Christoph Eichhorn

Chaos im Klassenzimmer

Classroom-Management: Damit guter Unterricht noch besser wird

Mit einem Kapitel von Antje von Suchodoletz

Impressum

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Klett-Cotta

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© J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart 2013

Alle Rechte vorbehalten

Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlags

Cover: Rothfos &Gabler, Hamburg

Unter Verwendung einer Abbildung von © Creasource/​Corbis

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978 - 3 - 608 - 94497 - 6

E-Book: ISBN 978 - 3 - 608 - 10444 - 8

Dieses E-Book entspricht der 1. Auflage 2013 der Printausgabe

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Vorwort

Dank

Teil 1: Chaos im Klassenzimmer

Vorbemerkung

Wie Chaos entsteht

Classroom-Management – wirkungsvoller mit der gesamten Schule

Wollen Schüler Chaos?

Prioritäten-Management: Die ersten Schwerpunkte setzen

Nichts persönlich nehmen

Den Schwerpunkt beim Beziehungsaufbau klar auf die »herausfordernden« und »oppositionellen« Schüler und deren Eltern legen

Toilettenbesuch nur während der Pause

Exkurs: Die juristische Karte – ein vernachlässigter Trumpf

Der erste Schritt zu einem geordneten Klassenzimmer

Die Eltern orientieren

Eine erste Bilanz

Auf dem Weg zu einem geordneten Klassenzimmer

Klassenregeln einrichten

Das Klima in der Klasse fördern

Das Gespräch mit den Fachlehrerkolleginnen

Stillarbeit neu organisieren

Präsenz zeigen

Das zweite Schreiben an die Eltern

Die zweite Bilanz

Classroom-Management – noch wirksamer, wenn alle mitmachen

Classroom-Management-Expertise als Einstellungskriterium

Ungünstige Reaktionen auf schwierige Situationen im Klassenzimmer – was Frau Paulson nicht gemacht hat

Undifferenziert belohnen

»Diese Klasse ist eine Katastrophe«

Klassenintervention durch von außen kommende Fachpersonen

Die wichtigsten Tools und Interventionen auf einen Blick

Teil 2: Grundlagen von Classroom-Management

Die Classroom-Management-Philosophie

Was Classroom-Management nicht ist

Prioritäten-Management

Prioritäten-Management vor dem ersten Schultag

Exkurs: Das Klassenzimmer einrichten – die Auftragstafel

Prioritäten-Management während der ersten Schulwochen

Exkurs: Die Bedürfnisse der Schüler und wie Sie darauf eingehen können

Exkurs: Die Selbstdeterminationstheorie von Edward L. Deci und Richard M. Ryan

Exkurs: Stellwerk und Kompetenzraster als Möglichkeiten für Schüler, ihren Lernstand selbst zu erfassen

Prioritäten-Management im Verlauf eines Schuljahres

Die Classroom-Management-Beobachtungs-Skala (CMBS)

Teil 3: Classroom-Management in der Praxis

Classroom-Management im Kindergarten: Auf positive Beziehungen kommt es an – Antje von Suchodoletz

Antje von Suchodoletz

Classroom Management – auch im Kindergarten unentbehrlich

Der Kindergarten als Ort der frühkindlichen Bildung

Emotionale Unterstützung

Regeln und Abläufe: Organisation des Alltags

Nagelprobe »Nebenfächer« – Classroom-Management im Sportunterricht – Christoph Eichhorn

»Nebenfächer« – höchste Anforderungen an die Unterrichtskompetenz eines Lehrers

»Hotspots« beim Sportunterricht

Störungen im Nebenfach

Nebenfächer und das Lehrerteam

Spezielle Classroom-Management-Ideen für den Sportunterricht

Die Turnhalle betreten

Umziehen und Duschen der Schüler – die besonderen Herausforderungen für den Lehrer

