Honigmann & Breuer

 

 

Honigmann & Breuer

 

Teil 3: Der Tod im Koffer

 

 

Robert Friedrich von Cube

 

 

Buch & Autor

 

Nach den Ereignissen in der Villa König ist Privatdozent Simon Honigmann körperlich wie seelisch am Ende. Zwar ist er wieder mit Doktor Breuer vereint, doch dieser beschränkt sich auf nächtliche Zechtouren.

Erst als Tante Ruth ein Machtwort spricht, stellen sich die beiden Seelenjäger wieder ihrer Aufgabe. Und die führt Simon nicht nur zu zwielichtigen Schiebern, undurchsichtigen US-Offizieren und mitten in die Elite deutscher Kriegsgefangener, sondern auch viel dichter an sein persönliches Schicksal als er je erwartet hat.

 

Robert Friedrich von Cube ist Psychiater, Phlegmatiker und Phantast. Er schreibt mit dem Herzen, den Fingern und mit Scrivener. Seine Geschichten spielen in fremden Sphären, fernen Zeiten und in den Herzen und Köpfen von Menschen mit Herz oder Köpfchen. Neben Fantasy schreibt er auch Witze für das Satiremagazin Titanic und Artikel für Blogs wie die Ruhrbarone oder die Prinzessinnenreporter. Einen Podcast zu abseitiger Musik betreibt er obendrein.

Impressum

 

Originalausgabe | © 2020

Verlag in Farbe und Bunt

Am Bokholt 9 | 24251 Osdorf

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Alle Rechte liegen beim Verlag.

 

Herausgeber: Björn Sülter

Lektorat & Korrektorat: Telma Vahey

Cover-Gestaltung: E. M. Cedes

E-Book-Erstellung: E. M. Cedes

 

ISBN: 978-3-95936-188-0 (Ebook)

ISBN: 978-3-95936-189-7 (Print)

24. September 1945

Seit vier Wochen lagen wir alle drei nur im Bett: Breuer, Kigali und ich. Nach den Ereignissen um den Industriellen Georg König[Fußnote 1] war Doktor Breuer wieder mit mir zu Tante Ruth gekommen. Er wurde abermals in das kleine Zimmer einquartiert, das ich mit dem Ungarn teilte. Als dieser den Mann wiedersah, der ihm den Arm verkrüppelt hatte[Fußnote 2], verlor er das letzte bisschen Farbe und gab alle verbliebenen Bemühungen auf, gelegentlich sein Bett zu verlassen.

Und ich fürchte, ich verhielt mich wie er. Zunächst war ich wirklich krank. Ich hatte mich bei der Flucht vor dem besessenen Pärchen über die Grenzen der Belastbarkeit hinaus verausgabt. Ich bekam eine Lungenentzündung. Der Hausarzt Doktor Vogel verordnete mir Penicillin und Bettruhe. Ersteres konnte er nicht besorgen, letzteres hielt ich ohnehin ein. Denn mehr noch als meinen Körper hatte ich meine Seele überstrapaziert. Ich träumte jede Nacht von der Villa König, träumte davon, wie ich handlungsunfähig neben der verblutenden alten Dame lag. Oft war ich in diesen Träumen selbst mit Bandagen gefesselt, lag selbst so steif da, wie die verängstigte Frau es getan hatte.

Wenn ich erwachte, blieb mein Geist in dem Albtraum gefangen. Die Erleichterung fehlte, die man sonst erlebt, wenn man aus der Traumwelt in die Realität zurückkehrt. Denn in der Realität war genau das wirklich geschehen. Und jedes Klopfen im Gebälk klang für mich wie das Tropfen von Blut aus einer durchweichten Matratze. Jeder Ruf auf der Straße wie eine besessene Regine, die mich ihrem Dämon opfern wollte. Einmal, als Elisabeth ungeniert gähnte und gleichzeitig sprach, da klang ihre kloßige Sprache für mich wie das Stammeln Königs, nachdem er von diesem Dämon besetzt worden war. Ganz abgesehen davon, dass ich sowieso bei jedem Gähnen Angst bekam.

