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Horst Schreiber Widerstand und Erinnerung in Tirol 1938-1998

Horst Schreiber

Widerstand und Erinnerung in Tirol 1938-1998

Franz Mair

Lehrer, Freigeist, Widerstandskämpfer

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Vorwort

I.    Franz Mair — Eine biographische Skizze

1.       Die Familie

2.       Der Lehrer

2.1.    Die Ausbildung

2.2.    Der Unterricht

2.3.    Die Politik

2.4.    Die Wohnung

2.5.    Der Klub

3.       Der Widerstandskämpfer

3.1.    Widerstand in Tirol 1938-1944

3.2.    Vor dem Volksgerichtshof in Passau

3.3.    Die Rolle von Franz Mair in der Tiroler Freiheitsbewegung 1944/45

3.3.1. Die Befreiung Tirols

3.3.2. Franz Mairs Tod

II.   Erinnerungskultur in Tirol am Beispiel von Franz Mair

1.      Das Grab

2.      Die Kontroverse um die Prof.-Franz-Mair-Gasse 1980/81

3.      Die Gedenktafel — ein Stein des Anstoßes?

3.1.   Tirol im „ununterbrochenen Widerstandskampf” — Die Gedenkfei Qu 8. Mai 1946

3.2.    „Dem Fremdenverkehr geopfert” — Der Streit um die Gedenktafel 1957/58

3.3.    Das Stadtblatt „recherchiert” — Boulevardjournalismus 1998

Anmerkungen

Quellen- und Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Abkürzungen

Bildnachweis

Internet: www.studienverlag.at

Satz und Umschlag: Studienverlag/Eliane Freina

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ISBN 978-3-7065-5745-0

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Vorwort

Was bewegt einen Historiker dazu, über einen Menschen zu forschen, der seit 55 Jahren tot ist? Diese Frage erinnert an Kommentare, die eine Legitimierung der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus — schon wieder diese Zeit — einfordern, während die Sinnhaftigkeit des hundertsten Werkes über Maria Theresia, Sisi und Andreas Hofer nicht angezweifelt wird. Mit welchen historischen Zeiten man sich in Tirol gerne bzw. nur wider Willen beschäftigt, läßt sich anhand der wissenschaftlichen Publikationen unschwer erkennen. Bis vor 10 bis 15 Jahren wurde die NSZeit kaum thematisiert, mittlerweile gibt es darüber eine Reihe von Veröffentlichungen, die aber noch weit davon entfernt sind, die großen Forschungslücken zu schließen. Selbst der Tiroler Widerstand, über den Johann Holzner bereits 1971 eine Untersuchung vorgelegt hat, ist noch lange nicht in all seinen vielfältigen Facetten erforscht. Am Beispiel Franz Mairs, eines Exponenten der Tiroler Freiheitsbewegung, soll aber nun ein weiterer Schritt in diese Richtung unternommen werden. Dies erscheint auch deshalb dringlich, weil zwar die Gedenktafel am Alten Landhaus und eine Gasse in Innsbruck an ihn erinnern, ansonsten aber über sein Leben und Wirken kaum etwas bekannt ist. Zum anderen will die vorliegende Studie der Frage nachgehen, was Prof. Mair als Lehrer so auszeichnete, weshalb derartig viele seiner ehemaligen Schüler von ihm schwärmen. Die Konfrontation mit der Person Mairs interessiert nicht nur wegen des Widerstandes zwischen 1938 und 1945 bzw. wegen der Auseinandersetzung mit dem Verhalten der Lehrerinnen und ihrer Pädagogik zu dieser Zeit. Die Beschäftigung mit den Feiern und den zum Teil heftigen Diskussionen über die Person Mairs lassen die Leitlinien der Tiroler Erinnerungskultur zu Nationalsozialismus und Widerstand nach 1945 sichtbar werden.

Das I. Kapitel versucht die Wurzeln Mairs, seine Persönlichkeit, seinen beruflichen Werdegang und die Charakteristika seines Unterrichtens darzustellen, um schließlich seine Tätigkeit als Widerstandskämpfer zu schildern, eingebettet im gesamttiroler Widerstand. Besonderes Augenmerk wird dem Volksgerichtsprozeß Mairs sowie den Umständen seines Todes geschenkt. Das II. Kapitel geht der Frage nach der Bedeutung der Tiroler Freiheitsbewegung und ihrer Verdienste nach, wobei die Vereinnahmung Mairs für den offiziellen Opfermythos Tirols, das sich generell als antinationalsozialistischer Hort des Widerstandes stilisierte, herausgearbeitet wird. Ferner untersucht die Studie am Beispiel Mairs, in welcher Form und mit welchen Inhalten an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus erinnert wurde bzw. inwiefern diese Erinnerungskultur einem Wandel unterlag. Die Streitigkeiten wegen der geplanten Umbenennung der Angerzellgasse in Prof. Franz-Mair-Gasse und die Turbulenzen rund um die Gedenktafel am Alten Landhaus geben aber nicht nur darüber pointiert Auskunft, sie ermöglichen auch einen Einblick in die dementsprechende Geisteshaltung der offiziellen Landespolitik und die Einstellung der politischen Elite Innsbrucks zu dieser Frage. Abschließend wird dargelegt, wie heutzutage ein pseudoinvestigativer Boulevardjoumalismus ohne ernsthafte Recherche versucht, den Widerstand in Tirol undifferenziert in Frage zu stellen, sodaß dabei Menschen wie Franz Mair in die Nähe der Verunglimpfung geraten.

