couverture
Karlotta
voll verdreht
Claire Singer
Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe
arsEdition GmbH, München 2016
©
2015 arsEdition GmbH, Friedrichstr. 9, 80801 München
Alle Rechte vorbehalten
Text und Illustration: Claire Singer
Umschlaggestaltung und Layout: Stefanie Sand
Coverfoto: Romy Pohl
ISBN ebook 978-3-8458-1114-7
ISBN Print 978-3-8458-0771-3
www.arsedition.de
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A
ch du grüne Neune
9
K
arlotta für alle
14
D
umm gelaufen
22
T
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e Sound of Silence
28
W
as wächst denn da?
33
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uch Gärtnern ist gefährlich
38
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ktion: Seltsamer Hügel
44
A
lles hat ein Ende, nur die Karotte hat zwei?
49
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ffnungslos
54
Inhalt
         
R
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ttung oder doch nicht?
61
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ürr, dürrer, am dürrsten
65
H
ier stinkt's
71
A
larmstufe Karottenrot!
76
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berlaufende Fässer
81
Z
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ttelwirtschaft
85
G
roße Fische
90
E
in Fass kommt selten allein
96
K
nackiges Ende
99
         
Tippe einfach auf das Briefchen und schon öffnet
sich die Nachricht.
Ach du grüne Neune
P
etziletta, Lottapalotta, Karlabiene!« Paps, den alle
außer mir wegen seines farbenfrohen Klamottenstils
Papa Bonbon nennen, ist sonst eher von der schweigsamen
Sorte. Probleme lächelt er weg und am besten kann er sich mit
Pinsel und Farbe ausdrücken. Vermutlich ist er auch deswegen
Kunstmaler geworden. Heute tönt Paps' Stimme erstaunlich
munter durch unser kleines Haus. Also ja, eigentlich Paps'
kleines Haus, seit Mama mit mir, Karlotta Petzmeier, knapp
14 Jahre alt, »um die Ecke« gezogen ist. Wegen »gefühls-
chemischer Prozesse« zwischen den beiden. Was so viel heißt:
Wir haben uns lieb, halten es aber miteinander nur schwer aus.
Ich halte es mit beiden aus, was nicht nur für alle Beteiligten
einfach ist, sondern auch für mich, denn gut die Hälfte des
Jahres bin ich bei Paps, vor allem in den Ferien. Mam steht auf
Weiter- und Fortbildung, was bedeutet, je weiter sie fort ist,
desto mehr bildet sie sich. Ich sorge währenddessen bei Paps
für einen Hauch von Ordnung. Räume also so gut wie alles
weg, was sich von Ferien zu Ferien so angesammelt hat. Dazu
brauche ich immer eine Woche. Wie jetzt auch. Nur jetzt sind
gar keine Ferien, sondern herrlichster Mai, mein Lieblings-
monat. Weil man meist keinen Schal und keine Mütze mehr
braucht. Und weil das Bad Göttersteiner Freibad (mit Paps'
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»Karlottildchen, Klottimaus, das musst du dir ansehen!«
Paps' Stimme ist merklich undeutlicher geworden, ungefähr
so, als würde er aus einem Erdloch sprechen, und ich ahne,
was ihn so begeistert. Seit ich letzte Woche mit der Hecken-
schere durch Paps' Garten gepflügt bin, kann man einzelne
Pflanzen viel besser erkennen. Davor hatten ausgedehnter
Mairegen und Wärme Paps' Garten regelrecht explodieren
lassen. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn zwischen den
gigantischen Farnwedeln und den knallrosa Pfingstrosen Ur-
zeittiere gegrast hätten. So muss man sich das Früh-Tertiär
vorstellen, hätte Frau Grünäugel gesagt. Frau Grünäugel ist
unsere neue Biologielehrerin, die erst vor Kurzem die Klasse
übernommen hat und ein Tempo vorlegt, als wolle sie aus uns
allen Forscher und Erdenretter machen. Paps findet alles super,
was sie uns beibringt, obwohl er sie gar nicht kennt. Aber Paps
hat eine Schwäche für die Farbe Grün im Allgemeinen und
für grüne Augen im Besonderen. Als ich ihm erzählte, dass
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Sonnenuntergang vor dem Sprungturm) öffnet. Und weil die
Maidult in Bad Götterstein den Hotspot der Gegend bedeutet
(und Paps' Sonnenuntergang am Rathaus von Bad Götterstein
besonders gut zur Geltung kommt). Und man Waldmeistereis
in der Eisdiele am Marktplatz bekommt (ohne Sonnenunter-
gang), das die Zunge so schön pelzig macht. Man kann kaum
verstehen, warum Mam ausgerechnet jetzt zu Wüstenyoga in
der Sahara aufgebrochen ist. Mir ist sowieso schleierhaft, wie
man sich die Füße um den Kopf wickeln kann, wenn es selbst
im Schatten der Kamele 60 Grad hat und Sandkörner die Yo-
gamatte in ein Folterbrett verwandeln.
