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Alfred Polansky

Slatin Lover

Eine verspiegelte Rundreise durch das Nebensächliche

(Roman)

 

 

 

Copyright © 2015 Der Drehbuchverlag, Wien 

2. Auflage, 14. Februar 2016 

Alle Rechte vorbehalten 

eBook: Slatin Lover - Eine verspiegelte Rundreise durch das Nebensächliche (Roman) 

ISBN: 978-3-99041-376-0 

PROLOG

 

Im Jahre 1914 tobte in Europa ein Krieg, dessen Ausmaß an Schrecken, Leid und Tod die Menschheit, welche ihn durch ihre aristokratischen Eliten vom Zaun gebrochen hatte, zuvor noch nie erlebte. Das österreichisch-ungarische Imperium, gelenkt von einem greisen, verschrobenen Kaiser, wankte resolut seinem Untergang entgegen, und noch einmal wurden unsinnige Schlachten zu skrupelloser Selbstdarstellung benutzt. Legionen zwangsrekrutierter, unschuldiger Menschen wurden taktisch abscheulichen Kalkülen geopfert, während sich die erlauchten Herrschaften, die jene Strategien ersonnen, gegenseitig Orden an die Brust hefteten und insgeheim von historischer Unsterblichkeit träumten. Eitel und oft nur auf eigenen Vorteil bedacht war deren Handeln, und so wurden sie gar nicht der Tragweite ihrer Taten bewusst, die diese andernorts bewirkten.

KAPITEL I

 

- Von den außergewöhnlichen Passionen der Julia Fazekas und Ibolya Hegedüs -

 

- Julia Fazekas disputiert mit einem invaliden Landser -

 

- Die traurige Lebensgeschichte der Ibolya Hegedüs -

 

 

Julia Fazekas war keine schöne Frau, aber sie verstand es, tatkräftig zuzupacken. Als Hebamme von Nagyrév, einem kleinen Dorf südöstlich von Budapest, in der Nähe des Städtchens Kecskemét gelegen, war dies auch vonnöten, da dieser vergessene kleine Ort an der Theiß über keinen Arzt, geschweige denn, gar über ein Krankenhaus verfügte.

    Julia saß an einem angenehm warmen Frühlingstag wie so oft vor ihrem Haus auf einer Holzbank, als die junge Ibolya eilig die Straße entlang an ihr vorbei ging. Das Mädchen mochte ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt sein, hatte große, lebhafte Augen, ein hübsches Gesichtchen, und unter der traditionellen Landestracht zeichneten sich die Konturen eines makellosen, fraulichen Körpers ab. In ihrem Schlepptau stolperte ein junger, schmutziger Bursche, dessen Füße mit einer Kette zusammengebunden waren, sodass er keine allzu langen Schritte machen konnte. Dieser verunsicherte Jüngling war Franzose und hieß, was jedoch niemanden hier interessierte, Jean-Paul.

    „Wäschst du ihn dir vorher?“, rief Julia dem Mädchen übermütig nach.

    Ibolya blieb stehen und lachte auf. „Mal sehen, Tantchen“, antwortete sie, „im Lager war der noch der Sauberste, und ich hab’s eilig.“

    Julia, die sich mittlerweile erhoben hatte, schlenderte zu dem Mädchen hin. Nach der  üblichen Begrüßung, einem Küsschen auf die Wange, einmal links, einmal rechts, ging sie danach um den bedauernswerten Burschen herum. Sie musterte ihn lasziv lächelnd von oben bis unten und griff ihm dann ohne Hast zwischen die Beine.

    „Mon Dieu, Madame!“, schrie Jean-Paul auf und sprang verstört, so gut er eben mit den Fesseln konnte, zur Seite.

    „Der ist ja wirklich köstlich, meine kleine Ibolya. Mit dem Kerl wirst du noch deine wahre Freude haben!“ Die Hebamme schnalzte anerkennend mit der Zunge. „Wenn du seiner überdrüssig wirst, hole ich ihn mir!“

    „Geh ins Lager, Tantchen, und hol’ dir selber einen. Ich mach jetzt, dass ich weiter komme! Hab’ ja schließlich noch was vor!“ Ibolya lachte und warf keck den Kopf nach hinten. Danach gab sie dem Franzosen einen derben Stoß. „Los, wir gehen!“, rief sie und zerrte den Jüngling weiter die Straße entlang. Mit einem dünnen, biegsamen Ast, welchen sie zuvor vom Boden aufgehoben hatte, trieb sie ihn nun unwirsch an. 

    Julia sah den beiden schmunzelnd nach. Sie ging zurück ins Haus, wusch sich Gesicht, Hände und Füße und hängte sich danach ein schwarzes Brokattuch um die Schultern. Eine zeitlang betrachtete sie sich geziert im Spiegel, drehte sich kokett in alle Richtungen, fuhr sodann in die Schuhe und verließ zufrieden ihr Heim. Nachdem sie die Tür sorgfältig zugesperrt hatte, schob sie den Schlüssel unter den riesigen Oleandertopf, der neben dem Eingang stand und begab sich ohne Umwege zum Dorfrand, hin zum Kriegsgefangenenlager.

    Ein riesiger, unüberwindlich wirkender Stacheldrahtzaun umgab diesen freudlosen Ort. Am Eingang, der mit einem hölzernen Schranken versehen war, standen träge ein paar Wachposten.

    „Na, Julia“, rief einer von ihnen, „brauchst du wieder einen zum Ackern?“ Seine Kameraden schmunzelten schmierig. „Nimm doch mich, in einer Stunde hätte ich dienstfrei, dann könnte ich dir dein Gärtchen bestellen!“

    „Das hättest du wohl gerne. Und mir dann alles wegfressen und wegsaufen. Nein, danke!“ Die Hebamme lachte hämisch auf, schob sich geschickt an den Soldaten vorbei und begab sich in die Offiziersbaracke.

    Leutnant Imre Gelányi war wieder einmal stockbetrunken. Er lag auf einem Feldbett und schnarchte mit offenem Mund dermaßen laut, dass sein anwesender Bursche, ein einfacher, kriegsversehrter Landser aus der nahe gelegenen Garnison, partout nicht einschlafen konnte. Als Julia eintrat, hob der Invalide müde und schlecht gelaunt den Kopf.

