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© Steven Haberland

QUINCY      
      JONES

Mein Leben – meine Leidenschaften

 

 

 

 

 

 

Mit Vorworten von Till Brönner,
Clint Eastwood und Bono

 

 

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»Der wohl wichtigste Mann der Musikindustrie«

sueddeutsche.de

 

 

 

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© Chuck Stewart

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VORWORT
TILL BRÖNNER

Q

uincy. Quincy Jones. Nicht wenige sehen in ihm einen Zauberer. Einen, der sich am liebsten selbst verwandelt. Ich sehe sofort die Trompete, Count Basie, Lionel Hampton, Dizzy Gillespie, den Arrangeur, den Produzenten, den Afroamerikaner, Frank Sinatra at the Sands, Ray Charles, Die Farbe Lila, We Are The World und natürlich: Michael Jackson. Alles meine Welt. Und es ist nur ein Bruchteil. Doch wie kann ein Mann allein all das repräsentieren? Ich wähle die einfachste These: Weil es möglich ist. Für ihn gehört es alles zusammen. Einzig die Schubladen im Kopf der anderen sind es, die seit jeher versuchen Künstlerseelen fassbar zu machen, sie möglichst schnell Teil des uns vertrauten Mobiliars werden zu lassen. Sehr unmagisch. Nein, wir brauchen sie, diese Zauberer, mehr denn je.

Und wie gerne bringe ich kurz zu Papier, was mir zu Quincy Jones durch den Kopf geht. Es fällt mir leicht, denn ich fühle mich ihm wie viele meiner Kollegen verbunden. Als Trompeter vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Quincy Jones weiß, was es heißt, Trompete zu blasen, diesen schönen, aber auch nicht enden wollenden Kampf mit einem Stück Blech zu führen, zu wissen, dass es nichts Schöneres und manchmal nichts Frustrierenderes geben kann. Doch ihn interessiert das große Ganze. Dort spielt die Trompete nur eine von vielen Rollen, die zu besetzen und organisieren dem jungen Quincy ebenso verlockend erscheint, wie lebensnotwendig. Seine Gesundheit zwingt ihn, die Trompete zur Seite zu legen. Die Gefäße halten dem physischen Druck im Kopf nicht stand und zweimal wäre es fast schon vorbei gewesen. Sein Talent zum großen Erfolg hat er da längst erkannt und man bescheinigt es ihm allerorts, sucht die Nähe dieses extrem charmanten und begabten jungen Mannes, der eine klare Vision zu haben scheint: Qualität muss schmecken.

Und noch etwas: Er lebt und arbeitet in einem Land, in dem es brodelt und die Musik das alles widerspiegelt, ja sogar das Hippste ist, was man machen kann. Früh wird er als studierter Musiker Teil einer Industrie, die bis heute in keinem Land der Welt echte Konkurrenz hat und zu Recht für sich proklamiert, das einzige echte amerikanische Kulturgut in die Welt hinausgetragen zu haben: Jazz. Dann den Pop, der keine eigene Stilrichtung, sondern ein Phänomen ist, für das man ein Händchen haben muss. Er hat dieses Händchen, für das ihm die Stars reihenweise zu Füßen liegen. Es ist seine große Fähigkeit, Menschen aller Stilrichtungen und Couleur zu einem dringlichen Miteinander zusammenzuführen.

Betrachten Sie die folgenden Fotos, Briefe und Aufzeichnungen ruhig etwas genauer: Für mich sind sie nicht nur ein wertvolles Dokument aus dem erfolgreichen Leben eines Weltbürgers, sondern allesamt ein Plädoyer für die kommunikative Kraft der Musik und ihre Fähigkeit zu verändern. Und das finde ich immer wieder magisch.

 

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© Till Brönner

VORWORT
CLINT EASTWOOD

A

ls Teenager fuhr ich oft zur Seattle University, um mir dort eine Swingband  anzuhören. Für eine Collegeband waren sie verdammt gut, und dieser junge Kerl namens Quincy Jones war weit mehr als nur ihr Trompeter, er zog irgendwie alle Aufmerksamkeit auf sich – ein sehr gut aussehender Bursche, eindeutig ein Frauenschwarm.

