817647_Gist_Die_widerspenstige_Braut_S003.pdf

Kapitel 8

Die Sonne spähte mit rosa, gelben und orangeroten Strahlen nur wenig über den Horizont. Aber Joshs Aufmerksamkeit war nicht auf das wunderbare Schauspiel der Natur gerichtet, sondern auf Mary. Diese kniete hinter Nellies Hütte auf der Erde und rupfte mit viel Geschick die Federn des Huhns, dem er kurz zuvor den Hals umgedreht hatte.

„Mary, ich muss gehen. Hast du einen Moment Zeit?“

Sie hielt in ihrer Arbeit inne, dann steckte sie die Federn sorgfältig in einen Beutel, der neben ihr lag. „Ja.“

„Wenn ich in England bin, werde ich mich nach deinem Mann erkundigen.“

„Ja, Master Josh.“

Er runzelte die Stirn. Dann ging er vor ihr in die Hocke. „Dein Mann heißt Obadiah Robins und war Straßenkehrer?“

„Ja.“

„Wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?“

„Das war im Frühling ’41.“

„Hast du ihn gesucht, als er nicht nach Hause kam?“

Sie strich über eine Feder. „Nein“, flüsterte sie.

Was war das jetzt? Er setzte sich vor ihr auf die Erde und legte einen Arm über sein aufgestelltes Knie. „Wann hast du entdeckt, dass er schanghait wurde?“

„Er war mit Freunden unterwegs, als es passierte. Einem der Männer gelang es, zu entkommen und sich zu verstecken. Als er nach Hause kam, erzählte er es seiner Frau, die mir dann wiederum sagte, was mit Obadiah passiert war.“

„Wer hat die Tat begangen?“

„Das weiß ich nicht.“

Josh kniff die Brauen zusammen. „Aber der Mann, der zurückkam, hat es doch sicher gewusst.“

Sie benetzte ihre Lippen. „Ja.“

„Wie kommt es dann, dass du es nicht weißt?“

„Ich habe nicht gefragt.“ Mit raschen Bewegungen nahm sie ihre Arbeit wieder auf.

Josh neigte den Kopf zur Seite. „Du hast nicht gefragt?“

Sie erhöhte ihre Arbeitsgeschwindigkeit. Es konnte nur einen Grund geben, warum eine Ehefrau ihren Mann nicht suchte. „Obadiah war kein guter Ehemann?“

Keine Antwort. Er war also kein guter Ehemann gewesen. „Ich muss trotzdem versuchen, ihn zu finden. Ich habe Drew und dem Rat mein Wort gegeben.“

„Ich weiß“, flüsterte Mary.

Wie er das hasste. „Der Mann, der entkam … Kannst du mir seinen Namen sagen?“

„Arnold Parker. Er war Hausierer und verkaufte Haferplätzchen.“

„Wie viele Männer wurden außer Obadiah gewaltsam angeheuert?“

„Das weiß ich nicht.“

„Du warst zu der Zeit in London?“

„Ja.“

Josh schaute sie einen Moment lang an. Es war gut, dass dieses Huhn, das sie mit so hektischen Bewegungen bearbeitete, schon tot war. „Wenn ich Obadiah finde, wäre es für mich hilfreich zu wissen, was er dir Schlimmes angetan hat.“

Ihr Gesicht versteinerte. Sie tat nichts, um ihn aufzuklären. Er ließ sie los. „Ich muss also raten?“ Sie schwieg weiterhin.

„Dann nehme ich an, dass er entweder andere Frauen hatte, dich geschlagen oder zu viel getrunken hat.“

Mary errötete. „Nach den Frauen habe ich nicht gefragt. Sie waren mir egal. Er ging regelmäßig zur Arbeit und trank auch nicht zu viel.“

„Was dann?“, fragte er und rieb sich die Augen.

Sie blieb stumm. Seine Hand erstarrte. Schläge. Er wusste von vielen Männern, die ihre Frauen schlugen. Sein Vater hatte nie die Hand im Zorn erhoben, aber es gab unzählige, die das taten. „Er hat dich misshandelt?“

Die Farbe wich aus ihrem Gesicht. Trotzdem setzte sie ihre Arbeit fort. Josh spürte, dass die Anspannung wuchs. „Und die Kinder?“

Ihre einzige Antwort bestand darin, dass sie ihr Arbeitstempo beschleunigte. Er wartete. „Mary? Hat Obadiah die Kinder misshandelt?“

Stille Tränen liefen ihr über die Wangen. „Ja“, flüsterte sie so leise, dass er sie kaum hören konnte.

Seine Nasenflügel blähten sich auf. Er legte beide Hände an seine Seiten und beugte sich vor. „Wie starben deine Kinder?“

Sie vergaß völlig, die Federn zu retten, und beschleunigte ihre Arbeit noch mehr. Er ergriff ihr Kinn und hob ihr Gesicht ein wenig. „Wie starben deine Kinder?“

Ihr Gesicht war blass, ihre Augen leer. „Obadiah hatte keine Geduld, wenn sie weinten. Das Weinen machte ihn richtig wahnsinnig. Ich stellte mich zwischen ihn und die Kinder, aber je mehr ich das tat, umso wütender wurde er. Bis sich seine Wut eines Tages in glühenden Zorn verwandelte.“

Er schloss die Augen. Dieser grausame Hund! Wenn er gefunden wird, soll es ihm schlimm ergehen.

Ihr Körper sackte in sich zusammen. „Ich habe versucht, ihn aufzuhalten. Wirklich, aber …“

Er nahm das Huhn von ihrem Schoß und breitete zärtlich die Arme aus. Sie ließ sich von ihm in die Arme nehmen, ohne sich zu wehren.

Die Rosa- und Orangetöne des Himmels waren von der Sonne vertrieben worden, die jetzt in ihrer vollen Pracht auf sie herabschien. Eine Nachtschwalbe zwitscherte in der Nähe.

Wie lange sie sich umarmten, Knie an Knie, Oberkörper an Oberkörper, wusste er nicht. Schließlich versteifte sie sich.

Josh ließ sie los. „Obadiah wird nie wieder im Zorn Hand an dich legen. Das verspreche ich dir.“

Ihr Blick flog regelrecht zu seinen Augen. „Nein, Josh. Sie dürfen ihn nicht reizen. Das macht alles nur noch schlimmer. Ehrlich.“

„Ich habe mein Wort gegeben.“

Sie berührte seinen Arm. „Obadiah ist rücksichtslos und er ist hinterhältig.“

„Danke für die Warnung.“

„Sie verstehen mich nicht. Wenn es um seinen Besitz geht, ist mit ihm nicht zu spaßen. Er bringt Sie um, nur weil Sie ihn darauf ansprechen.“

„Das werden wir ja sehen.“

Ihr traten erneut Tränen in die Augen. „Ich will nicht noch einen Menschen verlieren. Und selbst wenn Ihnen meine Gefühle egal sind, sollten Sie dann nicht wenigstens auf die Ihrer Braut Rücksicht nehmen? Sie wird mir bestimmt nicht dankbar sein, wenn sie durch meine Schuld ihren Mann verliert.“

Er runzelte die Stirn. „Du verletzt mich, wenn du so wenig Vertrauen zu mir hast. Er wird sich nie wieder an dir vergreifen. Und das meine ich so. Hannah hat damit absolut nichts zu tun.“

„Nichts damit zu tun? Nichts damit zu tun! Was ist das für eine Frau, diese Hannah?“ Sie brach schockiert ab und errötete.

