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SCOOTER

ALWAYS

HARDCORE

 

 

Max Dax

mit Robert Defcon

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Inhalt

Rave

Hyper Hyper

Hate Parade

Das Geschäftsjahr 1993/94

Hamburg Dada

Vorglühen

Pyro

Barzwang

Go East

Strahler 70

Sheffield Calling

Stromausfall

Are you H.P.?

Schleudersitz

Jaguar

„Es geht um die Auflösung jeglichen Sinns“

Diskografie

DVD

Impressum

105-SCOOTER19Press.tif

Bild: Sven Sindt

Rave

H.P. BAXXTER Raven war meine Welt. Wir waren permanent auf Raves unterwegs. Ich hatte einen langweiligen Job und habe immer nur auf das Wochenende gewartet, um dann endlich rausgehen zu können. Es gab so eine Euphorie in der entstehenden Szene. Eine spannende Zeit. Das waren zwei, drei Jahre, die ich um keinen Preis missen möchte, etwa von 1991 bis 1994. Eine Zeit totaler Freiheit. Die größten Hannoveraner Raves fanden in einer riesigen, leer stehenden Halle auf dem Hanomag-Gelände statt. Es war ein magischer Moment, dort anzukommen – Tor 3, Hanomag. Der Bass dröhnte so stark, dass das Dach vibrierte.

H.P. BAXXTER Mein einziger Gedanke war: Ich will da jetzt unbedingt rein! Ich drängte mich so schnell es ging an der Security vorbei in die Halle. Auf diesen Raves waren alle auf Pille. Wir hingegen haben uns bei mir zu Hause zum Vorglühen getroffen. Wohlgemerkt: mit Bier. Angesagt war damals auch roter Genever, so ein Kurzer. Ein süßer Schnaps. Fürchterliches Zeug. Aber so war es. Ich kam dann immer schon beduselt an und dann habe ich stundenlang nur getanzt. Ab und zu habe ich mir ein Bier geholt. Das war die Zeit vor Wodka Red Bull. Wach gehalten haben wir uns mit Koffeintabletten und Unmengen von Lipovitan, einem von der japanischen Firma Taishō Seiyaku lizenzierten Energydrink, der damals nur in Asia-Shops erhältlich war. Lipovitan schmeckt wie Hustensaft. Das Erfolgsrezept von Red Bull war ja, diesem klebrigen Gesöff Kohlensäure hinzuzufügen. Ich fand es besonders gut, erhöht zu stehen, um zu sehen, wie die Menschen ausflippen. Nicht so gequetscht in der Menge. Ich hielt mich darum bei den Balustraden im äußeren Bereich auf, dort, wo auch viele der Engländer standen. Engländer haben einen ganz bestimmten, coolen Tanzstil, ein ganz anderes Rhythmusgefühl, an dem man sofort erkennt, dass es Engländer sind. Ein Höhepunkt dieser Hannoveraner Raves war immer wieder Steve Mason. Wenn der an die Turntables ging und Mystic Man als seinen Freestyle-MC dabei hatte – das war ein schwarzer Hüne mit einer Siebzigerjahresonnenbrille – dann ging es ab. Verdammt cool. Das war ja kein Rap. MC Mystic Man hat Sprüche und Shouts mit gelegentlichen Reimen und Raggamuffin-Einlagen kombiniert. Das kannte man hier gar nicht und das hat den Leuten noch mehr eingeheizt.

RICK J. JORDAN MCing war damals vor allem in der Hannoveraner Rave­szene angesagt. Die englischen DJs brachten zu ihren Auftritten oft MCs mit. MCing auf Techno war in England, in Schottland und in Irland ein Riesen­ding. So war es für uns nichts Ungewöhnliches, dass beim Rave ein MC dabei war.

H.P. hatte von Anfang an die Vorstellung von etwas Großem

H.P. BAXXTER Darum habe ich mir überlegt, ebenfalls so etwas zu machen, aber nicht als Freestyle, sondern mit festen Texten. Ich wär am liebsten direkt zu Mason und Mystic Man hinaufgesprungen und hätte mir das Mikro geschnappt. Das war für mich das Ding. Ich wusste: Das ist cool, das will ich auch. Allerdings nicht Freestyle, sondern mit einstudierten Texten. Ich wollte einfach Teil dieser magischen Momente bei den Raves sein, wenn alle schreien, nämlich immer dann, wenn ein Break oder wenn die Hook kommt. So wollte ich das auch machen. Aus dieser Begeisterung sind Scooter entstanden. Ohne jedes Kalkül.

RICK J. JORDAN Ich habe H.P. ein paar Jahre früher, 1986, über eine Kleinanzeige kennengelernt.