    „Du bist schon mindestens die Zwanzigste heute“, bemerkte er lakonisch. „Und Ibolya, das Luder, war heute schon zweimal hier. Ihr werdet wohl nie satt!“ Er zuckte resignierend mit den Schultern. „Irgendwann werden eure Männer aus dem Krieg zurückkommen, Julia, und dann könnt ihr euch auf was gefasst machen. Ein ganzes Dorf ohne Männer.“ Nun schüttelte er sein Haupt und blickte dabei tadelnd die Hebamme an. „So etwas kann auf die Dauer nicht gut gehen.“

    „Lass das nur meine Sorge sein, Pista-Bácsi, und halte dich lediglich an deine Befehle“, erwiderte Julia schnippisch. „Solange unsere Männer weg sind, haben wir ein verbrieftes Anrecht auf Arbeiter. Heute sind doch die Neuen angekommen. Franzosen, sagen sie. Ich brauche einen ziemlich starken. Also was ist? Worauf wartest du noch?“

    Der Soldat seufzte entmutigt auf, zuckte abermals resignierend mit den Schultern und erhob sich.

    „Wir hätten da einen Neger“, sagte er, während er an seinem Schlüsselbund ungeschickt herumnestelte.

    „Einen Neger? Nein, ein Neger kommt mir nicht ins Haus! Nicht bei mir!“, rief die Hebamme entsetzt aus.

    „Aber sieh ihn dir doch erst einmal an, Tantchen. Ein Riese, wenn du verstehst, was ich meine.“

    Julia blickte schmollend zum Fenster hinaus. „Ein Riese, sagst du?“, erkundigte sie sich scheinheilig nach einer Weile. Der Soldat nickte.

    „Na gut. Anschauen kann ich ihn mir ja einmal.“

    Der Landser verließ den Raum und kehrte schon bald mit einem Schwarzen, dessen Füße wie zuvor bei dem Jüngling  zusammengekettet waren, zurück.

    „Oh!“ Julia stockte der Atem. „Hat der auch einen Namen?“, hauchte sie irritiert und richtete sich dabei ihr Haar.

    „Hm.“ Der Invalide kratzte sich ratlos am Kopf und nahm dann wieder auf seinem Stuhl Platz. „Wahrscheinlich schon.“

    „Und?“, fragte die Hebamme.

    „Keine Ahnung. Nenn’ ihn doch, wie du willst. Ist doch ohnedies egal.“

    „Du hast recht, ich nenne ihn nach dir, du redlicher Moralist. Pista soll er heißen. Pista-Philister!“ Julia lachte maliziös auf.

    „Na warte, du Schlange!“, fuhr der Alte prompt erzürnt hoch. „Musst du denn alles mit deiner Gehässigkeit vergiften?“

    „Wenn du wüsstest, aber so könnte man es tatsächlich sagen, Pista, genau so. Und verrate mir lieber, wer heute schon alles bei dir war!“

    Der alte Landser hatte sich mittlerweile wieder etwas beruhigt. „Ich führe nicht Buch, Tantchen, aber dass diese gierige Ibolya zweimal hier war und sich einen Kerl abgeholt hat, das weiß ich ganz sicher.“

    „Ibolya ist nicht gierig“, antwortete Julia gelassen, „sie ist nur jung und steht in voller Pracht und Blüte.“

    „Das ist kein Grund, die armen Kerle so zu quälen.“ Pista schlug böse mit der  Handfläche auf den Tisch.

    „Was weißt du denn schon davon, du alter Narr. Du bist doch bloß eifersüchtig!“

    „Eifersüchtig? Worauf denn? Auf die vielen Stockhiebe? Den Vorletzten hatte sie halb tot geprügelt, einen jungen Burschen aus Lyon. Und wehren dürfen die sich ja auch nicht. Auf euer bloßes, launisches Wort hin, ihr Hexen, könnten sie standrechtlich exekutiert werden, nicht wahr? Kriegsrecht eben! Das wissen die, aber ihr wisst das noch viel besser!“ Zum wiederholten Male schüttelte er aufgebracht sein Haupt. „Was seid ihr denn nur für Menschen!“ 

    „Der da auch?“, unterbrach ihn Julia.

    „Was? Was heißt der da auch?“ Der alte Soldat blickte perplex zur Hebamme, die soeben, als sie genüsslich um den gefangenen Franzosen herumging, unzüchtig die Zunge über ihre Lippen gleiten ließ.

    „Na, ob der da auch weiß, dass er mir gefälligst zu gehorchen hat?“ Sie richtete nun ihren Blick auf den störrischen Invaliden, beugte sich zu ihm und sah ihm unverfroren in die Augen. „In allem?“ ergänzte sie noch frech.

    „Ach, nimm ihn und mach, dass du weiter kommst!“, rief der Alte aufgebracht. „Ihr werdet schon noch eure gerechte Strafe erfahren!“

    „Morgen bring’ ich dir ein Süppchen mit, Pista, damit sich deine Laune wieder etwas bessert. Komm, Pista-Philister, wir gehen. Ich zeig’ dir ganz genau, was du zu tun hast und speziell wo“, sprach’s und verließ mit dem Gefangenen im Schlepptau aufgeräumt die Baracke.

    Eine zeitlang konnte der alte Soldat noch das Klirren der schweren Ketten hören, dann war es wieder still. Sogar Leutnant Imre Gelányi grunzte nur noch leise, da sich mittlerweile seine Position im Feldbett geändert hatte, und er seinem Burschen nunmehr den Rücken zukehrte. Pista betrachtete ihn eine Weile lang nachdenklich und seufzte danach bekümmert, als sich plötzlich die Türe öffnete.

    Drei Frauen mittleren Alters betraten vorsichtig den Raum. Sie blickten sich gegenseitig vielsagend an und begannen zu kichern.

    „Ja?“, fragte der alte Soldat müde und lediglich pro forma, denn er wusste nur allzu genau, was ihr Begehr war.

    „Wir kommen wegen der Männer!“, sagte auch schon die Rädelsführerin, die wohl so um die vierzig Jahre alt sein mochte und recht drahtig wirkte.

    „Wir meinen natürlich die Arbeiter“, ergänzte sofort eifrig eine ihrer Begleiterinnen.

