Illustration

Michel Dierickx S.J.

Freimaurerei

Michel Dierickx S.J.

FREIMAUREREI DIE GROSSE UNBEKANNTE

Ein Versuch zu Einsicht und Würdigung

Edition zum rauhen Stein

 

 

Die Edition zum rauhen Stein hat sich die Aufgabe gestellt, wertvolle Schriften zur Freimaurerei neu aufzulegen und neue, noch nicht veröffentlichte Texte einem interessierten Personenkreis zugänglich zu machen.

Die Neuauflage des 1967 erschienenen Werkes von Michel Dierickx ist für alle Freimaurer ein unentbehrliches ideengeschichtliches Nachschlagewerk. Der Diskurs und der Dialog mit der katholischen Kirche ist hier ausführlich dokumentiert und bietet für beide Seiten die Möglichkeit, auf einer humanistischen Ebene miteinander zu diskutieren.

Michael Kernstock, Herausgeber

Einheitssacht.: De vrijmetselarij <dt.>

ISBN 978-3-7065-5839-6

Internet: www.studienverlag.at

Deutsche Übersetzung von H. W. Lorenz, Bayreuth

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

VORWORT

Michel Dierickx S. J., der angesehene Verfasser dieses Buches, legt hier eine so gründliche Arbeit vor, daß sie einer eigenen Empfehlung nicht mehr bedarf. Es gibt in der katholischen Literatur kein vergleichbares Werk über Geschichte, Lehre, Symbolik und Aufbau des Freimaurertums. Darüber hinaus hat das Werk den ganzen Problemkreis bereits im Licht des II. Vatikanischen Konzils erörtern können. Als Vertreter einer objektiven Wissenschaft, der Historik, spricht der Verfasser den Wunsch und die Hoffnung aus, die katholische Kirche möge ihren Standpunkt gegenüber dem Freimaurertum, wie er vor allem in der kirchlichen Gesetzgebung zum Ausdruck kommt, revidieren. Er steht damit heute nicht allein da. Die hochstehende katholische Kulturzeitschrift „La revue nouvelle“ (Brüssel) zum Beispiel hat sich im April und Oktober 1968 ebenso geäußert. Ich möchte mich diesen Initiativen von katholischer Seite, denen viele Freimaurer mit ausgestreckter Hand zuvorkamen, aus ganzem Herzen anschließen. Aber es sei erlaubt, darauf hinzuweisen, daß etwas anderes noch dringlicher ist als die Aufhebung des Kirchenausschlusses bei Katholiken, die sich gegen den Willen ihrer Kirche dem Freimaurertum angeschlossen haben. Mit der Hochschätzung der Gewissensfreiheit, mit der Respektierung der Überzeugung eines jeden Menschen, auch des Atheisten, wie sie feierlich vom letzten Konzil proklamiert wurden, hat die römisch-katholische Kirche auf einen Weg zurückgefunden, der für sie lange im Dunkeln lag und auf dem die Freimaurer ihr vorangegangen sind. In dem am 28. August 1968 von F. Kardinal König unterzeichneten Dokument „De dialogo cum non credentibus“ akzeptiert diese Kirche das selbstverständliche Prinzip des Dialogs, daß beide Partner voneinander lernen können und müssen. Das bedeutet: Die Kirche läßt sich nicht in herablassender Geste herbei, mit dem Andersdenkenden zu sprechen und ihm Anteil an ihrer Weisheit zu gewähren, sondern sie weiß, daß er in Theorie und Praxis Einsichten hat, über die sie nicht oder nicht deutlich genug verfügt, die aber auch für sie wesentlich sind. Zu lange hat die katholische Kirche ignoriert, was ihr das Freimaurertum werbend oder in herber Kritik zu sagen hatte. Heute steht sie am Anfang eines langen dialogischen Weges, bei dem dieses Buch eine wesentliche und notwendige Hilfe ist.

Herbert Vorgrimler

Professor für katholische Dogmatik an der
Theologischen Fakultät in Luzern
Consultor Secretariatus pro non credentibus

ZUM GELEIT

Als mir vor einigen Jahren auf Vorschlag meines verehrten und später betrauerten Freundes, des Herrn N. E. van der Laaken, die Gelegenheit zu einem Vortrag vor den versammelten Logen in Amsterdam geboten wurde, war für mich die Freimaurerei in vieler Hinsicht noch „die große Unbekannte“. Natürlich hatte ich schon das eine oder andere von dieser mit einem Hauch des Geheimnisvollen umgebenen Organisation gehört und gelesen, aber alles in allem war mein Wissen doch sehr beschränkt und unvollkommen geblieben. Wohl hatte ich stets eine natürliche und fast gefühlsmäßige Abneigung gegenüber den törichten und kindischen Erzählungen empfunden, die über diese Gesellschaft umgingen, aber eine gründliche Kenntnis ihrer Geschichte, ihrer Ziele und des Geistes, der sie beseelt, war mir doch vorenthalten geblieben.

Meine Begegnung mit verschiedenen führenden Mitgliedern der Freimaurerei in Holland ist dann für mich der Ausgangspunkt für eine eingehendere Beschäftigung mit ihr und für eine umfassendere Studie gewesen. Einige Umstände kamen mir dabei zu Hilfe, nicht zuletzt die Gespräche, die ich mit dem Pariser Anwalt Alec Mellor führen durfte, der nicht nur als ein ausgezeichneter Kenner der Freimaurerei gilt, sondern sich überdies in seinen zahlreichen Werken darum bemüht, in katholischen Kreisen eine zutreffendere Ansicht über diese Gemeinschaft durchzusetzen. In dem Maße, wie diese und gleichartige Kontakte Zunahmen, wurde es mir von Tag zu Tag deutlicher, wie sehr eine gründlichere und objektivere Aufklärung not tat, und sei es auch nur, um den Berg von Vorurteilen und Mißverständnissen abzutragen, der auf beiden Seiten einem besseren Verstehen im Wege stand.

Aus diesem Grund war es mir eine große Freude zu erfahren, daß Professor Dr. M. Dierickx S. J. sich entschlossen hatte, diesem Thema ein ausführliches Buch zu widmen. Wer Professor Dierickx kennt, durfte dessen gewiß sein, daß ein derartiges Werk sich nicht nur durch geschichtliche Gründlichkeit und Objektivität auszeichnen, sondern auch von rückhaltloser Offenheit und vom Verständnis für die Ansichten Andersdenkender zeugen würde. Daß diese Erwartungen vollauf erfüllt werden, dürfte sich aus der Lektüre dieses Werkes ergeben.

