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Copyright der deutschen Ausgabe 2020:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Gestaltung Cover und Herstellung: Daniela Freitag

Satz: Timo Boethelt

Lektorat: Sebastian Politz

Korrektorat: Karla Seedorf

ISBN 978-3-86470-708-7

eISBN 978-3-86470-709-4

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JUST GEORGE

GEGEN DAS
TABU

Ein Erfolgsunternehmer und sein Kampf
gegen die DEPRESSION

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INHALT

PROLOG

1. FEUER IM KOPF

APRIL 2019

2. WIE ALLES BEGANN

2007 BIS 2016

3. MIT VOLLGAS IN DIE DEPRESSION

ANFANG 2017 BIS APRIL 2019

4. BRANDBESCHLEUNIGER EINER DEPRESSION

APRIL BIS JUNI 2019

5. ENDSTATION PSYCHOKLINIK!

29. JULI 2019 BIS 31. AUGUST 2019

6. MEIN EIGENER JAKOBSWEG

SEPTEMBER 2019

7. PHASE 1:
ANKOMMEN IM REALEN LEBEN

8. PHASE 2:
ZURECHTKOMMEN IM REALEN LEBEN

9. PHASE 3:
VORWÄRTSKOMMEN

EPILOG

WERDE DEIN EIGENER THERAPEUT

PROLOG

Dieses Buch ist meine Geschichte und es ist entstanden, damit wir, die vielen Betroffenen, in Zukunft eine Hand mehr haben, die versucht zu helfen. Warum habe ich dieses Buch geschrieben? Weil mir meine innerste Stimmung dazu geraten hat, in der Zeit, in der ich allein mit mir in einem meiner schwersten Kämpfe war und sah, wie wir Menschen wirklich sein können, an einem Ort, an dem man Hilfe sucht und sie auch bekommt (zumal Menschen dort die Aufgabe und den Zweck in den Vordergrund stellen und nicht andere Dinge, sondern einzig und allein das Ziel, zu helfen) – insgesamt also getreu dem Motto „Schreib das Buch, vertraue dem Leben, es wird Gutes kommen.“ Bei meinen mitarbeitenden Kollegen Jochen Bohle und Stefan Koslowski bedanke ich mich herzlich.

Mein größter Dank geht an all die helfenden Hände, an die Haushälterinnen in der Klinik, die Schwestern, meine Therapeuten, die Mitpatienten und Betroffenen, die ich bis heute kennenlernen durfte. An meine Eltern, die mir ein Leben und eine tolle Kindheit geschenkt haben, die meine Schwester und mich so behütet aufwachsen haben lassen. Dank an meine Schwester, die immer da ist, wenn man sie braucht. Meinen Freunden, auf die man sich immer verlassen kann, die mir immer wieder ihre Zeit schenken und meinen Unfug immer gerne mitmachen. Die mich so nehmen, wie ich bin, mal ein Spaß zu viel am Abend, aber besser als einen zu wenig. Mein Engel auf Erden, meine große Stütze in jedem Sturm, meine Sonnenanbeterin, meine große Liebe, die ich für immer lieben werde, egal was kommt: Danke für alles, was du für mich getan hast, und dass du nach so langer Zeit immer noch mit mir lachen kannst.

Lieben Dank an alle, die an diese Mission glauben und mich immer wieder dazu ermutigen.

Danke für all die tollen Momente, mögen noch viele kommen!

1

FEUER IM KOPF

APRIL 2019

»Wir leben in einer verrückten Zeit:

Immer mehr Vorgetäuschtes

erntet echte Begeisterung«

Dieser Tag fing an wie so viele andere Tage auch und sollte zu einem der dramatischsten meines Lebens werden. Um elf Uhr hatte ich ein Meeting mit meinem Geschäftsführer und dem Leiter des Projektmanagements. Nach einer guten halben Stunde öffnete einer der Kollegen das Fenster des Besprechungsraums im vierten Stock und mir lief es eiskalt den Rücken runter. Ich begann, mich gedankenverloren auf das Fenster zu konzentrieren. Ich spürte, wie mich dunkle Dämonen aufsuchten und sich immer wieder derselbe Gedanke einstellte: „Wenn ich aus dem Fenster fallen würde, wäre ich diese Qual der Depression und diese tiefe innere Verzweiflung endlich los!“

Dass sich Dämonen tagtäglich auf meine Seele legten und versuchten, mich in den Abgrund zu ziehen und mir negative Gedanken einzupflanzen, war mir ja nicht neu. Neu war der Gedanke, dass ich tot wäre, wenn ich jetzt aus dem Fenster fallen würde. Ich spürte, wie sich dieser Gedanke einerseits erschreckend angenehm anfühlte, da es eine Lösung für die täglichen Qualen zu sein und eine ganz andere Perspektive zu eröffnen schien. Man ist so erschöpft, dass man für eine Sekunde bei diesem Gedanken hängen bleibt und für sich mehrfach wiederholt: „Wenn ich da rausfalle, ist es vorbei mit den Qualen. Wäre das nach all den Jahren endlich eine Erlösung? Der ganze Mist hätte endlich ein Ende.“ Andererseits fuhr es mir in der nächsten Sekunde in Kopf und Glieder: „Was für einen Scheiß denkst du denn da gerade?“

Ich war bestimmt einige Minuten des Gesprächs nicht mehr geistig anwesend und konnte mich auch nach der Rückkehr aus diesem Tagtraum schlecht konzentrieren. Aber das war nichts Neues, denn ich konnte mich schon seit gut neun Monaten kaum länger als ein paar Minuten auf eine Sache konzentrieren – außer beim Chillen auf der Couch auf das Netflix-Programm. Hoch konzentriert nichts tun, das ging. image Da mir auch schlecht wurde und sich dieser Gedanke wieder und wieder alle 20 Sekunden in meinem Kopf wiederholte und ich ihn einfach nicht mehr loswurde, sagte ich meinen Kollegen, dass es mir nicht gut gehen und ich nach Hause fahren würde. Meine Kollegen in meiner Digitalagentur wussten schon länger, dass ich nicht so gut drauf war, daher waren sie nicht verwundert, als ich mich dann schnell verabschiedete. Ich erklärte noch, dass ich weiter danach suchen würde, woher meine Erschöpfung käme, und machte mich dann aus dem Staub. Ich rannte die Treppe runter und auch da kam wieder der Gedanke: „Wenn du den Treppenschacht runterfallen würdest, wärst du tot.“ Der Gedanke war für mich auch deswegen so seltsam, weil er wie eine Feststellung in meinen Kopf schoss, nicht wie ein Tun. Einfach eine Feststellung, die zur Konsequenz hätte, dass die Höllenqualen, die mich tagein, tagaus begleiteten, endlich vorbei wären.

