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Edel Books

Für den Komplizen bei allen Sentenzentänzen

INHALT

0.Vorwort

1.Staub, Schmutz, Bakterien – wie gefährlich sind unsere lebenslangen Begleiter?

2.Von Tieren und Pflanzen lernen: Keine Art, die heute existiert, hätte ohne Hygienetricks überleben können

3.Wie der Mensch (sich) putzen lernte. Wege und Irrwege im Reich der Sauberkeit

4.Psychologie. Von Putztypologien, Ekel, Erziehung, Kultur und dem Einfluss der Werbung

5.Wie werden wir den Schmutz wieder los, den wir in die Welt gebracht haben?

6.Lebendiger Schmutz – unsichtbar, unheimlich und noch immer nicht völlig verstanden

7.Das Immunsystem: Dr. med. im eigenen Leib

8.Hygienealarm der gefährlichen Sorte. Von Antibiotikaresistenz und Krankenhauskeimen

9.Bakterien als Lehrmeister. Neues Denken ist gefordert!

10.Was tun? Kopf hoch, auch wenn der Hals dreckig ist!

Literaturempfehlungen

Dank

VORWORT

Liebe Leserinnen und Leser,

wir sollten über Schmutz reden. In den Schlagzeilen meldet er sich zur Zeit ziemlich häufig und sendet SOS-Signale aus ganz verschiedenen Richtungen. Er zeigt sich als Müllstrudel aus großen und winzigen Plastikteilen im Meer. Er hängt als drohende Feinstaub- und Dieselabgaswolke über den Städten; eine Wolke, die sich von Automobilmanagern auch mit Voodoomethoden illegaler Software nicht weghexen lässt. Er meldet sich als Trinkwassergefahr, weil zu viel Düngemittel und Gülle aus der Landwirtschaft ins Grundwasser sickern. Er präsentiert sich in Badeseen in Form gefährlicher Bakterien, gegen die Antibiotika kaum noch etwas ausrichten können.

Etwas läuft schrecklich schief bei unserem Umgang mit Schmutz. Die Alarmrufe kommen nicht nur aus armen Ländern, die sich Sauberkeit nicht leisten können oder wollen. Sie stammen auch aus Deutschland und anderen Industrieländern, die stolz auf ihre Umweltbemühungen sind. Aus Staaten, deren Bürger viel Geld ausgeben für eine geordnete Müll- und Abwasserbehandlung. Aus Regionen, deren Bewohner sorgfältig und geradezu leidenschaftlich ihren Abfall trennen, die Kehrwoche beachten und ohne Murren Pfand auf Einwegflaschen zahlen.

Sind wir noch ganz sauber? Wenn ja, wie kann es sein, dass wir uns im privaten Bereich ausgiebig mit Körperpflege, Waschen und Putzen beschäftigen und zugleich Luft, Wasser und Böden zum gigantischen Müllabladeplatz verkommen lassen? Wie können Politiker und Manager den Begriff Nachhaltigkeit seit Jahrzehnten wie ein Mantra im Munde führen und dabei ungerührt mitansehen, dass die Erde zum Plastikplaneten wird? Wie können wir als Verbraucher glauben, dass sich die 2,8 Milliarden (!) Coffee-to-go-Einwegbecher, die im Jahr allein in unserem Land eingeschenkt werden, irgendwie problemlos in Luft auflösen? Wie sind durch sorglosen Umgang mit Antibiotika mörderische Bakterien entstanden, die unvorhersehbare Gesundheitsrisiken ausgelöst haben? Und vor allem: Wie können wir uns aus der Sackgasse herausmanövrieren, in der wir gelandet sind?

Ich habe mich als Autorin und Redakteurin bei GEO sehr lange mit Themen an den Schnittpunkten zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Philosophie beschäftigt, mit Artenvielfalt, Gentechnik, Umweltproblemen und Klimaschutz, mit Kreativität, Trauer und Weisheit, mit den Grenzen des Wachstums und Modellen für ein gutes Leben. So vielfältig die Themen sind, sie umkreisen alle einen faszinierenden Kern: das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Welche Haltung nehmen wir zur Welt ein, in die wir hineingeboren werden? Sehen wir sie eher als Garten oder als Baustelle? Empfinden wir uns als Teil der Natur und akzeptieren die Grenzen, die sie uns setzt, oder wollen wir diese Grenzen so schnell wie möglich hinter uns lassen?

Das Thema Schmutz bietet da unbequeme Lehren. Wenn wir die Welt als Baustelle sehen, in der wir mit Hochgeschwindigkeit Fortschritt organisieren, dann gleicht sie zur Zeit der von Stuttgart 21 und dem Berliner Flughafen. Die Abfälle von bald 7,7 Milliarden Menschen überfordern die Belastungspuffer von Luft, Gewässern und Böden. Um gegenzusteuern, wird es nicht reichen, Wattestäbchen und Plastikstrohhalme zu verbieten. Eine Wirtschaftsweise, die von Jahr zu Jahr mehr Waren ausstößt, ohne ein Konzept zu haben, was nach Gebrauch passiert, begeht Harakiri.

