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Martin Suter

Business Class

Geschichten aus der Welt
des Managements

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Erstausgabe erschien 2000

im Diogenes Verlag

Sämtliche Kolumnen wurden unter

denselben Titeln zuerst veröffentlicht

in der Weltwoche, Zürich,

im Zeitraum September 1995

bis September 1999

Umschlagfoto: Copyright © 2000

Edouard Berne/Tony Stone

Bilderwelten, München

 

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2014

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 23319 3 (26. Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60624 9

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5] Inhalt

Der Mann ohne Zeit  [7]

Knechts schwerste Entscheidung  [10]

Knechts schwerste Entscheidung II  [13]

Knechts schwerste Entscheidung III  [16]

Glaser läßt abschalten  [19]

Die höhere Gerechtigkeit  [22]

Sattler und das Klarsichtmäppchen  [25]

Stegers Rutsch  [28]

Stegers Rutsch II  [31]

Stegers Rutsch III  [34]

Leimgruber und die Macht  [37]

Flexible response  [40]

Zwischenfall auf der Bahnhofstraße  [43]

Küderlis externe Kommunikation  [46]

Ein paar Ostergedanken  [49]

Human-resourceManagement  [52]

Human-resourceManagement II  [55]

Business Class im Restaurant  [58]

Dienen muß der Manager  [61]

Hunold, Manager und Familienvater  [64]

Die Mutante Geissmann  [67]

Der schöne Haubensack  [70]

Das Angenehme an Kappeler  [73]

Männer unter Streß: Perrig  [76]

Die neue Bescheidenheit  [79]

Schiltknecht disponiert  [82]

Messmers bessere Hälfte  [85]

Leuthardt ernstgenommen  [88]

Müller fühlt sich ein  [91]

Der letzte Kofferträger  [94]

Baden, Brugg und Sommerhalder  [97]

Die Philosophie der Maßnahmen  [100]

Die Frau hinter Willimann  [103]

Sandra Segmüllers Frauenbonus  [106]

Bohnenblust, der Job und die Liebe  [109]

Schatten eines Kadermeetings I  [112]

[6] Schatten eines Kadermeetings II  [115]

Feusi motiviert mit Fußball  [118]

Auf dem Wirtschaftsparkett  [121]

Weidmanns Nachtgespräche  [124]

Ein abgewendeter Millionenverlust  [127]

Das Frühstück der mittleren Kader  [130]

Hinter dem Class divider  [133]

Aus unserem Seminarangebot: Sinnlichkeit  [136]

Auch das noch: Das Menschenbild wackelt  [139]

Das Gute in Zaugg  [142]

Das fängt ja gut an  [145]

Grünenfelder verstehen  [148]

Das Phänomen Nefzger  [151]

Der tote Punkt bei Scholls zu Hause  [154]

Hartmanns Ohr bei Morfs zu Hause  [157]

Achtung, Eisberg!  [160]

Gustav Häusler zum Abschied  [163]

Pfeiffers Affäre  [166]

Pädagoge Schnüriger  [169]

Stockers Ausgleich  [172]

Walter Eder überlebt  [175]

Gregor Stampflis Führungsstil  [178]

Ein Team wird geschmiedet  [181]

Aellig und der Fernsehspot  [184]

Läubli setzt auf Eggimann  [187]

Der wahre Maurer  [190]

Die Pendenz Übersax  [193]

Neues von Dings  [196]

Das Fleischliche bei Lupfigs  [199]

Die hierarchische Äquivalenz  [202]

Wengis Kriterien  [205]

Weder läßt sich inspirieren  [208]

Philosoph Holzner  [211]

Bäumlers Terminkollision  [214]

Strategische Planung  [217]

Scheitlins Hintergrundinformation  [220]

Ausgerechnet Babst  [223]

Das Ende der Solidarität  [226]

Die Frau hinter Hostettler  [229]

