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WOLFGANG BAHRO

MIT ANDREAS KURTZ

IMMER WIEDER GERNER

WOLFGANG BAHRO

MIT ANDREAS KURTZ

IMMER WIEDER GERNER

Mein Leben als Bösewicht der Nation

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

info@rivaverlag.de

Originalausgabe

2. Auflage 2020

© 2020 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Diana Napolitano, Augsburg

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch, München

Umschlagabbildung: © Harry Schnitger, Berlin

Abbildungen im Bildteil: © privat/Wolfgang Bahro und Rolf Baumgartner (Seite 6 oben, Mitte, unten links und Seite 8 unten links)

Satz: Helmut Schaffer, Hofheim a. Ts.

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7423-1215-0

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0884-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0885-3

Weitere Informationen zum Verlag finden sie unter

www.rivaverlag.de

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Inhalt

Der Sinn des Lebens und dieses Buchs

Egal wie gern dich jemand hat – Jo hat dich Gerner!

Woher ich komme

Es war mir eine Lehre

Wenn Hallervorden ruft

Das Auskommen mit dem Einkommen

Ein Tag als Jo Gerner

Warum mir Gerner nie langweilig werden kann

Die Nebenwirkungen dieses Gesichts

Im Kino

Wie ich zu den Freimaurern kam und warum ich blieb

Gerner und die Politiker

Gerners Frauen und Bahros Barbara

Besonderes? Immer gern!

Manches ging daneben

Der Weltraum, unendliche Weiten

Berühmtheiten bei GZSZ

Wie sich die Fans verändert haben

Wie ich meinen Sohn beeindruckte

Der Mensch ist nicht Beruf allein

Man hilft, wo man kann

Reisewarnung für Berlin!

Jo Gerners Abgang (wenn ich mir was wünschen dürfte …)

Am Ende: Wolfgang Bahro

Meine Rezepte

Dank

Über die Autoren

Der Sinn des Lebens und dieses Buchs

Die Suche nach dem Sinn des Lebens beschäftigt den Menschen seit ewigen Zeiten. Ist er auf der Welt, um sich zu verwirklichen oder um seinen Beitrag zu einem großen Ganzen zu leisten? Was kein Widerspruch sein muss, denn so mancher zieht seine tiefste Befriedigung daraus, ein hilfreiches Mitglied der Gemeinschaft zu sein.

Johnny Hart beantwortet die Frage aller Fragen in seinem Comic B.C. so: »Der Sinn des Lebens ist, über den Sinn des Lebens nachzudenken.« Aber das wäre dann vielleicht doch zu wenig. Im Roman Per Anhalter durch die Galaxis von Douglas Adams lautet die Antwort auf die Frage »nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest« ja bekanntermaßen »42« – was immer damit auch gemeint ist.

Sehr nah fühle ich mich der Antwort, die eine Fernsehansagerin im Film Der Sinn des Lebens der britischen Komikertruppe Monty Python verkündet: »Seien Sie nett zu Ihren Nachbarn, vermeiden Sie fettes Essen, lesen Sie ein paar gute Bücher, machen Sie Spaziergänge und versuchen Sie, in Frieden und Harmonie mit Menschen jeden Glaubens und jeder Nation zu leben.« Ja, da dürfte etwas dran sein. Weil mir eine abschließende Antwort allerdings unmöglich scheint, würde ich mich gern auf diese Position zurückziehen: Ich glaube ganz fest an den Sinn des Lebens, kenne ihn aber nicht!

Humor ist besonders wichtig. Ich komme darauf wegen der Antwort meiner Frau Barbara auf meine wahnsinnig romantische Liebeserklärung: »Mit dir möchte ich alt werden.« Darauf entgegnete sie nämlich: »Aber du bist doch schon alt!«

Womit wir beim Anlass für dieses Buch wären. Kurz nach seinem Erscheinen, so lautet jedenfalls der Plan, werde ich ein Mann von 60 Jahren sein. Ich versuche, das in Würde und unter Vermeidung von platten Parolen wie »60 ist das neue 40« zu ertragen. Mein naturgraues Haar und der Zustand meiner Kniegelenke sprechen eine deutliche Sprache. Mit 60 bin ich nun aber alt genug für einen Blick zurück. Schon leicht altersmilde, aber trotzdem nicht verklärt. Ich hatte und habe Spaß in meinem Leben. Privat und beruflich.

Lasst uns mit dem Beruflichen anfangen. Was durfte ich mir am Anfang meiner Zeit bei der täglichen Serie Gute Zeiten, schlechte Zeiten für Vorwürfe anhören: »Wie kannst du bloß?! Du hast politisches Kabarett gespielt und jetzt diesen Käse!«

Anfangs haben mich solche Aussagen verunsichert, das kann ich jetzt ja zugeben. Aber nichts bleibt so, wie es war. Die Serie hat sich entwickelt. Und ich mich ja auch. Inzwischen empfinde ich es als Ehre, ein Volksschauspieler zu sein. Einer, der auf der Straße von jedem Zweiten erkannt wird. Man spricht mich auf meine Arbeit an, ermuntert mich weiterzumachen. Man ermahnt mich, nicht immer so böse zu den Frauen der Serie zu sein. Oder fordert mit scherzhaft erhobenem Zeigefinger, dass ich doch endlich wieder so böse werden muss wie in den Anfangsjahren.

