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Tagebuch eines Philosophen

Alexandre Kojève

Tagebuch eines Philosophen

Aus dem Russischen von Simon Missal

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Inhalt

Anmerkung des Übersetzers

Tagebuch eines Philosophen

Vorwort des Autors und Einleitung ins Tagebuch

IIIa

1. Januar bis 10. September 1920

IIIb

1. Oktober bis 31. Dezember 1920

IIIc

1. Januar bis […] 1921

Ia

Versuch über die Philosophie der Religion

Lose Blätter

Nachwort von Marco Filoni
Eine gute Handarbeit.
Das Tagebuch von Alexandre Kojève

Anmerkungen

Anmerkung des Übersetzers

Die vorliegende Ausgabe findet ihren Ursprung in den handschriftlichen Aufzeichnungen Alexandre Kojèves, die er zwischen 1917 und 1923 unter dem Titel »Tagebuch eines Philosophen« verfasste. Das Original dieser Aufzeichnungen befindet sich im Archiv des »Département des Manuscrits« in der Bibliothèque nationale de France in Paris. Es handelt sich dabei um vier nummerierte Notizhefte, die in folgender Anordnung vorliegen: Das Heft IIIa enthält die vormals verlorengegangenen Aufzeichnungen vom 1. Januar 1917 bis zum 10. September 1920 und wurde, das lässt zumindest das von Kojève im Inhaltsverzeichnis angegebene Datum vermuten, retrospektiv entweder am 28. September oder 1. Oktober 1920 angelegt. Das Heft IIIb beinhaltet die Notizen vom 1. Oktober 1920 bis zum 31. Dezember 1920 sowie das Vorwort und die Einleitung zum gesamten Tagebuch; IIIc die Notizen ab dem 1. Januar 1921. Anschließend folgt das vom 15. Oktober 1920 bis zum 22. Januar 1921 geführte Heft Ia, das im Wesentlichen der Abhandlung »Versuch der Philosophie der Religion« gewidmet ist. Als Zusatz ist den Notizheften eine Zettelsammlung mit der Aufschrift »Lose Blätter« beigelegt, die hauptsächlich während des Studiums an den Universitäten Heidelberg und Berlin im Zeitraum zwischen dem 23. Juli 1922 und vermutlich dem 14. April 1923 entstanden sind.

Die Einträge des ersten Heftes IIIa folgen in dieser Ausgabe – im Gegensatz zur willkürlichen Anordnung in der Originalschrift – weitgehend einem chronologischen Verlauf, den Kojève in einem Inhaltsverzeichnis selbst dargelegt hat. So lassen sich die während der ersten Phase seiner Emigration eingeschlagene Reiseroute und auch seine gedankliche Entwicklung nachvollziehen. Das im Heft IIIb enthaltene Vorwort mitsamt der Einleitung geht dem gesamten Text voran. Ferner wurden alle im Original nicht eruierbaren Textstellen durch Auslassungspunkte in eckigen Klammern ersetzt. Alle Kommentare entstammen der Hand des Übersetzers.

Ergänzend sei an dieser Stelle vermerkt, dass diese Ausgabe die Publikation der ersten von Alexandre Kojève kontinuierlich verfassten Schrift ist. Ihr Charakter trägt deshalb auffallend zweideutige Züge. Einerseits ist sie für die Publikation in Form eines Buchs nicht vollständig ausgearbeitet, andererseits hochambitioniert in der Themenauswahl, der Tiefe und Ernsthaftigkeit der Gedankengänge und Vorwegnahme der späteren Motive. So gesehen, enthalten diese Notizen bereits viele der Fragestellungen, die für die spätere Philosophie Alexandre Kojèves so relevant sein werden. Sowohl die deutlich erkennbare Erotisierung des philosophischen Diskurses als auch eine gewisse reflexive Neutralisierung des primären, natürlichen Begehrens werden im Verlauf der nächsten Jahrzehnte zu den zentralen Themen der gesamten französischen Philosophie der Nachkriegszeit. Ebenfalls findet der so scharf hervorgehobene Konflikt des Individuums und der Gesellschaft in den späteren rechtsphilosophischen Schriften Kojèves seine ausführliche Darlegung.