»Petzellott, Meier Lottchen, jetzt komm doch mal!« Paps'
drittem Ruf und siebter Verballhornung meines Namens
kann ich kaum widerstehen. Weil nämlich Variationen meines
Vor- und Nachnamens zu meinen absoluten Lieblingshassdin-
gen gehören und weil Paps' Stimme nun wirklich besorgniser-
regend begeistert klingt. Wie gesagt, Paps ist keine Plauder-
tasche, und dass ihm die Frauenherzen trotzdem zufliegen,
ist seinen unendlich variationsreichen Dackelaugen zu ver-
danken. Ich bin dagegen immun, außerdem kann ich sie jetzt
nicht sehen, sondern höre nur, wie Paps aus den Silben meines
Namens ein unsägliches Gulasch fabriziert. Dem muss ich
jetzt ein Ende machen.
»Paps, hast du Tollkirschen genascht oder warum quatschst
du wie ein Wasserfall? Wo bist du überhaupt? Hallo, ich suche
dich!«
»Karltschipetz, hier hinten!«
Ich schlängle mich durch die schmale Schneise, die ich zwi-
schen die Farne, den Flieder und die Pfingstrosen geschnit-
ten habe. Paps' Namenskompositionen kommen aus der hin-
tersten Ecke des Gartens. Dort, wo wir vor Jahren ein kleines
Gemüsebeet angelegt haben, damit ich immer »was Gesun-
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Frau Grünäugel ihrem Namen alle Ehre macht, malte Paps
sofort mit einem grünen Kugelschreiber wildes Rankengewirr,
Blumen und Blätter auf einen Fitzel Altpapier, den ich beim
Aufräumen übersehen hatte. Als ob Paps der geborene Gärt-
ner wäre! Vegetatives Gärtnern nennt er das unkontrollierte
Verwildern seines Gartens, dem ich die vergangene Woche
entgegengewirkt habe.
»Du wirst es nicht glauben, Rapunzelpetz, wenn du es nicht
gesehen hast!«
Mir wäre lieber, ich hätte das Wort Rapunzelpetz nicht ge-
hört. Wenn Paps neue Silben zu meinem eh schon silben-
reichen Namen hinzufügt, kommt das Alarmstufe Rot gleich.
Dann ist Paps auf der Startrampe in neue Sphären. Meist
folgt dann ein Kreativschub ungeahnten Ausmaßes. Das ist
manchmal ein Segen, zum Beispiel, als er sich in seine der-
zeitige eventuelle Noch-Freundin Rosalia Tarantula verliebte
und unsere Ferien auf dem Campingplatz eine glückliche
Wendung nahmen. Bei der Ausstattung der Bad Götterstei-
ner Eishalle wäre daraus beinahe eine Katastrophe geworden,
was aber mehr an der übermotivierten Marketingchefin lag.
Und als wir letzten Herbst bei einem Preisausschreiben eine
Reise (okay, nur in das 30 Kilometer entfernte Waldesruh)
gewonnen hatten, hat Paps mit einem Kreativschub das ab-
geranzte Hotel Kuckucksruf aus dem Schneewittchenschlaf
geholt und die Besitzerin auch gleich mit dazu, hüstel. Jetzt
hier, in seinem eigenen Garten ohne neuen Auftrag in Sicht,
wäre mir ein Kreativschub nicht so recht. Die Leidtragende
bin immer ich, denn Paps ist dann alltagsuntauglich. Das wäre
jetzt ganz schlecht, denn ich werde ihn für eine Woche allein
lassen müssen. Noch weiß er nicht, dass Frau Grünäugel eine
Exkursion zum Biohof geplant hat, und zwar gleich nächste
Woche. Eine Woche im Grünen werkeln, unter dem Motto
Grün dir einen, wie sie vor zwei Tagen freudestrahlend ver-
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des« zu essen bekäme. Dort, wo jährlich außer einer Tomate,
einer Gurke und einem Riesenkürbis nichts wächst.
