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Weihnachten einmal etwas anders

Er hat sich bei mir zur Supervision angemeldet. Von einem Weihnachtsfest der besonderen Art hat er am Telefon geredet. Ein ganz persönliches Gespräch darüber will er mit mir führen. All seine Gedanken möchte er bei mir auf die Reihe bringen. Und nun sitzt er mir gegenüber. Lange schaut er mich an. Ich merke, dass seine Gedanken ihn aufwühlen, ihn nicht loslassen. Noch ringt er um die richtigen Worte.

„Ich … ich wollte ... also, ich möchte da heute was mit dir reflektieren. Ich … ich muss nur noch ... Also gut, die Sache war so ...“ Und dann bricht es aus ihm heraus und er hört für eine lange Zeit nicht mehr auf zu erzählen. Er ist Erzieher in einem Haus für Jugendliche, die alle schon ein gerüttelt Maß an Strafen hinter sich gebracht haben. Die nächste Station ist der Jugendknast oder die Psychiatrie. „Das Ganze ging damit los, dass am Tag unserer Weihnachtsfeier eine ganz miese Stimmung in der Gruppe herrschte. Irgendwie war von Anfang an der Teufel drin. Erst wollte keiner aufstehen und dann beim Frühstück haben sich alle nur angemotzt. Weißt du, es war der letzte Tag vor Weihnachten, an dem die Gruppe zusammen war. Sie gingen noch einmal zur Arbeit. Am Abend dann feierten wir zusammen Weihnachten. Dann ging’s ins Bett und am nächsten Tag fuhren alle heim. Fast alle ... ein paar bleiben immer da. Das sind dann halt die, die niemand zu Hause haben will oder die gar keine Eltern oder Verwandten mehr haben. – Ich hatte ja gedacht, dass die Arbeit sie etwas locker machen würde und dass sie dann am Abend besser drauf sind. Aber da war nichts zu machen. Die Stimmung war eher noch schlechter als am Morgen. Naja, und als es dann zur Feier ging, war mir, als säße ich in einem Pulverfass. Bereits beim Abendessen musste ich ein paar Mal dazwischen gehen, sonst hätten sich die Ersten schon geklopft. Und dann bei der Feier: Wir hatten alles recht nett hergerichtet. Die Geschenke waren von meiner Kollegin wirklich schön gestaltet worden ... es hätte alles so gut gepasst. Aber nix da ... Zwei, drei Worte, und schon befanden sich unsere Jungs mitten in einer Schlägerei. Stühle flogen, Geschirr ging zu Bruch, und im Nu war jeder auf den anderen böse. Ich …wir mussten sogar Hilfe aus den Nachbargruppen holen. Du musst wissen, das sind Kerle, die alle Sport machen. Wenn die hinlangen, dann musst du wirklich achtgeben. Nach ungefähr einer knappen Viertelstunde war dann wenigstens so weit Ruhe hergestellt, dass sie zumindest aufgehört hatten, sich zu verprügeln. Aber es sah zum Heulen aus. Einige bluteten, zwei sogar heftig. Und der Raum sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Die Weihnachtsfeier war gelaufen. Keiner wollte noch irgendetwas in dieser Richtung sagen oder hören. Wir machten doppelte Nachtwache. An Schlafen war nicht zu denken. Am nächsten Tag waren die Verabschiedungen nur kurz. Die, die im Haus blieben, ließen sich erst gar nicht sehen. Vor allem jener, der alles angezettelt hatte. Und ausgerechnet von ihm war ich der Vertrauenserzieher – du weißt schon, der, der ein besonderes Erziehungsverhältnis zu ihm aufbauen soll. Glaub mir, mir graute vor den nächsten Tagen mit ihm. Denn mit ihm, drei weiteren Jungen und noch zwei Erziehern sollte ich die nächsten Tage und die Zeit über Silvester im Gebirge verbringen. Ich hatte die Schnauze übervoll und hätte ihm am