Und so mancher der Kollegen, die sich damals so besorgt über meinen vermeintlichen Abstieg aus den Höhen der Kultur in die Niederungen der Fernsehunterhaltung äußerten, schlägt inzwischen ganz andere Töne an. Ob ich ihn nicht mal bei der Produktion für eine Episodenrolle vorschlagen könnte? Natürlich kann ich. Gern sogar!

Wer dann zum ersten Mal ins Studio von Gute Zeiten, schlechte Zeiten nach Potsdam-Babelsberg kommt und für die Gastrolle vor den Kameras dort steht, wundert sich. Über das hoch professionelle, konzentrierte Arbeiten, ohne das es allerdings auch nicht funktionieren würde, jeden Tag eine komplette Serienfolge aufzunehmen. Für mich war das eine harte Schule. Wer am Anfang der Arbeit in Babelsberg noch nicht stressresistent ist, der wird es oder geht. Hier gilt: Den Text muss man draufhaben, sein Handwerk auch. Alles andere wäre unkollegial. Schließlich muss das Pensum geschafft werden, daran hängen alle anderen im Team.

Egal wie gern dich jemand hat – Jo hat dich Gerner!

Dieser Spruch kam vor einigen Jahren auf und geistert seitdem durch die sozialen Netzwerke. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen die Rolle Jo Gerner kennen, auch ohne die Serie Gute Zeiten, schlechte Zeiten aufmerksam zu verfolgen oder sogar je gesehen zu haben. Diese Figur scheint sich auf geheimnisvolle Weise ins Bewusstsein der Zuschauer geschlichen zu haben.

Das begann schon 1993, als ich erst ganz frisch zum Ensemble der Serie gehörte und die ersten Folgen mit mir bei RTL liefen. Ich hatte davor in einem Sechsteiler für das ZDF mitgespielt. Durchreise – Die Geschichte einer Firma behandelte die Historie einer jüdischen Modefirma in Berlin von 1931 bis 1991. Ich spielte Helmut Naumann, den homosexuellen Modeschöpfer der Firma, den alle nur Naumännchen nannten. Eine meiner schönsten Fernseharbeiten, was sicher auch an wundervollen Kollegen wie Udo Samel, Simone Thomalla, Constanze Engelbrecht, Dagmar Biener, Patrick Elias, Rolf Hoppe und Heinz Rennhack lag. Regie führte der fantastische Peter Weck, den das Publikum für seine Serie Ich heirate eine Familie liebte und liebt, für die er 1983 als Regisseur selbst die Hauptrolle übernahm, nachdem der eigentlich vorgesehene Harald Juhnke ausgefallen war.

Ich durfte Weck also zehn Jahre später als besonderen Regisseur und Förderer kennenlernen. Der Mehrteiler Durchreise lief gerade im ZDF, als ich auch zum ersten Mal als Dr. Hans-Joachim Gerner im Programm von RTL auf dem Bildschirm erschien. Beim Bäcker sprach mich damals eine Dame von der Seite an: »Ick kenn Sie doch! Sie sind aus’m Fernsehen, nich?« Ich nickte erfreut, schien ich doch dem Traum jedes Schauspielers von Ruhm und Popularität einen wesentlichen Schritt näher gekommen zu sein. Und frage also möglichst cool, damit sie nicht gleich merkt, dass solche Fan-Gespräche für mich neu sind: »Haben Sie mich in der ›Durchreise‹ gesehen?« Hatte sie nicht: »Wat? Nee, bei ›Jute Zeiten, schlechte Zeiten‹ als Jerner.« Das hörte ich in dieser Zeit immer wieder. Der Siegeszug des skrupellosen Rechtsanwalts hatte begonnen. Dabei wehrte ich mich anfangs sogar gegen diese Rolle …

Im Herbst 1992 rief mich meine damalige Agentin Uschi Drews an und sagte mir, dass für eine neue Serie auf RTL ein Darsteller gesucht wird. Seit dem Sendestart am 11. Mai hatten sich wohl die Quoten nicht so entwickelt, wie der Sender sich das vorstellte. Wobei man feststellen kann, dass heute kein Sender mehr so viel Geduld mit einer neuen Serie hat, wie RTL sie damals bewies. Heute wird schneller abgesetzt, wenn nicht sofort die anvisierten und den Werbekunden versprochenen und verkauften Zuschauerzahlen erreicht werden. Uschi wollte mich also gern zum Casting lotsen. Als ich mich nach dem Namen der Serie erkundigte und sie Gute Zeiten, schlechte Zeiten antwortete, bat ich sie, mich da besser rauszulassen. Ich hatte die ersten Folgen gesehen und fand sie furchtbar. Da standen gut aussehende Models wahnsinnig dekorativ in den Kulissen, aber bei der Zuteilung von Talent waren die meisten von ihnen offensichtlich zu kurz gekommen. Schon 1985 war ein ähnliches Format wie GZSZ, in dem es um die dramatischen Verwicklungen der Bewohner eines Kiezes ging, bei der ARD auf Sendung gegangen. Allerdings lief die Lindenstraße wöchentlich und nicht täglich wie GZSZ. Und in dieser fiktiven Münchner Straße, deren Leben in Köln aufgezeichnet wurde, waren deutlich mehr ausgebildete Schauspieler zu sehen. Aber dennoch wurden beide Formate von der Kritik auseinandergenommen.