Die Eltern informieren

Gruppeneinteilung

Was Sie noch tun können

Literatur

Wichtige Links

Über das Classroom-Management

Informationen zu den Autoren

Vorwort

Dieses Buch ist Ihnen gewidmet: Als Lehrerin oder Lehrer1 müssen Sie nicht nur hin und wieder auf ein Ereignis reagieren, wie beispielsweise darauf, dass ein Schüler stört. Sie müssen vielmehr unentwegt auf ganz verschiedene Ereignisse reagieren, die auch noch gleichzeitig stattfinden und die Sie nicht voraussehen können. Sie haben auch keine Zeit, um sorgfältig über Ihre Reaktion nachzudenken, sondern müssen meist sofort handeln. Und das hat auch noch Relevanz für Ihr zukünftiges Handeln: Denn wenn Sie einmal in bestimmter Weise entschieden haben, dann ist das häufig ein Präzedenzfall für die Zukunft. Und bei all dem stehen Sie auf einer Bühne, auf der alles, was Sie tun, von mindestens drei Parteien mit Argusaugen verfolgt wird: von jedem Einzelnen Ihrer Schüler, von der gesamten Klasse und von den Eltern zu Hause. Nämlich dann, wenn deren Kinder diesen davon berichten, was sich aus ihrer Sicht in der Schule zugetragen hat.

So komplex ist Ihr Beruf. Jeden Tag.

Die Öffentlichkeit hat davon leider keine Vorstellung – weiß aber alles besser. Und obwohl die Bildungsforschung längst herausgearbeitet hat, dass es viel weniger von Schulreformen abhängt, ob die Schüler gut lernen, als davon, wie der einzelne Lehrer oder die einzelne Lehrerin unterrichtet (Hattie 2009), ist der Reformwille mancher Bildungspolitiker ungebrochen. Zehntausende von Ihnen stehen auch deshalb unter enormem Druck. Und sind – das ist Ihnen hoch anzurechnen – trotzdem immer wieder aufs Neue dazu bereit, sich täglich mit viel Herz und hoher Sachkompetenz für Ihre Schüler zu engagieren. Dieses Buch möchte Ihnen Ihre Arbeit erleichtern.

Grund für dieses Buch sind viele wertschätzende Rückmeldungen von Lehrerinnen und Lehrern auf mein Buch Classroom-Management: Wie Lehrer, Eltern und Schüler guten Unterricht gestalten (Klett-Cotta 2008). Auch die vielen positiven Feedbacks von Classroom-Management-Experten, Schulleitern, Schulpsychologen, Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in Bundesministerien, Kultusministerien, mit Erziehungsfragen befasste Behörden, pädagogischen Hochschulen sowie der Lehrerverbände haben mich dazu motiviert, ein Nachfolgebuch zu schreiben.

 

Dieses Buch richtet sich ebenso an die Eltern; denn Classroom-Management braucht und bemüht sich um die Kooperation zwischen Schule und Eltern. Wie Lehrer, Eltern und Schüler guten Unterricht gestalten ist nicht von ungefähr der Untertitel meines vorigen Buchs zum Classroom-Management. »Als Eltern sind Sie der wichtigste Partner unserer Schule«, sagt dort ein Lehrer. Was Sie Ihren Kindern mitgeben und was die Schule ihnen mitgibt, gehört zusammen. Dieses Buch zeigt Ihnen, den Eltern, die Probleme, die sich in der Schule entwickeln, und es möchte Sie in die Lösung der Probleme und die Arbeit miteinbeziehen.

 

Classroom-Management hat nicht nur einen Vorteil, sondern viele: Nämlich für Sie als Lehrer, dass:

  • es in Ihrem Unterricht »rund läuft«,
  • Ihre Schüler mehr lernen,
  • Sie die Freude an Ihrem Beruf bewahren,
  • gute Beziehungen zu Ihren Schülern wachsen,
  • eine tragfähige Kooperationsbeziehung zu deren Eltern entsteht,
  • Sie Ihre Nerven schonen, weil Disziplinprobleme Ihrer Schüler deutlich zurückgehen,
  • Ihnen das Unterrichten leichter fällt,
  • Sie die richtigen Schwerpunkte bei Ihrer Arbeit setzen und dadurch Ihre Energie bündeln und auf das Wesentliche richten,
  • Ihr Ansehen bei Ihren Schülern und deren Eltern wächst, weil Sie kompetent unterrichten.

 

Und die Vorteile für Sie als Eltern sind, dass:

  • Ihr Kind mehr Freude an der Schule hat,
  • es besser lernt,
  • es sich in der Schule wohler fühlt,
  • es sich in der Schule besser entwickeln kann.