Ich lief eilig weiter, nur schnell weg aus dem Treppenhaus, in die Garage zu meinem Auto. Auf dem Weg merkte ich, dass ich etwas ruhiger wurde, da ich auf Straßenebene angekommen war und nicht fallen konnte, außer auf die Schnauze, was nur wehtäte, mich aber nicht umbringen würde. Immer noch von Unruhe getrieben und gedankenverloren fuhr ich nach Hause und war heilfroh, als ich in meinem Wohnzimmer auf dem Sofa ankam, mich hinlegen und etwas zur Ruhe kommen konnte von dem Wahnsinn, den ich gerade erlebt hatte. Nach einigen weiteren Minuten beruhigte ich mich und schlief auf dem Sofa ein.

Bevor ich einschlief, dachte ich mir noch: „Unfassbar, dass sich solche Gedanken in meinem Hirn abspielen!“ Jetzt kann man natürlich der Ansicht sein: Eine Krise, einen Durchhänger oder eine Panikattacke hat schließlich jeder mal und man erholt sich davon auch wieder. Aber jeder hat so eine Attacke irgendwann zum ersten Mal! Ich wusste nicht, wie mir geschah, und war plötzlich in noch größerer Not als vorher. Die nächsten Tage und Wochen sollten für mich noch schlimmer werden.

2

WIE ALLES BEGANN

2007 BIS 2016

»Das Wesen eines Menschen erkennt man erst,

wenn es um Wesentliches geht«

DER 10. NOVEMBER 2009, ROBERT ENKE

Ich war schon einige Wochen daheim, als ich am 10. November 2009 wieder extrem ausgebrannt auf dem Sofa lag, um nur mal wieder ein paar Filme zu schauen. Das ging schon seit Tagen so, ich konnte mich zu nichts aufraffen. Mehr Schlaf als sonst brauchte ich auch. Aber am schlimmsten waren die Tage, an denen ich nicht mehr aus dem Bett kam und an denen eine Stimme im Kopf sagte: „Steh auf, putz die Zähne!“ und die andere Stimme fragte: „Warum?“ Ich wusste einfach nicht, was mit mir los war.

Der 10. November 2009 war ein sonniger Dienstag, und es war genau einer dieser Tage, an denen ich schon mit dem Aufstehen und dem tieferen Sinn des Zähneputzens gekämpft hatte. Plötzlich, als ich so auf dem Sofa lag, kam über den Nachrichtenticker die Meldung, dass ein Spieler der Fußballnationalmannschaft von einem Zug überfahren worden war. Es handelte sich um Robert Enke. Fuck, das war heftig. Ich mochte Robert Enke, war fast schon ein Fan von ihm, weil er auf eine so ruhige und angenehme Weise seinen Weg als Sportler ging. Ich war echt schockiert und saß auf meinem Sofa wie ein Häuflein Elend. Die News lief den ganzen Tag auf jedem TV-Kanal und durchs Internet. Am nächsten Tag dann die bittere Erkenntnis: Es war Selbstmord. Robert Enke litt unter Depressionen und hatte sich vor den Zug geworfen. „Fuck, Depression? Was?“

Zu diesem Zeitpunkt brachte ich meine Erkrankung noch nicht wirklich mit Depressionen in Verbindung, eher mit einem heftigen Burnout. Ich war sicher, meine Kraft würde schon wiederkommen. Hey, ich war 34 Jahre alt, stand mitten im Leben, hatte zwar einige Schicksalsschläge hinter mir, aber ansonsten war doch alles tutti, dachte ich. Ich begann zu recherchieren und merkte immer mehr, dass ich vielleicht doch in einer Depression steckte. Aber so richtig vorstellen konnte ich mir das nicht; damit zu einem normalen Arzt zu gehen, kam mir und meinem Ego nicht in den Sinn. Ich machte den Stress in der Firma und den Druck wegen des Kindes für meine Probleme verantwortlich. Aber der Tod von Robert Enke machte mir doch sehr zu schaffen und ich suchte weiter nach Informationen zu seiner Erkrankung. Material zum Thema Depressionen war damals allerdings bei Weitem noch nicht so gut zu finden wie heute. Woran ich mich noch sehr genau erinnere, ist, welcher Gedanke mir damals in meiner eigenen, vielleicht auch schon depressiven Situation auf dem Sofa durch den Kopf schoss: „Ich kann verstehen, dass man nur noch will, dass es aufhört, wenn man so verzweifelt ist.“

WENN MAN AN ZWEI FRONTEN KÄMPFT, KANN MAN AUCH AN ZWEIEN VERLIEREN

Schon zwei Jahre vorher, 2007, hatte mich das Schicksal von zwei Seiten her gebeutelt – privat und beruflich. Nach dem Verkauf von Anteilen unseres Börsenverlags an einen Investor war kaum Zeit zum Feiern. Es tauchten dunkle Wolken am Horizont unserer Branche auf und die Überhitzung des Finanz- und Bankenmarkts, in der unser Verlag einer der Marktführer war, schickte ihre Vorboten aus.