Ich blieb also liegen. Durch Tante Magarete ließ ich mich bei den Amerikanern bis auf Weiteres abmelden und ein Attest von Doktor Vogel vorlegen. Solange ich Fieber hatte, merkte ich kaum, wie die Zeit verging. Aber danach wurde mein Zustand zur Qual. Denn wenn ich auch untätig war, so konnte mein Verstand doch im Kreise rennen. Und so grübelte ich mir die Hirnwindungen wund. Wie eine Roulette-Kugel, die einfach nicht aufhören will zu kreiseln, zirkulierten die Schuldgefühle in mir.

Ich hatte die alte Dame einfach verbluten lassen, hatte neben ihr gesessen und sie sterben lassen. Weil ich – naiv und übermütig – ohne jede Hilfe in das Haus gegangen war. Ich hatte Regine auf dem Gewissen. Zwar hatte Breuer geschossen, aber es war meine Schuld. Denn ich hatte die ganze Angelegenheit wie ein Spiel betrachtet. Wie konnte ein Inspektor der U.S. Army zu einer Feier bei seinem Verdächtigen gehen? Wie konnte ein Wissenschaftler bei einer Séance mitmachen? Wie konnte ein Jude sich in den Kreis von Rüstungsproduzenten begeben und glauben, er wäre dort ein souveräner Gast?

Ich hätte den Fall meinen Vorgesetzten übergeben müssen, sobald König mir verdächtig erschienen war. Ich hätte warten müssen, bis Colonel Pash mir Informationen oder Hilfe gab. Oder ich hätte warten müssen, bis ich endlich Doktor Breuer wiedergefunden hatte. Doch ihn überhaupt aufzusuchen und die sichere Schweiz zu verlassen, das war mein erster und größter Fehler von allen gewesen.

Breuer lag seinerseits im Bett. Jedenfalls tagsüber. Tante Ruth hatte, als ich fieberte, angefangen, mir Essen ans Krankenlager zu bringen. Den beiden anderen war es gelungen, dies auch für sich selbst zu beanspruchen. Kigali aß wenig, aber eigentlich die ganze Zeit. Fast schien es mir, als portioniere er sich diese kleine Beschäftigung über den Tag hinweg ein. Breuer hingegen wurde von Schüben übermannt, in denen er das Essen eines ganzen Tages hinunterschlang, nur um dann über Stunden gar nichts zu tun.

Mal schlief er, mal starrte er missmutig an die Decke. Von Zeit zu Zeit fluchte er unvermittelt, woraufhin Kigali und ich zusammenschraken. Wenn es ganz schlimm wurde, ließ Breuer die geballte Faust auf die Kante eines Stuhls fallen, der neben seinem Lager stand. Wieder und wieder, im Rhythmus eines Herzschlags, schlugen die Knöchel auf, bis seine Finger rot und geschwollen waren. Für mich klang das Klopfen – wie sollte es anders sein – wie das Tropfen von Frau Königs Blut.

Wenn es dämmerte, kam Leben in den Doktor. Er schien mit sich zu ringen, bis er schließlich die Schuhe anzog und sich aus dem Haus schlich. Es war ihm gelungen, Tante Ruth einen Ersatzschlüssel abzuschwatzen. Magarete war dagegen gewesen. Ruth wahrscheinlich auch. Aber nachdem der sturzbetrunkene Breuer ein paarmal im Morgengrauen Sturm geklingelt und das ganze Haus geweckt hatte, erschien es wohl als das kleinere Übel, die Sicherheit der verschlossenen Wohnungstür zu opfern.

Ich schlief kaum. Wenn Breuer von seinen nächtlichen Exzessen zurückkehrte, lag ich noch wach oder wurde aus oberflächlichem Schlaf gerissen. Dann sah ich, wie er torkelte, sah, dass ein Hosenbein durchnässt war oder ein Auge geschwollen oder die Handknöchel blutig geschlagen. Immerhin versuchte er, seine Kleidung in der Waschschüssel zu reinigen, wenn sie vom Übelsten besudelt war. Dabei richtete er eine Überschwemmung an. Kamen morgens Ruth, Magarete oder gelegentlich Elisabeth herein, um nach mir zu sehen, mussten sie erst einmal putzen. Breuer schnarchte dann. Oft genug war es ein demonstratives Schnarchen, das erst begann, wenn eine der Frauen das Zimmer betrat.

Am Tag, als unser Krankenlager endete, kam Breuer besonders spät und besonders laut nach Hause. Er fiel im Flur hin, veranstaltete einen höllischen Lärm, und Scherben schepperten. Kurz darauf hörte ich Magarete, die aus ihrem Schlafzimmer (das sie mit Elisabeth teilte) kam und heftig schimpfte.