liebsten einen Tritt in den Arsch gegeben. Naja, aber so ist das halt in der Erziehungsarbeit. Du kannst dir deine Leute nicht aussuchen. Die Fahrt ins Gebirge und die nächsten Tage verliefen zu meiner Überraschung recht ruhig. Er rauchte seine Zigaretten, aß wenig und war ansonsten für nichts zugänglich. War mir auch recht. Ich wollte ja auch nichts mit ihm zu tun haben. Und dann kam Silvester. Nach dem Frühstück fragte ich, ob er mit rausgehen wolle, zu einer Wanderung auf den Hausberg. Zu meiner Verwunderung sagte er ‚Ja und wir gingen los. Es war einer jener herrlichen Wintertage, an denen die Luft glasklar und die Aussicht schier unendlich ist. Nach knapp zwei Stunden durch mäßig hohen Schnee waren wir auf dem leicht zu erreichenden Gipfel. Ich muss dir sagen, die Aussicht nahm uns schier den Atem. Fasziniert und gebannt standen wir da. Alles schien zum Greifen nahe. Die Bergketten der Dreitausender, die Täler mit ihren Städten und Dörfern. Die Straßen, die Bahnlinien. Wir breiteten unsere Windjacken auf dem Boden aus, ließen uns nieder, hielten die verschwitzten Rücken der Sonne entgegen und staunten ganz einfach über die Schönheit, die uns umgab ... Erst nach vielleicht einer Viertelstunde fiel mir auf, dass wir noch nicht ein einziges Wort geredet hatten – seit dem Frühstück im Haus. Mein erster Satz war dann die Frage, ob er was trinken und essen wolle. ‚Hm, ja, meinte er, ‚eigentlich schon ... Jeder von uns aß dann still und ergriffen sein Brot. Langsam leerte sich die Thermosflasche ... Dann rauchte er seine Zigarette und auf einmal meinte er: ‚Wenn das meine Mama – meine Mutter – sehen könnte ... Ich war erstaunt: ‚Wieso, geht sie nicht gerne auf die Berge? Er: ‚Doch schon. Aber zurzeit nicht – verdammt noch mal ... Ich schaute ganz verdutzt. ‚Das versteh ich nicht, was ist denn mit ihr? Und dann brach es aus ihm heraus. Es war, als wenn ein lange aufgestauter Fluss plötzlich befreit wird. Und er erzählte: ‚Weißt du, im Sommer, da waren wir beide im Urlaub. Es war alles so klasse. Der, mit dem sie bis dahin zusammen war, mit dem hat sie kurz vorher Schluss gemacht – endlich. Und dann ist sie mit mir in Urlaub gefahren. Also, so gut wie in dieser Zeit hatte ich mich seit Langem nicht mehr mit ihr verstanden. Und am Ende der Ferien hat sie mir in die Hand hinein versprochen, dass wir im Winter Skifahren gehen, in den Bergen, und dass ich dann wieder bei ihr sein darf. Und dass dann alles wieder so sein wird wie im Sommer. Aber wie das so ist: Im Herbst hat sie den neuen Lover kennengelernt. Schon am ersten Wochenende, wo ich zu Hause war, hat der mit mir Stunk gebaut. Der ist so ein Arsch, sag ich dir, also, wie sie auf so einen kommt, ich kann’s nicht glauben – so uncool. Naja, und dann, am zweiten Advent ist der Brief von ihr gekommen, dass ich doch an Weihnachten nicht kommen solle, der Neue könne mit mir nichts anfangen, und sie müsse doch auch mal auf sich schauen, und ich würde doch hier vom Haus aus auch in die Berge fahren können … Und es sei doch auch viel besser, wenn ich Weihnachten hier feiern würde. Alles wäre doch viel friedlicher und besser geregelt und so. Kannst du dir vorstellen, wie sehr mir diese Weihnachtsfeier heuer am Arsch vorbeigegangen ist? Das Schönste war für mich die Schlägerei. Von Anfang an hab ich gewusst, dass es an dem Abend knallt. Ich konnte einfach nichts hören vom Frieden auf Erden und all dem Gesülze ...