In einer Sackgasse zu landen, hat einen Vorteil. Man merkt, dass man umkehren und noch einmal neu nachdenken muss. Dieses Buch will Denkanstöße geben. Es beschreibt die Kunst klugen Putzens, die schon Tiere und Pflanzen beherrschen müssen, um zu überleben. Es stellt die erstaunlichen Erfindungen der Evolution vor, die in der Natur ganz ohne Seife und Müllverbrennungsanlagen für Sauberkeit sorgen – und deren Kreislauf- und Recyclingwirtschaft ein Vorbild für die Zukunft sein könnte. Es fragt, wie es zu unserer menschengemachten Ex-und-Hopp-Kultur gekommen ist, deren Waren sich bei und nach Gebrauch an uns rächen. Es schildert die Suche nach Auswegen und Alternativen. Davon gibt es jede Menge, aber sie erfordern eine grundsätzliche Neuorientierung. Denn sehr viele Chemikalien der modernen Wirtschaftswelt sind nicht auf natürlichem Weg abbaubar. Mit ihren SOS-Signalen zeigt die Umwelt uns heute Grenzen.

Offenbar haben wir das Gefühl für das rechte Maß verloren. Und das fängt im eigenen Badezimmer und in der eigenen Küche an, im Reich der Anti-Fett-Formeln, Anti-Geruch-Formeln, Anti-Rost-Formeln, Anti-Staub-Formeln, Anti-Kalk- und Anti-Kalk-Plus-Formeln. Bei meinen Gesprächen mit Sachkundigen aus Wissenschaft und Praxis ging es immer wieder um die Frage, wie eine gute Balance von Schmutzen und Putzen aussehen kann. Eine simple Antwort war: Abrüsten bei Körperpflege-, Wasch- und Putzmitteln! Wir verwenden weit mehr und weit aggressivere Mittel als es uns selbst und unserer Umwelt guttut. Aber Hygiene bedeutet eben nicht keimfreie Ultrareinheit, sondern vor allem das Bewahren und das Fördern von Gesundheit.

Sauberkeit und Gesundheit als umfassendes und gemeinsames Ziel zu betrachten, erweitert den Horizont. Es führt zum Thema, wie erstaunlich gut der menschliche Körper von Natur aus gerüstet ist, um mit Schmutz fertig zu werden und gesund zu bleiben. Dafür sorgt das Immunsystem als eine Art Putztruppe im eigenen Leib. Es befreit uns in der Regel rund um die Uhr von Schadstoffen und Krankheitserregern, ohne dass unser Gehirn die ständigen Risiken überhaupt wahrnimmt, die den Organismus bedrohen. Erfolgreich klappt das aber nur, wenn das Immunsystem früh mit Schmutz konfrontiert war, um sich zu trainieren. Wo das in der heutigen Gesellschaft nicht mehr der Fall ist, nehmen neuartige Epidemien wie Allergien und Asthma zu. Zu den aktuell spannendsten Forschungsprojekten gehören solche, die mit Schmutzbakterien als Arznei Hoffnung auf Heilung suchen: Wie können Keime aus dem Kuhstall vor Allergien und Asthma schützen?

Bakterien gehören zu den unheimlichsten Akteuren der Schmutzdebatte. Sie sind unsichtbar, mitunter hochgefährlich, aber in den meisten Fällen harmlos oder sogar segensreich. Durch Fortschritte in der Mikroskopie und DNA-Analyse geraten sie ins Rampenlicht und werden zu Stars eines ganz neuen Forschungsfelds: Wie beeinflusst das menschliche Mikrobiom die Gesundheit, also die Gesamtheit der etwa 39 Billionen bakteriellen Mitbewohner, die in und auf unserem Körper siedeln? Gleichzeitig steht die Medizin vor neuen Problemen: Wie lassen sich jene neuartigen mörderischen Bakterien in Schach halten, die resistent gegen Antibiotika sind?

Bakterien, Feinstaub, Mikroplastik, Müll – Schmutz hat viele Facetten. Ich verspreche, sie sind faszinierend. Das Gute dabei: Die SOS-Signale der Umwelt haben Menschen weltweit in Bewegung gebracht. Sie reden über Schmutz und sie handeln: die Müllverweigerinnen im indischen Alappuzha und die Anti-Plastik-Streiter in Ruanda und Kenia, Ploggerinnen und Plastikfischer, Feinstaubkläger und EU-Juristen, Citizen-Science-Luftmessgruppen, Transition-Town-Initiativen, Mehrwegbecherheldinnen, Humusrevolutionäre, Verpackungsverweigerer, Pioniere der Kreislaufwirtschaft …

Trotzdem bleibt die Botschaft des Buches eine Kränkung: Die Natur schmutzt, der Mensch schmutzt und die Dinge schmutzen. Das Ringen um Hygiene ist nie zu Ende, der Kampf ist einseitig, am Ende gewinnt immer der Schmutz. Aber wenn wir uns als Individuen klug verhalten, können wir viel dafür tun, mit wenig Putzchemie gesund zu bleiben. Und wenn wir uns als Gesellschaft klug verhalten, können wir einiges dafür tun, den Planeten zu bewahren, der uns am Leben hält.

