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50 Dinge,
die ein

Norddeutscher
wissen muss

Ulfert Becker | Werner Momsen

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50 Dinge, die ein
Norddeutscher wissen muss ...

„Nein ich bin nicht verrück: Dieses Buch habe ich
zusammen mit einem Stück Schaumsto! verfasst…“

Einem höchst lebendigen allerdings, mit dem man reden, lachen und Mails austauschen kann. Mit Herrn Momsen eben. Werner Momsen, Hamburgs bekanntestes Klappmaul. Bekannt von der Bühne und aus dem Fernsehen, wo er als Außenreporter des NDR seit geraumer Zeit die norddeutsche Heimat bereist und dabei den Menschen im Land auf die Finger sowie in Kochtopf und Seele guckt. Egal aus welcher Himmelsrichtung man es betrachtet: Wo Momsen ist, ist Norden. Hinter Herrn Momsen ist nun aber nicht etwa Süden, sondern ein schwarz maskierter Mann, den wir hier mal „Detlef“ nennen wollen. Genauer gesagt: Er steckt zur Hälfte in Herrn Momsen drin! So spricht er auch für ihn - denn Schaumstoff hat bekanntlich keine Stimmbänder. Dabei redet Herr Momsen viel: Oft sagt er bereits, was er denkt, bevor er denkt, was er sagt. Er hat sich nämlich im Laufe der Jahre ein beachtliches Halbwissen angeeignet, mit dem er nicht hinter dem Berg hält. Das macht ihn in Unterhaltungen zu einem sehr spontanen Gesprächspartner, der von seinem Gegenüber Dinge erfährt, die dieser oder diese manchmal selbst noch nicht wussten. Ich selbst habe viel Wissenswertes von Herrn Momsen erfahren, was spontan in dieses Buch eingeflossen ist. So flogen von den rund 60 Wissensthemen, die wir vor der Niederschrift zusammengetragen hatten, 20 wieder raus. Dafür kamen 10 neue Themen à la Momsen rein. Zum Glück konnte aber auch ich Werner gelegentlich einige neue Informationen bieten - sonst hätte er dieses Buch ja auch ohne mich schreiben können. So ist es eine tolle Zusammenarbeit geworden, bei der wir am Ende gar nicht mehr sagen können, wer nun welches Kapitel verfasst hat. Herr Momsen schreibt inzwischen wie ich, ich wie Herr Momsen ... und der geheimnisvolle Detlef hat natürlich auch etliches beigetragen. Da haben sich drei waschechte Norddeutsche unter einem sehr glücklichen Stern getroffen, um über die wissenswertesten Dinge des Nordens ein Buch zu machen. Wobei ich immer wieder über den Herren aus weißem Schaumstoff staunen musste: Er betrachtet das Leben durch die Momsen-Brille, eine Brille mit ganz besonderem Blickwinkel, mit der er Sachen sieht, die nur er sehen kann. Und er hat einen Humor, der wesentlich trockener ist als das Wetter seiner Heimat. Er ist immer neugierig und immer mittendrin, da wo das Leben spielt und wo die Menschen sich treffen. So war es mir eine Ehre, mit Werner Momsen durch den Norden zu fahren, mit ihm die Orte, über die Sie hier lesen können, zu besuchen- und dabei ein wenig an seinem persönlichen Universum teilzuhaben. Ein besonderer Dank auch an Detlef, der uns nicht nur in seinem wunderbaren Oldtimer chauffiert hat, sondern auch ansonsten ein großartiger Mitstreiter war.

Aber was erzähle ich hier alles - wo es doch zu den norddeutschen Tugenden gehört, einfach mal den Sabbel zu halten ... Viel Spaß bei der Lektüre!


Ulfert Becker, Juli 2013

Wie das Wetter ist

Es ist eine lauschige Maiennacht.

Lauschig ist sie aber nur deshalb, weil wir gerade eben die Heizung angestellt haben. Draußen prasselt ein Dauerregen, das Thermometer zeigt 9° C. Noch vier Wochen bis zum Sommeranfang - aber das Wetter unterscheidet sich kaum von jenem, das wir bereits Ende Februar hatten.

Ein Südländer, der hier im Norden zu Gast sein mag, beginnt nun irgendwann, nach den übrig gebliebenen Psychopharmaka seines letzten Depressionsanfalls zu suchen. Oder nach der Pistole, mit der sich schon sein Onkel das Leben nahm. Oder er bucht einen Flug, der ihn einfach wieder nach Süden bringt.