I. Franz Mair — Eine biographische Skizze

1. Die Familie

Franz Josef Maria Mair wurde am 29. Oktober 1910 in Niederndorf bei Kufstein, Dorf 55, geboren, wo er seine ersten Lebensjahre verbrachte. Er kam als drittes von vier Kindern des Johann Mair und der Berta Kollmann auf die Welt. Seine Eltern, beide Jahrgang 1873, hatten im November 1906 die Ehe geschlossen. Über das Verhältnis zu seinen Eltern und den drei Brüdern, Hans (1907-1944), Max (1908-1995) und Karl (1913-1983), ist wenig bekannt. Vater Johann, der aus Schlanders, Südtirol, stammte, war Gendarmeriebezirksinspektor und als solcher um einen besonders korrekten Umgang in der Öffentlichkeit besorgt. Die Spontaneität seines Sohnes und dessen unkonventionelle Lebensart dürften ihm nicht sonderlich behagt haben. 1915 wurde der Vater von Niederndorf nach Amras versetzt, wo die Familie in Amras 67 bis Oktober 1933 wohnte. Dann übersiedelte die Familie Mair in die Museumstraße 16/1, Stöcklgebäude. Ihre Abmeldung von Amras erfolgte Mitte Dezember 1933.1

Franz Mair besuchte die erste Klasse Volksschule in Amras, die restlichen drei in der Pradler Volksschule. Während die Beziehung des Sohnes mit dem Vater als korrekt bzw. distanziert bezeichnet werden kann, übte die Mutter einen bedeutenden Einfluß auf Franz aus. Sie war sehr bemüht, die Kinder in einer großbürgerlichen Atmosphäre aufwachsen zu lassen. Ein Mitschüler, der öfter bei Mairs zu Gast war, erinnert sich an Berta Mair als eine Frau, die sich „zu Höherem“ berufen fühlte.2 Sie war die Tochter des Georg Kollmann, der als Oberlandesgerichtskanzleirat in Nürnberg beschäftigt war.3

Franz wuchs jedenfalls in einer Familie auf, in der aufgrund der mütterlichen Erziehung großer Wert auf Bildung, Kunst und Kultur gelegt wurde. Seine Mutter war eine ausgebildete Opernsängerin, die auch gut Klavier spielen konnte und ein Hauptaugenmerk auf die Förderung der musikalischen Talente ihrer Kinder legte.4 Dies blieb für den weiteren Lebensweg von zumindest zwei der vier Söhne nicht ohne Auswirkungen. Der älteste Sohn, Hans Mair, arbeitete in der Musikbranche. Herbert Buzas bezeichnet ihn als freischaffenden Impressario, als eine Art Kulturmanager, der Künstler wie etwa den äußerst populären lyrischen Tenor Joseph Schmidt, für Auftritte in Innsbruck engagierte. Buzas traf Hans Mair noch einmal während des Krieges in Jugoslawien, wo er beim Radiosender Belgrad gearbeitet haben soll. Hans Mair fiel am 24. Oktober 1944.5

Franz selbst war völlig hingerissen von der Musik, die auch in seinem Unterricht und bei der Begegnung mit seinen Schülern außerhalb der Schule eine hervorragende Rolle einnahm. Er spielte ausgezeichnet Klavier, begeisterte sich für klassische Musik und liebte die Oper leidenschaftlich. Auch dem Jazz konnte er einiges abgewinnen. Darüber hinaus versuchte er sich als Komponist und bewies dabei ein ausgeprägtes Talent. Nach Mairs Tod kam sein romantischer Liederzyklus zur öffentlichen Aufführung im Inund Ausland. Mair war aber auch in der leichten Muse als Förderer der Jugend tätig. So betreute er noch als Englisch-Student einen Schüler im Realgymnasium am, Adolf Pichlerplatz. Eric Given, so der Name des am 30. Jänner 1918 geborenen jungen Mannes, war evangelisch, in Berkeley, Kalifornien, als Sohn eines amerikanischen Journalisten auf die Welt gekommen und mit seiner Mutter Johanna, die Wilhelm Zangerle heiratete, nach Innsbruck gezogen. Er besaß die amerikanische Staatsbürgerschaft und wurde von Mair als einer der Jüngsten in den Kreis seiner Mitstudenten eingeführt. Mair förderte seinen Schützling, mit dem er neben dem Interesse für die angloamerikanische Kultur und Sprache die Musikbegeisterung teilte, gerade in musikalischer Hinsicht. Völlig uneigennützig unterstützte Mair Given in seinen kompositorischen Bemühungen. So um das Jahr 1935 wurden im Radio zwei Schlager gesendet (Mein schönstes Liebeslied; Bin nur ein kleiner Fußsoldat!), die offiziell Eric Given als Komponisten auswiesen. Der Texter war Herbert Buzas. In Wirklichkeit stammten die Arrangements zum größten Teil aus Mairs Feder, der in diesem musikalischen Dreierteam völlig in den Hintergrund trat, jedoch das volle finanzielle Risiko trug. Mairs Herz und Ehrgeiz lagen jedoch in erster Linie im klassischen Bereich. Eric Given, der nach seinem Frankreichaufenthalt eine Bleibe in Innsbruck suchte, konnte von Mai bis Ende August 1939 bei Mair wohnen. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges veranlaßte ihn schließlich, in die USA zu gehen. Nach dem Krieg arbeitete er in Wien als amerikanischer Besatzungssoldat auf dem kulturellen Sektor. Mehrmals reiste er nach Innsbruck, das letzte Mal Anfang der 90er Jahre, um sich bei Buzas nach Mair zu erkundigen. Er zeigte sich sehr bewegt über den Tod Mairs, den er sehr verehrte.6 Mit Bezug auf Mairs kulturellem Interesse war 1946 in einem Nachruf auf ihn in der „Tiroler Tageszeitung“ zu lesen:

„Er war ein leidenschaftlicher Sportler. Auch hatte er ein offenes Auge und einen aufgeschlossenen Sinn für die Schönheit der Natur und der Kunst. Bei seinen Wanderungen mag der musikbegabte Professor wohl jene wundersamen Melodien erlauscht haben, die er in seine klangvollen Lieder bannte. Darüber hinaus schuf er noch mehrere unvollendete Werke, die er nach dem Kriege niederschreiben wollte. Es war ihm jedoch nicht mehr vergönnt, den Klang der Friedensglocken zu hören. So mußte er seine Werke mit in die Ewigkeit nehmen. “7