    „Ja. Die Kriegsgefangenen“, bemerkte endlich nun auch die Dritte und räusperte sich. „Es gibt viel zu tun bei uns auf dem Feld!“

    Alle drei hielten sich sogleich ihre Hand vor den Mund und begannen wieder zu kichern.

    Pista verdrehte seine Augen und blickte gottergeben zum Holzplafond. „Drei Franzosen für Feldarbeiten also“, murmelte er.

    „Nein!“, riefen nun alle drei durcheinander. „Nicht drei. Sechs!“

    Überrascht blickte der alte Soldat die Frauen an, eine nach der anderen, und nickte schließlich.

    „Aha“, bemerkte er leise. „Sechs Stück. Und stark müssen sie sein, vermutlich!“

    „Sehr stark“, erwiderte die drahtige Rädelsführerin und wieder begannen alle drei verhalten zu kichern.

    Im Hintergrund entkam Leutnant Imre Gelányi ein würziges Geräusch.

 

    Ibolya Hegedüs war die junge Frau eines Bauern namens Péter Hegedüs, dem in jenen Kriegstagen und Nächten an der blutigen Front mächtig das Fürchten gelehrt wurde. Dabei hatte er es sich daheim in Nagyrév doch schon so angenehm eingerichtet. Als Landarbeiter, der vor keiner harten Arbeit zurückschreckte, stand er, als noch Frieden herrschte, im Dienste des Gutsherrn Baron Šreyer, und jeden Monatsanfang, das war so sicher wie das ‚Amen’ im Gebet, versoff und verspielte er regelmäßig in den nahe gelegenen Gasthäusern seinen gesamten Lohn bis auf den letzten Pengö. Ständig kam es deswegen zu heftigen Wortwechseln und Streitereien im Haus der Hegedüs’, und nur allzu oft stand die junge, verzweifelte Frau den Rest des Monats ohne Haushaltsgeld da und erhielt obendrein, nach alter Tradition, noch eine ordentliche Tracht Prügel. Und als wären es der Niederträchtigkeiten nicht schon genug, bestand der Wüstling anschließend nicht selten auf der peniblen Erfüllung der ehelichen Pflichten. Dabei tat er meist so, als würde er damit der Ärmsten eine unsägliche Wohltat erweisen.

    Eigentlich hatte sich Ibolya aus den fürchterlich desolaten Verhältnissen ihres Elternhauses hinein in diese Ehe retten wollen. Sie wollte damals den schändlichen Belästigungen ihres ihr permanent nachstellenden Vaters und einer achtlos wegschauenden Mutter entkommen, die sich beide, da sie selbst ohne jede Hoffnung auf Erlösung waren, armselig und sittlich total verwildert, dem Dämon Alkohol ausgeliefert hatten. Aber es war der sprichwörtliche Wechsel vom Regen in die Traufe, denn der Alkohol gewährte in dieser ländlichen Gegend all den trostlos Dahindämmernden immer wieder gerne und oft Asyl und machte folglich auch bei ihrem Mann keine Ausnahme.

    So nimmt es nicht weiter wunder, dass das Mädchen, als es ihr die Umstände während des Ersten Weltkrieges erlaubten, roh und instinktiv an ihrem Schicksal Rache nahm. All die wehrtauglichen Männer der österreichisch-ungarischen Monarchie, so auch Péter Hegedüs, standen wie gesagt im Kugel- und Granatenhagel an der Front, die wenigen Alten, die in den Dörfern bleiben durften, lagen daheim in ihren Betten, mehr schlecht als recht gepflegt, und regelmäßig füllten sich die Kriegsgefangenenlager mit den Bedauernswerten befeindeter Nationen. Diese schmutzigen Lager hatte man in Ungarn oft lieblos an die Peripherie der Siedlungen hingepfercht, und da ja die Felder für die in der Ferne kämpfenden Einheiten ertragreich und sinnvoll bewirtschaftet werden mussten, gab man den zivilen Anwesenden – und das waren eben meist Frauen – die unumschränkte Möglichkeit, sich an diesem zusammengefangenen  Menschenmaterial großzügig zu bedienen.

    Was zuerst zum Allgemeinnutzen, wie z.B. Feldarbeiten, gedacht war, wurde schon sehr bald für delikatere, persönliche Dienste eingefordert. Nicht nur die Strapazen auf dem Acker machten also den Gefangenen zu schaffen, sondern danach meist auch der pikante Frondienst, den sie an den schier unersättlich mannstollen Frauen widerspruchslos zu leisten hatten. Aus den nichtigsten Gründen konnten diese unglücklichen, fremdländischen Soldaten zu jeder Zeit angezeigt oder gar denunziert werden, und da nach wie vor Kriegsrecht herrschte, machte man mit ihnen meist kurzen Prozess, und sie wurden einfach, ohne Anhörung oder gar ein Gerichtsurteil, standrechtlich erschossen. So ein böses Procedere sprach sich im Lager selbstredend schnell herum, also fügte man sich notgedrungen ins Unvermeidliche, von welcher lüsternen, ruralen Metze man auch immer abgeholt wurde.

    Für die Frauen der ungarischen Dörfer jedoch stellte dieser unerhörte Freibrief eine Neuauflage der zügellosen Zustände dar, wie diese einst im biblischen ‚Sodom und Gomorrha’ geherrscht haben mögen, und sie, diese gottlosen Frevlerinnen, versuchten nun instinktiv und triebhaft, der abscheulichen Betriebsamkeit dieser klerikalen Metapher, als intuitiv gewähltes Vorbild, mehr als gerecht zu werden.

KAPITEL II

 

- Die burleske Audienz von Slatin Pascha und Conrad von Hötzendorf bei Seiner Majestät, Kaiser Franz Joseph I. im Schloss Schönbrunn -

 

- Kammerdiener Ketterl als erfolgreicher Intrigant -

 

- Slatin Pascha fasst in der k. u. k. Militärschwimmschule „Alte Donau“ einen folgenschweren Entschluss -

 

 

Eugen Ketterl war seit vielen Jahren schon Leibkammerdiener und Vertrauter des österreichischen Kaisers Franz Joseph I., als im k.u.k. Lustschloss Schönbrunn an einem wunderschönen Herbsttag im ersten Kriegsjahr der k.u.k. Generalstabschef Freiherr Conrad von Hötzendorf diskret an ihn herantrat.  

