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CARSTEN STORK
MARKUS HECHLER

ROHSTOFF
TRADING

MIT
SYSTEM

Bewährte Handelsstrategien
für Gold, Kaffee und Co

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Alle Angaben in diesem Buch stammen aus Quellen, die Autor und Verlag für vertrauenswürdig halten. Eine Garantie für die Richtigkeit kann jedoch nicht übernommen werden. Um Risiken abzufedern, sollten Anleger ihr Vermögen deshalb grundsätzlich streuen. Die Angaben in diesem Buch stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers dar. Die veröffentlichten Informationen geben die Meinung der Autoren wieder.

Copyright 2021:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Gestaltung Cover: Daniela Freitag

Gestaltung und Satz: Sabrina Slopek

Bildquelle Cover: Shutterstock

Herstellung: Daniela Freitag

Vorlektorat: Claus Rosenkranz

Korrektorat: Egbert Neumüller

ISBN 978-3-86470-706-3
eISBN 978-3-86470-707-0

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INHALT

DANKSAGUNG

VORWORT

KAPITEL 1Warum arbeitet man an der Börse?

KAPITEL 2Vom Präsenz- zum elektronischen Handel – Start des algorithmischen Tradings

KAPITEL 3Verschiedene Formen des Tradings

3.1Systematisches Trading

3.2Extrembeispiel für systematisches
Trading: LTCM und seine Folgen

3.3Diskretionäres Trading

3.4Extrembeispiel für diskretionäres Trading: 9/11

3.5Verschiedene Trading-Ansätze

3.6„Gut Feeling“ – Handel aus dem Bauch heraus

3.7Fundamental – billig oder teuer?

3.8Breakouts – Ausbrüche

3.9Mean Reversion – zurück zur Mitte

3.10Trendfolge – es gibt kein Limit

3.11Retracements und Extensions – Engineering

3.12Extrembeispiel für Handel ohne konkreten Trading-Ansatz: 2 Tage im September 2007

KAPITEL 4Verschiedene Marktteilnehmer an den Börsen

4.1Der Arbitrageur

4.2Der Marketmaker

4.3Der Spekulant

4.4Langfristiger Investor: Fonds, Hedgefonds, Notenbanken, Privatpersonen

4.5Kurzfristiger Investor: Day-Trading in verschiedenen Zeitintervallen

4.6Extrembeispiel für Handel mit institutionellen Kunden: The good, the bad and the ugly

KAPITEL 5Risiko- und Money-Management

5.1Extrembeispiel Immobilien- und Finanzkrise 2008/09: Ein Trading Floor wird vaporisiert

5.2Die zehn häufigsten Gründe, weshalb Trader kein Geld verdienen

KAPITEL 6Der Handel mit zwei Algorithmen an den Rohstoffmärkten

6.1Warum Rohstoff-Futures-Märkte?

6.2Der erste Algorithmus: Breakout-System Global One

6.3Das Global-One-Signal

6.4Die Einstiegssignale und Einstiege

6.5Die Ausstiege und Stop-Loss-Levels

6.6Der Backtest

6.7Unser Fazit

6.8Der zweite Algorithmus: Trendfolgesystem Global Two

6.9Das ALGO-GT-Signal

6.10Die „Storyline“ und unsere Erfahrung

6.11Commitments-of-Traders-Daten und ihre Bedeutung

6.12Exkurs: Erweiterter CoT-Report

6.13Saisonalität

6.14Die Umsetzung mit Futures oder Optionsscheinen

6.15Unser Fazit

6.16Generelle Erläuterung zu den einzelnen Futures

KAPITEL 7Die Energiemärkte

7.1Crude Oil (Erdöl)

7.2Heating Oil (Heizöl)

7.3RBOB Gasoline (bleifreies Benzin)

7.4Natural Gas (Erdgas)

KAPITEL 8Metalle

8.1Gold

8.2Silver (Silber)

8.3Copper (Kupfer)

8.4Platinum (Platin)

8.5Palladium

KAPITEL 9„Soft Commodities“

9.1Kaffee (Coffee)

9.2Arabica Coffee

9.3Robusta Coffee

9.4Cocoa (Kakao)

9.5Sugar (Zucker)

9.6Cotton (Baumwolle)

9.7Orange Juice (Orangensaft)

KAPITEL 10Agrarrohstoffe

10.1Wheat (Weizen)