Wenige Wochen nach dem Deal mit der Firma gab es dann privat eine gute Nachricht: Meine Freundin war schwanger. Wir waren unfassbar glücklich, dass es nach Jahren des Versuchens endlich geklappt hatte. Die Jahre des Kinderwunsches waren nicht spurlos an uns vorübergegangen – das hatten wir bereits bemerkt. Der Arzt der Kinderwunschklinik meinte noch – ich weiß es wie gestern: „Den Champagner können Sie schon mal kalt stellen, Glückwunsch, aber noch nicht trinken!“ Wir freuten uns beide sehr und ich besonders für meine Freundin. Sie ist ein wunderbarer Mensch, der mir immer den Rücken stärkt, für mich da ist, gerade in schwierigen Zeiten. Und sie hat keine Ansprüche, die sie nicht auch selbst erfüllen kann. Dazu kommt, sie ist immer gut gelaunt, mit einem Lächeln für mich und andere auf den Lippen. Zum Glück ist sie schon meine Freundin, sonst würde ich sie mir genau so backen. Da wir auch gerade in unser eigenes Haus gezogen waren, schien unser Glück für einen Moment perfekt. Ein guter Zeitpunkt, meine Idee weiterzuverfolgen, mich aus dem Vorstand der Firma zurückzuziehen. Nach zehn Jahren des heftigen und lehrreichen Schuftens in verschiedenen Firmen jetzt mal den Erfolg und die finanzielle Unabhängigkeit zu genießen, war ein verlockender Gedanke, gerade auch angesichts der geglückten Schwangerschaft. Ein wunderbarer Anlass, mich für einige Zeit auszuklinken, mich mal zu erholen und zu überlegen, was ich in der Zukunft als Nächstes erreichen wollte.

Der Deal mit dem Investor war gerade ein paar Monate alt und der neue Gesellschafter bekam einen neuen Vorstandsvorsitzenden. Seltsam war: Der Vorgänger, mit dem ich alles eingefädelt hatte, war von einem Tag auf den anderen nicht mehr erreichbar und völlig von der Bildfläche verschwunden. Es wurde dann schnell klar, dass die Stimmung bei unserem neuen Anteilseigner, unter dem neuen Chef, langsam kippte und etwas nicht stimmte. Durch die nahende Bankenkrise war der Markt eh schon in Aufruhr und man spürte größere Probleme auf den Finanzmarkt und die Wirtschaft zukommen. Offenbar wurde auch die Mittelakquise bei unserem Investor schwieriger und er begann, mit Fragen und permanenten Anfragen zu Zahlen in unserer AG herumzustochern. Bekanntlich macht der Ton die Musik und dieser Ton wurde rauer. Ich war darin zur damaligen Zeit auch ab und an nicht der Beste. Ich schiebe es mal auf mein noch junges Alter. Ich mag es einfach nicht, wenn mich jemand von oben herab behandelt. Noch gehörte die Mehrheit an der Firma ja mir und meinem Partner.

Es kam das, was kommen musste. Der neue Vorstandsvorsitzende verklagte uns im Frühjahr 2008 auf Rückabwicklung des Anteilsverkaufs. Zum Glück hatte ich alles wasserdicht durch einen Notar besiegeln lassen. Um alle Eventualitäten zu checken, wollte mein damaliger Partner trotzdem einen Anwalt in München nehmen, um die Verträge zu sichten und die Situation zu besprechen. Auf der Fahrt nach München hatte ich ein komisches Gefühl. Ich war da noch nie so gerne. Die Menschen dort haben so eine Art zu denken, sie seien der Nabel der Welt. Hätte ich damals gewusst, dass dieses Gespräch ein großer Tropfen in mein schon fast volles Fass werden würde, hätte ich mir eventuell die erste Depression sparen können. Hätte, hätte, Fahrradkette.

Da saßen wir dann also bei dem Anwalt in München und nach einigem Vorgeplänkel kam aus dem Nichts die Frage, ob denn die Vollmacht, die mir mein Partner für die Abwicklung des Anteilsverkaufs aus seinem Urlaub in Tokio geschickt hatte, eigentlich rechtlich in Ordnung sei. Die Frage kam so rüber, als hätte man schon darüber nachgedacht, mögliche Probleme einfach mir in die Schuhe zu schieben. Alles wirkte so klar und vorbereitet. Unglaublich, mit mir so umzugehen – demjenigen, der die Firma zu dem gemacht hatte, was sie war. Ich hätte ja auch einfach meine Anteile verkaufen können und wäre ein gemachter Mann gewesen. Stattdessen teilte ich fifty-fifty, wie es sich unter Partnern gehört. Ich muss sagen, mich traf diese Frage und die Art, wie sie vorgebracht wurde, tief. Ich konnte es kaum fassen.

Solche und ähnliche spätere Erlebnisse, die ich moralisch verwerflich finde und die meinen eigenen Wertvorstellungen widersprechen, haben mich in die berufliche Verzweiflung getrieben. Nicht schnell, nicht sichtbar, sondern langsam. Schritt für Schritt ging es bergab.

DER ERBITTERTE KAMPF UM DIE FIRMA UND UNSERE FAMILIENPLANUNG

Nach Wochen des privaten Höhenflugs – wir waren schon dabei, die Farbe des Kinderzimmers auszusuchen – erfuhren wir bei einer Routineuntersuchung, dass der Embryo nicht weitergewachsen war. Fuck! Das zog uns richtig den Boden unter den Füßen weg. Ich will dazu nicht viele Worte verlieren, aber es war eine extrem schwere Zeit. Es zerriss mir das Herz, die Höllenqualen meiner Freundin zu sehen. Wie die ganze Vorfreude auf unsere Familie und ihre Zuversicht aus ihr wichen und sie eine lange Zeit nur ein Schatten ihrer selbst war. Dieser Rückschlag begann an uns und unserer Beziehung zu nagen.

In der Firma war ich sehr enttäuscht und wütend auf meinen Partner, nach allem, was ich für ihn getan und ausgehalten hatte, um unsere Ziele zu erreichen, während der werte Herr lieber das Leben genossen und unserer Firma ständig Steine in den Weg gelegt hatte. Damals dachte ich das erste Mal: „Womit habe ich das verdient?“ und dass sich offenbar einige Menschen mehr nach ihren persönlichen Vorteilen richten und nicht als Erstes nach dem, was gut für die Firma ist. Jung, dumm und naiv, wie ich war, rieb ich mich immer mehr zwischen meinem privaten Familienglück und dem ganzen unnötigen Stress in der Firma auf. Darauf nahm auch keiner Rücksicht.