 

Und wenn Sie den Lehrer Ihres Kindes bei seinem Engagement für ein wohlgeordnetes Klassenzimmer unterstützen, kann er noch bessere Arbeit leisten.

Aber keine Methode kann alle Probleme lösen. Gewaltbereite Schüler, Schüler, die zu keinerlei Kooperation mit ihrem Lehrer bereit sind, depressiv-aggressive Schüler und beispielsweise solche mit extremer ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/​Hyperaktivitätsstörung) brauchen zusätzliche, jeweils genau auf sie zugeschnittene individuelle Maßnahmen. Ihr Ansprechpartner dafür sind die entsprechenden Fachstellen.

Dennoch bietet Classroom-Management jeder Lehrerin und jedem Lehrer ein enormes Potential an Methoden für ein geordnetes Klassenzimmer. Dieses Buch präsentiert Ihnen die wichtigsten Tools – anschaulich und praxisorientiert.

 

Zu diesem Buch: Dieses Buch ist klar praxisorientiert. Es enthält zahlreiche Anregungen, damit Sie aus einer Vielzahl von Vorschlägen diejenigen aussuchen können, die Ihnen am meisten zusagen. Sie müssen es weder in einem Mal durchlesen noch alle seine Vorschläge umsetzen. Das kann niemand und ist auch nicht das Ziel dieses Buchs. Lassen Sie sich beim Lesen Zeit, entspannen Sie sich dabei, machen Sie Pausen, lassen Sie die Vorschläge auf sich einwirken, denken Sie an das, was Sie davon bereits umsetzen und erreicht haben. Denn Classroom-Management ist keine Erfindung der Moderne. Vieles davon haben Lehrerinnen und Lehrer schon immer gemacht – und Sie auch.

Lassen Sie sich durch die Vorschläge zu Ihren eigenen, ganz persönlichen Ideen inspirieren. Und Ideen, die Ihnen nicht zusagen, können Sie einfach überblättern oder durchstreichen. Oder sprechen Sie mit Ihren Kollegen und Kolleginnen darüber. Mein Wunsch ist, dass Sie dieses Buch als das sehen, was es sein möchte – eine Anregung für Ihre Arbeit, die zu den anspruchsvollsten und für das Weiterkommen unserer Gesellschaft wichtigsten gehört.

Geringe Überschneidungen zum ersten Buch, aber manchmal auch zwischen den einzelnen Kapiteln dieses Buches ließen sich – aus Gründen der Verständlichkeit – nicht ganz vermeiden. Classroom-Management ist ein extrem komplexes und breit angelegtes Thema. Dieses Buch kann und will deshalb keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. In Bezug auf das aus den USA stammende Classroom-Management-Beobachtungs-System CLASS (Classroom Assessment Scoring System; Pianta et al. 2008, 2011) und seine Dimensionen (Emotional Support, Classroom Organization, Instructional Support) liegen seine Schwerpunkte auf den beiden ersten, »Emotional Support« und »Classroom-Organization«.

Das Kapitel »Die Classroom-Management-Beobachtungs-Skala« in Teil 2 bietet Ihnen einen schnellen Überblick über die wichtigsten Classroom-Management-Tools.

Im Text wird einmal vom »Schulleiter«, dann vom Direktor gesprochen. Das liegt daran, dass in den deutschsprachigen Ländern unterschiedliche Begriffe für die Person existieren, die eine Schule leitet.