»Diese Vase stammt von meinem Urgroßvater«, schrie sie. »Das meiste, was unsere Familie besessen hat, wurde gestohlen. Ich sehe nicht ein, den Rest von einem Hippopotamus zerstören zu lassen.«

Ich verstand nicht, was Breuer murmelnd antwortete. Aber das Klatschen, das danach erscholl, musste von einer Ohrfeige stammen. Kurz darauf ging die Tür auf, und Breuer torkelte herein. Er streifte die Schuhe ab, ohne die Senkel zu öffnen, und ließ sich in voller Montur auf das Bett fallen. Um ihn wehte eine Schnapswolke, die unser Zimmer wie eine Tankstelle riechen ließ.

»Blöde Kuh hat doch keine Ahnung«, lallte Doktor Breuer und fing eine Sekunde später an zu schnarchen.

Ich lag nun wach, wälzte meine trüben Gedanken und wartete darauf, dass der Tag mit seinen kleinen Routinen begann, an denen ich mich entlanghangelte. Ich hörte, wie sich Kigali bewegte, dem es wohl ähnlich ging. Ich hörte, durch zwei Wände gedämpft, Tante Ruths Wecker, hörte, wie die beiden Frauen sich leise, aber erregt in der Küche unterhielten. Und ich hörte Breuers Schnarchen.

Schließlich kam Tante Ruth herein. »Guten Morgen, die Herren«, sagte sie. »Lysistrata hat die Nase voll. Die Frauen haben getagt und entschieden. Aufstehen!« Sie sagte es gleichermaßen fröhlich wie resolut. »Hallo! Herr Doktor, aufstehen!« Sie rüttelte an Breuer, der sich daraufhin auf die Seite drehte. Magarete und Elisabeth standen in der Tür, Magarete mit verschränkten Armen und eisigem Blick, Elisabeth neugierig und amüsiert.

Kigali und ich richteten uns auf. »Warum sollen wir aufstehen?«, fragte ich. Ich spürte Angst und begriff in diesem Moment, dass mein Rückzug mich nur schwächte. Auf einmal war mir sogar Ruths Wohnzimmer fremd. Ich war wie eine Schnecke, die sich im Vorhof ihres Hauses nicht mehr sicher fühlte und noch tiefer hineinkriechen wollte. Ich musste dieser Sackgasse entkommen. Also erhob ich mich und kramte meinen Anzug hervor, auch wenn ich mich nicht umziehen konnte, solange die Damen im Zimmer waren.

»Warum sollen wir aufstehen?«, wiederholte Kigali meine Frage.

»Warum sollten Sie liegenbleiben?«, konterte Tante Ruth. »Warum sollten wir Ihnen täglich Essen ans Bett bringen wie fiebernden Kindern? Keiner der Herren hat Fieber, und keiner ist gelähmt. Und daher haben wir Folgendes entschieden: Dieses Zimmer kostet 30 Mark Miete. Und alle drei müssen arbeiten gehen, wenn sie es sich leisten wollen.«

»Gilt das auch für mich, Tante Ruth?«, fragte ich.

»Wieviele Herren siehst du hier noch, die mit alle drei gemeint sein könnten?«

»Du lässt dich gehen«, rief Magarete von der Tür herüber. »Das kann so nicht weitergehen. Hast den Krieg schön in der Schweiz verbracht, und kaum siehst du eine Tote[Fußnote 3], wirst du krank?«

»Magarete!«, sagte Ruth scharf. Dann rüttelte sie wieder an Breuer. »Herr Doktor! Aufstehen. Miete ist fällig.«

Es half nichts. Diesmal war es kein vorgetäuschtes Schnarchen. Magarete stapfte ins Zimmer, hob die Waschschüssel von der Kommode und kippte deren gesamten Inhalt über Breuer aus. Elisabeth kicherte und schlug sich die Hand vor den Mund. Einen Herzschlag lang geschah nichts. Dann fuhr Breuer auf, wie ein Fußball, den man unter Wasser gedrückt und wieder losgelassen hatte. Er packte die Schüssel, warf sie gegen die Wand, drehte sich um die eigene Achse und griff in sein Jackett, als suche er nach einer Waffe.