Alle mochten Quincy und er mochte alle und jeden. Keinem Menschen mit anderen Vorstellungen oder aus einem anderen Kulturkreis begegnete er mit Abneigung, er war allem gegenüber aufgeschlossen – was man auch seiner Musik anhören kann. Er hat viel Musik in Genres gemacht, die man von einem Jazzmusiker nicht erwarten würde. Quincy hat nie Angst vor Dingen abseits seiner musikalischen Wurzeln gehabt.

Später, als ich bei Universal in Hollywood arbeitete, lernte ich ihn persönlich kennen. Damals wollten auf einmal alle moderne Bigband-Sounds als Filmmusiken haben, und Quincy Jones war der Vorreiter dabei, einer der Ersten, der Jazz in Filmen einsetzte. Aber er war unentwegt mit so vielen Projekten beschäftigt, dass ich ihn nie für eines von meinen gewinnen konnte. Er ergriff jede sich bietende Gelegenheit, seinen Horizont zu erweitern, und so wird er es bis ans Ende seiner Tage halten. Ich bewundere das.

Bis er Mitte der 1970er-Jahre seine Aneurysmen bekam, war Quincy ein wirklich hervorragender Trompeter. Danach war es mit dem Spielen vorbei. Das war einerseits extrem schade, andererseits brachte er nun sehr viel mehr in das Musikbusiness ein als nur seine Qualitäten als Performer. Dank seiner Beharrlichkeit und noch ein paar Dingen mehr kam er wieder auf die Beine.

Ich bin seit vielen Jahren mit Quincy befreundet und weiß, wie weit seine Qualitäten als Mensch und Mentor über das Musikalische hinausgehen. Er hat das Leben vieler sehr bereichert. Quincy erzählt gern allerhand Geschichten und Anekdoten über die Musik und sein Leben, wie man in diesem Buch sehen wird. Jedermann wird seine Freude an ihnen haben, nicht nur die Insider aus dem Musikbusiness.

Quincy begeistert sich für alles, was er tut, aber er interessiert sich auch dafür, was andere machen, das ist bemerkenswert. Mein Sohn ist Musiker, und wenn wir uns begegnen, erkundigt sich Quincy jedes Mal nach ihm. Er arbeitet immer an mehreren Projekten gleichzeitig; das hält ihn jung und geistig auf Trab. Er kümmert sich zudem um Menschen, die weniger Glück im Leben gehabt haben, etwa mit Projekten, die sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche von der Straße holen. Besonders glücklich macht es ihn, wenn Kids aus der Provinz oder sehr armen Gegenden die Chance bekommen, etwas von sich zu zeigen. Er hat ein sehr großes Herz.

Wie er seine Zeit zu nutzen versteht, ist verblüffend, da kann kaum einer mithalten. Ich selbst kann mich nur auf ein Projekt konzentrieren, Quincy scheint immer mindestens zwei oder drei Sachen gleichzeitig am Laufen zu haben: Da war er gerade irgendwo in Europa oder Afrika oder Russland unterwegs, und dann ruft er mich an, um mir zu erzählen, dass er gerade den Soundtrack zu Zwei glorreiche Halunken mit Herbie Hancock neu aufgenommen hat. »Das musst du dir anhören!«, sagt er. Also gehe ich zu ihm rüber und er spielt es mir vor und sagt ständig: »Hör dir diese Stelle an, und jetzt noch diese.« Wenn wir uns treffen, gibt es immer viel zu lachen.

Wenn ich resümieren müsste, was Quincy Jones der Welt gegeben hat, würde ich seine Vielseitigkeit nennen und was er alles für andere getan hat – ob im Zwischenmenschlichen oder im Musikalischen. Er zeigt uns, dass man Schwierigkeiten im Leben überwinden kann und dass es danach weitergeht. Dafür steht er, und das hat er vielen Menschen vermitteln können. Er wird es munter weiter tun, denn immer wenn man meint, er würde gerade etwas kürzer treten, kommt er mit was Neuem an. Würde ich ihn heute Nachmittag anrufen, hätte er mir garantiert von mindestens einem neuen Projekt zu erzählen. Sein Werk wird ein beeindruckendes Vermächtnis sein.