Schon in jungen Jahren offenbarte sich Mairs soziales Engagement. Sein Lebenssinn und seine Persönlichkeit entwickelten sich in seinem Einsatz für andere. Auf diese Weise konnte er sich geben, um noch mehr zu empfangen. In seinem Wirken fehlte das karitativ Selbstlose, das den Helfenden über den Hilfesuchenden stellt und diesen unterschwellig erniedrigt. Geprägt von Solidarität und Empathie unterstützte er seine Umwelt, vor allem seine Schüler, um sich so auch selbst Gutes zu tun. Da er keiner Dankbarkeit bedurfte und sie auch nicht erwartete, erntete er höchste Wertschätzung. Einfluß auf die Herausbildung einer solchen Lebenseinstellung und Geisteshaltung hatte sicherlich auch die Situation in der Familie. Seine Mutter, die Franz sehr verehrte und die seine musisch-künstlerische Schwärmerei, das warmherzig Sensible und Mitfühlende zu entwickeln geholfen hatte, war jahrelang leidend. Er stand ihr zur Seite und begleitete sie bis zu ihrem Tod. Sie starb im Alter von 65 Jahren am 31. Juli 1938.8 Mair war zu diesem Zeitpunkt 27 Jahre alt und wohnte nach seiner zweijährigen Lehrtätigkeit in Kufstein wieder in der elterlichen Wohnung in der Museumstraße, wo er auch bis zu seiner Ermordung im Mai 1945 verblieb. Ausschlaggebend dafür war zunächst neben der Sorge um die Mutter auch seine Mittellosigkeit. Nach dem Tod der Mutter kümmerte sich Franz um den pensionierten, etwas griesgrämigen und grantelnden Vater, vor allem aber um seinen jüngsten Bruder Karl, der die Handelsakademie besucht hatte und im Alter von 22 Jahren schizophren und erwerbsunfähig geworden war. Mair bestritt den größten Teil des Lebensunterhaltes seines Bruders. 1940-1943 war Karl in der Nervenheilanstalt Hall untergebracht. Da Primar Ernst Klebelsberger diagnostizierte, daß eine Besserung des gesundheitlichen Zustandes nicht zu erwarten war, holte ihn Franz wieder nach Hause. Dies war schon deshalb dringend angeraten, da sonst die Aufnahme Karls ins Euthanasie-Tötungsprogramm der Nationalsozialisten gedroht hätte.9

Nach dem Tod von Franz Mair am 6. Mai 1945 erhob sich die Frage der Versorgung Karls. Der Antrag des Vaters auf Gewährung einer Geschwisternrente im Rahmen des Opferfürsorgegesetzes schien vorerst trotz Befürwortung durch das Landesinvalidenamt nicht möglich, da das Bundesgesetz eine Elternlosigkeit voraussetzte. Der sozialdemokratische Landeshauptmannstellvertreter Franz Hüttenberger setzte allerdings einen Regierungsbeschluß durch, der für eine monatliche Unterstützung aus öffentlichen Mitteln sorgte. Das Bundesministerium für soziale Verwaltung erteilte schließlich einen positiven Bescheid. Der Vater wäre zwar nicht physisch tot, aufgrund seines Alters und seines geringen Einkommens könne man jedoch „im Sinne der Alimentationsfähigkeit von einer Elternlosigkeit“ sprechen.10 Bis zum Tod seines Vaters am 27. Juli 1955 wohnte Karl, immer wieder von Aufenthalten im St. Josef Institut in Mils bzw. im Landesnervenkrankenhaus Hall unterbrochen, in dessen Wohnung, die aus drei Zimmern, einem Kabinett und der Küche bestand. Dort lebte auch sein Bruder Max nach seiner Rückkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft. Dieser war es auch, der schließlich die Vormundschaft über den Bruder übernahm und sich um ihn kümmerte. Am 14. September 1983 starb Karl nach einem Harnweginfekt im Landesnervenkrankenhaus Hall.11

2. Der Lehrer

2.1. Die Ausbildung

Franz Mair besuchte nach der Volksschule den Realzweig am „Akademischen Gymnasium“ (damals Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium). In der Schule wie auch im Studium fiel Mair leistungsmäßig nicht sonderlich auf. Notenmäßig war er ein Durchschnittsschüler, der nie gefährdet war, aber auch nicht herausragte.12 Mitschüler erinnern sich aber an ihn als einen äußerst witzigen jungen Menschen mit einem trokkenen Humor, der die Klasse mit geistreichen und lustigen Sprüchen unterhielt. Charakteristisch für ihn war seine „ironisch-kritische“ Art.13 Mair war zwar in der Schulgemeinschaft durchaus integriert, in einem festen, engen Freundeskreis fand er sich als Individualist nicht wieder. Er erweckte den Eindruck eines träumerisch veranlagten Jugendlichen mit einem ausgeprägten Hang zur Musik, der sich von seinen Altersgenossen darin unterschied, daß er über eine sehr gewählte Sprache verfügte und keinen Dialekt verwendete. Er strahlte sozusagen den Flair eines Künstlers aus.14 Im Alter von 30 Jahren war Mair 174 cm groß und wog 73 kg. In seinem Wehrstammbuch wird er als „schlank, blond-meliert, Augen grau, Nase und Mund normal“ beschrieben.15 Eine junge Nachhilfeschülerin charakterisiert sein Aussehen folgendermaßen: „[...] die dicke große Nase, die halbkugelige Stirnglatze mit dem spärlichen Flaumhaar, die blitzenden Koboldäuglein, von geschwollenen Lidern fast verdeckt, die groben Wangenfalten. Das ist unverkennbar Franz, genannt ‘Englisch-Mair’ [...].“16

