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Drew Barrymore

Wildflower

Aus dem Englischen von Hanna Lemke

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für meine Freunde

Meine Flower-Familie

Meine Kopelman-Familie

Und meine Töchter

Danke

Von euch habe ich alles gelernt, was ich weiß

Inhalt

Vorwort

Paradiesvögel

Im Höhenflug

Joshua Tree

Mein wunderbarer Waschsalon

Sternzeichen Stier

Was ich bei E.T. gelernt habe

Bronco

The Blue Angel

Meine Flower-Familie

Adam

Schauspiellektionen

Flossy

Häusliches Glück

Auf hoher See

Liebe Olive

Die Möwe

Toddette

Tollpatsch

Deutschland

Indien

Postpartales Pardon

Im Royal Hawaiian Hotel

Tor Nummer eins

Liebste Frankie

Überlebenstraining

Afrika

Der Schwiegereltern-Jackpot

Party für alle

Danksagung

Vorwort

Ich habe dieses Buch geschrieben, ohne davon auszugehen, dass irgendwer es jemals lesen würde. Und doch habe ich es für dich geschrieben, die Person, die es gerade liest.

Wenn es sich für dich wie ein persönliches Buch anfühlt, dann bin ich sehr froh, denn für mich ist es das auch. Ich habe es nach keinem bestimmten Schema geschrieben. Es ist keine ausladende Autobiografie, sondern erzählt von Momenten in meinem Leben, wie ich mich an sie erinnere. Über genau ein Jahr hinweg habe ich mich immer wieder gefragt: »Worauf sollte ich noch einmal zurückkommen?«, oder: »Welche Geschichten soll ich erzählen?« Denn für mich sind das hier Geschichten. Mein Verlag wollte sie zuerst »Memoiren« nennen, aber das klang nicht richtig. Memoiren – das wirkt so schwer, und ich will, dass mein Buch leicht ist.

Es ist ein Buch, in das du eintauchen kannst, wann immer du willst. Ein Buch, das du lesen kannst, wann und wo du möchtest. Und ich kann nur hoffen, dass es dich berührt. Es war nicht leicht, es zu schreiben. Ich habe zwei kleine Töchter, sie sind mein Ein und Alles, und es fühlte sich schrecklich an, mich zum Schreiben von ihnen zurückzuziehen. Immer. Doch jede Mutter weiß, wie sich das anfühlt.

Ich habe in diesem Jahr herausgefunden, dass das Muttersein in solchen Momenten oft am schwierigsten ist. Wenn du dich zurückziehst, fühlst du dich wie der Teufel. Aber hast du es erst einmal getan, kannst du präsenter sein. Und das Schöne ist, sobald du deine Aufgaben erledigt hast, kannst du wieder voll und ganz für deine Kinder da sein. Präsent zu sein – das ist das Wichtigste. Und wenn ich meine Tür hinter mir schloss, um zu schreiben, konnte ich der Inspiration freien Lauf lassen. Aus irgendeinem Grund musste ich dieses Buch schreiben. Ich habe mich über die Jahre immer mehr ins Private zurückgezogen, und doch klopften diese Geschichten an die Tür meines Herzens und riefen: »Lass uns raus!« Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich immer davon geträumt habe, Schriftstellerin zu sein. Menschen, die schreibend ihre Botschaft transportieren, sind meine Helden. Ich war dazu nie in der Lage. Ich war nie mutig genug. Klug genug. Hatte nie genug zu sagen. Ich hatte diese Fähigkeiten in meinem Leben einfach nicht trainiert. Und nun habe ich es doch getan, alleine in meinem Zimmer, aber wie ich in dem Buch auch schreibe, macht man nichts im Leben allein. Und vor allem lebt man nicht allein. Und deswegen haben wir alle unsere Geschichten zu erzählen.

Das hier sind meine.

Wildflower

Da draußen im Chaos der Welt

Zwischen den Betonschluchten

Steuern Menschen entschlossen

Ihrem Schicksal entgegen

Ihre Fußsohlen weise

Einige Gesichter sind stumpf vor Routine

Andere leuchten vor Hoffnung

Zwischen all den Menschen und Maschinen

Findet mein Blick eine winzige Wildblume

Ihre Blütenblätter gelb und hübsch

Und ihre braune Stupsnase

Erinnert mich daran, dass Schönheit überall ist

Ein Kompass der Natur

Eine Sekunde der Stille in meinem Geist

Während mein Herz rast, im selben Rhythmus

Wie die Blume, die sich im Wind wiegt

Du bist diese Blume

Erinnerst mich daran, was wirklich ist

Paradiesvögel

1975 war West Hollywood – jedenfalls die Gegend, in der ich aufwuchs – ein sehr buntes Fleckchen Erde. Es hatte den Charme von alten Autos, erinnerte auch ein wenig an Havanna, und die Häuser und Apartmentgebäude waren alle völlig unterschiedlich gebaut. Da war der Santa Monica Boulevard mit seinen Zuhältern und den alten Kinos. Und da waren die Dragqueens, die für uns Kinder einfach dazu gehörten: »Mom, ist das ein Mann oder eine Frau?«, und dann konnten unsere Mütter wahrscheinlich immer spontan entscheiden, was sie antworten sollten. Aber dass die Welt hier so bunt war, machte die Gegend auch interessant.