[7] Der Mann ohne Zeit

Eine bange Stille lastet über dem Sitzungszimmer und kriecht langsam in die Herzen der fünf Männer am Konferenztisch. Nicht mehr als drei Minuten, nicht mehr als drei Minuten, sagt eine Stimme in Rinderknecht. Wahrscheinlich die von Hotz oder Denzler oder Aschwanden oder Brändle. Alle vier haben ihm immer wieder eingeschärft: »Schneebeli hat keine Zeit. Beschränken Sie Ihre Ausführungen auf höchstens drei Minuten. Sonst verliert er die Geduld.«

Was passiert, wenn Schneebeli die Geduld verliert, weiß man nicht so genau. Nur soviel: Es muß verheerend sein. Rinderknecht kann, wenn er die düsteren Andeutungen höhergestellter und erfahrenerer Mitarbeiter (unter anderen Hotz, Denzler, Aschwanden und Brändle) richtig deutet, nicht einmal physische Gewalt restlos ausschließen. Er hat also seinen Beitrag, eine Analyse der potentiellen Tagungsorte für die Händlertagung, auf zwei Minuten sechsunddreißig destilliert. Handgestoppt in der Abgeschiedenheit seines Wagens auf dem Parkplatz des Vita-Parcours.

Hotz, dessen Kästchen im Organigramm noch halbwegs in Rufweite von Schneebelis liegt, mildert die Stille mit dem selbstsicheren Räuspern des Habitués, der keinen [8] Respekt vor der Umgebung bezeugen muß. Denzler mißdeutet das Räuspern als Warnung vor Schneebelis Eintreten und schaut zur Tür. Aschwanden und Brändle folgen seinem Blick. Rinderknecht ist schon praktisch auf den Beinen, als Hotz mit einem milden Lächeln den Kopf schüttelt und die anderen nervös einstimmen.

»Nur keine Panik, Herr Rinderknecht, Sie kommen noch früh genug dran«, schmunzelt Hotz gönnerhaft. Denzler, Aschwanden und Brändle schmunzeln mit. Dann lähmt sie die Stille wieder.

Nicht mehr als drei Minuten, denkt Rinderknecht und lüpft verstohlen die erste Seite seines Exposés.

Denzler malt mit einem gelben Highlighter auf seinem Papier herum und denkt: drei Minuten. Höchstens drei Minuten.

Aschwanden starrt an die Decke und denkt: Das schaff ich leicht in drei Minuten.

Brändle zieht seine Armbanduhr aus und legt sie neben seine Klarsichtfolie.

Hotz unterbricht die Stille: »Und nicht vergessen: Nicht mehr als drei Minuten.« Und dann fügt er vielsagend hinzu: »Sie kennen Schneebeli.«

So sitzen die fünf Herren beklommen am Konferenztisch und warten auf den Mann, dessen Minuten so kostbar sind, daß er jedem von ihnen nur drei davon widmen kann.

Einmal setzt sich eine Taube aufs Fenstersims, und Denzler sagt: »Eine Taube.« Einmal nähern sich Stimmen der Tür. Und entfernen sich wieder.

Irgendwo in den Verästelungen des Konzerns überzieht [9] wohl jemand seine drei Minuten und zehrt, weil Schneebeli selber ja keine Zeit hat, von der Ration der fünf Wartenden.

Die Minuten versickern. Eine von Hotz, eine von Denzler, eine von Aschwanden, eine von Brändle und eine von Rinderknecht.

Die Zeit verstreicht, ohne daß die Tür auffliegt und Schneebeli hereinstiebt und die Sitzung eröffnet, noch bevor er Platz genommen hat. Erst als die drei Minuten von jedem der fünf längst abgelaufen sind, klingelt das Telefon. Hotz meldet sich. »Danke, Frau Gerhard«, sagt er verständnisvoll und legt auf. »Herr Schneebeli läßt ausrichten, er schaffe es nicht, und bittet uns, ihn zu entschuldigen.«

Das tun sie denn auch. Erleichtert und im Bewußtsein, dem Mann ohne Zeit keine Minute vergeudet zu haben.