Die Zeit plätscherte dann so dahin. Das Leiden meiner Freundin zu sehen tat mir in der Seele weh. Und die Stimmung in der Firma war nach dem Anteilsverkauf und dem ganzen Theater drumherum auch nicht mehr die beste. Sonderlich motiviert war ich nicht mehr, zumal jetzt immer mehr Personen nach Wegen suchten, auch was vom Kuchen abzubekommen. Ich kapselte meine Sorgen ein und überlegte krampfhaft, wie ich meine Frau wieder zum Lachen bringen und von ihrem Schmerz ablenken könnte. Am liebsten hätte ich den ganzen Schmerz selbst auf mich genommen.

Doch in schwierigen Zeiten die Flinte gleich ins Korn zu werfen war noch nie unser Ding. Eines Abends keimte in mir die Idee auf: „Wie wäre es denn mit Heiraten?“ Wir wollten eigentlich nie heiraten. Wir waren zu diesem Zeitpunkt gute zehn Jahre zusammen, also lange genug, um uns sicher zu sein. Auch dass wir in 50 Jahren Händchen haltend auf einer Parkbank sitzen und zusammen auf unser Leben zurückschauen würden, hatten wir schon fest ausgemacht. Außerdem waren wir überzeugt davon, dass man durch ein Stück Papier auch keine bessere Beziehung führen würde. Allerdings hatte mir mal eine Freundin den Hinweis gegeben, dass viele Frauen das anders sehen, frei nach dem Motto „Solange der Kerl einem nicht einen Ring an den Finger steckt, ist der Deckel noch nicht drauf.“

Ich musste auch nicht lange überlegen, denn wenn ich jemanden heiraten würde, dann nur sie. Also schmiedete ich einen Plan, um sie mit einem besonders schönen Antrag zu überraschen. Ich reiste für das Einsingen meines Heiratsantrags nach Berlin, zum Tonstudio meines Freunds Nemo von Ghostwriter Entertainments. Dazu muss man sagen: Die 8.000 Knöpfe im Studiopult halfen auch nichts. Der Song „Ich kenne nichts von Xavier Naidoo“ hörte sich nach zehn Stunden Einsingen genauso schlecht an wie beim ersten Versuch. Aber egal, wir pressten meinen gesungenen Antrag auf CD und ich ging einen schönen Verlobungsring aussuchen, der ihr besonders gut stehen sollte. Meine Idee war ein voller Erfolg! Sie nahm meinen Antrag unter Tränen an. Durch die ganzen Hochzeitsvorbereitungen wurde sie wieder ganz die Alte und so gut abgelenkt, dass alle Sorgen wie weggewischt erschienen.

So ließen wir das Jahr 2008 ausklingen, mit der standesamtlichen Trauung inklusive einer wunderbaren Überraschung von Marc, Djuli und zehn weiteren guten Freunden, die uns vor dem Standesamt empfingen, ohne dass wir davon vorher wussten.

So schön das alte Jahr endete, so schwierig begann das neue Jahr 2009. Ich wurde immer unruhiger und fühlte mich in meiner Firma mit dem ewigen Streit und der aufgeheizten Stimmung einfach nicht mehr wohl. Die Idee, meine Firmenanteile teilweise neu zu verteilen und dadurch auch die Verantwortungen neu zu vergeben, fiel auf fruchtbaren Boden. Aber damit weckte ich gleichzeitig Interesse und stieß natürlich ungewollt Dinge an, die ich nicht kontrollieren konnte, aber noch kontrollieren wollte. Da es meine Idee gewesen war, meine Anteile und meinen Vorstandsposten abzugeben, wollte ich auch die Regeln für die Lösung bestimmen, wenn ich es schon günstig für die Kollegen machte.

Doch so einfach ist das Leben manchmal nicht. Es lief überhaupt nichts rund, weder im Job noch privat: In der Firma dauerte alles viel länger, als ich es mir gewünscht hätte, und als die nächsten ICSI (künstliche Befruchtung) schiefgingen, bröckelte es in mir immer mehr. Nur der blanke Wille brachte mich durch die Wochen – mit immer größeren Anzeichen von Erschöpfung, die ich einfach wegdrückte, indem ich mich nur auf die kommenden Aufgaben konzentrierte: die Firma weiter am Laufen zu halten in diesen schwierigen Zeiten vor der nahenden Banken- und Wirtschaftskrise.

In diesen stürmischen Wirtschaftszeiten unsere kirchliche Hochzeit zu planen war da eine schöne Abwechslung. Und auch wenn die nächsten ICSIs leider wieder nichts wurden, freuten wir uns sehr auf die Hochzeit. Unsere Eltern samt Familien sind einfach eine sehr lustige Truppe. Und dass mein Geschäftspartner es nicht für nötig hielt, zu kommen, sagte eigentlich schon alles. Es war ohne ihn eh viel schöner. Das i-Tüpfelchen machen sowieso die wirklichen Freunde aus. So wurde es ein rauschendes Fest, mit über 90 Leuten, obwohl wir es eigentlich kleiner halten wollten, bei strahlendem Sonnenschein und 30 Grad auf einer großen Terrasse in einem tollen Lokal auf dem Land. Absoluter Höhepunkt, die Krönung aller Überraschungen, war das Megafeuerwerk, das mein Freund Helmut organisiert hatte. Es war so hell und bombastisch, dass die Autos an der nahe gelegenen Autobahn extra anhielten.

Einige Tage nach der Hochzeit ging es direkt auf eine Traumreise in unser Lieblingsurlaubsziel Florida und danach zur eigentlichen Hochzeitsreise auf die Bahamas. Es war dort wie immer traumhaft schön. Bei der Gelegenheit kam mir der Gedanke, einen Teil meines Geldes in eine Wohnung am Meer in Miami anzulegen. Wie cool wäre das denn?

Noch vor 14 Jahren saß ich einmal nachts auf einer Bank an der Straße, als ein Audi Coupé an mir vorbeifuhr, und ich fragte mich, ob ich mir jemals so ein Auto würde leisten können. Und jetzt überlegte ich, mir eine Wohnung in Miami zuzulegen. So langsam wurde mir klar, was ich bis dahin alles schon in meinem Leben erreicht hatte. Es gab ja früher durchaus auch Zeiten, in denen ich nicht wusste, wie ich das Essen bezahlen sollte. Der Urlaub war traumhaft, die Rückkehr ins Büro im September 2009 leider nicht. Nach über vier Wochen Hochzeitsreise saß ich in meinem Büro, hatte null Komma null Power und war direkt wieder total ausgelaugt und mit meinen Nerven am Ende. Was war denn bloß los mit mir?

