, weil ich mich bei Alex exakt darüber beschwert habe. »Das macht doch nichts. Ehrlich gesagt ist es nicht leicht, jemanden zu finden, der auf Charlotte aufpasst. Ich habe unregelmäßige Arbeitszeiten, und da brauche ich manchmal jemanden, der abends einspringt. Die meisten Nannys wollen allerdings nur tagsüber arbeiten. Wir hatten ein Mädchen gefunden, das wir beide mochten, aber dann hat es sich verlobt und ist in einen anderen Staat gezogen. Die nachfolgenden Nannys waren … sagen wir einfach, es hat nicht gepasst.«

»Du hast gesagt, Brittany wäre zu blöd«, bemerkt Charlotte.

Ich verziehe peinlich berührt das Gesicht. »Ich war wütend, als ich das gesagt habe, Liebes. Das war nicht nett von mir.«

Linnea unterdrückt ein Lachen.

»Auf jeden Fall wird es vieles leichter machen, dass du hier wohnst«, fahre ich fort. »Und auch, dass du und Charlotte euch bereits kennt, ist sehr hilfreich.«

»Ich mag Linnea«, verkündet Charlotte.

»Ich mag dich auch, Liebes«, erwidert Linnea.

Charlotte strahlt sie an, und mir geht das Herz auf, wenn ich die beiden ansehe.

»Du gibst also Klavierunterricht«, sage ich. »Hast du langfristig noch andere Karrierepläne in der Musik?«

»Ich hoffe, irgendwann ein Engagement bei einem Symphonieorchester zu bekommen«, entgegnet sie.

»Wow, das klingt interessant. Willst du dich auch hier nach etwas Passendem umsehen?«

»Umsehen schon«, erwidert sie, »aber ich denke, die Wahrscheinlichkeit einer Anstellung beim Seattle Symphony Orchestra ist eher gering. Sie haben großartige Pianisten, und ich rechne nicht damit, dass in absehbarer Zeit eine Stelle frei wird.«

»Aha. Und wo möchtest du hin?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Das kommt darauf an. Die meisten größeren Städte haben ein eigenes Symphonieorchester, aber ich werde wohl eher kleiner anfangen, bis ich mehr praktische Erfahrung gesammelt habe. Wenn sich etwas ergibt, werde ich zum Vorspielen gehen müssen.«

Enttäuschung steigt in mir auf bei dem Gedanken, dass sie irgendwann fortgehen wird. Das ist dumm. Sie kann ja nicht ihr ganzes Leben bloß als Kindermädchen arbeiten. Sie ist ausgebildete Musikerin, da ist es nur verständlich, dass sie sich nach etwas Passendem umsieht.

Wir frühstücken zu Ende, und ich schalte für Charlotte den Fernseher ein, während Linnea und ich nach oben gehen, um zu duschen und uns anzuziehen. Es kommt zu einer etwas peinlichen Situation, als ich aus dem Schlafzimmer komme und sie gerade, lediglich in ein Handtuch gewickelt, vom Bad ins Gästezimmer zurückgeht. Das lange, nasse Haar klebt an ihrem Rücken, und ihre Haut ist ganz rosig vom heißen Wasser. Sie lächelt scheu, schlüpft in ihr Zimmer und schließt die Tür hinter sich.

Unten spiele ich mit Charlotte ein paar Partien Quartett – einmal gewinne ich, zweimal sie –, bis Linnea herunterkommt.

»Kann Linnea mit mir in den Park gehen?«, fragte Charlotte.

»Eigentlich hat Linnea heute frei, weil ich nicht arbeiten muss.«

»Ach, das macht mir nichts aus«, sagt Linnea. »Ist der Park denn in der Nähe?«

»Ja, nur ein Stück die Straße rauf«, entgegne ich. »Aber das musst du nicht, ehrlich.«

»Ich gehe gerne mit ihr hin«, antwortet sie. »Ich wette, du hast nur wenig Zeit für dich, wenn du mal frei hast.«

Sie hat recht. An meinen freien Tagen bitte ich eigentlich nie jemanden, auf Charlotte aufzupassen. Zum einen, weil ich gerne Zeit mit meiner Tochter verbringe, zum anderen, weil ich bereits zu oft andere beanspruche, wenn ich arbeiten muss. Es ist Monate her, dass ich das letzte Mal tagsüber ein paar Stunden für mich hatte.

»Das ist wahr«, gebe ich zu. »Wenn es dir wirklich nichts ausmacht.«

»Nein, gar nicht. Bist du so weit, Liebes?«

»Ich muss noch Schuhe anziehen, aber ich kann die Schnürsenkel alleine binden.«

»Wow, du bist ja schon ein richtig großes Mädchen«, erwidert Linnea mit einem Lächeln. Unsere Blicke treffen sich, und sie zwinkert mir zu.

Verdammt, die Frau macht mich fertig.

Nachdem ich Linnea den Weg erklärt habe, machen sie und Charlotte sich auf zum Park. Ich blicke ihnen noch eine Weile nach, wie sie Hand in Hand den Bürgersteig hinuntergehen. Es ist wirklich erstaunlich, wie Charlotte aufgeblüht ist, seit Linnea da ist. Normalerweise braucht sie recht lange, um mit jemandem warm zu werden.

Ich bin zutiefst erleichtert. Charlottes Schüchternheit hat mir zunehmend Sorgen gemacht. Nicht, dass es grundsätzlich falsch wäre, eher still zu sein, aber ihre Zurückhaltung belastet ihr Schulleben. Sie ist vor ein paar Wochen eingeschult worden, und es läuft nicht so toll. Ich möchte, dass mein kleines Mädchen glücklich und fröhlich ist, und es tut mir weh, mit anzusehen, wie schwer sie sich tut.

Ich gehe zurück in die Küche und lasse den Blick schweifen: Linnea hat den Tisch bereits abgeräumt. Ich sollte eigentlich noch ein paar Kisten auspacken, doch stattdessen lasse ich mich auf die Couch fallen. Ich bin ziemlich ausgepowert, und ein paar Stunden ganz für mich zu haben, fühlt sich gut an.

Kurz darauf klopft es an der Tür. Ich frage mich, ob ich die beiden irrtümlich ausgesperrt habe, und mache mir eine gedankliche Notiz, einen Schlüssel für Linnea nachmachen zu lassen. Aber es ist mein Schwager Weston. Bevor er hereinkommt, wirft er einen Blick über die Schulter, als hätte er Angst, gesehen zu werden.

»Hey, Mann.«

Er nickt mir zu, wirft einen Blick auf sein Telefondisplay und steckt das Handy dann sichtlich erleichtert wieder ein. Wir gehen ins Wohnzimmer, wo er sich auf die Couch setzt.

»Du wirkst irgendwie nervös. Alles in Ordnung?«, erkundige ich mich.

Er atmet tief aus und lehnt sich zurück. »Ja. Ich muss mich nur eine Weile vor Kendra verstecken.«

Ich muss lachen. »Warum das denn?«

»Wir versuchen, schwanger zu werden«, entgegnet er. »Und sie behandelt mich wie ihre ganz private Besamungsstation.«

Vor Überraschung muss ich erst einmal husten, ehe ich antworten kann. »Sie … wow. Äh, okay. Ich wusste gar nicht, dass ihr zwei jetzt schon Kinder haben wollt.«