Für die freundliche Unterstützung bei der Durchführung des Übersetzungsprojekts möchte ich mich ganz herzlich bei der Rechteinhaberin Nina Kousnetzoff, der Mitarbeiterin der BnF Paris Marie-Odile Germain, dem Nachwortautor Marco Filoni sowie dem studentischen und akademischen Umfeld der HfG Karlsruhe und den Mitarbeitern des Verlags Matthes & Seitz Berlin bedanken.

Simon Missal

Berlin, 2014

1. Oktober 1920

Vorwort

Das, was Sie in diesem Heft vorfinden werden, ist zwar dem Titel nach ein Tagebuch, ist aber kein Tagebuch im eigentlichen Sinne des Wortes. Die Aufzeichnungen werden zwar chronologisch geführt, allerdings ist diese Ordnung eine rein äußerliche. Alles, was ich hier aufgeschrieben habe, hat wenig mit der Wirklichkeit und mit der gegenwärtigen Zeit zu tun und fast nichts mit meinem Leben. Deshalb habe ich es auch »Tagebuch eines Philosophen« genannt. Hier versuche ich meine Gedanken in der Ordnung darzulegen, wie sie in meinem Inneren entstanden sind, oft ohne eine Verbindung zueinander. Es sind Gedichte, Erzählungen, Beschreibungen, Erinnerungen und Briefe enthalten, die mir aus unterschiedlichen Gründen lieb und teuer sind. Im Tagebuch notiere ich oft Entwürfe zu neuen Aufsätzen und arbeite sie hier auch aus. Ich schreibe Themen und Fragen auf, die mich interessieren und von denen ich glaube, dass sie es Wert sind, weiterverfolgt zu werden. Ich füge Zitate aus gelesenen Büchern bei, die mir interessant zu sein scheinen und die ich in Zukunft zu verwenden beabsichtige, und manchmal gefallen sie mir einfach nur. Bisweilen nimmt all das die Form einer kohärenten Erzählung oder Beschreibung meines inneren und äußeren Lebens an, und dann schreibe ich meine Gedanken wiederum ohne einen Zusammenhang auf. Eigentlich habe ich mein Tagebuch, in seiner jetzigen Form, nicht für die Lektüre von Außenstehenden angepasst. Für mich selbst hat es aber mit seinen Aufsätzen, Entwürfen sowie Erinnerungen und auch als Geschichte der Entwicklung meines Denkens eine große Bedeutung.

1. Oktober 1920

Einleitung ins Tagebuch

Dieses Tagebuch führe ich bereits ziemlich lange, nämlich seit dem 1. Januar des Jahres 1917. Etwa um diese Zeit herum wurde mir meine Neigung zur Philosophie endgültig bewusst und das war auch die Zeit, in der die wesentlichen Prinzipien der Philosophie des Nichtexistierenden sich in meinem Denken herauszukristallisieren begonnen haben. Nun verlaufen diese Prinzipien wie ein roter Faden durch mein ganzes Denken hindurch und in jeder Frage, die ich berühre, kann man ihre Nachklänge finden. Leider sind alle meine Handschriften, die mit der Notiz vom 10. September 1920 endeten, in dem Koffer verschwunden, der mir auf der Reise gestohlen wurde. Dieser Verlust ist natürlich irreparabel, denn ich bin kaum in der Lage, meine Gedanken von vor zwei oder drei Jahren zu rekonstruieren. Das, woran ich mich erinnern konnte oder die Gedanken, die sich seitdem kaum verändert haben, habe ich erneut aufgeschrieben, was auch den Inhalt der »Ausschnitte und Auszüge aus dem Tagebuch eines Philosophen« darstellt. Als ich es aufschrieb, ließ ich mich nicht von einem bestimmten System leiten. Ich schrieb nur das auf, woran ich mich erinnerte. Viele der Fragen, die ich früher berührt habe, arbeite ich erneut aus, weil ich mich nicht an meine früheren Gedanken erinnere. Eine zusammenhängende Entwicklungsgeschichte meiner Gedanken oder eine Beschreibung meines Lebens aufzuschreiben, erscheint mir nicht von Belang. Ich schrieb das auf, woran ich mich erinnerte, nur gelegentlich fügte ich eine erklärende oder verbindende Abweichung hinzu.

(Es folgt die endgültige Handschrift der »Ausschnitte«.)