Meine Mutter, die damals noch Ildiko Jaid hieß, zog mich alleine groß. Sie war angehende Schauspielerin, übernahm hier und da kleine Nebenrollen und hatte zwei Jobs in berühmt-berüchtigten Clubs, im Comedy Store und im Troubadour. Sie kannte viele wilde Musiker und Künstler, die gesamte Szene war damals sehr hedonistisch. Sie war auch mit vielen schwulen Männern befreundet, sie gehörten für mich ebenfalls einfach dazu, und ich mochte ihren Stil und Witz. Wir wohnten in Poinsettia Place in einem Doppelhaus, dessen Vorderfront eine riesige Wand aus tiefroten Bougainvillea zierte, sie war etwa sieben Meter hoch, was auf mich als Kind wie ein Wolkenkratzer wirkte, und unser Haus stach in der Straße wirklich hervor. Diese dramatischen, freundlichen Blüten machten mich glücklich. Ich war verliebt in ihre Farbe, und sie zeigten mir, dass es auch in einer schäbigen Gegend Schönheit geben konnte. Dass sie sogar strahlen konnte und leuchten!

Wir wohnten in der einen Doppelhaushälfte, und in der anderen Hälfte wohnten Joanie Goodfellow und ihr Sohn Daniel Faircloth. Erst Jahre später fiel mir auf, wie unterschiedlich ihre Nachnamen waren. Damals war Joanie einfach eine weitere alleinerziehende Mutter, so wie meine, ihr Mann war abgehauen und hatte sie mit dem Kind sitzengelassen. Ich erinnere mich nicht mehr, wie der Vater hieß, nur dass er aus Delaware oder Denver kam (beides Orte, die ich nicht kannte, so wie ich von Geografie generell keinen Schimmer hatte). Jedes Mal, wenn sie von ihm sprach, stellte ich ihn mir aus irgendeinem Grund im Westernshirt und mit Cowboystiefeln vor. Männer machten sich aus dem Staub und Mütter gingen arbeiten – das war die Botschaft, die mir das Leben in diesem Haus vermittelte.

Ich habe noch immer keine Ahnung, womit Joanie sich eigentlich beschäftigte. Sie war exzentrisch. Sie hatte mal himmelblaue, mal neongrüne Haare und lief immer wie eine Exhibitionistin im Haus herum, sehr leicht bekleidet, mit ihren beiden Kakadus, jeweils einen auf jeder Schulter. Anfangs wunderte ich mich darüber noch, aber mit der Zeit hätte es mich eher verstört, sie anders zu sehen. Seltsam, woran man sich so alles gewöhnt.

Ihr Sohn Daniel wurde mein bester Freund, auch wenn ich damals noch gar nicht wusste, was das war. Aber wir verkauften immer Äpfel auf der Straße und prügelten uns miteinander. Eine typische West-Hollywood-Freundschaft, würde ich sagen. Wenn es Zeit für ihn war, ins Bett zu gehen, wiederholte sich jeden Abend dasselbe Schauspiel. Joanie verkündete: »Okay, Zeit fürs Bett«, und Daniel kletterte sofort die Gardinen in ihrem Wohnzimmer hoch, als würde er sich in der Turnhalle am Seil hochziehen. Dann brüllte er: »Ich will nicht ins Bett!« Und wenn er fast ganz oben war, pflückte Joanie ihn einfach herunter und warf ihn in sein Schlafzimmer am Ende des Flurs. Unsere Doppelhaushälften hatten jeweils zwei Schlafzimmer. Mir kam das geräumig vor. Ich war stolz darauf, dass unsere Mütter uns Kindern eine so großzügige Wohnsituation bieten konnten. Jeder hatte sein eigenes Zimmer – da gab es nichts zu meckern.

