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Titel

SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7503-6 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-6024-7 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:
Satz & Medien Wieser, Aachen

DieserTitel erschien zuvor unter der ISBN 978-3-7751-2922-0.
1.Auflage 2020 (2. Gesamtauflage)

© der deutschen Ausgabe 2020
SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de · E-Mail: info@scm-haenssler.de

Originally published in English under the title: The Ramparts of Heaven
© 1997 by Gilbert Morris
Published by Tyndale House Publishers, Inc.

Übersetzung: Laura Zimmermann
Umschlaggestaltung: Jan Henkel, www.janhenkel.com
Wappen: Adler: © Potapov Alexander/Shutterstock.com,
Schild: ©pashabo/Shutterstock.com,
Titelbild: Farmhaus: © Drunaa / Trevillion Images,
Mann vorne: © Lee Avison / Trevillion Images
Satz: Satz & Medien Wieser, Aachen

Inhalt

Über den Autor

I | Der Klub der Heiligen 1731–1734

1 | Eine Verwechslung

2 | Andrew lernt einen Heiligen kennen

3 | Entfernte Verwandte

4 | Du wirst nie einen Mann finden!

5 | Eine offene Tür

6 | Wenn der Himmel einstürzt

II | Stürme im Herzen 1735 – 1737

7 | Sturm auf hoher See

8 | Ich wusste nicht, dass Gelehrte so romantisch sein können!

9 | Gareth hört das wahre Evangelium

10 | Sophy von Savannah

11 | Frauen sind schwach!

12 | Rückzug aus Georgia

III | Erweckung 1738–1739

13 | Ein seltsamer Heiratsantrag

14 | Wenn Gott schweigt

15 | Andrew Wakefields Braut

16 | Mein Herz wurde seltsam warm

17 | Die Türen schließen sich

18 | Ich beging eine Untat …

IV | Ein neues Lied 1739–1741

19 | Sarah hört eine Predigt

20 | Die ganze Welt ist meine Gemeinde!

21 | Ich brauche dich, Dorcas!

22 | Ein ungewöhnliches neues Jahr für Andrew

23 | Ein harter Schlag für Gareth Morgan

24 | Eine unterbrochene Predigt

25 | Zwei sind besser als einer

Mehr über Wakefield in Band 6 »Der Kampf ums Glück«

1 | Der schlechte Samen

Leseempfehlungen

Über den Autor

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GILBERT MORRIS (1929–2016) war Pastor, Englisch-Professor und Bestsellerautor.

Mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebte er in Alabama, USA.

I

Der Klub der Heiligen
1731–1734

1

Eine Verwechslung

Im Jahre des Herrn 1731 sah sich England in jeder Hinsicht enormen Problemen gegenüber – kulturell, international und moralisch. Aber an diesem schönen Frühlingsnachmittag, an dem sie an ihrem Frisiertisch saß, machte sich Caroline Barksdale mehr Gedanken über das Kleid, das sie für einen Ball angezogen hatte, als über internationale Intrigen.

Miss Barksdale – eine kleine, aber gut gebaute junge Frau, siebzehn Jahre alt – beugte sich vor, betrachtete eingehend ihr rötlichblondes Haar und übte ein Lächeln. Sie blinzelte mit ihren großen braunen Augen, die von dichten Wimpern überschattet wurden, und ihr Ausdruck hatte etwas Keckes an sich, das dem jungen Gentleman gefiel, der sie eben erst entdeckt hatte.

Caroline drehte sich zur Seite, warf einen Blick über die Schulter und sah dann von Neuem in den Spiegel. Ihr französischer Morgenmantel war so teuer gewesen, dass sie nach Luft geschnappt hatte, als ihre Mutter den Preis erwähnte. Ein weich fließender, kirschfarbener Kaftan mit lose geschnittenen, ellbogenlangen Ärmeln war es, den sie hochgerafft und festgesteckt hatte, sodass ein bestickter Unterrock darunter zum Vorschein kam. Ein kleines Leinenhäubchen über ihrer gepuderten Perücke vervollständigte ihre Bekleidung.

»Es ist tatsächlich ziemlich kühn –«, flüsterte sie mit einem Blick auf das tief ausgeschnittene Mieder. Im selben Augenblick schreckte sie ein Geräusch hinter ihr auf und ihre Mutter rauschte herein. »Aber du bist ja noch gar nicht angezogen, Caroline! Dein Vater wartet bereits mit dem Wagen.«

»Oh, Mutter, ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses Kleid anziehen soll!« Caroline zupfte am Ausschnitt, aber das Kleid veränderte seinen Sitz am Körper nicht. Es hatte gar nicht so besonders tief ausgeschnitten ausgesehen, als sie es gekauft hatte, aber jetzt, wo sie bereit war, der Öffentlichkeit darin gegenüberzutreten, ließ es ungebührlich viel weiße Haut sehen. »Das Kleid ist doch nicht zu tief ausgeschnitten, was meinst du, Mutter?«

»Tief ausgeschnitten? Unsinn!« Lettie Barksdale, eine klein gewachsene, plumpe Frau mit rosigen Wangen und kleinen blauen Augen, klopfte Caroline auf die Finger, damit sie das Kleid losließ. Mehrere von Letties dicken Fingern waren mit Ringen mit großen Steinen geschmückt, darunter ein riesiger Rubin. Es waren Hände, die harte Arbeit verrieten, denn weder Salben noch Maniküre konnten diesen Teil von Lettie Barksdales Vergangenheit verbergen. Nun schnaubte sie und sagte ungeduldig: »Der Händler hat uns versichert, es sei der letzte Schrei aus Paris, also hör auf, Theater zu machen!«

Caroline lächelte leicht und zog die Winkel ihres vollen Mundes hoch. »In Ordnung, aber wollte ich dieses Kleid draußen in der Sonne tragen, so würde ich mir einen Sonnenbrand an höchst peinlicher Stelle zuziehen!« Sie wandte sich um, hob ihren Umhang auf und warf ihn um die Schultern. »Ich bin fertig, Mutter.«

»Wie gefällt dir mein Kleid?«, fragte ihre Mutter.

Caroline betrachtete das Kleid ihrer Mutter, ein pflaumenfarbenes Prachtstück mit so viel Bändern und Spitzen daran, dass Lettie bei jeder Bewegung einem reich blühenden Blumengarten ähnelte. Es war ein kostspieliges Kleid, aber es passte nicht im Geringsten zu der blühenden Gesichtsfarbe ihrer Mutter oder zu ihrer Figur. Caroline hätte beinahe gesagt: »Du siehst aus wie ein Fässchen in einem teuren Kleid.« Aber dazu war sie viel zu taktvoll. Stattdessen lächelte sie und antwortete: »Es ist ein wunderschönes Kleid, Mutter. Ich bin überzeugt, alle werden es bewundern.«

»Das bitte ich mir aus! Es hat schließlich genug gekostet.« Sie verließen das Zimmer und Lettie führte ihre Tochter die Treppe hinunter. Als sie das Ende der Treppe erreicht hatten, verkündete sie ziemlich laut: »Wir sind fertig zur Abfahrt, Lofton, ich hole nur noch schnell meinen Mantel.«

»Du hast Zeit genug gehabt, dich für eine königliche Krönung herauszuputzen.« Der Sprecher, Lofton Barksdale, war ein hochgewachsener Mann von fünfundvierzig Jahren mit braunem Haar, das über der Stirn bereits schütter wurde. Er hatte schlaue, eng zusammenstehende Augen und einen sinnlichen Mund, der sich nun zu einem Lächeln verzog. »Ich fühle mich wie ein Narr in diesem Aufzug«, klagte er. »Wie ein affiger Franzose sehe ich aus.« Er war nach der neuesten Mode gekleidet. Dazu gehörten weiße Kniehosen und Strümpfe, ein zweireihiger Mantel und eine gefältelte Weste. Da er ein großer Mann war, sah er aus, als hätte man ihn in seine Kleider hineingestopft, aber er wagte es nicht, seinem Schneider zu widersprechen.