Franz Mairs weltanschauliche Sozialisation ist nicht zuletzt aufgrund der schwierigen Quellenlage schwer nachzuvollziehen. Besonders seine Einstellung zu Glaube und Kirche war widersprüchlich. Die Marianische Kongregation (MK) spielte im Schulleben des „Akademischen Gymnasiums“ eine wichtige Rolle. Während sein Mitschüler Herbert Buzas keine Erinnerung an ihn in der MK hat, hebt ein anderer Mitschüler, Fritz Lederbauer, hervor, daß er von Mair angeworben wurde. Er habe ihm sozusagen „die Türe geöffnet“. Lederbauer betont, daß eine der Hauptattraktivitäten der MK unter Pater Josef Miller in den für damalige Verhältnisse guten Freizeitmöglichkeiten lag. Mair nutzte dort die Gelegenheit, um Theater zu spielen und Schlager zu komponieren, die dann gemeinsam gesungen wurden.17 Als Lehrer zeigte Mair jedenfalls keine sonderlich religiöse Gesinnung, auch wenn ihn die Nationalsozialisten als klerikal mit kirchlichen Bindungen einstuften. Diese Einschätzung dürfte vor allem mit Mairs Mitgliedschaft in der Finkenschaft zusammenhängen, in der er sich aber auch nur für kurze Zeit als junger Student engagiert haben dürfte. Das Wissen über die Finkenschaft ist bescheiden. Es handelte sich um einen Zusammenschluß von Studenten, die nicht korporiert waren und nicht erfaßt werden wollten, also auch den üblichen Pflichten im CV nicht nachkommen wollten. Finke war ursprünglich der Spott- und Schimpfname für nicht Farben tragende Studenten, die die straffe, verbindungsmäßige Ordnung ablehnten, sich aber angesichts des äußeren Druckes selbst gezwungen sahen, sich zu organisieren. Der Ausdruck Finke wurde bewußt zur Abhebung von den korporierten Studenten verwendet und zu einem Ehrentitel umgestaltet. Nach dem Ersten Weltkrieg zerfiel die Finkenschaft in diverse Organisationen nationaler und katholischer Natur.18 In der politischen Ausrichtung lassen sich die österreichischen Finken am ehesten als katholisch-deutsch, proösterreichisch im Sinne des „Ständestaates“ charakterisieren. Daneben gab es auch deutsch-nationale und liberal-demokratische Tendenzen.19 In diesem politischen Spannungsfeld dürfte sich der junge Mair von seiner Weltanschauung her bewegt haben, darauf deutet auch sein gewähltes Dissertationsthema über Arthur von Wallpach hin. Leider ist seine Dissertation verschollen. Im Gutachten stellte Germanistikprofessor Moritz Enzinger fest:

„Die Arbeit sucht das Weltbild des Tiroler Dichters A. v. Wallpach zu erfassen und die Wandlungen psychologisch begreiflich zu machen. Sie stützt sich vor allem auf die Werke des Dichters und verwendet nur wenige rein persönliche Dokumente, da solche zu Lebzeiten eines Dichters ja meist nur in Auswahl zugänglich sind und vorsichtig behandelt werden müssen. Verf teilt seine Arbeit in 3 große Abschnitte. Nach einem Überblick über Wallpachs Schaffen überhaupt wendet er sich den ‘Urerlebnissen’ zu, worunter er Liebeserlebnis und Naturerlebnis begreift. Der II. Teil entfaltet dann die „Bildungserlebnisse“, das Ringen Wallpachs um Kirche und Staat. Der III. Teil legt Wallpachs Gotteserlebnis dar, und zwar in einem eigenen Kapitel, weil sich hier Ur- und Bildungselemente durchkreuzen. Ein Schlußabschnitt betrachtet zusammenfassend Wallpach als Individualisten. “20

Bemerkenswert ist, daß sich Mair für eine Arbeit über einen noch lebenden Schriftsteller entschied, was damals nicht gerade Usus war. Wallpach als Vertreter von Jung Tirol, einer bedeutenden literarischen Strömung um die Jahrhundertwende, stand für das in Tirol unübliche Bekenntnis zur Moderne mit einer Kritik an den bestehenden Verhältnissen und einer radikalen Erneuerung des Menschen und der Gesellschaft im Sinne des Liberalismus und Deutsch-Nationalismus. Jung-Tirol verfolgte den dezidierten Anspruch, die gesellschaftliche Realität zu beeinflussen, also politisch zu wirken. Wallpach vertrat auch ein religiös antidogmatisches, pantheistisches, naturreligiöses Denken, das keinen Wesensunterschied zwischen der Welt und Gott machte und eine bewußte Abkehr von der römisch-katholischen Kirche beinhaltete. Deutschtum, Fortschritt und Freisinn wurden in dieser Bewegung groß geschrieben. Der Dichter driftete aber genauso wie Jung Tirol insgesamt in einen Deutsch-Nationalismus ab, der eine deutsche Rasseverbundenheit vertrat. Thematische Charakteristika der Wallpach’schen Lyrik waren eine kämpferische Gesinnung, Kultur- und Sozialkritik, Liebe, Naturverbundenheit, religiöse Suche, aber auch das Germanisch-Heidnische, Deutsch-Nationale und Antisemitische.21 Kampf, Pathos, Heroentum, Pantheismus, eine tiefe Beziehung zur Natur und speziell eine ausgesprochen kritische Einstellung, dies alles hat Franz Mair ungeheuer stark angezogen und wird in seinem Leben auch immer wieder greifbar. Einen Teil davon trug er in die Schule, in diese Richtung hin wurde er von vielen Menschen erlebt. Eine gewisse Affinität zu deutsch-nationalen Ideen, die ja auch in der Sozialdemokratie in einem bestimmten Ausmaß vorhanden waren und selbst beim großen Schulreformer Otto Glöckel klar zum Ausdruck kamen,22 sind beim jungen Mair nicht auszuschließen. Mair verehrte neben der Musik Mendelssohn-Bartholdys gerade jene Richard Wagners in ganz hohem Maß. Rassismus und engstirnige Deutschtümelei waren Mairs Wesen jedoch völlig fremd, im Unterricht sprach er sich ganz offen dagegen aus. Mairs Person reprä- sentierte für die Jugend und alle, die ihn näher kannten, Weltoffenheit und Interesse für andere Kulturen. Dies war auch nicht zuletzt einer der Beweggründe, warum er sich für das Anglistikstudium entschieden hatte. Er liebte englische Literatur und Musik. Vom gerade in Frankreich und England auftretenden Typus des nonkonformen Bohemien, des genialen Künstlers mit antibürgerlichem Habitus, der gegen Heuchelei, Lebenslüge und Spießertum zu Felde zog, fühlte sich Mair magisch angezogen. Die Engstirnigkeit und der miefige Provinzialismus Tirols, mehrfach noch potenziert im „Austrofaschismus“ und Nationalsozialismus, waren ihm ein Greuel.