Der Norddeutsche hat all dies nicht nötig. Er geht einfach ins Internet, schaut auf die Statistiken - und sieht, dass dort, wo er gerade ist, einfach der tollste Platz zum Leben ist. Weil es an anderen Orten nämlich noch viel schlimmer sein kann. In München zum Beispiel.

Von wegen „sonniger Süden“! Die Münchner haben genauso viele Regentage wie die Hamburger, 133 pro Jahr - sagt der Deutsche Wetterdienst, und hat noch mehr Überraschendes zu bieten: In München gehen nämlich fast 970 Liter Niederschlag pro Quadratmeter und Jahr herunter, in der Hansestadt sind es nur lächerliche 770 Liter. Der Nordmensch wundert sich fast, dass die Bajuwaren noch nicht abgesoffen sind - bei soviel Wasser und ganz ohne Deiche ... Am schlimmsten sind in Deutschland allerdings die Wuppertaler dran: Denen tropfen pro Jahr statistische 1154 Liter auf den Kopf.

Und von wegen, der Norden sei kalt!

Angenehme 17,6 °C Durchschnittstemperatur haben wir hier - im Juli. Das ist doch geradezu tropisch angesichts der -45,8 °C, die am Heiligabend 2001 im bayrischen Funtensee herrschten.

Kälter war es seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in ganz Deutschland allerdings noch nicht. Bei den Menschen, die anderswo auf dem gleichen Breitengrad wie wir wohnen, jedoch schon: Am Baikalsee in Sibirien zum Beispiel soll es im Winter ja empfindlich kalt werden - bis zu -50°C. Genauso in Alaska - das liegt auch auf der gleichen Höhe wie Norddeutschland.

Kuschelige Wärme also in Norddeutschland - dem Golfstrom sei Dank! Und wenn es auch nur mal 9° C im Mai sind - selbst dabei würde so mancher Sibirier ja schon ins Schwitzen kommen.

Dann aber erst unsere gute Luft!

Mit ihren herrlichen Aromen von Seesalz, fruchtbarem Landboden, grünen Blättern und Regentropfen! Gut aufgerührt durch die Winde, die ständig über unsere Tiefebene streichen- und allen Schiet in der Luft vornehmlich nach Südosten blasen. Feinstaub z.B. - da weiß der Norddeutsche doch erstmal gar nicht, was damit gemeint ist. Und warum er für sein Auto irgendeine Plakette braucht ...

Dann aber recherchiert er im Internet - und findet eine Karte zu dem Thema. Rot und Gelb sticht es ihm in die Augen - Hilfe, ganz Deutschland ist feinstaubverseucht!

Nein, nicht ganz Deutschland ... die norddeutsche Tiefebene ist mit sanftem Hellblau koloriert. Hier lässt es sich durchatmen! Na gut, ganz da unten, in den Alpen, auch. Aber da ist es ja viel kälter als hier, es kommt mehr Regen runter und Berge sind da auch noch... Nee, nee, denkt sich der Norddeutsche: Der tollste Platz ist doch genau hier, wo er immer schon gelebt hat!

Was die Römer im Watt machten

Als die Römer frech geworden - simserim simsim simsim

Zogen sie nach Deutschlands Norden - simserim simsim simsim

vorne mit Trompetenschall - Terätätätäterä

ritt der Generalfeldmarschall - Terätätätäterä

So beginnt ein Studentenlied aus dem 19. Jahrhundert, in dem in humoristischer Form das vermeintliche „Gastspiel“ der lateinischen Kultur in Norddeutschland dargestellt wird.

Ein ausgesprochen kurzes Gastspiel, wenn man an die allgemein überlieferte Geschichte vom „unbesiegten Norddeutschland“ glaubt. Danach kamen die imperialen Sturmtruppen im Jahre 9 n. Chr. in den Teutoburger Wald, wo die angesäuerten Germanen bereits auf sie warteten. Eine Schlacht, mal eben drei Legionen vernichtet ... und schon konnten die blonden Nordmänner mit den Hörnern an den Helmen in ihre Torfhütten zurückkehren, um sich dort wieder entspannt dem ungezügelten Metkonsum zu widmen. Die Römer trauten sich nie wieder her.