Betroffen schwieg ich. Das hatte ich natürlich nicht gewusst. Vielleicht war es die Schönheit der Berge, das gemeinsame Wandern oder alles zusammen. Auf jeden Fall kamen wir ins Gespräch. Das erste Mal überhaupt. Er begann darüber zu reden, dass er Angst habe, selbst einmal so zu werden wie einer jener Männer seiner Mutter. Männer, die nur kurz da waren, um spätestens nach einem halben Jahr wieder abgeschoben zu werden oder selbst abzuhauen. Dass er nicht wie sein Vater werden wolle, der einer Frau ein Kind macht und sich dann verdrückt ... Ich weiß nicht, ob es richtig war, aber ich sprach dann von meiner Trauer, dass meine Frau und ich uns so sehr ein Kind wünschen, aber selbst keines bekommen könnten. Betroffen schauten wir uns das erste Mal überhaupt in die Augen. Er, der Angst hat, ein Vater zu werden, und ich, der kein Vater werden kann, obwohl ich das gerne wäre ...

Würde er meine Offenheit beim nächsten Streit missbrauchen und mich ‚impotente Sau‘ nennen? Womöglich vor der ganzen Gruppe? Und ich spürte seine Angst davor, dass ich ihn womöglich einen Schwächling nennen würde, weil er von seiner Angst geredet hatte, ein Mann, ein Vater zu werden – und von der Enttäuschung, die seine Mutter ihm bereitet hatte ... Schweigend saßen wir da, wohl wissend, dass wir einander viel zugemutet hatten ... Er zündete sich eine neue Zigarette an und er erzählte weiter. ‚Weihnachten‘, begann er zögernd, ‚das hat doch was mit Glauben und mit Gott zu tun. Mit diesem Vater da oben ...? Kannst du dir vorstellen, dass ich mit dem nichts, aber auch gar nichts zu tun haben möchte? Väter, das sind doch Verräter – oder?‘

Ich muss sagen, dass ich lange nach den richtigen Worten gerungen habe. Er sog regelrecht meine Worte in sich auf – meine guten Erfahrungen mit meinem Vater und mit Gott. Er wollte keine theologische Auslegung hören, er wollte etwas von mir, von mir ganz persönlich, hören, von meinen Sorgen, Ängsten und Hoffnungen, von Mann zu Mann – von einem Mann, den man anfassen kann ...

Langsam neigte sich die Sonne der Hügelkette im Westen zu und ein kalter Wind begann zu wehen. Schweigend brachen wir auf und schweigend gingen wir bis zum Haus.

Vor der Haustür, bevor wir hineingingen, drehte er sich noch mal um und meinte: ‚Danke, war echt geil heute ...‘“

Michael Herrmann, Diakon im Ruhestand – ehemaliger Senior der Rummelsberger Brüderschaft, Jahrgang 1947, Nürnberg, www.diakon.de

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Heilsame Begegnung

Eine meiner Patientinnen ist als zehnjähriges Mädchen vergewaltigt worden. Sie hat nie mit jemandem darüber gesprochen; damals nicht mit ihrer Mutter, weil sie sich ihrer blutigen Unterwäsche geschämt und gedacht hatte, ihre Mutter würde mit ihr schimpfen; und später auch nicht mehr. Trotzdem hat sie sich zu einem lebenstüchtigen, gebildeten Menschen entwickelt, trug aber vierzig Jahre später das Erfahrene immer noch mit sich herum, bis sie es mir im Gespräch anvertraute. Ihr lang verstummter Zorn wallte hoch. Welch ein abscheulicher Mann, und sie hatte in ihrer Gehemmtheit als Kind verhindert, dass er angezeigt wurde!

