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Coco Burckhardt

Pflanzenbrauch
im Jahreslauf

Mit Baum und Kraut im
Reigen der Jahreskreisfeste
spielen, heilen und genießen

Mit Zeichnungen von Rafael Kläger

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Hinweis des Verlages

Bücher haben feste Preise.

Coco Burckharddt

© Neue Erde GmbH 2022

Umschlag:

Satz und Gestaltung:

eISBN 978-3-89060-372-8

Neue Erde GmbH

Im Winter ruht die Natur eingehüllt in ihrem weißen Schneegewand.

Erwacht im Frühling mit Vogellied und warmer Sonnenhand.

Steht dann im Sommer ganz in ihrer grünen Kraft, um im Herbst zu vollenden, was in der Ruhe des Winters begonnen hat.

Inhalt

Vorwort

Der keltische Jahreskreis

WINTER

Samhain – Allerheiligen

»Der Rübenkopf«

St. Martinsfest

Der Beifuß

Adventszeit

Der Holzapfel

Wintersonnwende – Weihnachten

»Die Schau der Alten Götter«

Die Zeit zwischen den Jahren – die Rauhnächte

Vom Räuchern

Winterzeit

Die Waldengelwurz

Die Fichte

FRÜHLING

Imbolc – Maria Lichtmess

»Das erste Lied der Lärche«

Die Birke

Frühlings-Tagundnachtgleiche – Mariä Verkündung

Der Bärenklau

»Bärengefolge«

Das Gänseblümchen

Frühlingszeit

Osterzeit

Die Weide

»Palmbuschen«

Wildkräuterküche

SOMMER

Beltane – Christi Himmelfahrt/Pfingsten

Der Gundermann

»Der alte Griesgram«

Frühsommerzeit

Der Holunder

Fronleichnam

Sommersonnwende – Johanni

Das Johanniskraut

»Die Weiße Schafgarbe«

Die Schafgarbe

Sommerliches

Heilkunderezepte

HERBST

Lugnasadh – Mariä Himmelfahrt

»Kräuterbuschen«

Der Spitzwegerich

Im frühen Herbst

Herbst-Tagundnachtgleiche – Michaeli

»Eberesche – meine Schönste«

Die Eberesche

Im Herbst

Die Hasel

Die Esche

Pflanzentinten

Jahreszeitenbegleitend

Sammelleitfaden

Anhang

Artemisia annua: Ein Segen wird zum Politikum

Bibliographie

Abschiedsgruß | Danksagung

Die Autorin über sich

Register

Vorwort

Palmbuschen binden, Gründonnerstagsuppe kochen, während des Frauendreisgers Kräuter sammeln, Raunächte begehen – einige alte Pflanzenbräuche haben die Jahrhunderte überlebt, andere wurden vergessen.

Als ich vor ein paar Jahren bei der Tagung der bayrischen Waldkindergärten ein Seminar mit dem Titel »Jahreskreisfeste und ihre Pflanzenbräuche« gab, stieß das Thema auf großes Interesse. In erster Linie ging es dabei um die pädagogische Umsetzung verbunden mit dem bewussten Erleben der Jahreszeiten im Waldkindergartenbetrieb. Doch recht schnell stellte ich auch ein persönliches Interesse der Teilnehmer fest – die »Geburtsstunde« dieser Buchidee.

Die gesellschaftliche Entwicklung in den Industrieländern, die starke Urbanisierung hat uns in gefährlicher Weise von der Natur entfremdet. Viele kennen Fauna & Flora, Ökosysteme & Landschaften nur noch aus Dokumentarfilmen und denken, dass alles in Ordnung sei, die »schönen, bunten, bewegten Bilder haben es doch gezeigt«. Eingekapselt im städtischen Leben wird der Blick auf das verwehrt, was unser Konsum und unsere Lebensweise mit dem Planeten und all seinen Geschöpfen, einschließlich den Menschen, macht.* Auch die individuelle Ebene leidet. Man ist abgekoppelt vom wahren Leben, den Lebenskräften Wasser, Erde, Luft, von dem was uns am Leben erhält. Stattdessen werden leblose Ziele wie Karriere, Statussymbole, Anerkennung von außen verfolgt, und damit einher geht der Verlust der Sinnhaftigkeit.