»Karlotta, hast du schon einmal so etwas Schönes gesehen?«
Obacht, wenn sich Paps für meinen echten Namen ent-
scheidet, ist Hopfen und Malz verloren. Und dann sehe ich
sie. Eine Frühlingszwiebel. Mindestens einen Meter lang, ein
glänzendes Köpfchen, groß wie eine Orange, der Zwiebeltrieb
in allen Stufen des Maigrüns gefärbt und die Zwiebelwurzeln
so manierlich angeordnet, als wären es frisch gelockte Haare.
Aus unerfindlichen Gründen sorgen zwei schnittlauchgrüne
Einsprengsel am Fruchtkörper dafür, dass sie wie Augen aus-
sahen. Und Paps hat seine Backe an die Zwiebel gelegt und
haucht: »Ist sie nicht wunder-, wunderschön? Ich werde jetzt
Gärtner!«
Ja, man darf jetzt Mitleid mit mir haben! Paps ohne mich,
allein mit dem Spaten, einer Heckenschere und 30 Millio-
nen Pflanzensamen. Dornröschen war gestern. Ich ziehe eine
weitaus mickrigere Zwiebel aus dem krümeligen Grund und
schiebe Paps und seine Vorzeigezwiebel Richtung Häuschen.
»Komm, Paps, ich muss dir was sagen und außerdem mache
ich aus ein paar Eiern und mit deiner neuen Freundin hier ein
richtig schönes Omelett für uns beide!«
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kündet hat. Herzlichen Dank auch, wollte ich schon rufen, das
habe ich schon hinter mir, aber ich hielt den Mund, nachdem
die ganze Klasse in ein unkontrolliertes Hurra ausgebrochen
war. Bis auf die Ballett-Sisters Lissy und Sissy, deren Welt nur
aus Tanz besteht. Bis auf mich und Paul. Mein Paul, aber eben
gerade nicht mein Paul. Doch das ist eine längere Geschichte.
Ich muss jetzt erst wieder Paps von der Startrampe kriegen.
Karlotta für alle
P
a
ps macht wirklich ein bekümmertes Gesicht, als ich ihm
v
on Frau Grünäugels Plänen berichte. Ich weiß nicht ge-
nau, ob es Eifersucht ist, weil er auch mitfahren will, oder aus
Kummer über eine Woche allein in seinem Häuschen und
Garten.
»Meier Lottchen, ich genieße es doch immer so, wenn du bei
mir bist. Da kann ich ganz anders arbeiten, du bist mein Kre-
ativmaskottchen, mein Glücksbringer, mein Kreativlottchen!«
Na, Putzfrau würde es wohl eher treffen. Bisher konnte ich
nicht beobachten, dass ausgerechnet ich der Grund für seine
Kreativschübe gewesen wäre. In der Regel waren es Frauen
im reifen Alter zwischen 29 und 35, die Paps grüne Augen
gemacht hatten. Ich hatte bei den Kreativschüben eher den
Part, alles wieder ins Lot zu bekommen und hinterher auf-
zuräumen. Was mir meistens auch gelang, dank Paul. Ach ja,
Paul. Zwischen mir und Paul herrscht zurzeit Funkstille. Was
eventuell mit dem 1. Mai zusammenhängt. Da macht das Bad
Göttersteiner Freibad auf. Ja, das mit dem Sonnenuntergang
von Paps, direkt hinterm Sprungturm. Aber das ist nicht das
Problem, nur der Auslöser. Traditionell, also seit einem Jahr,
als das Gemälde eingeweiht wurde, gehen Paul und ich im-
mer am Eröffnungstag ins Freibad. Ich nenne es, das Freibad
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