»Wir werden bankrottgehen, Lettie, wenn wir uns noch für einen weiteren dieser verflixten Bälle anziehen müssen!«

»Oh, sei nicht albern, Lofton!« Lettie fasste besitzergreifend nach seinem Arm und zog ihn zur Tür. »Wir müssen mit den Londonern Schritt halten. Wir wohnen nicht mehr in einem kleinen Dorf. Du bist ein bedeutender Mann. Komm schon, Caroline. Beeil dich.«

Ein massiger Diener öffnete die Tür und verbeugte sich, als das Trio ins Freie trat. Die wartende Kutsche kostete mehr, als Lofton Barksdale in den fünf Jahren seines Geschäftslebens verdient hatte, und mehr als einige der kleinen Häuser in dem Dorf, in dem Lofton Barksdale jahrelang gelebt hatte. Dennoch hatte Lettie darauf bestanden, dass sie mit Stil auftreten mussten. »Ich kann nicht in einem Eselskarren in London herumfahren!«, hatte sie gesagt. Als der Kutscher den Damen beim Einsteigen half, schnappte Barksdale: »Trödel nicht herum, Jenkins. Wir wollen nicht zu spät kommen.«

»Ja, Sir!« Der Kutscher schloss die Tür und kletterte flink wie ein Affe auf den Kutschbock. Dann griff er nach seiner Peitsche, ließ sie großartig knallen und rief den Pferden zu: »Hüa, vorwärts!« Die beiden Apfelschimmel machten einen Satz nach vorne und die Kutsche rollte unter raschem Hufgeklapper die Straße entlang.

Lettie spähte zum Fenster hinaus. Ihre neugierigen Augen sogen den Anblick Londons auf. Nachdem sie aus einer Kleinstadt in Sussex hierhergezogen war, war sie fasziniert von der riesigen Größe dieser Stadt mit ihren sechshunderttausend Einwohnern. Die Kutsche schlängelte sich auf engen, gewundenen Gassen durch ein Labyrinth von Häusern und Läden und an Hintergassen vorbei, die dunkel und ziemlich gefährlich aussahen. Hier in London, hatten die Barksdales herausgefunden, wohnten Reichtum und Armut zuweilen Seite an Seite. Ein vornehmer Lord mochte in derselben Nachbarschaft wohnen wie ein Metzger oder Kerzenzieher. Als sie an den zahlreichen Schänken vorbeifuhren, blickte Barksdale düster zum Fenster hinaus und bemerkte: »Ich hörte gestern einen Burschen sagen, dass letztes Jahr in England fünf Millionen Gallonen Gin konsumiert wurden.« Er schüttelte missvergnügt den Kopf. »Sie sind Narren, dass sie dieses Giftzeug trinken!«

»Das sind sie gewiss, aber was kann man von den niedrigen Klassen schon erwarten?«, sagte Lettie und schniefte herablassend. Sie hatte passenderweise vergessen, dass sie in ihrer Kindheit und Jugend selbst zu den »niedrigen Klassen« gehört hatte. Selbst nach ihrer Heirat mit Lofton Barksdale, einem vielversprechenden jungen Handelsmann, hatte sie nur die unteren Schichten der Mittelklasse erreicht gehabt. Aber als Loftons Geschäfte blühten, hatte sie angefangen, ihn um ein Haus in London zu quälen. Vor einem Monat hatte ihr ständiges Genörgel schließlich den Widerstand ihres Gatten gebrochen und sie waren nach London gezogen.

Nun streckte Lettie die Hand aus und streichelte über Carolines Gesicht. »Du solltest ein wenig mehr Reispuder verwenden, Caroline. Du hast einen guten Teint, aber es kann nicht schaden, der Natur ein wenig nachzuhelfen.«

»Richtig!«, grunzte Barksdale. Er nickte und machte einen unbeholfenen Versuch, witzig zu sein. »Wenn du einen Ehemann finden willst, musst du so gut wie möglich aussehen.«

»Bei dir klingt das, als wolltest du ein Haus verkaufen!«, sagte Caroline lächelnd. Sie war eine schlagfertige junge Frau, so fügte sie hinzu: »Mit dem Heiraten ist es also genauso, als wenn man ein Haus verkauft, nicht wahr, Papa? Du übertünchst es ein bisschen und flickst es zusammen, damit die zukünftigen Käufer davon begeistert sind?«

»Das ist absolut nicht der Fall!«, schnappte Lettie, die wenig Humor hatte. Dann schüttelte sie den Kopf und fügte eine weitere Ermahnung hinzu: »Natürlich musst du heiraten. Was sollte eine Frau sonst schon tun?«

»Stimmt genau. Und sieh zu, dass du eine gute Partie machst«, ergänzte Barksdale.

»Und wie viel müsste der junge Mann wert sein?«, fragte Caroline, ohne eine Miene zu verziehen. »Du hast noch nichts darüber gesagt, welche Einkommensklasse du dir vorstellst.«

Keines ihrer Eltern fand das auch nur im Geringsten witzig. Lettie kräuselte die Lippen, rechnete rasch im Kopf und sagte dann: »Zumindest zehntausend Pfund im Jahr und keinen Pfennig weniger.«

»Ich werde daran denken«, antwortete Caroline und wandte sich dem Fenster zu, wobei sie ihr Lächeln hinter der hohlen Hand verbarg. In einer Zeitepoche, in der die meisten Frauen nichts weiter lernten als Sticken und Miniaturen malen, war Caroline ziemlich gebildet – viel mehr als die meisten jungen Frauen ihrer Klasse. Ihr Vater hatte dafür gesorgt, dass sie von ihren Hauslehrern in Literatur und sogar in den Naturwissenschaften unterrichtet wurde.

Als Lofton Barksdale seine Tochter so anstarrte, wünschte er plötzlich, sie wäre als Junge zur Welt gekommen. Dafür war es jetzt natürlich zu spät. Da er keinen Sohn hatte, würde niemand seinen Namen weiterführen. Aber wenn er seinen Plan geschickt ausführte, würde die Familie dennoch nicht aussterben. Er hatte weder seiner Frau noch Caroline etwas davon gesagt, aber Lofton war nur aus einem einzigen Grund nach London gezogen: Er wollte Caroline an einem Ort haben, wo passende Ehemänner leichter zu finden waren als in einem winzigen Dörfchen.

Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und dachte zufrieden an die Zukunft, die vor ihm und seiner Familie lag. Er war als armer Mann aufgewachsen, hatte es aber durch eigene Anstrengung geschafft, über das Niveau eines Arbeiters aufzusteigen. Nun hatte er das Gefühl, dass Gott seine Mühen mit Wohlstand belohnte – und hoffentlich mit einem reichen Schwiegersohn!