Dieses Buch will aber nicht nur eine historisch vertretbare Darstellung davon geben, was die Freimaurerei im Laufe ihrer Geschichte gewesen ist und welche Gestalt sie in unseren Tagen angenommen hat. So wesentlich das an sich auch gewesen sein dürfte, so will es mir doch scheinen, daß die Bedeutung dieses Buches weiter reicht und uns vor ein Problem stellt, an dem wir nicht länger achtlos vorbeigehen dürfen. Die Frage, mit der uns das Buch konfrontiert, ist die, ob wir unter den heutigen Verhältnissen unseren Standpunkt gegenüber der Freimaurerei nicht gründlich revidieren müssen. Sie einfach abzulehnen, als sei die Freimaurerei weiter nichts als eine Gemeinschaft von Menschen, die sich gegen „Kirche und Staat“ verschwören wollen, wie es noch im kirchlichen Gesetzbuch heißt, ist nicht nur lächerlich, sondern auch grundverkehrt. Was auch immer bei einigen irregulären Logen vorgekommen sein mag, in der regulären und von der Vereinigten Großloge von England anerkannten Freimaurerei ist davon bestimmt keine Spur zu entdecken. Infolge mangelnder Kenntnis, die zum Teil auf ungenügende objektive Unterrichtung zurückzuführen ist, werden häufig Urteile gefällt, die sich bei genauerer Prüfung als ungerecht herausstellen müssen. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils sind bereits Stimmen laut geworden, die für eine Überprüfung der früheren Auffassungen plädiert haben. Wir meinen, der Sache der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu dienen, wenn wir die Hoffnung ausdrücken, daß dem so bald wie möglich Rechnung getragen werden sollte.

In zweierlei Hinsicht kann sich das Buch von Professor Dierickx nach meinem Empfinden als sehr bedeutsam erweisen. Es läßt neue Töne anklingen und lehrt uns mehr Sachlichkeit und Verständnis beim Studium der Freimaurerei aufbringen. Es fordert uns zu einer verantwortungsbewußteren Stellungnahme heraus, deren Bedeutung und Absichten oft so sehr verkannt und so gründlich entstellt werden. Wenn es darüber hinaus noch zu einem offenen Gespräch, zur Beseitigung von Vorurteilen auf beiden Seiten und letztlich zum besseren gegenseitigen Verständnis beitragen sollte, dann wäre dem Ideal von „Weisheit, Stärke und Schönheit“, dem wir doch alle nachstreben müßten, ein großer Dienst erwiesen.

N. M. Wildiers

VORWORT

Mit besonderer Freude schreibe ich einige Worte zur Einleitung des Buches „Die Freimaurerei“ von Prof. Dr. M. Dierickx S. J.

Zweifellos ist es das beste Werk, das ein Nichtfreimaurer über dieses umfassende Thema geschrieben hat. Der erste Teil gibt einen Überblick über die Geschichte der Freimaurerei, aber auch im zweiten Teil tritt ihre historische Rolle immer wieder hervor, und mit Recht, denn eine geistige Bewegung wie die Freimaurerei, deren erste Spuren bis zum Ende des 14. Jahrhunderts zurückgehen, kann nicht verstanden werden, wenn man ihre geschichtliche Entwicklung nicht kennt.

Im zweiten Teil kommen das Wirken und die Einstellung der Freimaurer zur Sprache. In diesem Teil läßt der Verfasser nicht nur den Verstand, sondern auch das Herz mitsprechen, zweifellos die natürliche Folge eines sich über Monate erstreckenden täglichen Umgangs mit Freimaurern im Haus der Großloge in Den Haag.

Prof. Dierickx hat sein Buch in erster Linie geschrieben, um den Römisch-Katholischen unter seinen Lesern ein besseres Verständnis für die Freimaurerei zu vermitteln, als es gemeinhin der Fall ist.

Auch ich würde das Buch gern in den Händen der belgischen und holländischen Freimaurer sehen, die daraus in jeder Beziehung viel lernen können, sogar noch aus den Ausführungen, in denen sie glauben, mit dem Autor nicht übereinstimmen zu können.

Abschließend noch dies: Die Freimaurer trachten danach, das zu überwinden, was die Geister und Seelen trennt, und das zu suchen, was die Menschen verbindet. Dieser Grundsatz zieht sich ebenfalls wie ein roter Faden durch das ganze Werk von Prof. Dierickx. Deshalb allein schon muß der Herausgabe seines Werkes von Herzen zugestimmt werden.

P. J. van Loo

Großsekretär des Großostens der Niederlande

EINLEITUNG

Wenn man sich daranmacht, Bücher und Studien über Freimaurerei zu lesen und durchzuarbeiten, so ist der erste Eindruck der, daß sie in zwei völlig voneinander verschiedene Gruppen zerfallen: in Werke, die von Freimaurern, und in solche, die von Nichtfreimaurern geschrieben wurden. Viele Schriftsteller, die Gegner der Freimaurerei sind, stellen sie als eine gottlose Gemeinschaft dar, antikirchlich und antichristlich, aufrührerisch und revolutionär, wobei dann gelegentlich noch der Satanismus als pikantes Gewürz hinzugefügt wird. Folgt man freimaurerischen Autoren, dann ist die Freimaurerei im Gegenteil eine hochstehende ethische und tolerante Bruderschaft mit religiösem Einschlag und mit einem ausgeprägt humanitären und freiheitsliebenden Ideal.

Weiter hat es uns beeindruckt, daß das so bedeutende Zweite Vatikanische Konzil verständnisvoll über die anderen christlichen Kirchen und die Juden, und selbst über den Islam und den Buddhismus diskutiert hat und sich eindeutig für den Vorrang des Gewissens und die Freiheit der Religionsausübung ausgesprochen hat. Aber nur ein Konzilsvater beantragte dazu, auch die Haltung der Kirche gegenüber der Freimaurerei zu überprüfen. Seine Stimme fand in der Weite der Basilika von St. Peter keinen Widerhall. Wußten die Konzilsväter denn wirklich nicht, was diese Bruderschaft tatsächlich bedeutet oder ist eine verständnisvolle Haltung der Katholischen Kirche gegenüber der Freimaurerei von vornherein ausgeschlossen? Das sind doch wirklich sehr beunruhigende Fragen.

Wohl haben es in den letzten Jahrzehnten einige mutige Katholiken gewagt, eine Annäherung zwischen Kirche und Freimaurerei anzustreben, so die Jesuiten Hermann Gruber, Joseph Berteloot und Michel Riquet, der Dominikaner Gorce, der Laie Alec Mellor und ein paar andere. Zwar wurden ihre Bücher und Stellungnahmen überall aufmerksam vermerkt, doch wurde damit das große Geheimnis um diese „geheime Sekte“ nicht gelüftet, und die Freimaurerei blieb die Große Unbekannte.

Vorher hatten wir uns schon zweimal an ein Buch über die Jesuiten gewagt – die oft mit Freimaurern und Juden in einem Atemzug genannt werden! – und hatten immer feststellen können, daß man über diesen Orden die törichtsten und unglaubwürdigsten Dinge erzählen und doch immer leichtgläubige Zuhörer oder Leser finden kann. Vielleicht ist es mit den Freimaurern ebenso bestellt? Das Verlangen, nun einmal die Wahrheit über diese „geschlossene Gemeinschaft“ aufzudecken, und auch der Wunsch, eine vom Konzil vernachlässigte oder vielmehr nicht zur Kenntnis genommene weltumspannende ethische Organisation vielleicht der Kirche näher zu bringen und die Kirche näher zu ihr, haben uns zu dieser Studie veranlaßt.

Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe über die Freimaurerei zu schreiben. Unter Katholiken und vielen anderen Menschen herrschen noch häufig unsinnige Anschauungen: die Freimaurer sollen ein Bund von Atheisten sein, die aus Prinzip Kirche und Religion bekämpfen, sich mit moralisch verwerflichem Treiben hervortun und sogar einen Bund mit dem Satan geschlossen haben. Vor allem in Belgien und Frankreich, aber auch in einigen anderen Ländern, ist man geneigt, alles das, was gegen die Kirche und den christlichen Glauben gerichtet ist, blindlings auf das Konto der Logen zu schreiben. Andererseits haben die Freimaurer über das Christentum und insbesondere über die Katholische Kirche und einige religiöse Orden Auffassungen, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. Wie kann man nun diesen Abgrund von Vorurteilen überbrücken und sinnvoll über die Freimaurerei und die Kirche schreiben, so daß Christen und Freimaurer das Buch nach dem Lesen befriedigt zur Seite legen und jeder den anderen besser kennt und anerkennt?

Eine zweite Schwierigkeit beim Schreiben eines Buches dieser Art ergibt sich aus der enormen Literatur von über hunderttausend Büchern, die zumeist unterschiedliche Meinungen wiedergeben. Hat man einige Dutzend Werke katholischer Autoren durchgearbeitet, dann kann man sich erst ein konkretes Bild von den unvorstellbaren Vorurteilen katholischer Kreise machen und ist, offen gesagt, als Katholik auf diese Schmähschriften nicht sehr stolz. Nimmt man dagegen Freimaurer-Autoren zur Hand, dann ist man betroffen von der ungeheuren Vielfalt oder besser gesagt, den unüberbrückbaren Gegensätzen. Englische Autoren halten sich peinlich genau an die reinen Fakten, vermitteln dabei aber zu wenig von dem Geist, der die Freimaurerei beseelt; deutsche Schriftsteller verlieren sich gern in tiefsinnigen Betrachtungen und in mythischen Hintergründen, was dann wieder Zweifel an ihrem Tatsachenmaterial aufkommen läßt; französische Autoren behandeln das Thema schwungvoll und elegant, aber sie berichten sowohl über die Tatsachen als auch über den Geist der Freimaurerei zu wenig, um damit auch die Abweichungen in der Freimaurerei zu erklären. Wo finden wir die richtigen Auffassungen über die Freimaurerei? Der freimaurerische Schriftsteller Henry Hallam nannte diese Schreiber glattweg: Lobredner und Lästerer, beide gleich verlogen.

Wenn man sich als Historiker mit der Geschichte der Freimaurerei näher befaßt, hat man zuerst den Eindruck, in ein unentwirrbares Knäuel sich widersprechender Auffassungen geraten zu sein ohne jede Hoffnung auf Klarheit. Da kann man mutlos werden. Es genügt nicht, geschichtliche Tatsachen zu ermitteln, um die Geschichte der Freimaurerei darstellen zu können, nein, in ihren Initiationsriten, in allen ihren Logenarbeiten sind soviel Legenden und alt-religiöse Elemente enthalten, daß man diese nicht unberücksichtigt lassen darf, will man nicht am innersten Wesen der Freimaurerei vorbeigehen. Ist man dabei noch ein Außenstehender, so kann man kaum ermitteln, welche von diesen oder jenen Mythen oder Legenden in den Ritualen und Symbolen nun wirklich von Bedeutung sind. Schließlich ergibt sich beim Schreiben eines Buches wie das vorliegende noch eine weitere Schwierigkeit. Nach bester Tradition echter Freimaurerei muß jeder Freimaurer auf seine persönliche Weise in der Loge arbeiten: Wenn er nur die allgemeinen Grundsätze achtet, mit denen wir uns noch befassen werden, steht es ihm frei, sich seine Überzeugung nach eigenem Gutdünken zu bilden. Er hat die Anschauungen der anderen anzuerkennen, wie wiederum die anderen seine religiösen Gefühle und seine maurerische Arbeitsweise zu achten haben. Freimaurer können mithin sehr verschiedener Ansicht sein. Da jeder echte Freimaurer an seinem eigenen Baustück arbeitet und zu seiner eigenen Überzeugung steht, kommt es oft dazu, daß freimaurerische Schriftsteller einander in ihren Schriften widersprechen. Wie kann sich da ein Außenstehender über eine derartige weltumspannende Bewegung eine Meinung bilden, die einigermaßen mit der Wahrheit übereinstimmt?

Ohne Rücksicht auf diese Schwierigkeiten und Belastungen meinen wir, daß es dringend notwendig ist, ein Buch wie dieses zu schreiben. Der Toleranzgedanke – eine der edelsten Bestrebungen der wahren Freimaurerei – hat nicht nur in letzter Zeit große Fortschritte gemacht, er wird auch immer unentbehrlicher in dieser nach Einheit strebenden und so zerrissenen Welt von heute. Wenn sich auf freimaurerischem Gebiet noch Mauern des Vorurteils erheben, dann wollen wir daran arbeiten, diese abzutragen, und auch wir wollen unsere Bausteine beisteuern, um den neuen Bau einer universellen Harmonie zu errichten.

Unsere Aufgabe wurde in hohem Maße dadurch erleichtert, daß sich das Zweite Vatikanische Konzil vorbehaltlos für die Freiheit der Religionsausübung, für Anerkennung aller Religionen und aller Weltanschauungen ausgesprochen hat. Andererseits ist bei den Freimaurern gerade jetzt – vornehmlich in Belgien und Frankreich, wo sie oft weit von der ursprünglichen Zielsetzung abgewichen waren, aber auch in den Niederlanden – ein Wandel im Gange. Auf beiden Seiten sind es Männer guten Willens, die eine Kluft von mehr als zwei Jahrhunderten überbrücken wollen und die einig sind im Streben nach einer humaneren, geistig vertieften und toleranten Welt, die Ehrfurcht bezeugt vor der Person und der Lebensanschauung eines jeden Menschen, gleich welcher Rasse, Hautfarbe, Kultur oder Religion er sein mag.