Die Natur mit all ihrer Schönheit wird meist nur noch als Kulisse, als Wohlfühl-Ambiente für diverse Freizeitaktivitäten missbraucht.

»Es soll schön grün sein.« Dass in dem Grün eine große Artenarmut herrscht, spielt dabei keine Rolle. Wir haben uns von unserem Ursprung, unserer Mutter Erde, entfremdet.

Aber was geschehen ist, kann sich auch wieder ändern, Kulissen können eingerissen werden. Die Natur zeigt uns alljährlich, wie Veränderung vonstattengeht.

Das bewusste Erleben der Jahreszeiten, das Begehen der dazugehörigen Feste und Rituale kann ein Vehikel hin zu dieser Veränderung sein.

Eine Veränderung, die sich auch auf unser Inneres auswirkt: weg vom rein Profanen hin zu einer tieferen Sinnhaftigkeit, eingebettet im Lebenszyklus unseres Planeten. Es ist auch ein Zugewinn an Lebensfreude: Freude über die ersten warmen Frühlingstage, die Vogelkonzerte, die Schmetterlinge des Sommers, das bunte Herbstlaub und die Ruhe des Winters. Wenn wir die Natur wieder wirklich sehen, ihren Wert erkennen und sie wieder lieben lernen, werden wir sie auch schützen und unser Konsumverhalten verändern. Wobei der vordergründige Verzicht in Wirklichkeit ein Zuwachs an Genuss ist. Man wird sich auf die kurze Spargel- und Erdbeersaison freuen, im Sommer über Tomaten und im Herbst über Äpfel. Man wird ihren Geschmack genießen, statt sie nur als fade Nahrung zu konsumieren.

Ich würde mir wünschen, dass dieses Buch nicht nur als »Wohlfühlbuch« gelesen wird, sondern ein erster Schritt ist auf dem Weg, wieder bewusst und nachhaltig mit unserem schönen und einzigartigen Planeten und all seinen Geschöpfen umzugehen – und nicht nur, weil man die Notwendigkeit erkennt, sondern aus einem tiefen Bedürfnis heraus. Und dass man in weiteren Schritten beginnt, bewusst zu konsumieren (ökologisch, fair, saisonal), sich im Winter warm anzuziehen und vernünftig zu heizen. Und ich bitte euch, spielt nicht so viel mit dem Smartphone,* leistet Widerstand, geht in Gespräche, unterstützt Umweltorganisationen, gebt Wissen weiter.

Nun noch ein paar erklärende Worte zum Inhalt und Aufbau des Buches.

In ganz Europa, zeitweise bis in die Türkei hinein, war die keltische Kultur verbreitet. Eine Kultur, dessen Erbe uns leider nur noch als Flickenteppich aus römisch/griechischen Schriften, frühen Dokumenten christlicher Mönche Irlands und der Britischen Inseln, aus alten Kinderliedern und Bräuchen und dem Marienkult überliefert ist. Es war die letzte Kultur unserer Breiten, die noch ein enges, vertrautes Verhältnis zur Natur hatte. Sie wurde vom Christentum abgelöst, einer Wüstenreligion, die den Himmel und nicht die Erde verehrte. In der Wüste ist Mutter Erde nicht freigiebig, üppig, grün und lebensspendend wie in unseren Breiten.* Damit die neue Religion Fuß fassen konnte, setzte man unter anderem die wichtigsten Ereignisse des Kirchenjahres auf die bereits bestehenden Feiertage der alten Religion, wobei vier der Hochfeiertage, die sogenannten Kreuzvierteltage, die zuvor an den Vollmonden des jeweiligen Monats stattfanden, nun auf ein bestimmtes Datum festgelegt wurden.** Es verwundert nun kaum, dass mit der Übernahme der Feiertage auch viele Bräuche vollständig oder in leicht abgeänderter Form übernommen wurden.