Josh blickte sie mit großen Augen an. Er zögerte und versuchte dann, sie zu beruhigen. „Ach, wie soll ich Hannah beschreiben?“ Er schürzte die Lippen. „Sie erinnert mich an Mamas Porzellantassen. Zart, zerbrechlich, vornehm.“

„Und schön?“

Er zuckte die Achseln. „Ja. Sie ist ziemlich hübsch.“

Sie griff nach dem Huhn. Ein Windhauch bewegte ihre dichten braunen Haare und wehte die weißen Federn um sie herum.

Mit einem Blick zur Sonne stellte er fest, dass es schon spät war. Er musste aufbrechen. Um noch ein wenig Zeit zu schinden, sammelte er die davongeflogenen Federn ein und steckte alle bis auf eine in den Beutel, der neben ihr lag. „Ich muss los, sonst fährt der Kapitän noch ohne mich ab.“

Mary hob weder das Kinn noch sprach sie ein Wort.

Er streichelte mit der Daunenfeder über seine Hand. „Willst du dich nicht von mir verabschieden?“

„Gute Fahrt, Master Josh.“

„Josh“, verbesserte er sie.

Sie schüttelte den Kopf. „Master Josh.“

„Du hast vor ein paar Minuten ,Josh‘ zu mir gesagt.“

Mary blickte auf. „Habe ich das? Ich habe nicht … Ich meine, ich wollte nicht …“

Er strich mit der Feder über ihre Lippen und brachte sie damit wirkungsvoll zum Schweigen. „Es ist in Ordnung. Ich will, dass du mich weiterhin so anredest.“

Sie saß regungslos da und heftete den Blick auf ihn. Langsam und bedächtig strich er mit der Feder über ihr Kinn, folgte der schlanken Biegung zu ihrem Ohr und dann zu ihrem Haaransatz, an dem ihr herzförmiges Gesicht begann. Er fuhr die sanfte Biegung ihrer Nase nach und bewegte die Feder zu ihrer Nasenspitze. Ihre Wimpern senkten sich nach unten.

Ach, verstecke diese hübschen Augen nicht vor mir, liebe Mary. Er berührte mit der Feder ihre Lider. Sie zuckten und öffneten sich dann. Außergewöhnliche Augen.

Er streichelte ihre geröteten Wangen. Was für ein Vergnügen musste es Gott gemacht haben, sie zu erschaffen.

Ihre Lippen öffneten sich. Er zögerte. So verführerisch es auch war, er hatte trotzdem kein Recht, sie zu küssen, wenn in England eine andere Frau auf ihn wartete.

Mary senkte den Blick und begann wieder, das Huhn zu rupfen.

Langsam stand er auf. „Auf Wiedersehen, Mary.“

„Eine schöne Hochzeit, Master Josh“, flüsterte sie.

Während er die Feder vorsichtig in seinem Stoffbeutel verstaute, schmeckte er den bittersüßen Geschmack, den ihre guten Wünsche bei ihm auslösten.

* * *

Drew rührte einen Teig aus Maismehl, Salz und Wasser an und wandte Constance, die ihre Haare in langen, langsamen Bewegungen ausbürstete, fest entschlossen den Rücken zu. Die Farbe ihrer Haare tat ihm so früh am Morgen in den Augen weh.

Er drehte sich um, um ein Tuch von einem Haken am Kamin zu nehmen, hielt aber inne. Sie kniete nicht mehr neben der Truhe und war auch sonst nirgendwo in der Hütte zu sehen.

Drew warf einen Blick zur Tür, die mit einem großen Stein offen gehalten wurde. An diesem Morgen hatte er ihr ein anderes altes Kleid von Nellie gegeben, und sie hatte es eilig gehabt, sich umzuziehen. Eine Bewegung unter den Dachsparren erregte seine Aufmerksamkeit.

Dort kniete sie, mit dem Rücken zu ihm. Wahrscheinlich dachte sie, der Schatten unter dem Dach würde sie vor seinen Blicken verbergen. Dem war aber nicht so. Sie hob ihr Kleid nach oben über ihren Kopf. Ihm stockte der Atem.

Er sollte sich umdrehen. Er sollte sie in Ruhe tun lassen, was sie gerade tat. Stattdessen blieb sein Blick an ihr hängen, bewegte sich zu ihrer Taille hinab, um die sie eine Decke gewickelt hatte.

Drew verhielt sich völlig reglos. Er hatte ihr sein Wort gegeben, nicht seine ehelichen Rechte einzufordern, aber davon hatte er nie etwas gesagt. Es war aber natürlich in dem Versprechen eingeschlossen, und das wusste er sehr wohl.

Er schluckte. Sie war wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang nie ohne Unterwäsche gewesen. Bis jetzt war ihm nicht wirklich bewusst gewesen, dass sie unter dem dünnen, selbst gesponnenen Kleid überhaupt nichts trug. Wenn das nächste Schiff käme, musste er ihr zumindest Strümpfe und auch Schuhe kaufen.

Mithilfe des allmächtigen Gottes zwang er sich, sich wieder zum Feuer umzudrehen und heiße Asche über den Kaminstein zu streuen. Er goss Teig auf die Asche.

Nur wenige Momente später trat sie hinter ihn. „Was machst du da?“

„Aschekekse.“

„Aber sie sind doch voll Schmutz.“

„Wenn der Teig gebacken ist, hebt man sie einfach hoch und wischt die Asche ab.“

Er zeigte ihr beim ersten Keks, wie man es machte, und überließ ihr dann den Rest, während er mehr Teig auf frische Asche goss. „Bring diesen ersten Stapel zu den Männern hinaus“, wies er sie an. „Und sag ihnen, dass sie sich nehmen können, was sie im Obstgarten finden.“

Als sie zurückkehrte, hatte er den nächsten Stapel fertig. „Ich bringe die hier hinaus. Du nimmst einen Holzteller, wischst den Staub von den letzten Keksen, und dann essen wir hier drinnen.“

Als er zurückkam, standen zwei Holzteller auf dem Tisch. „Wer isst noch mit uns?“

Sie schaute von ihrem Platz am Tisch auf. „Niemand.“

„Warum stehen dann zwei Holzteller da?“

„Wir sind doch zwei Personen.“

Er nahm einen und stellte ihn ins Regal zurück. „Warum sollen wir zwei Teller abspülen, wenn wir nur einen brauchen?“

Drew setzte sich neben sie auf die Bank, sprach das Tischgebet und stopfte sich dann einen Keks in den Mund.

