image

images

» Über das Buch

» Buch lesen

» Informationen zum Autor (Klappentext)

» Lieferbare Titel / Lesetipps

» Impressum

Das Buch

Mit der Entmachtung der Taliban und der planlosen Vernichtung des Saddam-Regimes hat Amerika den Iran von seinen gefährlichsten Feinden befreit. Das relative Gleichgewicht der Kräfte in der Region ist zerstört. Der Iran ist zur einfl ussreichsten Macht von der Levante bis zum Golf aufgestiegen. Die Aussicht auf eine Atommacht Iran alarmiert nicht nur Israel und die USA. Auch die arabischen Regimes sind beunruhigt.

Wo ist der Ausweg aus der verfahrenen Lage? Angesichts des militärischen Engagements im Irak und in Afghanistan ist Amerika nicht imstande, dem Nahen Osten eine neue Ordnung durch kriegerische Mittel aufzuzwingen. Stattdessen müssten die USA und Europa mit allen regionalen Mächten arbeiten, die bereit sind, ein »Gleichgewicht der Kräfte« in der Region wiederherzustellen. An einem Dialog mit dem Iran führt kein Weg vorbei. Ein Krieg gegen die Mullahs würde die Lage katastrophal verschlechtern, ohne auf Dauer dem Iran die Bombe verwehren zu können. Für alle einander berührenden Problemkreise – Iran; Irak; Israel/Palästina und Libanon/ Syrien – gilt: Amerika müsste einen neuen Politikansatz fi nden. Mehr ernsthafte Diplomatie, weniger Konfrontation. Einige Probleme können durch eine kluge Politik gemildert oder gelöst werden. Andere aber, wie die Islamisierung der Politik, werden die Krisenregion auf Jahre hinaus prägen – so sieht die Realität des neuen Nahen Ostens aus, für die der Westen mitverantwortlich ist.

 

Der Autor

Marcel Pott, Jahrgang 1946, studierte Geschichte, Politik und Rechts wissenschaft. Nach einem Praktikum beim UN-Generalsekretariat in New York praktizierte er als Anwalt in Paris und Köln. 1982 berichtete er für die ARD aus Beirut über die israelische Invasion des Libanon. 1983 bis 1992 war er Leiter des ARD-Hörfunkstudios in Beirut und Amman, 1992 bis 1997 leitender Redakteur im ARD-Fernsehstudio Bonn. Neben seiner Berichterstattung für Hörfunk und Fernsehen schrieb er regelmäßig für »Die Zeit«, »Die Weltwoche« sowie für eine Reihe von deutschen und Schweizer Tageszeitungen. Buchveröffentlichungen: »Beirut – Zwischen Kreuz und Koran«, 1985; »Allahs falsche Propheten«, 1999; »Der Nahost- Konfl ikt. Schuld und Sühne im gelobten Land – Israels Sonderrolle im Schutz der westlichen Welt«, 2002/2004.

Inhalt

 

Einführung

Das Gefühl der Erniedrigung

Die tiefe Krise der arabisch-islamischen Welt

Der Export von Demokratie, Freiheit und Markt

 

Der neue Nahe Osten

»Nieder mit den Persern«

Die fünfte Kolonne der Mullahs

Die Wiederkehr der Golfstaaten

Roadmap für Obama

Realismus in Beirut

 

Eine Region in Unordnung

Wer führt die arabische Welt?

Al-Qaida und die Dschihadisten

Die komplexe Wirklichkeit

 

Amerika und die Konfliktfelder der Region

Die Palästinafrage

Schlüsselfrage Siedlungspolitik

Das Leid in Gaza

Der Gazakrieg und die Folgen

Scharia oder Hudna – der Weg der Hamas

 

Der Irak und der steinige Weg in eine bessere Zukunft

Der verlorene Mittelstand

Die Söhne des Irak

 

Die Brisanz der Kurdenfrage

Ankara und die Kurden

 

Der Iran, Amerika und die Bombe

Islamische Theokratie mit demokratischen Elementen

Außenpolitische Lockerungsübungen

Eine neue Schachpartie zwischen Washington und Teheran

Nukleare Geheimniskrämerei

 

Syrien und der Frieden im Nahen Osten

Juniorpartner des Iran

 

Die Rivalen am Golf und die islamische Zukunft der Region

Saudi-Arabien und die wahhabitische Hasskultur

Die Suche nach einem Islam für das 21. Jahrhundert

 

Die islamische Falle

 

Anmerkungen

Einführung

Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts neigt sich dem Ende zu, und die westlichen Demokratien scheinen vielfach bereit, ihrem Souverän, dem Volk, einen guten Teil seiner Souveränität zu nehmen. Die Bürgerrechte werden eingeschränkt, die Freiheit wird beschnitten, der Überwachungsstaat breitet sich aus. Und das alles geschieht zum »Wohle« derer, die vor »Unheil« zu bewahren sind, damit sie auch künftig in »Sicherheit« und »Freiheit« leben können.