Altes und Neues möchte ich in diesem Buch vereinen. Daher beschreibe und erläutere ich die Hintergründe der Jahreszeitfeste aus der Tradition der »alten keltischen« und »neuen christlichen« Religion heraus, wobei ich mich bei der Definition und dem Beginn der Jahreszeiten an den keltischen Überlieferungen orientiere und nicht an unserem heutigen Kalender oder der heutigen Definition.

Vieles, was an der jüdisch-christlichen Glaubenswelt etwas befremdet, kann durch die keltische verstanden werden. Den Festtagserläuterungen folgen dazu gehörige tradierte Pflanzenbräuche*** und solche ohne Tradition – es sind neue, von mir erdachte, in meinem Verständnis in die Zeit passende. Manche der »neuen« sind nur an die Jahreszeiten und nicht an den Festtag gebunden, und ein kleiner Teil speziell für den (Wald-)Kindergarten gedacht.

Neben tradierten Kultspeisen, stelle ich noch ein paar weitere Kochrezepte vor. Bei den süßen Speisen steht das Wort »Zucker« als Synonym für Süßungsmittel. Gesündere Alternativen zur raffinierten Zuckerrübe und Zuckerrohr wären beispielsweise Honig, Rohrohrzucker oder Agavendicksaft.

Für jeden Feiertag gibt es eine Geschichte, die von den alten Göttern oder von der Entstehung der Bräuche erzählt. Auch das Geschichtenerzählen ist eine alte Tradition, die es gilt, ähnlich den Pflanzenbräuchen, wiederzubeleben. Außerdem hilft sie uns, nicht nur kognitiv, sondern emotional zu verstehen, zu lernen und auf liebevolle, verspielte Art zu verinnerlichen.

Jede Jahreszeit hat zusätzlich einen Themenschwerpunkt – im Winter das Räuchern und die Rauhnächte, im Frühling die Wildkräuterküche, im Sommer die Heilpflanzenverarbeitung und im Herbst Pflanzentinten. Diese Schwerpunkte sind ausführlich skizziert, aber nur skizziert und daher lückenhaft. Wenn ihr die einzelnen Themen vertiefen wollt, findet ihr im Anhang dazu Literaturempfehlungen.

Jede Jahreszeit beherbergt auch vier ausführliche Pflanzenportraits. Es sind Pflanzen, die mir viel bedeuten, sie sind teils vergessen oder verkannt und sie sollen Lust auf eine intensive Freundschaft mit »Floras Kindern« machen.

Floras Freundschaft und das Erleben der Jahreszeiten und das Eingebundensein in ihnen können die Basis sein für eine Rückkehr zu einem besseren, bewussteren und nachhaltigeren Umgang mit Mutter Erde und all ihren Geschöpfen.

In diesem Sinne viel Spaß beim Lesen und beim Feiern!

*Nach Untersuchung der IPBES (ein unabhängiges internationales Beratungsgremium aus Experten) werden bis Mitte des Jahrhunderts 1 Mio. größere und bekanntere Pflanzen- und Tierarten aussterben; laut dem Weltklimarat ist der Temperaturanstieg von 1,5 Grad (im Vergleich zum Jahr 1900) in 10 Jahren erreicht; das vorhandene Grund- und Trinkwasser wird in vielen Regionen Deutschlands durch Nitratverseuchung aus der Überdüngung unbrauchbar gemacht; schon jetzt findet sogar innerhalb Europas eine Klimamigration z.B. von Süd- nach Nordfrankreich statt.

*Zahlenspiele zur Veranschaulichung: 2020 betrug die Stromverbrauch der Server- und Rechenzentren in Deutschland 10 Milliarden KWh, das entspricht dem Strombedarf von 2.800.000 Haushalten mit 5 Personen. Die Informations- und Kommunikationstechnik macht 3,7 % aller Treibhausgasemmissionen aus, das sind doppelt soviel wie der gesamte zivile Luftverkehr.