***

Lord und Lady Fairfax fanden es passend, zu ihren Bällen auch einige Emporkömmlinge einzuladen. Obwohl sie selbst nicht zum Hochadel gehörten, genossen sie in ihren Kreisen hohes Ansehen. Lord Fairfax hatte in der Armee gedient, ohne sich besonders auszuzeichnen, aber als der Sohn eines verblichenen Lord Fairfax hatte er den Titel erhalten. Keiner der Fairfaxes hatte sich in irgendeiner Weise besonders hervorgetan, es sei denn beim Tanzen. Alle Fairfaxes waren gute Tänzer. Das Haus, das Fairfax in London hatte erbauen lassen, besaß einen riesigen Ballsaal, der mehr Platz brauchte als der Rest des Hauses. Als der Nachmittag zur Neige ging und der Abend hereinbrach, glänzten die Kristallleuchter an der Decke und warfen ihre bleichen Strahlen über die Tänzer, die zur Musik eines lebhaften Sechs-Mann-Orchesters über den polierten Boden glitten.

Das war einer der Ansprüche, die Lord Fairfax stellte – die Musik musste vom Allerbesten sein, was für gewöhnlich bedeutete, dass Italiener engagiert wurden, die kein Wort Englisch sprachen. Dennoch beugte sich ein erfreuter Lord Fairfax zu seiner habichtnasigen Frau – sie trug ein orchideenfarbiges Kleid, das absolut nicht zu ihrem fahlen Teint passte, und bemerkte: »Der neue Geiger macht sich gut, das muss ich schon sagen.«

Nachdem sie Hunderte Bälle besucht hatte, jene eingeschlossen, die ihr Ehemann und sie selbst gaben, war Lady Fairfax am Rande der Erschöpfung. Nun warf sie einen trägen Blick zu den Musikanten hinüber, die auf einer Empore am anderen Ende des Raumes saßen. Sie lauschte einen Augenblick und murmelte dann beinahe widerwillig: »Ja, sie machen sich gut.« Dann, nach einer Pause, sah sie sich um und sagte: »Heute Abend ist niemand da.«

Das war eine interessante Bemerkung, denn der Saal war gedrängt voll. Die Farben der Frauenkleider bildeten ein Kaleidoskop von blitzendem Rot, Grün und Blau, sodass die Männer – von der Mode dazu verurteilt, dunklere Farben zu tragen – fast völlig im Hintergrund blieben. Lady Fairfax meinte mit dieser Bemerkung, es seien keine gekrönten Fürsten da, keine ausländischen Minister vom französischen Hof, keine Kriegshelden, kein General oder Admiral. Nein, es waren nur die üblichen Vergnügungssüchtigen, die im Wasser des Londoner Gesellschaftslebens schwammen wie Fische in einem Aquarium.

»Wer kommt da herein?«, verlangte Lord Fairfax plötzlich zu wissen. »Ach ja, es ist dieser neue Bursche. Wie hieß er doch?«

»Barksdale, glaube ich.« Lady Fairfax nickte. Sie hatte ein Gesicht wie ein Habicht, mit einer Hakennase. »Sie sehen gewöhnlich aus, findest du nicht, Henry?«

»Das Mädchen ist sehr hübsch.«

»Das sieht dir ähnlich, dass du ausgerechnet sie bemerkt hast! Was ist er – ein Metzger oder etwas dergleichen?«

»Oh nein. Er arbeitet mit Wertpapieren, Aktien – sehr gescheit. Deshalb habe ich ihn eingeladen. Wir können seine Hilfe brauchen, falls wir uns entschließen sollten, Geld zu investieren.«

»Ich nehme an, solche Leute muss es auch geben«, bemerkte Lady Fairfax.

Caroline Barksdale war von dem Ballsaal beeindruckt. Sie und ihre Mutter wurden von Lofton Barksdale allein gelassen, der sofort von einem Geschäftsfreund angesprochen und in das Billardzimmer verschleppt wurde.

»Ich fürchte, für heute Abend haben wir ihn zum letzten Mal gesehen«, bemerkte Lettie scharf. »Komm mit. Wir können uns dort drüben hinsetzen.« Sie zog Caroline zu einer Reihe von Stühlen, die an der Wand entlang aufgereiht standen, und die beiden setzten sich. »Ich wünschte, wir bekämen bald jemanden zu sehen, den ich kenne«, sagte Lettie trostlos. »Es ist so schwierig, sich in Beziehungen oder Gespräche zu mischen, die vor unserer Ankunft begonnen haben.«

Ihr Wunsch wurde bald erfüllt; eine hochgewachsene, knochige Frau mit einem stark geschminkten Gesicht erschien und sagte: »Mrs Barksdale, wie erfreulich, Euch hier zu sehen.«

»Ach, das ist ja Mrs Smith. Wie nett, Euch zu sehen, Dora. Ich glaube, sie kennen meine Tochter noch nicht, Caroline.« Lettie stellte Caroline vor und fügte hinzu: »Sehr hübsch ist es hier.«

»Oh ja, das kann man sagen.« Mrs Smith beäugte Caroline und lächelte. »Ich nehme an, Ihr unterhaltet euch gut in London, Miss Barksdale. Habt Ihr schon viele Leute kennengelernt?«

»Nein, nicht allzu viele.«

»Nun, da ist jemand ganz in der Nähe«, sagte Mrs Smith und deutete mit einer beiläufigen Kopfbewegung. »Hinter den Tänzern da – drüben am Büfett.«

»Wer ist das?«, verlangte Lettie augenblicklich zu wissen.

»Sir George Wakefield, ein sehr interessanter junger Mann.« Mrs Smith wandte sich Lettie Barksdale zu und lächelte, wobei sie eine erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Krokodil bekam. »Ein guter Fang für eine unternehmungslustige junge Dame.«

Caroline versuchte, zwischen den Tänzern hindurchzuspähen; es gelang ihr jedoch nur, einen flüchtigen Blick auf den Mann zu werfen, auf den Mrs Smith sie hingewiesen hatte. Er schien von durchschnittlicher Erscheinung und Größe zu sein, aber sein Gesicht war interessant. »Er wirkt intelligent«, bemerkte sie und bemühte sich, jedes Gefühl aus ihrer Stimme herauszuhalten.

»Kein Mann, der dreißigtausend Pfund im Jahr wert ist, hat es nötig, intelligent auszusehen«, sagte Mrs Smith. Sie glaubte an ihre eigenen Worte. Weil sie sich auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter befand, verbrachte Mrs Smith ihre Tage damit, von einem Teekränzchen oder Ball zum nächsten zu gehen, wo sie tat, was sie konnte, um sich Ansehen zu verschaffen.

Während Mrs Smith Lettie Barksdale auf einige weitere gefeierte Persönlichkeiten hinwies, fühlte Caroline sich zunehmend unbehaglich. Sie wurde nur zweimal angesprochen und dies von älteren Männern, die herbeikamen, um ihre Mutter zu begrüßen, und im Vorbeigehen ein paar Worte mit ihr wechselten. Das war eine neue und schmerzliche Erfahrung; daheim in ihrem Dorf war sie die Königin jedes Balles gewesen.