Constance saß mit den Händen auf dem Schoß da. „Wir essen mit den Fingern?“

Er kaute noch einen Moment und schluckte dann den Keks hinunter. „Aschekekse mit einem Messer aufzuspießen könnte sich als ein wenig schwierig erweisen.“

Sie benetzte ihre Lippen. „Ja, natürlich.“

Während er noch mehr Kekse verputzte, musste er sich ein Lächeln verkneifen. Zuerst keinen Abort, dann kein Bett, jetzt kein Besteck. Er hatte bereits eine richtige Kolonistin aus ihr gemacht. Drew griff nach seinem Becher und trank den Rest seines Apfelsaftes. „Mary und Sally müssten heute Morgen irgendwann zurückkommen. Kümmere dich bis dahin bitte um deine Arbeit.“

Sie zog die Brauen hoch. „Arbeit? Was soll ich machen?“

Er nahm seine Serviette ab und stand auf. „Du weißt schon – den Garten jäten, das Geschirr spülen, die Eier einsammeln. Solche Dinge.“

Er trat aus der Hütte, nahm einen großen Eisentopf und kam damit zurück. „Hier sind einige Schildkröten, die ich gestern gefangen habe.“ Er stellte den Topf auf den Tisch. „Sie sind unser Mittagessen. Wenn Mary nicht in einer Stunde zurück ist, musst du ihnen die Köpfe abhacken und sie dann – mit Panzer und allem – in kochendes Wasser werfen.“ Er nahm seinen Hut von einem Haken an der Tür. „Wir sehen uns heute Mittag.“

* * *

Constance starrte den großen Topf neben sich an. Nach mehreren Augenblicken beugte sie sich darüber und schaute hinein. Die Schildkröten waren nicht nur riesig, sondern auch lebendig.

Sie würde es nie bis zum Frühling hier aushalten.

Gedanken an Onkel Skelly und sein „Tagebuch“ kamen ihr in den Sinn. Sie atmete tief ein. Doch, sie würde durchhalten. Sie würde bis zum Frühling durchhalten. Sie musste es. Aber, Herr, ich brauche deine Hilfe!

Sie wischte sich die Feuchtigkeit von der Stirn und zupfte an dem zu großen Rock. Bevor dieser Tag vorüber wäre, würde sie diese Kleider, die Drew ihr gegeben hatte, abändern. Aber vorerst würde sie erst einmal ihr tägliches Bad genießen.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als sie vom Bach zurückkam. Sie war sauber, erfrischt und strahlte vor Stolz über das Geschirr, das sie geschrubbt und gespült hatte. Drew würde sich bestimmt freuen.

Mit einer leisen Melodie auf den Lippen stapelte sie das saubere Geschirr ordentlich an seinen Platz und schürte das Feuer. Sie machte einen weiten Bogen um den Topf, nahm einen Korb und brach zum Hühnerstall auf.

In der südöstlichen Ecke der Lichtung waren die Hühner hinter einem einfachen Zaun eingesperrt. Der Holzzaun, der aus dünnen Brettern bestand, die sich um in die Erde geschlagene Pfosten wanden, umgab den kleinen Stall und das Gehege. Sie trat durch das Tor und blieb stehen, während von allen Seiten die Hühner näher kamen. Hässliche Geschöpfe. „Ich komme, um die Eier zu holen.“

Die Hühner gackerten nur.

Constance wich einen Schritt zurück. „Ja. Ich verstehe, dass ihr euch aufregt. Mich würde das auch stören. Deshalb nehme ich nur ein paar. Seid ihr damit einverstanden?“

Ein großer, besonders hässlicher, grauweißer Hahn krähte laut und lang.

„Ah. Du bist anscheinend der Herr hier. Ich verstehe nicht, worüber du dich so aufregst. Du hast die Eier doch nicht gelegt, oder?“

Der Hahn ging weitere vier Schritte auf sie zu und krähte erneut.

Sie schob sich am Zaun entlang zum Hühnerstall. „Sei doch ruhig! Ich tue dir doch nichts. Beachte mich einfach gar nicht. Ich bleibe nur einen Moment und lasse dich dann in Ruhe.“

Doch das dickköpfige Geschöpf ging auf sie los. Constance stieß einen Schrei aus und wedelte mit dem Korb vor sich herum. Die Hühner im Stall gackerten aufgeregt. Der Hahn schlug mit den Flügeln und versuchte erneut nach ihr zu picken.

Sie schrie ohne Unterlass und schlug mit ihrem Korb wie mit einem Schwert um sich. Bevor ihr die Flucht gelang, erwischte das Ungeheuer mit seinen Krallen ihre Wade. Constance schleuderte es jedoch mit dem Korb zur Seite. Dadurch gewann sie gerade genug Zeit, um auf die andere Seite des Zaunes zu flüchten.

Der Hahn breitete drohend die Flügel aus und krähte laut. Constance schrie erneut und schob eilig mit zitternden Fingern den Riegel vor. Die Hühner rasten laut gackernd und flügelschlagend durch den Stall.

Sie zog ihren Rock hoch und sah nur das Blut, das ihr über die Wade lief. „Oh, du furchtbares, schreckliches Geschöpf! Schau, was du gemacht hast. Dafür will ich deinen Kopf. Das darfst du mir glauben!“

Der Hahn krähte weiter und breitete erneut die Flügel aus. Mit einem wütenden Anlauf gelang es ihm, sich vom Boden zu erheben. Constance kreischte und taumelte zurück, aber trotz seiner Bemühungen kam der Hahn nicht höher als bis zur Mitte des Zaunes.

„Du bist heute Abend unser Abendessen, du nutzloser Angeber“, schrie sie ihm aus sicherer Entfernung zu. „Merk dir meine Worte. Wenn der wahre Herr nach Hause kommt, werden wir schon sehen, auf wessen Seite er steht. Du hast die Herrin angegriffen und ich werde jeden Bissen von deinem gemeinen Fleisch genießen!“

Sie drehte sich um und humpelte mit erhobenem Haupt und steifem Rücken zur Hütte zurück. Die Eier mussten eben warten.

Sobald sie in der Hütte war, nahm sie ihren Unterrock vom Haken und riss ein gutes Stück davon ab. Sie ließ sich aufs Bett fallen, hob ihr Kleid hoch, um sich ihre Wunde noch einmal anzuschauen. Was für eine hässliche Wunde und wie sie pochte!