 

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© Courtesy of Quincy Jones

VORWORT
BONO

Dieser innovative Mensch, der mit dem Count und dem Duke spielte, die Kings und
Queens des Pop beriet, von Prince und dem Boss beneidet wurde, dieser Mann war zutiefst bescheiden und zugleich so selbstbewusst wie der Präsident. – BONO

Q

uincy Jones war zu cool, um cool zu sein … also erfand er Coolness einfach neu … holte Zurückhaltende aus der Reserve, ließ Elitäre aus dem Haus und auf Tuchfühlung mit dem gemeinen Volk gehen … Seine Neuschöpfung der Coolness bedeutete glühende Hitze, sie war heiß wie eine brasilianische Schönheit, heiß wie eine afrikanische Königin, heiß wie New Yorks klebrige Straßen im Sommer, wie der Schweiß der Rhythmen, die er der Popmusik brachte … Die warme Ausstrahlung des Menschen Jones hauchte sogar der Figur des Musikmoguls neuen Sexappeal ein.

In habe ein Foto im Kopf – ich glaube, der große Herman Leonard hat es gemacht –, auf dem Q in den späten 1950er-Jahren zusammen mit Miles Davis im Studio zu sehen ist. Darauf hat er das Geschehen mit einer solch stillen Eleganz in der Hand, die das ganze Geschrei und die Aufregung musikalischer Ehrgeizlinge so … uncool aussehen lässt.

Das muss der Grund gewesen sein, warum ich mich dem Mann an die Fersen heften wollte.

Iren werden nicht geboren, um cool zu sein. Laut, lustig, poetisch vielleicht. Musikalisch, wortreich, entschlossen, kämpferisch vielleicht. Aber nicht cool.

Sogar Frank Sinatra bemerkte, als er uns zum ersten Mal sah: »Wow … diese irischen Typen sind die Nummer eins, aber sie haben keinen Cent für Klamotten übrig.«

Es war fast auf den Tag genau vor 20 Jahren, dass ich nach Los Angeles flog, um in Quincys Haus zu erfahren, was »das neue Cool« bedeutete. Meine Frau Ali und ich fuhren von irgendwo nach Hause und unterhielten uns über eines von Alis Lieblingsthemen: Wer würde ich sein, wenn ich erwachsen bin? Ich ließ den Namen Quincy Jones fallen als jemanden, den ich immer bewundert hatte, der Mann, der mehr als irgendjemand sonst in den letzten fünf Jahrzehnten der Musik ihre einzigartige Bedeutung gegeben hat. Kurz darauf hielt Charlie, der am Steuer saß, ohne ein Wort zu sagen vor Quincys Haus. Er hatte dort angerufen und uns eine Einladung verschafft. Es war zwei Uhr nachts und wir erinnern uns noch immer in allen Einzelheiten an das schockierende Erlebnis, Qs nächtliches Universum betreten zu dürfen.

Da stand er, elegant wie immer, sprach mit leiser Stimme und war an der Gesellschaft von Frauen etwas mehr als an der von Männern interessiert. Ali fühlte sich gleich wie zu Hause und dem Rockstar wurde eine große Bronzeskulptur in der Eingangshalle gezeigt. Sie stellte einen Schwarzen dar, der in übertriebener Pose den Hals reckte.

»Das ist Attitude.«

»Was? So ein Werk zu besitzen?«, fragte ich.

»Nein, die Skulptur heißt Attitude.«

Q kann nie jemand anderer als er selbst sein und er bringt alle um sich herum dazu, sie selbst sein zu wollen. Eigentlich hat man nur ein Problem, wenn man in seiner Nähe nicht man selbst ist. Alle waren hier willkommen, solange sie ihr wahres Selbst mitbrachten … Ich vermutete, dass eine neue Idee der Eintrittspreis war. Das und Loyalität alter Schule. An diesem Abend war auch Lionel Richie da, ebenfalls ein Absolvent der Schule für wahre Gentlemen. Quincy, so zeigte sich, ging nachts auf die Suche nach neuen Freunden, Spaß, Ideen und Musik. Er kehrte ein, wo immer Gäste gern gesehen waren, aber im Laufe der Jahre wurde sein eigenes Haus das gastfreundlichste von allen.