Nach dem Sechsteiler Durchreise – die Geschichte einer Firma sah ich meine Zukunft in anderen Fernsehformaten als in einer Daily Soap, wie GZSZ damals noch bezeichnet wurde. Soap (englisch für Seife) deswegen, weil diese Formate im US-Fernsehen ursprünglich die Zeit zwischen den Seifenreklamen füllten. Jedenfalls hatte ich keine Lust, zu diesem Casting zu gehen. Aber Uschi bat mich inständig, es doch wenigstens zu versuchen. Sie hatte mich schon zu mehreren Werbe-Castings geholt, aber leider klappte es nie mit einem Werbevertrag. Uschi meinte dazu, scharf analysierend und wohl auch nah an der Wahrheit: »Dir fehlt einfach die Produktgläubigkeit!« Bis jetzt hatte sie noch keinen Pfennig mit mir verdient.

Ich ließ mich schließlich breitschlagen, doch zu dem Casting für GZSZ zu gehen. Heute kann ich es ja zugeben, dass ich das in der stillen Hoffnung tat, auch diese Rolle nicht zu bekommen, denn darin war ich ja inzwischen ausgesprochen versiert. Bei Uschi bekam ich meinen Text und spielte mit einem imaginären Gegenüber vor der Kamera. Als wir alles im Kasten hatten, wollte ich gleich wieder gehen, da ich abends noch Vorstellung in der Distel hatte. Das ehemalige Staatskabarett der DDR hatte mich nach der Wende als ersten Wessi engagiert. Aber Uschi hielt mich zurück und meinte, der Produzent von GZSZ würde gleich kommen. Den könnte ich ja noch kennenlernen. Also blieb ich. Dieser Produzent hieß Pavel Marik, kam ursprünglich aus der Tschechoslowakei und sprach mit einem holländischen Akzent. Er hatte Gute Zeiten, schlechte Zeiten schon in den Niederlanden betreut und machte diesen Job jetzt auch in Deutschland. Die eigentliche Vorlage der Serie stammte aus Australien und lief dort vier Jahre unter dem Titel The restless years (Die unruhigen Jahre). Dann wurde das Konzept in die Niederlande verkauft, wo es unter dem Titel Goede tijden, slechte tijden (dort kommt also das Gute Zeiten, schlechte Zeiten her) produziert wurde. Und 1992 kam es dann nach Deutschland und wurde von der australisch-deutschen Grundy-Ufa RTL als erste Daily Soap angeboten.

Nachdem sich Pavel die verschiedenen Casting-Videos angesehen hatte, kam er zu mir und fragte mich nach meiner Schuhgröße. Auf mein verwundertes Gesicht sagte er, dass die Produktion die Schuhe schon besorgt hätte, nur der Schauspieler, der sie tragen solle, fehlte noch. Auf alle Fälle wollte er unbedingt, dass ich die Rolle Dr. Gerner übernehme, wenn jetzt auch noch die Schuhe passen, sei ja alles perfekt. Die Rollenbeschreibung von Pavel lautete damals übrigens: »Ein charmantes Schlitzohr«.

Ich war sehr unsicher und bat mir noch Bedenkzeit bis zum Sonntag aus. Uschi redete mit Engelszungen auf mich ein, die Rolle anzunehmen. Zu Recht führte sie ins Feld, dass ich noch nicht so viel Fernseherfahrung sammeln konnte. Außerdem sei dieses Format völlig neu auf dem deutschen Markt. Eine prima Gelegenheit also, um mich auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln. Außerdem könnte ich jederzeit kündigen. Das war als Beruhigungspille gedacht, die ja auch wirkte. Ich sollte das einfach mal für zwei Monate machen. Also gut, ich ließ mich überreden.

Im Vorfeld hatte ich schon die Drehbücher zugesandt bekommen und meinen Text für den ersten Drehtag gelernt. In den Anfangszeiten von GZSZ wurde die Serie in den Studios der Berliner Union-Film in der Oberlandstraße in Tempelhof produziert. Ich kannte das Gelände nicht weit vom Flughafen Tempelhof, weil ich dort auch schon öfter synchronisiert und verschiedene andere Sachen gedreht hatte, darunter auch Die Didi-Show und Durchreise.