    „Sagen S’, Ketterl, wann beginnt denn heut’ die Audienz bei Seiner Majestät?“

    Der Kammerdiener, der soeben eine Riesentür lautlos geschlossen hatte und auf den Korridor hinaustrat,  sah ihn blasiert an.

    „So wie immer, Herr Generalfeldmarschall“, antwortete er kurz angebunden und ging vornehm weiter.

   „So warten S’ doch. Wann wär’ das denn, wenn man fragen darf? So, wie immer. Wie spät ist es denn da meistens?“

    Ketterl blieb nun stehen und drehte sich würdevoll zum Generalstabschef hin.

    „Keine fünf Minuten ist es her, da haben Seine Majestät den Slatin Pascha zu sich rufen lassen.“ Er hielt nun kurz inne und blickte sodann etwas konsterniert auf den General. Indem er eine Augenbraue in die Höhe zog, versuchte er, seine Irritation mimisch zu dramatisieren. „Ja, hätten Sie da nicht dabei sein sollen?“

    Generalfeldmarschall Conrad von Hötzendorf blickte untröstlich.

    „Aber wenn ich doch net g’wußt hab’, wann die Audienzen heut’ anfangen. Außerdem trag’ ich zur Einserpanier“, er deutete bei diesem saloppen Fachausdruck entschuldigend auf seine Uniform, „prinzipiell keine Uhr. Wie das nur ausschauert! Andererseits hab’ ich aber deswegen auch nicht g’wußt, wie spät ’s ist. Eine verteufelte Verkettung eben.“ Verlegen kratzte er  sich am Kopf. „Und der General Slatin ist tatsächlich schon drinnen?“

    „Der Leutnant Slatin. General mag er ja drunten bei die Neger g’wesen sein, aber bei uns in der Armee ist er lediglich ein Leutnant, der Herr Freiherr. Ordnung muss sein, wo kämen wir denn da sonst hin, oder?“

    „Schau dich einer an, das mit’n Leutnant hab’ ich ja gar net g’wusst. Aber der Slatin Pascha ist er trotzdem! Schließlich war er ja vor gar net so langer Zeit noch der Gouverneur von Darfur! Zumindest der Titel steht ihm zu“, mokierte sich mit gedämpfter Stimme  der Feldmarschall.

    „Von mir aus“, entgegnete Ketterl unbeeindruckt, „aber bei uns ist er trotzdem nur ein Leutnant, der Herr Pascha!“

    „Ja, ja, ist schon recht, mein lieber Ketterl, das wird schon alles seine Richtigkeit haben. Was sagen Sie, glauben S’, könnt’ ich einfach so reingehen?“

    „Wie so?“

    „Na, z’spät halt!“

    „Mit Ihrer feschen Paradeuniform sicher. Die wird Seine Majestät gewiss nachsichtig stimmen.“

    „Danke, Ketterl, dass S’ ma so einen Mut machen“, murmelte der Generalfeldmarschall und schüttelte dem überraschten Kammerdiener bewegt die Hand. „Geh, und jetzt sein S’ so lieb und melden mich an bei Seiner Majestät!“

    Der Nobelcommis verneigte sich kurz, schritt zurück zu jener Riesentür, aus welcher er zuvor herausgetreten war, klopfte diskret an und trat schließlich ein. Schon nach kurzer Zeit erschien er wieder, feierlicher denn je.

    „Seine Majestät lassen bitten“, sagte er nasal und trat zur Seite.

    „Da sind Sie ja endlich, Hötzendorf. Hab’ schon geglaubt, Sie kommen heut’ gar nimmer, haben ganz auf Ihren alten Kaiser vergessen!“ Franz Joseph saß hinter seinem Schreibtisch und blickte den zaghaft näher tretenden General über den Brillenrand hinweg an.

    „Aber Majestät … gehorsamst … ich kann alles …“, stotterte Freiherr von Hötzendorf.

    „Na, lassen wir ’s gut sein. Schneidig schaun S’ aus in der Paradeuniform, wirklich fesch!“ Seinen Mund umspielte ein freundliches, anerkennendes Lächeln.

    „Majestät sind zu gütig“, erwiderte der Generalfeldmarschall mit zittriger Stimme und deutete unsicher einen Bückling an.

    „Treten S’ nur näher, mein lieber Hötzendorf, nur net so förmlich. Den Freiherr von Slatin kennen S’ ja.“ Franz Joseph I. deutete mit einer Handbewegung auf einen etwas steif vor ihm sitzenden Offizier mit wettergegerbtem Gesicht. Dieser erhob sich nun.

    „Servus, Conrad“, sagte er und streckte ihm die Hand entgegen.

    Hötzendorf verschränkte augenblicklich seine Arme hinterm Rücken und blickte Slatin Pascha unverhohlen pikiert ins Antlitz. „Hab’ gerade erst erfahren, dass Sie lediglich Leutnant g’worden sind.“

    „Na ja, und?“

    „Ich muss Ihnen hiermit das ‚Du-Wort’ entziehen. Das geht doch net, das musst doch versteh’n, Rudolf. Ich, ein Generalfeldmarschall und du, ein Leutnant.“

    „Jetzt enttäuschst d’ mich aber sehr. Aber gut, wenns d’ meinst. Werd’ mich schon wieder hochdienen. Dann werma ja seh’n, wer wem was entzieht.“

    „Na, sag einmal. Was erlauben Sie sich!“ Hötzendorf, dem momentan vor gerechter Empörung das Blut in den Schädel schoss, erhob entrüstet seine Stimme. „Nehmen S’ g’fälligst Haltung an. Sie wagen es, mir im Angesicht Seiner Majestät zu drohen? Das wird ja immer schöner!“

    „Einen Schmarr’n werd ich annehmen und schon gar keine Haltung! Ich war schon General und Militärgouverneur im Sudan, da warst du noch eifrig hinter deine Dienstmadln her!“

    Franz Josef I. verfolgte, abwechselnd einmal zu diesem, dann wieder zu jenem blickend, überrascht, jedoch amüsiert den Wortwechsel.

    „Was?“, rief nun Generalfeldmarschall von Hötzendorf. „Ich und Dienstmadln? Dass ich net lach’!“

    „Na, und die Tochter vom Baron Sauner-Schinkowitz?“ Slatin sah den Generalfeldmarschall triumphierend an. Auch der Kaiser blickte nun interessiert auf den Angesprochenen. Der holte empört Luft. 