10.2Hard Red Winter Wheat (Harter roter Winterweizen)

10.3Corn (Mais)

10.4Soybeans (Sojabohnen)

10.5Soybean Meal (Sojabohnenmehl)

10.6Soybean Oil (Sojabohnenöl)

KAPITEL 11Die Fleischmärkte

11.1Lean Hogs (Magere Schweine)

11.2Live Cattle (Lebendrinder)

KAPITEL 12Weitere Futures im Überblick

12.1T-Bond Future (langlaufende amerikanische Staatsanleihe)

12.2Bitcoin

12.3Bund Future

12.4DAX Future

12.5Nasdaq Future

SCHLUSSWORT

DANKSAGUNG

Wir möchten uns bei unserem Partner, der Börsenmedien AG, bedanken.

Wir haben uns natürlich auch überlegt, bei wem wir uns, wenn wir schon ein Buch schreiben, noch bedanken möchten. Doch da wird es spärlich. Wir haben gemeinsam anlässlich dieses Buchprojekts unsere letzten 30 Jahre an den Börsen Revue passieren lassen und festgestellt, dass sich jeder im Investmentbanking eigentlich immer selbst am nächsten war. Haben es die Märkte gut mit uns gemeint (und ließen uns Geld verdienen), wurde intrigiert, geneidet und es wurden gefährliche Allianzen geschmiedet. Wer hat den besten Rückhalt, die stärkste Lobby und bekommt dadurch den größten Scheck? Doch wehe, die Märkte waren uns nicht wohlgesonnen. Dann wurde über Intrigen hinaus auch noch das Maschinengewehr ausgepackt und Mitarbeiter und Kollegen fielen reihenweise den „notwendigen“ Umstrukturierungen zum Opfer. Die Leidtragenden waren traditionell die „Juniors“, junge Menschen, hochengagiert und voller Zukunftspläne. Eines kam fast nie vor: dass eine „Führungsperson“, ein sogenannter Managing Director, geopfert wurde. Diese gingen meist freiwillig, wenn die eigenen Taschen übervoll waren, oder mutierten zum „Frühstücksdirektor“, zeichneten sich durch gekonntes Nichtstun aus und warteten auf ihren Rausschmiss. Hätte es keine Söldner gegeben, das Investmentbanking hätte diesen Beruf erfunden, ebenso wie die Profession der Blender. Eines können wir auf jeden Fall bestätigen: Anders als im Film „Wall Street“ (mit Michael Douglas in der Hauptrolle) ist Gier nicht gut, aber unvermeidbar der Treibstoff, der die Märkte antreibt. Nach unserem Beruf gefragt, schütteln viele Menschen den Kopf („Wie könnt ihr nur?“), um unter vier Augen dann doch schnell nachzufragen, ob wir nicht den einen oder anderen Börsentipp für sie hätten.

Doch halt: Wir wollen hier nicht auf die eine oder andere Story, die Sie in diesem Buch finden, vorgreifen, nein, wir wollen Danke sagen. Wir halten das jetzt einmal allgemein: Danke für alles, was wir in den vergangenen drei Jahrzehnten „live“ erleben und überleben durften.

VORWORT

Den Handel mit Rohstoffen gibt es seit Tausenden von Jahren. Mit Rohstoffen wurde schon gehandelt, lange bevor es die ersten Währungen gab. Die Währungen der Vergangenheit repräsentierten damals, anders als heute, den Wert der Rohstoffe, aus denen sie gemacht waren, und hatten damit einen „realen“ Wert. Oft bestanden diese Münzen aus Gold, Silber oder Kupfer.

