Cover_Nassehi_600px.jpg

Logo_kursbuch_edition.png

 

Armin Nassehi

Die letzte Stunde der Wahrheit / Kritik der komplexitätsvergessenen Vernunft

 

Inhalt

Vorwort / Ein Vademecum für den Umgang mit Komplexität

Erstes Kapitel / Welterschaffung / Die Konsistenz des weißen Blattes und die Inkonsistenz der Welt

Zweites Kapitel / Weltveränderung / Zwischen kollektiver Einheit und besserer Einsicht

Drittes Kapitel / Komplexität / Die Heliozentrik dezentriert die Welt

Viertes Kapitel / Zwei Welten. / Gibt es analoges Leben in digitalisierten Welten?

Fünftes Kapitel / It’s the society, stupid! / Ökonomisierung als Metapher gesellschaftlicher Komplexität

Sechstes Kapitel / Übersetzungskonflikte / Vom Umgang mit Perspektivendifferenz

Über den Autor

Impressum

Vorwort / Ein Vademecum für den Umgang mit Komplexität

Dieses Buch stellt eine völlig überarbeitete und in Teilen neu beziehungsweise umgeschriebene Ausgabe meines 2015 erschienenen Buches Die letzte Stunde der Wahrheit. Warum rechts und links keine Alternativen mehr sind und Gesellschaft ganz anders beschrieben werden muss dar. Weil die Akzentuierung dieser ersten Ausgabe inzwischen nicht mehr die Fragestellung trifft, um die es mir entscheidend geht, habe ich mich zu dieser Neuausgabe entschlossen. Seit 2015 wird noch deutlicher als zuvor schon, wie unübersichtlich und steuerungsresistent sich die Gesellschaft darstellt und wie sehr es an intellektuellen Mitteln fehlt, diese Komplexität jenseits akademischer Schreibroutinen auf den Begriff zu bringen. Dieses Defizit auszugleichen scheint mir eine wesentliche Aufgabe nicht nur im Rahmen der wissenschaftlichen Diktion.

Komplexität – das ist mehr als ein Schlagwort. Wir müssen endlich ernst nehmen, dass sich Eingriffe in die Gesellschaft nicht zwangsläufig gegen ihre Komplexität, ihre Perspektivendifferenz richten müssen. Die Frage, die heute gestellt werden muss, lautet vielmehr: Was muss man tun, um Steuerungsstrategien nicht gegen die Kraft der komplexen Gesellschaft zum Einsatz zu bringen, sondern mit ihrem eigenen Drive, mit der Dynamik ihrer eigenen Struktur, ihrer eigenen Zugzwänge, etwas zu erreichen – ganz so, wie ein asiatischer Kampfsportler den Drive seines Gegners aufnimmt und mitgeht, um ihn zu besiegen, und eben nicht einfach zerstörerisch dagegenhält. Meine denkerische Bemühung um die Frage, wie die Welt verbessert werden kann, was Komplexität in der Konsequenz heißt und warum diese Gesellschaft schon ohne die entsprechende Computertechnik eine digitalisierte Gesellschaft ist, steht hier im Vordergrund und wird akzentuiert, offensiv und komprimiert entfaltet. Im Zentrum steht also vor allem unser gegenwärtiges Bild von einer Gesellschaft, die sich unserem Zugriff immer wieder entzieht und in ihrer ganzen Dynamik stabiler ist, als es uns erscheint.

Was wir derzeit an der Oberfläche erleben, ist gravierend: ein völlig veränderter Politikstil in den USA, der drohende Zerfall der Europäischen Union, der Legitimationsverlust der parlamentarischen Demokratie, das Aufkommen neuer Handelskriege, die Krise der wissenschaftlichen Expertise, die Veränderung von öffentlicher Kommunikation durch neue elektronische Verbreitungsmedien, ein Strukturwandel der industriellen Produktion, nicht zuletzt die Herausforderung durch soziale Ungleichheit und Gerechtigkeit und die Frage der Kopplung von Arbeit und Versorgung. All diese Aspekte werden hier nicht einfach handstreichartig abgefertigt und die entsprechenden Probleme – zumindest der Theorie nach – einer Lösung zugeführt. Nein: Es geht mir darum, eine Denkungsart bereitzustellen, die dazu verhilft, die richtigen Fragen zu stellen. Ich bin davon überzeugt, dass uns die Lösung der anstehenden Probleme nur mit einem Paradigmenwechsel gelingen wird, nur mit der Umstellung unserer Denkungsarten auf ein vernetztes Denken, für das uns manchmal die Kategorien, vor allem aber die Ausdrucksformen fehlen. Diese vorbereitend bereitzustellen ist das Ziel dieses Buches.

Die Rezeption der ersten Ausgabe hat mir gezeigt, wie sehr die Konzentration auf die darin ausführlich diskutierten politischen Chiffren doch in die altbekannten Pfade führt. Das, worum es mir geht und was dringlicher denn je geworden ist, trage ich in dieser neu konzipierten Ausgabe offensiver und konzentrierter vor – um so eine Art Vademecum für diejenigen anzubieten, die weder an die einfachen Lösungen glauben noch ob der Komplexität der Probleme verzweifeln wollen. Dieses Buch ist für alle geschrieben, die beim Bemühen, einen kritischen Impetus zu entwickeln, sich selbst handlungsfähig zu halten, schon heute versuchen, nicht gegen, sondern mit den Strukturen der Gesellschaft zu arbeiten. Ihnen sei eine Perspektive angeboten – eine Kritik der komplexitätsvergessenen Vernunft!

Das Buch erscheint in der von Sven Murmann, Peter Felixberger und mir herausgegebenen kursbuch.edition, auch weil es mit seiner Grundintuition die Idee dieser Editionsreihe auf den Punkt bringt: den Umgang mit Perspektivenverschiebungen zu verbessern, sie nicht zu bekämpfen, sondern zu begrüßen und sich auf keine Form festlegen zu lassen – nicht um Beliebigkeit zu demonstrieren, sondern um zu zeigen, dass keine der Perspektiven und ihre Verschiebungen beliebig sind.

München, im März 2017

PS: Die frühere Ausgabe wird vom Verlag nach wie vor vorgehalten.