»Jeder ist willkommen« bedeutete, dass auch alle musikalischen Genres willkommen waren. Deshalb konnte er an einem Tag mit Peggy Lee und am nächsten mit Chaka Khan arbeiten. Als Musikproduzent versucht Q nicht, Sänger zum Vehikel seiner eigenen Stimme zu machen, sondern er will ihre Stimme groß herausbringen.

In dieser Nacht im Jahr 1988 erzählte Quincy mir, dass Sinatra bei ihm angerufen habe, der für ein neues Album ins Studio wollte. »Es ist an der Zeit, die Leute aufzurütteln«, sagte Sinatra. »Damit fängt man am besten bei sich zu Hause an, oder?«, sagte Quincy. »Aber wir müssen uns Ziele stecken.«

Wir verabschiedeten uns, als die Sonne schon orangefarben hinter den Bäumen hervorkam und sein gläsernes Haus zu erhellen begann. Er umarmte uns zum Abschied.

»Es ist toll, am Leben zu sein«, sagte ich.

»Toll, am Leben zu sein?«, sagte er. »TOLL AM LEBEN ZU SEIN ?? … NUR DARUM GEHT ES DOCH.«

Man stelle sich die Welt in hundert Jahren vor. Dann wissen die meisten Musikfans vielleicht nicht, wie die Musik des 20. Jahrhunderts chronologisch aufeinander folgte. Kam Elvis Presley vor oder nach Hiphop? War Louis Armstrong ein Zeitgenosse von Eminem? Die zeitliche Abfolge verschwimmt, je weiter sie zurückliegt. In der Zukunft wird man sämtliche Musikstücke der Welt in einem ewigen Shuffle abspielen.

Aber Musikfans, die noch nicht geboren sind, werden die Alben kennen, die Quincy Jones produzierte, arrangierte, komponierte und/oder einspielte. Sie werden Ray Charles kennen, sie werden Thriller, Lena Horne, Sarah Vaughan, Count Basie, Roots, Norah Jones, Heißblütig – Kaltblütig, Duke Ellington, In der Hitze der Nacht, Dizzy Gillespie, Frank Sinatra, Miles Davis, »We Are the World« und »It’s My Party« kennen.

Wundern wird man sich nur, dass ein einzelner Mensch in seinem Leben so viel Musik hervorbringen konnte. Q sollte sein Schaffen gut dokumentieren, sonst werden in kommenden Jahrhunderten Historiker die Theorie aufstellen, dass hinter dem Namen Quincy Jones eigentlich zwei, drei oder vier Personen standen. Archäologen werden nach Q-Klonfabriken suchen, Biologen nach einem Q-Gen forschen. Er wird als eine Art musikalischer Shakespeare gelten: Kann ein Mensch wirklich all das erschaffen haben?

Aber wir wissen es besser. Quincy hat nicht nur das alles kreiert, er hat nebenbei auch noch für Steven Spielberg und Bill Cosby Filmmusiken geschrieben, war zwischen Amerika und Afrika karitativ tätig, zog sieben Kinder groß und machte sich ein schönes Leben.

Q ist der Typ Mensch, den man als Gefährten haben möchte, egal ob zum Kirchgang oder zum Banküberfall. Er hat Sinn für die Höhen und manchmal auch die Niederungen des Lebens. Es spielt keine Rolle, wo jemand herkommt, er interessiert sich für dessen Geschichte. Seine eigene Geschichte, die hier erzählt wird, ist äußerst ungewöhnlich. Sie handelt von einem musikalischen Genie, einem begnadeten Showman, einem altmodischen Gentleman, dessen Hirn so groß ist wie sein Herz – und fast so groß wie seine Libido. Nur selten trifft man einen Menschen, der auf einer Bühne in Vegas genauso entspannt ist wie in einer dunklen Gasse in Accra, beim Karneval in Bahia – wo wir übrigens fast zu Tode getrampelt wurden – oder inmitten päpstlicher Pracht.