Wir hatten auch einen winzig kleinen Hinterhof mit einer billigen Schaukel und einem Avocadobaum. Ich aß täglich etwa zehn Avocados von diesem Baum, und das ist nicht übertrieben. Ich liebte diesen Baum. Er schenkte mir Nahrung und war neben der Bougainvillea meine einzige Verbindung zur Natur. Dem Baum und der Pflanze war es egal, dass wir inmitten von Kriminalität und Pornokinos lebten, und mir auch. Wir lebten alle glücklich und zufrieden in unserer Fantasiewelt. Tatsächlich bedeuten mir Avocadobäume noch immer sehr viel. Es steht sogar in meinem Testament, dass ich unter einem beerdigt werden möchte oder dass meine Asche darunter verstreut werden soll. Unter irgendeinem Avocadobaum, irgendwo auf einem Hügel, fernab von allem, weit oben inmitten von sanften Bergen, am liebsten mit Meerblick. Von so was träume ich!

Noch aber bestand Natur für mich aus dem, was in Poinsettia Place so grünte und blühte, und am meisten irritierte mich diese seltsame Pflanze, die seitlich von unserem Haus wuchs. Es gab dort eine schmale Einfahrt, die von der Straße bis hinter das Haus führte und völlig zubetoniert war. Dort parkte meine Mutter immer ihren zerbeulten, bockigen alten VW Karmann-Ghia. Aber entlang dieser Einfahrt, an der Hausseite, wuchsen Paradiesvogelblumen. Sie haben lange, blassgrüne Stängel und leuchtend orangefarbene, spitz zulaufende Blütenblätter mit blauen Akzenten. Man kann sich die Farben so ähnlich wie die einer Gasflamme vorstellen – dieses Blau, dieses Orange. Die Blütenblätter sind lang und spitz und sehen aus, als gehörten sie nach Palm Springs oder auf die Galapagosinseln. Aber nicht nach West Hollywood. Ich starrte diese Gewächse an und fragte mich, ob sie Pflanzen oder Blumen waren. Sie sahen aus wie wütende Flamingos. Sie jagten mir Angst ein. Ich suchte immer nach ihren Augen und fürchtete, sie könnten zum Leben erwachen und mich beißen. Ich hielt mich von ihnen fern, aber dann schlich ich mich mit einer kranken Faszination doch immer mal wieder an sie heran. Das Leben warf für mich als Kind viele Fragen auf, was dieses und was jenes war, und dieses Gewächs verkörperte gewissermaßen das gesamte Viertel: Es konnte nicht definiert werden.

Als ich etwa vier oder fünf Jahre alt war, zogen Joanie und Daniel aus. Ich war traurig. Aber dann zog ein wirklich nettes Pärchen mit einem Dalmatiner namens McBarker ein. Gina und Joel waren ein attraktives, großartiges Paar, und sie waren mir sofort sympathisch. Besonders Joel, denn ich sehnte mich nach allem, was eindeutig war – zum Beispiel nach einem Mann, bei dem keine Fragen offen blieben. Bei Joel gab es kein: »Bist du schwul oder hetero, ein Mann oder eine Frau?« Ich liebte die beiden. Gina war eine schöne Latina, die kleine Filmrollen übernahm und sich für Budweiser-Kalender ablichten ließ, Joel war auch Schauspieler. Wir feierten zusammen Weihnachten in ihrer Hälfte des Doppelhauses, Joel zog Hosen mit Weihnachtsmuster an, wir packten alle unsere Geschenke aus, und ich erlebte einen ganz normalen Weihnachtstag und genoss jede Sekunde von diesem traditionellen Moment in unserem Leben. Joel schenkte mir einen Teddy. Ich nannte ihn Bailey Bear – Bailey war Joels Nachname – und liebte ihn über alles in der Welt. Die beiden waren ein tolles Paar. Als sie heirateten, besuchten wir ihre Hochzeit, und selbst wenn sie einen ihrer seltenen Streits hatten, die auch auf unserer Seite der dünnen Doppelhauswand zu hören waren, war es tröstlich für mich, dass da eine Männerstimme war. Die beiden gaben mir ein Gefühl der Geborgenheit. Sie waren gute Menschen, und sie führten ein geradliniges Leben in einer Stadt voller Rätsel.