DER 10. NOVEMBER 2009 – EIN SCHWARZER TAG FÜR MEINE SEELE

Nach dem Schock und der tagelangen medialen Berichterstattung über den Tod von Robert Enke war ich kaum ansprechbar. In mir drehte sich alles und ich hatte einen richtigen Nervenzusammenbruch. Meine Verzweiflung wurde so groß, dass ich in mehreren Kliniken anrief und um Hilfe bat. Aber die Antwort war nur: „Wir schicken Ihnen einen 18-seitigen Bogen zu, den Sie bitte ausfüllen.“ Ich hatte dafür keine Kraft, meine Nerven lagen blank. Es war schon kaum zu schaffen, diese Anrufe zu tätigen, und dann noch ein Formular auszufüllen, unmöglich. Wenn ich gesund bin, traue ich mir sogar die Besteigung des Mount Everest ohne Vorbereitung zu. Aber in meiner Situation schien mir selbst das Ausfüllen eines Formulars schwieriger zu sein, als den höchsten Berg der Welt zu bezwingen. Ich schaffte es nicht, meine Frau zu bitten, den Bogen mit mir auszufüllen. Ich wollte ihr auch nicht sagen, wie schlimm es mir ging, und versteckte das daher ziemlich gut vor ihr.

Ich versuchte dann, die Erlebnisse und die Angst der letzten Monate im Rücken, meinen Plan in der Firma umzusetzen, mich teilweise zurückzuziehen. Auch, um mich so aus der Depression rauszuarbeiten. Die Idee war konkret: Einer meiner Mitarbeiter aus dem Vertriebsteam sollte meinen Posten und meine Anteile übernehmen und der Finanzvorstand meine restlichen Anteile. Ich wollte nur noch einfacher Vertriebsmitarbeiter bleiben. Fehlte nur noch, das Ganze in die Tat umzusetzen.

Und das alles spielte sich vor dem Hintergrund ab, dass meine Frau und ich es weiter mit der künstlichen Befruchtung versuchten, was uns natürlich beide sehr belastete. Das Schlimmste war, dass alle in der Firma davon wussten, es den Herren aber egal war und sie lieber auf ihren Vorteil schauten, ohne Rücksicht auf Verluste. Ich hätte alles verzeihen können, aber dass sie das, was dann folgte, ohne Rücksicht auf mich und besonders meine Frau durchzogen, liegt bis heute wie eine Bleikugel in meinem Magen. Leider ist mir die Erfahrung nicht erspart geblieben, mit einer solchen menschlichen Enttäuschung umzugehen und sie zu verarbeiten. In so einem Ausmaß kannte ich das nicht, hatte es nicht erwartet und wusste auch nicht, wie es sich in meine Seele einbrennen und welche katastrophalen Folgen es für mich haben würde.

TAGE DER WAHRHEIT: EHRE ODER WORTBRUCH

Wir waren nach den ganzen ICSIs im ersten Halbjahr 2010 noch mal zwei Wochen zur Erholung in den Urlaub gereist, aber die vergingen zu schnell und ich war wieder in der Wirklichkeit angekommen. Ich wollte nun das Besprochene mit den Kollegen in der Firma durchziehen und über die Bühne bringen. Mein Bauchgefühl sagte mir mal wieder, dass etwas nicht stimmte. Aber das war mir egal, ich war mir sicher, dass ich das Spiel besser könnte als die beiden.

Ich veranlasste sowohl die Erstellung der Unterlagen für die Aufhebung meines Vertrags als auch der Papiere zum Verkauf der Anteile. Meinen neuen Arbeitsvertrag ließ ich mir per E-Mail bestätigen. (Heute reicht mir auch nur ein Wort. So sollte das im Leben sein, wenn jeder sich an sein Wort hält, gibt es keine Probleme.) Tief in mir wusste ich wohl schon, dass sie ihr Wort nicht halten würden. Für den Fall der Fälle war da ja noch die eine Klausel in meinem Vorstandsvertrag – mit einer Abfindung, wenn der Vertrag nicht verlängert würde. Ziehen wollte ich die Klausel nicht, aber zur Not würde ich sie ziehen, wenn mein Partner tatsächlich nicht Wort halten sollte. Ich beschloss, es darauf ankommen zu lassen. Die Unterschriften liefen alle glatt, der Deal war unter Dach und Fach. Im September wollten wir dann meinen neuen Arbeitsvertrag als Vertriebsleiter schließen.

Meine Frau und ich fuhren im August noch mal in den Urlaub nach Miami, um die Sonne zu genießen, aber auch, um zu überlegen, ob wir dort nicht vielleicht sogar ein paar Jahre leben wollten. Unter Palmen am Strand mit einem Cocktail in der Hand – es gibt schlechtere Orte für eine Auszeit. Ich informierte mich, was eine für uns passende Immobilien kosten würde. Da die geplatzte Immobilienblase noch voll im Gange und der Immobilienmarkt in den USA zum Erliegen gekommen war, lag der Dollar bei 1,40 und die Preise für Immobilien waren im Keller. Der Floh in meinem Ohr, Geld in eine Immobilie zu stecken, wurde zu einer konkreten Idee:

a)Das Geld ist gut und sicher in einer Immobilie geparkt.

b)Ein Verlust bei diesem niedrigen Stand und guten Wechselkurs ist unwahrscheinlich.

c)Das Gefühl, sich so einen Traum zu erfüllen, ist unbezahlbar.

d)Reisen und Leben in fernen Ländern bildet.

e)Sonne und Spaß als Rendite reichen mir völlig aus, mehr brauch’ ich nicht.

Und wie es der Zufall so wollte, fanden wir in einem der Türme direkt am Strand eine schnuckelige kleine Neubauwohnung im 33. Stock für den Preis, den man auch für eine normale 3-Zimmer-Wohnung in Deutschland bezahlt. Sieben Pools am Deck im sechsten Stock, 2.000 qm Fitnessstudio, eigener Strand und in erster Meereslinie. Dafür bekam man schon damals in München nur eine 2-Zimmer-Wohnung mit Blick auf das Nachbarhaus.