Dank

Dieses Buch ist in der Praxis verankert. Das ist der Verdienst einer Vielzahl von Fachpersonen. Besonders bedanken möchte ich mich bei meiner Ko-Autorin Dr. Antje von Suchodoletz für ihre kooperative und mutmachende Zusammenarbeit. Und natürlich ganz besonders bei der Schulratspräsidentin des Schulrats der Schweizer Gemeinden Fläsch, Jenins und Maienfeld, Frau Barbara Bernhard, sowie den Lehrerinnen Bettina Peterli, Madlaina Möhr, die die Initialzündung zu Teil 1 »Chaos im Klassenzimmer« gaben. Ich danke aber auch Karin Zimmermann, Nicole Jörg, Iris Blöchlinger, Katja Krein, Angela Sgier, Nic Lardi, Bettina Willi, Nadja Juon, Andreas Kessler und all denen, die mir Einblick in ihre spannende und wertvolle Arbeit gewährt haben und die hier nicht erwähnt sind. Und ich danke den Fachkollegen vom Schulpsychologischen Dienst Graubünden, Raffaela Bissig, Christina Guhl, Ursi Wolf, und unserem Leiter Georges Steffen sowie Josef Willi vom Schulinspektorat. Ulrich Kleiber war immer da, wenn mal wieder das Netbook streikte. Mein Dank gilt schließlich Herrn Dr. Johannes Czaja vom Verlag Klett-Cotta für die viele Geduld, sein Engagement und für sein Entgegenkommen hinsichtlich meiner zahlreichen Sonderwünsche und Herrn Thomas Reichert für die umsichtige, sorgfältige und schnelle Korrektur.

Teil 1: Chaos im Klassenzimmer

Teil 1 beschreibt anhand eines Fallbeispiels – der Unterrichtssituation der Lehrerin Jeanine Paulson1 in einer fünften Klasse – einige der bedeutsamsten Classroom-Management-Tools. Sie führen in jedem Schulzimmer zu mehr Ruhe und Ordnung, erleichtern Ihren Unterricht und legen die Basis für gute Schulleistungen Ihrer Schüler. Zwar geht es im Beispiel um eine sehr schwierige Klassensituation, trotzdem werden Sie mit Sicherheit von den hier beschriebenen Werkzeugen profitieren,

  • wenn Sie sich ein Bild über das große Potential von Classroom-Management machen möchten,
  • wenn Sie in Ihrer Klasse stärkeres Gewicht auf Classroom-Management legen möchten,
  • wenn Sie gleich zum Beginn des nächstens Schuljahres gut vorbereitet starten möchten.

 

Sie werden überrascht sein, wie viele Möglichkeiten eine in Classroom-Management erfahrene Lehrperson hat, um auch schwierigste Klassensituationen erfolgreich zu verändern. Die große Kompetenz der beteiligten Lehrerin kann aber auch ein bisschen entmutigen, indem Sie etwa denken: »Das kann ich ja nie alles machen und schaffen!« Solche Reaktionen sind normal. Immerhin ist Classroom-Management auch ein im deutschen Sprachraum kaum behandeltes Thema. Lassen Sie sich von den Anregungen trotzdem inspirieren. Classroom-Management ist keine Hexerei, sondern bietet Tools für jede Unterrichtssituation, die jede Lehrperson einsetzen kann.

Jede Lehrperson kann ihre Classroom-Management-Expertise deutlich verbessern.

Und viele Classroom-Management-Tools sind einfach anzuwenden.

Das Fallbeispiel betrifft zwar eine fünfte Klasse, aber die dort beschriebenen Ansätze können Sie, mit nur geringfügiger Veränderung, ohne weiteres in den Klassen eins bis neun einsetzen.

Wie Chaos entsteht

Jeanine Paulsons Vorgängerin in dieser Klasse hatte offensichtlich alles durchgehen lassen. Die Schüler kauten ungeniert Kaugummis, standen nicht nur während des Unterrichts einfach auf und liefen durchs Klassenzimmer, sie verließen sogar den Raum – angeblich, um auf die Toilette zu gehen. Und das, ohne sich bei der Lehrerin abzumelden. Stillarbeit war nicht möglich, weil die Schüler daran gewöhnt waren, dauernd miteinander zu sprechen. Noch schlimmer aber war das gereizte Klassenklima, das von ausufernden Dominanzkämpfen einiger Jungen geprägt war, bei denen auch mal handgreifliche Auseinandersetzungen vorkamen. Einige, eher stillere und zurückhaltendere Mädchen waren eingeschüchtert und wagten es kaum, sich zu Wort zu melden. Dass viele Schüler schlecht lernten und schlechte Leistungen erbrachten, wunderte Jeanine Paulson nicht sonderlich.

Aber das war noch nicht alles. Die Fachlehrer beklagten sich bei Frau Paulson, mit dieser Klasse sei ein Unterricht kaum möglich. In der großen Pause fielen die Schüler durch stark aggressives Verhalten auf dem Pausenplatz auf.