Was letzteren Schauplatz angeht, so bin ich Zeuge, denn 1999 reisten Quincy und ich gemeinsam nach Rom zu einem Treffen mit Johannes Paul II. Wir engagierten uns für eine weltweite Kampagne, die Regierungen dazu bewegen wollte, den ärmsten Ländern die Schulden zu erlassen. Dafür wollten wir auch den Papst gewinnen. Ich kann nicht für Quincy sprechen, aber ich war ehrlich gesagt etwas eingeschüchtert, als wir Castel Gandolfo betraten. Ich war überwältigt von der geheimnisvollen Aura der Autorität, von den Schweizer Garden mit ihren Musketen und den von Leonardo da Vinci entworfenen Uniformen. Der Papst war sehr gebrechlich. Ich war bewegt von der Mühe, die es ihn kostete, auch nur aufzustehen und uns alle zu begrüßen. Mitten in dieser Atmosphäre des Pomps und der Ehrfurcht flüsterte Quincy mir zu: »Schau … dir … die … Schuhe … an.« Der Pontifex trug an diesem Tag Budapester und dazu beige Feinrippsocken. Q sagte leise und voller Bewunderung: »Der Typ trägt Zuhälterschuhe. Echt stylish!«

Quincy unterscheidet nicht zwischen oben und unten. Nur zwischen gut und schlecht. »We Are the World« ist nicht nur der Titel seines größten Hits – es ist auch seine Lebensphilosophie. Als Musiker ist es für mich eine Ehre, im Jahrhundert von Quincy Jones zu leben. Und ein Privileg, ihn meinen Freund nennen zu dürfen.

Sollte Gott eine Jukebox besitzen, so wüsste ich, welcher Name auf den meisten Titeln steht, die er auswählt: Er beginnt mit einem Q.

 

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© Dean Ornish
Auf Bonos Schloss in Dublin

 

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© Dean Ornish
Bono und Q unterhalten sich über Zuhälterschuhe

DIE FRÜHEN JAHRE

Es kommt mir vor wie gestern, dass ich als 13-Jähriger in Seattle total aufgeregt war, wenn die berühmten Bigbands in der Stadt auftraten. Ich war völlig paralysiert von der Ausstrahlung dieser so begabten, würdevollen, witzigen, ganz und gar originellen, weltoffenen Meister. – Q

Q

uincy Jones ist das erfolgreichste Allround-Talent in der Geschichte der amerikanischen Unterhaltungsmusik. Eine starke Behauptung und sicherlich keine, die der zurückhaltende Künstler für sich selbst in Anspruch nehmen würde. Aber sehen wir uns die Fakten an: Ist er ein guter Musikproduzent? Nun, er hat lediglich das meistverkaufte Album aller Zeiten produziert, Michael Jacksons Thriller, außerdem den Chartstürmer »We Are the World«, für den er 46 Superstars zusammentrommelte. Kann er sonst noch etwas? Nicht viel … außer komponieren, arrangieren und jedes erdenkliche Blechblasinstrument spielen. Kann er auf der Bühne und im Studio mit großen Musikern mithalten? Louis Armstrong, Dizzy Gillespie, Count Basie, Duke Ellington, Ray Charles, Frank Sinatra, Peggy Lee, Aretha Franklin, Paul Simon, Michael Jackson, George Benson, Donna Summer, Gloria Estefan, Celine Dion, Bono und Ice T sind nur einige der Stars, mit denen er in den letzten Jahrzehnten eng zusammengearbeitet hat.

Das sollte wohl reichen, um den Tag – und etliche Nachtstunden – eines Menschen auszufüllen, aber Quincy Jones hat nie Zeit vertrödelt, nicht als junger Mann und nicht im fortgeschrittenen Alter. Ganz nebenbei hat er als Solokünstler Hits aufgenommen und die Musik für Dutzende Filme und Fernseh-Shows geschrieben. Und mit Musik allein gibt er sich nicht zufrieden. Er produzierte äußerst erfolgreiche Filme und TV-Shows, organisierte völkerverbindende Konzerte und rief Vibe, das führende Hip-Hop-Magazin, ins Leben. Schließlich besitzt er mehrere Fernseh- und Radiosender und engagiert sich für diverse humanitäre Hilfsprogramme.

