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Impressum

© alle Fotos, falls nicht anders gekennzeichnet, beim Autor

Titel der Originalausgabe:

Sound of the Beast – The Complete Headbanging History of Heavy Metal

Copyright © 2003 by Ian Christe

Published by HarperCollins Publishers Inc., New York

3. Ausgabe 2013

© 2013 der deutschen Ausgabe:

Koch International GmbH/Hannibal, A-6600 Höfen

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Published by arrangement with HarperEntertainment a division of HarperCollins Publishers, Inc.

Lektorat: Kirsten Borchardt

Ebook: Thomas Auer, www.buchsatz.com

ISBN 978-3-85445-413-7

Auch als Paperback erhältlich: ISBN 978-3-85445-402-1

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt

und darf ohne eine schriftliche Genehmigung nicht verwendet oder reproduziert werden.

Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen und die Einspeicherung und Ver arbeitung in

elektronischen Systemen.

Inhalt

Prolog • Freitag, 13. Februar 1970

I Die Siebzigerjahre: Auftakt zur Härte

II England rockt hart: die New Wave of British Heavy Metal

III 1980: Die amerikanische Einöde wartet

IV Heavy Metal America: bunte Bühnen, bunte Bilder

V Fans im Fieber:Metallica & Power Metal

VI Slayer: die Könige der Black-Metal-Teufel

VII Die Zensur schlägt zu: Anti-Metal-Panik in den USA

VIII Rattleheads:Metal wird manisch

IX Volle Kraft voraus: Thrash Metal greift an!

X Die Glambanger aus Hollywood

XI Vereinte Kräfte:Metal und Hardcore Punk

XII Und Platin für „One“ … Metal wird erwachsen

XIII Der große Wandel in den Neunzigern: das Schwarze Album & was sonst geschah

XIV Death Metal – die Erlösung?

XV World Metal: die Globalisierung des Heavy Metal

XVI Brennende Kirchen: Black Metal in Norwegen

XVII Satan vor Gericht: Im Namen des Volkes gegen Heavy Metal

XVIII Das Anti-Metal-Zeitalter: neuer Haarschnitt, neue Wurzeln

XIX Der virtuelle Ozzy & die digitale Erneuerung des Metal

XX Zurück auf dem Thron: Headbanger an der Macht

Epilog • 2001: Unbesiegbar und immer wiederkehrend

Nachwort

Die 25 besten Heavy-Metal-Alben aller Zeiten

Das Kleingedruckte – Metal-Charts

Seid gegrüßt

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Prolog : Freitag, 13. Februar 1970

Am Anfang waren die düsteren Weiten des Nachthimmels und des Unbe­kannten. Die ungelüfteten Geheimnisse der Geschichte wirbelten dort in Besorgnis erregender Besinnungslosigkeit umher, belebt durch Kräfte so alt wie die Zivilisation selbst – rauchig, silbrig, religiös und dunkel. Diese starken Strö­mungen lagen oft still und vergessen da, bis sie ihre entsetzliche Macht in Zei­ten des Kriegs, der Krise und des Aufruhrs entfesselten. Sie besaßen keinen eige­nen Sound und keine eigene Definition, bis sie gebändigt und unterworfen wurden durch das Erscheinen von Black Sabbath – den weisen Unschuldigen, den Erfindern des Heavy Metal.

Von Anfang an brachten Black Sabbath eine kraftvolle, leidenschaftliche Einstellung zum Ausdruck, wie sie sonst in der Öffentlichkeit nicht geäußert wurde. Sie waren Propheten, aufgewachsen auf der Schattenseite der englischen Gesellschaft, unter Arbeitslosen – Menschen, die als moralisch zweifelhaft und als Leute von minderem sozialem Wert galten. Alle vier Mitglieder wurden 1948 beziehungsweise 1949 im englischen Birmingham geboren, einer herunter­gekommenen Industriestadt, die sich schwer tat in einer Zeit, in der die Indus­trie längst nicht mehr der Stolz Europas war. Sänger John Michael Osbourne alias Ozzy, eins von sechs Kindern und bereits wegen Diebstahl verurteilt, arbei­tete gelegentlich in einem Schlachthof. Gitarrist Tony Iommi, der ständig zu Streichen aufgelegte Sohn eines Süßwarenladenbesitzers, hatte sich bei einem Unfall in einer Metallwerkstatt zwei Fingerkuppen der rechten Hand abgehackt. Der eigenwillige Bassist der Band, Terry „Geezer“ Butler, war für seine extra­vaganten grünen Secondhandklamotten bekannt. Schlagzeuger Bill Ward kam aus rasender Verzweiflung zur Musik, wie er selbst das einmal formulierte; ein Umstand, der sich an der eleganten Unordnung seines Spiels durchaus ablesen ließ. Die vier wuchsen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg auf, umgeben von dem Schutt und den Trümmern, welche die massiven Bombenangriffe der Nazis hinterlassen hatten. In der Welt, die man ihnen überließ, schien eine Kar­riere als Außenseiter und Abenteurer das einzig Sinnvolle.