Auch die Eltern waren mittlerweile alarmiert. Sie beschwerten sich bei Frau Paulson über die Missstände und drängten auf Änderung. Manche Eltern nahmen mit dem Schulleiter Kontakt auf, und zwei Mütter hatten sich sogar schon mit dem Schulamt in Verbindung gesetzt. Klar, dass Jeanine Paulson schnell ein ziemlich flaues Gefühl im Magen hatte. »Wie soll ich das nur schaffen«, fragte sie sich. Etwas musste sich ändern. Nur was – und wie?

Je länger eine »schwierige« Klassensituation anhält, umso aufwendiger ist es, daran etwas zu verändern. Deshalb gilt es, zügig und überlegt gegenzusteuern.

In einer solchen Situation erhoffen sich manche Lehrerinnen und Lehrer, dass sich die schwierige Klassendynamik doch noch wie durch ein Wunder zum Besseren wenden könnte. Diese Hoffnung erfüllt sich leider nie. Warum?

  • weil die tonangebenden Schüler in einer schwierigen Klasse gar nicht merken, wie belastend ihr Verhalten für ihre Lehrerin oder ihren Lehrer und ihre Mitschüler sein kann;
  • und weil sie ihre führende Stellung in der Klasse behalten oder sogar ausbauen wollen.

 

Der einfachste Weg, Ihre Classroom-Management-Expertise zu verbessern, ist:

  • das Studium der betreffenden Literatur,
  • die Zusammenarbeit mit Kollegen bezüglich der Classroom-Management-Themen,
  • das gegenseitige Hospitieren der Kollegen im Unterricht der jeweils anderen, wobei der Fokus auf Classroom-Management gelegt ist,
  • die Teilnahme an entsprechenden Fortbildungen,
  • dass man sich in Ihrer Schule darauf einigt, Classroom-Management zu einem Schwerpunkt zu machen.

Classroom-Management – wirkungsvoller mit der gesamten Schule

Bevor wir uns gleich wieder Jeanine Paulson zuwenden, ist noch eine Bemerkung unumgänglich: Das Beispiel zeigt, dass schwerwiegende Versäumnisse im Classroom-Management in den Folgen nicht auf die jeweilige Klasse begrenzt bleiben, sondern die ganze Schule tangieren. Und jeder Lehrer und jeder Schüler einer Schule spüren fehlende Classroom-Management-Expertise im Lehrerteam oder bei den einzelnen Lehrern. Genauso wie alle enorm davon profitieren, wenn das ganze Lehrerteam klar auf Classroom-Management setzt.

Classroom-Management erzielt eine deutlich höhere Wirkung, wenn es als Schulentwicklungsprojekt konzipiert wird, in das möglichst viele Lehrpersonen eingebunden sind (Rutter et al. 1980).

Wollen Schüler Chaos?

Manchmal scheint es ja so zu sein, als wollten manche Schüler vor allem eins, nämlich Chaos und Durcheinander produzieren. Oder das machen, was ihnen gerade in den Sinn kommt – nur nicht lernen und aufpassen. Darüber, ob dies wirklich so ist, gibt eine Studie von Cothran, Kulinna und Garrahy (2003) Auskunft. Demnach wünschen sich Schüler Lehrer, die regelgeleitet unterrichten, konsequent sind und gleichzeitig fürsorglich und am Schüler als Mensch interessiert sind. Schülern scheint es also doch nicht in erster Linie um Chaos und ein Handeln nach dem »Lustprinzip« zu gehen.

Ähnliches zeigt auch eine Umfrage des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) an der Technischen Universität Dortmund unter 2000 Schülern im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen. Dort sind die Schüler der Meinung:

  • »Ein guter Lehrer sollte sich unbedingt durchsetzen können.«
  • »Bei strengen Lehrern strengt man sich mehr an.«
  • »Da baut man automatisch nicht so viel Mist« (Felten 2010, S. 34).

Wenn Sie wertschätzend und konsequent für ein geordnetes Klassenzimmer sorgen, dann steigt Ihr Ansehen bei Ihren Schülern. Und auch bei deren Eltern.