Ich spürte, dass die Frau diese schreckliche Sache endlich abschließen musste, und zwar konstruktiv. Deshalb sagte ich zu ihr, dass sie sich mit ihrem Vergewaltiger offen „aussprechen“ und sich mit ihm auseinandersetzen solle. Sie glaubte, nicht recht zu hören, denn selbstverständlich kannte sie den Mann von vor vierzig Jahren nicht; auch mochte er gar nicht mehr am Leben sein. Dessen ungeachtet erklärte ich ihr, dass sie sich in ihrer Vorstellung mit ihm treffen und innere Zwiesprache mit ihm halten könne – und dass es dann genauso sein würde, als sei sie ihm tatsächlich noch einmal leiblich begegnet. Ich riet ihr, sich einen abgeschiedenen Ort für dieses imaginäre Treffen auszusuchen, und den Mann dort auf sich zukommen zu lassen, als sei er leibhaftig anwesend. Ferner gab ich ihr ein paar gedankliche Stützen für den Dialogverlauf mit.

Einige Wochen später erschien die Patientin wieder zur Beratung, heiter und gelöst! Sie berichtete mir, sie sei an einem regnerischen Tag ein Flussufer entlangspaziert. Dort habe sie meinen Rat befolgt und beschlossen, sich in ihrer Fantasie ihrem einstigen Vergewaltiger zu stellen. Wie in einem Wachtraum sei er daraufhin auf sie zugeschritten, mit dem gleichen schwarzen Haar, an das sie sich noch erinnern konnte. Sie seien beide stumm voreinander stehen geblieben und schließlich gemeinsam am Flussufer weitergegangen. Da habe sie zu reden begonnen und ihm erzählt, welche Schmerzen, Ängste und Schamgefühle sie seinetwegen als Kind durchgemacht und warum sie alles aus Unverständnis verschwiegen hat. Sie beschrieb ihm, welche Last sie jahrelang tragen musste. Er habe zugehört, ohne sich zu verteidigen.

Nach einer Weile sei sie ruhiger geworden und mit der Zeit sogar ein bisschen neugierig auf ihn. „Jetzt sag mir, wer du bist“, habe sie ihn aufgefordert. „Wie bist du aufgewachsen, wie auf die schiefe Bahn geraten?“ Er habe ihr leise geantwortet, dass er in einem Kinderheim groß geworden sei, immer unter gleichaltrigen Jungen. Dass er sich später nicht an Frauen herangewagt habe und unter dem erwachenden Trieb und in seiner Scheu angefangen habe, kleinen Mädchen aufzulauern. Sie sei nicht die Einzige gewesen. Mit der Zeit habe er diese schreckliche Phase überwunden und geheiratet; seither sei nichts Abartiges mehr vorgefallen. Aber er verstehe sehr wohl, was das Verschweigen des Vorfalls für sie bedeutet haben musste, denn auch er habe ein Leben lang geschwiegen und seine Schuld tief in seiner Brust vergraben. Jeder seiner Freunde und seine Frau hätten ihn ja zutiefst verachtet, wenn er sich zu seinen Vergehen bekannt hätte ...

Während die Patientin ihm – immer noch in ihrer Vorstellung – lauschte, entwichen allmählich ihre negativen Gefühle. Sie schaute in den Fluss, und ihr war, als ob dieser ihren Zorn davonschwemmte.

Plötzlich hielt ihr Begleiter an, wandte sich ihr zu und kniete wortlos vor ihr nieder. Da beugte sie den Kopf zu ihm hinunter und sagte spontan: „Du armer Mann!“ Dann ging sie, ohne sich umzudrehen, auf ihrem Weg weiter, und der kniende Mann blieb hinter ihr zurück, wurde kleiner und kleiner und verschwand.

Die Patientin war geheilt.

Dies diene all jenen Menschen zur Ermutigung, die meinen, ihren Schuldigern niemals vergeben zu können. Sie mögen bedenken: Sie schleppen nicht nur den Groll über die fremde Schuld mit sich herum, sie stehen auch mit ihrem eigenen Versagen und Vergehen hilflos da. Denn wie könnte jemand, der nicht vergibt, darauf bauen, dass ihm selbst dereinst vergeben wird? Doch vielleicht ist es ja das Wesen der Gnade, „gegen den Uhrzeigersinn“ zu wirken – also so, dass jeder, der wider alle Vernunft darauf baut, dass ihm vergeben wird, endlich selber vergeben kann?