Nachdem ich mich im Büro gemeldet hatte, führte mich eine junge Dame auf dem Gelände herum. Sie zeigte mir die Dreh-Sets, also die aufgebauten Räume, in denen die Schauspieler vor der Kamera agieren. Und die Maske, wo man zuvor geschminkt wurde. Die Garderobe war etwas ungewöhnlich für mich, denn es handelte sich um mehrere Kleiderständer, die in einem Gang zu einem Viereck zusammengestellt waren. Darin zog man sich gemeinsam um – Männlein und Weiblein. Die Sets erinnerten sehr stark an Theaterdekorationen. Wenn man etwas kräftiger die Tür hinter sich zuzog, wackelte die ganze Kulisse. Im Tourneetheater gehört das dazu und macht einen Teil des Charmes einer fahrenden Truppe aus. Beim Fernsehen wirkte das etwas unprofessionell und improvisiert.

Die Autoren und die Verwaltung waren in Containern untergebracht, die vor den Studios standen. Auch das wirkte sehr provisorisch. Was allerdings positiv auffiel: Das Catering, die Beköstigung von Team und Ensemble, hatte die wunderbare Sarah Wiener übernommen, die später als Fernsehköchin bekannt wurde und 2019 für die österreichischen Grünen ins Europäische Parlament einzog. Und die Qualität der Verpflegung bei Dreharbeiten ist ja immer ganz wichtig für die Stimmung am Set.

Nach dieser recht flüchtigen Führung durch die einzelnen Gewerke begab ich mich in die Behelfsgarderobe, um mich in Dr. Gerner zu verwandeln. Dort traf ich auf meinen ersten Kollegen – Frank-Thomas Mende, der den Clemens Richter in der Serie spielte und den legendären ersten Satz bei GZSZ gesagt hatte: »Was ist denn?« Frank-Thomas begrüßte mich sehr freundlich und tat dann etwas, wofür ich ihm bis heute sehr dankbar bin. Er nahm mich bei der Hand und erklärte mir in aller Ruhe, wie hier alles funktioniert. Natürlich war ich sehr aufgeregt. Erster Drehtag, neue Kollegen, neue Regisseure, neues Format. Und du wirst da so reingeworfen, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, was dich erwartet. Aber Frank-Thomas nahm mir meine ganze Angst und Aufregung. Er wurde zu meinem ersten Freund bei dieser Produktion.

Das neue Format war wirklich sehr ungewöhnlich für mich. Bei den Produktionen, bei denen ich bis jetzt mitgewirkt hatte, gab es eine Kamera, und es wurde richtungsweise gedreht – erst die eine Richtung und dann die andere. Zwischendurch wurde immer wieder neu eingeleuchtet. Mit dieser Arbeitsweise konnte sich die Arbeit an einer einzelnen Szene gewaltig hinziehen. Hier nun bei GZSZ standen drei elektronische Kameras im Studio, die gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen aufnahmen. Es wurde nur einmal eingeleuchtet, ab und zu nachjustiert. Die ganze Szene wurde in einem durchgespielt, was ich bisher nur vom Theater kannte. Es gab am Anfang eine Textprobe, dann eine technische Probe mit den Kameras, und dann wurde auch schon gedreht.

Für eine Szene waren im Durchschnitt 20 Minuten Drehzeit konzipiert. Das war für mich eine völlig neue Erfahrung, aber es funktionierte. Und wird bis heute so gemacht. Inzwischen allerdings mit nur zwei hochempfindlichen Kameras. Filmregisseure wie Quentin Tarantino drehen manchmal tagelang an einer Szene von anderthalb Minuten. GZSZ würde so nicht funktionieren, weil jeden Tag von Montag bis Freitag eine ganze Folge von 25 Minuten aufgenommen werden muss, denn schließlich wird ja auch täglich eine gesendet. Die Zuschauer sind es gewohnt, dass der Nachschub niemals stockt. Vor Drehpausen wie über Weihnachten und den Jahreswechsel sind wir in den Studios also besonders fleißig und arbeiten die freien Tage heraus.

Woher ich komme

Ich bin ein Sonntagskind! Und der vorbildliche Sohn meiner Eltern Lissy und Hans-Joachim Bahro, denn am Sonntag, den 18. September 1960, jenem Tag also, an dem ich im Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin-Wilmersdorf in gutbürgerliche Verhältnisse hineingeboren wurde, waren die beiden Spirituosengeschäfte der Familie geschlossen. Wie an jedem Sonntag. Meine Eltern hatten also Zeit, sich meiner Ankunft auf Erden zu widmen, ohne die werte Kundschaft zu vernachlässigen.