Warum sind viele Bürger auch in Europa bereit, das hinzunehmen? Sie wehren sich nicht. Den zivilen Ungehorsam, ihren größten Trumpf, setzen sie nicht ein. Glauben sie wirklich, dass sie im Krieg gegen den Terror keine andere Wahl haben? Sind sie von solcher Angst ergriffen, dass sie sich in einer »wehrhaften Demokratie« zum wehrlosen Objekt ihrer politischen Führung machen lassen? Wie in den USA, die in der Bush-Ära jahrelang einen »wilden, ungeregelten Krieg«1 gegen den Terrorismus geführt haben. Ein Krieg, bei dem die amerikanischen Medien, sonst gerühmt für ihre Wachsamkeit, zumeist kritiklos zuschauten und ihre Wächterrolle wegen einer kollektiv empfundenen Verwundbarkeit auf dem Altar eines übersteigerten Patriotismus opferten. Das geschieht im Empire of Liberty, wie Thomas Jefferson2 die junge amerikanische Republik einst programmatisch genannt hat, in der der Staat traditionell gegenüber den Freiheitsrechten der Bürger zurücktreten muss.

Es scheint, als seien die Amerikaner in eine selbst gestellte Falle getappt; vielleicht in einer Art Schockstarre, nachdem Osama bin Laden die Heimat, das unangreifbare Bollwerk, auf so perfide Weise attackiert hatte. Schließlich waren die USA 1814 zum letzten Mal einem Angriff auf eigenem Boden ausgesetzt, als englische Truppen bis nach Washington vordrangen und die Regierungsgebäude in Brand steckten.

187 Jahre später, am Morgen des 11. September 2001, raste ein entführtes amerikanisches Passagierflugzeug in einen der über vierhundert Meter hohen Zwillingstürme des World Trade Center in New York. Viele der konsternierten Augenzeugen glaubten an ein Unglück. Doch als zwanzig Minuten später eine zweite Maschine durch die stählerne Außenhaut des anderen Wolkenkratzers schoss, als sei der Turm eine Filmattrappe aus Pappmaschee, wich das Entsetzen auf den Straßen von Manhattan einem fassungslosen Grauen. Der gigantische Feuerball, in dem die Passagiere und die Menschen in den Büros in Sekundenschnelle zu Asche verbrannten, bestimmt seither unsere kollektive Vorstellung von Terror. Passagierflugzeuge als fliegende Bomben auf das World Trade Center und das Pentagon – eine zuvor nicht gekannte Waffe mit diabolischer Wirkung.

Und die Attentäter und ihre Hintermänner? Einfach paranoide Gewalttäter, die nur Vernichtung im Sinn hatten und dabei nahezu 3000 Menschen umbrachten? Unter ihnen waren junge, auf deutschen Hochschulen ausgebildete Akademiker. Soziologen nennen das, was sie getan haben, altruistische Selbstmorde. Es handelt sich um Menschen, die meinen ihr Leben für eine »höhere Wahrheit« zu opfern. Sie sterben im Glauben an die »gerechte Sache« und reißen dabei bewusst und bedenkenlos andere Menschen mit in den Tod. Sich selbst sehen die Terroristen als tiefgläubige »Idealisten«, die aus »religiöser Inbrunst« handeln, um selbstlos ihre »Mission« zu erfüllen. Eine Haltung, die uns im säkularisierten Westen befremdet und zutiefst verunsichert.

Diese jungen Männer haben bei uns gelebt und studiert. Dennoch ist ihnen unsere Art zu denken fremd geblieben. Unsere freiheitliche Gesellschaft lehnen sie ab. Sie finden sie verderbt und gottlos. Sie sind zu uns gekommen, um sich wissenschaftlich-technische Kenntnisse anzueignen. In diesem Bereich ist die westliche Kultur unbestreitbar überlegen. Das räumen sie freimütig ein, nur um hinzuzufügen, dass sie sonst inhaltlich leer und ohne ethische Werte sei. Der abendländischen Kultur fehle die moralische Kraft, die Halt biete und damit die soziale Ordnung stabilisiere. Das behaupten islamistische Propagandisten schon seit vielen Jahren im Brustton der Überzeugung. Die intelligenten Attentäter waren gelehrige Schüler jener extremistischen Prediger, die nur ein Credo kennen: »Der Islam ist die Lösung.« In Wahrheit verbirgt sich hinter dieser Parole eine politische Kampfideologie, die sich einen religiös gefärbten Mantel umhängt.