Die Widerstandskämpfer Eduard Grünewald und Alfred Hirsch, die sich beide in der während der NS-Zeit illegal gegründeten CV-Verbindung „Alpinia“ engagierten, hatten als Schüler engen Kontakt zu ihrem Lehrer, der einigen Einfluß auf sie ausübte. Dennoch war Mair kein Vertreter einer Verbindung. Besonders Grünewald hebt hervor, daß Mair mit dem CV nichts zu tun hatte, da dies seinem Wesen nicht entsprochen habe. Mair könne als politischer Grenzgänger und Eklektiker gesehen werden, der in späteren Jahren, besonders als Lehrer, einen Freiheits- und Toleranzbegriff vertrat, der ihn von einer Mitgliedschaft in diversen Vereinen Abstand nehmen ließ. Mairs Individualismus und kritische Skepsis stiegen deutlich an, eine eindeutige politische Zuordnung läßt sich bei ihm kaum vornehmen. Praktisch von allen Schülern wird er als außerordentlich „liberal“ bezeichnet. Häufig tauchen auch Begriffe wie „demokratisch“ und „republikanisch“ auf. Otto Molden nennt ihn einen „überzeugten Liberalen und Demokraten“23, Hans Gamper einen „überzeugten Demokraten und Antinazi“24, Paul Flach „einen glühenden Österreicher“.25 Zwei seiner Schüler sehen ihn als Linken. Der eine, weil er ihn als einen antiklerikal eingestellten Menschen betrachtet, der ständig über Besitzende und die Habsburger gespöttelt habe,26 der andere meint, er würde „ihn eher in das kommunistische Gedankengut, keinesfalls religiös, einreihen.“27 Allen gemeinsam ist jedenfalls die Ansicht, daß Mair für seine Meinung eintrat und für sie auch eingestanden ist.28

Fast keiner seiner ehemaligen Schüler konnte bei Mair eine klare religiöse Einstellung oder ein Naheverhältnis zur Kirche feststellen. Vereinzelt wird vermutet, daß er in die Kirche ging oder daß die christliche Weltanschauung bei ihm verankert war,29 im täglichen Umgang mit ihm war seine Einstellung zur Religion kaum einzuschätzen. Der Glaube spielte jedenfalls vordergründig in seinem Privatleben bzw. bei seiner Wertevermittlung in- und außerhalb des Unterrichts keine Rolle. Selbst diejenigen, die eine positive Einstellung Mairs zum katholischen Glauben vermuten, erlebten ihn aus eigenem Erleben nicht als praktizierenden Christen, sondern als jemanden, der sich, gerade in der NS-Zeit, nicht abfällig gegenüber der Kirche äußerte.30 „Religiös? Vielleicht, aber sicherlich nicht im herkömmlichen Sinn“, so eine der charakteristischen Aussagen zu Mairs Haltung.31 Für die katholische Kirche engagierte er sich jedenfalls nicht, seine Schüler hielt er auch nicht dazu an. Fragen rund um den Glauben, vor allem in Zusammenhang mit der Amtskirche, blieben im Umgang mit ihm offen bzw. ausgespart. Mair positionierte sich hier kaum, es scheint ihm auch kein wesentliches Anliegen gewesen zu sein. Er wußte sich in dieser Frage, „mit einem Panzer“ zu umgeben, so daß man ihm aufgrund seiner Intelligenz „nicht unter die Haut, sondern nur ans Gewand“ fahren konnte.32 Die Schüler, die ihm am nächsten standen, betonen, daß er am „kirchlich-religiös-Organisierten“ desinteressiert war und dazu auf Distanz ging.33 Sie entdeckten keine konfessionelle Bindung bei ihm: „Er war nicht so ein Kirchengeher, dies wäre ein Widerspruch zu seiner philosophischen und sonstigen Lebenseinstellung gewesen.“34 Besonders wichtig waren für Mair nicht kirchlich-religiöse Vorstellungen, sondern das Erleben der Natur, an der er sich berauschte. Seine künstlerisch-schwärmerische Seele erblühte beim Anblick von Sonnenauf- und Sonnenuntergängen. Am Berg gab er sich geradezu pantheistischen Ideen hin.35 Mair beschäftigte sich sehr wohl mit Fragen der Transzendenz, kam darauf aber nur äußerst selten und in kleinstem Kreis zu sprechen. Dabei scheint er keine fest umrissenen Vorstellungen, auf keinen Fall entsprechend der kirchlichen Lehre, entwickelt zu haben. Am ausgeprägtesten war Mairs Neugier, was „danach“ wohl ist, ein Charakterzug, den er auch im Angesicht des Todes an den Tag legte.