IIIa

A. W. Koschewnikoff

Ausschnitte und Auszüge
aus dem Tagebuch eines Philosophen

vom 1. Januar 1917 bis 10. September 1920

(Die Handschrift des Tagebuchs aus dieser Zeit ist verloren)

Kladdenmanuskript

Höchst am Main
1920

Moskau, 8. Januar 1917

Gedanken zur Schlacht bei den Arginusen

Gerade habe ich Wägners Beschreibung der Schlacht bei den Arginusen in seiner Geschichte Hellas1 gelesen. Prinzipielle Fragen, die durch einige Ereignisse dieser Schlacht aufgeworfen werden, haben mich zu einer Reihe von Überlegungen geführt. In dieser Schlacht errang die athenische Flotte dank der außergewöhnlichen strategischen Fähigkeiten ihrer Feldherren einen glänzenden Sieg über die spartanische. Unmittelbar nach dem Ende der Schlacht kam ein schrecklicher Sturm auf und die athenische Flotte, während der Gefechte stark beschädigt, wäre zu einem unvermeidlichen Niedergang verdammt, wenn die Feldherren mit dem Befehl, alles Mögliche über Bord zu werfen, die Lage nicht gerettet hätten. Unter anderem warfen sie auch die Leichen ihrer gefallenen Soldaten über Bord, was im alten Griechenland als eines der größten Verbrechen galt und nach damaligen Gesetzen mit dem Tod bestraft wurde. Sogleich nach ihrer Rückkehr nach Athen wurden die Feldherren deshalb dem Gericht übergeben und wegen des Sakrilegs zum Tode verurteilt. Auf diese Weise ihrer besten Feldherren beraubt, erlitten die Athener eine Niederlage nach der anderen und verloren letztlich den gesamten Krieg. Der Einzige, der dem Urteil widersprach, war Sokrates. Er schlug vor, die Feldherren freizusprechen und führte dafür zwei Argumente an: Erstens, sahen die Feldherren in dieser Tat das einzige Mittel, die Flotte zu retten und im gegebenen Fall konnte der Zweck das Mittel rechtfertigen; zweitens, – hätten die Feldherren es nicht getan, wäre die Flotte unvermeidlich untergegangen und die Körper der Getöteten hätten ohnehin nicht begraben werden können. Im gegebenen Fall war das Verbrechen unvermeidlich und niemand kann dafür unter Anklage gestellt werden. Doch hatte Sokrates in seinen Überlegungen überhaupt Recht? Wenn man schon über die Möglichkeit der Rechtfertigung des Mittels spricht und den Weg der relativistischen Moral einschlägt, ist es schwierig, über irgendeine Ethik zu sprechen. Welches Kriterium können wir bei der Lösung der Frage aufstellen, ob man dieses oder jenes Mittel, ob dieser oder jener Zweck das Mittel rechtfertigen kann und welches Verhältnis zwischen dem Zweck und dem Mittel im gegebenen Fall besteht? Es ist unmöglich und deshalb kann der Zweck ein Mittel, das als solches unzulässig ist, nicht rechtfertigen. Ebenso schwierig ist es, dem zweiten Argument zuzustimmen. Das Begräbnis der Toten war zwar nicht möglich, aber rechtfertigt das die Feldherren? Diese Aussage steht jenseits von Gut und Böse. Sie entspricht den Grundsätzen Nietzsches: Stoße den Fallenden, heile nicht den hoffnungslos Kranken. Dies kann als Rechtfertigung der Feldherren nicht gelten, aber auf der anderen Seite können wir dem Urteil ebenso wenig beipflichten. Mit ihrer Tat waren die Feldherren nicht auf persönliche Vorteile aus, denn ihr Leben konnten sie ohnehin retten. Hier konnte es entweder nur um ein Verbrechen um des Verbrechens willen oder um ein Verbrechen für das Gesamtwohl gehen. Sowohl im einen als auch im anderen Fall sind sie vor sich selbst nicht schuldig.