Die »Verwestlichung« in den islamischen Gesellschaften sehen islamistische Ideologen als Ursache für die »Selbstentfremdung« der Muslime, die für die Krise in der islamischen Welt verantwortlich sei. Alles Übel komme vom Westen, aus Europa, vor allem aber aus Amerika. So klingt das Mantra dieser Gotteskrieger, deren primitive Interpretation des Islam den ideologischen Kitt darstellt, der die Dschihadisten quer über den Globus verbindet.

Der Westen steht für Sittenverfall und Dekadenz. Für Pornografie, Alkohol und Drogen. Und nicht zuletzt für den Zusammenbruch der Familie als Keimzelle der Gesellschaft. Als Indiz für den soziokulturellen Niedergang im Westen gilt den Islamisten die zügellose Selbstverwirklichung in der Konsumgesellschaft.

Der Islam aber schütze die familiäre Gemeinschaft, die dem Einzelnen Orientierung und Schutz gewähre, dafür allerdings die Einordnung in das größere Ganze verlange. Der Muslim gehe auf im Kollektiv der Gläubigen, deren Verhaltenskodex bestimmt werde durch die Unterwerfung unter den Willen Gottes, der wiederum erkennbar werde im islamischen Gesetz.

Grund für den moralischen Niedergang des Abendlandes sei der übersteigerte Individualismus – das egozentrische Leistungsdenken des Einzelnen, der sein Ziel darin sehe, im kapitalistischen Konkurrenzkampf so viele Vorteile und so viel Profit herauszuschlagen wie nur möglich. Dieser Egoismus – so sagen viele Islamisten – konnte sich nur deshalb ungehemmt entfalten, weil die Religion ins Private abgedrängt worden sei und ihre allgemeinverbindliche Bedeutung eingebüßt habe. Durch diese Fehlentwicklung habe die Religion im Westen ihre wertbestimmende Kraft für die Gesellschaft verloren.

Das Gefühl der Erniedrigung

Die Anschläge in den USA im September 2001 waren kein Amoklauf von Verrückten, sondern kühl geplante, politisch und »religiös« motivierte Gewaltakte gegen die »Feinde des Islam«. Sie tragen neben dem aus Ohnmachtsgefühlen erwachsenen Hass ein Element der Rache für die Schmach der Vergangenheit in sich. Dasselbe gilt für das Vorgehen vieler Terroristen im Irak, und eine ähnliche Motivlage lässt sich auch für die Attentäter von Madrid (März 2004) und London (Juli 2005) vermuten. Islamistische Extremisten haben Amerika und Europa ins Visier genommen, weil sie sich in ihrem Glauben – so wie sie ihn verstehen – bedroht fühlen. Sie betrachten sich als muslimische Avantgarde im »jahrhundertealten Kampf« des Westens gegen den Islam. Sie sehen sich als »Verteidiger des Glaubens«, die im Heiligen Krieg (»Dschihad«) den Angriff der Supermacht USA auf ihre »islamische Existenz« abwehren müssen.

Das mag uns paradox erscheinen. Doch nur, wenn wir die Dinge aus dem Blickwinkel der Terroristen heraus betrachten, kann es gelingen, das Phänomen des Dschihadismus zu erklären. Nur, wenn wir die Ursachen und Motive ihres Handelns kennen, ist es möglich, ein Gegenkonzept zu entwerfen, das politisch aus der Falle herausführt.

Doch nicht allein Dschihadisten sehen sich in einer Opferrolle. Die große Mehrheit der gemäßigten und friedlichen Araber und Muslime weltweit glaubt sich vom Westen missachtet und nicht ernst genommen. Es ist etwas Grundsätzliches nicht in Ordnung zwischen uns, den aufgeklärten, verweltlichten Kulturchristen im Abendland, und den muslimischen Völkern des Orients.