Dem siegreichen Anführer der germanischen Krieger, Arminius (Freunde dürfen auch „Hermann der Cherusker“ zu ihm sagen), wurde zum Dank ein riesiges Denkmal errichtet - allerdings erst knapp 1900 Jahre später und zudem noch nicht einmal in einem der „geretteten“ Nordländer selbst, sondern rund 20 Kilometer vor der Landesgrenze zu Niedersachsen, nahe dem Nordrhein-Westfälischen Detmold.

Aber ganz so einfach ist die Geschichte denn doch nicht - zumal gerade in den letzten Jahren ganz neue, unerwartete Forschungsergebnisse ein neues Licht auf die Ereignisse werfen.

Beginnen wir jedoch ganz von vorn: So um Christi Geburt hatte sich das Römische Reich bis zum Rhein und zur Donau ausgedehnt. Trier war eine veritable Großstadt, in Mainz und Xanten, Augsburg und Kempten entstanden große Militärstützpunkte.

Fröhlich marschierten die Legionen jedoch auch nördlich dieser Linie herum - die natürliche Grenze war für sie erst die Elbe. Vereinzelter Widerstand der unorganisierten Ureinwohner wurde von der perfekten Kriegsmaschinerie in der Regel spielend niedergewalzt.

Damit machten die römischen Truppen den Weg frei für Händler und Prospektoren. Man hoffte nämlich, in diesem wilden Germanien neue Absatzmärkte zu erschließen - und Bodenschätze zu finden.

Kurz nach der Zeitenwende war zumindest Niedersachsen also drauf und dran, eine ganz normale römische Provinz zu werden. Doch dann kam der Aufstand des Arminius dazwischen. Geschickt war es diesem Fürsten, der wahrscheinlich in der römischen Armee ausgebildet worden war, gelungen, die Warlords der einzelnen Germanenstämme zu einem gemeinsamen Angriff auf die Invasoren zusammenzubringen - und damit die Römer zu überrumpeln.

Fakt ist, dass in der sogenannten Varusschlacht im Teutoburger Wald drei römische Legionen - also ca. 20.000 Mann - vernichtet wurden. Wo allerdings diese Schlacht genau stattfand, ist bis heute umstritten.

Fakt ist auch, dass dieser Streich das römische Imperium in seinen Grundfesten erschütterte - die siegesgewohnte Supermacht war ausgerechnet von einer Horde Wilder geschlagen worden! Und nun lag die gesamte Nordgrenze ungeschützt da ...

Hier beginnt nun das unbekanntere Kapitel der norddeutschen Römer-Geschichte. Die Varusschlacht war nämlich erst der Anfang eines gewaltigen Krieges: Das Imperium schlug zurück! In den folgenden Jahren marschierten etliche weitere Legionen gen Norden, denen Arminius und seine Gefolgsleute nur mit Mühe standhalten konnten. Der Höhepunkt der Auseinandersetzung fand im Jahre 16 statt.

An der Nordseeküste tauchte wie aus dem Nichts eine gewaltige römische Flotte auf. Rund 1300 Schiffe waren es wohl insgesamt: Truppentransporter, Kriegsgaleeren und kleine, wendige Patrouillenboote für die Flüsse. Nahe dem heutigen Leer entstand ein riesiger Brückenkopf. Bis zu 90.000 Legionäre, 20.000 Pferde und Unmengen an Material wurden hier ausgeschifft, ein Teil der Flotte zog weiter gen Norden.

Der Befehlshaber dieser Streitmacht, Claudius Germanicus, hatte eine neue Strategie: Er wollte mit seinen Booten Kontrolle über die Flüsse erlangen, so den Feind schwächen und ihn dann mit seinen Legionen vernichtend schlagen. Auf Ems, Weser und Elbe wimmelte es in diesem Jahr also nur so vor römischen Söldnern!

Den Aufständischen wurden denn auch empfindliche Verluste beigebracht - zu einer Entscheidungsschlacht kam es jedoch nicht. Entnervt wollen sich die Römer Ende des Jahres auf dem Seeweg in ihre Winterquartiere im Süden zurückziehen, als die Katastrophe geschieht: Eine Springflut bringt viele Schiffe zum Kentern, andere treiben ab. Germanicus kann sich auf die Insel Borkum retten und koordiniert von dort die Rettungsaktionen ...