Am Tag von Mamas Niederkunft schaute die Sonne immer mal hinter den Wolken hervor, hatte aber im Gegensatz zum Tag davor nicht genug Kraft, um die Höchsttemperatur in Berlin über 20 Grad zu bringen. Caterina Valente und Silvio Francesco führten an diesem Tag mit ihrem herrlich albernen Lied »Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu-Strand-Bikini« die deutschen Single-Charts an. Falls meine Eltern in dem Moment, in dem sie mich neun Monate zuvor ganz liebevoll auf den Weg brachten, das Radio anhatten (in solchen besonders zärtlichen Nächten ist das Radio ja oft das einzige, was man anhat!) und der damalige Nummer-1-Hit lief, wurde ich zu »Marina« von Rocco Granata gezeugt. Ein beschwingtes Lied, das eher nicht meinem heutigen Musikgeschmack entspricht. Aber es reicht ja auch, dass es meine Eltern damals in die richtige Stimmung versetzt hatte. Mama war Fan von Schlagern und der Musik von Elvis Presley, mein Vater eher der Operette und den Comedian Harmonists zugetan. Aber in der Liebe liebt man auch, was der geliebte Mensch liebt. Ich bin Rocco Granata also einfach mal für die mutmaßliche Untermalung meiner Zeugung dankbar.

Mein Vater war gelernter Einzelhandelskaufmann und hatte Spirituosenläden in der Danckelmannstraße und in der Tauroggener Straße, beide in Berlin-Charlottenburg. Meine Mutter hatte das Handwerk einer Schneiderin erlernt, arbeitete aber nach der Hochzeit im Jahr 1953 im Geschäft mit. Vater betrieb den Laden in der Danckelmannstraße, in der angrenzenden Wohnung lebte damals auch noch meine Großmutter. An die habe ich kaum eine Erinnerung. Ich soll angeblich, als ich sie zum ersten Mal sah, fürchterlich geschrien haben. Allerdings kann ich mich noch gut daran erinnern, dass sie einen Hund besaß, einen sehr beeindruckenden Boxer. Der hat furchtbar gesabbert, und wenn der sich einmal schüttelte, dann waren sowohl die Wände als auch die umstehenden Menschen nass. Meine Oma starb, als ich noch ein kleiner Junge war. Meine Eltern und ich haben in der anderen Ladenwohnung in der Tauroggener Straße gewohnt. Dort führte meine Mutter das Geschäft. Mein Vater hatte in der Danckelmannstraße außer den üblichen Flaschen noch richtige Fässer, aus denen man Wein abfüllen konnte. Er war 18 Jahre älter als meine Mutter. Sie hatten sich im Strandbad Wannsee kennengelernt, nachdem er aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war.

Die Eltern meiner Mutter habe ich nie kennengelernt. Sie starben schon im Zweiten Weltkrieg. Allerdings gab es da noch eine Großtante, die Schwester der Mutter meiner Mutter. Tante Elsa. Sie wohnte in der Lüneburger Heide zusammen mit Onkel Max in einer ehemaligen, umgebauten Scheune. Die beiden waren nicht miteinander verheiratet, lebten sozusagen in wilder Ehe, was sich damals nicht viele trauten. Im Prinzip nahm Tante Elsa in meinem Leben den Platz meiner Großmutter ein. Ich bin oft zu ihr gefahren und habe da meine Ferien verbracht. Das war für mich als Großstadtkind toll. Natur pur in der Lüneburger Heide. Zum Haus gehörte ein riesiges Grundstück. Und direkt vor der Tür begann der Wald. Natürlich war ich auch immer draußen. Ich hatte dort meine Freunde, die aus der Nachbarschaft stammten. Tante wohnte in Hützel, in der Nähe von Bispingen, in der Gemeinde Soltau. Wir Jungens sind da durch die Wälder gezogen und haben allen möglichen Blödsinn angestellt. Cowboy und Indianer gespielt, Robin Hood oder die drei Musketiere.

Das war eine sehr schöne Zeit. Ich habe fast alle meine Sommerferien bei Tante Elsa verbracht. Und Tantchen hat mir auch mehr erlaubt als meine Eltern.

Den Stiefvater meines Vaters, den Fuhrunternehmer Max Bahro, habe ich ebenfalls nie kennengelernt. Er ist kurz vor meiner Geburt gestorben. Der leibliche Vater war ein preußischer Offizier, der meine Großmutter wohl nur kurz beglückt hat. Möglicherweise trug der ein Monokel, wie das damals in diesen Kreisen sehr in Mode war, was meine Vorliebe für diese ausgefallene Sehhilfe erklären könnte.

Meine Eltern konnten mit ihren Geschäften keine Reichtümer anhäufen, aber es war auch nicht so, dass sie arm waren. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren ging es ihnen finanziell sogar noch sehr gut, denn da liefen die beiden Geschäfte prächtig. Man gönnte sich mit dem zunehmenden Wohlstand nach dem Krieg auch mal wieder ein gutes Fläschchen. Mühsamer wurde es Anfang der Siebzigerjahre, als mehr Supermarktketten aufkamen und man Getränke auch dort kaufen konnte. Da ging der Verdienst bei Spirituosengeschäften wie denen meiner Eltern rapide in den Keller.