Ich habe für dieses Buch mit vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gesprochen, aber ich wollte auch Praktiker kennenlernen, die mit Schmutz hautnah und sehr oft zu tun haben. Die Schicht mit einem Team der Hamburger Straßenreinigung gehört zu den beeindruckendsten Erlebnissen der Recherche. Man sieht seine Stadt mit anderen Augen, wenn man um halb sechs im Straßenlampenlicht die Dreckreste des Vortags in schwarzgraue Säcke schaufelt.

Die Autorin als mithelfender Gast beim Straßenreinigungs-Team

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STAUB, SCHMUTZ, BAKTERIEN – WIE GEFÄHRLICH SIND UNSERE LEBENSLANGEN BEGLEITER?

Sichtbarer und unsichtbarer Schmutz gehört von Beginn an zum Leben. Stäube, Abgase und Bakterien sind allgegenwärtig. Brauchbares verwandelt sich in Abfall. Aber statt Alarmismus ist Respekt geboten. Wichtig ist zu verstehen, wo und wann welcher Schmutz warum gefährlich ist. Und wie wir die Gefahren vermindern und verhindern können. Inspiration gibt eine antike Göttin: Hygieia, zuständig für Sauberkeit und Gesunderhaltung.

Alles fängt mit Staub an.

Es gibt diese Momente kurz nach dem Aufwachen. Ein Sonnenstrahl fällt durch den Vorhangschlitz. Vor den schläfrigen Augen tanzen Staubpartikel. Von der Laune einer Lichtreflexion beleuchtet, schweben sie durch den Raum, ohne sich von Schwerkraft stören zu lassen. Zu sehen sind Luftbewohner von unterschiedlicher Gestalt, winzige Individuen. Viele. Sehr viele. Zu viele, meldet sich das Hausfrauengewissen. Aber vom Bett aus beobachtet und bewundert man das Schauspiel wie ein Kunstwerk. Stilles Staunen. Noch kein Gedanke daran, was der neue Staubsauger mit Triple-Particle-Cleaning-System und Pet-Power-Bürste in dieser Situation anstellen möchte. Staub kann schön sein.

Dafür, wie er in die Welt kam, gibt es zwei Theorien, eine religiöse und eine weltliche. Beide voller Dramatik und mit weitreichenden Folgen.

Am Anfang, sagt die Bibel, schuf Gott Himmel und Erde. Und als eine Art Ur-Schmutz den Staub. Auch er ist gleich in der Schöpfungsgeschichte präsent, direkt nach dem Sündenfall. Die Schlange, die den Plot mit Eva und dem Apfel ausgeheckt hat, lernt ihn als drastische Strafe kennen: „Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang.“ Klar wird, dass Gott Staub nicht mag. Vielleicht war er ein unbeabsichtigter Nebeneffekt der Erderschaffung. Nun, da er existiert, setzt Gott ihn als Schikane ein. Adam bekommt Gottes Zorn als Nächster zu spüren, wird zu Mühsal beim Lebenserwerb verdammt und erfährt: „Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.“ Und Eva? Ihre Nachfahrinnen sind über die nächsten abertausend Generationen für die Beseitigung des immerwährenden Staubanfalls zwischendurch zuständig. Das scheint so selbstverständlich, dass die Heilige Schrift es gar nicht erwähnt.

Adieu, die Aussicht auf ewiges Leben und staubfreie Zustände. Wie hätte es ausgesehen im Garten Eden, wenn die Schlange den entscheidenden Moment verschlafen oder Gott mehr Nachsicht gehabt hätte? Hätten Engel als himmlische Putzkolonnen Erfindungen wie Mikrofasertücher und Staubsauger überflüssig gemacht? Oder wären Staub- und Schmutzpartikel für immer im Boden geblieben, statt munter zwischen Himmel und Erde umherzuwirbeln und Grenzwerte für Feinstaub mit Partikelgrößen über und unter 2,5 Mikrometer nötig zu machen? Dazu schweigt die Bibel.

Die wissenschaftliche Lesart ist konkreter. In ihr spielt Staub für das irdische Leben eine genauso entscheidende, aber viel positivere Rolle. Schuld ist der Urknall, der vor geschätzten 13,8 Milliarden Jahren dafür gesorgt hat, dass sich Energie von unendlicher Dichte in Raum, Zeit und Materie verwandelte. Das Universum wird geboren. Der Prozess bringt einige Milliarden Jahre später auch Sonne und Erde hervor. Unser Sonnensystem und seine Planeten entstehen infolge gewaltiger Gas- und Staubexplosionen als Produkt von Sternenstaub und unvorstellbarer Hitze. Astronomen finden dafür fast biblische Formulierungen: „Nachdem die Sonne … gezündet war, verklebte der übrig gebliebene Staub um sie herum, sodass immer größere Gesteinsbrocken und schließlich die Vorläufer der Gesteinsplaneten entstanden.“ Irgendwann auch die Erde.

Laut Evolutionslehre liegen zwischen dieser Staubgeburt, dem ersten Leben auf dem Planeten und der Ankunft des Menschen etliche Zwischenstationen. Die haben der Erde nicht nur 118 chemische Elemente von Actinium und Aluminium bis Zinn und Zirconium beschert. Durch erstaunliche, bis heute nicht völlig geklärte chemische Reaktionen entstanden organische Verbindungen und schließlich lebende Zellen, die sich vermehren konnten. Erst im Wasser, dann an Land. Zunächst und vor allem Kleinzeug. Einzeller. Bakterien. Algen. Irgendwann komplexe Kreaturen wie Dinosaurier, Mammuts, Affen und Menschen.