»Wo denn?«, brüllte er, und seine Stimme ließ meine Ohren klingeln. »Deckung, ihr Schweine!« Dann erst schien er zu sich zu kommen. Er blinzelte verwirrt, wischte sich das Wasser aus den Augen und atmete schwer.

»Miete«, sagte Ruth gelassen.

Dann hörten wir ein Weinen. Elisabeth hielt sich die Hand. Sie war von einer Scherbe getroffen worden und blutete.

Mit hängenden Köpfen, wie drei Pennäler, die bei einem Vergehen erwischt worden waren, saßen wir kurze Zeit darauf am Esstisch. Das Frühstück war, wie jede Mahlzeit, bescheiden. Aber wir hatten Brot und wir aßen noch immer an einem riesigen Stück Butter, das Magarete besorgt hatte und das keiner von uns als ranzig zu bezeichnen wagte. Elisabeths Hand war verbunden worden, und das Geschehnis schien sie nicht weiter belastet zu haben.

»Aber wo soll ich denn Geld hernehmen?«, jammerte Kigali.

»Es gibt genug zu tun da draußen«, antwortete Tante Ruth.

»Es gibt zwar jede Menge Arbeit«, warf ich ein, »aber es gibt kein Geld.«

»Notfalls zahlt ihr in Naturalien. Du hattest eine gute Arbeit, Simon.«

Ich seufzte. Eine Arbeit, in deren Verlauf ich König begegnet war, was den Tod zweier Menschen zur Folge gehabt hatte. Sofort sah ich alles wieder vor mir, mit einem bitteren Klumpen aus Angst in meinem Bauch. Ich wollte zurück in mein sicheres Bett.

»Herr Breuer weiß jedenfalls, wie man an Naturalien kommt«, fuhr Tante Ruth fort. Breuer grunzte missmutig.

»Aber mein Arm«, flehte Kigali.

»Der Krieg hat Millionen Arme gekostet«, sagte Magarete schnippisch. »Ich bin sicher, andere Herren ohne Arm zahlen auch Miete.«

»Wir übernehmen Ihre Kosten, Herr Kigali«, sagte Breuer zu meiner Überraschung. »Schließlich haben wir Ihren Zustand verursacht.«

Ich nickte. Kigali zu unterstützen, erschien mir ehrenhaft. »Ich kann schauen, ob die Amerikaner mich wieder annehmen«, sagte ich. Der Gedanke, wieder das Haus zu verlassen, war beängstigend, aber auch reizvoll. Ich fühlte mich wie ein frisch gehäutetes Reptil – noch verletzlich, noch dünn und etwas feucht in den Falten, aber auch befreit und mit dem Bedürfnis, mich zu strecken und ein paar erste Schritte zu machen.

»Und ich dachte, Sie wollten mit mir Seelen jagen gehen«, sagte Breuer und stopfte sich den Rest seines Brotes in den Mund.

Ich holte Luft und vergaß das Ausatmen. Mein Herz raste. Meine Gedanken rasten. Es war ja nicht so, dass ich meine Fragen vergessen hätte. Dass sie nicht brannten. Aber irgendwie war die stille Übereinkunft, nach der wir alle nur im Bett gelegen und geschwiegen hatten, sehr erleichternd gewesen.

»Kann man damit Geld verdienen?«, fragte Magarete gelangweilt.

Breuer schnalzte genervt mit der Zunge. Magarete sah ihn fest an, und er wich ihrem Blick aus. »Es herrscht doch heilloses Chaos«, sagte er. »Ich erkläre Ihnen das später unter vier Augen, Honigmann. Als erstes müssen wir herausfinden, ob der Tod noch lebt. Ohne den wird sowieso nichts funktionieren.«

»Wie bitte?«

»Der Tod. Wie ihn der Volksmund nennt. Seit Bismarck heißt er offiziell der Postmortalrat

»Und diese Sachen wollen Sie hier, vor dem Kind, ein bisschen andeuten«, fragte Ruth streng, »aber dann mit Simon so richtig unter vier Augen besprechen, ja? Wir dürfen die Wohnung stellen, Essen stellen, Wunden versorgen, aber wir dürfen nichts erfahren, ja?«