Unter dem Namen Polka Tulk, den sie einem Birminghamer Teppich­händler abgeguckt hatten, schlugen Ozzy und die anderen den Weg ein, wie ihn Bands wie die Yardbirds, Ten Years After und Cream vorgezeichnet hatten: Sie spielten endlos und schön laut die Standardnummern amerikanischer Blues­musiker. Deren melancholischer Sound wandelte sich allerdings drastisch auf seiner Reise von Birmingham, Alabama, nach Birmingham, England – nun wurden die traurigen Töne durch industrietaugliche Verstärker und die Dro­genszene der späten Sechzigerjahre grotesk verzerrt. Nachdem sie ihren Namen in Earth geändert hatten, erlangte das Quartett durch seine die Sinne betäu­bende Lautstärke und Bühnenshow größere Bekanntheit.

Dann kam der Durchbruch – die spontane Entstehung des Songs „Black Sabbath“. Für die Band markierte er einen bedeutenden Neubeginn, und er sollte zur Grundlage des Heavy Metal insgesamt werden. Es war ein Song, der nur auf drei Tönen beruhte, zwei davon waren ein D. Der Erzähler berichtet darin mit Furcht erregender Angespanntheit vom Jüngsten Tag und keucht mit stocken­dem Atem: „What is this, that stands before me? Figure in black, which points at me … – Was ist das, was dort vor mir steht? Eine Gestalt ganz in Schwarz, die auf mich zeigt …“ Angetrieben durch surrendes Feedback verstärkt sich der Horror stetig und explodiert schließlich auf dem Höhepunkt der Anspannung, als der sich sträubende Protagonist vom Jüngsten Gericht verschlungen wird. Eine grausige Geschichte, die Edgar Allan Poe alle Ehre gemacht hätte, erzählt mit Gitarren, Schlagzeug und einem knackenden Mikrofon.

Mit seiner Ehrfurcht erregenden Kraft nahm „Black Sabbath“ das Publi­kum sofort gefangen. Der Song hatte eine unumkehrbare Wirkung auf die Band, die in ihrer drogenverklärten Unschuld plötzlich das Gefühl hatte, ihren Händen sei durch eine unsichtbare Macht Genialität verliehen worden. Auf diese Weise inspiriert, erhob sich das Ensemble bald über sein Umfeld, ließ den Rock ’n’ Roll hinter sich und begann sich den jüngsten musikalischen Befreiungsschlägen von Musikern wie beispielsweise Miles Davis zuzuwenden, die sich den starren Grenzen der Genres widersetzten. Gemeinsam mit dem unheilvollen „Warning“, einem Jam, den sie von der hippen Bluesgruppe Ayns­ley Dunbar’s Retaliation übernommen hatten, wurde „Black Sabbath“ zum Kernstück eines neuen Sounds, zum Grundsignal einer akustischen Todesangst, die es notwendig machte, dass sich die Band in Black Sabbath umbenannte.

Tony Iommi, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden der ihn umgeben­den Welt stand, nahm die Musik der Vergangenheit, ohne sich allzu sehr um Tra­dition zu kümmern, und spielte sich mit eigenem Rhythmus und eigener Finesse durch die Bluestonleitern. Damit er die Gitarrensaiten ausdrucksvoll dehnen konnte, ohne dass ihn die gekappten Fingerkuppen schmerzten, stimmte sich die Gruppe auf tiefere Tonarten ein. Die zeitlose Spannung, die seine meister­haften Töne erzeugten, verlieh Black Sabbath geniale Tiefe. So entstand aus Not, beinahe zufällig, ein überwältigender Sound. Aus einer Deformierung ergab sich eine merkwürdige Schönheit – und eine Verbindungslinie von dem Gittaristen mit den drei Fingern zu dem Zigeuner Django Reinhardt, der eine von Iommis zahlreichen ungewöhnlichen Inspirationsquellen darstellte.