Alles fängt mit Staub an. Mit zermalmter Materie, die sich mal auflöst, mal wieder zusammenklumpt, lebendig wird, wieder abstirbt und zerbröselt.

Mehr Achtung und Beachtung scheinen angebracht. Der Staub hat unsere Welt geformt. Und er wird bis in alle Ewigkeit in Myriaden kleinster Partikel weiter wirbeln. In den Weiten des Alls schwebt er in interstellaren Wolken. In den Schlafzimmern der Menschen tanzt er durch Vorhangschlitze ins Licht. Allgegenwärtig auf jedem Kontinent. Klumpt zusammen, sammelt sich in tückisch schwer erreichbaren Ecken, erinnert daran, dass nach dem Aufstehen der Hausputz fällig ist.

So betrachtet ist Staub der Ur-Schmutz, aber er ist auch unser Ur-Ahn, unser entfernter Verwandter. Ohne ihn gäbe es uns nicht. Er begleitet uns von Anfang bis Ende. Wir haben gelernt, ihn zu bändigen mit unseren Erfindungen vom Staubwedel bis zur Pet-Power-Bürste, aber wir werden ihn nie ganz los. Es ist klug, sich mit ihm zu arrangieren. Und zwischen Scheuern und Wischen und Saugen darf man staunen über die Schöpfung, den Urknall, das Leben, die Sauberkeit und den Schmutz. Die modernsten Schmutzvarianten hat der Mensch selbst in die Welt gebracht. Nun sammeln sie sich an zwischen Himmel und Erde, als Weltraumschrott im All und als Mikroplastik im Meer.

Smuz – das, was nicht da sein sollte

Was also ist Schmutz heute? Gebräuchlich ist der Begriff smuz seit dem 15. Jahrhundert in der Bedeutung von „anhaftender Dreck, Schmiere, Fett“, verwandt mit dem englischen Wort smut für „Schmutzfleck“ und „Ruß“; auch die Wurzel mu für „feucht, modrig“ ist enthalten.

Den Schmutz des 21. Jahrhunderts definiert der Duden abstrakter und ziemlich hilflos als „etwas, was irgendwo Unsauberkeit verursacht“. Was das konkret sein mag, bleibt der eigenen Vorstellungskraft überlassen. Die rattert schnell los. Spinnweben, Wollmäuse, Blattläuse, Kakerlaken, Ungeziefer. Verkrustete Pfannenböden, Kalkränder, Zahn- und Urinstein, grüner Schleim, Matsch, Erbrochenes, Hundekot unter dem Schuh. Ein Ölfilm auf dem Wasser. Plastik im Meer. Schweißgeruch. Ein muffiger Raum mit ungemachten Betten. Der Gestank einer Fußgängerunterführung, die als Pissoir missbraucht wird. Verschimmeltes Brot, Rotwein- und Kaffeeflecken auf dem Teppich, überquellende Aschenbecher, Berge von ungespültem Geschirr, verklebt mit Pizza- und Getränkeresten. Ein verstopftes Klo. Übervolle Abfalleimer, Gerümpel am Straßenrand, Giftmüll, Atombrennstäbe … Alles, was besser nicht da sein sollte.

Und dazu noch vieles, was man gar nicht sehen kann. Feinstaub, alle möglichen Gase wie Stickoxide aus Dieselmotoren, Bakterien.

Ärmel aufkrempeln und Gummihandschuhe bereitlegen, bitte! Wir schauen in den Spiegel und sehen: Wir sind gerüstet. Wer uns da entgegenblickt, ist Herrscher/in über etliche Armeen im Auftrag der Sauberkeit. Brigade 1: Shampoo, Duschgel, Deo & Co. für den leiblichen Bedarf. Brigade 2: die Wasch- und Putzmittel-Trupps für Kleidung, Schuhe, Möbel, Kacheln, Böden, Teppiche, Geschirr, Besteck, Fenster. Brigade 3: Schwadronen von Bürsten, Lappen, Schrubbern, Pads, Schwämmen, Mikrofasertüchern. Brigade 4: die kilowattstarken Helfer wie Staubsauger, Wasch- und Spülmaschine …

Wo anfangen? Überall!

Schmutz macht Gänsehautschlagzeilen. Die Signale scheinen eindeutig: 100 Millionen Bakterien tummeln sich auf jedem Quadratzentimeter Wischmoppoberfläche und 113 000 Millionen Bakterien auf 10 Quadratzentimeter Kühlschrank! 1,5 Millionen Milben lauern in einem Durchschnittsbett! 362 verschiedene Bakterienarten haben deutsche Wissenschaftler auf 14 gebrauchten Spülschwämmen entdeckt. Vor 45 giftigen Chemikalien im Hausstaub warnen amerikanische Studien und malen die möglichen Folgen aus: Krebs, Fettleibigkeit, Unfruchtbarkeit, Schilddrüsenerkrankungen.