Meine frühen Erinnerungen drehen sich natürlich um die Wohnung in der Tauroggener Straße. Sie war recht dunkel, und ich habe dort wohl nicht besonders gern gespielt. Ich bin meistens zu meinen Freunden rausgegangen. Das waren die beiden Söhne vom Gemüsehändler. Der hatte seinen Laden direkt an der Ecke. Gegenüber auf der anderen Straßenseite wohnte Burkhard, ein anderer Freund von mir. Und zwar weit oben unterm Dach. Ich kann mich noch erinnern, dass wir Plastiktüten mit Wasser gefüllt haben und diese dann von oben auf die Köpfe von Passanten runterfallen ließen. Ein ziemlicher Blödsinn. Meine Mutter hatte mir verboten, um den Block zu laufen. Wir durften nur die Straße hoch und runter, aber auf keinen Fall um den Block. Manchmal bin ich auch mit meinen Eltern in den Park vom Schloss Charlottenburg gegangen. Dann habe ich mir immer vorgestellt, ich wäre ein Musketier oder ein Edelmann.

Mein Vater ist in der Woche morgens ins Geschäft in die Danckelmannstraße gefahren und kam meist erst so gegen 19 Uhr nach Hause. Wenn ich schon im Bett war oder auf dem Weg dorthin. Ich habe ihn in der Woche also selten gesehen. Samstags waren die Läden ja bis mittags offen, aber dann am Nachmittag und am Sonntag war mein Vater endlich für mich da. Bei schönem Wetter sind wir häufig rausgefahren an den Glockenturm vom Olympiastadion, da gab es damals große Freiflächen. Jetzt ist da alles verbaut. Dort steht jetzt eine Eissporthalle. Damals hat sich mein Vater in die Sonne gesetzt, meine Mutter hat die Zeitung gelesen und ich bin durch die angrenzenden Wälder gehoppelt. Das war unser Sonntags-Vergnügen. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Und an gelegentliche Besuche im Zoo. Damals konnte man dort – heute würden die Tierschützer völlig zu Recht dagegen protestieren! – sein Kind gemeinsam mit einem jungen Löwen fotografieren lassen. So ein Bild existiert auch von mir in meinen feinsten Sonntagsausgehsachen, ganz schnieke. Mein Gesichtsausdruck auf diesem Foto sagt allerdings ganz deutlich, dass ich den Moment nicht genießen konnte. Im Gegenteil! Ich habe diesem Löwen nicht wirklich getraut …

Außer dem Fernsehen, damals noch schwarz-weiß, interessierten mich vor allem Comics. Ich habe begeistert die Hefte von Tom Berry gesammelt. Das war ein Cowboy, so ähnlich wie Lucky Luke. Diese Comics habe ich verschlungen. Ich besaß alle Hefte, leider hat meine Mutter sie an andere Kinder verschenkt, als ich von zu Hause ausgezogen war. Außerdem liebte ich Fix und Foxi. Später dann Asterix, Lucky Luke und Tim und Struppi. Und als meine Eltern mir einen Plattenspieler geschenkt haben, waren Hörspiele meine große Leidenschaft. Das sind sie übrigens immer noch. Sowohl als sprechender Künstler als auch als privater Zuhörer. Damals faszinierten mich vor allem die Karl-May-Hörspiele wie Der Schatz im Silbersee oder Winnetou. Ich hatte als Kind eine Cowboystadt aus Holz, ein Fort und eine Ranch. Wenn eine Karl-May-Platte lief, habe ich immer alles aufgebaut und die Geschichte mit meinen Spielzeugfiguren nachgespielt. Ich hatte auch eine Ritterburg, mit der ich viele Stunden verbracht habe. Ebenfalls alles aus Holz.

Und geschmökert habe ich viel! Kein Abenteuerroman war vor mir sicher: Die drei Musketiere, Ivanhoe, Tarzan und Robin Hood. Das hat mich geprägt. Aber ich habe natürlich nicht nur drinnen gesessen. Mit meinen Freunden spielte ich draußen Winnetou und Old Shatterhand oder auch Abenteuer der Helden aus den Fernsehserien, die damals angesagt waren. Zum Beispiel Star Trek, die Abenteuer der Besatzung vom Raumschiff Enterprise – das war für mich das Allergrößte. Es gab auch schon vorher eine Science-Fiction-Serie, sogar eine deutsche, aber leider durfte ich die damals noch nicht sehen: Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion war angeblich noch nichts für mich. Manchmal habe ich mich, wenn meine Eltern Orion angeguckt haben, aus meinem Zimmer geschlichen und heimlich durch den Türschlitz zugesehen, wie Dietmar Schönherr als Major Cliff Allister McLane den schnellen Raumkreuzer Orion durch fremde Galaxien befehligte. Wolfgang Völz sagte als Armierungsoffizier mit dem wohlklingenden Namen Mario de Monti irrsinnig coole Sätze und Bordingenieur Hasso Sigbjörnson, gespielt von Claus Holm, hantierte mit unfassbar futuristisch aussehenden Dingen. Von denen ich als Fan viel später erfuhr, dass es sich um so Profanes wie Bleistiftanspitzer, ein Bügeleisen und Nähgarnrollenbehälter handelte. Star Trek und Mit Schirm, Charme und Melone, sehr beliebte Serien dieser Zeit, waren damals meine absoluten Favoriten.