[10] Knechts schwerste Entscheidung

In den ausgestorbenen Etagen jammern die Staubsauger, die meisten Büros sind schon dunkel, und in den Gängen gehen nach und nach die Leuchtstoffröhren aus. Auf Knechts Pult, Variante B des Standardprogramms »Mittlere Kader I« in Kellco Pastellbeige, stapeln sich die Büromöbel-Kataloge. Er hat sie aus dem Mäppchen »Privat« zuhinterst in der Hängeregistratur geholt, als er sicher war, daß die Luft rein war. Denn das Studium von Büromöbeln der gehobenen Einrichtungsklasse bereits im Vorfeld der Beförderung könnte ihm von Neidern, also von praktisch allen, falsch ausgelegt werden.

Dabei geht es Knecht wirklich nur darum, die bevorstehende Einarbeitungsphase in seine neue Position nicht mit scheinbaren Nebensächlichkeiten wie der Evaluation der Büroeinrichtung zu belasten. Er möchte, daß diese Entscheidung dann, wenn sie ansteht, bereits ausgereift ist. Damit er sie mit der Entscheidungsfreude und dem Blick für die Prioritäten treffen kann, die seiner neuen Position angemessen sein werden.

Knecht nimmt sich also Zeit. Er hat zu Hause angerufen und geseufzt, daß man wieder nicht mit dem Essen auf ihn zu warten brauche. Und Melanie hat das zur Kenntnis genommen mit der Routine einer Ehefrau, die [11] bereit ist, den Preis für die Karriere des Gatten zu bezahlen. Das ist der eine Grund, warum Knecht die Büromöbel-Evaluation nicht zu Hause durchführt: Er will die Familie rechtzeitig an die Verschärfung seines Arbeitsrhythmus gewöhnen, die, schon aus Prestigegründen, mit der Beförderung verbunden sein wird. Der andere Grund ist Melanies Aberglaube. Sie würde sagen, daß er seine Beförderung gefährde, wenn er sich schon jetzt so intensiv mit der Einrichtungsfrage beschäftige.

Bis und mit Stufe »Mittlere Kader III« sind die Einrichtungsprogramme vorgegeben. Bei »Mittlere Kader II« bekommt man eine Alternative, bei »Mittlere Kader I« die Wahl zwischen drei Linien. Aber ab »Obere Kader III« erhält die Führungskraft ein Budget zugesprochen. Und innerhalb desselben freie Hand.

Knecht hat sich schon vor einiger Zeit am Rande eines unbegleiteten samstäglichen Ausflugs ins Gartencenter mit Prospektmaterial eingedeckt. Ein verständnisvoller Einrichtungsberater hatte ihn durch stille unterirdische Ausstellungsräume geführt und ihm ein paar passende Objekte gezeigt, nachdem ihm Knecht seine Vorstellungen (»ruhig etwas repräsentativ«) und sein Budget (»etwa 25 000 Franken«) mitgeteilt hatte. Er war der erste Mensch, mit dem Knecht offen über diejenigen Aspekte einer Büroeinrichtung sprechen konnte, die nun einmal über das rein Funktionale hinausgehen. Er nahm unverkrampft Wörter wie »Chefzimmer«, »obere Benutzerebene« und »Repräsentationslevel« in den Mund und überraschte und bestätigte Knecht mit der Einsicht, daß ein Büro letztlich nichts anderes sei als eine Art, sich auszudrücken. Wie die Kleidung.

[12] Knecht, der sich an jenem Samstagnachmittag angesichts seines gemischten Programms in einem offenen Buttondown ohne Krawatte, aber mit sportlichem Veston ausdrückte, hatte seinen Büroberater erst kurz vor Ladenschluß verlassen. Mit einer auffälligen Tragetasche voller Entscheidungsgrundlagen, die er im Kofferraum gelassen und am Montag in der Mappe ins Büro geschmuggelt hatte. Seither studiert er sie oft und ernst bis weit nach Arbeitsschluß. Aus obigen Gründen. Und weil es nichts schaden kann, im Vorfeld der Beförderung als letzter das Haus zu verlassen.