Neben Iommis vielseitiger Gitarre trieb die Rhythmusgruppe den endlosen Strom kraftvoller Riffs mit hektischen Breakbeats und elektrisierenden Akzen­ten an. Bill Ward behauptete, Black Sabbath hätten nie „den Rhythmus gehal­ten“, dennoch aber durch ein ungeheures Einfühlungsvermögen eine starke Einheit geschaffen – sozusagen mittels eines sechsten Sinns, der die Schwerkraft der Musik verstärkte und den Zuschauer in diese Struktur hineinzog. Die so entstandene Klangmauer war überwältigend und strotzte vor Wildheit: In alten Filmen sieht man Ward und Geezer Butler herumzappeln wie überdrehte Marionetten in der Hand Gottes.

Der junge Zeremonienmeister Ozzy Osbourne führte das Publikum entzückt an das neue Paradigma heran, indem er in charismatischem Kontrast zur steiner­nen Maske der Musik in die Hände klatschte, tanzte und nickte. Dekadent und besinnungslos, aber damals noch nicht aufgedunsen oder drogenvernebelt, durch­drang Ozzy die ihn umgebende Schwere mit seinem wütenden Geheul. Seine schi­zophrene Gesangstechnik kam von doppelt aufgenommenen Stimmen – einer hohen und einer tiefen –, die eine Oktave auseinander lagen. Wenn die Band tie­fer spielte, sang Ozzy höher. Welche Rockstar-Protzerei der Sänger auch an den Tag legte, sie wurde von der leidenschaftlichen Entschlossenheit der Band aufge­hoben und durch das allzu wahrhaftige persönliche Delirium der Texte Butlers ausgeglichen: „I tell you to enjoy life / I wish I could but it’s too late – Ich kann nur sagen, genießt euer Leben / ich wünschte, ich könnte es, aber es ist zu spät.“

Im Verlauf ihres Aufstiegs absolvierten Black Sabbath ihre Lehrzeit in den gleichen europäischen Clubs wie einst die Beatles. Dabei knackten sie den Haus­rekord der Liverpooler im Hamburger Star Club auf der Reeperbahn, wo sie vor Touristen und Go-go-Tänzerinnen jede Nacht sieben fünfundvierzigminütige Sets spielten. Dieses mörderische Programm ließ die vier bis an die Grenze der Perfektion proben, bis sie schließlich so erschöpft waren, dass ihnen Inspira­tion und Innovation vergingen.

Phillips Records boten Sabbath 1969 einen Vertrag an, und daraufhin spielte die Band in einer zweitägigen Session für sechshundert Pfund ihr erstes bahnbrechendes Album ein. Die Bänder wurden am nächsten Tag von einem Studioproduzenten abgemischt, der es der Band nicht gestattete, ihm auch nur irgendwie ins Handwerk zu pfuschen. Trotz der überstürzten Arbeitsweise (die jedoch damals durchaus typische Aufnahmebedingungen für Rockbands dar­stellte) blieb kaum Platz auf der Platte übrig. Der Produzent schnitt ein acht­zehnminütiges Gitarrensolo von Tony Iommi aus „Warning“ heraus, ohne dies mit der Band abzusprechen. Auf Drängen der Plattenfirma koppelten Sabbath eine neue Version von „Evil Woman“ als erste Single aus – der Song war erst kürzlich durch die Band Crow zum Hit geworden, und die Firma erhoffte sich von dieser Neuauflage schnellen Erfolg.

Am Freitag, dem 13. Februar 1970, wurde Black Sabbath bei Vertigo Records, einer neuen experimentellen Tochtergesellschaft von Phillips, veröf­fentlicht. Black Sabbath, das erste vollständige Heavy-Metal-Werk der ersten ech­ten Heavy-Metal-Band, war wie ein süchtig machendes, bewegungsloses Zeit­fenster, das von einer unheilvollen Präsenz durchdrungen war, welche die mun­teren Rhythmen der populären Rockmusik erschütterte. Die selbst geschriebe­nen Songs „N.I.B.“ und „Wicked World“ gleiten zusammen mit „Black Sabbath“, „Warning“ und „Evil Woman“ auf einer ungeheuren Lautstärke und anhalten­dem Feedback dahin. Auf dieser Platte, die sich jeder Kategorisierung wider­setzte, wurde die Härte dieses Frontalangriffs durch die traumähnliche Sanftheit von „Sleeping Village“ und „Behind The Wall Of Sleep“ ausgeglichen.

In Anlehnung an Children of the Damned und andere billige englische Psycho-Horrorfilme war auf dem Cover von Black Sabbath ein verfallenes, von kargem Gestrüpp überwuchertes Cottage abgebildet, das die Gestalt einer blass­grünen Zauberin teilweise verdeckte. Das Innere des Klappcovers enthielt außer einigen Details ein grimmiges Schauergedicht, das einem riesigen umgekehr­ten Kruzifix eingeschrieben war.