»Ich will alles erfahren«, rief Elisabeth. »Ich will das alles wissen, mit den Seelen und dem Tod und so. Ich habe ja auch eine Zeichnung gemacht, die zum Leben erwacht ist, nicht wahr, Onkel Simon?«

»Ja«, räumte ich ein, »jedenfalls, als wir sie in meine systematischen Grafiken eingefügt haben. Ich habe nämlich, Herr Doktor, weiter an Kurven gearbeitet und kontinuierlich deren Winkel verändert, zunächst in ganzen Zahlen, dann dynamisch nach bestimmten Grundformeln …«

»Hören Sie doch auf«, rief Breuer, »da wird einem ja ganz schwindelig. Wir gehen nachher raus und versuchen uns an einer Bestandsaufnahme. Bis dahin will ich nichts mehr von Pneumiten hören.«

»Und ich will ins Kino«, sagte Elisabeth.

Magarete zog die Brauen zusammen. »Wie bitte?«

»Die Schauburg hat wieder aufgemacht! Da kommt der Film Die ewige Eva

»Das klingt nicht gerade nach der anspruchsvollsten Unterhaltung.«

»Das ist eine Komödie, Mama. Und davor kommt die Welt im Film, mit allen wichtigen Nachrichten. Und Gisela von nebenan würde auch mitgehen und die hat den Film schon gesehen und die will noch einmal rein.«

»Bist du jetzt mit dieser Gisela befreundet? Was ist das für ein Mädchen?«

Elisabeth stöhnte. »Ich könnte bald mit ihr befreundet sein, wenn ich mit ihr ins Kino gehen dürfte. Es ist nicht teuer!«

»Mir ist nicht wohl dabei«, sagte Magarete. Sie schüttelte gleichzeitig den Kopf und zuckte mit den Schultern. »Du darfst nicht vergessen, dass die Leute da draußen uns immer noch genauso hassen wie vorher.«

»Aber die Amis sind da, und es wird keiner mehr deportiert. Wir gehen ja nicht im Dunkeln.«

»Das ist wirklich ganz harmlos da«, mischte Breuer sich ein. »Ich war jetzt schon mehrfach in der Schauburg. Das ist alles ganz seriös und gesittet, und dieser Film ist völlig unverfänglich. Glauben Sie mir, Frau Mayr, ich kenne auch die unseriösen und unsittlichen Orte in dieser Stadt, und die Schauburg gehört nicht dazu.«

»Keine Sorge, Doktor Breuer«, erwiderte Magarete so kühl, dass man Raureif auf ihren Worten zu hören meinte, »ich glaube Ihnen aufs Wort, dass Sie die unsittlichen Orte kennen.« Dann tauschte sie Blicke mit Tante Ruth und erlaubte Elisabeth zu gehen. »Aber ihr kommt sofort danach zurück nach Hause!«

»Danke, Mama!« Elisabeth fiel Magarete um den Hals, die ihr den Rücken tätschelte. »Und danke, Doktor Breuer!«, fügte Elisabeth an.

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Die Morgensonne erschien mir ungewöhnlich hell, als ich etwas später mit Breuer auf die Straße trat. In meinem Bauch rumorte es. Mir fehlte der Schutz der Wohnung, der Bettdecke. Aber ich war fest entschlossen, dagegen anzukämpfen. Und jetzt, da sich die Chance bot, von Breuer einige Antworten zu bekommen, packte mich auch wieder die Neugier.

»Was machen wir jetzt?«, fragte ich.

»Keine Ahnung«, sagte Breuer. »Geld für Ihre Tante besorgen.«

»Aber wo sollen wir Geld hernehmen?« Ich lief hinter Breuer her, der mit forschen Schritten voranging, die Hände tief in den Manteltaschen.

»Weiß ich doch nicht. Das ist Ihre Tante, also lassen Sie sich was einfallen.«

»Moment mal«, sagte ich, »wenn Sie nicht wären, würde ich wahrscheinlich noch immer das Frühstück ans Bett bekommen und müsste keine Miete zahlen. Gerade weil es meine Tante ist.«

»Wenn ich nicht wäre, wären Sie jetzt der neue Zweibeiner von Asmodeus, also zeigen Sie mal ein bisschen Dankbarkeit.« Breuer blickte sich an einer Kreuzung kurz um und bog dann entschlossen nach rechts ab.

»Wessen Zweibeiner? Meinen Sie Regine?«

»Wenn das Mädel so hieß?«