[13] Knechts schwerste Entscheidung II

Die Einrichtung des Büros ist natürlich nicht der wichtigste Aspekt einer Beförderung ins obere Kader. Gehalt, Titel, Handelsregistereintrag, Publikation, Spesenpauschale, Beletage, Business Class auf allen Flügen, Anhebung von Hotelkategorie und Hubraum des Geschäftswagens und das Visitenkärtchen mit erhabenen Buchstaben sind genauso wichtig. Aber man kann dabei nichts falsch machen.

Ganz anders bei der Büroeinrichtung. Knecht ist zum Beispiel überzeugt, daß der wahre Grund von Winingers Scheitern die geschweifte Messingtürklinke war, die er sich an seine Bürotür hatte montieren lassen. Eine kleine Geschmacksverirrung, eine einzige schlecht getarnte Eitelkeit, und schon wurde alles, was er tat, unter dem Aspekt beurteilt, daß er es hinter einer goldenen Türklinke tat.

Das erste, was man bei der Wahl der Büroeinrichtung falsch machen kann, ist, sie nicht wichtig zu nehmen. Das zweite ist, sich dabei erwischen zu lassen, daß man sie wichtig nimmt. Besonders in einem Stadium, in dem die Beförderung zwar so gut wie geritzt, aber noch nicht ausgesprochen ist. Deswegen studiert Knecht das Prospektmaterial im Büro nach Arbeitsschluß in Überstunden, die er auf dem Arbeitsrapport als »Administration« deklariert.

[14] Der erste Grundsatzentscheid bei der Wahl des Chefschreibtischs lautet: Beinblende, ja oder nein? Knecht hat die Idee, dem Chef den Unterleib optisch zu kupieren, immer sehr eingeleuchtet. Es reduziert ihn auf seine Essenz: Kopf, Herz und Hand, und macht ihn dort, wo die niederen Instinkte sitzen, unangreifbar. Und, nicht zu unterschätzen, es erhöht die Exponiertheit der Vorsprechenden auf dem Besucherstuhl (über den er später entscheiden wird). Und dann hat die Beinblende noch einen Vorzug, auf den er erst nach längerem Studium der Entscheidungsgrundlagen gekommen ist: Weil sie verhindert, daß man an der dem Chef abgewandten Seite die Beine unter den Schreibtisch kriegt, erzwingt sie praktisch die Besucherkonsole, wie er die schmale, zusätzliche Tischplatte an der Schreibtischfront nennt, an der Untergebene Anweisungen notieren und Sekretärinnen Diktate aufnehmen können.

Dieses Katzentischchen am Kommandopult hat den Vorteil, daß es eine gewisse Maßstäblichkeit ins Gesamtbild bringt, wie das Streichholz neben dem Sandfloh. Knecht neigt in seinen ersten abendlichen Evaluationssitzungen sehr zum Chefpult mit Beinblende und Besucherkonsole, denn dadurch, daß es die Hierarchie schon eingebaut hat, erlaubt es dem Besitzer ein viel jovialeres Auftreten.

Es hat aber auch Nachteile: eine gewisse Behäbigkeit, eine etwas konservative Note, vor allem bei der Eschenkombination in warmen Cognac-Farben.

Weil er als Einsteiger ins obere Kader aber eher Dynamik und Progressivität ausdrücken sollte, befaßt er sich in späteren Überstunden mehr und mehr mit den modernen [15] Lösungsansätzen. Mit Systemen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen (als ob nicht gerade dieser nach Beinblende und Besucherkonsole lechzte). Und mit Designern, denen der Raum ebenso wichtig ist wie der einzelne Arbeitsplatz und für die das Büromöbel nicht Statussymbol und Reviermarke, sondern architektonisches Element zur Strukturierung von Räumen ist.

Ein weites Feld. Zwei Wochen vor der eigentlichen Beförderung hat Knecht noch nicht einmal die Schreibtischentscheidung getroffen.

Und der ganze Komplex »Repräsentanz und Ergonomie des Sitzens am Arbeitsplatz der Führungsebene« liegt noch vor ihm.