Sie wickelte die Wunde fest ein und stellte sich dabei die ganze Zeit vor, dass sie diesen furchtbaren Vogel an diesem Abend auf einem Spieß über dem Feuer braten würde. Constance knotete die Enden des Tuches zusammen und atmete tief ein. Dieser Hahn hätte sie umbringen können. Was wäre passiert, wenn es ihr nicht gelungen wäre, rechtzeitig aus dem Stall zu flüchten? Wenn das Tor nicht aufgegangen wäre? Wenn es nicht geschlossen geblieben wäre, als sie sich endlich draußen in Sicherheit gebracht hatte? Sie begann, am ganzen Körper zu zittern.

Das alles war nicht so geplant gewesen. Sie sollte sicher sein, zu Hause sein, wo sie die Regeln kannte und wusste, wie man sich verhalten musste. Gewiss hatte der Krieg dort das Leben auch durcheinandergebracht, aber dieses … dieses Land hier mit seiner barbarischen Art und seinen unzivilisierten Menschen! Wer weiß, was ihr hier alles zustoßen konnte!

Ich will nach Hause, Herr. Nach Hause. Wo mir die Gesichter bekannt sind. Wo ich geliebt und beschützt und geschätzt werde. Wo wir richtiges Essen haben und in richtigen Betten schlafen. Wo ich Schuhe und Strümpfe habe. Kerzen und Pergament.

Nach diesem Gebet erfüllte sie jedoch nicht Frieden, sondern Wut. Reine, ungezähmte Wut. Und gleichzeitig der Drang, ihn an den Männern auszulassen, die ihr das hier angetan hatten.

Ihr Blick fiel auf den Topf. Sie kniff die Augen zusammen, erhob sich vom Bett und begab sich auf die Suche nach einem Küchenmesser. Dann schritt sie leicht humpelnd zum Tisch. Die Waffe lag schwer in ihrer Hand.

Constance rollte die Ärmel hoch, atmete tief ein und tauchte dann ihre freie Hand in das stinkende Wasser. Die Reptilien zogen sich unter ihre Panzer zurück. Die Schildkröte, die sie erwischte, hatte ein perfektes geometrisches Muster auf dem Rücken. Faszinierend.

Mit der Messerspitze tippte sie die Schulter der Schildkröte an. Wenigstens vermutete sie, dass es die Schulter war. „Ich ernenne dich …“ Tipp. „… zu Sir Hopkin.“ Tipp. „Gouverneur der Kolonie von Virginia.“ Sie sah das Tier mit Todesverachtung an und hob ein wenig das Kinn. „Aufgrund deiner schlechten Amtsführung und deines hinterhältigen Verhaltens gegenüber ahnungslosen Frauen wirst du mit dem Tod durch Enthaupten bestraft.“

Sie hielt Sir Hopkin so hoch, dass jeder ihn sehen konnte, und marschierte mit ihm aus der Hütte auf die Lichtung hinaus. Sie machte eine Stelle auf dem Hof vom Schmutz frei und stellte ihn ab.

Doch er kam nicht unter seinem Panzer hervor. Typisch für den feigen Kerl! „Komm schon, Sir Hopkin. Trage deine Strafe wie ein Mann, auch wenn alle wissen, dass du ein arroganter, nichtsnutziger Schurke ohne Rückgrat bist.“

Nichts. Sie runzelte die Stirn. Wie brachte man eine Schildkröte dazu, aus ihrem Panzer herauszukommen? Sie ging neben dem Tier in die Hocke und betrachtete das Muster auf ihrem Panzer. Die Sonne stieg höher. Schweißtropfen bildeten sich an ihrem Haaransatz, als Sir Hopkin sich irgendwann dazu herabließ, seinen hässlichen Kopf unter seinem Panzer herauszustrecken.

Sie ließ das Messer nach unten sausen. Das Tier zog den Kopf schneller zurück, als sie es für möglich gehalten hätte. Sie atmete tief ein. Ihr Bein schmerzte und sie kochte vor Wut.

Nachdem sie einen guten Teil des Morgens damit zugebracht hatte, erfolglos zu versuchen, Sir Hopkin zu enthaupten, hob sie ihn vom Boden hoch, marschierte – beziehungsweise humpelte – zur Hütte zurück und warf ihn in den Wassereimer. Die Schildkrötensuppe musste eben warten. Verfluchte Tiere.

Sie rieb sich das Bein und ging dann zum Garten hinaus, der ebenfalls von einem Zaun aus geflochtenen Zweigen umgeben war. Ihr Fachgebiet war es, Blumen zu schneiden und zu arrangieren. Sie neigte den Kopf zur Seite und betrachtete das Schachbrett aus verschiedenen Pflanzen. Keine Blumen, nur Kräuter und Unkraut. Aber was war was? Sie seufzte. Es sah so aus, als müsste die Gartenarbeit auch warten.

Constance kehrte zur Hütte zurück, schürte das Feuer, stellte einen Wassertopf zum Kochen auf und nahm dann das Kleid, das sie gestern den ganzen Tag getragen hatte. Sie ging damit hinaus und nähte es an den Seiten und in der Länge enger und kürzer.

* * *

Als Drew nach Hause kam, fand er Constance gemütlich mitten auf der Lichtung sitzend vor. Sie trug ein Kleid, das ihr tatsächlich passte, und nähte an einem anderen.

Die Hühner im Gehege gackerten, der Garten sah unverändert aus und aus dem Kamin kam kein Rauch.

„Constance?“

„Drew! Oh, Gott sei Dank, du bist zu Hause.“ Sie rappelte sich auf die Beine und humpelte auf ihn zu.

Er runzelte die Stirn, aber nur einen Moment lang. Sie hatte ihr Kleid deutlich verändert. Es sah ganz anders aus als das Kleid, das Nellie getragen hatte. Es war geschmackvoll und züchtig, bedeckte jeden Zentimeter ihres Körpers und betonte dennoch gleichzeitig alle ihre Formen und Rundungen. „Was hast du aus Nellies altem Kleid gemacht?“

Constance blickte an sich hinab und hielt den Rock ihres Kleides mit beiden Händen fest. „Ich habe ein paar Veränderungen vorgenommen.“

Sie schob den Rock vor und zurück und ließ den Stoff von einer Seite ihres Körpers auf die andere gleiten. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die weiter oben liegenden Stellen. „Ich habe aber ein wenig Platz gelassen. Ich habe nach der Schifffahrt noch nicht meine alte Figur zurück.“

Sein Blick blieb an ihrem Gesicht haften, während er versuchte, das Bild aus seinem Kopf zu vertreiben, wie sie aussehen würde, wenn noch größere Formen ihr Kleid ausfüllen würden. „Du kannst ungewöhnlich gut mit Nadel und Faden umgehen.“