Prioritäten-Management: Die ersten Schwerpunkte setzen

Selbstverständlich ist es schwierig, in einer derart angespannten Situation, wie sie Frau Paulson vorfand, klaren Kopf zu bewahren. Und es ist sogar gar nicht möglich und auch nicht sinnvoll zu meinen, derart komplexe Problemsituationen allein bewältigen zu können. Das sah auch Jeanine Paulson so: »Ich muss nicht alles allein machen«, dachte sie und beschloss, sich an ihren Direktor und den Schulpsychologen zu wenden. Sie berieten gemeinsam über das weitere Vorgehen und die ersten Schwerpunkte. Aber wo anfangen? Sie entschieden sich dazu, folgende Schwerpunkte zu setzen:

  1. ) nichts persönlich nehmen,
  2. ) Toilettenbesuch nur noch während der Pause gestatten,
  3. ) aufgrund begrenzter Zeit und Energie den Schwerpunkt beim Beziehungsaufbau klar auf die »herausfordernden« und »oppositionellen« Schüler und deren Eltern legen,
  4. ) ein erstes Ritual einführen,
  5. ) die Eltern orientieren.
     

Auf diese fünf Schwerpunkte will ich im Folgenden eingehen.

Die Arbeit des Lehrers ist so komplex, anspruchsvoll und befindet sich zudem dauernd im Wandel, dass er kontinuierlich seine Prioritäten neu reflektieren und festlegen muss. Das gilt auch hinsichtlich der jeweiligen Classroom-Management-Tools, die er anwenden will. Wenn er dies beachtet, erreicht er leichter ein ruhiges und geordnetes Klassenzimmer.

Bei Unruhe, unsozialem Verhalten, Spannungen in der Klasse usw. steht nicht mehr das Fachliche bzw. das Unterrichten von Lehrstoff im Vordergrund. Es geht vielmehr an erster Stelle darum, das Fundament für guten Unterricht erst einmal aufzubauen (vgl. Eichhorn 2012c).

Das war jetzt Jeanine Paulsons erste Priorität. Und alles andere war gegenüber diesem Ziel klar nachgeordnet.

Nichts persönlich nehmen

Als Jeanine Paulson damit begann, ihre Klasse auf Regeln aufmerksam zu machen oder auch einmal zurechtzuweisen, zögerten ihre »herausfordernden« Schüler nicht, ihr direkt zu signalisieren, was sie davon hielten. Sie verdrehten die Augen, runzelten die Stirn, wandten sich ab, schüttelten auch mal den Kopf und gaben Kommentare ab wie: »Auch das noch«, »Was soll jetzt das?« usw. Damit muss man erst mal umgehen können. Aber wie?

Zum Beispiel, indem man solche Reaktionen nicht persönlich nimmt – und sich klarmacht, dass »herausfordernde« Schüler eben gerne provozieren: vor allem ihre Lehrerin oder ihren Lehrer. Das kann schnell mal Ärger oder Enttäuschung hervorrufen, besonders dann, wenn man sich für seine Klasse engagiert.

Wenn derartige Emotionen entstehen, beeinflusst das natürlich die Beziehung zwischen der Lehrerin und ihren Schülern; diese wird immer angespannter – mit dem Ergebnis, dass die Schüler immer mehr provozieren und immer weniger kooperieren. Solche Situationen kommen im Leben jeder Lehrerin und jedes Lehrers vor. Dann geht es darum, mit diesen Gefühlen konstruktiv umzugehen. Frau Paulson sagte sich in dieser Situation: »Was auch geschieht, ich nehme es nicht persönlich«. Das gelingt natürlich niemandem von heute auf morgen. Aber man kann es lernen. Und Jeanine Paulson kam dabei gut voran.

Unangemessenes Verhalten von Seiten der Schüler verlangt von der Lehrerin oder dem Lehrer fast immer eine mentale Strategie, die es ihr oder ihm ermöglicht, emotionale Distanz herzustellen.

Eine andere Strategie ist, sich zu fragen: »Könnte das provokative Verhalten bedeuten, dass ich mich stärker um Classroom-Management bemühen sollte?« Meist ist das der Fall. Und diese Strategie ist deutlich wohltuender, als nach Feierabend vor Ärger nicht mehr richtig abschalten zu können (Eichhorn 2012a).