Es waren glückliche Jahre, die stabilsten Jahre meines Lebens. Seit ich denken konnte, lebten wir in diesem Haus. Aber als ich sieben wurde, nachdem E.T. Premiere gefeiert hatte und ich viele Filmangebote bekam, änderte sich mein Leben und das meiner Mutter. Ich werde nie vergessen, wie wir eines Abends auf meine Mutter warteten, wir wollten zusammen essen gehen, und sie fuhr in einem brandneuen BMW 320i vor. Ich verstand das nicht. Wo war der zerbeulte Karmann-Ghia? Was war hier los? Veränderungen waren mir unheimlich. Wir gingen dann alle zusammen essen, aber es fühlte sich an, als wäre ich auf einem schlechten Trip. Es gefiel mir alles gar nicht. Ein paar Wochen später sah ich beim Heimkommen schon von Weitem, dass jemand die Bougainvillea zurückgeschnitten hatte. Ich bekam einen riesigen Schreck und begann zu weinen. Diese Pflanze hatte unser Haus eingehüllt. Sie war Schönheit. Sie war Natur. Sie war der Grund, weshalb ich sagen konnte, wir haben eigentlich kein Geld, aber man braucht kein Geld, um etwas zu bewundern! Der riesige Wasserfall aus burgunderroten Blüten war einfach verschwunden. Panisch rannte ich nach hinten zum Avocadobaum. Der Baum war noch da, aber er war völlig kahlrasiert. An diesem Tag lernte ich das Wort »gestutzt«. Mir wurde ganz schwer ums Herz – da waren nur noch der Stamm und die Zweige. Man sagte mir, dass alles wieder nachwachsen würde und dass es nötig gewesen sei, damit der Baum gesund blieb. Aber mich machte das krank. Wir hatten hier sieben Jahre lang gelebt und niemand hatte irgendetwas gestutzt oder beschnitten, und alles war in Ordnung gewesen! Gab es einen neuen Gärtner? Und das Auto? Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Es fühlte sich an, als würde alles um mich herum einstürzen.

Und dann fielen mir die Paradiesvogelblumen ein. In was für einem Zustand sie wohl waren? Ich ging langsam hinüber zu der Einfahrt, wo Joel mittlerweile seinen alten Mustang parkte. Waren diese irren Paradiesvogelblumen heil davongekommen oder waren sie derselben Behandlung unterzogen worden? Ich schlich um die Ecke, setzte einen Fuß vor den anderen, wartete auf die Offenbarung … und dann sah ich sie. Grüne Stängel ohne Köpfe. Sie waren demjenigen nicht entgangen, der hierhergekommen und alles zurückgeschnitten hatte. Sie wirkten nicht mehr beängstigend. Sie waren guillotiniert worden, und da standen sie und warteten auf ihre Wiedergeburt. Zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich, wie mir etwas das Herz brach. Das hatten sie nicht verdient. Ja, sie waren anders gewesen. Nein, ich hatte sie nie ganz verstanden. Aber jetzt wollte ich sie nur trösten und ihnen sagen, dass alles wieder in Ordnung kommen würde. Und dann wurde mir klar, dass ich gar nicht wusste, ob alles wieder in Ordnung kommen würde. Ich verstand überhaupt nichts mehr.

Später kam meine Mutter heim, sie hatte ihren Job gekündigt und sagte mir, sie wolle sich nun in Vollzeit dem Management meiner Karriere widmen. Und dann ließ sie die Bombe platzen: »Wir ziehen ins Valley! Ich habe ein Haus gekauft, und wir werden ein richtiges Zuhause haben!« Als wäre das ein Argument. Ich war angewidert. Toll. Jetzt musste ich also das Geld nach Hause bringen. Verließen wir also Joel und Gina und McBarker und zogen nach San Fernando Valley, was auf einem völlig anderen Planeten zu liegen schien. Wie betäubt packte ich meine Sachen, und wir zogen in unser neues Zuhause in Sherman Oaks. Das war 1983. Deswegen rede ich übrigens immer noch wie ein Valley Girl. Dieser Tonfall hat sich in mein Leben geschlichen, als ich acht war – ein Alter, in dem man alles aufsaugt wie ein Schwamm. Selbst heute noch, wenn ich zum Beispiel mit wichtigen Geschäftsleuten rede, höre ich mir manchmal dabei zu und denke, das ist totally Sherman Oaks!

Die einzig gute Nachricht war, dass unser neues Haus einen Pool hatte. Aber ich vermisste Poinsettia Place. Ich habe nie wieder von dem Team Goodfellow-Faircloth gehört, aber ich hoffe, es geht ihnen gut. Jahre später, als ich mich um meinen krebskranken Vater kümmerte, fragte ich mich, ob Daniel wohl auch wieder Kontakt zu seinem Vater aufgenommen hatte. Ich fragte mich, ob Joanie sich immer noch die Haare färbte. Ich fragte mich, wie es Joel und Gina ging. Ich habe gehört, dass sie Kinder bekommen haben und wahrscheinlich auch ins Valley gezogen sind. Ich denke an den Avoca­dobaum.

Als Erwachsene war ich fest entschlossen, in meine alte Heimat zurückzukehren, und zog wieder nach West Hollywood. Ich konnte jetzt selbst über mein Schicksal entscheiden und kaufte ein Haus in unserer alten Nachbarschaft. Ich wollte zurück in meine gewohnte Umgebung.