    „Da hastas! Du lügst ja, wenns d’ nur die Papp’n aufmachst“, rief er. „Das Sopherl war doch nie und nimmer ein Dienstmadl!“

    „Aber dir ist sie sehr wohl zu Diensten g’standen, das Madl! Und nicht nur einmal, sagt man.“ Leutnant Slatin lächelte süffisant. „Vielleicht war s’ ja dann doch ein Dienstmadl? Ich mein’, im erweiterten Sinn!“

    „Was meinst damit, im erweiterten Sinn? Willst damit vielleicht gar andeuten, die war eine …?“

    „Na, so sag’s, trau’ dich doch!“, stichelte nun frech der Leutnant.

    „Ich untersteh’ mich. Bin ja schließlich ein Offizier, ein verheirateter!“

    Der Kaiser und Slatin Pascha lachten nun gleichzeitig auf.

    „Das Sopherl war damals glücklich verlobt“, bemerkte letzterer plötzlich mit versteinerter Miene, nachdem er sich nervös den Schnurrbart gezwirbelt hatte.

    Jetzt war’s für den Generalfeldmarschall an der Zeit, hämisch zu triumphieren. „Sind s’ das net alle, die Mizzis, die Sopherls und die Fannys, oder wie die süßen Fratzen sonst noch heißen mögen?“

    Freiherr Rudolf Slatin, genannt Slatin Pascha, kämpfte nun mit den Tränen. „Bei die anderen weiß ich’s net“, erwiderte er bewegt, „aber bei der Sopherl schon. Die war damals ganz sicher verlobt, nämlich mit mir. Geheim, dass d’as weißt!“

    Nach einer allgemeinen Schrecksekunde lachte der alte Kaiser auf einmal überrascht auf und schlug vergnügt mit der flachen Hand auf den Schreibtisch.

    „Ihr zwei seids mir ja besser als jedes Kabaretttheater. Das muss man euch schon lassen!“ Die Majestät schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Aber Hut ab, mein lieber Herr Leutnant, dass Sie nach so vielen Jahren Ihrem G’spusi noch die Treue halten und löwenhaft ihre Ehre verteidigen. Das adelt Sie kolossal. Aber das Sopherl, das war damals halt ein recht ein fesches, aufg’wecktes Maderl mit einem gigantischen … äh, Liebesbedürfnis, das muss ich schon sagen. Und von Ihrer Verlobung, das versichere ich Ihnen, hat seinerzeit niemand was g’wußt, net wahr, Hötzendorf? Nicht einmal ich. Das war doch so. Sonst hätt’ ich doch auf keinen Fall …“ Der Kaiser hielt nun in seiner unverhofft aus den Fugen geratenen Erinnerung abrupt inne und räusperte sich. „Also, weshalb ich Sie heute hab’ herkommen lassen“, fuhr er sogleich und mit umflorter Stimme fort, während Slatin Pascha sichtlich betreten nach Fassung rang, „hat ja einen besonderen Grund, nicht wahr.“

    In diesem Moment öffnete sich diskret die Riesentür, und Ketterl trat ein. Er ging lautlos zum Kaiser, beugte sich vornüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Die Majestät erhob sich augenblicklich.

    „Ich bin gleich wieder da, meine Herren. Ein dringendes Staatsgeschäft ruft mich. Behalten S’ nur Platz, ich komm’ sofort wieder.“

    Trotz der kaiserlichen Empfehlung sprangen Hötzendorf und Slatin selbstredend auf, als Seine Majestät zusammen mit seinem Kammerdiener den Raum durch eine Seitentür verließ.

    Kaum war diese sorgsam geschlossen, drehte sich Franz Joseph zu seinem Diener um und blickte ihn fragend an.

    „Was pressiert denn a so, Ketterl? Wär’ ja eh gleich fertig g’wesen.“

    „Eure Majestät dürfen sich das nicht gefallen lassen!“, flüsterte energisch der Kammerdiener.

    „Ja, was denn? Was ist denn passiert, um Gottes Willen?“

    „Da drinnen, Majestät, im Audienzzimmer. G’rad vorhin.“

    „So drücken Sie sich doch etwas genauer aus, Ketterl, net immer so komisch drumherum! Andauernd reden S’ so umständlich und kompliziert! In letzter Zeit immer öfters, Herrschaft noch einmal!“ Franz Joseph wurde langsam ungeduldig.

    „Bin halt kein tauglicher Rhetorianer, Kaiserliche Hoheit. Kann ja selber nix dafür. Ich werd’ versuchen, es Eurer Majestät geradeheraus zu sagen.“

    „Da möchte’ ich bitten d’rum! Immer diese Larifari!“

    „Der Streit vorhin…“.

    „Das war doch kein Streit. Eine patscherte Eifersüchtelei höchstens!“, fiel ihm der Kaiser ins Wort.

    „Majestät bedenken“, flüsterte Ketterl beschwörend, „in Gegenwart Seiner Kaiserlichen Hoheit haben keinerlei persönliche Gespräche, geschweige denn Dispute, stattzufinden. So eine Unverfrorenheit, Eure Majestät. Eine Impertinenz ohnegleichen!“

    Franz Joseph I. blickte grüblerisch. „Ja, irgendwie haben S’ ja recht, Ketterl, jetzt fallt ma das erst auf! Obwohl ’s streckenweis’ recht amüsant war. Speziell das, seinerzeit mit der Sopherl. Können Sie sich an die noch erinnern?“

    „Ja, natürlich. Aber ich gestatte mir dennoch untertänigst zu empfehlen, das Augenmerk auf die unmanierlichen Allüren der beiden Offiziere zu richten. Das duldet kein Pardon! Was wär’ denn nachher das? Wo soll das denn noch hinführen, Majestät?“

    „Was soll ich denn nur machen jetzt?“ Franz Joseph schien verzweifelt. „Ich wollt doch g’rad den Slatin Pascha zum General befördern und ihn dem Hötzendorf als seinen Nachfolger vorstellen. Der Feldmarschall ist müd’, will eh schon längst zurücktreten, wenn das alles stimmt, was so daherg’red’ wird. Eine blöde G’schicht’ ist das jetzt g’word’n, eine richtig heikle und verdrießliche G’schicht’!“

    „Wenn ich seiner Majestät einen Rat geben darf“, murmelte der intrigante Kammerdiener.