»Darf ich mich wohl vorstellen?«

Der Klang einer Männerstimme schreckte Caroline auf, die den Blick nach rechts in den langen Saal gewandt hatte. Sie drehte sich rasch um und blinzelte überrascht. Sir George Wakefield, der Mann, auf den Mrs Smith sie aufmerksam gemacht hatte, stand vor ihr und blickte lächelnd auf sie nieder.

»Nun, das kann ich gestatten«, antwortete Caroline rasch. Ihre Mutter war mit Mrs Smith davongeschlendert, also nutzte Caroline die Gelegenheit, Wakefield eingehend zu betrachten und ihn rasch abzuschätzen. Er war hager und athletisch. Sein schlichter grauer Mantel, die schwarzen Kniehosen, weißen Strümpfe und schwarzen Schuhe mit den Silberschnallen waren schön gearbeitet und passten ihm gut. Er hatte dunkelblondes Haar und blaue Augen. Obwohl man ihn nicht gerade hübsch nennen konnte, hatte er kräftige, männliche Züge – eine breite Stirn, kleine Ohren, eine kurze englische Nase, einen festen Mund mit einer vollen Unterlippe und ein stark ausgeprägtes Kinn. Als er lächelte, bemerkte sie, dass er ungewöhnlich schöne Zähne hatte.

»Mein Name ist Wakefield«, sagte er mit lässigem Charme. »Ich glaube, wir sind einander noch nicht begegnet, so möchte ich diese Gelegenheit nutzen, mich vorzustellen.«

»Mein Name ist Caroline Barksdale. Mein Vater und meine Mutter sind irgendwo hier im Saal«, sagte sie.

»Ihr seid neu in London?«, fragte er. Seine Augen leuchteten vor Interesse.

»Oh ja. Wir sind erst seit einem Monat hier.«

Wakefield lächelte und fragte: »Würden Ihr mir die Ehre dieses Tanzes erweisen, Miss Barksdale?«

»Aber gewiss, Sir.«

Caroline erhob sich mit einer lebhaften Bewegung und während der nächsten fünfzehn Minuten genossen die beiden einen der langsameren Tänze des Abends. Caroline war eine gute Tänzerin, und irgendwie machte es ihr Spaß, dass sie besser tanzte als ihr Partner. Er war jedenfalls ganz anders, als sie sich einen Lord vorgestellt hatte, denn er hatte etwas Schlichtes an sich, etwas fast Demütiges, das sie nicht erwartet hatte. Sie wollte ihn schon fragen, wie man sich als Lord fühlte, aber klugerweise beherrschte sie ihre Regung. Es dauerte nicht lange, bis sie herausfand, dass er ein guter Gesprächspartner war.

Am Ende des Tanzes sagte Wakefield: »Ich hoffe, ich bin nicht allzu kühn – aber kann ich Ihnen eine Erfrischung holen und dann vielleicht den nächsten Tanz haben?«

Caroline war gerne damit einverstanden. Während Wakefield unterwegs war, kam ihre Mutter herbei, setzte sich neben sie und fragte ziemlich scharf: »Wer war das?«

»Sir George Wakefield«, sagte Caroline lächelnd. Dann fügte sie hinzu: »Er ist dreißigtausend Pfund im Jahr wert – hat Mrs Smith nicht etwas dergleichen gesagt? Meinst du, er käme als Verehrer für mich infrage?«

»Sei keine Närrin, Caroline! Was hat er gesagt? Erzähl mir alles …!«

Aber bevor Caroline die Neugierde ihrer Mutter befriedigen konnte, war Wakefield schon zurück und brachte zwei Gläser Punsch. Als Caroline ihre Mutter vorstellte, verbeugte er sich und lächelte. »Ich freue mich, Euch kennenzulernen, Mrs Barksdale, und ich freue mich auch darauf, Euren Gatten kennenzulernen.«

Caroline merkte, dass ihre Mutter beinahe barst vor Neugierde, daher trank sie rasch ihren Punsch aus und sagte: »Ich glaube, die Musik fängt schon wieder an.«

»Ja. Entschuldigt uns, Mrs Barksdale.«

Caroline war erfreut über ihren »Fang«, wenn man es so nennen konnte. So sehr, dass sie gar nichts dagegen hatte, als Lettie später – nachdem Wakefield sich mit einer Verbeugung verabschiedet hatte – von Neuem verlangte: »Erzähl mir alles über ihn. Ist er einfach gekommen und hat sich vorgestellt?«

Caroline erzählte ihr in allen Einzelheiten von ihrer Begegnung, und während sie noch sprach, kam ihr Vater herein. Seine Frau informierte ihn augenblicklich über Carolines neue Bekanntschaft und er sagte mit einiger Überraschung: »Sir George Wakefield? Gute Familie, haufenweise Geld, habe ich gehört.« Er wirkte ausgesprochen zufrieden.

In eben diesem Augenblick kamen zwei Männer auf sie zu.

»Das ist Sir Lionel Fairfax, unser Gastgeber«, sagte Barksdale mit gedämpfter Stimme. »Den Mann neben ihm kenne ich nicht.« Als Fairfax sie erreichte, blieb er stehen und sagte: »Ich möchte Euch Sir George Wakefield vorstellen.«

Caroline starrte schockiert den Mann an, der neben Fairfax stand. Er war mehr als sechs Fuß groß und ein wenig übergewichtig, mit braunem Haar, braunen Augen und einem eckigen Gesicht. Sobald man sich gegenseitig vorgestellt hatte, sagte er: »Darf ich um diesen Tanz bitten, Miss Barksdale?«

»Gewiss, Sir.«

Caroline glitt auf die Tanzfläche hinaus und stellte fest, dass ihr gegenwärtiger Partner ein weitaus besserer Tänzer war als der vorherige. Er unterhielt sich in fröhlichem Ton und einer rauen, aber herzlichen Art; er fragte sie, wie ihr London gefiele und andere oberflächliche Dinge.

Schließlich sagte Caroline: »Ich habe zweimal mit einem Herrn getanzt, dessen Name Wakefield war. Jemand hatte George Wakefield erwähnt, und ich nahm an, er sei es.«

»Oh, das war mein Bruder, Andrew«, sagte George Wakefield und lachte laut. »Es wird ihn amüsieren, dass Ihr ihn für mich gehalten habt. Das ist noch nie passiert.«

»Er ist Euer jüngerer Bruder, nehme ich an?«

»Ja. Ein feiner Bursche. Hat er Euch erzählt, dass er nach Oxford geht?« – »Nein, er hat nichts dergleichen erwähnt.«

»Oh ja. Er wird Pfarrer, müsst Ihr wissen.«

Obwohl die Bemerkung Caroline schockierte, musste sie feststellen, dass sie gleichzeitig amüsiert war. »Davon wusste ich auch nichts. Er hat es nicht erwähnt.«

Wiederum lachte George Wakefield. »Der junge Schurke! Ich muss ihm ernsthaft ins Gewissen reden. Neunzehnjährige Pfarrer dürfen nicht herumlaufen und sich als Tanzmeister ausgeben. Seht Ihr! Das ist er. Kommt mit.«

Caroline sah, dass der Mann, der ihr erster Tanzpartner gewesen war, dastand und sie beobachtete. Als George Wakefield vor ihm stehen blieb, sagte er: »Nochmals hallo, Miss Barksdale.«

Sir George Wakefield streckte die Hand aus und knuffte seinen Bruder in die Rippen. »Andrew, ich bin überrascht, dass du unter falscher Flagge segelst.«