Es ist ein bisschen sauberer geworden, die Stadt hat die Gegend aufpoliert. Ich gehe mit meinen Kindern in denselben Park, in den ich als Kind schon gegangen bin, und gerade heute habe ich meiner Tochter einen Lolli in dem alten Mini-Markt gekauft, in dem Daniel und ich damals das Kleingeld aus unserem Apfelverkauf in Süßigkeiten investiert haben.

Zurzeit arbeite ich mit einem Landschaftsarchitekten namens Marcello zusammen. Marcello und ich führen lange Gespräche über Pflanzen und – wichtiger noch – über das Beschneiden. Er weiß, dass wir ohne vorherige Diskussionen nicht ein einziges Blatt kappen können. Er merkt es, wenn ich kurz vorm Ausflippen bin, aber ich bin extrem respektvoll. Er ist der Experte, also erklärt er mir, warum er jedes Jahr die Blätter zurückschneiden muss. Er erklärt mir, dass die Pflanzen einen Pilz bekommen, der sie tötet, wenn wir sie nicht jährlich beschneiden. Er hilft mir zu begreifen, dass ich die Wahl habe zwischen Tod und Beschneiden.

Er geht sehr sensibel mit mir um, und ich versuche, mit ihm zu scherzen. Ich sage ihm im Spaß, dass ich ihm seine Arme und Beine abschneiden und ihn dann damit jagen werde. Er lacht. Und doch denkt ein kleiner Teil von ihm, dass ich ein bisschen verrückt bin. Vielleicht ein Prozent von ihm denkt, dass ich keine Witze mache. Vielleicht ist das gut. Es gibt auch Tage, da sieht er, dass ich einen bestimmten Blick in den Augen habe, und dann fahren wir los und kaufen Wagenladungen voller Bougainvillea und pflanzen sie alle an. Ich pflanze rund um mein Haus so viel Bougainvillea wie möglich, und ich finde immer neue Ecken, an denen ich noch welche anpflanzen kann. Marcello und ich sind schon zwei großartige Gärtner.

Mein Großvater John Barrymore verbrachte viel Zeit mit W. C. Fields, und W. C. war offenbar besessen von seinem Rosengarten. Hinter seinem Schreibtisch hatte er eine große Kreidetafel, und darauf stand eines Tages in großen Lettern geschrieben: »Blüht, ihr Bastarde! Blüht!« Ein Mann ganz nach meinem Geschmack. Ich liebe Blumen. Ich beschütze Blumen. Wenn ich Werbung für ein Spray sehe, das Löwenzahn vernichtet, denke ich: »Warum?« So was tut mir weh. Bei der Verteidigung von Blumen stehe ich an vorderster Front.

Und ich frage mich bis zum heutigen Tag, ob den Paradiesvogelblumen wohl jemals neue Köpfe gewachsen sind. Ich werde sie immer blühend in Erinnerung behalten. Sie waren wild, wie wir alle in diesem Viertel. Lasst uns alle so sein, lasst uns gegen die Traditionen verstoßen und gleichzeitig unsere eigenen Traditionen erschaffen. Lasst uns alle Wildblumen sein!

Im Höhenflug

Wir hatten von einem Ort gehört, wo man Fallschirmspringen konnte, nicht weit von unserem Wohnort entfernt. Cameron Diaz und ich waren in einer verrückten Stimmung – wir wollten nur noch Abenteuer erleben. Wir waren noch ganz high von den Dreharbeiten zu 3 Engel für Charlie. Vier Monate lang hatten wir Kung-Fu trainiert und anschließend sechs Monate lang Stunts absolviert, und dieser Rausch hatte uns in komplette Adrenalinjunkies verwandelt. Wir kamen gerade von einer Reise nach Tahiti zurück, wo wir mit Haien getaucht waren. Es war fantastisch. Zwei Meter lange Riffhaie schwammen da herum, eigentlich eine furchterregende Vorstellung, aber es war ein friedliches Hinabtauchen in die ehrfürchtige Stille, die zwanzig Meter unter dem Meeresspiegel herrscht. Ich fand es toll, dass wir Zeichen benutzten, für eine Weile aufhören mussten zu reden und trotzdem alle miteinander kommunizieren konnten.

Irgendwann holte unser Tauchguide eine riesige Plastiktüte hervor, gefüllt mit etwas, das aussah wie zerfetzte Gedärme. Da machte ich schon große Augen, aber dann nahm er ein dreißig Zentimeter langes Messer und schlitzte die Tüte auf. Das Blut verteilte sich im Wasser, und sofort kamen die Haie herangeschwommen. Ich gab dem Guide schnell ein Zeichen, strich mir mit der Handkante über den Hals, wie um zu sagen: »Es reicht, vielen Dank! Bitte verteil nicht noch mehr Futter im Wasser!« Es war verrückt, an einem Ort zu sein, wo innerhalb von einer Sekunde alles hätte schieflaufen können.