Da ich ja ein großer Comicfan war und noch heute bin, versuchte ich mich auch darin, solche Hefte zu gestalten. Angefangen habe ich mit Karikaturen meiner Lehrer. Später zeichnete ich dann ganze Comicgeschichten in kleine Oktavhefte, die während des Unterrichts heimlich von Schüler zu Schüler wanderten. Meist waren es Geschichten, die durch die richtigen Comics und Fernsehserien inspiriert wurden. Ich erfand neue Abenteuer für Fantomas und Nick Knatterton – beide heute leider weitgehend vergessene Serienhelden – oder entwarf eigene Super-Schurken, die die Welt in Atem hielten. Die Liebe für das Zeichnen habe ich nie verloren. Als ich im Kabarett Die Stachelschweine engagiert war, zeichnete ich zwischen den Auftritten politische Cartoons, die sogar im Foyer ausgestellt wurden.

Aber letztendlich bin ich dann doch kein Comiczeichner geworden, sondern Schauspieler. Und das kam so: Ich war 17 Jahre alt und ging auf die Freiherr-von-Stein-Oberschule in Spandau. Einen Berufswunsch hatte ich noch gar nicht. Mein Vater hätte sich gewünscht, dass ich einen sicheren Beruf ergreife, am besten gleich Beamter werde. Seine Generation, die Kriegsgeneration, wünschte sich für ihre Kinder Sicherheit. Das kann man gut verstehen. Allerdings muss man ebenso verstehen, dass mich ein Leben mit weitgehend vorhersehbarer Laufbahn und Pensionsberechtigung überhaupt nicht reizte. Zu jener Zeit, als das Thema Berufswahl langsam akut wurde, lockte mich vielmehr das andere Geschlecht. Und ich wünschte mir vor allem eine feste Freundin. Dann las ich eines Tages im Berliner Boulevardblatt BZ, dass der Sender Freies Berlin, der inzwischen im Rundfunk Berlin-Brandenburg aufgegangen ist, junge Leute für einen Fernsehfilm sucht. Und zwar in genau meinem Alter! Mein Freund Christian und ich überlegten nicht lange und bewarben uns. Beim Vorsprechen, das damals noch nicht Casting hieß, musste jeder von uns eine Liebesszene mit einem Mädchen spielen. Mit einem Kuss am Schluss! Es gab verschiedene Mädchen, die für die weibliche Rolle vorsprachen und etliche junge Männer für die männliche Rolle. Und so hat jeder junge Mann mit verschiedenen jungen Mädchen diese Szene gespielt, damit der Regisseur sehen konnte, welche Kombination am besten passte. Ich fühlte mich wie im Paradies! Schließlich durfte ich mehrere hübsche Mädchen küssen, ohne dass die mir deswegen eine runterhauen konnten. Niemand hier zweifelte meine – tatsächlich ja wirklich nicht vorhandenen – Erfahrungen im Küssen an. Ich gab alles! Und bekam tatsächlich die Hauptrolle.

Der Film heißt Verführungen, Regie führte Michael Verhoeven. Das Drehbuch stammte von Elke Heidenreich. Es ging um den Antiquitätenhändler Johannes, gespielt von Peter Striebeck, der Angst vor dem Altern hat und sein Leben nicht so richtig auf die Reihe bekommt. Er hat zwar eine lockere Beziehung mit seiner verheirateten Geschäftspartnerin (Rosel Zech), aber eigentlich möchte er wieder etwas Neues beginnen. Auf einem Rockkonzert lernt er zwei junge Leute kennen: Katrin (Sabrina Rentsch) und Stefan (meine erste Filmrolle!). Stefan ist Hauptschüler und sucht einen Job. Aber er ist sensibel und ehrgeizig. Katrin geht noch zur Schule. Beide sind ein Liebespaar, haben aber noch nie miteinander geschlafen, weil sie beide noch bei ihren Eltern wohnen. Johannes bietet Stefan einen Job und den beiden seine Wohnung an, wenn sie miteinander ins Bett gehen wollen. Das erste Mal bei Stefan und Katrin wird nicht so prickelnd. Johannes bekommt Besuch von seinem Vater (Friedrich W. Bauschulte), der eigentlich bei ihm übernachten will, aber wieder abreist, als er mitkriegt, dass Johannes seine Wohnung bereits vergeben hat. Johannes schmeißt darauf die beiden aus seiner Wohnung. Am Ende sind alle frustriert, und Stefan schreibt seiner Katrin einen Brief in Blindenschrift.