Ketzerische Fragen drängen sich auf: Wenn sich auf dem Wischmopp schon Milliarden Bakterien drängeln, hat es dann Sinn, noch mehr zu wischen? Oder ist der Bakterienalarmismus vielleicht doch übertrieben? Er ist es. Die schönste wissenschaftliche Antwort darauf hat 2014 das Team um den niederländischen Mikrobiologen Remco Kort in seiner „Knutsch-Studie“ geliefert. Danach tauschen bei einem 10-Sekunden-Zungenkuss im Durchschnitt 80 Millionen Bakterien die Wirte. Von anschließenden Gesundheitsproblemen war keine Rede.

Lassen wir die Milben erst einmal im Bett und die Bakterien im Kühlschrank. Ohne Einordnung sind große Zahlen wertlos. Als Grundregel bleibt die Lektion: Man sollte Staubflusen nicht mit dem Löffel essen, nicht in Spülschwämme beißen und keine Wischmopps küssen.

Um mehr zu erfahren, scheint es angebracht, die Schmutzarten etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Ein paar Leitfragen können helfen: Wo kommt das alles her? Wie geht der Schmutz wieder weg? Wo bleibt er, wenn wir ihn aufgewischt, aufgefegt, aufgesaugt, weggewaschen, weggespült haben? Und: Wie gefährlich ist welcher Schmutz wann und wo?

Schmutz in der Luft

Luft ist unser Lebenselixier. Zu mehr als 99,9 Prozent besteht sie aus Stickstoff, Sauerstoff und dem Edelgas Argon. Im Promillebereich, der übrig bleibt, liegt der Teil, der bei der Schmutzerkundung interessiert: Es sind die sogenannten Aerosole, Schwebeteilchen, in denen sich Verunreinigungen in Form von Stäuben und Gasen verstecken. Sie umgeben uns ständig hautnah. Denn die sichtbaren Staubflusen, die sich im Licht zeigen und die wir mit Staubtüchern und Staubsaugern beherrschen wollen, sind nur der allergröbste Staubanteil im Cocktail der Atemluft. Die feineren Teilchen bilden ein unsichtbares Universum, das einem Miniaturchemiebaukasten ähnelt. Selbst wenn wir uns noch so eifrig um ihre Reduzierung bemühen, nehmen wir sie mit jedem Atemzug in uns auf. In einem Liter Luft finden sich Zigtausende Feinstaubpartikel, in Innenräumen häufig genauso viel wie in der Außenluft. Und ein Liter Luft entspricht gerade mal zwei Atemzügen.

Die gute Nachricht: Ein gesunder Körper toleriert eine Menge Staub. Eine ganze Kaskade von Schutzwällen sorgt dafür, dass er gar nicht erst dorthin kommt, wo er Schaden anrichten kann, oder dass er schnell wieder abtransportiert wird. Feine Härchen in der Nase. Die Schleimhäute im Rachenraum. Reflexe wie das Niesen und Husten. Dazu später mehr.

Zunächst ist es faszinierend, zu erfahren, woher all die Teilchen stammen, die unseren Nasen, unseren Lungen und unserer Haut im Haus und auf der Straße begegnen. Viele Partikel im Hausstaub produzieren wir unablässig selbst – weil wir leben und uns bewegen. Weil unsere Haut sich ständig erneuert, verlieren wir ziemlich unbemerkt ständig Hautschuppen. Und zwar reichlich viele: Schon beim normalen Gehen machen sich nach Schätzungen von Hygienekennern in jeder Minute 10 000 Hautschuppen selbstständig. Noch weit mehr sind es, wenn wir uns absichtlich vom Dreck befreien, beim Waschen, Duschen, Baden, Abtrocknen, Haarebürsten. Anderer Staub entsteht bei Luftverwirbelungen oder wenn bei Reibung von Feststoffen winzige Partikel abhandenkommen: Wenn wir ein Buch umblättern, ein Handy ans Ohr halten, einen Pullover ausschütteln, die Blumen in der Vase ordnen. Textilien sind ebenfalls begeisterte Staubproduzenten. Fasern aus der Kleidung, von Sofas, Sesseln und Teppichen steuern einen großen Teil in Innenräumen bei.

Draußen beleben vor allem Gewerbebetriebe und Verkehr die Luft – fast ein Fünftel des Gesamtstaubs in Städten stammt allein vom Reifenabrieb. Dafür sind nicht nur die Vollbremsungen verantwortlich, die sich sichtbar als schwarze Streifen auf dem Asphalt abzeichnen. Jede Beschleunigung, jede Unebenheit auf der Straße hinterlässt zierlichere unsichtbare Spuren.

Alle Verbrennungsprozesse setzen feste Stoffe wie Feinstaub, Ruß und Schwermetalle frei, dazu Partikel in Gasform: Kohlendioxid, Schwefeldioxid, Stickoxide. Zu den Verursachern im Nahbereich gehören Automotoren und Heizungen, aber auch Zigarettenrauch oder Kerzen. Aus höheren Sphären mischen sich weiter gereiste Partikel ein. Sie kommen vom Winde verweht zu uns, aus Auspuffrohren und Abgasen hoher Schornsteine. Die Betriebe, die Rohstoffe mithilfe von Energie in Wirtschaftswachstum verwandeln, entlassen die Reste, die den Filteranlagen entgehen, in die Luft: Lösemittel, Weichmacher, Kraftstoffe, Treibgase. Kraftwerke und Müllverbrennungsanlagen steuern einen eigenen Anteil bei.