„Ja.“

„Mary und Sally kommen erst später.“

Sie ließ ihren Rock los. „Warum?“

„Gerald hat eine Nachricht geschickt, dass es bei Nellie so weit ist.“

„Gerald?“

„Nellies Mann.“

Sie runzelte die Stirn. „Oh, meine Güte. Vielleicht sollte ich gehen und Sally holen?“

„Nein. Du würdest dich verlaufen. Warum hast du kein Unkraut gejätet?“

„Ich weiß nicht, was Unkraut ist und was nicht.“

„Du hast noch nie im Garten gearbeitet?“

„Nur mit Blumen.“

Er nickte. „Und die Eier?“

Ihr Gesicht verdüsterte sich. „Dein Hahn hat mich angegriffen. Bitte dreh ihm den Hals um und wir essen ihn zum Abendessen.“

„Was hast du getan, dass er dich angegriffen hat?“

Ihre Augen wurden groß. „Was ich getan habe? Was ich getan habe? Dieser nutzlose Hahn hat mich angegriffen, und du willst wissen, was ich getan habe? Ich sage dir, was ich getan habe: Ich schrie so laut, dass man mich sogar zu Hause in England gehört haben muss. Dann habe ich mit dem Korb nach ihm geschlagen. Und ich habe ihm gesagt, dass er noch heute sterben wird. Das habe ich getan. Und was willst du jetzt tun?“

Drew rieb sich die Stirn. So ungeschickt konnte doch kein einzelner Mensch sein! Selbst Sally konnte die Eier einsammeln. „Ich werde ihm nicht den Hals umdrehen. Das steht schon einmal fest.“

Constance stieß einen Schrei der Empörung aus. „Warum nicht? Ich hätte getötet werden können!“

„Du hast ihn provoziert.“

„Ihn provoziert! Ich habe deinem geliebten Hahn überhaupt nichts getan! Ich ging in diesen Stall und verkündete meine Absicht, die Eier einzusammeln, und er ging angriffslustig und brutal auf mich los.“

„Du hast verkündet, was du vorhast? Wie meinst du das?“

Sie schwieg kurz. „Ich bin hineingegangen und habe den Hühnern gesagt, dass ich vorhabe, die Eier einzusammeln.“

„Was hast du sonst noch gesagt?“

Sie stemmte die Hand in ihre Hüfte. „Drew, du stellst meine Geduld auf eine harte Probe.“

„Was hast du sonst noch gesagt?“

„Das weiß ich nicht mehr. Vielleicht habe ich ihn einmal oder zweimal beleidigt, aber das ist doch absurd. Er hat mich nicht verstanden!“

„Du hast in seinem Revier gekräht.“

„Wie bitte?“

„Du hast in seinem Revier gekräht. Hähne krähen, um ihr Revier zu verteidigen, und sind darin sehr empfindlich. Wenn du in den Stall gegangen bist und angefangen hast, über dies und jenes laut zu reden, hat er das zweifellos als Bedrohung aufgefasst. Du hast ihn hoffentlich nicht gewinnen lassen, oder?“

Ihr Gesichtsausdruck verriet ihm, dass sie schockiert war. „Wenn du damit meinst, dass ich in diesem Stall bleiben und es mit ihm hätte auskämpfen sollen, dann ja. Ich habe ihn gewinnen lassen. Aber wenn ihm erst einmal der Hals umgedreht ist, habe am Schluss ich gewonnen.“

Drew nahm seinen Hut ab und setzte ihn sich gleich wieder auf den Kopf. „Komm. Ich zeige dir, wie du gewinnst.“

„Nein. Ich gehe weder mit dir noch mit sonst jemandem in diesen Stall. Das werde ich erst wieder tun, wenn Mister Widerling auf einem Spieß steckt.“

Mister Widerling? Drew unterdrückte ein Schmunzeln und ging zum Hühnerstall. Sie blieb, wo sie war.

„Du brauchst nicht hineinzugehen, Constance. Du kannst vor dem Zaun stehen bleiben und mir zuschauen.“

Ihr Korb lag umgedreht an der Stelle, an der sie ihn fallen lassen hatte, als sie sich eilig in Sicherheit gebracht hatte. Blutstropfen waren auf dem Boden zu sehen. Mit einem Stirnrunzeln drehte Drew sich wieder zu ihr herum. „Bist du verletzt?“

Constance kniff die Lippen zusammen.

O Mann, dachte er, danach hätte ich sie früher fragen müssen. Mit einem leisen Seufzen betrat er den Hühnerstall. „Hallo, Kinder. Wie geht es euch heute?“

Die Hühner gackerten nervös. Der Hahn stellte die Federn auf.

„Siehst du, wie Mister Widerling sich schon provoziert fühlt?“

Sie gab keine Antwort.

„So. Du fängst also an, wehrlose Frauen anzugreifen, ja? Ich habe noch nicht geschaut, wie groß der Schaden ist, den du angerichtet hast, aber ich hoffe für dich, dass es nicht zu schlimm ist. Es gefällt mir wirklich nicht, dass du meine Frau angegriffen hast. Du hast sie mit Respekt zu behandeln.“

Der Hahn begann, um ihn herumzuschreiten.

„Was? Dir gefällt es nicht, dass ich in deinem Revier krähe? Dann komm und greif mich an, du niederträchtiger Kerl. Zeig dich von deiner schlimmsten Seite.“

Wie auf Kommando schlug der Hahn zu. Drew sprang zur Seite, trat nach seinen Füßen, verfehlte sie aber. Sie umkreisten einander. Drew sang und begann, bei jedem Vers zu springen und zu hüpfen.

„Trink auf die Frau, deren Brust weiß wie Schnee;
trink auf die Frau, die reif ist wie Klee;
trink auf die Frau mit dem Nudelholz in der Hand;
trink auf die Frau, die das lustig fand;
Prosit, mein Freund, trink,
trink auf die Frauen im Land,
Grund zu trinken gibt’s allerhand.“

Wie er erwartet hatte, machte das bekannte Trinklied den Hahn wütend. Dieser krähte laut und griff ihn an. Drew schlug erneut aus und packte den Hahn an den Füßen und hob ihn verkehrt herum in die Luft. „Da hast du es, Constance. So gewinnt man. Ich halte ihn so und krähe noch eine Weile in seinem Revier, und wenn ihm das ganze Blut in den Kopf gelaufen ist, lasse ich ihn los. Dann habe ich gewonnen.“

„Du willst ihn nicht töten.“

Drew schwieg kurz. Constance war bis an den Rand des Zauns getreten und lehnte die Arme darauf.