*Diese Tatsache gilt unter Theologen und Religionswissenschaftlern als einer der Hauptursachen für das gestörte Verhältnis zur Natur, das sich in unseren Breiten entwickelt hat.

**Es ist zu vermuten, dass dies auch ein »Bekehrungsstreich« war, um das zyklische Erleben der naturreligiösen Heiden zu unterbinden.

***Die Vielzahl an Bräuchen und Ritualen zu den Jahreskreisfesten bzw. christlichen Hochfeiertagen weisen noch stark naturreligiöse Züge auf, dieses Buch beschränkt sich allerdings auf die noch verbliebenen Pflanzenbräuche.

Keltischer Jahreskreis

Die keltischen Götter hatten sehr komplexe Charakter, mal Held, mal Gott. Je nach Mythos und Region standen unterschiedliche Eigenschaften im Vordergrund. In diesem Buch habe ich sie bewusst vereinfacht dargestellt, reduziert auf ihre Aufgaben als Natur-und Vegetationsgottheiten.

Der keltische Jahreskreis begann mit dem Ende, mit dem Novembervollmond. Das Licht der Sonne wurde von den Wintergöttern Samhain und Morrigan unter die Erde geholt, dort sollte es ruhen, neue Kraft schöpfen. Doch damit war auch das Ende aller Vegetation auf der Erde verbunden. Nur durch die immergrünen Pflanzen konnten Mensch und Tier die Hoffnung bewahren, dass das Leben zurückkehren würde. Der Höhepunkt der winterlichen Regentschaft war die Wintersonnwende, der Tag, an dem das Sonnenkind von neuem geboren wurde.

Die Wintergötter wurden zum Februarvollmond von der holden Birkenfee Brigit und ihrem Gefährten dem Bären abgelöst. Gemeinsam weckten sie die Natur, schenkten ihr neue Kraft und standen zur Frühlings-Tagundnachtgleiche in ihrer ganzen Kraft.

Der Maivollmond stellte den nächsten Wendepunkt im Jahreskreis dar. Ab diesem Zeitpunkt hüteten Belisama, die Blumenmaid, und Belenos, ihr Geliebter, die Natur. Sie schenkte den Blüten ihre Farben und Gerüche und er, der lichtbringende Sonnengott, schenkte Kraft und Wärme, auf dass alles noch mehr leuchtete und duftete. Ihr Hochfest, ihre Hochzeit war die Sommersonnwende, der Tag, an dem die Sonne kaum unterzugehen scheint.

Zum Vollmond im August wurden die beiden Liebenden von Lugus und Anona abgelöst, dem feurigen Sonnengott und der gütigen Kornmutter. Sie ließen Natur und Menschen reifen. Sie standen für die Vervollkommnung, für den Abschluss des vollbrachten Jahreskreises. An ihrem hohen Fest, der Herbst-Tagundnachtgleiche, begann das Licht sich wieder zurückzuziehen und überließ der Dunkelheit die Zeit.

An all diesen Festtagen, denen der Sonne (den Sonnwenden und den Tagundnachtgleichen) und denen des Mondes* (im November, Februar, Mai und August, den sogenannten Kreuzvierteltagen) schwand die Grenze zwischen der irdischen und der Anderswelt, der Welt der Geister, Ahnen, Götter und Naturwesen. Man schützte sich in dieser Zeit vor Übergriffen, nutzte die Gelegenheit, hinüberzuspitzen und erbat den göttlichen Segen. Diese heidnische Glaubensvorstellung hat sich bis in die christianisierte Zeit erhalten und spiegelt sich in den diversen Bräuchen wider.

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*Hier gibt es unterschiedliche Ansätze. Der eine besagt, dass die Feste wie folgt gefeiert wurden: Samain – Neumond, Imbolc – zunehmender Halbmond, Beltane – Vollmond, Lugnasad – abnehmender Halbmond. Der andere geht davon aus, dass die Feste alle zu Vollmond gefeiert wurden. Wir können es nicht mehr sagen. Ich persönlich begehe die Feste zum Vollmond; für mich ist die Nacht dann mystisch und feierlich, in einer Art, in der ich die Grenze zwischen den Welten kaum noch wahrnehme. Daher sind die Kreuzvierteltage in diesem Buch auch auf die Vollmonde des jeweiligen Monats gelegt. Lasst euch im Umgang mit den Festen von eurem Inneren leiten; feiert so, wie es sich für euch am stimmigsten anfühlt.