»Wie bitte, George?«

»Nein, versuch es erst gar nicht«, sagte George und zwinkerte Caroline herzhaft zu. »Miss Barksdale erzählte mir, wie du ihr den Hof gemacht und kein Wort gesagt hast, dass du ein zukünftiger Pfarrer bist.«

Andrew Wakefield schien sich unbehaglich zu fühlen. »Ich wollte Euch nicht täuschen, Miss Barksdale. Wir hatten einfach keine Gelegenheit, über das Thema zu reden.«

Caroline sah, dass der Mann ernsthaft in peinlicher Verlegenheit war, und beeilte sich, ihn zu beruhigen. »Lasst Ihren Bruder nicht aus einer Mücke einen Elefanten machen. Im Übrigen habe ich unseren Tanz sehr genossen. Ich hätte mir nie träumen lassen«, sagte sie mit einem schelmischen Lächeln, »dass Geistliche so gute Tänzer sind.«

»Ich bin eigentlich noch kein Geistlicher«, bemerkte Andrew. Er zuckte die Schultern und lächelte George an. »Es kann nur einen älteren Sohn in der Familie geben. Jüngere Söhne müssen entweder bei der Armee oder bei der Kirche Unterschlupf suchen.«

»Es freut mich, dass du die Kirche gewählt hast«, sagte George, während Caroline danebenstand und den Männern zuhörte. »Jedenfalls ist das ein würdigeres Leben, als sich von einer Kanonenkugel den Kopf abreißen zu lassen!«

Später am Abend tanzte Caroline ein letztes Mal mit Andrew Wakefield. Er betrachtete sie eindringlich. »Es tut mir leid, dass ich Euch aufs Eis geführt habe, Miss Barksdale«, sagte er zutraulich. »Ich fühle mich gar nicht als Geistlicher. Es dauert so lang … Jahre, bis etwas dabei herauskommt. Darf ich mich bei Euch melden, ehe ich nach Oxford aufbreche?«

Seine Frage überrumpelte Caroline, aber sie antwortete augenblicklich: »Natürlich. Meine Familie wird sich über Euren Besuch freuen.«

***

»Du wirst nie erraten, was der junge Reverend hier auf dem Ball getan hat«, sagte George und schenkte seiner Familie ein Lächeln. Es war am Tag nach dem Ball, er und Andrew frühstückten mit ihrer Mutter, Lady Ann Wakefield. Auch Hope Wingate, eine entfernte Verwandte, war anwesend. Als die Tochter von Christopher und Angharad Wakefield und die Witwe von Darcy Wingate war diese winzige, weißhaarige Frau nun auf die Wakefields angewiesen.

»Was hat er denn getan, George?«, verlangte Lady Ann Wakefield zu wissen. Sie war eine klein gewachsene, plumpe Frau mit kastanienbraunem Haar und einem kraftvollen Gesicht.

»Er machte einer der schönsten jungen Frauen dort den Hof – und er sagte ihr kein Wort davon, dass er Geistlicher ist. Abscheulich!«

Andrew errötete und schüttelte den Kopf. »Es war nicht so schlimm, wie George es hinstellt. Sie ist eine sehr nette junge Frau.«

»Wer war sie?«, fragte Lady Wakefield und lauschte, als Andrew ihr alles Wissenswerte über die Familie Barksdale erzählte. Dann zuckte sie die Schultern und bemerkte: »Das hört sich nach einer sehr netten jungen Dame an. Hör auf, ihn zu necken, George.«

George lachte herzlich. »Er sollte seine Romanzen lieber hinter sich bringen, bevor er nach Oxford geht. Ich glaube, dort haben sie den ganzen Tag nichts anderes zu tun als die Nase in Bücher zu stecken. Aber ich muss zugeben, du hast Geschmack, Andrew. Miss Barksdale ist ein hübsches kleines Ding.«

Später, als Hope Wingate allein mit Andrew am Tisch saß, sagte sie: »Erzähl mir von dieser jungen Frau.« Obwohl Hope bei schlechter Gesundheit war und nur Spuren der großen Schönheit ihrer Jugend aufwies, war sie immer noch flammend stolz auf ihr walisisches Blut – und sie mochte Andrew genauso gern, wie er sie mochte. Sie saß schweigend da und lauschte, während er ihr die Begegnung beschrieb, dann fragte sie: »Hast du sie wirklich gemocht, Andrew?«

»Oh ja, sehr.« Andrew blickte ihr gerade in die Augen, sein Gesicht war ernst. »Ich möchte sie wiedersehen, bevor ich nach Oxford gehe. Sie sagte, ich dürfte sie besuchen, und das werde ich tun.«

»Das wird deine erste Liebesaffäre.« Hope lächelte und genoss das Gefühl seiner Hand auf der ihren. »Du warst nie ein großer Schürzenjäger.«

Andrew Wakefield blickte gedankenvoll vor sich hin. Als ein ernster junger Mann hatte er sich damit abgefunden, ein jüngerer Sohn zu sein. Er war ein guter Schüler, hochintelligent und gar nicht unzufrieden mit der Aussicht, in den kirchlichen Dienst zu treten, denn er war schon lange religiös engagiert. Hope Wingate, deren Hand er hielt, war eine tiefgläubige Christin, die ihm immer wieder weitergeholfen hatte.

»Nein, ich habe nie viel für Liebesaffären übriggehabt«, sagte Andrew. »Aber ich muss zugeben, ich war noch nie so angetan von einer jungen Frau, und ich werde mich freuen, sie wiederzusehen.«

Hope drückte seine starke Hand, dann legte sie ihre zweite Hand auf die seine und sagte leise: »Ich hoffe, es ist ihr bewusst, was für ein wackerer junger Mann da zu Besuch kommt.«

Andrew lächelte beinahe frech, seine weißen Zähne glänzten. »Ich wünschte, ich wäre nur halb der Mann, für den du mich hältst, Tante Hope.«

Er beugte sich vor, küsste ihre Wange und verließ den Raum. Hope Wingate saß noch lange da, dachte an die Vergangenheit und an diesen jungen Mann, der ihr so lieb geworden war. »Ich habe viele Jahre für dich gebetet, Andrew«, flüsterte sie. »Nun werde ich dafür beten, dass Gott dir die richtige Frau zur Gefährtin gibt.«

2

Andrew lernt einen Heiligen kennen

»Euer Zuhause ist wunderschön, Mr Wakefield. Ich habe nie ein schöneres Gut gesehen.«

Caroline Barksdale war von Andrew auf einer Besichtigungstour durch das ganze Haus und das Grundstück begleitet worden. Die Julisonne stand als bleiche Scheibe hoch am Himmel, Hitze stieg von der Erde auf, während Caroline das üppige, sorgsam gepflegte Gut betrachtete. Als sie inmitten des großen Rosengartens standen, beugte sie sich nieder, um den Duft einer scharlachfarbenen Rose in sich aufzunehmen, dann lächelte sie Andrew an. »Ihr müsst traurig sein, diesen Ort zu verlassen und nach Oxford zu gehen.«

»Nun, eigentlich glaube ich nicht, dass ich traurig bin«, antwortete Andrew kurz. »Ich freue mich schon seit einer ganzen Weile auf meinen Aufenthalt an der Universität.« Er blickte sie an, nahm den Anblick ihres rosa und weiß gestreiften Seidenkleides in sich auf, das mit Taftschleifen geschmückt war und dessen Saum kaum den Boden berührte. Um die Schultern trug Caroline einen mit Spitzen gesäumten Gazeschal und auf ihrem sorgfältig frisierten Haar saß ein weißer Strohhut über einem leinenen Häubchen. Als ihr rötlich blondes Haar die Sonnenstrahlen auffing, bewunderte Andrew ihre Schönheit, sagte jedoch nichts.