Womit wir bereits bei einer wichtigen Beobachtung sind: Rohstoffmärkte sind für uns die letzten „ehrlichen“ Märkte. Preise kommen durch Angebot und Nachfrage zustande und werden nicht durch Eingriffe der Notenbanken, wie zum Beispiel den Fed Put und die langfristige Niedrigzinspolitik, beeinflusst. Auch werden Notenbanken weltweit immer wieder direkt in den Aktien-, Währungs- und Bondmärkten tätig und „greifen in das Marktgeschehen ein“. Damit verzerren sie den „wahren“ Wert des zugrunde liegenden Instruments. Doch was ist real? Ganz einfach: das „Gleichgewicht“ (Equilibrium) zwischen echter Nachfrage und dem verfügbaren Angebot. Dieses Gleichgewicht nennt man Preis. Natürlich sind wir Rohstoff-Trader immer wieder im Mittelpunkt politischer und medialer Kritik: Wir seien Preistreiber, die auf Kosten der Bevölkerung Gewinn machen, nicht zu vergessen der fehlende Beitrag unserer Tätigkeit zum gesamtvolkswirtschaftlichen Nutzen. (Rohstoff-Handelsfirmen wurden auch schon einmal als „Institut für null volkswirtschaftlichen Nutzen“ tituliert.) Natürlich haben wir auch keine „Lobby“, die unsere Interessen in der Öffentlichkeit vertritt. Was diese Kritiker gern vergessen, ist, dass Preise in Rohstoffmärkten steigen und fallen können und diese nicht nur ein Betätigungsfeld für rücksichtslose Spekulanten sind. Das beste Beispiel ist der Preis für Crude Oil oder auch amerikanisches Rohöl, das im Zuge des Erdöl-Preiskriegs und des Coronavirus Levels erreichte, die wir so noch nie gesehen hatten, und am Höhepunkt der Krise sogar negativ handelte.

Wir sind überzeugt, dass der Preis in allen diesen Märkten die Wahrheit widerspiegelt. Egal ob bei Gold, Silber, Zucker, Weizen oder anderen Produkten, es kann immer ein fairer Preis gefunden werden. Natürlich gibt es auch Phasen der Preisverwerfungen, sei es aufgrund von Ernteausfällen, Krankheiten, geopolitischen Spannungen et cetera, am Ende aber „gewinnt“ immer der faire Preis und damit der Markt.

Rohstoffe beeinflussen unser tägliches Leben. Egal ob wir mit Öl heizen, unser Auto betanken, ein Haus bauen, Milch zum Frühstück trinken, mit Geldscheinen oder Münzen bezahlen: Der Ursprung all dieser Produkte sind Rohstoffe. Der Mensch tendiert dazu, Preissteigerungen eher zur Kenntnis zu nehmen als Preissenkungen. Wahrscheinlich ist dies auch der medialen Aufmerksamkeit für Teuerungen geschuldet.

Fakt ist: Die Welt wird weiter wachsen, wenn auch aufgrund von Pandemien (Coronavirus) und der damit verbundenen Einbrüche von Angebot und Nachfrage wahrscheinlich etwas langsamer als in der Vergangenheit. Fakt ist auch, dass die Ressourcen, die uns unser Planet zur Verfügung stellt, nicht mehr werden. Im Jahr 2019 hatte die Welt circa 7,71 Milliarden Einwohner. Seit 1950 hat sich die Erdbevölkerung mehr als verdreifacht, die Mehrheit der Menschen, circa 4,5 Milliarden, lebt in Asien. Während die Bevölkerungszahl in der Eurozone sinkt, ist der Saldo aus Geburten und Sterberate immer noch positiv, das heißt, es werden im selben Betrachtungszeitraum mehr Menschen geboren als Menschen sterben. Das ist eine positive Ausgangslage für die Rohstoffmärkte.

Wir haben auf den verschiedenen Börsentagen und Konferenzen festgestellt, dass der Informationsbedarf bezüglich des Themas Futures-Trading und Rohstoffe enorm ist. Ein weiteres trockenes, theoretisches Buch zu diesem Thema wäre mindestens eines zu viel. Deswegen haben wir beschlossen, unser Buch über die Theorie hinaus mit praktischen Beispielen und Erzählungen unserer eigenen Erlebnisse während der letzten drei Jahrzehnte an den Börsen aufzulockern.

Frankfurt und Gasteinertal im Juni 2020

Markus Hechler und Carsten Stork

KAPITEL 1

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WARUM ARBEITET MAN AN DER BÖRSE?

Wie kommt man auf die Idee, an der Börse zu arbeiten? Wir befragten unsere zwei Autoren direkt im Interview.

DER AKTIONÄR: Herr Stork, Herr Hechler, können Sie Ihren Lesern einen kurzen Einblick geben, warum Sie als Händler an der Börse arbeiten und wie es dazu gekommen ist?