Partikel aus der Natur bereichern den Luftcocktail mit einer eigenen Note. Mit Blütenstaub, Sporen und Duftstoffmolekülen aus Parks und Wiesen. Die Landwirtschaft trägt dazu bei mit Ammoniak aus Düngemitteln und Staub, der beim Pflügen, Säen, Ausbringen von Gülle oder Verspritzen von Unkrautvernichtungsmitteln in Mais-, Raps- und Spargelfeldern entsteht. Mikroorganismen und Methan bilden sich bei der unablässigen Zersetzung von Böden in Wäldern. Auch Gischt aus dem Meer macht sich selbstständig und trägt Algen und Bakterien weit ins Land hinein. Und bei verrückten Wetterlagen schafft es sogar exotischer Staub aus der Sahara bis nach Deutschland. Staub, den man in Hamburg atmet – ein Gruß aus Afrika! Wer weiß, vielleicht verirrt sich auch mal eine Prise feinst zerkrümelter Elbsand an die Elfenbeinküste.

Schmutz bleibt ungern, wo er ist

Liegt Schmutz in der Atemluft, kann man ihm kaum entgehen – wer an einer Hauptstraße wohnt oder als Pollenallergiker im Frühjahr im Park spazieren geht, wird das seufzend bestätigen. Trotzdem hätten wir Grund, dem Himmel zu danken, denn er verhält sich dem Atemwesen Mensch gegenüber ziemlich gnädig. Für die Schadstoffe, die wir mit unserer Art zu leben sorglos in die Luft pusten, gewährt er eine Art Strafnachlass. Die chemischen Reaktionen und Austauschprozesse in den atmosphärischen Schichten hoch über der Erde sind kompliziert. Teilchen reagieren miteinander, erzeugen neue Moleküle, die mal harmlos, mal schädlich sind und mal Richtung Boden, mal Richtung Weltraum abdriften. Im Endeffekt wirken sie segensreich, zum Beispiel, indem sie Wolken erzeugen, die reinigenden Regen schicken.

Wie schmutzig die Luft ohne Hilfe dieser Atmosphärenchemie wäre, hat das Umweltbundesamt berechnet. Was für eine Luft müssten wir atmen, wenn sich aller Dreck seit Beginn der Industrialisierung vor 200 Jahren in den bodennahen Luftschichten angereichert hätte? Das Ergebnis ist, dass die Atemluft überall auf der Welt „am ehesten der in London während der großen Smog-Katastrophe im Dezember 1952“ entspräche.

Die war legendär und apokalyptisch. Sie entwickelte sich als Folge einer Inversionswetterlage, die am 5. Dezember begann. Kalte Luft breitete sich in Bodennähe aus, und alle fingen an zu heizen, damals mit Kohle. Dazu kamen Ruß und Rauch aus Fabrik- und Kraftwerkschornsteinen. Weil kein Wind wehte und die obere warme Luftschicht wie ein Deckel über der Stadt lag, blieb der hoch konzentrierte Smog über der Stadt gefangen und konnte nicht wie sonst ins Umland entweichen. Der schwefelhaltige Nebel wurde so dicht, dass Menschen ihre ausgestreckten Hände nicht mehr sehen konnten. Autofahrer verließen ihre Wagen, versuchten, sich zu Fuß durchzuschlagen, tasteten sich dabei an den Wänden entlang. Wenn sie es bis nach Hause geschafft hatten, sahen sie rußgeschwärzte Gesichter im Spiegel. Der Verkehr brach zusammen. Krankenwagen hatten keine Chance mehr, die Menschen in die Kliniken zu bringen. Von Husten und Atemnot geplagte Patienten versuchten die überlasteten Notaufnahmen zu Fuß zu erreichen. Nicht allen gelang es. Den Bestattern gingen die Särge aus.

Die Katastrophe, die nach Schätzungen 4000 bis 12 000 Todesopfer forderte und weitere hunderttausend Londoner in Panik versetzte und bei ihnen zu Atemnot führte, war ein Weckruf. Als Folge trat vier Jahre später der „Clean Air Act“ in Kraft. In Deutschland trug Willy Brandt 1961 im deutschen Wahlkampf seine Vision vom „blauen Himmel über der Ruhr“ vor. Millionen Tonnen von Asche und Ruß sanken damals aus ungezählten Hochöfen, Kraftwerken und Stahlkochereien ungefiltert aufs Ruhrgebiet. Heute haben sich brutale Smog-Ereignisse in die Großstädte Asiens verlagert. Wenn es dazu kommt, hilft nichts anderes, als auf Hilfe von oben zu warten: auf Regen und Wind. In London wehte er nach vier Tagen aus Südwest.

Unter dicker Luft nach Inversionswetterlagen haben bis heute besonders Städte in Kessellagen wie Stuttgart zu leiden. Anderswo durchmischen sich Luftschichten über Ballungsgebieten, in denen viel Schmutz anfällt, recht schnell. Und jeder Niederschlag „wäscht“ die bodennahe Luft. Er holt Staub und Schwebteilchen heraus und verteilt sie weiträumig auf alle Oberflächen, die sich anbieten: Straßen, Häuser, Dächer, Felder, Wälder, Flüsse, Seen. Mal vereinigen sich die Schmutzpartikel mit denjenigen im Boden und versickern dort oder bleiben haften, mal gelangen sie direkt oder über Umwege in Gewässer und von da aus irgendwann ins Meer.