Wer auch immer seit 1950 auf der Welt ist, wird schon einmal etwas von Quincy Jones gehört oder gesehen haben oder von etwas beeinflusst worden sein, an dem er mitgewirkt hat – und dasselbe wird wohl für unsere Eltern und Kinder gelten, denn Jones‹ Schaffen verbindet die Generationen und reicht von Jazz und Pop bis hin zu Funk, R&B und Rap. In all den Jahren seiner Karriere hat Quincy Jones nie seine Wurzeln im Bigband-Jazz aus den Augen verloren und niemals die vielen Menschen vergessen, die ihn förderten und inspirierten, seine Begabungen zu entwickeln.

Als ich sieben war, nagelte man meine Hand mit einem Klappmesser an einen Holzzaun. – Q

Als Quincy Delight Jones Jr. am 14. März 1933 in Chicago das Licht der Welt erblickte, standen die Chancen denkbar schlecht, dass er der Armut entkommt, unter der während der Wirtschaftskrise so viele schwarze Amerikaner litten, und niemand hätte darauf gewettet, dass er es einmal zu einem der wichtigsten Männer Hollywoods bringen würde. Seine hochgebildete Mutter war psychisch krank und wurde schließlich in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Sein Vater, ein Schreiner, fand in Zeiten der Rassendiskriminierung kaum Arbeit und stellte seine Säge schließlich in den Dienst der größten und gefährlichsten Gangsterbanden Chicagos.

»Als Kind bestand meine Welt aus billigen Zigarren, den Hinterzimmern von Schnapsläden mit Spionspiegeln, Typen mit Maschinenpistolen und Tischen, auf denen das Geld in Haufen lag«, erinnert sich Jones. »Jeden Tag sahen wir, wie Menschen erschossen wurden, oder Kerle, die mit Eispickeln im Hals von Telegrafenmasten hingen. Als ich sieben war, nagelte man meine Hand mit einem Klappmesser an einen Holzzaun. Mein Daddy schlug einem der Kerle mit einem Hammer auf den Schädel; einer von ihnen rammte mir einen Eispickel in die Schläfe. So war der Alltag in Chicago! Es war die größte Herausforderung, lebendig zur Schule und wieder nach Hause zu kommen.«

Aber Quincy schaffte es raus aus Chicago: Als er zehn war, zog sein Vater mit ihm und seinem Bruder Lloyd in die Werftenstadt Bremerton nahe Seattle. Damals wie heute konnten junge schwarze Männer wie er leicht auf die schiefe Bahn geraten. Wenn sich Elternhaus und Gesellschaft kaum um die Kinder kümmern und es in angesehenen Berufen kaum schwarze Vorbilder gibt, ist es schwer, sich von der Straße und den Problemen dort fernzuhalten. »Keiner sagt dir, was du tun musst, um da rauszukommen«, erklärt Jones. »Mein Dad musste ständig arbeiten. Er –hatte acht Kinder und verdiente 55 Dollar pro Woche.«

Zum Glück für ihn selbst und Millionen Musik begeisterte Menschen fand Quincy einen besseren Weg, etwas mit seiner Begabung anzufangen. Einen, der ihm viel Kummer ersparte und ihm eine neue, universelle Gemeinschaft jenseits bestimmter Häuser oder Städte bot. »Ich sang nur und spielte Klavier und Altsaxofon, als es mit den Bigbands losging«, erzählt Jones. »Count Basie, Woody Herman, der Duke [Ellington] – ich ging zu allen Gigs. Und ich sagte mir: ›Hier möchte ich mein Leben verbringen. Und ich möchte Arrangeur und Komponist sein.‹«

Quincy Jones war schon als Jugendlicher ein Ausnahmetalent auf diversen Instrumenten, was sich später als sehr nützlich erwies, da er beim Arrangieren von Bigband-Musik für jedes einzelne Instrument genau abgestimmt schreiben konnte.