Die beiden waren schon einige Male zusammen gewesen, seit sie einander zum ersten Mal begegnet waren, und nun war die ganze Familie Barksdale auf Besuch nach Wakefield gekommen.

»Es muss wunderbar gewesen sein, Euer ganzes Leben hier zu verbringen«, bemerkte Caroline nachdenklich, während sie langsam den mit Ziegeln gepflasterten Pfad entlanggingen, der die Rosenbeete voneinander trennte. »Ich kann es mir gar nicht vorstellen, in einem so großen Haus zu wohnen.« Sie warf Andrew einen Seitenblick zu und stellte fest, dass er adrett, wenn auch nicht teuer gekleidet war: braune Kniehosen, weiße Strümpfe, eine kurze rehbraune Weste und ein weißes Hemd mit einer dunkelblauen Halsbinde. Selbst seine weichen Lederschuhe mit den flachen Absätzen und Messingschnallen waren uncharakteristisch einfach und vernünftig für einen Mann in seiner gesellschaftlichen Stellung.

»Wisst Ihr«, sagte Andrew, während er leicht nach ihrem Arm griff und sie zu sich umdrehte, »wie oft wir schon beisammen waren?«

»Nicht sehr oft.«

»Viermal«, erklärte Andrew. »Ein Abendessen bei Euch daheim. Ein Ausritt im Park. Tee beim Bischof. Und einmal beim Pferderennen.«

»Ihr führt ja sehr genau Buch über Euer gesellschaftliches Leben, Mr Wakefield.«

»Oh, nennt mich doch nicht so. Wir kennen uns jetzt gut genug, um uns mit dem Vornamen anzureden. Kommt – ich zeige Euch den Rest des Gutes.«

Er führte sie über die gewundenen Gartenpfade, bis sie an einen Graben kamen. »So etwas nennt man ein ha-ha.«

»Ein ha-ha? Warum nennt man es so?«, fragte Caroline und zog die Augenbrauen hoch. Sie blickte neugierig den Graben an. »Wozu dient er?«

»Es ist eine Art versenkter Zaun«, antwortete Andrew, »um die Kühe zurückzuhalten. Auf die Weise ersparen wir uns einen hässlichen Zaun. Es hat nur einen Nachteil. Man sieht das verflixte Ding nicht, bevor man nicht direkt davorsteht.« Seine blauen Augen füllten sich mit Humor. »Ich habe mir einmal den Arm gebrochen, als ich in das verflixte Ding hineingefallen bin.«

»Oh du liebe Güte«, neckte ihn Caroline, »ich wusste gar nicht, dass Geistliche so fluchen! Verflixtes Ding, sieh einer an!« Sie lachte über den Ausdruck auf Andrews Gesicht, dann sagte sie rasch: »Es tut mir leid. Ich wollte Euch nur necken.«

»Daran bin ich gewöhnt. Die meisten Leute finden es spaßig, dass ich in den Dienst der Kirche trete.«

»Nun, ich finde das nicht«, beharrte Caroline. Sie hatte an seine früheren Bemerkungen gedacht und kehrte zu dem Thema zurück. »Ihr müsst Tagebuch geführt haben, wie oft wir uns getroffen haben. Eines Tages werdet Ihr es als Biografie bezeichnen und es Mein verpfuschtes Leben als Geistlicher nennen.« Humor leuchtete in ihrem Gesicht auf, als sie ihn neckte. Eines der Dinge, die sie an Andrew beunruhigten, war das Gefühl, er sei allzu ernst. Es hatte eine Weile gedauert, bis sie sich überwinden konnte, ihn zu necken.

Andrew zuckte die Achseln. »Ich hoffe, mein Leben wird nicht verpfuscht sein. Ich habe die Absicht, Gott zu dienen, so gut ich kann.« Er forschte ernsthaft in ihrem Gesicht. »Caroline – werdet Ihr mir schreiben, während ich in Oxford bin?«

»Gewiss – wenn Ihr mir als Erster schreibt. Ich bin sicher, meine Eltern werden nichts dagegen haben.« Ihre Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln. »Ihr könnt mir geistlichen Rat erteilen. Sagt mir all die Dinge, denen junge Damen aus dem Weg gehen sollten.« Sie ergriff seinen Arm. »Kommt mit. Es muss beinahe Zeit zum Essen sein. Ich bin halb verhungert.«

Sie kehrten zurück zu dem großen Herrenhaus, das ein Stück hinter den kleineren Seitengebäuden zurückstand, und traten durch eine massive Eichentür ein. Carlton, der Butler, empfing sie. »Ich wollte Euch eben holen, Sir. Das Abendessen steht bereit.«

Andrew spürte Carolines leichte Berührung auf seinem Arm, als sie den langen Korridor entlanggingen und dann zum Speisezimmer abbogen.

»Es ist an der Zeit, dass ihr kommt!«, rief George Wakefield aus. Er trug rehbraune Kniehosen, eine doppelreihige Weste und eine schmale Schleife am Hals. Er zog einen Stuhl zurück und befahl: »Setzt Euch hierhin, Miss Barksdale. Ich habe vor, Euch all die abscheulichen Geschichten aus Andrews wüster Jugend zu erzählen.«

»Ich bin überzeugt, die Liste wäre sehr kurz«, sagte Caroline mit gesenktem Blick. Sie ließ sich an einer Seite des großen Eichentisches nieder, zwischen ihren Eltern. Andrew setzte sich an der gegenüberliegenden Seite neben seine Mutter, Lady Ann Wakefield.

George nahm den Platz am oberen Ende des Tisches ein und nickte dem Diener zu. »In Ordnung. Bringt das Essen herein, Justin.«

Weder Caroline noch ihre Eltern waren an die raffinierten Genüsse gewöhnt, die nun folgten. Mrs Barksdale schien sich im Geist Notizen zu machen, offenkundig hatte sie die Absicht, die Adeligen nachzuahmen, wenn die Reihe an sie kam, die Gastgeberin zu spielen. Die Mahlzeit bestand aus dünnen Lammfilets, die mit Essig und gehackten Zwiebeln serviert wurden, Wildpastete, die stark mit Butter gewürzt und gefüllt war, und gegrilltem Hecht. Laibe von frischem Weizenbrot, das eben aus dem Ofen kam, füllten zwei silberne Platten. Andere silberne Schüsseln und Platten enthielten gekochte Bohnen, Karotten und Rüben, die alle in Butter gedünstet waren. Die Diener füllten die Gläser mit Ale nach, das blass und stark war. Nach dem Hauptgang wurde ein Kuchen hereingebracht. Lady Wakefield erklärte, er sei nach ihrem eigenen Rezept gebacken, zu dem Rosinen im schweren, süß gewürzten Teig gehörten. Auch heiße Schokolade wurde für jene serviert, die das sahnige Getränk mochten, aber die meisten bevorzugten Tee.