Im normalen Alltag nehmen wir diese ständige Umlagerung der Schmutzpartikel kaum wahr. Wasser- und Bodenverschmutzung betreffen uns nicht so unmittelbar wie die der Luft. Dass Schmutz auch in Gewässern gefährlich ist, merken wir höchstens, wenn eine Algenblüte im Sommer den Sauerstoff aus einem Fluss holt oder Hygieneämter einen Badesee wegen Bakterien- oder Parasitenbefall sperren. Epidemien durch kontaminiertes Trinkwasser haben wir in Europa nicht mehr zu befürchten – aus dem Hahn kommt Wasser, dem wir vertrauen können. Die Zeiten, in denen die Elbe wegen Industrieeinleitungen aus Ostdeutschland als einer der dreckigsten Flüsse Europas galt oder die Sandoz-Katastrophe 1986 im Rhein ein Massenfischsterben verursachte, sind seit Jahrzehnten Geschichte.

Der Himmel hilft uns. Behörden kümmern sich. Grenzwerte bändigen den Schmutz. In dieser Situation passt es, darüber nachzusinnen: Wie gefährlich ist denn nun eigentlich welcher Schmutz wann und wo?

Relativitätstheorie der Hygiene

Hygienebeauftragte, Mikrobiologen und Umweltschützer würden darauf im Chor die Antwort geben: „Es kommt darauf an.“ Die Frage ist eindeutig ein Fall für eine spezielle Relativitätstheorie. Die ultimative Formel ist noch nicht gefunden. Aber wie bei Einstein sind Raum, Zeit und Betrachter die Schlüssel, um ihrer Essenz näherzukommen. Bei monströsem Unrat wie Atommüll oder Fässern mit Asbest oder Dioxin ist das Urteil noch einfach. Sie gehören zur Kategorie Schmutz der übelsten Sorte. Bei anderen Stoffen wird die Sache schnell schwammig.

Ob etwas wertvoll ist oder Abfall, ist eine Frage der Zeit, manchmal nur von Minuten. Das Essen im Sternerestaurant, das auf dem Teller übrig bleibt. Das Öl, das bei einem Unfall aus dem Tanker ins Meer oder aus der Pipeline durch einen Riss in den Boden leckt. Manchmal signalisieren Objekte selbst, in welche Kategorie sie gehören. Der im Kühlschrank vergessene Salatkopf und die vor Wochen angebrochene Sahne verraten durch Geruch und Farbe, dass sie zu essen keine gute Idee mehr wäre.

In der umgekehrten Situation ist der Schmutz von gestern der Schatz von morgen. Lange genug in der Erde, mutiert modriges Laub zu Erdgas. Uralte, aber seltene Knochen sind als Fossilien begehrt. Kohlenstaub lässt sich zu Diamanten pressen.

Auch der Raum entscheidet mit: Mist im Garten ist guter Dünger. Trägt man ihn mit den Schuhen ins Haus, sind seine Bestandteile so gefährlich oder ungefährlich wie die eigenen Ausscheidungen: im Klo und im Abfalleimer gut aufgehoben – auf einem Teppich, auf dem Babys krabbeln, und in der Nähe von Essgeschirr eher nicht.

Der Betrachter bringt seine eigenen Gewohnheiten, Vorlieben und genetischen Eigenheiten mit ins Spiel. Die Unterwäsche von gestern – gilt sie als fast noch frisch oder als unmöglich, sie noch ein zweites Mal zu tragen? Ist einmal Duschen pro Tag unverzichtbar oder reichen ein Bad pro Woche plus Katzenwäsche zwischendurch? Ist dreimal täglich Deo Pflicht oder verzichtet man ganz darauf, weil der Achselgeruch nicht so stark ist, dass er stört? Ist Hausputz einmal pro Woche oder pro Monat erforderlich? Benutzt man den Kaffeebecher vom Morgen nachmittags noch einmal? Ist es unhygienisch, am Weinglas der Freundin zu nippen? Oder an dem von Fremden? Ist Graffiti Street-Art oder Zeichen von Verslummung? Kann man Frühlingsduft in der Luft als Wonne genießen oder agiert er als Asthma-Auslöser?

Je kleiner die potenziellen Schmutzpartikel werden, desto schwieriger wird die Einordnung. Der Teil des Drecks, den man erst in starker Vergrößerung überhaupt zu Gesicht bekommt, ist das Terrain für Kenner. Zu den Zeiten der großen Bakteriologen wie Robert Koch und Louis Pasteur waren nur Keime bekannt, die mit den damaligen Mikroskopen zu erkennen waren und sich in Nährlösungen kultivieren ließen. Die Pioniere hatten die schlimmsten Krankheitserreger im Visier: die pathogenen, eindeutig „bösen“ Keime, die Pest, Cholera, Tuberkulose und Typhus verursachen (siehe Kapitel 6).