    „So reden S’ doch schon. Wegen dem dauernden Intervenieren und Treiben von Ihnen und dem Hötzendorf hab’ ich ja auch den Krieg ang’fangen. Hätt’ mich halt vom Anfang an besser informieren sollen. Aber wenigstens heut’ können S’ mich ein bisserl geistreicher unterstützen und mir aus dieser leidigen Bredouille da helfen, Ketterl. Also, was raten Sie mir? Was soll ich denn Ihrer Meinung nach tun?“ 

    „Untertänigst vorschlagen zu dürfen, der Generalfeldmarschall Hötzendorf muss ohne wenn und aber in Amt und Würden bleiben, und der Slatin Pascha bleibt Leutnant, kriegt aber eine ehrenvolle Aufgabe zugewiesen.“

    „Und?“

    „Ich versteh’ nicht ganz, Eure Majestät.“

    „Also, Ketterl, Ihnen muss man heut’ ja wirklich alles aus der Nas’n ziehen. Was soll ich denn dem Slatin bloß überantworten? Irgendeine desolate Fregatt’n?“

    „Nein, Kaiserliche Hoheit, aber die Kriegsgefangenenhilfe des österreichischen ‚Roten Kreuzes’ bräucht dringend eine repräsentative Führung. Ich hab’ mich da schon akkurat erkundigt. Dort wär’ er völlig am Abstellgleis und kann über seine Impertinenzen gründlich nachdenken. Nebenbei spricht er zufällig recht gut Ungarisch. Seine Majestät können ihn ja auf eine Inspektionsreise in die neuen Gefangenenlager nach Ungarn abkommandieren.“

    „Eine saubere Idee, Ketterl. Da gratulier’ ich aber. Und das andere? Was war das denn gleich noch? Wie haben S’ g’sagt? ‚Rotes Kreuz’? Was ist denn das für ein Klimbim?“ Franz Joseph blickte seinem Kammerdiener ratlos in die Augen.

    „Da bin ich auch nicht genau am Laufenden, kaiserliche Hoheit. Irgend so eine humanistische Organisation. Anscheinend betreuen die in den Lagern und Spitälern die verletzten Frontsoldaten, egal, woher s’ kommen, und wir schicken denen gelegentlich ein bisserl Militärpersonal, damit organisatorisch net alles z’sammenbricht.“

    „Na, schau dich einer an. Aber zum General mach ich den Slatin trotzdem, oder?“

    „Nein, auf keinen Fall, Eure Majestät. Sonst lernen s’ as ja nie, die Herren Offiziere!“

    „Ja, aber dann wär’ er doch gar kein Offizier mehr, sondern eben ein General. Aber gut, wenn Sie meinen. Mir soll’s recht sein. Ich hoff’ nur, ich mach net schon wieder einen Fehler.“

    „Majestät können sich ganz auf mich verlassen“, buckelte Ketterl und öffnete ergeben wieder die Seitentür.

    Als der Kaiser eintrat, sprangen Hötzendorf und Slatin von ihren Stühlen auf und nahmen Haltung an. Die kurze Zeit, die sie während der Abwesenheit des Regenten alleine im Audienzsaal verbracht hatten, saßen sie mit versteinerten Mienen eisig nebeneinander und sprachen tunlichst kein Wort. Franz Joseph, der von all dem nichts zu bemerken schien, nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz und steckte sich umständlich seine Brille auf die Nase. Er deutete nun den beiden, sich wieder hinzusetzen.

    „Meine Herren“, begann er, „wo war ich denn vorhin nur stehen geblieben?“

    „Majestät geruhten gnädigst, den Anlass unseres Erscheinens näher zu erläutern“, antwortete Hötzendorf geflissentlich.

    „Ah ja, jetzt fallt’s mir wieder ein. Also, seit ein paar Monaten befinden wir uns im Kriegszustand. Mir persönlich ist das ja alles z’viel. Solche Umständ’ wegen dem Franz Ferdinand!“ Der Kaiser schüttelte betrübt sein Haupt. „Eine scharfe Note hätt’ doch auch g’reicht. Aber nein, die Herren vom Generalstab …“. Er unterbrach und warf einen bösen Blick auf Generalfeldmarschall Hötzendorf.

    „Serbien muss sterbien, Eure Majestät!“, flüsterte dieser und nahm sitzend Haltung an.

    „Ja, ja, ich kenn’ Ihre Meinung und hab’ ihr schließlich auch schweren Herzens zugestimmt. Mir ist das aber trotzdem alles z’viel. Eine leidige G’schicht, man kann’s halt nimma rückgängig machen. Unsere deutschen Waffenbrüder sind schon in Frankreich einmarschiert, hamms offenbar gar nicht mehr erwarten können, und jetzt schicken s’ uns waggonweis’ Kriegsgefangene, damit wir s’, weit weg von deren Heimatland, in Lager einpferchen.“

    „Erschießen sollt’ ma alle, Eure Majestät!“, zischte Hötzendorf kaum hörbar.

    „Ja, ja, ist schon recht. So einfach geht das aber nicht mehr, heutzutag’. Ich hab’ mich also dem notwendigen Übel gebeugt und hab’ alle zu die Ungarn g’schickt. Soll’n die s’ doch unterbringen.“

    „Genial, Majestät. Ein exzellenter Schachzug!“ Der Generalfeldmarschall strahlte seinen obersten Kriegsherrn über die Maßen an. Verächtlich betrachtete Slatin Pascha den angepassten Militärbürokraten von der Seite.

    „Meinen S’, lieber Hötzendorf?“, fuhr Seine Majestät hörbar erleichtert gleich wieder fort. „Ich war mir nämlich nicht ganz sicher. Eigentlich kommt der Vorschlag ja vom Ketterl. Gut, dass das die selige Kaiserin nicht mehr erleben muss, dass ich ihre geliebten Ungarn so strapazier’, aber so hamma halt ein Problem weniger. Das hat s’ ja nie an mir mögen, dass ich so exorbitant sachlich bin, die Sisi.“

    „Ein Hoch auf Ihre Majestät, die Kaiserin von Österreich!“ Der Generalfeldmarschall war aufgesprungen. Slatin Pascha hingegen verdrehte angewidert die Augen. Er war ein Mann der Tat, gewohnt, an vorderster Linie zu kämpfen. Einschmeicheln, bei wem auch immer, war ihm fremd, ja, sogar verhasst, und deshalb gingen ihm auch die taktischen Liebesdienereien dieser hochrangigen Hofschranze zu weit, jedoch musste er, wohl oder übel, in die seltsame Huldigung mit einfallen, obwohl doch Elisabeth, die Kaiserin, schon vor sechzehn Jahren in der Kapuzinergruft zur letzten Ruhe gebettet wurde.  