Hier stehen wir wieder einmal vor dem Konflikt der individuellen und der sozialen Moral. Der vor sich selbst unschuldige Mensch ist vor der Gesellschaft verbrecherisch; unschuldig vor der Gesellschaft, aber verbrecherisch vor sich selbst. Anders gesagt, der ideell Unschuldige ist faktisch verbrecherisch. Dies beweist noch einmal das Vorhandensein des metaphysischen Parallelismus im Universum. Die Idee und die Realität verlaufen parallel, ohne auf einander einzuwirken.

Moskau, 8. Januar 1918

»Schön sind nur die letzten Begegnungen …«

Heute hat jemand wieder dieses Gedicht erwähnt: »Schön sind nur die ersten Begegnungen, nur der Morgen der Liebe ist schön …«2 Wie oft spricht man das aus und wie oft stimmt man dem zu. Ich verstehe es nicht. Meiner Meinung nach sind nur die letzten Begegnungen schön und nur der Herbst der Liebe ist schön. Die Begegnungen ohne Leidenschaft, ruhiges Reden; im Erinnern ans Vergangene sind sie lebendig. Ja, wie schön sind jene letzten Begegnungen. Ich weiß wirklich nicht, woher es kommt. Womöglich ist die Frische des ersten Gefühls, welches die Vernunft zum Schweigen bringt, meiner Natur nicht eigen? Oder es missfällt mir durch seine Einfachheit, Kunstlosigkeit. Ich weiß es nicht, aber das erste Gefühl der beginnenden Liebe hinterlässt in mir immer eine unangenehme Erinnerung.

Moskau, 5. Mai 1918

Die Psychologie des Mannes und der Frau

Zwischen der Psychologie des Mannes und der Frau liegt eine tiefe, grundsätzliche Kluft. Sie verläuft nicht immer parallel zur geschlechtlichen Differenz und der psychologische Hermaphrodismus ist viel häufiger anzutreffen als der geschlechtliche. Nichtsdestoweniger ist die Differenz zwischen den männlichen und weiblichen Prinzipien als solchen gewaltig. Und ich möchte nun versuchen, das Wesentliche und das Verhältnis dieser Prinzipien zueinander zu bestimmen.

Das männliche Element wird für gewöhnlich als das aktive Element definiert, das weibliche als das passive. Aber diese Definition ist nur zum Teil wahr. Anders kann man diese zwei Elemente als das schöpferische männliche und das wahrnehmende weibliche definieren, aber auch nur mit gewissen Einschränkungen. Das Wesentliche der Differenz zwischen Mann und Frau besteht aber darin, dass der Mann die Idee, das Sein, die Welt und sich selbst als etwas Übergeordnetes, nicht im Verhältnis zu ihm, als Wahrnehmenden, Stehendes wahrnimmt (begreift). Die Frau nimmt aber ihre gesamte Umgebung, sich selbst als Objekt der Wahrnehmung nur insofern wahr, als es eine tonale Färbung der Lust oder des Leidens erhält. Der Mann begreift die Idee als solche, oder ihre konkrete Realisierung als Ding an sich, die Frau jedoch nimmt die Idee und ihre Realisierung nur als Anlass oder Ursache wahr, die in ihr die eine oder andere Gefühlsregung hervorruft. Der Mann begreift das außerhalb seines Ich Liegende und versucht immer, die Produkte seiner Tätigkeit über seine Grenzen hinauszutragen. Die Frau assimiliert ihr Ich an ihre Umgebung und ist danach bestrebt, mit Hilfe von äußeren Eindrücken, diese in sich einschließend, ein Empfinden der Lust in sich hervorzurufen. Zwar folgt der Mann in seinen Handlungen ebenfalls der Lust und dem Leiden, aber er findet das erste in der Aussonderung, das zweite nur in der Wahrnehmung. Die Frau hingegen ist nur zum Wahrnehmen fähig, worin sich ihr Leben auch erschöpft. In diesem Sinne kann man das männliche Element als das schöpferische definieren, das weibliche – als das wahrnehmende. Die Definition der Geschlechter als Aktivität und Passivität ist nicht ganz richtig, denn auf dem Gebiet der inneren Arbeit weist die Frau nicht weniger Aktivität als der Mann auf. Allgemein kann man ohne jeden Zweifel sagen, dass, wenn einzig die Männer schöpferisch tätig sind, dann sind sie nur für die Frauen schöpferisch tätig, denn nur die Frauen sind zum Wahrnehmen um des Wahrnehmens willen fähig. Das Wahrnehmen des Mannes ist das Wahrnehmen des Materials für seine innere Verarbeitung und weitere Aussonderung von Resultaten des Empfindens.