Ein Zenturio wie aus einem Asterix-Comic, der aufgeregt zwischen den Borkumer Dünen herumflitzt? Legionäre, die ihre Sandalen im Watt verlieren - wie Badegäste heute ihre Gummistiefel? Und römische Patrouillenboote, die mit einer MG-ähnlichen Wurfmaschine an Bord die Elbe entlangschippern? Das klingt merkwürdig - war aber Realität.

Man kann davon ausgehen, dass unter Flussschlick und Ackerboden des Nordens noch abertausend Galeerenreste, Uniformstücke, Henkeltöpfe und sonstiger Tinnef des Imperium Romanum verborgen liegen.

Offiziell wurde die römische Invasion nach Norddeutschland kurz nach dem Flottendebakel eingestellt und nie wieder ein Plan gefasst, die Mettrinker erneut zu stören. Zumindest wird nirgendwo in den römischen Annalen darüber berichtet.

Daher war es die archäologische Sensation des Jahres 2008, als man bei Kalefeld, am Fuße des Harzes, etliche Artefakte entdeckte, die darauf hinweisen, dass auch hier eine große Schlacht zwischen Römern und Germanen getobt haben muss. Und zwar über 300 Jahre nach der Varusschlacht!

So ganz konnte die Supermacht vom Tiber also doch nicht von ihrem Traum nach klarer Nordluft lassen. Aber offenbar hatten die Legionäre immer wieder von den unbeugsamen Norddeutschen auf den Helm bekommen, sonst hätte man nämlich schon längst auf irgendeinem Steinblock in Rom eine Schlagzeile à la „Glorioser Sieg in Nordgermanien!“ gefunden.

Was sich genau hier alles zugetragen haben mag, liegt jedoch im Dunkeln - denn die Altvorderen des Nordens konnten zwar viel Met saufen, aber leider nicht schreiben ...

Warum Platt eine eigene Sprache ist – oder auch nicht

Hessisch, Bayrisch, Badisch, Sächsisch ... all das sind Dialekte, also regionale, mundartliche Einfärbungen des Deutschen. Plattdeutsch (besser eigentlich: Niederdeutsch) jedoch ist eine ganz eigene Sprache.

Zumindest behaupten das jene rund 4 Millionen Menschen, die „op Platt snacken“ - also die Muttersprachler. Ein paar Sprachwissenschaftler halten allerdings dagegen, dass Platt nicht sooooo weit weg vom allgemeinen Deutschen entfernt sei, dass man es als eine eigene Sprache ansehen könnte.

Nun, darüber lässt sich streiten: Immerhin hat Nedderdüütsch eine Grammatik, die sich ziemlich von der Hochdeutschen unterscheidet, eine ganze Menge eigene Worte, die sich eher im Niederländischen (was ja anerkanntermaßen eine eigene Sprache ist!) als im Hochdeutschen wieder-finden lassen, und sogar ein paar Laute, die kaum kein Mensch sonst verwendet.

Der harmoniebedürftige Norddeutsche gibt im Zweifelsfall jedoch gerne zu, dass Plattdüütsch ein „interessanter Grenzfall“ zwischen eigener Sprache und Dialekt sei. Und freut sich insgeheim einfach nur, dass zum Beispiel ein Bayer sich zwar zur Not mit einem Sachsen im jeweiligen Dialekt verständigen kann, bei einem Plattsnacker aber vermutlich schnell resigniert - und vielleicht lieber auf Englisch ausweicht.

Ein nordfriesischer Bauer z.B. kann mit einem Engländer durchaus via Platt kommunizieren - weil die Sprachen einen gemeinsamen Ursprung haben: Das Altsächsische.

Dieses hat wenig mit der heutigen Region „Sachsen“ zu tun. In der Völkerwanderungszeit, also vor bummelig 1600 Jahren, lebte ein gleichnamiger germanischer Volks-stamm ungefähr in der Region des heutigen Holsteins. Irgendwann begannen dann diese Stammeskrieger, ihr Siedlungsgebiet in sonnigere Gefilde auszudehnen. Südlicher Stopp war erst bei den Mittelgebirgen - die dem Flachländer offenbar schon damals ein Graus waren. Im Westen war mit dem Ijsselmeer die natürliche Grenze der Expansion erreicht, im Osten hielten die Slawen die Volksbewegung auf.