In der Konversation ging es dann um die Familie. Barksdale nickte: »Ich finde auch, der zweite Sohn sollte in den kirchlichen Dienst treten«, erklärte er. »Das verleiht der Familie Würde.«

»Nun, es kostet auch genug«, sagte George und zuckte schwerfällig die Schultern. »Ich hoffe, ich kann mir den Rest meines Lebens kostenlose Predigten anhören, nachdem ich die Kosten deiner Ausbildung getragen habe, Andrew.«

Andrew war an den verschrobenen Humor seines Bruders gewöhnt. »Ich werde mein Bestes tun. Ich finde Predigten sehr vernünftig, George.«

»Ihr müsst stolz darauf sein, einen Sohn nach Oxford zu schicken«, sagte Caroline zu Lady Wakefield.

»Ja, wahrscheinlich. George war auch eine Weile dort.«

»Ja, das war ich«, erwiderte George und nickte. »Vergeudete Zeit.« Eine Spur Verachtung umdüsterte seine Worte. »Der Ort hat überhaupt nichts Romantisches an sich. Kein Fünkchen! Ich hörte, dass einige der Bischöfe Angst haben, das Schwärmertum könnte sein hässliches Haupt dort erheben. Keine Gefahr. Sie schwärmen für rein gar nichts, nicht einmal für Sport. Hab nie im Leben einen so langweiligen Ort gesehen!«

Die Barksdales waren leicht schockiert über seine verächtlichen Worte und Caroline warf Andrew einen überraschten Blick zu. »Das ist kein sehr ermutigender Bericht für Euch, Mr Wakefield.«

»Ich gehe nicht nach Oxford, um ein Schwärmer zu werden«, sagte Andrew ruhig. »Ich halte nichts von diesen Dingen.«

Das überraschte Caroline nicht. Sie wusste, dass man all die sogenannten religiösen Exzesse in England mit dem Begriff »Schwärmerei« bezeichnete. Bei den Unterschichten, vor allem in Wales, war es vorgekommen, dass die Leute in der Kirche oder beim Gottesdienst aufschrien, zu Boden sanken oder sich auf andere Weise höchst unpassend benahmen, wie die Geistlichen fanden. Sie wusste, dass man über einen Mann in gewisser Hinsicht nichts Schlimmeres sagen konnte, als dass er ein Schwärmer sei.

»Das will ich hoffen, dass du dich von solchen Dingen fernhältst«, sagte Lady Ann Wakefield und schniefte. »Es genügt, dass wir zur Kirche gehen, die Sakramente nehmen und die Kirche unterstützen, wie es sich gehört.«

Andrew rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Die Religion seiner Mutter, das wusste er, war wenig mehr als eine Formalität. Seine Großmutter, die vor drei Jahren gestorben war, war eine warmherzige Christin gewesen, die viel Zeit und Mühe darauf verwandt hatte, dem Rest der Familie das Christentum nahezubringen. George und Lady Ann jedoch hatten kein Interesse an solchen Dingen. George hatte einmal von seiner Großmutter gesagt: »Sie wäre selbst eine Schwärmerin gewesen, wenn sie nur die geringste Chance gehabt hätte.«

Als die Mahlzeit beendet war, gingen die Männer in ein Nebenzimmer, um zu rauchen. George und Mr Barksdale gönnten sich ein Schlückchen von etwas Stärkerem als Ale. Die Frauen blieben im Speisezimmer zurück, nippten an ihrem Tee und machten leichte, höfliche Konversation. Caroline studierte Lady Ann aufmerksam, denn sie war überzeugt, dass man nur die Eltern zu beobachten brauchte, um zu wissen, in welche Richtung ein Kind sich entwickeln würde. Da Andrews Vater schon vor einigen Jahren gestorben war, entschloss sich Caroline, seine Mutter zu studieren.

Lady Ann Wakefield war in ihrer Jugend eine attraktive Frau gewesen, daran bestand kein Zweifel; aber Übergewicht hatte ihre Figur plump gemacht und ihr Gesicht derb. Sie konnte ihren Hochmut nicht verbergen, er spiegelte sich in ihrem reich verzierten Kleid und dem Diamantring, der auffällig an ihrem Finger glitzerte.

Caroline war von Lady Ann nicht beeindruckt und machte eine Bemerkung, als die Barksdales in ihrer Kutsche nach London zurückkehrten. »Ich glaube, mit Lady Ann ist schwer auszukommen.«

»Warum sagst du so etwas, Caroline?«, schalt Mrs Barksdale. »Sie hat etwas Befehlendes an sich, aber das ist nur recht und billig bei einer Dame ihres Standes.«

»Sie will ihren Kopf durchsetzen, so viel ist jedenfalls sicher«, antwortete Caroline.

»Und warum sollte sie nicht?«, beharrte ihr Vater. »Sie hat Geld, eine hohe gesellschaftliche Stellung und einen Titel. Solche Leute setzen immer ihren Kopf durch.«

Caroline warf ihrem Vater einen scharfen Seitenblick zu, sagte aber nichts.

Ihre Mutter sagte steif: »Ich bin schockiert, Caroline, dass du Sir George so wenig Aufmerksamkeit geschenkt hast. Ich glaube, er war verletzt.«

»Meinst du?« Caroline zuckte die Schultern. »Ich habe nichts davon bemerkt.«

»Er hat dreißigtausend Pfund im Jahr«, warf ihr Vater ein. »Ich finde, es ist nur vernünftig, einem Mann Aufmerksamkeit zu schenken, der so viel Geld hat.«

»Ich finde Andrew viel interessanter«, bemerkte Caroline gleichgültig. »Sir George kann über nichts anderes reden als Pferde.«

»Ein Mann mit dreißigtausend Pfund im Jahr«, verkündete ihr Vater großartig, »kann es sich leisten, uninteressant zu sein.«

Caroline hatte das Gefühl, dass an dieser Logik etwas nicht in Ordnung war, aber sie kannte ihre Eltern gut genug, um keinen Streit anzufangen. Sie war natürlich vom Gut der Wakefields beeindruckt gewesen, doch die Familie hatte sie ein wenig enttäuscht. Irgendwie hatte sie sich eine anregendere Konversation von den Adeligen erwartet, aber sie hatte weder von Sir George noch von Lady Ann irgendetwas besonders Eindrucksvolles gehört. Andrew ist ein interessanter junger Mann, aber er hat so lange unter der Fuchtel seines Bruders gestanden, dass ich bezweifle, ob er sich jemals befreien kann, sinnierte sie. Wahrscheinlich wird er ein guter Pfarrer werden. Sie blickte zum Fenster der Kutsche hinaus, die die staubige Straße nach London entlangjagte, und lächelte in sich hinein. Andrew wird lernen müssen, ein wenig romantischer zu sein. Darauf werde ich auf jeden Fall bestehen.

***

Andrew Wakefield kam in der ersten Juniwoche des Jahres 1731 in Oxford, das fünfzig Meilen von London entfernt liegt, an und fand es längst nicht so schlimm, wie sein Bruder George behauptet hatte. Nachdem ihn der Vorsteher des Lincoln College herzlich begrüßt hatte, stellte Andrew mit Vergnügen fest, dass sein Quartier sehr hübsch war. Sobald er sich an den Alltag gewöhnt hatte, fand er das Leben an der Universität mehr oder weniger nach seinem Geschmack. Er aß im Speisesaal um fünf Uhr zusammen mit den anderen Studenten und musste um neun Uhr zurück in seinem College sein, wenn er nicht eine Geldstrafe zahlen wollte. Er war bereits auf das Ordnungspersonal gestoßen, die sogenannten »Bulldoggen«, die auf der Suche nach unbotmäßigen Studenten die Straßen durchstreiften und das Recht hatten, jedes Haus mit nur zehn Minuten Vorwarnung zu durchsuchen. Wer die Regeln brach, musste mit Karzer rechnen oder wurde vom College verwiesen.