Und doch hatten wir überlebt und jede Minute genossen. Als wir also erfuhren, dass es etwa eine Stunde von Los Angeles entfernt eine Fallschirmschule gab, meldeten wir uns sofort dort an und fuhren nach Perris, Kalifornien, mitten hinein in eine völlige Wüste.

Bei unserer Ankunft wurden wir von ein paar Typen begrüßt. Es waren Angeber und Aufreißer – ich wusste auf den ersten Blick, dass sie es auf meine Freundin abgesehen hatten. Und solange sich niemand unangemessen verhielt, nahm ich das eben hin. Ich bin Cameron gegenüber immer äußerst ritterlich und beschütze sie. Sie nennt mich ihren kleinen Mann, denn im ersten Teil von 3 Engel für Charlie verkleideten wir uns als Männer, um in die Technikräume von Redstar einzubrechen. Ich sah seltsamerweise aus wie ein sehr kleiner James Spader und sie wie ein durchschnittlich großer Bürohengst. Und obwohl ich ihr bis an die Augenbrauen reichte, blieb der Name »kleiner Mann« an mir hängen.

Poo Poo (unser gegenseitiger Spitzname füreinander) und ich kennen uns, seit ich vierzehn und sie sechzehn war. Wir trafen Ende der 80er in West Hollywood aufeinander. Es gab da zwei schöne Mädchen, beide waren Models, Cameron und Cory. Alle himmelten sie an, aber wichtiger war, dass sie beide extrem nett waren, das Gegenteil von unterkühlt. Aber sie waren cool.

Wir waren viele Jahre in ähnlichen Kreisen unterwegs. Ich mag Frauen, die andere Frauen respektieren, und Cameron tut das definitiv. Aber erst, als ich sie als Produzentin von 3 Engel für Charlie anrief und sie zum Mitspielen einlud, wurden wir enge Freundinnen. Sie drehte gerade Being John Malkovich, und ich vereinbarte einen Telefontermin, um ihr von dem Film zu erzählen, denn das Drehbuch war damals noch gar nicht geschrieben. Ich sagte ihr, wie ich mir die Stimmung des Films vorstellte, und betonte ganz besonders, was für Fähigkeiten diese Frauen haben und dass sie wie Schwestern füreinander sein sollten. Ich sagte: »Mädchen wollen das tun, was Jungs auch tun, ohne den Gedanken aufzugeben, dass sie letztlich Liebe wollen! Sie lieben auch einander als Frauen und sind gemeinsam stärker. Sie wollen einfach coole Sachen machen und Spaß haben.« Ich wusste, Cameron würde die Einstellung dieser Frauen verstehen, die einander unterstützten und gerne lachten. So war sie selbst auch immer gewesen, und ich wusste, dass wir eine geniale Zeit haben würden. Und die hatten wir dann auch. Und nach den Dreharbeiten setzten wir unsere Reise als Freundinnen auf der ständigen Suche nach dem nächsten Nervenkitzel fort.

Da waren wir also, zwei Mädchen, die aus einem Flugzeug springen wollten. Wir schauten uns die Lehrvideos an, die furchterregend waren, aber schlimmer noch: Man wird dort über sein eventuelles Lebensende aufgeklärt. Im Ernst. Man muss eine »Wenn-alles-schief-geht«-Klausel unterschreiben. Sie sagen einem, dass das so vorgeschrieben ist. Sie sagen einem auch, dass man im Flugzeug auf dem Weg nach oben wahrscheinlich einen trockenen Mund bekommt und Wasser mitnehmen soll. Was zur Hölle tat ich da? Als ich mich gerade fragte, ob wir dieses Mal zu weit gegangen waren, brachten sie uns Overalls, die wir anziehen sollten. Ich bemerkte, dass Camerons Overall knallrot war und meiner kanariengelb. Wir nahmen die zusammengeknüllten Sachen und gingen in die Umkleide. Die Typen machten ihre Witzchen und alberten herum, während wir uns umzogen. Ich hatte das Gefühl, sie mussten sich zusammenreißen, um vor Begeisterung für Cameron keine Saltos zu schlagen. Es war offensichtlich, dass alle hinter ihr her waren, aber wer war das nicht?