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Winter

Samhain – Allerheiligen

(1. November, beziehungsweise November-Vollmond)

Bei den Kelten begann nun der Winter. Das Sonnenkind wurde unter die Erde geholt, um dort Kraft für das neue Jahr zu schöpfen. Die Tage werden kürzer, und das Leben in der Natur kommt scheinbar zum Erliegen. Doch damit Mensch und Tier nicht ohne Hoffnung auf die Wiederkehr der Vegetationskraft waren, behielten einige Pflanzen ihr grünes Kleid – die Nadelbäume, die Stechpalme, der Efeu und der Buchs. Diese Pflanzen waren die Vertrauten der Wintergötter.

Heute wird Halloween wieder gefeiert; zwar in einer amerikanisierten Partyform, aber wer weiß, ob es nicht in Vergessenheit geraten wäre, wenn sich die europäischen Siedler nicht so fest an ihre alten Bräuche geklammert hätten, um in der Fremde das Gefühl von Heimat zu spüren. Sie nahmen den Brauch mit. Doch statt der geschnitzten Rüben, die die Geister und Unholde in der Nacht zum Winterbeginn fernhalten sollten, nutzten sie den Kürbis. Und diese Kürbisgesichter gelangten in den letzten zwei Jahrzehnten in die einstige Heimat Europa zurück.

Das christliche Gegenstück zum keltischen Winterbeginn ist Allerheiligen. Auch hier geht es um den Tod. Man gedenkt der Verstorbenen und ehrt sie, indem man ihre Gräber schmückt. Denn ihr dürft nicht vergessen, dass Samhain oder Allerheiligen ein »Kreuzvierteltag« ist, an dem die Grenzen zwischen unserer und der Welt der Geister und Naturwesen sehr durchlässig ist und die Lebenden und die Toten einander näher sind als zu anderen Zeiten.

DER RÜBENKOPF

In einer Zeit vor unserer Zeit wuchs ein junger Mann bei seiner Großmutter auf. Sie verlebten glückliche Tage, lachten viel, weinten selten. Er bestellte die Felder und versorgte die Tiere, sie erzählte viele Geschichten voller Weisheit und Wissen und konnte wunderbar kochen.

Die Jahre zogen ins Land, und die Großmutter spürte, dass sie bald die große Reise in eine andere Welt antreten würde. Sie hatte keine Angst zu sterben, der Tod erschien ihr nicht grausam, sondern viel mehr als ein nächster Schritt im großen Rad des Lebens. Ihr Leben war ein erfülltes, glückliches Leben gewesen, und so sprach sie an einem lauen Sommerabend zu ihrem Enkel: »Mein gutes Kind, sei nicht traurig, wenn ich sterbe, ein Teil von mir wird immer bei dir sein und dich trösten. Sei nicht ängstlich, alles, was ich dir beibringen konnte, hast du gelernt. Und brauchst du einmal einen Rat, so schicke ich dir Traumbilder, die dir helfen werden.«

Noch am selben Abend schloss die Großmutter für immer ihre Augen und entschlief mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht.

Der junge Mann vermisste seine Großmutter schon bald, oft dachte er an die Abende, als sie gemütlich beim prasselnden Feuer gesessen und sie ihm Geschichten erzählt hatte. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass seine Großmutter nun in der Leichtigkeit und dem Licht der anderen Welt wandelte. Um so mehr war er dann erstaunt, als er eines Novembernachts diesen seltsamen Traum hatte. Er träumte von seiner Großmutter. Eigentlich wirkte sie glücklich und zufrieden, doch ihre Augen waren voll Sehnsucht.