Sich den Traum von einer Wohnung am Atlantik zu erfüllen wäre einfach nur geil. Doch vom Traum zum Albtraum ist es manchmal nur ein kurzer Weg: Im September stand ja der schriftlich ausgemachte Termin an, um meinen neuen Angestelltenvertrag als Vertriebsleiter zu unterschreiben. Zwei Tage vorher kam eine Mail (!) von meinem ehemaligen Partner, dass man künftig auf meine Dienste in der Firma verzichten werde, ich also nicht Vertriebsleiter werden würde. Dieses Verhalten haute mich um und verletzte mich tief. Ich war zwar darauf vorbereitet, aber dass sie mich so ausschalten wollten, hätte ich einfach nicht gedacht, warum auch? Wieder mal hatten mein gesunder Menschenverstand und mein Bauchgefühl recht behalten. Ich sollte einfach öfter daraufhören.

Das war bis dato mein größter beruflicher Erfolg und gleichzeitig meine schlimmste Erfahrung. Und ich lag ja sowieso schon nach dem Verlust unseres Kindes am Boden. Aber mich mit einem Wortbruch aus der eigenen Firma zu schmeißen war ein heftiges Erlebnis. Mir so das Messer in den Rücken zu stechen war eine bittere Pille, die ich noch Jahre mit mir herumtrug. Und dabei hatte ich ihnen meine Firmenanteile sogar nur zum reinen Kassenwert überlassen. Auf dem freien Markt hätte ich das X-Fache erlösen können.

Wer mich kennt, weiß, ich schmeiße nie den ersten Stein, sondern versuche immer, alles gütlich zu klären. Aber ich stoppe auch nicht nach einer Niederlage oder wenn ich erschöpft bin, sondern erst, wenn ich fertig bin. Und da war ja noch die Klausel aus meinem Vorstandsvertrag …

DER VERSUCH, ALLES HINTER MIR ZU LASSEN UND DIE SEGEL ZU HISSEN

Nach einigen Monaten hatte ich mich psychisch scheinbar einigermaßen stabilisiert. Dafür traten plötzlich verstärkt körperliche Beschwerden auf. Herzrasen, extremes Bruststechen, Tests ohne Befund, Kurzatmigkeit auf der Lunge, EKG ohne Befund, extreme Magenprobleme, Magenspiegelung ohne Befund, Druck auf dem Gehirn, auch ohne Befund. Ich rannte monatelang zu Ärzten, alles ohne ein Ergebnis. Heute weiß ich, dass die Symptome letztlich doch ausschließlich auf meine psychische Schieflage zurückzuführen waren.

Im Februar 2011 musste ich mich entscheiden, die Klausel aus meinem Vorstandsvertrag zu ziehen oder nicht. Mein Anwalt Herr Popp sagte, die Klausel sei nahezu wasserdicht, bemerkte aber auch meine Skrupel, da ich nicht die restlichen Mitarbeiter in der Firma unter dem Fehlverhalten anderer leiden lassen wollte. Ich wusste, dass meine Abfindung so hoch sein würde, dass dadurch die Firma durchaus in Schieflage geraten konnte. Der Anwalt meinte, ich solle einfach schauen, dass ich zu meinem Recht käme und die Sache abschließen, moralisch sei ich sowieso auf der richtigen Seite.

Die Klausel war mein einzig legales Mittel, die Herren in die Schranken zu weisen und mir Genugtuung zu verschaffen. Aber dazu musste ich rechtlich Vollgas geben, ohne den vollen rechtlichen Druck würde es keine gütliche Einigung geben. Ich entschloss mich, mir zu holen, was mir zustand. Da sie ihr Wort gebrochen hatten, musste ich meinen Teil der Abmachung, die Klausel nur im Notfall zu ziehen, mir gegenüber auch einhalten; so würde ich die Herren nicht davonkommen lassen. Gesagt, getan, ich erfand einen Vorwand, um in die Firma zu gehen, und überreichte meinem ehemaligen Mitarbeiter und neuen Herrn Vorstand die Klage persönlich. Das war mein persönliches Highlight 2011: ihm in die Augen zu schauen und ihm die Klage über eine hohe sechsstellige Summe persönlich in die Hand zu drücken. Ich sagte ihm, das habe er nun davon, mich hinterrücks zu hintergehen. Das saß. Ich verließ sein Büro und war gespannt, wie die Reaktionen ausfallen würden.

Zusammen mit meinem Freund und Geschäftspartner Marc, der das Unternehmen eine kurze Zeit vor mir verlassen hatte, startete ich dann eine neue Beratungsfirma „Crossblue Media“. Durch meine guten Kontakte in verschiedene Branchen und meine alte Sales-DNA kamen wir schnell an Aufträge und Einnahmen, am Anfang vor allem im Bereich Marketing. Später wollten wir uns dann weitere spannende neue Projekte suchen.

In den Osterferien verbrachten meine Frau und ich einige Wochen in unserer kleinen, aber feinen Wohnung in Florida. Es war schon ein unbeschreibliches Gefühl, das Aufstehen, den Strand, Sonne und gut gelaunte Leute einfach mal nur zu genießen. Der Abstand zu meiner alten Firma wurde größer und tat mir gut. Und mein neuer Partner Marc sorgte dann letztlich durch seine Vermittlung dafür, dass es nach mehreren Gesprächen mit meinem alten Partner via Skype aus Florida zu einer gütlichen Lösung kam: Wir einigten uns auf eine Summe. Ich war zwar immer noch sauer und hatte überlegt, ob ich nicht doch die Klage durchziehen sollte. Viel hatte nicht gefehlt. Aber man muss loslassen können. So trennten sich unsere erfolgreichen und aufreibenden Wege nach acht Jahren in der gemeinsamen Firma. Als wir uns ein paar Wochen später zufällig auf der Straße trafen, gaben wir uns die Hand und jeder ging seiner Wege.