Die Klassenunterschiede waren in Oxford deutlich zu merken. Die Adeligen waren an ihrer Kleidung deutlich zu erkennen, und ihre Hüte waren mit besonderen Quasten geschmückt. Sie saßen auch an abgesonderten Tischen. Andrew war nicht sonderlich erfreut darüber, zu dieser Gruppe zu gehören, denn er stellte rasch fest, dass sie nicht gerade die Fleißigsten in Oxford waren.

Nachdem zwei Wochen vergangen waren, fühlte er sich ziemlich einsam. Er hatte nur wenige Freunde gefunden; die meisten Männer, die Theologie studierten, waren entweder langweilig oder überhaupt nicht an religiösen Fragen interessiert. Viele von ihnen waren gezwungen worden, Geistliche zu werden, und sie machten kein Hehl daraus, wie unzufrieden sie mit diesem Leben waren.

Andrew Wakefield war nach Oxford gekommen, um zu lernen, wie er Gott am besten dienen konnte. Das liederliche Leben einiger Theologiestudenten widerte ihn an. Er hatte jedoch von zwei Männern gehört, Mr John Wesley und seinem Bruder Charles, über die widerstreitende Gerüchte im Umlauf waren. Andrew lauschte aufmerksam und stellte fest, dass die zügellosen Studenten beide Männer aufs Heftigste ablehnten. Als er einen seiner Bekannten befragte, einen Studenten namens Paul Simmons, warf ihm der Jüngere einen säuerlichen Blick zu. »Oh, Ihr redet vom Klub der Heiligen.«

»Dem Klub der Heiligen? Was ist das?«

»Nun, das ist dieser Haufen Heiliger, der von John Wesley angeführt wird. Haltet Euch bloß fern von denen! Sie sind nichts anderes als irre Schwärmer.«

Simmons Empfehlung verfehlte ihre Wirkung auf Andrew. Wenn Simmons sie nicht leiden kann, sinnierte Andrew, dann müssen sie etwas Besonderes sein.

Also gab sich Andrew große Mühe, mit dem jüngeren Bruder, Charles Wesley, Bekanntschaft zu schließen. Charles, ein gut aussehender junger Mann von durchschnittlicher Größe, war charmant, witzig und gesellig. Er fand Andrew augenblicklich sympathisch. »Wir haben eine kleine Gruppe, die sich einmal in der Woche trifft. Vielleicht habt Ihr schon davon gehört. Manche nennen es den Klub der Heiligen, obwohl wir selbst uns nicht so nennen. Manche nennen uns ›Kerzenschlucker‹, manche ›Kirchenwanzen‹, und einige nennen uns ›Methodisten‹. Aber wir selbst nennen uns einfach ›unsere Gesellschaft‹.«

»Ich würde mich euch sehr gerne anschließen«, sagte Andrew eifrig.

»Großartig!« Wesley lächelte. »Wir treffen uns heute Abend im Zimmer meines Bruders John. Ich hole Euch ab und stelle Euch dem Rest der Gruppe vor.«

Andrew freute sich auf die Zusammenkunft. Am Abend kam Charles Wesley in sein Zimmer. »Kommt mit. Ich habe meinem Bruder gesagt, dass Ihr kommt, und er kann es nicht erwarten, Euch kennenzulernen.«

Er führte Andrew in John Wesleys Quartier und stellte sie einander vor. »Bruder John, das ist Andrew Wakefield. Ich schlage vor, ihn in unsere Gruppe aufzunehmen.«

John Wesley, ein klein gewachsener Mann, der höchstens fünf Fuß und drei Zoll maß, sich aber sehr aufrecht hielt, hatte aufmerksame dunkelbraune Augen und langes kastanienbraunes Haar, das seine Schultern streifte. Sein Mund hatte volle Lippen, seine Nase war lang und dünn. »Wir freuen uns, Eure Bekanntschaft zu machen«, sagte John und lächelte leise. »Erlaubt Ihr, dass ich Euch den Rest unserer Gesellschaft vorstelle.« Die beiden anderen Anwesenden, Robert Kirkland und William Morgan, begrüßten Andrew herzlich.

Morgan war ein gut aussehender Mann mit einem unverkennbaren Waliser Akzent. Andrew bemerkte ihm gegenüber: »Einige meiner Vorfahren kamen aus Wales. Sie hießen auch Morgan.«

William Morgan wirkte überrascht. »Tatsächlich? Nun, dann sind wir vielleicht entfernte Cousins. Ich weiß nicht viel über unseren Familienstammbaum, aber mein Vater kennt ihn in allen Einzelheiten. Ich werde ihn fragen, ob er von irgendwelchen Wakefields weiß, die uns über den Weg gelaufen sind. Aber kommt, wir fangen schon an.«

Das Treffen war schlicht. John Wesley war offenkundig der Anführer. Mehrere Lieder wurden gesungen und Andrew sang mit seiner kräftigen Stimme mit. Nachdem der Gesang endete, sagte John zu Andrew: »Mein Bruder Charles schreibt Lieder. Da Ihr so gut singt, frage ich mich, ob Ihr vielleicht Musiker seid?«

»Ein sehr bescheidener Musiker«, antwortete Andrew. »Ich glaube, ich werde genug damit zu tun haben, dass ich Predigten schreiben lerne, von Hymnen ganz zu schweigen.«

Charles Wesley schien sich zu Andrew hingezogen zu fühlen; er lächelte warmherzig über den zerknirschten Tonfall des jungen Mannes. »Wir werden öfter zusammen sein. Wenn ich Euch dabei helfen kann, Eure Predigten zu schreiben, zögert nicht, Euch an mich zu wenden.«

Die Zusammenkunft bestand fast ausschließlich aus Liedern, Gebeten und Fürbitten. Später, als Andrew und Charles zu ihren Zimmern zurückkehrten, erkundigte sich Charles: »Was haltet Ihr von unserer Gesellschaft?« Er zog eine Augenbraue hoch. »Ich fürchte, wir haben einen ziemlich schlechten Ruf.«

»Ich fand das Treffen sehr angenehm«, sagte Andrew mit fester Stimme. »Ich hoffe, ich werde wieder eingeladen.«

»Aber gewiss! Betrachtet Euch als einen der Unseren, Andrew. Wir wollen nichts weiter, als einander helfen, unseren Weg zu Gott zu finden und dem Herrn Jesus zu dienen, so gut wir können.«

Voll Freude beschloss Andrew, sich als Mitglied in diesem Klub einen guten Ruf zu erwerben. Nachdem er mehrere Zusammenkünfte besucht hatte, sprach ihn ein Adeliger namens Peter Jamison an. Mit gerunzelter Stirn bemerkte er: »Passt auf Euch auf, Wakefield!«

»Warum?«, fragte Andrew überrascht.

»Der Klub der Heiligen«, gab Jamison zurück. »Lasst Euch nicht allzu eng mit diesen Burschen ein.«