»Zum Vollmond im November kommt mein Geist der irdischen Welt so nahe, und ich erinnere mich an den Geschmack von gutem Essen. Nur ein Hauch, eine Idee – wie wäre das schön.« Mit diesen Worten erwachte der junge Mann am nächsten Morgen. Seine Großmutter hatte immer gerne gegessen, das war auch nicht zu übersehen gewesen, doch, dass ihr Geist, getrieben von der Sehnsucht nach gutem Essen, ihm im Traum erschienen war, wunderte den jungen Mann schon ein wenig. Er beschloss, zum nächsten Novembervollmond, wenn der Geist der Großmutter der irdischen Welt wieder nahekam, ihren Wunsch zu erfüllen und ein Schälchen mit Speisen bereitzustellen. Es würde nur ein Hauch, eine Idee sein – aber es wäre schön.

Der Winter hielt Einzug im Land und bedeckte die Welt mit seinem stillen weißen Kleid. Ihm folgte der Frühling mit Vogelgezwitscher und zartem Grün. Der Sommer brachte munteres Treiben und sorgloses Leben. Der Herbst kam mit buntem Laub und reifen Früchten und mit ihm rückte der November näher.

Der junge Mann hatte das Jahr über immer wieder darüber nachgedacht, welche Speisen er dem Geist der Großmutter in der Novembervollmondnacht hinstellen würde. Es sollte zum einen etwas sein, das die Großmutter zu ihren Lebzeiten gerne gegessen hatte, und zum anderen sollte es mehr als nur Essen sein.

Sie hatte ihm früher viel über die Geheimnisse der Natur und von der Bedeutung bestimmter Pflanzen erzählt. So beschloss er zur besagten Nacht, Apfel, Haselnuss und Dicke Bohne in ein Schälchen zu geben.

Der Apfelbaum war ein Tor zur Anderswelt, in der die Elfen und Geister lebten. Die meisten Pflanzen in der Anderswelt waren den sterblichen Menschen unbekannt, doch die Apfelbäume beider Welten waren in Erscheinung und Wesen einander Ebenbild.

Der Apfel sollte für den Geist der Großmutter ein Hauch – eine Idee der irdischen Speisen sein.

»Der Haselstrauch ist eine Pflanze der Fruchtbarkeit und Lebensenergie«, hatte die Großmutter zu ihren Lebzeiten den jungen Mann gelehrt. »Einen Haselstrauch kannst du so viel stutzen, wie du willst, er wird immer wiederkommen. Selbst eine abgeschnittene Rute ist so voller Lebensenergie, dass sie, in die Erde gesteckt, wieder austreiben und zu einem neuen Busch heranwachsen kann. Und nicht zu vergessen: Die Hasel beschützt das Leben der Menschen; nicht nur, weil ihre Früchte so nahrhaft sind und uns reichlich Kraft geben, einen langen Winter zu überstehen, sondern auch, weil sie die Dörfer und Höfe der Menschen mit dem undurchdringlichen Ring ihrer Hecke umgibt. Merk dir das gut, mein Sohn.«

So sollte die Haselnuss für den Geist der Großmutter ein Hauch – eine Idee der irdischen Lebenskraft sein.

Die Bohne stand für die Ewigkeit. Man konnte sie über Jahre hinweg lagern, ohne dass sie ihre Fähigkeit verlor zu keimen, um zu einer neuen Bohnenranke heranzuwachsen. Sie ähnelte einem Embryo, doch ihr Ausreifen bedeutete das Absterben der Bohnenranke. Sie war Beginn und Ende, Bild und Symbol für den ewigen Kreislauf des Lebens.

Die Bohne sollte dem Geist der Großmutter einen Hauch, eine Idee der Ewigkeit schenken; der Ewigkeit, die beide Welten miteinander verband.

Also begab es sich, dass der junge Mann in der Novembervollmondnacht ein Schälchen mit Apfel, Haselnüssen und Bohnen auf das Grab der Großmutter stellte, das im Schatten von zwei großen Eiben lag.