Weil ihre (Aus-)Wanderlust damit aber noch nicht befriedigt war, stiegen etliche Sachsen zusammen mit den Angeln, ihren Nachbarn aus der Region um Schleswig, auf ihre Schiffe und fuhren nach England, um sich dort anzusiedeln. Als „Angelsachsen“ bezeichnen wir die Engländer ja noch heute.

Aus diesem Grunde ist die Sprache der „Cousins auf der Insel“ sehr eng mit dem Platt verwandt. Allerdings flossen ins Englische noch viele weitere Idiome ein: Nach den Sachsen kamen die Wikinger aus Skandinavien als Eroberer, ab dem Jahre 1066 die Normannen aus Frankreich. Mal ganz abgesehen davon, dass auch die keltische Urbevölkerung sowie die Nachfahren der alten Römer, die dort drei Jahrhunderte ansässig waren, weiterhin etwas zu sagen hatten.

Im Norden Deutschland jedoch geschah lange ... einfach nichts. Keine Invasion, keine Sprachexperimente, kein anderes Bier.

Das Niederdeutsche blieb einfach so, wie es war.

Damit separierten sich die Nordmenschen von der Sprachentwicklung der restlichen germanischen Stämme, bei denen zwischen dem 6. und dem 9. Jahrhundert die sogenannte Zweite Lautverschiebung stattfand: Zum Beispiel wurde aus dem „p“ ein „f “, aus dem „t“ ein „s“ oder aus „th“ ein „d“ - alles Dinge, die den Klang des Hochdeutschen noch heute prägen.

Aber so einen neumodischen Kram wollte im Norden keiner haben.

Wozu auch? Niederdeutsch - dieser Name bezieht sich tatsächlich auf die Region des flachen Deutschlands - sprachen doch viele! Es war im Mittelalter sogar offizielle Handelssprache der Hanse: Zwischen Hull in England, Riga im Osten, Bergen im Norden und Antwerpen im Süden befleißigte man sich bis ins 16. Jahrhundert hinein des Plattdeutschen. So wie heute Englisch und wahrscheinlich bald Chinesisch die Verkehrssprachen des internationalen Handel sind.

Mit dem Niedergang des Handelsbundes jedoch und der parallel damit einhergehenden Globalisierung kam mehr und mehr das Hochdeutsche, das Martin Luther geprägt hatte, in Gebrauch. Es galt als Sprache der Gebildeten. Plattdüütsch aber wurde degradiert und zur Sprache des „einfachen Volkes“ - darauf bezieht sich auch das „Platt“ in dem Wort an sich: Es bedeutet im Niederländischen, aus dem der Begriff stammt, nicht so sehr „flach“ (für die Landschaft), sondern vielmehr „einfach“ (für das gemeine Volk). Was aber selbst heute die Menschen im Norden nicht davon abhält, untereinander munter in dieser kraftvollen, uralten Sprache zu schnacken.

Rein juristisch hat das Niederdeutsche sogar einen gewissen Artenschutz: In Schleswig-Holstein darf man Anfragen an die Behörden auch op Platt stellen, und diese müssen op Platt antworten. Und wenn man etwas beim bundesdeutschen Patentamt anmelden will, darf die Gebrauchsanweisung für die Erfindung gern in Niederdeutsch sein. Allerdings muss dann eine beglaubigte hochdeutsche Übersetzung beiliegen.

Was übrigens wiederum beweist, dass Platt eine eigene Sprache ist …

Warum beim Radfahren
der Wind immer von vorne kommt

Wir Norddeutschen sind bekanntlich keine Jammerlappen, wenn es um das Wetter geht. Touristen zweifeln ja oft stark daran, dass wir hier wirklich vier Jahreszeiten haben – sie erleben den Norden dauerhaft als kalt und grau. Aber auch als Einheimischer erlebt man die Sommerzeit oft nur auf der Uhr und Fön nur im Badezimmer. Macht nichts. Wenn denn der Sommer kommt, freuen wir uns einfach – dann wird der Regen nämlich wärmer!

Nur ein Phänomen macht auch uns wirklich zu schaffen: Dass der Wind beim Fahrradfahren tatsächlich immer von vorne kommt. Und zwar häufig mit einer Kraft, dass man kaum von der Stelle kommt. Woran liegt das? Hat da Aeolos, der Gott des Windes, seine Lungen mit im Spiel? Oder ist das der gerechte Ausgleich des Schöpfers dafür, dass die Süddeutschen ihre Berge haben, an denen sie sich abstrampeln müssen?