Mehr als ein Jahrhundert später ist klar, dass die Bakterienflora in unserem Organismus vor allem lebenswichtige Funktionen erfüllt. Viele Details sind noch rätselhaft, doch Wissenschaftler haben neue technische Möglichkeiten, das große Ganze besser zu verstehen. Sie untersuchen unser „Mikrobiom“, die Gesamtheit der Mikroorganismen, die in und auf dem Körper des Menschen leben. Es sind verdammt viele. Die oft genannte Zahl, dass der menschliche Körper zehnmal so viele Mikroorganismen wie Körperzellen enthält, ist zwar kürzlich nach unten korrigiert worden. Inzwischen liegt die Schätzung bei 39 Billionen Bakterien, was in etwa der Menge der körpereigenen Zellen entspricht. Bleibt die Frage: Welche dieser Partikel kann man als „Schmutz“ bezeichnen? Auch hier mischt sich die Relativitätstheorie ein, das Urteil ist abhängig von Raum und Zeit. Die Gefühle des Betrachters für Bakterien, die segensreich für seine Verdauung sorgen, ändern sich, sobald sie auf dem WC ihre Exit-Strategie vollziehen. Es sei denn, der Betrachter ist Mikrobiologe.

Das Reich der Kleinstwesen ist trotz umfangreicher Forschung noch immer ein Mysterium: unsichtbar, unheimlich, angstbesetzt, verwirrend. Mikroben verhalten sich nicht wie Wesen in der für uns sichtbaren Welt. Sie vermehren sich rasend schnell, gehen ebenso schnell wieder ein, tauschen munter ihre Gene aus und sind in ständiger Interaktion miteinander. Auch diejenigen, die wir nicht im eigenen Körper tragen, sondern in der Umwelt treffen, beeinflussen uns. Und für deren Zahl reicht die Vorstellungskraft unserer 86 Milliarden Gehirnzellen nicht mehr aus. Jedes Gramm Erde enthält nach aktuellen Schätzungen mehr Mikroorganismen, als Menschen auf unserem Planeten leben. All das zu wissen, ist eine Kränkung für unseren Verstand und fordert Trotz heraus. Kein Wunder, dass das neue Wissen aus dem Biologielehrbuch weniger Fans hat als die einfache Lehre der Putzmittelwerbung: Keime sind Feinde, weg mit ihnen!

Stand der Forschung wäre, zu akzeptieren, dass Gut und Böse im Reich der Mikroorganismen eng beieinander liegen. Mikroben, die bei Gesunden ohne irgendwelche Probleme in der Nase siedeln, können dieselben Menschen das Leben kosten, wenn sie immungeschwächt sind und keine Arznei bekommen. Mikroorganismen aus derselben Familie können heilende und krank machende Wirkung haben. Von Darmbakterienaktivität rührender Gestank in der Kloschüssel gilt als ekelhaft – igitt! Aber viele „probiotische“ Keime sind ebenfalls Darmbakterien. Und wir bezahlen dafür, sie im Joghurt zu löffeln – wie gesund! Beim Schimmelpilzpelz über fauligem Obst heißt die korrekte Assoziation: Vorsicht, Giftgefahr! Bei den Pilzkulturen, die Roquefort schmackhaft machen, seufzen Gourmets wohlig: Lecker! Und zum Schluss lässt sich der Schimmel als medizinischer Glücksfall charakterisieren: Das Penicillin aus Schimmelpilzkulturen ist ein Gift, aber ein gutes, lebensrettendes Gift.

Orientierung an der Göttin Hygieia

In welcher Form auch immer Schmutz auftaucht – ob er sich als Staub auf dem Sofa niederlässt, als Müll auf der Straße wartet, sich als Salmonella-Enteritidis-Bakterium auf der Schale des Frühstückseis versteckt oder als Grippevirus aus dem Mund eines Niesers entweicht –, die Antwort darauf heißt: Hygiene. Der Begriff stammt aus der Antike. Damals hat sich die medizinische Kunst nicht nur mit Kranken und ihren Leiden beschäftigt. Die Ärzte wussten, wie wichtig es ist, sich auch um die Gesunden zu kümmern.

Dabei hilft seit 2500 Jahren als Schutzpatronin die griechische Göttin Hygieia. Sie ist Tochter von Asklepios, dem Gott der Heilkunst, und Epione, der Göttin der Schmerzlinderung. Ihre Schwester ist Panakeia, die Göttin der Kräuterkunde und Zauberei. Hygieia selbst ist für Gesunderhaltung und ganzheitliche Gesundheit zuständig. Und diese Begriffe bilden einen weiten Rahmen und eine gute Leitlinie für den Umgang mit Schmutz.

Die Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie definiert Hygiene bis heute als „Lehre von der Verhütung der Krankheiten und der Erhaltung, Förderung und Festigung der Gesundheit“. Hygieias Arbeitsgebiet umfasst damit viel mehr als das einer obersten Putzfrau, die sich um Reinlichkeit kümmert. Im Vordergrund steht nicht ein Picobello-blitzblank-Ambiente, sondern eine Umgebung, die dem Wohlbefinden dient.

Man macht sich selten klar, dass sich auch Tiere und Pflanzen um diese Art von Hygiene kümmern. Auch sie sind bestrebt, ihre Gesundheit zu erhalten, zu fördern und zu festigen. Sie schaffen es erstaunlich gut – ganz ohne Seife und Shampoo.