Moskau, 6. Oktober 1918

Der Aphorismus von Oscar Wilde

In der Paradoxen- und Aphorismensammlung von Oscar Wilde kann man Folgendes nachlesen: »Die erste Pflicht im Leben besteht darin, so künstlich zu sein wie möglich. Was die zweite Pflicht ist, hat bis jetzt noch niemand herausgefunden.«3 Meiner Meinung nach aber ist die einzige Pflicht im Leben, stets danach zu streben, derjenige zu sein, der du niemals sein können wirst.

Moskau, 28. Februar 1919

Der Antisemitismus als Folge des Rassenantagonismus

Gestern hatten wir Besuch und den ganzen Abend hat man über den Antisemitismus gesprochen. Darüber, welche Ausmaße der Hass gegen die Juden nach der Revolution angenommen hat. Es gibt einfach keinen Menschen mehr, der sie nicht anschwärzen würde, den Grund allen Übels in Russland nicht in ihrer Existenz sehen würde. Viele erklären diesen Hass mit dem Charakter des jüdischen Volkes, eines amoralischen und unsympathischen als solchen. Ich sehe im Antisemitismus aber nichts anderes als den Rassenantagonismus zwischen den Ariern und den Semiten. Die Begriffe der Moral und Sympathie sind relative Begriffe und es ist schwer zu sagen, wer die Wahrheit auf seiner Seite hat. Für die Semiten sind die Arier ebenso unannehmbar wie für uns die Semiten. Zu sagen, welche Rasse von beiden besser oder schlechter ist, ist unmöglich. Es ist allerdings klar, dass die Kluft zweier unterschiedlicher Rassen die Arier von den Semiten trennt. Man widersprach mir mit dem Einwand, wir würden andere Rassen nicht als antagonistisch ansehen. Solange wir mit Afrikanern und Chinesen nicht konfrontiert werden, verhalten wir uns ihnen gegenüber sicherlich gleichgültig. An dieser Stelle aber ein Blick auf die Geschichte: War unser Hass auf die Tataren und der Hass der Spanier auf die Mauren etwa nicht größer als jeder Hass auf die Juden? So ist es auch mit den Juden. Solange man mit ihnen nicht in Berührung kam, begegnete man ihnen bloß mit Geringschätzung, wie allen Vertretern anderer Rassen. Neuerdings aber wirkt die jüdische Psychologie in einigen Fällen auf unser Leben ein und so ist die Verschärfung des Rassenantagonismus durchaus verständlich.

Moskau, 3. Juni 1919

Der Dialog über die Liebe

Sie kam am frühen Morgen zu mir und wir blieben den ganzen Tag zusammen. Ich war damals glücklich. Das einzige Mal in meinem Leben war ich einen ganzen Tag lang glücklich. Ich war glücklich in der Leidenschaft und im Besitz, glücklich in der Zärtlichkeit und in ihrer Schönheit, glücklich in ihren Worten und vielleicht auch in der Liebe. Es schien, dass auch sie glücklich war; – in ihren tiefen, von den Nachklängen der Lust dunklen Augen schimmerte ab und zu ein Ausdruck der Freude. Es war heiß. Der Tag erlosch langsam und die sommerliche Sonne, die sich allmählich hinter den Häusern verbarg, beleuchtete das Zimmer in einem ebenen, goldenen Licht. Sie lag nackt auf Kissen, schön bis zum Schmerz. Ich saß entfernt von ihr und schaute sie an. Ich empfand keine Lust für sie, aber erfreute mich an ihrer Nacktheit wie an einem Bild und zur gleichen Zeit fühlte ich sie als Menschen und liebte sie. Lange saßen wir schweigend, sprachen dann aber doch. Am Anfang vereinzelt, in abgerissenen Sätzen, ließen wir den anderen eher etwas fühlen als verstehen, dann aber entspann sich ein Gespräch und wir sprachen lange, fast bis zum Morgen. Wir sprachen über das, was wir fühlten, unsere Empfindungen eher beschreibend, wir sprachen über die Leidenschaft, die Zärtlichkeit, die Liebe.