Aber nein, das ganze hängt nicht mit Petrus, sondern mit der Physik zusammen. Beim Fahrradfahren gibt es nämlich den wahren Wind und den Fahrtwind. Wenn der Radfahrer zu Hause losfährt, hat er noch die Chance, dass der Wind aus allen Himmelrichtungen kommen kann. Also nicht gleichzeitig, sondern entweder – oder. Das ist der wahre Wind. Der kommt schon oft genug von vorn, also von daher, wo man hin will. Und da er in der norddeutschen Tiefebene wenig ernst zu nehmende Hindernisse findet, kann er mit einem guten Wumms hier durchblasen.

Wenn der Radler sich nun aber in Bewegung setzt, kommt noch ein neuer Wind auf: Der Fahrtwind. Dieser weht – bei normalsterblichen Radfahrerinnen und Radfahrern zumindest, bei Windgöttern weiß ich das nicht so genau – immer genau von vorne. Bei gemütlichen Fahrten zur Apotheke oder zu Giselas Kaffeenachmittag fällt er einem noch nicht groß auf; je mehr man aber in die Pedalen tritt, desto schlimmer wird er. Seine Kraft steigert sich proportional zur eigenen Geschwindigkeit. Wenn man durch sein Strampeln zu viel von dieser Gegenwindkraft erzeugt, dann merkt man nichts mehr von dem linden Lüftchen, das gerade beim Losfahren noch von rechts kam (und das eigentlich ja der wahre Wind ist). Der gefühlte Wind kommt dann knallhart von vorn. Ganz schlimm ist es, wenn wahrer Wind und Fahrtwind beide aus Norden kommen. Dann sollte man lieber die Richtung ändern oder gleich ´ne Taxe nehmen.

Was Duckdalben sind

Als ich zu Einbruch der Dämmerung so dicht am Wattenmeere entlang ritt, da huschte ein graues Geflügel auf und zog nun neben dem Wasser einher. Ein Schwarm Duckdalben war es, des Vogelrufen in der Ferne langsam verklang. Ein letzter Hall noch - dann schweiget auch der Wind.

(Th. Sturm, „Am grauen Meer“, 1864)

Die Duckdalbe (lat: duckdalbis vulgaris) gehört zur Familie der Regenpfeifervögel und ist ein langflügeliger, meist hellgrau gefärbter Schwimmvogel mit kräftigem, roten Schnabel und gelben Krallen, zwischen deren Vorderzehen sich Schwimmhäute befinden.

Er kommt vor allem an den Meeresküsten von Schleswig-Holstein, Niedersachen und Mecklenburg-Vorpommern, zum Teil aber auch an den nahe gelegenen Binnengewässern und Flüssen sowie in den Grenzgebieten der Nachbarländer vor. Die Duckdalben sind untereinander sehr gesellig und brüten häufig in Kolonien. Sie ernähren sich von Unwissen aller Art, vor allem aber von der Phantasie jener, die glauben, es handele sich hier wirklich um einen Vogel ...

Sie sehen, lieber Leser: Man kann den „Südländern“ über Duckdalben viel Unfug erzählen! Für Sie als echten Norddeutschen war der Begriff sicherlich einer der ersten, den sie überhaupt erlernt haben, nicht wahr? So eine Gruppe von ins Wasser gerammten Pfählen, an denen man im Hafen die Schiffe festmacht - weiß man doch!

Gut, es gibt auch ein paar Leute, die sagen „Dalbe“, „Dalle“, „Düükdalv“ „Dälbe“ oder noch anderes dazu. Aber die meisten dieser Pfähle stehen nun mal in Hamburg - und da sagt man zu den Dingern eben Duckdalbe.

Ursprünglich stammt der Begriff jedoch nicht aus dem Hamburger Platt, sondern aus der anderen großen Seefahrersprache, dem Niederländischen. Darin bedeutet ducken nämlich sich neigen, eintauchen. Und dallen sind einfach: Pfähle. Was zusammengenommen so etwas wie eingetauchte Pfähle ergibt - worum es sich ja auch tatsächlich handelt.

Duckdalbe klingt aber besser als Tauchpfahl - oder?

Exotisch, speziell, etwas spleenig ... also genau so, wie der Norddeutsche mit seinem feinen Sprachgefühl einen Fachausdruck schätzt!