Chriz Wagner

DIE EWIGEN

Der Bruderpakt

Folge 2

Für meine drei Mädels, Manu, Denise und Celine, weil ihr immer bei mir seid, egal wo ich bin

Thyri und Simon sind unsterblich. Auf ihrer Reise durch die Jahrtausende verloren sie sich aus den Augen. Ihre Geschichten führen uns vorbei an mystischen Orten und magischen Begebenheiten auf der Suche nach dem Grund für ihr ewiges Leben.

Mein Name ist Simon.

Ich lebe ewig.

Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde.

Ich habe außergewöhnliche Dinge gelernt auf der Suche nach einer

Antwort auf die Frage:

Wer bin ich?

Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben.

Ich bin Simon.

Der Bruderpakt

I

Irgendwo im Deutschen Kaiserreich im Jahr 1891

„Spreche ich mit Herrn Simon Adams?“, fragte die Dame von der Telefonvermittlung.

„Ja.“

„Ich habe hier einen Anrufer für Sie.“

„Bitte stellen Sie ihn durch“, sagte ich.

„Einen Moment“, bat die freundliche Stimme. Dann klickte es ein paar Mal in der Leitung.

Zögerlich erklangen zwei Worte aus dem Hörer. Eine Männerstimme, rauchig und so leise, dass ich sie fast nicht verstand.

„Hallo Simon.“

Etwas an der Art, wie er meinen Namen herauspresste, machte mir Angst.

„Wer ist da?“, wollte ich wissen.

„Das tut nichts zur Sache“, sagte er und räusperte sich nervös.

Die Stimme war offensichtlich verstellt. Warum sollte ich nicht wissen, wer dahintersteckte? Aber dieser eigenartige Unterton war echt, das spürte ich, als hätte der Anrufer Angst, mit mir zu sprechen.

Ich hatte keine Lust, mich am Telefon an der Nase herumführen zu lassen und beschloss, den Spieß umzudrehen.

„Dann lege ich auf.“

Ich dachte, wenn ihm das Gespräch so wichtig war, würde ich jetzt einen Namen erfahren. Und wenn nicht, dann würde ich eben einfach einhängen. Mir konnte es egal sein.

„Es geht um die Gebrüder Renz“, sagte er.

Damit traf er mich völlig unerwartet und mitten ins Herz.

Mein ganzes Leben war ich auf der Suche: die Suche nach meiner Familie, nach Freunden aus vergangenen Zeiten und vor allem auf der Suche nach dem Grund für meine Unsterblichkeit. Die Suche brachte mich an Orte, wo Spuren und Hinweise auf mein Schicksal zu finden waren, in der Hoffnung, Antworten auf meine Fragen zu erhalten und der Wahrheit ein Stück näher zu kommen. Aber diesmal schien es, als kämen die Antworten zu mir.

Ich konnte nicht anders, als ihn weiterreden zu lassen.

„Was wissen Sie über sie?“

„Zuerst eine Bitte“, sagte er.

Ich hatte das Gefühl, in die Ecke gedrängt zu werden. Am liebsten hätte ich den Hörer auf die Gabel geschlagen. Raus aus der Leitung und fertig. Vielleicht war alles nur ein dummer Scherz. Doch zu dieser Zeit machte niemand Telefonstreiche. Telefongespräche waren wohlhabenden Menschen vorbehalten. Wenn ein Gespräch vermittelt wurde, dann war es wichtig.

„Was?“, fragte ich genervt.

„Simon, ich bitte dich. Hol deine Perkussionspistole aus dem Schrank und lade sie“, sagte er. „Du wirst sie heute noch brauchen.“

Jetzt bekam ich wirklich Angst. Woher wusste der Anrufer von meiner Handfeuerwaffe? Er kannte sogar den Aufbewahrungsort.

„Tu, was ich sage“, befahl er.

Wollte er mir drohen? Ich schluckte. Sah mich um. Ich sollte Forderungen stellen. Nicht er. Andererseits … Ich warf dem wuchtigen Mahagonischrank einen möglichst unauffälligen Blick zu.

„Hast du sie?“, fragte die verstellte Telefonstimme.

„Ja“, log ich und hatte das Gefühl, als hätte ich noch immer die Kontrolle über mein Handeln.

Was ich nicht wusste: Zu diesem Zeitpunkt hatte ich längst das Zepter abgegeben.

*

Eine Warnung vorweg: In dieser Erzählung gibt es keine Helden. Nur Verlierer. Es gibt Scheidewege im Leben eines Menschen, da sind sämtliche Lösungen verbraucht. Vorbei mit den guten Ratschlägen. Im Nachhinein gab mir die Geschichte einiges zum Nachdenken. Und ich habe neue Rätsel mit auf den Weg bekommen. Ja, es war ein Racheakt. Und ich beging ihn aus Hass. Aber vielleicht bin ich durch die Tat den Gründen meines Daseins wieder ein Stück näher gekommen.

Heute liegt mein Anrufer auf dem Friedhof in Uldenburg, einer winzigen Gemeinde in Preußen. Hier fing alles an und hier nahm es sein Ende. Und hin und wieder, wenn ich zufällig in der Nähe bin, besuche ich ihn und erinnere mich zurück an die grausigen Annalen der Gebrüder Renz.