H.P. BAXXTER Ich habe in der lokalen Hannoveraner Kleinanzeigenzeitung nach einem Keyboarder gesucht. Und Rick hat damals in der gleichen Ausgabe inseriert: „Keyboarder sucht Sänger.“

RICK J. JORDAN Damals, 1986, gab es ja noch kein Internet, keine E-Mails und auch kein Facebook – diese ganzen Kommunikationsdrähte gab es noch nicht. Man hatte ein Telefon mit Wählscheibe zu Hause. Entsprechend musste man über Schwarze Bretter und Kleinanzeigen kommunizieren.

H.P. BAXXTER Ich weiß gar nicht mehr, wer von uns bei wem angerufen hat.

RICK J. JORDAN

Ich habe angerufen. Und der Typ am anderen Ende der Leitung sagte nur: „Hallo, ich bin H.P.“ Und ich: „Hä? Was?“ Und er: „H.P.“ Na gut, dachte ich, der ist irre, immerhin. Das könnte ja vielleicht klappen.

H.P. BAXXTER Wir haben mit Celebrate the Nun sehr, sehr ernsthaft daran gearbeitet, berühmt zu werden – als ob man das planen könnte, und es hat ja auch nicht geklappt. Acht Jahre haben wir verschwendet, in denen genau gesagt gar nichts passierte.

RICK J. JORDAN Wir dachten: Hannover braucht New Wave, und wir nannten unsere Band Celebrate the Nun. Wir wollten so sein wie das, was Anfang der Achtziger aus England rübergeschwappt kam: New Order, Joy Division, Sisters of Mercy. Doch mit diesem Sound waren wir einfach sechs Jahre zu spät. Was wir anfangs gar nicht bemerkten, denn in Hannover ist man nicht ganz so am Puls der Zeit. Wir fanden es einfach geil und haben losgelegt.

H.P. BAXXTER Meine Schwester war ja auch dabei. Das führte mitunter zu seltsamen Pikanterien. Einmal drehten wir ein Video und der Regisseur schlug allen Ernstes vor, dass meine Schwester und ich wie Liebende agieren sollten.

Liebend gerne wäre ich ein Undergroundpapst geworden, vor dem sich alle in Ehrfurcht verbeugen

RICK J. JORDAN Die Erfahrung mit Celebrate the Nun war aber ganz gut, um das Handwerk zu lernen. Das Musikerhandwerk und das Produzieren – die Livesituationen. Wir hatten auch unsere ersten kleinen Rundfunk- und Fernsehauftritte und konnten uns ein bisschen auf die Situation einstellen. Das war wie eine Art Praktikum.

H.P. BAXXTER Liebend gerne wäre ich ein Undergroundpapst geworden, vor dem sich alle in Ehrfurcht verbeugen. Doch du musst dir misstrauen und dich fragen: Wo liegen deine wirklichen Talente? Was kann ich? Und was kann ich nicht? Denn die Sache war schon durch, wir waren für den Zeitgeist zu spät. Wir waren einfach nicht speziell genug. Mit Scooter klappte es dann wenige Jahre später, weil wir uns an keine Regeln mehr hielten, einfach keine Rücksicht mehr nahmen. Das war wie ein Schalter, den wir umgelegt hatten.
 Aber mit Celebrate the Nun waren wir Nachzügler.

Wir hatten damals keinen Mentor und auch niemanden, der sich mit dem Geschäft auskannte

RICK J. JORDAN H.P. hatte von Anfang an die Vorstellung von etwas Großem. Wo alle anderen erst mal sagen, wir wollen ein bisschen Musik machen, um im Jugendzentrum zu spielen, da war bei H.P. gleich klar, dass er in die Charts und Vollgas geben wollte. Zwar wussten weder er noch ich damals, wie das gehen soll, aber es war von Anfang an das Ziel. Ich für meinen Teil wusste bereits mit 16 Jahren, dass ich definitiv kein Abitur machen und studieren wollte, weil ich bei Älteren, die zweigleisig fuhren, gesehen hatte, dass die Musik zu kurz kommt – einfach weil zu viele Rücksichten genommen werden mussten. Letztlich wird dann manchmal aus beiden Träumen nichts Wirkliches. Wir erinnern uns an unseren Verteidigungsminister: Aus Zeitmangel die Doktorarbeit abgeschrieben, anschließend als Minister gescheitert.

H.P. BAXXTER

Rick und ich waren sofort auf einer Wellenlänge.

RICK J. JORDAN Wir haben schon bei unserem ersten Treffen gemerkt, dass es einen Draht zwischen uns gibt, der über eine reine Zweckgemeinschaft weit hinausgeht. Dass man einfach Bock hat, zusammen Musik zu machen. So haben H.P. und ich uns im Demostudio eines meiner Kumpels getroffen, weil ich damals selbst kaum richtiges Equipment hatte.

H.P. BAXXTER Bis Anfang der Neunziger waren wir beide Waver. Die Fotos, die es von uns gibt, sprechen Bände.