Unsere Aufgabe wurde auch wesentlich erleichtert oder, besser gesagt, erst möglich gemacht durch die loyale Unterstützung und das volle Vertrauen, die uns seitens der Ordensleitung des Großostens der Niederlande entgegengebracht wurden. Namentlich erwähnen wir Herrn B. Croiset van Uchelen, Bibliothekar und Archivar des Ordens der Freimaurer unter dem Großosten der Niederlande in Den Haag, Herrn H. J. Zeevalking, Administrator des Niederländischen Großostens, und Dr. P. J. van Loo, Großsekretär des Ordens der Freimaurer und einer der besten Kenner der Freimaurerei in den Benelux-Ländern, denen wir von Herzen für ihre ausdauernde und wertvolle Hilfe danken. Auch den hilfsbereiten Mitarbeitern der Bibliothek, den Herren W. F. H. van Nievelt und M. R. L. Brijl, Oberstleutnant a. D., ebenso wie den anderen leitenden Personen sagen wir unseren aufrichtigen Dank für die gute Atmosphäre, die sie während unserer Besuche, die sich oft über Monate erstreckten, zu schaffen verstanden. Auch andere niederländische, französische und belgische Freimaurer, sowie Pater Michel Riquet S. J. und Alec Mellor, Verfasser von drei bemerkenswerten Büchern über die Freimaurerei, gaben uns zahlreiche interessante Hinweise. Mehrere katholische Theologen und Fachleute des Kanonischen Rechts haben uns bei unserem Bemühen um eine klare und unmißverständliche Stellungnahme wertvollen Rat erteilt.

Unser besonderer Dank gilt den beiden Persönlichkeiten, die jeder ein Geleitwort für dieses Buch haben schreiben wollen: von katholischer Seite Herrn Dr. N. M. Wildiers vom Kapuzinerorden, der in den letzten Jahren u. a. durch seine Studien und Vorträge über Teilhard de Chardin und durch die Betreuung der Herausgabe seiner Werke bekannt wurde und der im Jahre 1962 vor Amsterdamer Logen einen Vortrag über diesen Gelehrten hielt, und von freimaurerischer Seite Herrn Dr. P. J. van Loo, Großsekretär des Ordens der Freimaurer unter dem Großosten der Niederlande, der auch an der Spitze des Erzkapitels der Hochgrade der Niederlande steht. Nicht zuletzt danken wir ehrerbietig S. E. L. J. Kardinal Suenens, Erzbischof von Mechelsen-Brüssel, und S. E. Dr. B. J. Kardinal Alfrink, Erzbischof von Utrecht, für die Unterstützung und Förderung, die sie uns angedeihen ließen.

Angesichts der Fragen, die an uns schon vor dem Erscheinen dieses Buches mehr als einmal gestellt wurden, halten wir es für notwendig, eindeutig zu erklären, daß wir von keiner Seite beauftragt wurden, dieses oder ein ähnliches Buch zu schreiben, und daß auch niemand, weder unsere kirchlichen Oberen noch Freimaurer, Forderungen in bezug auf den Text gestellt hat; wohl haben wir natürlich dankbar von gut gemeinten und oft wertvollen Hinweisen Gebrauch gemacht. Die volle Verantwortung für dieses Buch liegt daher allein bei uns.

Wir schließen mit dem Wunsch, daß vor allem unsere katholischen Glaubensbrüder, aber auch andere Christen, und „Profane“, eine zutreffendere Einsicht in den Geist und das Wollen echter Freimaurerei gewinnen mögen. Und sollte es vermessen sein zu meinen, daß auch der eine oder andere Freimaurer aus diesem Buch etwas lernen könnte?

Erster Teil

ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DER FREIMAUREREI

1. Die Vorgeschichte der heutigen Freimaurerei

„Freimaurerei ist die aus innerem Drang geborene Geistesrichtung, welche sich im fortdauernden Streben nach einer Weiterentwicklung des Geistes und des Gemütes manifestiert, die den Menschen und die Menschheit auf eine höhere geistige und ethische Stufe führen kann. Sie arbeitet dafür in der ihr eigenen Art vermittels Symbolen und Ritualen als Sinnbilder von Idealen und Gedanken.“ So heißt es im Grundgesetz des Ordens der Freimaurer unter dem Großosten der Niederlande. Knoop und Jones, die das zuverlässigste Buch über die Entstehung der Freimaurerei geschrieben haben, und das britische Ritual zur Gesellenbeförderung kennzeichnen die Freimaurerei wie folgt: „a peculiar system of morality, veiled in allegory and illustrated by symbols“ (ein besonderes ethisches System, in Allegorien gehüllt und in Symbolen dargestellt). Freimaurerei ist demnach wohl eine Gemeinschaft auf ethischer Grundlage, die sowohl die einzelne Persönlichkeit als auch die Allgemeinheit auf eine höhere geistige und sittliche Ebene zu heben sucht, die Bruderschaft zum Ziel hat und in ihrer ganzen Arbeit, entsprechend ihrem Namen, die Symbolik der Maurer und Steinmetzen verwendet. Es stellt sich nun unwillkürlich die Frage: Wie kam es dazu?

Die westeuropäischen Gilden und insbesondere die Maurer- und Steinmetz-Zünfte

In Westeuropa und nicht zuletzt in Flandern haben sich im Mittelalter die Gilden oder Zünfte, zuweilen auch Bruderschaften genannt, entwickelt. Die Angehörigen des gleichen Fachs oder Berufs wie Bäcker, Metzger, Schneider und Weber bildeten eigene Gruppen, um sich in ihrem Fach zu vervollkommnen und gegen Eindringlinge zu schützen. Die Anwärter auf einen Beruf mußten erst mehrere Jahre als Lehrling das Handwerk erlernen, ehe sie als Geselle anerkannt und als vollgültiges Mitglied angesehen wurden und somit den vollen Lohn erhalten konnten. Meist mußte ein Geselle dann auch ein „Meisterstück“ fertigen, um zum Grad des Meisters aufzusteigen: nur Meister durften ihren Beruf selbständig ausüben sowie Gesellen und Lehrlinge annehmen. Die Gilde oder die Zunft übten eine Aufsicht über die gewissenhafte Erfüllung aller Verpflichtungen aus, was das verwendete Material, die Verarbeitung und die aufgewandte Arbeitszeit betraf. Die Gilde hatte auch einen Schutzpatron, einen bestimmten Festtag und einen eigenen Altar in der Kirche. Die Mitglieder der Gilde bezahlten eine feste Summe, um kranke oder invalide Gesellen zu unterstützen, Witwen und Waisen beizustehen und weiteren caritativen Zwecken zu genügen. Sie hatten sogar eine eigene Fahne und eine Bürgerwehr, die als eine selbständige Einheit auftrat, wenn die Gemeinde verteidigt werden mußte. Dies alles lag in den Statuten fest, und die Privilegien und Freiheiten wurden sorgsam gehütet.