„Nein. Das will ich nicht.“

„Warum nicht?“

„Wir brauchen die Eier.“

„In diesem Stall sind noch zwei andere Hähne.“

Drew warf einen Blick auf die anderen Hähne, die teilnahmslos auf dem Boden herumpickten. „Wenn ich Mister Widerling schlachte, macht sich einer von ihnen zum Gockel dieses Stalls, und dann musst du dich mit ihm auseinandersetzen.“

„Kämpfen sie nicht untereinander?“

„Diese drei Hähne sind miteinander aufgewachsen, aber wenn ich einen neuen Hahn in ihr Revier bringe, würde das zum Kampf führen.“

Constance nickte einmal und wandte sich dann von ihm ab. Drew hasste es, wenn sie ihn einfach so stehen ließ. Er hatte ihr schon einmal gesagt, dass sie ihn nicht mitten in einem Gespräch stehen lassen sollte, und das war sein Ernst gewesen. Jetzt würde er ihr das noch einmal klarmachen müssen. Frauen konnten wirklich starrköpfig sein.

Er wartete noch ein paar Minuten, bevor er den Vogel losließ. Dann schaute er zu, wie Constances Mister Widerling herumtorkelte und mit dem Kopf wackelte.

Drew verließ den Hühnerstall und ging zur Hütte. Er musste sich ihre Verletzung anschauen.

Kapitel 9

Sie hätte wissen müssen, dass er den Hahn nicht schlachten würde. Tiere, die Nahrung lieferten, waren in dieser Wildnis zu wertvoll, um ihnen den Hals umzudrehen, nur weil sie einen Gast beleidigt hatten. Es war nicht so, dass er den Hahn mehr mochte als sie, es war einfach eine Sache der praktischen Vernunft. Aber warum war sie dann so verletzt?

Als sie Drew kommen hörte, ließ Constance den Saum ihres Rocks fallen und rieb nicht weiter an ihrer Wade.

„Warum kochen die Schildkröten noch nicht?“

Constance saß auf der Bettkante und bemühte sich, ihre Gereiztheit zu unterdrücken. „Wie bringt man eine Schildkröte dazu, aus ihrem Panzer herauszukommen und so lange draußen zu bleiben, dass man sie enthaupten kann?“

Er nahm seinen Hut ab und hängte ihn an einen Haken. „Du hältst einen Stock vor sie und lockst sie, sich daran festzubeißen.“

Constance hörte auf, ihren Unterschenkel zu massieren, und blickte zu ihm auf. „Auf diese Idee wäre ich nie gekommen. Aber ich habe das Feuer – oh!“ Sie sprang vom Bett auf und begann, das Feuer wieder zu schüren. Drew nahm den Topf mit den Schildkröten und verschwand.

Als er wieder erschien, hatte er einen Topf mit kopflosen Schildkröten und einen Eimer mit frischer Milch bei sich. Sie hatte, Gott sei Dank, auch etwas zustande gebracht: Das Feuer brannte, und ein Topf mit sprudelndem Wasser hing darüber, aus dem Dampf aufstieg.

„Wirf die Schildkröten ins Wasser. Dann zeige ich dir, wie man Mais für das Mittagessen zu Maisbrei verarbeitet.“

Wenn irgendjemand sie gefragt hätte, ob sie empfindlich sei, hätte sie dies vehement geleugnet. Aber bis jetzt waren ihr alle Mahlzeiten immer vorgesetzt worden – perfekt gekocht und gewürzt. Sie wusste natürlich, dass sie Tiere aß, aber sie hatte nie einen Gedanken auf ihre Zubereitung verwendet. Als sie jetzt in den Topf mit den blutenden, kopflosen Schildkröten schaute, fragte sie sich, ob sie je wieder eine Mahlzeit genießen könnte.

Drew schien alles mitgebracht zu haben, was für den Maisbrei benötigt wurde. Constance schluckte mühsam und zwang ihren Magen, wieder dorthin zurückzukehren, wo er hingehörte. Dann kümmerte sie sich um die Schildkröten. Das Blubb, Blubb, Blubb, als sie untertauchten, gab ihr fast den Rest.

„Was ist Maisbrei?“, stieß sie keuchend hervor.

„Die nahrhafteste Mahlzeit, die ich mir vorstellen kann. Du mahlst Mais und vor dem Essen gießt du einfach Milch darüber.“

Constance warf die letzte Schildkröte in den Topf. Dann drehte sie sich schnell zu dem Stößel und der Schale herum und zerdrückte den Mais mit großer Wucht.

„Du verstreust zu viel von dem Mais, Constance. Du musst langsamer arbeiten.“

Sie verlangsamte ihr Tempo. Beide machten sich an die Arbeit und hatten im Handumdrehen eine ansehnliche Menge gemahlen.

„Jetzt lass mich deine Verletzung anschauen.“ Drew erhob sich und reichte ihr eine Hand, um ihr auf die Beine zu helfen.

Die Wunde befand sich an einer sehr unzüchtigen Stelle. „Es ist nicht so schlimm, danke.“

„Ich will sie mir trotzdem anschauen.“

Constance hätte sich am liebsten geweigert, aber wenn sie das täte, könnte er sie wieder daran erinnern, dass er als ihr „Ehemann“ das Recht hatte, viel mehr zu sehen als nur diese Verletzung. Sie ging zum Bett, setzte sich und ließ den Rock bis über ihre Füße nach unten fallen, presste die Knie und Knöchel zusammen und faltete die Hände auf dem Schoß.

„Wo hat er dich erwischt?“

„Über dem Knöchel.“

Pause. „Wie hoch über dem Knöchel?“

Sie zwang die Röte aus ihren Wangen. „Gute zehn Zentimeter darüber.“

„Ich muss es mir anschauen.“

„Ich spüre es kaum noch.“

Drew warf einen Blick auf ihren Rocksaum. „Womit hast du die Wunde behandelt?“

„Ich habe einen Verband darum gewickelt.“

„Kein Schwarzwurz?“

„Nein.“

Er verließ die Hütte und sie stieß einen erleichterten Seufzer aus. Danke, Herr. Wenigstens war ihr diese Demütigung erspart geblieben. Sie wollte aufstehen, plumpste aber sofort wieder zurück, als er mit einer Pflanze zurückkehrte, die er offensichtlich gerade aus dem Garten geholt hatte. Constance schaute ihm zu, wie er die Wurzeln säuberte, sie in ein Tuch wickelte und mit einem Stein zerdrückte.

„Zeig mir die Wunde.“ Drew kniete vor ihr nieder und richtete seinen Blick aufmerksam auf ihren Rock.

Ihr Magen rumorte erneut, und obwohl dieses Gefühl ganz anders war als das, was sie vorhin mühsam unterdrückt hatte, war es nicht weniger störend. Sie streckte ihr verletztes Bein aus und zog ihren Rock an den Knien ein wenig hoch, sodass der Saum sich ein kleines Stück nach oben bewegte. Sie spürte, wie er den Knoten ihres Verbandes löste und ihn aufwickelte und erst langsamer wurde, als er zu der Stelle kam, an der der Stoff an der offenen Wunde klebte.