Carsten Stork: Mich hat immer schon die Geschwindigkeit der Märkte fasziniert. Ich glaube, da ist auch viel Intuition dabei. Als ich das erste Mal auf einem Trading Floor war – das war in Wien 1995 –, war ich von der Atmosphäre fasziniert. Kaufen und Verkaufen sind ureigene Formen menschlicher Aktivität, als Händler wird die Qualität deiner Entscheidung jeden Tag durch Gewinn oder Verlust unmittelbar bewertet. Das Geschäft wurde in diesen Jahren größtenteils durch unsere physische Präsenz an den Börsen abgewickelt, erst später hat der elektronische Handel unseren Beruf immer mehr anonymisiert und wahrscheinlich auch skrupelloser gemacht. Ich habe im Sommer 1996 ein Praktikum an der Börse absolviert und damals auch meine Händlerprüfung an der Deutschen Terminbörse (DTB) abgelegt. Die ersten Jahre meiner aktiven Zeit als Händler war ich als sogenannter Marketmaker tätig, meine Aufgabe war es, verbindliche Kauf- und Verkaufskurse zu stellen und damit Geld für die Bank zu verdienen. Von Wien ging es nach Frankfurt, wo ich bei einer deutsch-englischen Bank anheuerte, damals einer der begehrtesten Arbeitgeber im Bereich Trading. Ich erinnere mich an meinen zweiten oder dritten Arbeitstag auf dem Floor in Frankfurt. Mein damaliger Chef musste beruflich verreisen und übergab mir das Optionsbuch mit der Anweisung, nichts zu handeln und ihn im Zweifel anzurufen. Einfach nichts anbrennen zu lassen und physisch präsent zu sein. Der DAX brach an diesem Tag im Vorfeld der Russlandkrise um mehrere Prozentpunkte ein, das mir übergebene Buch hatte eine ziemlich große Gamma-Long-Position, der Markt fiel immer weiter, das Buch wurde immer mehr short und nachdem ich meinen Chef nicht erreichen konnte, habe ich irgendwann zu kaufen begonnen. Dazu muss man wissen, dass eine Gamma-Long-Position in einem Optionsbuch dazu führt, dass man in einem fallenden Markt short wird, also von fallenden Kursen profitiert, und in einem steigenden Markt long wird, also bei steigenden Kursen Gewinn macht. Damals musste abends noch jeder Händler sein Gewinn/Verlust-Statement beim Leiter der Abteilung abgeben – bei mir war es an diesem Tag ein sechsstelliger Gewinn. Ich dachte, das sei für eine große deutsche Bank eine Selbstverständlichkeit – war es aber nicht, und so begrüßte mich der Abteilungsleiter am nächsten Morgen bereits mit Handschlag und kannte meinen Namen (lacht). Gelungener konnte mein Einstand eigentlich nicht laufen.

Markus Hechler: Nach der Banklehre und einer kurzen Zwischenstation im Clearing Deutsche Terminbörse (DTB) bei der Bank mit dem grünen Band der Sympathie war für mich klar, dass ich Händler werden wollte. Als Marketmaker für Optionen und später Portfolio-Trader hatte man damals schon als „Junior-Trader“ eine immense Verantwortung und bewegte teilweise dreistellige Millionenbeträge.