Auffallend ist, daß die Maurer-Gilden und -Zünfte viel später entstanden sind als viele andere Gilden. Der Grund dafür ist ziemlich einfach. Fleisch, Brot und Kleidung braucht jede Gemeinschaft, und Metzger, Bäcker sowie Schneider sind an ihren Wohnsitz gebunden. Das Bauen aber geschah im frühen und auch noch im hohen Mittelalter zumeist in Holz oder in Lehm, selten in Stein. Nur Kathedralen, Abteien sowie Burgen und, viel später, Rathäuser wurden in Stein errichtet. Als ein Bürger in Antwerpen ein Haus in Stein baute, war das etwas so Einzigartiges, daß sein Haus „das Steinhaus“ (het Steen) genannt wurde; auch in Gent kennen wir immer noch het Geraard Duivelsteen und in Leiden het Gravesteen. Die Maurergilden entstanden daher auch sehr viel später als andere Zünfte.

Dann müssen wir noch eine weitere Tatsache erwähnen. Wenn eine Kirche gebaut war, gab es zugleich auch keinen Bauplatz mehr an diesem Ort, und die Maurer und Steinmetzen mußten anderswo ihre Dienste anbieten. Ihr Beruf veranlaßte sie somit, von einem Ort zum anderen zu ziehen. Daraus ergibt sich von selbst, daß ihre Zünfte und Gilden Merkmale aufweisen, die in anderen Gilden nicht zu finden sind. Im hohen und späten Mittelalter haben die Baumeister in ganz West-Europa Kathedralen und Bauwerke von unübertroffener Schönheit errichtet. Das setzte großes Fachwissen der Architekten und großes Können der Steinmetzen und Maurer voraus. Ferner wird berichtet, daß diese umherziehenden „Maurer“ durch eine päpstliche Bulle geschützt waren und auch in Kriegszeiten die Grenzen ungehindert überschreiten und im ganzen christlichen Europa von ihren Vorrechten Gebrauch machen konnten. Bedeutende Historiker betrachten dies aber als Legende, und nirgends hat man eine päpstliche Bulle mit diesen Bestimmungen gefunden.

Man sagt wohl manchmal, daß diese Kathedralen-Bauer sich dessen bewußt waren, für die Ewigkeit zu bauen, aber sicher ist, daß sie begriffen, für den König der Ewigkeit zu bauen. Neben dem kirchlichen Bauherrn sahen diese Arbeiter in dieser Königlichen Kunst stets den Oberbaumeister des Weltalls als ihren wirklichen Bauherrn an.

In den Niederlanden und in Frankreich kennen wir Baugilden, die sich in einer bestimmten Stadt entwickelten. So die Baugilde der Heiligen Vier Gekrönten, die Quatuor Coronati in Antwerpen, die in städtischen Rechnungen vom Jahre 1423 auftaucht und deren Satzungen aus dem Jahre 1458 erhalten geblieben sind: Sie umfassen alle Sparten des Baugewerbes, sowohl Fußbodenleger und Dackdecker als auch Steinmetzen und Maurer. In Paris genoß die Maurergilde von Saint-Blaise einen großen Ruf. In Florenz blüht im 13. Jahrhundert bereits die Gruppe der maestri di pietra e legname, „die Meister von Stein und Holz“, Maurer und Zimmerleute.

Die Steinmetzen in den deutschsprachigen Ländern fanden sich zu einer Gemeinschaft von überörtlicher Bedeutung zusammen. Vielleicht wegen der nur losen Bindungen innerhalb des großen Deutschen Reiches, was für die umherziehenden Werkleute eine mindere Sicherheit bedeutete, kamen Meister aus Deutschland, Österreich und der Schweiz im Jahre 1459 in Regensburg zusammen; sie erneuerten ihre Satzungen einer allgemeinen Bruderschaft und erklärten den Meister der Haupthütte des Münsters zu Straßburg zu ihrem Oberhaupt oder Großmeister. Die Satzungen der Steinmetzen wurden in den Jahren 1458 und 1563 durch kaiserliches Dekret bestätigt.

Der Kanonikus Grandidier schrieb im Jahre 1872 in seinem Buch „Essais historiques et topographiques de L’Eglise-Cathédrale de Strasbourg“, daß die Genossenschaft der Maurer und Steinmetzen, mit Sitz in Straßburg, zu welcher alle Gruppen in Deutschland gehörten, sich in der Loge Maurer-Hof traf, einem Gebäude, das sich an das Münster von Straßburg anlehnte. Die Mitglieder dieser Genossenschaft hatten keinerlei Umgang mit den anderen Maurern, die nur mit Kelle und Mörtel arbeiten konnten (Art. 2). Die Annahme von Bauaufträgen und das Bearbeiten der Steine war ihre Hauptaufgabe. Sie sahen darin eine bedeutendere Kunst als die der anderen Maurer. Das Winkelmaß, die Wasserwaage und der Zirkel wurden ihre Kennzeichen und ihre charakteristischen Abzeichen. Mit dem Beschluß, eine Gemeinschaft zu bilden, die sich von der Masse der Maurer unterscheidet, erfanden sie untereinander Paßworte und besondere Handgriffe, um einander zu erkennen. Sie nannten dies das Wortzeichen, den Gruß und das Handzeichen. Die Lehrlinge, Gesellen und Meister wurden in besonderem Zeremoniell aufgenommen, das sie geheimhielten. Die Lehrlinge, die in den Gesellengrad erhoben wurden, legten einen Eid ab, daß sie niemals, weder mündlich noch schriftlich, die geheimen Worte des Grußes bekanntgeben würden (Art. 55). Es war Meistern wie Gesellen verboten, Außenstehenden von den Grundgesetzen der Maurerei Kenntnis zu geben (Art. 13). Ferner verlangten die Statuten die Erfüllung der religiösen Gebote sowie der ethischen und sozialen Verpflichtungen.

Von ganz anderer Art waren die französischen Compagnonnages. Erst im 16. Jahrhundert werden sie historisch greifbar, aber ihr bester Historiker, Martin Saint-Léon, schreibt, daß sie bereits lange vor 1500 bestanden haben müssen. Eigenartig an dieser Bruderschaft ist, daß sie ausschließlich aus Gesellen bestand, die keine Aussicht hatten, Meister zu werden. Das hängt wohl mit der allgemeinen Tendenz des ausgehenden Mittelalters zusammen, nach der die Führer der Gilden regelmäßig aus bestimmten Familien gewählt wurden und einem gewöhnlichen Gesellen der Aufstieg zur selbständigen Meisterschaft verwehrt war. Die Bruderschaft schützte ihre Mitglieder auf ihren Reisen durch Frankreich, der sogenannten tour de France. Sie hatten eine eigene Organisation und Verwaltung, kümmerten sich um Begräbnisse wie um Festmähler, bestraften schlechte Zahler, Diebe und Meineidige. Im Jahre 1655 verurteilte die theologische Fakultät von Paris die gottlosen und blasphemischen Gewohnheiten der Gesellen und erklärte, daß „les compagnons font jurer sur les évangiles à ceux qu’ils reçoivent de ne révéler ni à père, ni à mére, femme ni enfants, ni confesseur ce qu’ils feront ou verront faire“ (die Gesellen lassen die Neuaufgenommenen bei den Evangelien schwören, weder Vater, noch Mutter, Weib oder Kind, noch Beichtiger das zu verraten, was sie tun werden oder was sie getan sahen). Auch mit den englischen Gilden weisen sie verwandte Züge auf durch die Legenden, die bei ihnen umgingen: so die Legende von Hiram, dem Baumeister vom Tempel Salomos, wie auch die vom Maître Jacques, der zwei Säulen des Tempels gefertigt haben soll, und von Père Soubise, ebenfalls ein Meister-Maurer Salomos; die beiden letzteren sollen, nach ihrer Landung in Frankreich, in Streit geraten sein. Es kann sein, daß diese Legenden über die Normandie nach England gelangt sind.