Eduard Grünewald bezeichnet Mairs Weltanschauung als „schöngeistig-liberal“, die Welt des Cartellverbandes oder der „Alpinia“, in der Grünewald selbst Mitglied ist, wäre nicht jene Mairs gewesen: „Er war sicher nicht ein frommer, katholisch oder konfessionell Aktiver.“ Mit der Pfarrjugend oder ähnlichen Organisationen hatte er nichts zu tun. Nach Grünewald ist Mair am ehesten als „Freigeist“ zu charakterisieren, der „jede Art von Verabsolutierung und Diktatur einer Meinungsbildung“ ablehnte. Auch Grünewald erlebte bei Mair keine direkte „Offenlegung seines weltanschaulichen Credos“. Verhaßt war ihm auf alle Fälle jede „Scheinheiligkeit“, auch bei der Kirche. Deren Haltung lag nicht auf seiner Linie des Widerstandes gegen das NS-System.36

Von einer kirchenfeindlichen Einstellung Mairs, der durch die Bank auch in seinem Verhältnis zur katholischen Kirche als tolerant beschrieben wird,37 berichten nur zwei Schüler. Wenn Mair in die Kirche ging, dann nur, um gute Konzerte zu hören. Einmal hätte er zwei Schüler beim Ministrieren im Dom mit Bischof Paulus Rusch gesehen. „Obwohl Mair auch aus anderem Zusammenhang wußte, daß diese Schüler Nazigegner waren, verspottete er diese in der folgenden Englischstunde als Ministranten, die Kittel tragen und nach Weihrauch riechen [...].“ Für diesen Schüler war Mair deshalb auch „ein antireligiöser Marxist“, eine Interpretation seiner politischen und religiösen Weltsicht, für die es ansonsten kaum einen Beleg gibt.38

Mit Ausnahme der katholisch-deutschen Finkenschaft und der Zwangsmitgliedschaft bei der „Vaterländischen Front“ war Mair nirgends organisiert, er trat auch nach 1938 der NSDAP nicht bei. Einer seiner Mitschüler und Mitstudenten erinnert sich an ihn als einen „ziemlich fanatischen Gegner der Nazis“.39 Sein Verhältnis zum autoritären „Ständestaat“ bleibt im Dunkeln, es dürfte aber nicht konfliktfrei gewesen sein. Jedenfalls hat er sich für ihn nicht exponiert, was gerade bei Lehrern bzw. Lehreranwärtern auch angesichts der prekären Arbeitsmarktlage nicht gerade ein Pluspunkt war. Mair war zunächst nur 1933 in der „Vaterländischen Front“ und trat dann wegen „Meinungsverschiedenheiten“ aus. Um aber überhaupt eine Chance zu haben, eine Arbeitsstelle als Lehrer im Staatsdienst zu bekommen, trat er ihr 1936 wieder bei.40 Einmal bewarb sich Mair auch um eine Stelle als Ferialbetreuer des Kinderferienwerkes der „Vaterländischen Front“, das Kinder von Ostösterreich zur Erholung nach Tirol holte. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten agierte Mair zunächst sehr vorsichtig.41 Dies war angesichts der rauschhaften Begeisterung, die einen großen Teil der Tiroler Bevölkerung zunächst erfaßte, durchaus angeraten.

Mairs beruflicher Werdegang läßt sich in groben Zügen gut dokumentieren. 1930 legte er seine Matura am „Akademischen Gymnasium“ ab. Sein Abschluß- und Reifezeugnis enthielt in Betragen und Religion Sehr gut, in Deutsch, Latein, Französisch, Geschichte/Geographie, Mathematik, Naturgeschichte, Chemie und Philosophie jeweils Gut, in Darstellende Geometrie und Physik Genügend. Von der 6.-8. Klasse nützte er die Gelegenheit, Englisch als Freigegenstand zu besuchen, den er mit Gut abschloß. Seine mit Sehr gut beurteilte Hausarbeit war dem Prüfungsgegenstand Religion zugerechnet und beschäftigte sich mit der Polyphonie der Kirchenmusik von Huckebald bis zu den italienischen Schulen. Vom Turnunterricht war Mair befreit. Seine Lehrer waren Heinrich Heidegger (Religion), Otto Mayr (Deutsch), Johann Schuler (Latein), Engelbert Tamerl (Französisch), Rudolf Spiler, der spätere NS-Direktor der Oberschule in Landeck (Geschichte und Geographie; Klassenvorstand), Josef Fezzi (Mathemathik und Physik), Hermann Scholz (Darstellende Geometrie), Josef Lantschner (Naturgeschichte und allgemeine Erdkunde), Sigbert Genelin (Chemie) und Josef Loidl (Philosophie).42

Nach der Matura konnte sich Franz Mair aufgrund „der durch den Kriegsausgang bedingten Mittellosigkeit der Eltern“ nicht der „ausübenden Kunst“ widmen. So wandte er sich dem Fache zu, das für ihn neben der Musik und dem Klavier die engste Verbindung zur Kunst hatte, der Literaturwissenschaft. Im Juni 1930 inskribierte Franz Mair für das Wintersemester an der Universität Innsbruck Anglistik und Deutsch. Im Vordergrund stand für ihn vor allem „die Literatur deutscher und englischer Sprache, deren Studium ich mit Interesse betrieb“, so Mair.43 Bis zum Sommersemester 1934 hatte er alle notwendigen Prüfungen hinter sich gebracht, so daß er sich seiner Dissertation in Germanistik über das Weltbild des Dichters Arthur von Wallpach, dargestellt an seinem Werk, widmen konnte. Neben dem Fachstudium beschäftigte er sich weiterhin intensiv mit Musik. Am 9. Mai 1936 promovierte Mair, wobei ihm sein Betreuer, Prof. Enzinger, mit Sehr gut beurteilte und die Veröffentlichung eines knapp gefaßten Auszuges empfahl.“44 Anschließend legte er bis 17. Juni auch erfolgreich seine Lehramtsprüfungen ab. Seine Dissertation ersetzte die Hausarbeit in Deutsch, in Englisch schrieb er zum Thema „Das Meer in Swinburnes lyrischen Gedichten“, für das er ein Gut erhielt.