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Quelle: Privat

ABBILDUNG 1.1 | MINIATURRADIO

Die „gute alte Zeit“

Vergleicht man einen Handelsfloor aus den 90er-Jahren mit der heutigen Zeit, war das wahrhaftig eine andere Welt. Auf dem Trading Floor, auf dem ich damals arbeitete, ging es Tag für Tag heiß her. Alle Abteilungen saßen eng beisammen: Kundenhandel, Eigenhandel, Aktien-Sales, Derivate und Research dicht gedrängt auf einem Stockwerk – heute undenkbar! Es herrschte ein rauer Ton, viel Geschrei und Hektik, natürlich durfte auch geraucht werden. Manch ein Händler qualmte am Tag locker zwei Packungen Zigaretten. Die alten Börsianer schwebten majestätisch über den Floor, um dann gemütlich vom Bahnhofsviertel zur Frankfurter Wertpapierbörse in der Innenstadt zu schlendern. Sie hatten alle ihr Geld gemacht – Compliance gab es damals nicht wirklich. Die Musik spielte auf dem Parkett, das elektronische Handelssystem IBIS steckte noch in den Kinderschuhen und der typische Händler hätte sich schwer vorstellen können, dass sich in wenigen Jahren die Liquidität vom Parkett auf die elektronische Plattform Xetra verlagert. Vorreiter war sicherlich der Handel mit dem Bund-Future (10-jährige deutsche Bundesanleihe), einem der liquidesten und meistgehandelten Futures am Pit der Londoner Terminbörse LIFFE. Nach dem Zusammenschluss der Deutschen Terminbörse mit der Schweizer Terminbörse Soffex im Jahr 1998 wanderte immer mehr Liquidität vom Parkett zur elektronischen Plattform. Heute findet so gut wie kein Umsatz mehr auf dem tristen Parkett der ehemaligen Weltbörsen statt, sie dienen eher als Kulisse für die täglichen Börsenberichte. Der Börsenhändler von damals war sicherlich ein anderes Kaliber als heute. Das gesprochene Wort zählte, und eine gewisse Standhaftigkeit „am Glas“ in den Bars und Kneipen war auch gefragt. Zarte Charaktere und vermeintliche Schwächlinge hatten in der damaligen rauen Welt nicht viel zu lachen. Der typische Trader von heute ist ein Uni-Absolvent mit hervorragendem Abschluss, bedient die automatischen Handelssysteme, übermittelt die Ausführungen dem Kunden online und geht nach Handelsschluss in ein Fitnessstudio. Ich bezweifele, dass es heute in den Banken noch Trader gibt, die sich annähernd vorstellen können, wie es sich anfühlt, am 30.12. im „Bitburger“ zu stehen und Briefkurse auf die eigene Hose, Schuhe und Hemd stellen zu müssen. Der junge Kollege von damals musste dann nackt im Schneetreiben (die Jacke wurde ihm gelassen) über die Freßgass laufen und war um 5.000 Euro reicher. Im Jahr 2020 undenkbar!

DER AKTIONÄR: Wir werden im Laufe dieses Buches ja immer wieder einzelne Anekdoten aus Ihrem persönlichen Handelsleben hören. Bevor wir nun in die Sachthemen einsteigen, noch eine Frage: Weshalb dieses Buch, weshalb dieser Zeitpunkt?

Stork: Nach unserem Ausstieg aus der Bankenwelt haben wir uns 2013 selbstständig gemacht. Ursprünglich haben wir diskretionär gehandelt, haben aber schnell erkannt, dass es schwierig ist, zu zweit mehr als 20 Märkte gleichzeitig im Auge zu behalten. So kamen wir auf die Idee, ein mechanisches System zu entwickeln, das uns dabei hilft. In der Fachwelt werden diese Systeme Algorithmen genannt. Unser erster Algorithmus war damit geboren. Zuerst als reine Handelsunterstützung bei der Beobachtung der verschiedenen Märkte konzipiert, entwickelten wir ihn bis Oktober 2015 zu einem vollautomatischen Handelssystem weiter. Wir sind nun also seit mehr als sieben Jahren in diesem Bereich aktiv und wollen mit dem Buch unsere Erfahrungen und Erlebnisse zusammenfassen.

Hechler: Wir sind inzwischen auf allen interessanten Rohstoffmärkten unterwegs. Wir mögen Volatilität – und irgendwo in den Rohstoff-/FX-Märkten ist immer etwas los. Im Sommer 2017 haben wir angefangen, nach einem Algo zu suchen, der uns entsprechende Signale im Trendfolgebereich liefern kann. So ist dann der zweite Algorithmus entstanden: ein Trendfolgesystem, das basierend auf Chartkonstellationen, Commitments-of-Traders-Daten (CoT) und saisonalen Effekten Kauf- und Verkaufssignale auswirft, die dann aber noch einer diskretionären Überprüfung unsererseits unterzogen werden. Wir werden in unserem Buch an anderer Stelle detailliert darauf eingehen. Unser Zeithorizont hat sich hier erweitert: Positionen werden Tage, ja manchmal Wochen gehalten. Live gegangen ist das System im Mai 2018.

Seit August 2019 werden die Signale und Trade-Set-ups in einer zweiwöchentlich erscheinenden Publikation, dem ALGOreport, besprochen. Wir haben einiges richtig, aber auch vieles falsch gemacht. Dieses Buch soll eine Orientierung für Trader sein, und damit es nicht zu langweilig und sachlich wird, haben wir unsere letzten 25 Jahre an den verschiedenen Börsen noch einmal Revue passieren lassen und einige „Storys“ festgehalten.