Ebenso wusste er, dass er als professioneller Musiker nicht nur wie ein Erwachsener spielen, sondern sich auch wie einer benehmen musste. Auf jeden Fall war er flink dabei, sich Tipps von älteren Musikern zu holen, gleich ob sie vor Ort lebten oder auf der Durchreise waren. »Den meisten Menschen ist nicht bewusst, dass Seattle während des Zweiten Weltkriegs eine der brodelndsten Städte Amerikas war«, sagt er. »Hier öffnete sich nämlich der Vorhang zu den Schauplätzen im Pazifik – Iwo Jima, Japan und all das. Die Stadt brannte förmlich.« Eines seiner Vorbilder dort war der Bandleader Bumps Blackwell, der später die Hits von Little Richard produzierte. Und dann gab es da den jungen Ray Charles, der nicht viel älter war als Jones, aber trotz seiner Blindheit schon Tausende von Meilen von seiner Heimat entfernt allein lebte und sich seinen Lebensunterhalt mit Musik verdiente. Schon bald trafen sich Quincy und Ray zum gemeinsamen Spielen, Arrangieren und Komponieren – der Beginn einer lebenslangen engen Freundschaft.

Großen Einfluss auf seine Musik und seine Haltung zum Leben nahm Clark Terry, »der mir beibrachte, an meinem Ansatz zu arbeiten und der auch großen Einfluss auf Miles Davis hatte. Clark ist noch immer der größte lebende Trompeter. Mit 13 Jahren nahm Count Basie mich unter seine Fittiche. Er sagte: ›Junge, ich werde dir mal verraten, wie das schwarze Showbusiness funktioniert. Es dreht sich alles um die Hügel und die Täler‹ – die Hügel waren eine Metapher für Erfolg. ›In den Tälern findest du raus, was in dir steckt. Denn erst wenn es schwierig wird, erkennst du, wer du wirklich bist‹«.

Ich spielte Tuba, Sousafon, Baritonhorn, Althorn, Waldhorn und Posaune – weil die Posaunen in der Marching Band immer in der Nähe der Majoretten standen, die den Stab schwangen. Ich war eben schon immer sehr praktisch veranlagt. Aber schließlich landete ich wieder bei der Trompete, meiner großen Liebe, und ich konzentrierte mich ganz auf sie. – Q

Nimmst du Arbeit in die Hände, mach sie fertig bis zum Ende. Ob sie groß ist oder klein, mach sie gut, sonst lass es sein. – Quincy Jones Senior

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Mit Dinah Washington im BirdlandUnten Q feiert seinen Geburtstag auf Tour mit der Lionel Hampton Band.

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KINDHEIT

Ich wurde von meinem Vater erzogen. Jeden Tag sagte er diesen Spruch auf: Once a task has just begun, never leave it till it’s done, be the labor great or small, do it well or not at all. (Nimmst du Arbeit in die Hände, mach sie fertig bis zum Ende. Ob sie groß ist oder klein, mach sie gut, sonst lass es sein.) Jeden Tag predigte er uns das vor. Und es hat uns wahrscheinlich gerettet, weil es uns lehrte, Wert auf Qualität und handwerkliches Können zu legen.«

Aber Quincy Jones ist nicht der Typ, auf eine schwere Kindheit mit Bitterkeit zu schauen. »Es gibt ein Buch, das Zu früh alt, zu spät klug heißt«, sagt er, »und darin steht etwas, an das ich seit Langem glaube: Eine schreckliche Kindheit muss nicht ein lebenslanges Hindernis sein. Überwinde sie und geh deinen Weg. Einige der erfolgreichsten Menschen unserer Zeit sind unter furchtbaren Umständen aufgewachsen.« So zum Beispiel Ray Charles, mit dem Jones eine seiner ersten und dauerhaftesten musikalischen Partnerschaften einging.


© Courtesy of Quincy Jones
Oben: Quincy Dwight Jones, Senior und Junior
Unten: Qs Mutter, Sarah Francis Wells Jones

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