Warum haben die Muslime dieses Gefühl der Erniedrigung? Liegt es daran, dass sie seit der Landung von Napoleons Expeditionsheer in Ägypten 1798 – also dem Beginn der europäischen Kolonialherrschaft vom Atlas bis zum Hindukusch – glauben, sie würden ausgebeutet und vor allem kulturell fremdbestimmt werden? Vor rund 200 Jahren brachten Frankreich und Britannien ihre eroberungslüsternen Armeen in die arabisch-islamische Welt, mit ihnen kamen die Ideen der Aufklärung. Die traditionelle Vorstellungswelt der Muslime und ihre gesellschaftliche Ordnung waren plötzlich der Moderne ausgesetzt. Übergangslos, nach Jahrhunderten der kulturellen Abgeschiedenheit, mussten die Muslime erkennen, dass sie sich weder dem Machtanspruch noch der Fremdherrschaft der Europäer entziehen konnten, geschweige denn ihren modernen Gedanken etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen hatten. Sie waren dem Abendland mit ihrer vorindustriellen, feudalen Stammesgesellschaft in jeder Hinsicht unterlegen: militärisch, technisch, wissenschaftlich und administrativ.

Dieser »Kulturschock« wirkt bis in unsere Tage nach. Als traumatische Erfahrung prägt er bis heute das kollektive Bewusstsein der Araber und Muslime. Zumal es ihnen bisher nicht gelungen ist, einen eigenen Weg zu finden, um ihre traditionelle Kultur mit der Moderne zu versöhnen. Und zwar auf eine Weise, die es ihnen ermöglichen würde, die Lebensbedingungen in den jeweiligen Gesellschaften auch für die breite Bevölkerung humaner zu gestalten, sodass sich politisch, sozial sowie in Wissenschaft und Kultur eine »islamische Moderne« herausbilden könnte.

Der »Kulturschock« sitzt umso tiefer, als die Muslime seit ihren »Blitzsiegen« im 7. Jahrhundert n.Chr. ein mächtiges Weltreich errichten konnten, das dem Islam eine kulturelle Blütezeit bescherte, dem das christliche Mittelalter zivilisatorisch und wissenschaftlich weit unterlegen war. Zwar machte der Mongolensturm dem arabischen Reich im 13. Jahrhundert ein Ende. Aber die siegreichen Turkvölker übernahmen die islamische Lehre wie schon zuvor die einst mächtigen Perser. Die Araber wurden wohl von der Macht verdrängt, aber ihre Eroberer trugen fortan das Banner des rechten Glaubens weiter, und die Sprache des Koran war und blieb für alle Zeiten das Arabische. Ähnliches gilt für das Osmanische Reich, das die Araber fast fünf Jahrhunderte hindurch als Untertanen erlebten.

Doch als Briten und Franzosen mit ihrem Sieg im Ersten Weltkrieg (1914–1918) dem Reich der Osmanen den Todesstoß versetzten, war es mit der islamischen Herrschaft im Vorderen Orient erst einmal vorbei. Die sich anschließende europäische Kolonialzeit ist in den Augen der Muslime ein schlagender Beweis für die besondere Missachtung durch den Westen. Das Britische Empire und die europäische Großmacht Frankreich schufen nach 1918 mit Hilfe des Völkerbunds neue Staaten auf dem Reißbrett und hatten dabei – nicht nur nach islamischer Lesart – allein ihre imperialistischen Interessen im Auge. Ohne jede Rücksicht auf historisch gewachsene Bindungen zwischen Stämmen und Völkern zogen die Europäer willkürliche Grenzen und setzten Herrscher ein, die ihnen zu Diensten sein mussten, weil sie von ihnen abhängig waren. Libanon, Syrien, Jordanien und der Irak sind so entstanden.

Die Kolonialzeit wird im Bewusstsein der Araber und Muslime insbesondere geprägt durch die Gründung des Staates Israel (1948), die der Westen trotz des Widerstands der Araber entschieden begünstigt hat. Gegen den erklärten Willen der Araber förderte vor allem die Mandatsmacht Britannien die staatliche Entstehung Israels auf dem Boden des seit über tausend Jahren arabisch bewohnten Palästina. London ermöglichte die massive Zuwanderung zionistischer Siedler aus Europa, obwohl in Palästina noch 1917 nahezu 700000 Araber, aber nur etwa 85000 Juden lebten.3

In Israel sehen die Araber ein »westliches Baby«, das durch die britische Kolonialpolitik in Palästina (1922–1939) gezeugt wurde und unter dem Eindruck des Völkermords der Nazis an den europäischen Juden mit Hilfe des Teilungsbeschlusses der UNO von 1947 schließlich ein Jahr später auf die Welt kam. Aus Sicht der Araber ist es ungerecht, dass sie ihr Land an die Juden abgeben mussten, die nach Jahrhunderten der Verfolgung endlich dem europäischen Antisemitismus entgehen und deshalb eine nationale Heimstätte als Schutzraum für die Juden dieser Welt errichten wollten.