Den Schwerpunkt beim Beziehungsaufbau klar auf die »herausfordernden« und »oppositionellen« Schüler und deren Eltern legen

Störende Schüler, unsoziales Verhalten in der Klasse usw. bedeuten meist, dass man:

  • mehr in den Aufbau von Beziehungen,
  • mehr ins Classroom-Management und
  • mehr in ein gutes Klassenklima investieren muss.
     

Und beim Beziehungsaufbau stehen zunächst klar die »herausfordernden« Schüler im Mittelpunkt. Allerdings kümmern sich viele Lehrpersonen, aus Unwissenheit und vielleicht auch weil es einfacher ist, vor allem um ihre sozial kompetenten Schüler – mit dem Ergebnis, dass es, je länger die Schulzeit andauert, umso schwieriger wird, eine gute Beziehung zu den »herausfordernden« Schülern zu entwickeln. Dann stören die natürlich immer weiter. Falls Sie es in der Vergangenheit auch so gemacht haben sollten, brauchen Sie sich deshalb keine Gedanken zu machen. Richten Sie einfach für die Zukunft Ihre Prioritäten neu aus.

Obwohl wir uns erst am Anfang unseres Fallbeispiels befinden, ist eines schon jetzt klar: Um Lehrerin oder Lehrer zu sein, muss man Experte mit hoher Kompetenz und großem Engagement sein; Lehrer sind sicher keine »faulen Säcke«, wie der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder, damals noch Ministerpräsident in Niedersachsen, einmal gegenüber einer Schülerzeitung meinte (Perger 1995).

Toilettenbesuch nur während der Pause

Schon allein aus juristischen Gründen musste Jeanine Paulson sofort darauf reagieren, dass Schüler während der Unterrichtsstunde einfach aus dem Klassenzimmer liefen. Denn sie hätte sich der Verletzung der Aufsichtspflicht schuldig gemacht, wenn sie das weiter toleriert hätte. Frau Paulson überlegte mit ihrem Support-Team, wie sie sich diesen Umstand zunutze machen könnte. Sie kamen auf folgende Idee:

Sie benachrichtigte zuerst die Eltern (siehe dazu weiter unten den Abschnitt »Die Eltern orientieren«). Dann erklärte sie ihren Schülern, warum es nicht möglich sei, einfach das Klassenzimmer zu verlassen. »Das ist per Gesetz verboten«, sagte sie. »Ich habe per Gesetz eine Aufsichtspflicht, und die vernachlässige ich, wenn ich zulasse, dass ihr einfach zwischendurch aus dem Klassenzimmer geht. Das habt ihr vermutlich bis heute noch nicht gewusst. Aber so ist es. Es ist also gesetzlich verboten, dass jemand ohne meine Zustimmung das Klassenzimmer verlässt«. Nach einer Pause sagte sie: »Habt ihr dazu Fragen?« Und nach einer weiteren Pause: »Ich möchte eine Vereinbarung mit euch treffen: Ihr versprecht mir, dass ihr euch darum bemüht, während der Pause auf die Toilette zu gehen. Im Gegenzug bin ich bereit, auch mal ein Auge zuzudrücken, wenn jemand ganz dringend muss. Aber das erlaube ich nur in Ausnahmefällen und natürlich erst, nachdem ihr mich gefragt habt.«

Dass Jeanine Paulson so flexibel vorging, hat sich ausgezahlt: Ihre Schüler haben die neue Regelung sofort akzeptiert. Sie waren sogar froh, dass Ihnen Frau Paulson eine Ausnahme zugebilligt hat.

Definieren Sie erst klare Grenzen – und bieten Sie dann innerhalb dieser Grenzen Freiräume an. Und nicht umgekehrt.

Im Classroom-Management tritt die Lehrperson nicht wie ein sturer Diktator auf, sondern flexibel. Stellen Sie sich vor, was passiert wäre, wenn Frau Paulson erklärt hätte: »Ab heute dürft ihr während des Unterrichts nicht mehr auf die Toilette gehen.« Damit hätte sie ihre Schüler nur gegen sich aufgebracht.