KAPITEL 2

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VOM PRÄSENZ-ZUM ELEKTRONISCHEN HANDEL – START DES ALGORITHMISCHEN TRADINGS

DER AKTIONÄR: Herr Hechler, zu welchem Zeitpunkt Ihrer Karriere haben Sie denn die ersten Erfahrungen mit Handelssystemen gemacht?

Hechler: Das war in den 90er-Jahren, als ich im Portfolio-Trading gearbeitet habe. Ein Fokus unserer Arbeit war damals die Arbitrage von DAX Kasse gegen den DAX-Future. Im November 1990 legte die damalige Deutsche Terminbörse, also die heutige Eurex, den DAX-Future auf (FDAX). Der DAX notierte vor 30 Jahren noch bei knapp 1.500 Punkten, jeder Punkt entsprach einem Gegenwert von 100 DM, der gesamte DAX kostete damals also rund 150.000 DM. Die Handelszeit war überschaubar: von 11:00 Uhr bis 14:00 Uhr. Wir rechneten den DAX damals in einem Excel-Sheet, das mit den Reuters-Kursen vom Frankfurter Parkett verknüpft war, manuell nach und hatten den Future parallel mitlaufen. Sobald sich eine Differenz von mehreren Punkten (konnte variabel eingestellt werden) zwischen dem FDAX und der Kasse ergab, wurde der Future verkauft (oder gekauft), und der Börsenmakler auf dem Parkett wurde angerufen und kaufte (oder verkaufte) einen von uns vordefinierten Basket der 30 DAX-Werte. Nach wenigen Minuten bekam man die Kurse vom Makler angesagt, die einzelnen Trades wurden dann von einem Junior-Trader oder einem selbst eingegeben. So konnten pro Basket, je nach Ausführungen der einzelnen Aktien auf dem Parkett, zwischen 1.000 und 5.000 DM „risikofrei“ verdient werden. Am letzten Handelstag des DAX-Futures wurden die Positionen dann wieder glattgestellt, für den Börsenmakler auf dem Parkett war das viermal im Jahr der große Zahltag. Idealerweise hatte der Makler einen Kontrahenten, der die Kasse long war, und einen Kontrahenten, der die Kasse short war, somit konnte er beide Seiten risikolos „crossen“ und kassierte zweimal die Kommission. Im Laufe der Jahre kannibalisierte sich der Arbitrage-Handel aber von allein, da immer mehr Marktteilnehmer etwas vom „free lunch“ abhaben wollten und die Margen so stark schrumpften, dass nach Kosten kaum noch ein Gewinn übrig blieb.

DER AKTIONÄR: Herr Stork, oft wird davon gesprochen, dass die Verschiebung des Umsatzes an den Börsen von den physischen Präsenzplätzen zu den elektronischen Handelssystemen den Startschuss für die Entwicklung des Algo-Tradings gegeben hat. Sehen Sie das auch so, und wenn ja, wann hat diese Entwicklung eingesetzt?

Stork: Diesbezüglich eines der einschneidendsten Erlebnisse war mein Besuch an der Londoner Börse LIFFE am 9. Oktober 1997. An diesem Tag hat die Deutsche Bundesbank den dritten Leitzins von 3 Prozent auf 3,3 Prozent erhöht. Das am meisten gehandelte Produkt der Londoner LIFFE war ein Terminkontrakt auf Bunds, die 10-jährige deutsche Staatsanleihe. Die DTB bot damals schon ein identisches Produkt an und hatte als elektronische Börse eine niedrigere Kostenbasis. Bis Ende 1996 war die LIFFE die mit Abstand größte Terminbörse in Europa, gefolgt von der MATIF in Paris und der DTB in Frankfurt. Die DTB war eine 1990 gegründete elektronische Börse und der Vorgänger von Eurex. Ich war damals genau zu dem Zeitpunkt der Zinserhöhung in der Nähe des Bund-Future-Pits. Die Präsenzbörsen waren damals noch in unterschiedliche „Pits“ unterteilt, räumlich abgetrennte Bereiche, in denen ausschließlich bestimmte Produkte gehandelt wurden. Die Reaktion war gewaltig: Innerhalb weniger Minuten wurden Millionen von Kontrakten gehandelt. Ein englischer Kollege erzählte mir damals, dass zu diesem Zeitpunkt eine massive Vergrößerung der Londoner Börse LIFFE geplant war. Ich meine mich sogar zu erinnern, dass er eine Vergrößerung der Handelssäle auf die Größe von drei Fußballfeldern erwähnte.

