Joachim Eichler

WEGEBILDER IM MÜNSTERLAND

Geschichte und Geschichten von Bildstöcken und Wegekreuzen

INHALT

1. Einleitung

2. Der Untergang der mittelalterlichen Wegebilder

3. Neuanfang um 1700

4. Wegebilder im Wandel der Zeit

5. Die Stifter und ihre Gründe

6. Werkstätten der Barockzeit

7. Wegebilder im Kulturkampf

8. Werkstätten im 19. und 20. Jahrhundert

9. Zweitverwendete Kunst

10. Der Preis der Frömmigkeit

11. Material der Wegebilder

12. Ausblick

01 EINLEITUNG

Wenn man das Münsterland definiert, dann kommen schnell die Begriffe Kernmünsterland, Westmünsterland und Ostmünsterland zum Tragen – Begriffe, deren Definition heute häufig schon nicht mehr bekannt sind. So wird häufig angenommen, das Westmünsterland beginne direkt am westlichen Stadtrand von Münster. Aber die Baumberge-Region bis nach Coesfeld ist noch Kernmünsterland! Die Unterschiede zwischen den drei münsterländischen Regionen haben mit dem Boden zu tun: Das Kernmünsterland ist durch lehmigen Boden geprägt, während das West- und das Ostmünsterland einen sandigen Boden aufweist. Auch gibt es Unterschiede in der Sprache. In Gescher wurde (und wird) schon ein anderes Platt gesprochen als in Coesfeld.

Bildstock bei St. Georgen in Kärnten (Foto © Peter Binter, Wikimedia)

Ein gemeinsames Kennzeichen der Region ist die sichtbare Frömmigkeit. Den Einheimischen fällt dies gar nicht als besonders auf, aber wer aus einem anderen, womöglich protestantischen Landstrich kommt, der staunt. Überall auf dem Land gibt es religiöse Symbole: Hof- und Wegekreuze, Heiligenstatuen, Reliefs mit biblischen Motiven, die in Kapellen oder in Bildstöcken unterschiedlicher Ausformung untergebracht sind. Das Münsterland hat hier kein Alleinstellungsmerkmal. In Österreich gibt es so viele Wegebilder in unterschiedlichen Formen, dass die Denkmalpflege eine Systematik erarbeitete, in der Tabernakelsäule und -pfeiler, Nischen- und Reliefblockpfeiler, Laubenpfeiler, Blocksäule und -pfeiler, Relieftafelsäule, Kastensäule, Nischenblocksäule, Bildsäule etc. unterschieden werden. In der Schweiz gibt es die „Helgenstöckli“, ähnliche Kleindenkmäler wie in Österreich findet man in Südböhmen und Südmähren – die gemeinsame Geschichte des Habsburger Reiches macht sich bemerkbar. Eine Vielzahl von steinernen Bildstöcken weist auch Mainfranken auf. In Nordrhein-Westfalen sind die charakteristischen „Schöpflöffel“ der Eifelregion zu nennen. Auch im Paderborner Land, im Sauerland und in Ostwestfalen finden sich natürlich Kapellen, aber auch Kreuzwege und Bildstöcke. Einzelstücke gibt es auch im Oldenburger Land und am Niederrhein. In allen diesen katholischen Regionen in NRW kann aber nicht davon die Rede sein, dass die Wegebilder landschaftsprägend sind. Das gilt aber für das Münsterland.