    „Hoch, hoch, hoch!“, riefen nichtsdestoweniger nun beide in trügerischer Einigkeit, der Herr Leutnant und der Generalfeldmarschall. Erschrocken zuckte der Kaiser zusammen.

    „Net so laut, meine Herren, doch net so laut! Ich hab’ schon g’laubt, eine Granat’n hätt’ eing’schlagen. Aber trotzdem, recht schönen Dank für Ihre unerschütterliche Treue meiner geliebten, unvergesslichen Sisi gegenüber. Ihrer beider Anteilnahme hat mich sehr gefreut und auch ein bisserl abgelenkt von meinen Sorgen.“ Er seufzte tief auf. „Ich hab’ ja in letzter Zeit so viel lästige Unannehmlichkeiten, der Krieg und der ganze Verwaltungsfirlefanz drumherum. Sie können sich ja gar net vorstellen, meine Herren, wie’s in einem Kaiser drinnen ausschaut. Ich muss alles prüfen und erwägen, um dann mit ruhigem Gewissen den Weg zu betreten, den die Pflicht mir weist.“

    Franz Joseph kramte nun aus der Seitentasche seiner schlichten Uniform ein Taschentuch hervor, schnäuzte sich umständlich und steckte es danach wieder weg.

    „Sie müssen entschuldigen, meine Herren“, murmelte er, „aber sogar ein Kaiser hat das eine oder andere Mal eine verlegte Nas’n.“

    Hötzendorf lachte sogleich falsch auf.

    „Also, um es kurz zu machen: es ist mein ausdrücklicher Wunsch, dass Sie, Herr Generalfeldmarschall Hötzendorf, auch weiterhin dem Generalstab vorstehen sollen, und für Sie, Herr Leutnant Slatin, hätt’ ich eine besonders ehrenvoll Aufgabe, weil ich Sie hiermit nämlich offiziell zum Leiter der Kriegsgefangenenhilfe bei diesem komischen Kreuz ernenne. Sie scheinen mir am besten dafür geeignet zu sein, nicht wahr? Morgen werden S’ sofort Ihren Dienst antreten und gleich mit einer gründlichen Inspektionsreise anfangen. Fahren S’ nach Ungarn und schau’n Sie sich die Lager dort an!“

    Die Audienz war somit beendet. Seine Majestät schob nun mit einem lauten Ruck seinen Stuhl zurück und erhob sich mühselig. Die beiden Anwesenden sprangen sofort auf und nahmen Haltung an.

    „Also, meine Herren, es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“, sagte er, winkte ihnen noch einmal gütig mit der Hand zu und verließ gebeugt den Raum durch die Seitentür.

    Hötzendorf und Slatin sahen ihm verwundert nach.

    Der Generalfeldmarschall fand nach einer Weile als erster wieder zu Worten. „Hätten eigentlich nicht wir den Raum verlassen soll’n, Rudolf? Ich mein’, Seine Majestät wohnen ja sozusagen da“, fragte er verstört.

    Slatin Pascha jedoch ließ seinen Blick verächtlich von oben bis unten über den Generalfeldmarschall schweifen, machte schroff kehrt und ging grußlos aus dem Audienzsaal.

 

    Drei Stunden später saß Freiherr Rudolf Slatin bereits angeheitert im Offizierscasino der k.u.k. Militärschwimmschule „Alte Donau“ im Kreise vorwiegend jüngerer Kameraden, was nur allzu verständlich war, zählte er doch selbst bereits 57 Jahre. Man rauchte Zigarren, gelegentlich konnte man auch in den Mundwinkeln einiger älterer Offiziere die eine oder andere Pfeife entdecken, und, was wohl die Hauptsache war, man trank Schnaps in großen Mengen.

    „Der Hötzendorf g’hört weg!“, rief gerade ein überhitzter Leutnant mit hochrotem Kopf. Von allen Seiten war sofort zustimmendes Geraune zu vernehmen.

    „Wie sich der dem Herrn General gegenüber benommen hat, ist eine glatte Sauerei! Der war ja immer schon ein Schleimer.“

    „Ein typischer Schreibtischhengst!“, rief ein schlaksiger Hauptmann aus den hinteren Reihen, und alle brachen in schallendes Gelächter aus.

   Slatin Pascha erhob sich nun leicht taumelnd. „Dank’ euch recht schön, meine lieben Kameraden. Bin immer noch Leutnant, wies alle sehts. Hab’ mir zwar für heut’ eine Beförderung erwartet, allein, es hat eben nicht sein sollen. Seine Majestät haben sich halt anders entschieden.“ Achselzuckend führte er das Schnapsglas an seine Lippen und trank es in einem Zug leer.

    Der Hauptmann von vorhin erhob sich nun und drängte sich nach vor. „Ich glaub’ eher, dass sich da ein anderer anderweitig entschieden hat“, sagte er. „Die Eingeweihten hier unter uns wissen ganz genau, wen ich mein’ damit.“

    „Den Ketterl, die Sau!“, hörte man eine lallende Stimme aus dem Hintergrund rufen.

    Slatin Pascha blickte irritiert. „Ich versteh’ nicht ganz, meine Herren“, sagte er.

    Der Hauptmann schlug die Haken zusammen und nahm Haltung an. „Eure Exzellenz waren ja auch zu viele Jahre im Ausland!“

    „Geh, hör doch auf. Ich müsst’ ja eigentlich vor dir ‚Habt Acht’ stehen. Bin ja nur ein Leutnant.“ Er griff nun zu dem mittlerweile wieder angefüllten Schnapsglas und trank es abermals in einem Zug aus. „Aber klärts mich doch auf. Ich kenn’ die Grabenkämpfe ja nur von der Front, damals in Sudan, net wahr, nicht aber die am kaiserlichen Hof.“

    „Wenn Herr General mir erlauben, festzustellen, Herr General sind einen lebende Legende. Ein Hoch auf den General Slatin!“ Der Hauptmann brüllte die letzten Worte, und die Kameraden sprangen sofort von ihren Stühlen. Ein paar Offiziere jedoch waren der plötzlichen Aufforderung nicht gewachsen. Sie stürzten laut und feuchtfröhlich zu Boden.