Niemand konnte sich an diesem Tag vorstellen, dass der gesamte Umsatz in diesem Vorzeigeprodukt an die DTB wandern würde. Ich kann mich erinnern, dass ich mir im Januar 1998, circa drei Monate nach meinem Besuch an der LIFFE, den Umsatz im Bund-Future dort über Reuters angesehen habe. Schockiert nahm ich zur Kenntnis, dass die Umsätze auf wenige Tausend Kontrakte geschrumpft waren. Die LIFFE war tot – für mich eines der gravierendsten Beispiele, wie schnell Veränderung in den Finanzmärkten passieren kann.

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Quelle: Shutterstock

ABBILDUNG 2.1 | LIFFE EXCHANGE LONDON 25.01.1993

Vollbesetzte LIFFE am 25.01.1993

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Quelle: Shutterstock

ABBILDUNG 2.2 | LIFFE EXCHANGE LONDON 18.11.1999

LIFFE Exchange London, 18.11.1999: Der letzte LIFFE-Tag an der Cannon Bridge, bevor sie computerisiert wurde. Das Bild zeigt, wie die letzten Händler ihre Geschäfte wie gewohnt fortsetzen.

In den USA hat diese Entwicklung mit einiger Zeitverzögerung eingesetzt. Ungefähr um 2007 sind die Umsätze an den „Pits“ langsam zu den elektronischen Handelssystemen abgewandert. Man kann das übrigens wunderbar in den sogenannten „Backtests“ von Algorithmen erkennen. Viele Algos, die bis 2007 einwandfrei funktioniert haben, funktionieren danach überhaupt nicht mehr.

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Quelle: Elektronischer Handel versus Präsenzhandel: Eine Untersuchung des Wettbewerbs von Terminbörsen am Beispiel des DM-Bund-Future, Prof. Dr. Wolfgang Bessler, Dr. Thomas Book, Mai 2002.

ABBILDUNG 2.3 | ELEKTRONISCHER HANDEL VERSUS PRÄSENZHANDEL

Umsatzentwicklung des DM-Bund-Future an DTB/Eurex und LIFFE (1991-1998)

DER AKTIONÄR: Wann kam die nächste große Veränderung an den Märkten und wie hat sie sich auf das Trading ausgewirkt?

Hechler: Eigentlich startete das Algo-Trading schon Ende der 90er-Jahre. Die Verlagerung der Präsenzbörsen auf elektronische Plattformen ebnete den Weg zum vollautomatischen Trading. Der Marketmaker an der Terminbörse DTB quotierte seine Kauf-und Verkaufskurse schon vollautomatisch, das elektronische Handelssystem IBIS (Integriertes Börsenhandels-und Informationssystem) wurde 1997 durch das bis heute bestehende Xetra-System abgelöst. Durch Schnittstellen-Programmierung war es nun den einzelnen Marktteilnehmern möglich, sich direkt an die Börse anzubinden und verschiedene Handelsmodelle sowie Quotierungstools live zu handeln. Sogenannte Autopiloten, die vom Händler selbst eingestellt wurden, waren nun in der Lage, größere Orders über den Tag verteilt in regelmäßigen Abständen an die Börse zu leiten. Die fortschreitende Automatisierung hatte zur Folge, dass es teilweise nicht mehr möglich war, auf die angezeigten Kurse zu handeln. Sobald man eine Aktie, die auf dem Handelsschirm mit 51,43 Euro zum Verkauf angeboten wurde, kaufen wollte, war „jemand“ schneller und schnappte einem die Briefseite vor der Nase weg. Der nächste Kurs war dann zwei Cent höher und wurde vom selben Kontrahenten, der mit 51,43 Euro gekauft hatte, mit 51,45 Euro wieder verkauft. Mit dem bloßen Auge nicht erkennbar, wurden so die ersten Erfahrungen mit dem heute sehr verbreiteten „High-Frequency Trading“ gemacht. In der heutigen schnelllebigen Börsenzeit ist der HFT-Trader, gemessen am täglichen Volumen, der größte Akteur. Diese Form des Tradings ist sicherlich eine der profitabelsten und gleichzeitig umstrittensten Arten des Handels.