In Frankreich hatte der Hundertjährige Krieg der Bautätigkeit einen schweren Schlag versetzt, und auch in den deutschen Gebieten brachte die protestantische Reformation den Kirchenbau und die Kunst der Steinplastik fast zum Stillstand. Das so unruhige 16. Jahrhundert mit seinen vielen Kriegen war dem Bauhandwerk sicher nicht förderlich. Da braucht es uns nicht zu wundern, daß die Bauzünfte auf dem Kontinent nur noch wenig in Erscheinung traten oder sogar verschwanden. In England und Schottland blieben sie bestehen, machten aber im weiteren Verlauf, vor allem im 17. Jahrhundert, eine gründliche Wandlung durch. Für uns bleibt die Hauptfrage, wie sich die Maurer und Steinmetzen, die mit Zirkel und Kelle, mit Hammer und Meißel arbeiteten, zu den heutigen Freimaurern wandeln konnten. Darum müssen wir nun die Entwicklung der englischen und schottischen Freimaurer verfolgen, weil diese, und nur diese allein, den eigentlichen Ursprung der heutigen Freimaurer bilden.

Die englischen und schottischen Freimaurer-Gilden

Stellen wir uns nun im einzelnen den Bau einer Kathedrale oder einer königlichen Burg vor. Der Master of the Works, der Leiter der Arbeit, ein königlicher Beamter oder Geistlicher, besorgte in diesem Falle die finanzielle Verwaltung, den Einkauf des Materials und die Auszahlung der Löhne. Der Master Mason hatte dagegen die technische Leitung des Baus. Er war mehr Architekt als Bauführer. Das Zeichnen der Pläne erfolgte in der Bauhütte (im Englischen Lodge); man kann sie auch als Zeichenbüro bezeichnen, wo die Architekten oder Baumeister mit Zirkel und Winkelmaß, mit Maßstab und Reißbrett arbeiteten. Wahrscheinlich wurden die Zeichnungen nicht auf Papier oder Pergament gemacht, denn beinahe nichts ist von den Bauzeichnungen der Kathedralen erhalten geblieben, sondern auf Schiefertafeln mit Kreide ausgeführt. So war also dieses Zeichenbüro, diese Loge, gleichsam eine Werkschule, in der Geselle und Meister sich in ihrem Handwerk übten.

Das Wort Loge hat allerdings in seiner Bedeutung eine besondere Entwicklung durchgemacht. Anfänglich galt die Bezeichnung Lodge für die Baracke, die Bauhütte, den Schuppen auf dem Baugelände, zu denen allein diejenigen Werkleute Zugang hatten, die ihre geometrischen und technischen Baugeheimnisse sorgfältig geheim hielten. Später bezeichnete das Wort auch die ganze Organisation der Maurer, die bei einem Bau beschäftigt war; so spricht man im Jahre 1429 beim Bau der Kathedrale von Canterbury von den „masons of the lodge“. Schließlich wurde gegen Ende des 16. Jahrhunderts in Schottland das Wort Loge für eine Maurer-Organisation gebraucht, die eine Aufsicht über die Maurer-Angelegenheiten einer ganzen Stadt oder eines ganzen Bezirks ausübte. So berichten die Shaw-Statuten von 1598 und 1599, daß die Loge von Edinburgh in Zukunft die erste und Hauptloge von Schottland sein sollte und die von Kilwinning die zweite; diese „territorialen Logen“ hatten die Aufsicht über die Ausbildung von Lehrlingen, über die Dauer der Lehrzeit, die Zulassung von Lehrlingen und Gesellen, die Einhaltung der Arbeitsbedingungen, die Beilegung von Streitigkeiten, das Einziehen von Beiträgen für gute Zwecke ebenso wie über das Lesen von Messen, die Erfüllung caritativer Aufgaben und die Unterstützung notleidender Maurer usw.

Es kam auch vor, daß der König die Maurer durch Gesetz zwang, sich bei bestimmten Bauvorhaben zu melden. Da durch die Pest Mitte des 14. Jahrhunderts ein großer Teil der englischen Bevölkerung dahingerafft worden war, hatte sich ein großer Mangel an erfahrenen Werkleuten ergeben. So erteilte der König im Jahre 1360 dreizehn Landvögten den Auftrag, 568 Maurer zum Bau des Windsor Castle zu schicken; im Jahr darauf mußten siebzehn Landvögte 1 360 Maurer entsenden. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts blieb dieses königliche Zwangssystem bestehen. Das brachte dann mit sich, daß große Gruppen von Maurern – noch dazu weil die Erbauer von Kathedralen freigestellt waren! – gemeinsam an ein und demselben größeren Bauwerk beschäftigt waren; Steinmetzen arbeiteten in den Steinbrüchen, gewöhnliche Maurer bereiteten den Mörtel oder arbeiteten auf den Gerüsten, die Fähigsten an den Bögen und Gewölben, und nur die Besten hatten ihren Arbeitsplatz in der Loge oder im Zeichenbüro, der leitenden Stelle für das gesamte Bauvorhaben. Diese Konzentration so vieler Werkleute führte natürlich zu einer straffen Organisation. Die erste Maurergilde in England, die wir kennen, taucht im Jahre 1376 auf, sie ist aber wahrscheinlich noch älter.

Bevor wir fortfahren, müssen wir noch etwas bei dem Wort Freimaurer, freemason, verweilen. Ursprünglich scheint freemason eine Zusammenziehung des Wortes freestone mason gewesen zu sein; der freestone war eine Art feinerer Kalkstein, wie er in den Gebieten zwischen Dorset und Yorkshire gefunden oder aus der Normandie eingeführt wurde und zur Verarbeitung eine besondere Fertigkeit der masons oder „workers in stone“ erforderte. Gewöhnliche Steinmetzen konnten wohl den roughstone bearbeiten, aber nur die besten Werkleute waren in der Lage, den freestone seinem Wert gemäß zu nützen. So wurden der freestone mason dem roughstone mason, dann der freemason dem roughmason, der Freimaurer dem Grobmaurer gegenübergestellt.