Es war eine typische Novembernacht mit Sturmwolken und Wind. Doch neben den für eine solche Nacht typischen Geräuschen an Hof und Haus, vernahm er noch andere Geräusche: Kichern, Heulen, Klopfen und Klappern. Doch er war zu müde, um der Sache nachzugehen und legte sich schlafen. Auch in dieser Nacht träumte er wieder von seiner Großmutter, und er träumte genau denselben Traum wie im Jahr zuvor. Wieder lag diese Sehnsucht in ihren Augen, und sie sprach: »Zum Vollmond im November kommt mein Geist der irdischen Welt so nahe, und ich erinnere mich an den Geschmack von gutem Essen. Nur ein Hauch, eine Idee – wie wäre das schön.«

Der junge Mann wusste nicht, was er falsch gemacht hatte, hatte er doch dem Geist der Großmutter besondere Speisen bereitgestellt, die auch am Morgen nicht mehr auf dem Tellerchen lagen. Aber wer außer seiner Großmutter konnte sie genommen haben? Er überlegte lange und suchte schließlich Rat bei der Weisen Frau des Dorfes.

»Bei der Wahl der Speisen hast du gut und weise entschieden. Doch nun erzähle mir genau von der Nacht. Ist dir irgendetwas komisch vorgekommen?« Der junge Mann erzählte der Alten von dem ungewöhnlichen Kichern, Heulen, Klopfen und Klappern, das er vor dem Schlafengehen gehört hatte.

»Aha, ich glaube hier liegen die Ursache und die Lösung des Problems. Von solchen Leckereien, wie du sie für den Geist deiner Großmutter bereitgestellt hast, werden zuweilen auch andere Wesen angezogen. Du musst bedenken, es war die Vollmondnacht im November, wenn die Grenzen zwischen unserer und der anderen Welt schwinden.« »Aber was sind das für andere Wesen?« wollte der junge Mann wissen. »Nun schwer zu sagen, wer sie genau sind. Meist aber sind es Unholde, freche Elfen und ruhelose Geister, die in dieser Nacht ihren Schabernack treiben. Und es kann gut sein, dass sie sich an den Speisen bedient haben, bevor es der Geist deiner Großmutter tun konnte.

Wenn du diese Wesen mit Apfel, Nuss und Bohne angelockt hast, musst du dir etwas überlegen, womit du sie auch vertreiben kannst, etwas das sie abschreckt.«

Der junge Mann dankte für den Rat und das Wissen der Alten und machte sich auf den Heimweg.

Er dachte lange nach, fast ein ganzes Jahr. Sah den Winter, den Frühling und den Sommer an sich vorbeiziehen.

Und dann, eines Herbsttages, kam ihm eine Idee. Er war gerade auf dem Feld, um die großen Rüben zu ernten, als ihm auffiel was für lustige »Köpfe« er da aus der Erde herausholte. Eine von ihnen hatte sogar eine kleine Auswölbung, die aussah wie eine Nase. Er malte sich aus, wie abschreckend die lustigen »Köpfe« aussehen könnten, wenn er gruselige Grimassen hineinschnitzen würde. Würde das die ungebetenen Besucher in der Novembervollmondnacht vertreiben? Einen Versuch war es wert. Am Vorabend dieser Nacht bereitete der junge Mann wieder ein Schälchen mit Apfel, Nuss und Dicken Bohnen vor, plazierte es auf dem Grab seiner Großmutter zwischen den beiden alten Eiben und stellte den Rübenkopfwächter dazu. Aus dem lustigen »Kopf« war ein gruseliges Grimassengesicht geworden, vor dem sich sogar der junge Mann fürchtete. Nun aber hatte er Bedenken, dass es dem Geist der Großmutter ganz ähnlich ergehen könnte und er sich aus Angst fernhalten würde. Deshalb gab er dem Rübenkopf die Anweisung, ihren Geist freundlich zu begrüßen und nur die Unholde, die frechen Elfen und ruhelosen Geister zu erschrecken.