Ich war daran gewöhnt. Und so sehr ich sie auch beschützen wollte, ich verstand das vollkommen. Ich liebte sie ja auch! Aber angesichts dieser Ansammlung von Idioten machte ich mir größere Sorgen um die Frage: »Sind das die Männer, mit denen wir möglicherweise sterben wollen?«

Ich zog den Reißverschluss meines Overalls hoch, und wir traten beide gleichzeitig aus den Umkleidekabinen hervor. Ich traute meinen Augen kaum. Ich steckte in einem hellgelben Overall aus Kunstseide, dessen Vorderseite ein riesiger Tukan zierte. Beim Umziehen hatte ich auf Autopilot geschaltet und über meine Sterblichkeit nachgesonnen – ich war zu abgelenkt gewesen um zu bemerken, dass irgendein Trottel ein verdammtes Clownskostüm für mich ausgesucht hatte. Jetzt hatte ich nicht mehr nur Angst, sondern sah auch noch aus wie ein kompletter Idiot.

Dann schaute ich Cameron an. Sie hatte einen hautengen, roten Elastan-Overall bekommen, der wie aufgemalt wirkte – jeder Zentimeter ihres Körpers zeichnete sich darunter ab. Ich wollte diesen Arschlöchern eine reinhauen. Da standen wir also – die rote Kanone und Sam, der Tukan von der Froot-Loops-Packung. Die Typen versicherten uns, wie gut wir aussähen, und ich verdrehte nur die Augen und murmelte: »Fickt euch doch.« Dann sagten sie uns, es sei Zeit zu starten, und ich vergaß mein Outfit sofort wieder und widmete meine volle Aufmerksamkeit dem Geräusch der rotierenden Propeller draußen vor dem Gebäude.

Wir gingen zum Flugzeug. Wir alle waren jetzt schon mit unserem Equipment ausgestattet, an meiner Brust war unter anderem ein Höhenmesser befestigt. Ich sah aus wie ein menschliches Armaturenbrett. Wir stiegen in das Flugzeug, es hob ab, und ich schaute auf meinen Höhenmesser. Als er dreihundert Meter anzeigte, blickte ich aus dem Fenster. Es kam mir wirklich hoch vor. Ich wandte mich an den Typen, der für mich zuständig war, und schrie ihm über das Dröhnen im Flugzeug hinweg zu: »Auf wie viel Meter müssen wir kommen, bevor wir springen?« Er schaute mich mit einem dämlichen Grinsen an und sagte: »Dreitausend Meter.« Oh mein Gott. Okay. Sechshundert Meter sahen für mich schon aus wie sehr weit oben – auf dieser Höhe waren wir jetzt, denn seit ich vor einer Minute auf meinen Höhenmesser geschaut hatte, waren wir noch mal um dreihundert Meter gestiegen. Wow. Meine Zunge begann sich auszudehnen. Ich konnte kaum atmen, aber am bemerkenswertesten war der berühmt-berüchtigte trockene Mund, der uns bereits angekündigt worden war. Meine Zunge war eine Kombination aus Sandpapier und Filz. Wasser hätte nicht mal annähernd geholfen, die Dürre in meinem Mund zu bekämpfen – genauso gut hätte man versuchen können, einen Waldbrand mit einmal spucken zu löschen.

Auf etwa zweitausendfünfhundert Metern Höhe saß ich mit offenem Mund da. Er war ein leeres Sandloch, das eigentlich keine Ähnlichkeiten mehr mit meinem Mund hatte. Der Typ, der für mich zuständig war, drehte sich zu mir um und stellte mir eine weitere seiner belanglosen Fragen. »Also, wie war E.T. eigentlich so?« Ich konnte einfach nicht antworten. Sprechen war an diesem Punkt keine Option mehr, denn meine Zunge hatte sich inzwischen in ein dickes Kaschmirkissen verwandelt. Und ehe ich mich versah, standen alle auf und begannen sich für den Absprung bereit zu machen. Ich schaute Poo Poo an. Nach unseren gemeinsamen Tauchgängen hatte ich das Gefühl, dass wir allein über unsere Augen miteinander kommunizieren konnten. Nach einem tiefen Atemzug und einem intensiven Blickwechsel übermittelten wir einander telepathisch folgende Botschaft: »Diese Typen sind Idioten, aber nützliche Idioten. Jetzt sind wir schon so weit gekommen, und es wäre eine Schande, einen Rückzieher zu machen. Sie können uns dahin bringen, wo wir hinmüssen. Und wir müssen raus aus diesem Flugzeug und diesen verdammten Sprung rocken!« Yes!