Mitte 2011, nachdem ich langsam zur Ruhe gekommen war und etwas Abstand von allem gewonnen hatte, dachten wir ernsthaft darüber nach, ganz in die USA auszuwandern, einfach, um einmal etwas Neues zu machen: ein Abenteuer, das einem bestimmt viel bringen würde. Eine Wohnung hatten wir ja schon. Wir hatten nach der fünften gescheiterten ICSI die Kinderplanung mal auf Eis gelegt, da unser Leben relativ stark von dem Thema Nachwuchs bestimmt wurde – was für eine Beziehung auch nicht das Gelbe vom Ei ist, wenn man nach drei Jahren ohne Pille und den anschließenden Versuchen mit der künstlichen Befruchtung immer noch keinen Erfolg hat. Das wird dann anstrengend und man muss aufpassen, dass man sich als Paar nicht darin verliert; wir wollten nicht, dass ein Kind da, aber die Beziehung kaputt ist.

ADOPTION – EINE WEITERE IDEE, UM DOCH EINE FAMILIE ZU GRÜNDEN

Eines Morgens wachte ich auf mit der Idee im Kopf, ob wir nicht ein Kind adoptieren sollten. Meine Frau fand die Idee auch ganz gut, so würden ihr weitere Spritzen und Medikamente erspart bleiben. An einem der nächsten Abende diskutierten wir, wie und wo. Von Freunden wussten wir, dass es in Deutschland mit unserem Durchschnittsalter kaum eine Chance gab. Also fragten wir uns, wo dann? Ich löste die Frage rückwärts und fragte mich, welche Länder nicht infrage kämen: Einige Länder waren aus sprachlicher und rechtlicher Sicht zu anstrengend, wegen der schieren Menge an Papierkram, Verträgen und Reisen.

Am späten Abend meinte ich dann: „Wenn wir adoptieren, kann und soll man das auch sehen! Das stört uns nicht.“ Und da schoss mir der Gedanke an Boto, den kleinen Jungen aus dem Film „Plattfuß am Nil“, durch den Kopf. Ich hielt das für eine gute Idee und meine Frau auf Anhieb auch. Wir wollten uns dann mal anschauen, wie so was in Afrika funktionierte. Meine Art, Dinge anzugehen, Firmen aufzubauen, keine Probleme zu sehen, sondern Lösungen zu suchen, würde mir bestimmt helfen, diese Aufgabe anzugehen, das strukturiert voranzutreiben und damit auch weniger Stress zu haben. So begann ich Anfang 2012 mit der Recherche.

Es lief alles glatt. Wenn ich etwas mache, dann interessiert mich alles, auch das Drumherum. So kam es, dass ich mir den Verein Africa Child e.V. vorher direkt vor Ort in Afrika ansehen wollte, um auf die vielen Aspekte der Adoption gut vorbereitet zu sein. Herr März, der Chef der Adoptionsstation und des Hilfsvereins für Kinder und Mütter in Afrika, begrüßte mein Ansinnen. Gesagt, getan, ich stieg in eine Lufthansa-Maschine (meine Frau hatte keinen Urlaub, und dem Chef zu beichten, wieso sie Sonderurlaub brauchte, ließen wir sein) nach Mombasa. Als ich ankam und aus dem Flughafen raus war, fiel mir auf, dass schon der Flughafen im Dschungel lag und noch dazu auf einer Insel. Herr März holte mich in seinem Bus vom Flughafen ab und wir fuhren direkt zu einer Fähre. Na ja, es war mehr eine schwimmende Plattform, und ich bekam gleich mal den ersten Schreck, wie die andere Welt, die man nur aus dem Fernsehen kannte, plötzlich real und so nah war. Im Radio wurde seit Tagen vermeldet, dass die Taliban angekündigt hatten, die Fährverbindung am Flughafen zu sprengen … Redeten wir über die Fährverbindung, auf der ich gerade im Auto saß? Das waren heftige zehn Minuten auf dem Floß, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen. Die Mutter-Kind-Station war gut zwei Stunden vom Flughafen entfernt, es war alles wie von der Adoptionsstelle in Deutschland beschrieben. Ich blieb dort sechs Tage, kümmerte mich in der Anlage auch um einige Handwerkerarbeiten und hatte viel Spaß mit den Kindern und Müttern, von Fußballspielen bis zum gemeinsamen Singen im kenianischen Busch war alles dabei. Es war eine beeindruckende Zeit, man könnte fast meinen, dass die am einfachsten lebenden Menschen, wenn die moderne Zivilisation sie in Ruhe lassen würde, am glücklichsten leben würden.

WENN DER ANTRIEB IMMER WIEDER STOTTERT

Nach meiner Rückkehr widmete ich mich wieder der Arbeit und befasste mich mit der Idee meines Partners Marc, mir eventuell mal einen Coach zu suchen. Gesagt, getan, so kam ich zu Herrn Dr. Scherer, Coach für Leben und Business, einem ausgebildeten psychologischen Therapeuten. Ich hatte seit meiner Depressionszeit vor drei Jahren zwar den schweren Part überstanden, kam aber seither im Leben irgendwie nicht wieder voll in Tritt und konnte seit längerer Zeit mein Leben nicht mehr genießen. Es fühlte sich zu oft an, als wäre ich lost in space, mir fehlte der Sinn in meinem Tun, besonders natürlich, seitdem wir damals das Kind verloren hatten. Außerdem war es für mich extrem traurig, dass ich meiner Frau und mir diesen Wunsch nicht erfüllen konnte, irgendwie trauerte ich doppelt. Dazu fühlte ich mich beruflich eben nicht ausgefüllt. Und das ging jetzt schon seit Längerem so. Der erste Termin war interessant und aus meiner Sicht mit zu viel Fragebögen gespickt, aber so fängt das wohl immer an. Als Erstes kam der Fragebogen zur Lebenszufriedenheit (für weitere Informationen dazu einfach „FLZ Fragenbogen“ bei Google-Suche eingeben) dran.

Der Therapeut fragte mich dann, was er für mich tun und wie er mir helfen könne. Ich erklärte ihm erst mal, dass ich mit meinem Jobinhalt nicht wirklich glücklich sei. Ich könne damit zwar viel Geld verdienen, aber der Job mache mich eben nicht glücklich und daher auf Dauer wenig Sinn. Ich wolle das ändern und mir sinnvollere Projekte suchen. Meine eigentliche Antwort auf seine Frage war deshalb: „Ich will wieder gut funktionieren, wieder zurück auf meine Schienen, um wieder gut durchs Leben fahren zu können und Kraft für neue Projekte zu haben.“ Schon nach der dritten Sitzung merkte ich, dass es mir deutlich besser ging und der Motor erst mal wieder ansprang, also konnte ich wieder mit mehr Energie loslegen und meine übrigen Ziele angehen.