[16] Knechts schwerste Entscheidung III

Nach achtunddreißig als »administrativ« verbuchten Überstunden hat Knecht sich entschieden. Gegen die Beinblende, gegen die Besucherkonsole, gegen alles vulgär Statussymbolische, für das Kultiviert-ästhetisch-Funktionale. Achtunddreißig Stunden intensivster Beschäftigung mit der Problematik des Arbeitsplatzes der Führungsebene haben ihn zum Experten auch auf diesem Gebiet gemacht.

Er weiß jetzt alles über durchschlaufungsfreie Kabelführung, stufenlose Höhen- und Neigungsverstellung, Verkettungselemente, Raumtrennelemente, Beistellschränke und Unterstellkorpusse. Er hat sich so sachkundig gemacht, daß er seine Entscheidung aufgrund technischer Gesichtspunkte und praktischer Erwägungen treffen konnte. Und mit Hilfe systematischer Situationssimulationen:

Er stellte sich zum Beispiel vor, wie er hinter dem ZK 5000 DL sitzt (Schwergewicht: diskrete Eleganz und wohnliche Ambiance), bei dem der Zugang zum Kabelkanal der Verkettungselemente durch Anheben und Einrasten der Platte erfolgt. Es klopft, und Heimann kommt herein. Heimann, der im Kampf um die Beförderung den kürzeren gezogen haben wird, Heimann, der immer noch in seinem Standardbüro »Mittlere Kader I« sitzen und sich [17] jedes Mal in den Arsch beißen wird, wenn er Knechts »Obere-Kader-III«-Büro sieht. »Ach, Heimann«, würde er sagen, wenn er endlich von seinem vertraulichen (nur für obere Kader!) Papier aufblickt, »nehmen Sie doch Platz.« Und Heimann müßte sich vor die Beinblende an das Konsölchen zwängen, das knapp Platz für ein Telefon-Memo bietet.

Oder er stellte sich vor, wie er am Bildschirmeckelement seines Stilo-com-Chefbüros Esche Cognac mit Organisationsschiene sitzt. Es klopft, und Heimann kommt herein. »Ach, Heimann«, würde er sagen, »nehmen Sie doch Platz.« Und Heimann müßte sich an den abgelegenen Besprechungstischanbau setzen und warten, bis Knecht aus dem nur für obere Kader zugänglichen File im Netzwerk ausgestiegen ist.

Viele solcher Szenarien hat er durchsimuliert. Zum überzeugendsten wuchs im Laufe der Zeit das folgende heran: Knecht sitzt an der freien Arbeitsfläche seines Metropol, Schweizer Birnbaum-Furnier, naturhell gebeizt und lackiert. Bildschirm, Telefon und Arbeitsunterlagen alle auf Ablagen und Regalen über dem Haupttisch untergebracht. Es klopft, und Heimann kommt herein. »Ach, Heimann«, würde er sagen und den angedockten Besprechungstisch so weit ausschwenken, daß Heimann an die äußerste Peripherie seines Machtzentrums zu sitzen kommt, »nehmen Sie doch Platz.« Dann würde er auf den Doppel-Lenkrollen seines Trilax, der dem natürlichen Bewegungsablauf beim entspannten Sitzen absolut synchron folgt und mit seinen drei Drehpunkten den Körper in jeder Position ergonomisch richtig abstützt, elegant an das [18] dreischichtig verleimte Edelholzprofil der Besprechungstischkante gleiten und sagen: »Fassen Sie sich kurz.«

Während Knecht so die letzten Detailentscheidungen für die Einrichtung seines Büros nach der Beförderung trifft, fährt unten der Mercedes von Abderhalden, Delegierter des Verwaltungsrates, aus der Tiefgarage.

»Wer hat denn dort noch Licht?«

»Knecht, der arbeitet in letzter Zeit immer so lange«, antwortet Dönni, Personalchef.

»Ist der nicht als Direktor im Gespräch?«

Dönni nickt.

»Und benötigt schon als Vizedirektor Überstunden.« Abderhalden schüttelt den Kopf. »Haben wir eine Alternative?«

»Heimann«, antwortet Dönni.