Nach anderen Berichten dagegen, aus einer späteren Zeit, scheint freemason, Freimaurer, auf gewisse Freiheiten hinzuweisen, aber Freiheit wovon? War es die Befreiung von einschränkenden Gesetzen oder Vorschriften oder die Freistellung von Gebühren oder Zöllen oder eine Freiheit, wie sie allein die ausgebildeten Werkleute besaßen? Mitglieder anderer Gilden genossen ebenfalls Vorrechte und Freiheiten, die aber nur in ihrer Gemeinschaft galten; die Freiheiten der umherziehenden Maurer, die gleichzeitig außerhalb der eigenen Gemeinschaft im ganzen Bezirk oder Land anerkannt waren, haben vielleicht auch etwas mit dem Begriff freemason, Freimaurer, zu tun. Und dabei haben wir noch nicht berücksichtigt, daß die „Alten Pflichten“ der masons von ihren Mitgliedern forderten, daß sie frei, d. h. keine Sklaven oder Leibeigene waren, nicht an die Scholle ihres Herrn gebunden, wie das in den ländlichen Bezirken lange Zeit und in Osteuropa sogar noch bis ins 19. Jahrhundert hinein der Fall war.

Aus all diesen Überlegungen ersehen wir, daß der Ursprung des Wortes Freimaurer nicht unumstritten feststeht, daß er möglicherweise etwas zu tun hat mit anspruchsvollerem Handwerk oder auch mit besonderen Freiheiten, die diese Gilde der Freimaurer besaß.

Die Alten Pflichten oder Constitutionen der Freimaurer

In England hat man über hundert alte Handschriften mit Statuten, Old Charges, der Maurer entdeckt. Die Regius-Handschrift datiert etwa von 1390, während die Gruppe der Handschriften, die auf die Cooke-Handschrift zurückzuführen sind, aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammt; andere Handschriften gehen auf das 16., meist jedoch das 17. und beginnende 18. Jahrhundert zurück. Diese Handschriften unterscheiden sich zwar erheblich in den Einzelheiten, doch ist in ihnen eine allgemeine Grundlinie zu erkennen.

Sie beginnen alle mit den Pflichten gegenüber Gott, aus denen in den späteren Belegen die Anrufung der Heiligen Dreieinigkeit wird. So beginnt die Aberdeen-Handschrift von 1670 wie folgt: „Die Macht des Vaters im Himmel mit der Weisheit seines glorreichen Sohnes und der Gnade und Güte des heiligen Geistes, der Dreieinige Gott, seien mit unserem Beginnen und verleihen uns die Gnade, uns selbst zu beherrschen, auf daß wir in dem Segen leben mögen, der nie enden soll. Amen.“

Der zweite Teil der Old Charges oder Alten Pflichten enthält eine legendenhafte Geschichte der Maurerei. Die masonry wird mit der Entdeckung der Geometrie verknüpft. Schon vor der Sintflut soll Abel die Geometrie erfunden haben; die Unterlagen seien in zwei Säulen verborgen gewesen und nach der Sintflut entdeckt worden, die eine Säule durch Pythagoras, die andere durch Hermes, der mit dem ägyptischen Gott Thoth und dem römischen Gott Merkur gleichgestellt wird. Abraham soll den Ägyptern die Geometrie gelehrt haben, damit sie das regelmäßig ansteigende Wasser des Nils beherrschen lernen, und selbst Euklid (der fünfzehn Jahrhunderte später lebte!) soll von Abraham die Anfänge der Geometrie erlernt haben, die er später ausbaute. Auch der Bau der Arche Noah, des Tabernakels, der Tempel Salomos und Zerubabels nehmen in dieser Geschichte einen großen Raum ein. Dieser sogenannte geschichtliche, aber eigentlich mythische Teil war dazu bestimmt, den Lehrlingen eine hohe Meinung von ihrem Beruf zu vermitteln.

Der dritte Teil der Alten Pflichten besteht aus zahlreichen genauen Vorschriften, auf die alle Mitglieder der Gilde einen Eid ablegen mußten. Die Maurer mußten ihrem Herrn treu dienen, eine gute Arbeit leisten und keinen unangemessenen Lohn verlangen. Die Meister dürfen keinen Lehrling auf weniger als sieben Jahre verpflichten und keinen Leibeigenen oder Mißgestalteten zum Lehrling annehmen. Weitere Pflichten fordern von den Gesellen, daß sie Gott verehren und der Kirche treu dienen, ihre Meister und Kameraden unterstützen, die Frauen und Töchter ihrer Meister nicht begehren und die Geheimnisse ihrer Meister oder das, was sie in der Loge hören, nicht weitererzählen. Endlich folgen dann noch einige Vorschriften über die Organisation, caritative Hilfe, das Bestrafen von Diebstahl, die Treue zum König, den Meister und die Zunft und die Bestrafung treuloser Gesellen. In nahezu allen Handschriften ist hier die Verpflichtung zur Geheimhaltung aufgenommen, die alle Mitglieder durch einen feierlichen Eid auf das Heilige Buch, d. h. die Bibel, eingehen.

Das vierte und letzte Stück besteht aus einem kurzen Dankgebet. Hier ein Beispiel eines solchen Gebetes: „O glorreicher Gott, der Du der Oberste Baumeister des Weltalls bist, gib uns, Deinen Dienern (...), daß wir uns stets der heiligen Pflichten, die wir auf uns genommen haben, erinnern, und immer unser Streben darauf richten, einander in Verschwiegenheit zu unterweisen und zu unterrichten, auf daß nichts Unerlaubtes oder Ungesetzliches geschehe, und daß dieser Dein Diener, der sich jetzt anschickt, Maurer zu werden, ein würdiges Mitglied werde. Gib, o Gott, daß er und wir alle als Männer leben, die an das große Ziel denken, für welches wir geschaffen sind, und gib uns Weisheit, all unser Tun zu bedenken und zu vollbringen, Stärke, um standhaft in allen Anfechtungen zu bleiben, und Schönheit, um die himmlischen Wohnungen auszuschmücken, worin Du in Deiner Güte wohnst. Gib, o Herr, daß wir in brüderlicher Liebe und Freundschaft zueinander stehen und in all unserem Tun und Lassen zu allen Menschen gerecht sind, Barmherzigkeit üben und demütig wandeln mit Dir, unserem Gott, auf daß wir am Ende ins himmlische Jerusalem auffahren mögen. Amen.“

Aus dieser kurzen Übersicht kann man schon erkennen, daß bereits damals ein Ansatz von Ritual vorhanden war; die Texte dieser handgeschriebenen Constitutionen haben einen bestimmenden Einfluß auf das Zustandekommen maurerischer Gebräuche, Überlieferungen und Rituale gehabt, so wie sie noch heute gebräuchlich sind.

Der schottische Beitrag zur heutigen Freimaurerei

In den englischen Handschriften über die Pflichten wird wiederholt über die Geheimhaltung beruflicher Erfahrungen gesprochen, wie dies natürlich auch in anderen Gilden und Zünften der Fall war und so wie unsere heutigen Erfinder durch Patente gegen Konkurrenten geschützt werden. Man findet dort auch keine geheimen Paßworte oder Erkennungszeichen. Dies traf nun aber in Schottland zu.