Ein Schöpflöffel am Südrand der Eifel bei Burg Eltz

Bildstöcke, Heiligenbilder, Wegekreuze sind unzweifelhaft religiöse Symbole, die im Münsterland Zeichen allgemeiner Frömmigkeit waren und sind. Dennoch führt es in die Irre, wenn das Thema entsprechend eingleisig betrachtet und mit religiösem Pathos angestrichen wird. „Wegemale können bis in die Gegenwart Orte religiösen Lebens sein: Sie geben Anlass zu privatem und gemeinschaftlichem Gebet und sind Segensstationen von Prozessionen. Dem nicht religiös empfindenden Menschen bleibt der spirituelle Gehalt von Wegemalen eventuell verschlossen. Anbetung Gottes und Ehrung heiliger Menschen, Lob, Bitte und Dank sind die Motive zur Errichtung von Wegemalen, zu ihrer Pflege und zum Gebet.“1 So schrieb die Geographin Lioba Beyer erst vor wenigen Jahren und trifft damit den allgemeinen Tenor, in den auch das wunderbare, 2010 erschienene Büchlein „Mein Denkmal und ich“2 einstimmt. Es ist immer die Rede von der allgemeinen „Volksfrömmigkeit“ der Münsterländer in der Vergangenheit. Ich nenne das eine unzulässige Verkürzung von Menschlichkeit. Auch die münsterländer Katholiken waren nur Menschen und als solche nicht nur eingleisig „fromm“. Der 1974 verstorbene Wegebild-Forscher Georg Jakob Meyer nannte das in seinem posthum erschienenen Werk ein „verharmlosende<s> Schema“.3 Wie wohl jeder Priester in den Dörfern wusste, gab es auch Liebe, Hass, Furcht, Begierde, Stolz und Geltungsbedürfnis. Und so soll es nicht verschwiegen werden, wenn für die Stiftung manchen Wegebildes handfeste menschliche Gründe verantwortlich gemacht werden können. Solche Details sind wichtig, damit die zumeist steinernen Denkmäler von der Vergangenheit berichten können. Auch Meyer schrieb schon: „Zwar mag es der Grundgedanke gewesen sein, Gott zur Ehre ein Werk zu weihen, aber daneben fungierte die andere Idee, den Namen des Votanten <des Stifters, J.E.> im Bewusstsein der Mitbürger und Nachkommen herauszustellen und lebendig zu erhalten. Dieses Ziel konnte man um so eher erreichen, je stattlicher das Kreuz und vor allem der Bildstock gearbeitet war.“4 Man repräsentierte eben noch nicht durch Autos und ein prachtvoller Bildstock konnte das zeitgenössische Gegenstück zum heutigen E-Klasse-Mercedes sein. Vereinzelt ist auch überliefert, dass nicht etwa ein spontaner Anfall von Frömmigkeit zur Stiftung eines Bildstocks führte, sondern der Druck des Pfarrers – und sei der Grund nur, dass der Priester mehr „Stationen“ für die große Prozession brauchte.

Einer von zwei Bildstöcken am Hof Richter bei Havixbeck

Wegebilder wurden in der Vergangenheit von der Wissenschaft gar nicht als Kunst angesehen. „Volkskunst“ war der herablassende Terminus für die Heiligendarstellungen in der münsterländischen Landschaft, weil die inhaltliche Aussage wichtiger war als die künstlerische Form. Mir ist diese herablassende Betrachtungsweise fremd, wenn ich auch die künstlerischen Unterschiede nicht abstreitet, die zwischen einem Bildstock vom Hofbildhauer des Fürstbischofs und einem solchen von Hand eines „Dorfbildhauers“ existieren. Und manche Ausdrücke tiefer Religiosität werden kritisch betrachtet werden, „geschmackssicher“ sind sie nicht alle. Damit wird aber der Inhalt der Darstellung nicht beleidigt, um dies vorher klarzustellen.

Was kann dieses Buch leisten? Für die meisten Kommunen im Münsterland wurde in den letzten 30 Jahren ein Büchlein oder ein stattliches Werk über die Wegebilder auf dem Gemeindegebiet herausgegeben und hundertfach ist Johann Bernhard von Galen, Bischof zu Münster, zitiert worden. Da „häretische Soldaten (…) in frevelhaftem Uebermuth sämmtliche Kruzifix-Bilder im Münsterland umgeworfen und zertrümmert, welche die Frömmigkeit der Vorfahren nach uralter Sitte an den Wegen und Aeckern und auf Haideflächen errichtet hatten“5, ließ er einen allgemeinen Befehl ergehen, dass diese wieder errichtet werden sollten.

Die fünfte Telgter Wallfahrtsstation

Und in seinem Auftrag ließ Johann Blankenfort, der Rektor des Jesuiten-Kollegs Münster, die fünf Stationen auf dem Wallfahrtsweg von Münster zum Telgter Gnadenbild errichten.6 Dies war das Vorbild für viele weitere Bildstöcke. Das ist alles gut bekannt.

Aber ein Überblick über die Geschichte der Wegebilder im Münsterland fehlt noch. Die erwähnte lokale Literatur war mal mehr, mal weniger 7

Bildstock bei Telgte

Tatsächlich sind die meisten Veröffentlichungen der 1980er Jahre detail- und kenntnisreicher, was die Hintergründe der Stiftungen von Wegebildern angeht. Die m. E. beste Veröffentlichung zur Geschichte der Wegebilder ist eine Einleitung zu einer Publikation über die Wegebilder und Kapellen der Barockzeit im Kreis Steinfurt.8 Geht es um die Wegebilder der Barockzeit, so verweise ich gern auf diesen ausgezeichneten Text, den ich natürlich auch mit eingearbeitet habe, dessen Ausführlichkeit hier aber nicht entsprochen wird.

Die Vielzahl der heimatgeschichtlichen Publikationen versuche ich auszuwerten, um gemeinsame Fragen zu beantworten. Warum wurden die Kreuze, Bildstöcke und Heiligenhäuschen gestiftet? Wie konnten manche dieser Objekte durch die ganz eigene Geschichte der Stifterfamilie ihren Zweck verändern? Was haben die Stiftungen gekostet? Wer hat die Objekte angefertigt? Welche Materialien wurden verwendet? Gab es innerhalb des Münsterlandes regionale Besonderheiten?