Constance saß ruhig da und beobachtete seinen gebeugten Kopf mit diesen faszinierenden schwarzen Haaren, die jetzt völlig zerdrückt waren, da er bis vor wenigen Minuten einen Hut getragen hatte. Sie presste die Finger zusammen.

Drew hielt sofort inne und schaute zu ihr auf. „Tut es sehr weh?“

Himmel, sah dieser Mann gut aus! Constance suchte verzweifelt nach irgendeinem Makel, konnte aber nichts finden. Die Bräune seiner Haut und die kleinen Falten, die die Sonne dort hinterlassen hatte, machten ihn nur noch anziehender. Die Augen, die sie fragend anschauten, kamen ihr mit jedem Mal blauer vor. Das letzte Mal, als sie sie so deutlich aus dieser Nähe gesehen hatte, war bei ihrer Hochzeit gewesen, kurz bevor er sie geküsst hatte. Damals hatte sie die Augen vor ihnen geschlossen. Doch dazu konnte sie sich jetzt nicht durchringen.

„Wie bitte?“

„Tut es sehr weh?“

Das musste aufhören. Sie konnte nicht hier sitzen und über diesen Mann nachsinnen, mit dem sie vorübergehend verheiratet war. Sie war nur hier, bis ihr Vater kam und sie holte, und sie war weniger wichtig als der Hahn.

„Es tut überhaupt nicht weh.“

„Aber du hast die Hände zu Fäusten geballt.“

Constance öffnete sofort ihre Fäuste, als sie merkte, dass ihr das Blut ins Gesicht schoss. „Ich bin nur ein wenig nervös.“

„Hab keine Sorge, ich bin vorsichtig.“

Sie schluckte und schenkte ihm ein kleines Lächeln. „Ich weiß.“

„Warum bist du dann nervös?“

Sie entgegnete nichts, erkannte aber genau, in welchem Moment ihm der Grund für ihre Nervosität bewusst wurde, denn sein Gesicht errötete ebenfalls, und er richtete rasch seine Aufmerksamkeit wieder auf ihre Wunde. Es gelang ihm schließlich, den Verband abzulösen. „Es blutet wieder. Tut mir leid. Aber diese Verletzung befindet sich an einer Stelle, an die ich nicht so leicht herankomme.“

„Oh, Entschuldigung.“ Sie verdrehte ihr Bein etwas, aber sie sah, dass er immer noch Schwierigkeiten hatte, die Wunde zu erreichen. Nach einigen Momenten hatte er die Blutung trotzdem gestillt.

„Ich muss etwas Schwarzwurz darauflegen.“

Sie nickte.

Er rührte sich nicht.

„Was ist?“, fragte sie. „Wird es brennen?“

„Nein, nein. Der Schwarzwurz wird die Schmerzen schnell lindern.“

„Was stimmt dann nicht?“

„Ich weiß nicht, wie ich es an deiner Wade anbringen und dann verbinden soll, ohne dass das meiste Schwarzwurzpulver auf den Boden fällt.“

„Ich kann es selbst machen.“

Drew schüttelte den Kopf. „Nein, du kämst noch weniger an diese Stelle heran als ich. Nein, es wäre nötig, dass du … dich bitte mit dem Bauch auf das Bett legst.“

Keiner von beiden rührte sich. Sie ließ ihren Rock wieder auf den Boden fallen. Es war eine Sache, auf der Bettkante zu sitzen und zuzulassen, dass er sich ihr Bein ansah. Aber es war etwas völlig anderes, sich auf das Bett zu legen und zuzulassen, dass er ihren Rock hochhob und sie verarztete.

„Es geht auch ohne die Wurzeln“, meinte sie schließlich.

„Ich habe sie schon geholt und zermahlen. Außerdem wirken die heilenden Kräfte der Pflanze Wunder. Dieser verdammte Hahn hat dir eine ziemlich tiefe Wunde zugefügt, und da du neu in den Kolonien bist, bist du anfälliger als die meisten anderen.“

„Anfälliger wofür?“

„Für den Tod.“

Das war ziemlich deutlich. Und ließ ihre Schamgefühle zum Glück ausgesprochen unwichtig aussehen. Am besten aber war, dass er über den Hahn geschimpft hatte. Sie schwang die Beine auf das Bett und rollte sich herum. Ihr Rock war hoffnungslos verheddert, aber bevor sie ihn in Ordnung bringen konnte, hatte er ihn auch schon entwirrt und ihn bis zu ihren Knien hochgeschoben. Sie vergrub ihr Gesicht im Bettzeug und ignorierte den Geruch nach freier Natur, Tabak und diesem Mann, der ihr aus dem Bett entgegenströmte.

Der Schwarzwurz fühlte sich tatsächlich wunderbar an. Drew sprach kein Wort, während er ihr Bein verarztete, das Pulver auf ihre Wunde legte, sie mit etwas Weichem bedeckte und es dann wieder mit dem Stoff umwickelte. Er ging mit ihrem Bein um, als wäre sie eine leblose Puppe, hob es hoch, beugte es, legte es auf das Bett. Als der Verband zugeknotet war, spürte sie, wie er mit den Fingern sanft über den Rand des Verbands fuhr und ihn glatt strich. Ihr Magen zog sich zusammen, ihr Herz wollte aufhören zu schlagen, sie vergaß zu atmen.

War das eine Liebkosung oder war er einfach ein Arzt, der sich um seinen Patienten kümmerte? Sie wagte nicht, sich zu bewegen, denn wenn es eine unschuldige Geste war, wollte sie auf keinen Fall überreagieren. Und wenn nicht? Es musste eine unschuldige Bewegung gewesen sein.

Er hörte auf, den Verband glatt zu streichen, aber sie fühlte immer noch sein Gewicht auf dem Bett. Sie fuhr zusammen, als er nach ihrem Rock griff, und hätte sich im nächsten Moment zehnmal ohrfeigen können, denn er hielt mitten in seiner Bewegung inne. Offenbar wollte er nur den Rock wieder nach unten ziehen. Bevor Drew den Saum losließ, strichen seine Finger langsam über ihren Knöchel. Constance drehte sich, wie von der Tarantel gestochen, herum. Sie landete auf dem Rücken und entriss ihm den Rock.

Das war ein Fehler. Jetzt lag sie ausgestreckt auf seinem Bett und schaute ihn an, während er neben ihr saß und sie mit seinen dunkelblauen Augen ansah. Er sprang auf die Beine, nahm seinen Hut vom Haken und schritt aus der Hütte.