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Der junge Mann war sich nicht sicher, ob die Rübe seine Anweisungen verstanden hatte, doch er erinnerte sich an die Worte seiner Großmutter: »Das, was dir manchmal als unbelebte Natur erscheint, ist in Wirklichkeit voller Lebendigkeit. Pflanzen, Steine, sogar der Wind verstehen dich, sie haben Gefühle und Wissen ganz eigener Art.«

Er vertraute ihren Worten und vertraute dem Rübenkopf.

Lange in die Nacht hinein hatte der junge Mann gewacht. Weder Kichern noch Heulen, Klopfen oder Klappern war zu hören. Als er schließlich in den Schlaf fiel, träumte er von seiner Großmutter. Diesmal lag keine Sehnsucht in ihren Augen. Sie war vollkommen glücklich und zufrieden.

»Danke, mein gutes Kind. Nur ein Hauch, eine Idee, das war wunderschön.« So lauteten ihre Worte im Traum. Die Rübe hatte die Unholde, die frechen Elfen und ruhelosen Geister ferngehalten und den Geist der Großmutter willkommen geheißen.

Und so kam es, dass bald viele Menschen im Land dem Beispiel des jungen Mannes folgten und in der Vollmondnacht des Novembers, wenn sich die Grenzen zwischen den Welten lichten, einen Rübenkopf vors Haus stellten. Einen Rübenkopf mit einer gruseligen Grimasse, um die unerwünschten Gäste aus den anderen Welten fernzuhalten.

Gruselige Rübenköpfe

Es war lange Zeit schwer, Kohlrüben (Brassica napus) – wahlweise auch Zucker- oder Futterrüben – zu bekommen. Zum Glück hat sich dies geändert, und sie sind wieder in Bioläden oder bei manchen Bauern erhältlich. Es ist nur etwas mühsamer, da die Rübe zunächst ausgehöhlt werden muss. Das wird am besten mit einem Messer, mit dem ihr »spiralförmig« schneidet und schabt, bewerkstelligt. Phasenweise ist ein großer Löffel oder ein Stecheisen von Nutzen.

Das herausgeschabte Fleisch könnt ihr waschen und anschließend für den »Rübentopf« nutzen.

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Rübeneintopf

Diverses Wurzelgemüse wie Kohlrübe, Karotte, Petersilienwurzel, Sellerie mit etwas Brühe zu einem Eintopf kochen.

Ein Rezept für 4 Personen:

Zutaten: »Rübeninhalt« einer mittleren Rübe, 1/4 Sellerie, 3-4 Karotten, 1 mittelgroße Pastinake, 1 mittelgroße Petersilienwurzel, 1/4 Lauch

Gemüse kleinschneiden und in einen Topf geben, etwa 3-4 cm hoch mit Wasser bedecken

Gemüse gut durchkochen und je nach Geschmack Brühpulver hinzugeben

Gruselrübenkekse

Aus einem Mürbeteig Plätzchen in Form von Rübenköpfen backen. Für eine Aktion im Kindergarten können die Kinder entweder das Gesicht mit Lebensmittelfarben oder Beerenzuckerguß (Heidelbeer-, Brombeer-, Holunderbeerensaft) aufmalen oder mit eurer Hilfe aus dem Teig herausschneiden (dazu sollten die Kekse aber eine gewisse Größe haben.)

Teig für 1-2 Bleche Kekse: 230g Butter, 250g Zucker, 2 Eier, 500g Mehl

»Grün sammeln«

Um sich zu vergegenwärtigen, wie viel »Grün« auch im Winter für uns da ist und um ein wenig »Botanikstudium« zu betreiben, könnt ihr durch den Wald und eure Umgebung ziehen, um das »Grün« zu sammeln, oder von den Kindergartenkindern von zu Hause mitbringen lassen (im Fall von Stechpalme und Buchs). Es ist eine kleine Bewusstseinsübung mit dem »Nebeneffekt«, dass ihr euren Lebensraum oder Bauwagenplatz mit dem Grün des Winters schmückt und gewiss nie daran zweifelt, dass das Leben in der Natur wiederkehren wird…

St. Martins Fest (11. November)