In seinen Klausurarbeiten in Deutsch (Ältere Abteilung: Die geschichtliche Darstellung des Umlautes im Deutschen sowie Übersetzung und Interpretation einer Stelle aus dem Iwein; Neuere Abteilung: Schillers Jugenddramen inclusive Don Carlos) schnitt er mit Genügend bzw. Sehr gut ab. In den Klausurarbeiten für Englisch konnte er in Literatur bei der Interpretation einer Stelle über Lord Byrons Einstellung zu Griechenland ein Gut erreichen. Ferner hatte er neben Übesetzungen den Genitiv auf -s im Neuenglischen zu erklären. Während er die Übersetzungen mit Genügend absolvierte, war die Beantwortung der grammatischen Frage zwar ungenügend, er wurde aber dennoch „ausnahmsweise“ zur mündlichen Prüfung zugelassen. Im mündlichen Teil der Lehramtsprüfung erreichte Mair in der älteren Abteilung der deutschen Literatur ein Genügend, in der neueren Abteilung, die Ausführungen zu Schillers „Naive und sentimentalische Dichtung“ sowie zu Goethes „Hermann und Dorothea“, eine deutsche Homerübersetzung und Fragen über die Nachbildung antiker Verse im Deutschen behandelte, das Kalkül Recht gut. Trotz seines Handicaps, Englisch im Realgymnasium nur drei Jahre lang als Freifach absolviert zu haben, konnte er mündlich mit Genügend bestehen. „In der Beherrschung der lebenden Sprache fehlt es noch etwas an Geläufigkeit“, notierten die Prüfer. Die philosophisch-pädagogische Abschlußprüfung legte Mair mit Gut und Recht gut ab. Aufgrund dieser Prüfungsergebnisse wurde ihm die Lehrbefähigung an Mittelschulen für Deutsch und Englisch als Hauptfächer gewährt, nicht aber für Deutsch an Gymnasien.45

Nach Absolvierung des Studiums konnte Franz Mair noch im Herbst 1936 sein Probejahr im Bundes-Realgymnasium in Kufstein antreten. Ab März 1937 wohnte er in der Marktgasse bei Familie Steininger. Im Anschluß an sein Probejahr und sein erstes Verwendungsjahr in Kufstein übersiedelte er im Juli 1938 wieder in die elterliche Wohnung in die Museumstraße. Da er im Herbst 1938 seinen Dienst als ordentlicher Hilfslehrer im „Akademischen Gymnasium“ (Staatsgymnasium und I. Oberschule für Jungen) anzutreten hatte, wohnte er nun praktisch neben der Schule.46 Während seiner Dienstzeit in Kufstein waren Mair als Betreuungslehrer der Direktor, Christian Bader, sowie Hermann Schönherr zugewiesen worden. Damit wurde er von ausgesprochenen Exponenten des autoritären „Ständestaates“ unterwiesen und beurteilt. Bader war Vizebürgermeister von Kufstein und Landtagspräsident, Schönherr Mitglied der Christlich-Sozialen Partei.47 Allerdings enthielten sich beide bei der Charakterisierung Mairs Lehrerqualitäten einer allzu vordergründigen politischen Beschreibung. Mair wußte jedenfalls beide Prüfer in seinem ersten Schuljahr als Praktikant zufriedenzustellen. Bei der Führung des Unterrichtes wurde hervorgehoben, daß er durch seinen lebendigen und gut aufgebauten Unterricht die Klasse zu fleißiger Mitarbeit anrege und „recht erfreuliche Lehrerfolge“ erzielt habe. Die Aufrechterhaltung der Schulzucht bereitete ihm „keinerlei Schwierigkeiten“. Bei der Behandlung der Schüler trachtete er laut Beurteiler „in liebevoller Weise auf die individuellen Anlagen und Eigenschaften seiner Schüler einzugehen. Die Anforderungen, welche er an die Schüler stellt, sind zwar etwas streng, aber gerecht.“ Im dienstlichen Verkehr wurde er als liebenswürdig und zuvorkommend geschildert. Sein außerdienstliches Verhalten war „in jeder Beziehung vollkommen einwandfrei.“ Seine Lehrerpersönlichkeit wurde wie folgt charakterisiert:

„ [...] ist ein strebsamer junger Lehrer, feinfühlig und doch beherrscht, zuvorkommend und hilfsbereit. Sehr musikalisch, kunstliebend und beseelt von hohen religiössittlichen und vaterländischen Idealen, weiß er sich rasch der Kinderseele mitzuteilen, die sich ihm dafür auch willig aufschließt und deren Zuneigung er rasch gewinnt. Für die mannigfaltigen Anliegen seiner Schüler hat er stets ein willig geneigtes Ohr, für ihre Schwächen Verständnis, und wenn es sein muß, wirksame Strenge, In- und außerhalb des Unterrichtes lebt er als Erzieher ganz mit den Schülern mit, ohne dabei der Würde seiner Lehrerpersönlichkeit etwas zu vergeben. “48

Mair wurde daher in seinem Probejahr mit Sehr gut beurteilt und als geeignet bezeichnet, gemäß dem Anforderungsprofil der Schule im „Stände-Staat“, „die Jugend zu religiös-sittlichem, vaterländischem, volkstreuem und sozialem Denken, Fühlen und Handeln“ zu erziehen.49