EINE ZWEITE PLEITE DROHT, DAS ÜBERLEB’ ICH NICHT (BIS MAI 2013)

Unter diesen Umständen hätte das Jahr 2012 normal und gut enden können. Die Firma lief immer besser, daheim war so weit alles okay und mit mir und meinen Gefühlsschwankungen kam ich mal besser und mal schlechter zurecht. Aber das dicke Ende kommt ja bekanntlich zum Schluss, in diesem Jahr Anfang Dezember.

Ich hatte in meiner Jugend mal eine finanzielle Pleite erlebt. Seitdem habe ich mein Geld verdient, indem ich mich immer wieder in Geduld und Demut geübt und zu verzichten gelernt habe. Ich hoffte sehr, dass mir nicht gut 20 Jahre später ein Fehler aus der jüngeren Vergangenheit das Genick brechen würde. Rückblickend war die Jugend-Pleite übrigens eine Erfahrung, ohne die ich nicht da wäre, wo ich heute bin. Ich war damals aus einem mir heute nicht mehr wirklich nachvollziehbaren Grund völlig blank. Meine Eltern waren im Urlaub und mir fiel niemand ein, den ich um ein bisschen Geld bitten konnte. Ich war wohl auch zu stolz dafür. Obwohl ich gut Kohle durch meine Billardturniere und durch Zocken gemacht hatte, war das ganze Geld weg. Gut, die letzten paar Mark hatte ich Idiot beim Kartenspielen verloren. Es gab noch Wasser aus der Leitung in der Wohnung meiner Eltern, aber der Kühlschrank war komplett leer und mein Girokonto mit 2.000 DM bis auf Anschlag im Minus. Meine letzte Idee war, meine Bank zu fragen, ob es möglich sei, doch noch ein paar Mark überziehen zu dürfen. Meine Trumpfkarte: Ich hatte einen gültigen Arbeitsvertrag für eine in sechs Wochen beginnende Berufstätigkeit in der Hand. Der Herr in der Bank kannte mich und wusste, dass normalerweise viel Bewegung auf dem Konto war: Er gab mir 200 DM Gnadenüberziehung! Gott, war ich dankbar! Und bin es noch heute!

Diese Erfahrung hat sich mir tief eingeprägt. Ich war damals ziemlich verzweifelt – das Gefühl, sich durchschnorren zu müssen, kannte ich nicht. Wir hatten nie Geld im Überfluss, aber uns ging es immer gut und ich kann mich nicht erinnern, jemals irgendwas vermisst zu haben. Aber so konnte es nicht weitergehen. Ich ging im Nachgang recht hart mit mir ins Gericht und machte einen Pakt mit mir selbst, an den ich mich in vielen Fällen noch bis heute halte, wenn ich über Geld nachdenke, egal ob privat oder in meiner beruflichen Welt:

1.Damit dir das mit der Pleite nie wieder passiert, lebst du ausschließlich von 50 bis 70 Prozent deiner Einkünfte, der Rest wird jeden Monat gespart, und das für zehn Jahre.

2.Ab sofort kaufst du keine teuren Sachen mehr, wenn du sie nicht wirklich brauchst, außer wenn du dein Geld beim Verkauf wieder zurückbekommst, die Sachen also nicht an Wert verlieren.

3.Du pumpst dir in den nächsten zehn Jahren nie wieder Geld. (Tatsächlich habe ich mir nie wieder Geld geliehen!)

Dieser Pakt war für mich deshalb so wichtig, weil er mir zeigte, wie viel aus einschneidenden Erlebnissen entstehen kann und wie viel ich mit Disziplin erreichen kann. Weil ich mich auch heute noch an diese Regeln halte, konnte ich mir so schöne Dinge leisten – Sportwagen, alte Sportuhren aus den 60er- und 70er-Jahren, ein Feriendomizil in den USA und eines in Spanien. Ich bin sehr dankbar, dass ich die Chance ergreifen konnte, mich aus dem Nichts nach oben zu arbeiten und zu all diesen schönen Sachen und den damit verbunden Erlebnissen zu kommen. Das Wichtigste ist und bleibt für mich, finanzielle Sicherheit zu haben. Ich möchte nicht alles verprassen und dann dumm dastehen, wenn Krisen kommen. Dabei „hilft“ die Angst vor einer nochmaligen Pleite als mein ständiger Begleiter – einerseits ein Vorteil, aber ab und an auch ein Bremsfaktor. Manche Sachen brennen sich einfach in einem ein. Ich kann trotzdem mein Leben genießen und gut mein Geld ausgeben. Denn ich habe mir jeden Euro hart erarbeitet, gespart und erst dann etwas gekauft, wenn es meinen Regeln entsprach. Ich nehme keinen Kredit auf und schließe auch keine Ratenverträge ab, nur damit Smartphone, Auto oder Lifestyle ohne großen Aufwand verfügbar sind. Mir hat es im Übrigen schon immer Spaß gemacht, auf etwas zu sparen und mich dabei genauer und auch länger mit dem Zielobjekt auseinanderzusetzen, wie beispielsweise mit einer Uhr oder einem Sportwagen. Wenn ich damals beim Händler stand, konnte es passieren, dass ich sagte: „Was, das Auto kostet so viel und nach drei Jahren bekomme ich so wenig zurück? Okay, danke, Sie bekommen mein Geld nicht!“ Auf meine erste teure Uhr habe ich zum Beispiel fast zwei Jahre lang gespart. Als ich sie dann für 7.200 DM gekauft hatte, war ich schon stolz, sie zu haben. Aber der eigentliche Spaß war mein Research zu der Uhr. Ich wusste beim Kauf meist mehr als der Verkäufer und gönnte mir vor dem Kauf kleine Dinge wie Bücher und Zeitschriften, um mich einzulesen. Diese Uhr habe ich heute, 20 Jahre später, immer noch und die Preisentwicklung passt. Gut, dass ich damals den Pakt mit mir selbst geschlossen habe.