Constance legte sich den Arm über die Augen und atmete mehrere Male tief ein. Er fühlte sich zu ihr hingezogen. Das ließ sich nicht mehr leugnen. Sie hatte diesen Blick bei den Männern gesehen, die um ihre Hand angehalten hatten, und auch bei einigen, die nicht um ihre Hand angehalten hatten. Der Unterschied war ihre Reaktion. Statt Langeweile oder Abneigung spürte sie, dass jeder Nerv in ihrem Körper unter Hochspannung stand – einige Nerven sogar noch mehr als andere.

Was war, wenn er seine Meinung änderte und beschloss, doch seine ehelichen Rechte einzufordern? Sie ließ den Arm auf die Seite sinken. Man würde ihr keine Annullierung der Ehe bewilligen, so viel stand fest, und das wäre das Ende des „Mathematischen Tagebuchs für Damen“.

Constance schwang sich schließlich aus dem Bett und füllte den Maisbrei in Schüsseln, als sie die Schuldknechte vor der Hütte hörte.

* * *

Die Männer schienen das einfache Mittagessen zu genießen. Drew gönnte ihnen einen Moment Pause, damit er Constance den Garten zeigen konnte. Er erklärte, welche Pflanzen dort wuchsen und wofür sie benutzt wurden, bevor er seine Männer wieder zusammenrief und mit ihnen ging.

Er wollte den Knechten das Land zeigen, das sie am Ende ihrer Dienstzeit als ihr Eigentum bekommen konnten. Es befand sich direkt hinter seinem Grundbesitz, und es dauerte eine Weile, bis man dort ankam. Als er mehrere Stunden später zurückkehrte, war der Garten gejätet, der Hof gefegt, und der Geruch nach Schildkrötensuppe lag in der Luft.

Drew nahm den Hut ab und trat durch die offene Hüttentür, blieb aber im nächsten Moment abrupt stehen. Ein Strauß Lavendelblüten stand in der alten Porzellanvase seiner Mutter mitten auf dem Tisch, und die Teile, die an den verschiedenen Haken hingen, waren geordnet. Alle Kleidungsstücke hingen an einer Wand, alle Koch- und Essutensilien an der anderen.

Constance saß am Feuer und kritzelte mit dem Stock etwas in die Asche. Sie hatte offenbar nicht gehört, dass er das Haus betreten hatte. Drew blieb stehen, wo er war, und ließ seinen Blick über die Gestalt seiner Frau wandern. Seine Gedanken kehrten unwillkürlich zu dem Augenblick zurück, als er ihr Bein verbunden hatte. Sie hatte auch dort Sommersprossen, allerdings waren diese nicht so dunkel. Und ihre Haut. So glatt, so weich. Der Himmel stehe ihm bei, er hatte versucht, auf Abstand zu bleiben, hatte sich sogar vorgestellt, er tue dies für Gerald Jarvis. Aber das alles hatte ihm nur noch deutlicher gemacht, wie schön und weiblich Constance war.

Drew hatte sich viel länger mit dem Verarzten aufgehalten, als nötig gewesen wäre. Erst als er ihren Rock wieder nach unten geschoben hatte, war ihm aufgefallen, wie angespannt sie gewesen war. Trotzdem hatte er sie noch ein letztes Mal berühren wollen. Sie wäre beinahe aus dem Bett gesprungen, als er kurz ihren Knöchel gestreift hatte. Er war fest entschlossen gewesen, sich zu entschuldigen, aber die Worte waren ihm im Halse stecken geblieben, als er ihr in die Augen geschaut hatte. Was er darin gesehen hatte, war nicht Abscheu gewesen. Ganz im Gegenteil.

Er atmete tief ein und verdrängte dieses Bild aus seinem Kopf. Ebenso verbannte er das Bild, als sie sich auf dem Dachboden umgezogen hatte, in den hintersten Winkel seiner Gedanken.

Herr, ich kann mich ihr nicht öffnen. Gleichgültig, wie seidig ihre Haut war, gleichgültig, ob sie sich zu ihm hingezogen zu fühlen schien oder nicht, gleichgültig, ob sie seine Frau war. Es spielte keine Rolle.

Er zwang sich, sich an die Trauer, den Schmerz, die Benommenheit zu erinnern, die er erfahren hatte, als dieses Land ihm einen geliebten Menschen nach dem anderen geraubt hatte. Und dann schließlich Leah. Das Land hatte ihm Leah nur eine Woche vor ihrer Hochzeit geraubt. Drew hatte geschworen, sich nie wieder auf eine Frau einzulassen. Das hatte er damals so gemeint und er meinte es auch jetzt so.

„Noch mehr Spinnen und Fliegen?“, erkundigte er sich mit leiserer Stimme, als er beabsichtigt hatte.

Constance entfuhr ein Schrei, dann legte sie sich eine Hand auf die Brust. „Ich habe dich nicht kommen hören.“ Sie warf einen Blick zum Fenster. „Wo sind die Knechte?“

„Sie legen noch Fallen aus. Woran arbeitest du gerade? Wieder irgendwelche Spinnen?“

Sie zuckte die Achseln und legte ihren Stock zur Seite. „Wie lief es mit den Männern?“

Das war die Frage, die eine Ehefrau ihrem Mann stellte. Eine Frage, die sie ihm schon einmal gestellt hatte, als interessiere sie sich wirklich dafür.

Drew hängte seinen Hut an einen Haken. „Ich bin froh, dass ich ihnen das Land gezeigt habe. Es war das erste Mal, dass ich in der Gruppe so etwas wie Begeisterung gesehen habe.“

Sie wischte sich die Hände ab und stand auf. „Das ist gut.“

„Es ist ein Anfang.“ Er bemerkte die Glut. „Du hast das Feuer nicht ausgehen lassen.“

Constance warf einen Blick auf den Topf, der über der Asche hing. „Nein.“

Ja, wirklich. Der Topf war heiß. Der Hof war gekehrt. Die Hütte war makellos sauber. Aber die Eier waren noch im Hühnerstall. „Bist du bereit, die Eier zu holen?“

Sie betrachtete ihn einen Moment mit gerunzelter Stirn. „Habe ich eine andere Wahl?“

„Nein.“

Sie benetzte ihre Lippen. „Nun, ich schätze, ich bin bereit.“

Er gab ihr eine Schürze, die sie sich umbinden konnte, und riet ihr, diese vorne hochzuheben und so einen Beutel für die Eier zu bilden. Dann betraten beide gemeinsam das Hühnergehege und keiner von ihnen sprach ein Wort. Die Hühner stürmten auf sie zu, und er konnte sehen, dass Constance nervös war. Drew sammelte die Eier ein. Sie blieb dicht hinter ihm und legte sie in ihre Schürze. Mister Widerling würdigte sie keines Blickes.

* * *