Das sogenannte Mason Word, Maurerwort, bestand in Worten, Zeichen, Körperhaltungen und einem bestimmten Handgriff in Verbindung mit den „fünf Punkten“: Fuß gegen Fuß, Knie gegen Knie, Herz gegen Herz, Hand in Hand, Wange an Wange. Wir wollen jedoch an dieser Stelle die makabre Legende über Noahs Söhne oder über Hiram übergehen, in der einem Toten sein Geheimnis entrissen wird. Sie kann übrigens zu der biblischen Erzählung von Elias in Beziehung gebracht werden, der den Sohn der Witwe wiedererweckte. Wichtiger sind der Ursprung und die Berichte über das geheime Paßwort und die geheimen Zeichen, die später in die spekulative Freimaurerei übergingen.

In Schottland gab es wohl Steinbrüche, aber keiner wies den kostbaren und schwer zu bearbeitenden freestone auf, über den wir schon oben berichteten. Es war daher auch nicht so leicht, einen ausgebildeten von einem nicht ausgebildeten Steinmetzen zu unterscheiden. Ursprünglich nannte man einen Meister, der Steinmauern ohne Mörtel errichtete, cowan, und später einen Steinmetzen, der, ohne den Beruf erlernt zu haben, ihn ausübte, nur einen „Gelegenheitsarbeiter“. Um nun diese cowans von den qualifizierten Maurern zu unterscheiden, gab man letzteren das Maurerwort, mit dem sie sich überall als gelernte Fachleute anmelden konnten und anerkannt wurden. Ein Protokoll der Mutterloge von Kilwinning schreibt noch im Jahr 1707 vor, „daß kein Maurer einen cowan annehmen darf, d. h. jemanden ohne Paßwort“.

Noch ein zweiter Punkt ist in den schottischen Logen von Bedeutung. Hier kannte man auch den Grad des entered apprentice: des „angenommenen Lehrling“. Die Gilden-Ordnungen von Shaw aus dem Jahre 1598 schrieben vor, daß der Lehrling eine Lehrzeit von sieben Jahren durchlaufen mußte, bevor er entered apprentice wird, aber es wurden dann noch weitere sieben Jahre Lehrzeit verlangt, bevor er zum fellow of the craft, kürzer: fellow-craft oder Gildengeselle, aufsteigt. Nun wäre ein derartiger „angenommener Lehrling“, der den Beruf bereits vollständig beherrschte, in der Lage gewesen, den Platz eines Gesellen einzunehmen. Darum bekam der Geselle das Paßwort, das Mason Word, als Erkennungszeichen, so daß die Meister ohne Schwierigkeit Gesellen anwerben und angenommene Lehrlinge abweisen konnten.

Damit nun die Einrichtung eines Mason Word Nutzen bringen konnte, war natürlich eine Gilden-Organisation notwendig, die ihren Willen im ganzen Land durchsetzen konnte. Und wirklich, die örtliche Loge von Edinburgh konnte ihre Forderung bereits auf Grund der Shaw-Ordnungen von 1598 bei allen schottischen Logen durchsetzen.

Es bleibt also festzuhalten, daß die schottischen Logen zwar ein geheimes Paßwort aus Zweckmäßigkeitsgründen kannten, daß dieses aber keine eigentliche esoterische oder symbolische Bedeutung hatte. So wie die Geheimhaltung in den britischen Logen dazu diente, besondere Fachkenntnisse auf den Kreis der Meister zu beschränken, so war die einzige Bedeutung des Maurerwortes in Schottland die, nicht oder unvollkommen ausgebildete Werkleute auszuschließen und den Gesellen leichter Arbeit zu verschaffen.

Wiederholt kommt in mittelalterlichen und späteren Ordnungen das Wort mystery, Mysterium, vor. Viele Schriftsteller, die sich mit der Freimaurerei beschäftigten, haben daraus sogleich auf ein Geheimnis geschlossen, aber dieses Wort hat einen ganz anderen Ursprung. Mysterium, oder im Mittelalter mistere, kommt einfach von mestier oder métier, Beruf. So bestätigen die Guildhall Records von London im Jahre 1376, daß die Maurer zu den 47 sufficient mysteries, den 47 Handwerksberufen zählen und vier Vertreter in den Gemeinderat wählen konnten. Gleichwohl ist es möglich, daß in manchen Texten die Bedeutung von geheim mitspricht. Jones sagt, das Wort mystery habe vielleicht in einem bestimmten Augenblick „zwei verschiedene Gedanken zusammengefaßt, den von der bestehenden Gilde oder Zunft und den von etwas, das allgemeinem Verständnis verborgen war“.

Der Übergang von der operativen zur spekulativen Freimaurerei

Es bleibt nun darzustellen, wie die Gilden, die anfänglich nur Maurer und Steinmetzen umfaßten, zu Logen von nicht handwerklichen oder spekulativen Maurern geworden sind, die mit dem Beruf der Maurer oder Steinmetzen nichts mehr zu tun hatten, es sei denn in ihrer Symbolik.

Der bekannte Historiker der Freimaurerei, Gould, schrieb einmal: „The Reformation comes; no more churches built; the builders die out.“ (Die Reformation kommt und es werden keine Kirchen mehr gebaut, also sterben die Bauwerker aus.) Das wird heute allgemein bestritten. Es ist zwar richtig, daß nach der langen Blütezeit der Gotik nur noch wenige Kirchen gebaut und Figuren gemeißelt wurden. Auch erlaubten es die vielen Kriege den Königen nicht mehr, große Bauwerke in Angriff zu nehmen. Die Entdeckung der Neuen Welt jedoch, das Aufkommen eines wohlhabenden Bürgertums mit seinem Wunsch nach schönen Wohnungen, auch der Reichtum einiger Städte brachten es mit sich, daß sehr wohl große Wohnungen oder Paläste und neue Rathäuser gebaut wurden. Das Aufkommen eines neuen Stils, der Renaissance, und die Ablehnung der Gotik, des Stils der „dunklen Jahrhunderte“, trugen das ihrige dazu bei. So konnten Knoop und Jones schreiben: „Wahrscheinlich war es die Renaissance mit ihrer Neigung zu Plänen und Entwürfen von Adligen und Gelehrten, die schließlich zum Übergang von der handwerklichen oder operativen zur spekulativen oder kontemplativen Maurerei führte.“ Seit dem Ende des Mittelalters wird der Stand des Meister-Maurers immer bedeutungsloser, während der des Architekten im Ansehen ständig steigt. Für viele Beispiele mag das eine genügen: Christopher Wren war Wissenschaftler und Astronom, bevor er sein erstes Bauwerk entwarf, und er wurde der bedeutendste Leiter des Wiederaufbaus von Groß-London nach dem verheerenden Brand von 1666.

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