Ich fühlte mich besser. Cowabunga! Los geht’s. In diesem Moment fragte einer der Typen: »Wer will zuerst?« Von meiner neugewonnenen Tapferkeit beflügelt hob ich die Hand. Wieder konnte ich nicht sprechen, aber ich ging davon aus, dass meine erhobene Hand wohl allen klarmachen würde, dass ich bereit war! Wir versammelten uns an der Öffnung des Flugzeugs. Fest bei den Typen eingehakt sollten wir vor- und zurückschaukeln, so wie wir es unten im Basislager bereits geübt hatten. Wir kauerten uns auf dem Boden zusammen. Meine Arme waren über der Brust gekreuzt wie bei einer Mumie. Sie zählten laut. Eins. Meine Zunge hatte ein neues Niveau der Nutzlosigkeit erreicht. Zwei. Oh mein Gott, ich mache das wirklich. Drei. Okay, scheiß drauf, los geht’s!

Und mit diesem Gedanken warf ich mich aus dem Flugzeug. Wir fielen, fielen, fielen. Es dauerte ewig. Die Luft rauschte uns so heftig entgegen, dass ich nicht atmen konnte. Ich fragte mich, wie lange das wohl so gehen würde, denn wenn ich nicht durch den Sprung ums Leben kam, dann definitiv, weil der Wind meine Lungen zerbarst oder durch den Sauerstoffmangel. Aus dem Augenwinkel sah ich Poo Poo Richtung Erde zischen – mit dem Kopf nach unten, was den Fall tatsächlich beschleunigte. Obwohl sie nach mir gesprungen war, überholte sie mich jetzt wie eine menschliche Pistolenkugel. Ich hielt weiter den Atem an und betete dafür, dass der Fallschirm sich bald öffnen möge. Öffnen, öffnen, öffnen! Bitte, lieber Gott, öffne ihn!

Und dann, nach einer Minute im freien Fall, riss mein Fallschirm mich hoch in die Luft und faltete sich auf. Und als der Schirm dann über mir stand und ich anfing zu schweben, hach … Genau so hatte ich es mir vorgestellt. Das war die Stille, nach der ich mich gesehnt hatte. Ich glitt langsam durch die Luft wie ein Vogel im Segelflug. Ich war überwältigt von dem Frieden, den ich verspürte. Ich hatte es geschafft. Ich flog. Und einfach so setzte der Typ, bei dem ich eingehängt war, seine Fragestunde fort. »Also, machst du demnächst mal wieder einen Film?« Herr im Himmel. Schnauze!

Ich fragte höflich, wie lange das Herunterschweben dauern würde, und er sagte: »Oh, etwa zehn Minuten.« »Toll«, sagte ich, aber ich dachte: »Toll, dann muss ich deinem Scheißgelaber noch zehn Minuten lang zuhören, wo ich doch eigentlich nur die Aussicht genießen will!« Ich wusste, dass ich – anders als er – so etwas nicht so bald noch einmal machen würde.

Nach einer gefühlten Ewigkeit landete ich, glücklicherweise sehr sanft. Der Typ nahm mein Gesicht in seine Hände und gab mir einen dicken großmütterlichen Kuss. Würg. Schönen Dank auch! Erst steckst du mich in dieses Clownskostüm und dann willst du knutschen? Bloß weg hier! Cameron und ich hauten ab so schnell wir konnten, froh, dass wir mit unserem Leben davongekommen waren. Wir fuhren zum nächsten Ort, den wir finden konnten, um etwas zu trinken. Es gab da einen Fastfood-Laden an der Straße, und wir stürmten hinein. Zwei Limos und zwei Burritos später fassten wir unsere Erfahrungen endlich in Worte – zum einen, weil wir jetzt reden konnten, ohne dass uns jemand zuhörte, und zum anderen, weil mein Mund wieder funktionierte.

Und als wir so richtig in Fahrt kamen und uns gar nicht mehr darüber einkriegen konnten, was wir erlebt hatten, biss Poo Poo auf ein Stück Glas in ihrem Burrito. Tja, wenn’s das eine nicht ist, dann ist es das andere: Du überlebst den Sprung aus einem Flugzeug, aber stirbst fast beim Essen danach. Wir bekamen einen Lachanfall. Dann stiegen wir wieder ins Auto und fuhren zurück nach Hollywood, mit offenen Fenstern und Wind im Gesicht – aber ganz bestimmt werde ich nie wieder denselben Wind in meinem Gesicht spüren wie beim freien Fall aus dreitausend Metern Höhe.

Jetzt sind wir älter und Cameron ist immer noch eine meiner engsten Freundinnen. Ich war ihre Trauzeugin, und sie ist die Patin meiner Tochter Frankie. Wir erleben immer noch ständig Abenteuer miteinander, aber sie sind sehr viel harmloser. Doch das liebe ich an meiner Freundin. Sie ist immer für alles zu haben. Und ich werde immer ihr kleiner Mann sein.