Die nachfolgende Weihnachtsgeschichte von einem unbekannten Autor symbolisiert dieses Geheimnis der Gnade auf kindlich-schlichte Art. Dadurch wird sie geradezu zu einer „wahren Geschichte“ in dem Sinne, den der Psychiater Viktor E. Frankl im Auge hatte, als er fragte: „Ist es nicht so, dass die [...] Annäherung an das Geheimnis und Rätsel der letzten Wahrheit eher auf dem symbolischen Wege als auf einem bloß abstrakten etwas hergibt?“*

Lassen wir uns deswegen von dieser Weihnachtsgeschichte berühren, die wahrer sein könnte, als all unsere Vernunft jemals zu begreifen imstande wäre …

Zwiegespräch an der Krippe

Mit den Hirten betrat ich den Stall und schaute mich um. Ich sah die Tiere, Maria und Josef und die Krippe. Ich schaute das Kind an und das Kind schaute mich an. Plötzlich bekam ich einen Schreck und Tränen traten mir in die Augen.

„Warum weinst du?“, fragte das Jesuskind.

„Weil ich dir nichts mitgebracht habe!“

„Ich möchte aber gern etwas von dir bekommen“, sagte das Jesuskind.

Da wurde ich rot vor Freude. „Ich will dir alles schenken, was ich habe“, entgegnete ich.

„Drei Dinge möchte ich gern von dir“, sagte das Jesuskind.

Ich fiel ihm gleich ins Wort. „Meinen neuen Mantel, mein Fahrrad und mein spannendes Buch?“

„Nein“, erwiderte das Jesuskind, „das alles brauche ich nicht. Dazu bin ich nicht auf die Erde gekommen. Ich möchte etwas ganz anderes von dir haben.“

„Was denn?“, fragte ich unsicher.

„Schenke mir deinen letzten Aufsatz“, sagte das Kind leise, damit es niemand hören konnte.

Ich erschrak. „Jesus“, stotterte ich und kam ganz nah an die Krippe heran, „da hat doch der Lehrer ‚ungenügend‘ daruntergeschrieben.“

„Eben deshalb möchte ich ihn haben.“

„Aber warum denn?“, fragte ich.

„Du sollst mir immer das bringen, wo ‚ungenügend‘ daruntersteht. Versprichst du mir das?“

„Ja, sehr gern“, antwortete ich.

„Ich möchte noch ein zweites Geschenk von dir“, sagte das Jesuskind.

Hilflos guckte ich umher.

„Deinen Trinkbecher“, fuhr das Kind fort.

„Aber den habe ich heute Morgen zerbrochen!“, entgegnete ich.

„Du sollst mir immer das bringen, was du in deinem Leben zerbrochen hast. Ich will es wieder heil machen. Gibst du mir auch das?“

„Das ist schwer. Aber wenn du mir dabei hilfst!“

„Nun mein dritter Wunsch“, sagte das Jesuskind. „Bring mir die Antwort, die du deiner Mutter gegeben hast, als sie fragte, wie denn der Becher kaputtgegangen sei.“

Da legte ich die Stirn auf die Kante der Krippe und weinte. „Ich, ich, ich ...“, brachte ich unter Schluchzen heraus, „in Wahrheit habe ich den Becher nicht umgestoßen, sondern ihn absichtlich auf den Boden geworfen, weil ich wütend auf meine Mutter war.“

„Ja“, sagte das Kind da, „bring mir immer alle deine Lügen, deinen Trotz, deine Enttäuschung, deinen Ärger, dein Böses, was du getan hast. Ich will dich annehmen und dir vergeben. Ich will dich an deiner Hand nehmen und dich führen.“

Und ich schaute, hörte und staunte ...

Prof. Dr. Elisabeth Lukas, emerit. Hochschuldozentin, Jahrgang 1942, Perchtoldsdorf bei Wien

* Viktor E. Frankl, „Der unbewusste Gott. Psychotherapie und Religion“, München, 7. erw. Ausgabe 1992.