RICK J. JORDAN Wir hatten damals nur ein kleines Demostudio – aber immerhin. Wenn man Glück hatte, stand auch mal ein Rechner da. Das war ganz anders als heute, wo ja das ganze Studio im Rechner ist. Wir hatten einen Commodore 64, ein paar Midikeyboards und einen Vierspurtaperekorder. Das wars. So haben wir unsere ersten Songs zusammengeschraubt. Irgendwann ergab sich die Möglichkeit, mal in einem großen Tonstudio zuzuschauen und zu sehen, wie man richtig produziert. Wir lernten unter Anleitung von Tontechnikern und Produzenten, unsere Songs professionell selbst zu produzieren. Das war eine viel größere technische Hürde als heute, wo die Kids mit einem Aldi-Rechner und ein paar gecrackten Programmen die gesamte Tontechnik am Start haben. Auch das ganze Know-how, das man heute problemlos als Tutorials aus dem Web herunterladen kann, bekam man damals nur im Tonstudio. Das kostete über 1000 D-Mark am Tag. So schafften wir uns nach und nach das Handwerkszeug drauf, um unsere Musik selbst produzieren zu können.

H.P. BAXXTER Wir hatten damals keinen Mentor und auch niemanden, der sich mit dem Geschäft auskannte. Wir haben immer nur im Keller gehockt, Demos verschickt und gehofft, dass irgendeiner darauf abfährt. Und selbst als wir dann ein Label gefunden hatten, war die Freude von kurzer Dauer. Auch dort hat sich niemand richtig um uns gekümmert. Wie das halt so ist.

Dieser Irre war ich und ich dachte wirklich, ich kann fliegen

RICK J. JORDAN Im Herbst 1991 war die Zusammenarbeit mit H.P. an einem toten Punkt angelangt. Es fehlte der frische Wind. Und so kamen wir überein, nicht mehr weiterzumachen. Privat haben wir uns natürlich weiterhin getroffen. Und das war gut, denn wir gingen gemeinsam auf Raves. Das war schließlich der Wendepunkt. Das war rückblickend eine wichtige Phase. Ich wusste natürlich weiterhin, dass ich Musiker bin und weiter Gas gebe, um etwas auf die Reihe zu kriegen. Natürlich mehr als Produzent hinter den Kulissen. H.P. hingegen wollte Karriere in der Musikvermarktung machen. Ich habe dann mit verschiedenen anderen Leuten gearbeitet, ein bisschen Rock produziert, Balladen. Das hat mich musikalisch unglaublich gelockert und darauf vorbereitet, 1993 mit frischem Elan an die Sache ranzugehen.

H.P. BAXXTER Und dann brachten The KLF die zweite Hauptversion von „What Time Is Love?“ raus – mit Sprechgesang, Zuschaueratmo, Drei-Noten-Acid-Bass und dem hochgepitchten Chorus. Diese Nummer hatte eine solche Energie – da gabs nichts anderes in dieser Liga. Die Jungs waren ihrer Zeit einfach weit voraus. Aber die haben das mehr als Kunst und kurzzeitige Inszenierung betrachtet und gar nicht als langfristiges Erfolgsrezept. Für mich stehen The KLF für den entscheidenden Einschnitt in meinem Leben. „What Time Is Love?“ kam völlig unvermittelt. „Kick out the jams, motherfucker!“ – das hatte ja so eine Energie, so etwas hat man vorher in der Musik gar nicht für möglich gehalten! Heavy Metal und Techno und Vollgas und Euphorie und maximaler Druck kamen da in einem Song zusammen. Ich weiß noch, wie wir uns in Hannover immer am Wochenende bei mir zu Hause trafen, die Bierdosen öffneten und diese eine Stunde, bevor wir zum Rave gegangen sind, knüppellaut The KLF hörten. Das war immer Freitagabend und die Nachbarn wussten schon: Jetzt wird es wieder eine Stunde lang laut, jetzt hängt sich dieser Irre wieder aus dem Fenster raus, brüllt sich die Seele aus dem Leib, aber danach gehts wieder. Dieser Irre war ich und ich dachte wirklich, ich kann fliegen. Ab diesem Moment hat mich New Wave nicht mehr interessiert.

RICK J. JORDAN Die Zeit hatte für uns gespielt: 1993 standen die Türen für Bands aus Deutschland richtig weit offen.

H.P. BAXXTER

Das Wichtigste ist, zur richtigen Zeit an die richtigen Leute zu geraten.

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Celebrate the Nun. Rick, Britt, H.P. Bild: Oliver Thormann

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Celebrate-the-Nun-Poster zur Promotion-CD für das Album „Meanwhile“ (v. l. n. r.: Slin Thompson, Britt, H.P. und Rick). Bild: Westside

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Erste professionelle Fotosession für das Celebrate-the-Nun-Album, „Meanwhile“: H.P., Rick und Britt. Bild: Westside

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H.P. mit seiner ersten Band, Century. Als 16-jähriger wandelt er auf den Spuren von Ritchie Blackmore. Bild: Carsten Willms