Die »europäische Erbsünde«4 des Antisemitismus, die Ursache für das Entstehen eines jüdischen Nationalbewusstseins besonders am Ende des 19. Jahrhunderts, und die daraus erwachsene Ideologie des Zionismus, die darauf gerichtet war, einen jüdischen Staat in Palästina aufzubauen, sind nach Meinung der Araber Teil der historischen Verantwortung Europas. Das Palästinaproblem ist demnach von den Europäern geschaffen worden, nicht von den Arabern.

Inzwischen sind die USA an die Stelle der europäischen Kolonialmächte getreten. Und heute fühlen sich die Araber durch die amerikanische Palästina-Politik erniedrigt. Selbst wenn sich die israelische Regierung durch ihre völkerrechtswidrige Landnahme gegenüber der palästinensischen Bevölkerung ins Unrecht setzt, verhindert Amerika eine Verurteilung Israels im UN-Sicherheitsrat. Amerika misst im Nahen Osten mit zweierlei Maß – zulasten der Araber. Diese Grundstimmung der arabischen Völker kennen Leute vom Schlage Osama bin Ladens, die ihre antiisraelische Propaganda genau darauf ausrichten. Und dasselbe gilt für jene politischen und religiösen Führer, die vom Iran aus die arabischen Massen mit antijüdischen und israelfeindlichen Parolen aufwiegeln.

Solange den Palästinensern die staatliche Selbstbestimmung verwehrt bleibt, wird diese blutende Wunde im arabisch-islamischen Fleisch der Nährboden für junge, zornige Terroristen sein.

Die tiefe Krise der arabisch-islamischen Welt

Terrorismus ist nicht allein durch Militärschläge und Geheimdienstoperationen erfolgreich zu bekämpfen. Die politischen und gesellschaftlichen Wurzeln des Terrors müssen behandelt werden, um die Ursachen seiner Entstehung zu beseitigen.

Doch hier ist nicht nur der Westen gefragt. Die arabisch-islamische Welt befindet sich in einer tiefen Krise, die die Araber auch selbst zu verantworten haben. Schließlich sind sie seit Jahrzehnten staatlich unabhängig und halten ihr Schicksal in eigenen Händen. Aber die arabischen Regime haben den Menschen in ihrer Mehrzahl weder Freiheit noch humane Lebensverhältnisse gebracht.5 Abgesehen von einigen Ölstaaten, die ihre Petrodollars einsetzen können, leben die einfachen Menschen in den meisten arabischen Staaten mehr schlecht als recht. Die Machthaber sind in der Regel diktatorisch und korrupt. Die herrschenden Cliquen wirtschaften in die eigene Tasche und überlassen die Versorgung der Bedürftigen den Islamisten, die ihre sozialen Dienste geschickt für politische Ziele instrumentalisieren. Die islamistischen Akteure setzen sich für die Belange der unterprivilegierten Massen ein und haben gleichzeitig viel Zulauf an den Universitäten, weil sie als glaubwürdig und unbestechlich gelten.

Der Aufstieg der Islamisten kommt nicht von ungefähr, weil alle säkularen Ideologien, wie Nassers panarabischer Nationalismus oder der Baath-Sozialismus,6 versagt haben. Das ist heute im Irak und in Syrien unschwer festzustellen. Die Dschihadisten, jene fanatischen Extremisten, die bewaffneten Kampf und Terror auf ihre Fahnen geschrieben haben, sind in der islamischen Welt nur eine sehr kleine Minderheit. Aber sie sind gut und vor allem dezentral organisiert. Sie agieren geschickt, teilweise perfekt getarnt im öffentlichen Raum oder verdeckt und aus dem Untergrund heraus.

Dabei verfolgen verschiedene Gruppen, nur lose miteinander verbunden, durchaus unterschiedliche Ziele, auch wenn sie ideologisch sämtlich durch die krude Weltsicht von al-Qaida, der Keimzelle aller militant-islamistischen Gruppen, geprägt sind. Die einen wollen besetztes, ursprünglich einmal islamisches Land befreien, die anderen sind darauf aus, korrupte arabische Regime zu stürzen, und schließlich handelt es sich um regional und global operierende Terroreinheiten, die den Westen bekämpfen und »feindliche arabische Regierungen« stürzen wollen, die im Unglauben versunken sind.

Im Unterschied dazu beabsichtigen »politische« Islamisten durch politisches Engagement, einschließlich der Teilnahme an Wahlen, die Macht in ihrem Land zu erringen, um eine – wie sie sagen – islamische Demokratie aufzubauen. Doch auch diese »modernen« Islamisten wenden sich gegen die bisherige Politik des Westens, vor allem der USA in der Region und fordern eine Neudefinition ihrer Beziehungen mit dem Westen auf gleicher Augenhöhe.