Im Nanosekundenbereich kauft und verkauft der programmierte Algorithmus Futures, Aktien oder Optionsscheine an den elektronischen Börsen weltweit. Eine noch legale Form des Insider-Tradings, denn der HFT-Trader hat gegenüber den anderen Marktteilnehmern einen entscheidenden Vorteil: die Geschwindigkeit. Teilweise sind die Rechenzentren der HFT-Firmen in der Nähe der Börsen und verfügen über eine direkte Anbindung an den Börsenrechner. Trotz der hohen Kosten ist diese Form des „legalen Frontrunnings“ sehr lukrativ und beschert den Firmen satte Gewinne. Dass es zu teilweise heftigen Verwerfungen an den Börsen durch vollautomatisierte Handelsprogramme kommen kann, beweisen folgende Beispiele: der berühmte Flash Crash im Mai 2010, als der Dow Jones innerhalb von wenigen Minuten mehr als 1.000 Punkte verlor, um danach wieder auf das alte Niveau zu steigen. Im August 2012 verlor Knight Capital durch eine Panne in der Trading-Software 440 Millionen Dollar an einem Tag. Abschließend kann bemerkt werden, dass durch die fortschreitende Verbreitung des Algo-Tradings in den verschiedensten Formen der Beruf des klassischen Börsenhändlers sozusagen wegrationalisiert wurde.

KAPITEL 3

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VERSCHIEDENE FORMEN DES TRADINGS

3.1Systematisches Trading

Das systematische Trading könnte sich kaum stärker vom diskretionären Trading im klassischen Stil unterscheiden. Sobald ein Händler eine Position nach einem klar vordefinierten Regelwerk eingeht, wird dieser Trade als systematisch bezeichnet. Ob die Order vollautomatisch durch ein Computerprogramm oder manuell eingegeben wird, spielt in diesem Fall keine Rolle. Der Vorteil des systematischen Tradings ist die vermeintliche Emotionslosigkeit in einem massiven Drawdown (Verlust zwischen einem Höchststand und dem darauffolgenden Tiefststand), den ein Trading-System, das backgetestet wurde, im Laufe der gehandelten Jahre sicherlich durchmacht. Der Trader, der fünf aufeinanderfolgende Verlust-Trades in einem über Jahre backgetesteten Handelssystem zu verkraften hat, geht besser mit dieser Situation um als der Händler, der mit den identischen Trades, die „aus dem Bauch“ eingegangen wurden, den gleichen Verlust einfährt. Die Märkte tun oft nicht das, was logisch erscheint. Der systematische Trader muss keine Angst vor seiner eigenen Psyche haben. Aufgrund der heutigen technischen Möglichkeiten ist es relativ einfach, selbst geschriebene oder gekaufte Handelssysteme in kurzer Zeit backzutesten. Wir empfehlen, die Backtests nicht über einen längeren Zeitraum als zehn Jahre durchzuführen. Im Zuge der Verlagerung des Präsenzhandels hin zum elektronischen Handel entstand ein neues Zeitalter, sodass es unserer Meinung nach nicht sinnvoll ist, auf ältere Daten zurückzugreifen. Kleinste Veränderungen im Regelwerk des Systems können im Backtest detailliert geprüft und angepasst werden. Als es noch keine Computer gab, wurde ein Backtest mühsam auf Millimeterpapier in tagelanger Schwerstarbeit durchgeführt – heute genügt ein Knopfdruck, und in wenigen Sekunden wird ein Markt mit vielen Parametern backgetestet. Ein erfolgreiches Handelssystem funktioniert idealerweise in mehreren verschiedenen Märkten und kann vom Trader ohne großen Zeitaufwand mit den entsprechenden Programmen 24/7 gehandelt werden. Somit sinkt der Zeitaufwand erheblich und der Trader muss nicht den ganzen Tag vor dem Schirm verbringen. Dadurch werden Wahrnehmungs- und Entscheidungsfehler massiv reduziert.

3.2Extrembeispiel für systematisches Trading: LTCM und seine Folgen

Der Vorläufer des LTCM-Desasters war eigentlich die Russlandkrise, die 1998 zur Zahlungsunfähigkeit des russischen Staates führte. Ein der Öffentlichkeit fast gänzlich unbekannter Hedgefonds namens Long-Term Capital Management (LTCM) hatte sich im großen Stil verspekuliert und konnte nur noch durch das Eingreifen der Notenbanken und Kredite namhafter Investmentbanken gerettet werden. Doch der Reihe nach.