Ein leiser, zärtlicher und sehr verletzlicher Film. Michael Verhoevens Regie war einfühlsam und intensiv. Gerade bei der Bettszene, vor der ich die meiste Angst hatte. Wir waren beide ja auch wirklich nackt unter der Bettdecke. Der Regisseur führte uns vorsichtig und langsam an die Szene heran. Die Dreharbeiten waren für mich aufregend und faszinierend. Und ich hatte ja das Glück, gleich beim ersten Film mit wunderbaren Kollegen drehen zu dürfen. Eine ganz andere Welt, in der sich ständig jemand um mich kümmerte und fragte, ob er mir etwas zu essen oder trinken bringen soll. Ob es mir gut geht oder ob mir was fehlt. Ich kam mir fast wie ein König vor. Das schmeichelte mir, daran könnte ich mich gewöhnen. Wobei sich das mit dem König von Produktion zu Produktion ändern konnte, wie ich später in meinem Beruf erleben durfte. Auf alle Fälle wusste ich nach diesem Film, was ich werden wollte: Schauspieler. Kein Zweifel!

Nachdem der Film 1979 im Fernsehen gelaufen war, galt ich in der Schule plötzlich als Schauspieler. Ich durfte im Leistungskurs Englisch in einer Inszenierung von The Winslow Boy meinen ersten Anwalt spielen, Sir Robert Morton. Mein erster großer Auftritt mit Monokel und grau gefärbten Haaren – inzwischen zeugen die ja naturgrau von meiner gewachsenen Reife. Den Umhang, den ich mir damals für die Rolle gekauft habe, besitze ich heute noch. Im Englischen war ich ganz flott unterwegs, eine Nachwirkung meines Umgangs mit US-amerikanischen Soldaten in West-Berlin, mit denen ich schon als 16-Jähriger um die Häuser gezogen war.

Ich bin dann natürlich in die Theater AG eingetreten, um meinem Ruf gerecht zu werden. Dort spielte ich den Erzähler in Unsere kleine Stadt und kurz vor dem Abitur den Flieger Yan Sun in Der gute Mensch von Sezuan. Darin sah mich eine ältere Schauspielerin, die mir den Kontakt zur Schauspielschule von Frau Professor Erika Dannhoff gab, mit der sie befreundet war.

Frau Dannhoff lebte in einer riesigen Wohnung am Lietzensee und empfing mich sitzend in einem großen antiken Sessel. Von Anfang an war etwas Vertrautes zwischen ihr und mir. Als Frau Dannhoff von ihrer Theaterzeit und den Menschen erzählte, mit denen sie gearbeitet hatte, öffnete sich für mich eine völlig neue, faszinierende Welt. Namen wie Gustaf Gründgens, Grete Mosheim, Elisabeth Bergner, Marlene Dietrich, Victor de Kowa, Heinrich George, Curt Jürgens rauschten an mir vorbei. Ich war endgültig für den vernünftigen Teil dieser Welt verloren. Frau Dannhoff lehrte im Gegensatz zu vielen der anderen Schauspielschulen, dass Praxis besser sei als jede Theorie. Sie legte großen Wert darauf, dass ihre Kinder, wie sie uns liebevoll nannte, möglichst schnell auch praktische Erfahrungen auf der Bühne machen konnten.

Mein Vater war von meinem Berufswunsch überhaupt nicht begeistert. Ihm zuliebe begann ich auch ein Psychologie- und Germanistikstudium an der Freien Universität Berlin. Ich ging aber immer, wenn ich es ermöglichen konnte, zu Frau Dannhoff in die Schauspielschule. Nach etwa anderthalb Jahren intensiven Unterrichts bekam Frau Dannhoff einen Anruf von Horst Niendorf, dem Intendanten des Hansa-Theaters. Er suchte einen jungen Schauspieler für eine Rolle in seiner Inszenierung von Der wahre Jakob, einem Schwank von Franz Arnold und Ernst Bach. Frau Dannhoff schlug mich vor, und so kam ich zu meinem ersten Theaterengagement für Geld. Ich erhielt 40 Mark pro Vorstellung und spielte einen jungen Liebhaber, der immer über die Mauer eines Internats klettern musste, um zu seiner Angebeteten zu kommen. Wobei er sich ständig Blessuren einhandelte. Ich genoss es, gemeinsam mit gestandenen Schauspielern auf der Bühne zu agieren, bei denen ich viel mit den Augen stehlen konnte.

Jetzt war, das spürte ich deutlich, der Punkt erreicht, an dem ich mich entscheiden musste. Nach der Premiere sprach ich mit meinem Vater und brachte ihm schonend bei, dass ich das Studium zugunsten der Schauspielerei an den Nagel hängen würde. Schweren Herzens willigte er ein. Er hatte erkannt, wie wichtig mir der Schauspielerberuf inzwischen geworden war. Und doch fragte er mich später, da war ich längst ein erfolgreicher Schauspieler, immer wieder, ob ich nicht doch lieber noch etwas »Anständiges« lernen möchte. Ich konnte ihm das nicht übelnehmen, aus ihm sprach die Sorge des Vaters aus einer Generation, die Schlimmes erlebt hatte und sich für ihre Nachkommen bessere Zeiten wünschte. Auch meine Mutter wünschte sich eher, dass ich Arzt oder Rechtsanwalt werde. Und zumindest als Rolle hat Letzteres ja tatsächlich geklappt.

Es war mir eine Lehre