Da Mair auch sein erstes Dienstjahr 1937/38 in Kufstein ablegte, stammt das entsprechende Verwendungszeugnis wieder aus dieser Anstalt. Allerdings hatte sich in der Schule einiges verändert, da inzwischen die Nationalsozialisten die Macht übernommen hatten. Mair unterrichtete im zweiten Halbjahr nur mehr Englisch, weil er seine Deutschklasse gleich nach dem „Anschluß“ abgeben hatte müssen. Politische Gründe im Sinne eines sofortigen Mißtrauens der neuen Machthaber gegenüber Mair dürften dabei aber kaum eine Rolle gespielt haben. Er war bereits als junger Lehrer ohne viel Unterrichtserfahrung derart kompetent, daß er auch die nationalsozialistischen Direktoren und Inspektoren bei ihren Unterrichtsbesuchen überzeugen konnte. Direktor Fritz Prenn bescheinigte ihm beim Unterrichten viel Geschick und einen guten Vortrag, angemessene Notengebung und eine gründliche Durchsicht der schriftlichen Arbeiten. Gegenüber den Schülern ließ Mair nach Meinung von Prenn Verständnis und Nachsicht walten, doch verstehe er es durchaus „stramme Schulzucht zu wahren.“ Die Behandlung der Schüler sei „gerecht, ernst aber stets gütig und dem jeweiligen Alter angemessen. Die Schüler sind ihm sehr ergeben.“ Die Lehrerpersönlichkeit sah der NS-Direktor so:

„Herr Dr. Mair ist in seinem Fache sehr tüchtig und auch fortwährend bestrebt, seine Kenntnisse zu vervollkommnen. Durch ernstes, gediegenes Wesen, durch Begeisterung für sein Fach, durch sein Mitwirken bei (bes. musikalischen) Veranstaltungen übte er den besten Einfluß auf die Schüler aus. Für Musik sehr begeistert und selbst ein guter Musiker. Als kenntnisreicher, tüchtiger Lehrer jeder Anstalt zu empfehlen. “50

In die gleiche Richtung wies die Dienstbeschreibung von Direktor Rudolf Grüner am „Akademischen Gymnasium“. Mair habe sich „in jeder Hinsicht bestens bewährt“. Er verfüge über gediegene Fachkenntnisse und eine vollkommene Beherrschung der englischen Sprache. [...]. Neben der Vertrautheit mit dem Gedankengut der nationalsozialistischen Bewegung, muß seine Einsatzbereitschaft in allen Belangen der Schule erwähnt werden.51 Im Juni 1941 stellte Grüner fest: „Dr. Mair gewinnt durch einen lebendig gestalteten Unterricht die Schüler für sein Fach und erzielt neben guter Schulzucht gute Unterrichtserfolge. In politischer Hinsicht ist mir über Dr. Mair nichts Nachteiliges bekannt geworden.“52 Landesschulinspektor bzw. Oberschulrat Adolf Schädler betonte ebenfalls die guten Sprachkenntnisse und die lebhafte Art sowie den flotten Arbeitsunterricht von Mair, der die Schüler ganz auf seiner Seite habe und ein sehr guter Lehrer zu werden verspreche.53 Auch die politischen Beurteilungen des Gaupersonalamtes 1939 und 1940 fielen durchwegs positiv aus. Es betonte, daß er politisch nicht hervorgetreten war und wurde in die Gruppe 2 b eingeteilt. Er galt somit als „weltanschaulich gebunden, charakterlich sehr gut. Fachlich wurde Dr. Mair als gut beschrieben.“54 Im Februar 1942 erfolgte seine Einreihung in die Gruppe 2a: „politisches Verhalten einwandfrei. Kirchlich gebunden, sehr guter Lehrer.“55 Alois Dollinger, stellvertretender Leiter der Abteilung II der Reichsstatthalterei Tirol-Vorarlberg und Gauamtsleiter für Erziehung, stellte im Mai 1942 fest:

„Der Obgenannte war vor dem Umbruch klerikal eingestellt. Seit dem Umbruch ist über sein polit. Verhalten nichts Nachteiliges bekannt geworden. Er ist Mitglied des NSLB und der NSV. Charakterlich liegt nichts Nachteiliges vor. Weltanschaulich ist er noch konfessionell gebunden. Die polit. Zuverlässigkeit dürfte (blau unterstrichen, H.S.) anzunehmen sein. “56

Franz Mair hatte sich nicht zur NSDAP gemeldet, wie es in Tirol und Vorarlberg 70-80 % der Lehrkräfte praktiziert hatten.57 Die Aufnahme in den „Nationalsozialistischen Lehrerbund“ (NSLB) erfolgte praktisch automatisch, ohne Zugehörigkeit zum NSLB war eine Unterrichtserteilung nicht möglich. Nach dem „Anschluß“ wurde einigen LehrerInnen, die als besonders antinationalsozialistisch belastet galten und nicht gleich aus dem Schuldienst entfernt worden waren, der sofortige Beitritt zum NSLB verwehrt. Sie mußten erst demonstrieren, daß sie ihre NS-feindliche Einstellung abgelegt hatten. Mair hatte in dieser Hinsicht den Vorteil, daß er als junger Lehrer erst kurz vor der Machtübernahme der Nazis in die Schule gekommen war und praktisch als politisch unbeschriebenes Blatt galt. Dazu kam, daß er ja vor 1938 mit Ausnahme als Student bei der katholisch-deutschen Finkenschaft bei keiner politischen und religiösen Vereinigung Mitglied gewesen war. Allein seine einstige Zugehörigkeit zur Finkenschaft genügte bereits, um in den Augen der Machthaber als „klerikal“ eingestuft zu werden. Der Beitritt zu einem angeschlossenen Verband der NSDAP wie der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“ (NSV) war ebenfalls das Minimum dessen, was von einem deutschen Erzieher verlangt wurde, wollte er sich nicht von vorneherein offen als antinationalsozialistisch deklarieren und den Schuldienst verlassen.

Wie bei einer Reihe von Lehrern üblich, verdiente sich Mair durch Nebentätigkeiten ein finanzielles Zubrot zu seinem nicht gerade üppigen Lehrergehalt. So hielt er Vorlesungen an der Verwaltungsakademie in Innsbruck über Deutsche Stilistik und gab Volksbildungskurse in Englisch an der Universität Innsbruck, sozusagen für die Volkshochschule, die in die „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) eingegliedert worden war.58