[19] Glaser läßt abschalten

Als Glaser dreißig war, galt es in Kreisen des mittleren Jungmanagements als unmännlich, mehr als fünf Stunden zu schlafen. In der Euphorie eines anständigen Schlafmankos wirkte alles, was man tat, viel effizienter. Streß war ein Stimulans. Man prahlte, wieviel man davon vertrug, und versuchte, sich gegenseitig unter den Tisch zu stressen.

Später, auf der oberen Führungsebene, war Streß zwar nicht mehr Modedroge Nummer eins, aber immer noch gesellschaftsfähig. Wer nicht unter Streß stand, wirkte halt doch irgendwie ersetzlich. Man konnte unter Männern über Streß reden wie über sonst ein Laster, und der andere wußte genau, wovon man sprach.

Aber heute, wo es Glaser in die Führungsspitze geschafft hat, gilt Streß, offen zur Schau getragen oder vertraulich eingestanden, als uncool. Manager, die unter Streß leiden, sind ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Glaser wird also zum heimlichen Stresser. Er wacht zwar immer noch um vier Uhr auf und grübelt darüber nach, worüber er bis sieben Uhr nachgrübeln könnte. Aber er stellt sich jetzt schlafend dabei. Es schnürt ihm immer noch den Brustkorb ein, wenn er zur Agenda greift. Aber er greift jetzt verstohlen zu ihr, wie ein Trinker zum Flachmann. Und er reißt sich immer noch die Brille vom Gesicht, um mit [20] beiden Handballen wütend die Augen zu reiben. Aber er tut das jetzt heimlich zwischen Sitzungen.

Doch während der offen zelebrierte Streß inspirierend und der freimütig eingestandene immerhin noch stimulierend waren, fängt der heimliche an, ihm auf die Gesundheit zu schlagen. Glaser leidet neuerdings unter Anfällen von Herzklemmen, Sodbrennen und Nachtschweiß.

Eine Weile schaut er dem zu. Dann beschließt er, sich den Streß abzugewöhnen.

Streß, sagt sich Glaser, ist ja nur die Unfähigkeit abzuschalten. Und Unfähigkeiten jeder Art sind für Glaser, wenn überhaupt, vorübergehende Erscheinungen. Er nimmt sich also vor, in Zukunft beim Verlassen des Büros abzuschalten.

Aber er findet den Schalter nicht.

Glaser sitzt am Sonntag mit seiner verwunderten Familie scheinbar entspannt beim Brunch und hat einen Klumpen aus Terminen und Pendenzen im Magen.

Oder er sitzt prustend in der Sauna und ertappt sich dabei, wie er seinen nackten Oberkörper nach einem Kugelschreiber abklopft.

Schließlich gesteht er sich ein, daß ihn das Abschaltenwollen mehr streßt, als es das Nichtabschaltenkönnen je vermocht hatte. Und Glaser tut, was er immer tut in den seltenen Fällen, in denen er zugibt, daß er etwas nicht selber kann: Er delegiert.

Er läßt sich bei seinem Arzt, einem Geheimtip unter Führungskräften, einen Termin während einer Randstunde geben und zieht ihn ins Vertrauen. Der hört sich Glaser eine Weile an, schielt ab und zu auf die Uhr und [21] sagt dann: »IMAP. Eine Spritze pro Woche, und nach vier Wochen bist du entkoppelt. Und wenn der Streß wiederkommt, wiederholst du die Kur.«

Glaser läßt sich also abschalten. Bereits nach der ersten Behandlung fühlt er sich, als hätte man seine Seele eingeölt. Nichts kommt an ihn heran, alles perlt ab wie Seewasser vom Gefieder der Zwergtaucherli.

Nach vier Wochen ist Glaser entkoppelt. Zwar ist er nach wie vor gestreßt. Aber jetzt ist es ihm wurst.