Still falls the rain, the veils of darkness shroud the blackened trees, which contorted by some unseen violence, shed their tired leaves, and bend their boughs toward a grey earth of severed bird wings. Among the grasses, poppies bleed before a gesticulating death, and young rabbits, born dead in traps, stand motionless, as though guarding the silence that surrounds and threatens to engulf all those that would listen …

Leise fällt der Regen, die Schleier der Dunkelheit umhüllen die geschwärzten Bäume, die – verbogen und verzerrt von einer ungesehenen Gewalt – ihre müden Blätter abwerfen und ihre Äste einer grauen Erde voll abgetrennter Vogelschwingen entgegenbiegen. Unten auf dem Gras bluten Mohnblüten einem zuckenden Tod entgegen, und junge Kaninchen, tot in Fal­len geboren, stehen bewegungslos da, als bewachten sie die Stille, die sie umgibt und alle zu verschlingen droht, die zuzuhören wagen …

Mit silbernen Kreuzen kultivierten die Mitglieder von Black Sabbath ein Bild des Unheimlichen – ein Image, das stark vom damals angesagten Interesse an Hexerei und Mystizismus geprägt war. Das machte die Band bei selbst ernannten Satanisten berühmt und berüchtigt und sorgte für ein paar kleine öffentliche Proteste von Kirchgängern. Rockstars vor ihnen hatten das Pop­bewusstsein mit Blumen und Straßenparaden verzaubert und versprochen, die Welt zu verändern. Black Sabbath liefen am Ende der Prozession, predigten noch immer die Notwendigkeit der Liebe, warnten aber die Nachzügler, dass es keine Rückkehr zur Gnade Gottes gab. Während die meisten populären Zeit­genossen auf dem „Mädchen beißt Mann“-Gebiet versackten, sangen Sabbath von vaterlosen Kindern und der Schlechtigkeit der Welt. Bill Ward beschrieb die edle Außenseiterperspektive der Band später als „gesunde Wut“.

Wie ein nachhallendes Echo aus lange vergangener Zeit inszenierte die Musik Konflikte zwischen Menschen auf Erden, und zwar nicht als Tages­geschehen, sondern als mythische Auseinandersetzungen. Mit der gesamten Zere­monie läutete die Totenglocke für die bis dahin als Rock ’n’ Roll bekannte Musik, die seither nichts weiter sein sollte als eine gezähmte Verwandte des Heavy Metal. „Black Sabbath haben jede einzelne Band beeinflusst, die es gibt“, sagt Peter Steele von Type O Negative, einer Band, die sich dreißig Jahre später von Sabbath inspi­rieren ließ.„Für mich waren sie das Heftigste überhaupt,und das sind sie immer noch. Härter kann man nicht werden. Ich liebe diesen langsamen, monotonen Sound, der so klingt, als ob ein Dinosaurier durch den Wald stapft.“

Sie waren aufgetaucht wie der Monolith in Stanley Kubricks Film 2001: Odyssee im Weltraum, der damals gerade höchst aktuell war, und sie ließen sich ebenso wenig klein reden wie der bodenlose Ozean, der immer währende Him­mel und die sterbliche Seele. Es gab keine Vorläufer – und es war keine Erklä­rung ihrer Macht nötig. Ihre düsteren Klänge glichen einem Sirenenruf, gerich­tet an eine tiefe, unbefriedigte Leere im modernen Bewusstsein. Die donnernde Lawine des Heavy Metal ließ sich nun nicht mehr aufhalten – sie hatte lange genug darauf gewartet, von Black Sabbath 1970 losgetreten und von Menschen­massen ungeahnten Ausmaßes angebetet zu werden.

In den folgenden dreißig Jahren flüchteten einhundert Millionen Hörer in den sich schnell ausbreitenden Trend und fanden dort unverklärte Reinheit, frei von kleinlichen Zweifeln oder Ablenkungen. Sabbath erfanden den Heavy Metal, eine Musikform, die später in doppelter Intensität zum Power Metal wer­den sollte und aus der dann der Thrash Metal hervorging. Von dort aus kreuz­ten sich die Wege dieser Musik mit anderen Formen, bis sie schließlich den Black Metal hervorbrachten, sich zum unglaublichen Soundgefüge des Death Metal veredelten und sich schließlich mit jeder anderen Art von Musik ver­banden. Nach drei Jahrzehnten der Marshall-Verstärker, Gitarrenmassaker und Schlagzeugtrümmer bilden Black Sabbath noch immer die Grundlage – die schwere Steinplatte, auf deren Fundament sich der Heavy Metal erhebt.