[22] Die höhere Gerechtigkeit

»Bertschi? Gefeuert? Ist das offiziell?«

»Nein. Aber sicher. Er wurde gestern zu Hitz gerufen. Und peng.«

»Und peng?«

»Und peng.«

»Bertschi. Gefeuert. Daß ich das noch erleben darf. Hast du ihn schon gesehen?«

»Gerade vorhin.«

»Und?«

»Auffallend still.«

»Still. Bertschi still. Schwer vorstellbar.«

»Und bleich.«

»Still und bleich. Das muß ich sehen. Bertschi still und bleich.«

»Beeil dich aber. Bevor sie ihn freistellen.«

»Glaubst du, die stellen ihn frei?«

»Gut möglich. Der macht doch jetzt nichts mehr Gescheites.«

»Das hat die bis jetzt ja auch nicht gestört.«

»Offenbar doch.«

»Hehe. Bertschi rausgeschmissen.«

»Rausgeknallt.«

»Rauskatapultiert.«

[23] »Peng!«

»Der sah sich doch schon als Hitz’ Nachfolger.«

»Wahrscheinlich hat er gedacht, er wird befördert, als ihn Hitz kommen ließ.«

»Wurde er ja auch. AN DIE LUFT

»Haha. Der ist gut. Den muß ich Nigg erzählen. An die Luft. Ha!«

»Im Ernst: Der hat das doch nicht erwartet, so überzeugt wie der von sich ist. Das muß den getroffen haben wie ein Blitz aus heiterem Himmel.«

»Peng!«

»Pedeng!«

»Man sollte ja nicht lachen.«

»Glaubst du, Bertschi würde nicht lachen, wenn es einen von uns beiden getroffen hätte?«

»Und wie.«

»Totlachen würde der sich.«

»Trotzdem: Es ist hart. Da arbeitet sich einer elf Jahre lang hoch…«

»…mit Kratzen, Spucken und Beißen…«

»…und dann, praktisch auf der Zielgeraden: Paff!«

»Padadaff!«

»Schon hart. Haha.«

»Knallhart. Hehe.«

»Vor allem, wenn man, haha, praktisch den ganzen, hahaha, Rupert Lay auswendig gelernt hat, hahaha.«

»Und wenn, hehe, wenn man, hehehe, auf eigene Kosten, hehehe, drei Tage zum Top Management Forum nach Brüssel fliegt, hehehe.«

»Schon grausam, hihihi.«

[24] »Und zwei Tage Ferien nimmt für die Tagung, hohoho, ›Erfolg im neuen Verdrängungswettbewerb‹, hohohehehe.«

»Trotzdem, hahahihihi, man sollte nicht, hihihaha, lachen.«

»Hohohoheheheho.«

»Hihihahahiha.«

»Ufff!«

»Oioioi!«

»Still und bleich, sagst du?«

»Still und bleich, ich schwör’s.«

»Und du bist sicher? Still und bleich kann man auch nach einer Beförderung sein.«

»Bleich schon, aber doch nicht still. Nicht Bertschi.«

»Da hast du recht. Der bestimmt nicht.«

»Nein, nein: Der wurde abserviert, da kannst du dich drauf verlassen.«

»Chapeau! Wirklich: Der alte Hitz überrascht mich.«

»Mich auch.«

»Bertschi wahrscheinlich auch, hehe.«

»Hihi.«

»Peng!«

»Pedeng!«

»Pededeng!«

[25] Sattler und das Klarsichtmäppchen

»Wenn Sie mich für einen Moment entschuldigen«, hat Abt nach knapp zwanzig Minuten gesagt und ist hinausgegangen wie ein Mann, der ein gigantisches und nur für ihn überschaubares Räderwerk brisanter Aktivitäten unterschiedlichster Geheimhaltungsstufen zu überwachen hat.

Sattler schaut sich im Raum um: Zimmerlinde in Hydrokultur, Jean Tinguelys Montreux-Plakat, Swissair-Kalender, Steinbergs »New-Yorker«-Plakat, Vorhang aus senkrechten Lamellen, mausgrauer Velours, sechs Breuer-Imitationen um einen Besprechungstisch, auf dessen Platte, Kellco, ecru, matt, ein gelbes Klarsichtmäppchen im kalten Licht dreier Niedervoltlämpchen glänzt.