    „Hoch, hoch, hoch!“, riefen nun trotzdem alle durcheinander und tranken dem Geehrten beseligt zu. Diesem schossen Tränen der Rührung in die Augen.

    „Also, ich bin überwältigt“, stammelte er. „Dass ich das noch erleben darf. Eine exorbitante Gnade ist das.“

    „Ruhe bitte! So seids doch still alle miteinand’!“ Wieder war es der Hauptmann, der das Wort an sich riss. „Herr General, wenn ich erklären dürft’?“

    „Ich bitte d’rum.“ Slatin Pascha nickte bewegt, griff  erneut zum Schnapsglas und leerte es in einem Zug. Sofort wurde es ihm wieder nachgefüllt.

    „Der Ketterl ist an allem Schuld! Der intrigiert, wo er nur kann“, erläuterte der Hauptmann verschwörerisch. „Das weiß ein jeder! Seine Majestät weilen ja andauernd in Gedanken bei seinen braven und tapferen Soldaten an der Front, er kann und will sich ja gar nicht um diese Hofkabalen kümmern! Aber der Ketterl, der …“

    „Ein Hoch auf den Kaiser!“, grölte von irgendwo her eine trunkene Stimme. Wie auf Kommando sprangen nun alle wiederum auf, Gläser fielen vom Tisch, Stühle und Offiziere krachten zu Boden, und wer noch konnte, sang voll Inbrunst die österreichische Kaiserhymne vom alten Haydn, deren Text ja bekanntlich aus der Feder des Leiters der k.u.k. Schatzkammer, Johann Gabriel Seidl, stammt:

 

Gott erhalte, Gott beschütze

Unsern Kaiser, unser Land!

Mächtig durch des Glaubens Stütze

Führt er uns mit weiser Hand!

Laßt uns seiner Väter Krone

Schirmen wider jeden Feind:

Innig bleibt mit Habsburgs Throne

Österreichs Geschick vereint.

 

    Nachdem man auch die letzte, die sechste Strophe, mehr schlecht als recht abgesungen hatte, fuhr der Hauptmann wieder mit seinen Erläuterungen fort.

    „Schon seit Jahren beeinflusst der Ketterl auf gemeine Art und Weise Seine allerhöchste Majestät. Das ist ein famoser Experte im devoten Intrigieren. Der nützt auf niederträchtige Art die grenzenlose Gutmütigkeit unseres gnädigen Kaisers aus, der Falott. Unlängst erst hat er seinen idiotischen Enkel, der ja auch wie alle anderen einzurücken hatte wegen der Generalmobilmachung, also, den hat er in der Krimsky-Kasern’ unter’bracht. Als nix! Der hat keinen Dienstgrad, net amoi ein G’freiter is der, überhaupt nix, und sauft sich jeden Tag an wiar a Stabstrompeter, hab’ ich g’hört! Keiner traut sich was sagen dort, weil a jeder eine Mordstrum Angst vorm Ketterl sein’ Einfluß am Hof hat. Sein Enkerl, das kleine G’frast, haust in sein’ eigenem Zimmer, kann aufstehen, wann er will und hat nur d’ Weiber im Schädl. Wart’ einfach, bis er wieder abrüsten kann. Der Jakesch, der Oberleutnant von die Zweier Dragoner, hat mir das dazählt. Die ham alle schon eine Riesenwut auf den Kerl, aber wenns d’ den nur schief anschaust, kannst dich schon fertig zum Abmarsch machen zu irgendeiner abgelegenen Garnison in den Dolomiten. Dort schlafen dir unter Garantie d’Fiaß ein, so fad is es.“

    Slatin Pascha hatte die Flasche in der Hand und nahm gerade einen herzhaften Schluck.

    „Das ist ja furchtbar, was Sie mir da erzählen, Herr Hauptmann!“, sagte er mit schwerer Zunge und zog noch einmal tüchtig an der Bouteille an.

    „Gestatten, dass ich mich übrigens Eurer Exzellenz gehorsamst vorstelle. Ritter Franz von Chaos, Hauptmann der 4. Artilleriekompanie in …“

    „Von Chaos?“, lallte Slatin Pascha dazwischen. „Den Namen hab’ ich doch schon irgendwann einmal g’hört. Von Chaos? Chaos?“ Er dachte eine Weile angestrengt nach, und ein erneuter Schluck aus der Flasche brachte ihn schließlich auf die richtige Spur. „Ich glaub’, jetzt hab’ ich’s! Bist gar verwandt mit dem Pipo, na, wie hat denn der g’schwind g’heißen? Ah ja, der Josef Richthausen Freiherr von Chaos.“

    „Das ist mein Herr Onkel, Eure Exzellenz!“

    „Ein fescher Haudegen war das. Hab’ ihn ein paar Mal im Puff ’troffen. Was ist denn g’worden aus ihm?“

    „Er hat ein Vermögen am Spieltisch verloren und ist dann mit einer Prostituierten durch’brannt. Ich glaub’, Zuleika hat die g’heißen. Eine Slowakin aus Pozsony. Bis nach Biarritz soll’n sas g’schafft hab’n, sagt man, und dort ist ihm dann das Geld aus’gangen.“

    „Und das böhmische Hurl war wohl auch weg!“, warf Slatin Pascha unangebracht laut, zudem noch ziemlich unverständlich, ein. „Ohne Marie kane Hurna! Das könnts euch alle gleich merken!“

    „Seitdem ist er verschwunden.“ Feierlich, fast singend, setzte nun Ritter Franz von Chaos seine Erzählung fort. „Niemand in der Familie weiß, wo er ist. Der Herr Papa meint, dass er sich vielleicht erschossen hat.“

    „Ein Teufelskerl, der Pipo. An dem kannst dir ein Vorbild nehmen, Herr Hauptmann. Wir alle können uns ein Vorbild nehmen am Pipo. Ein Hoch auf’n Pipo!“ Beim Versuch, sich zu erheben, verlor Slatin Pascha nun das Gleichgewicht und stürzte polternd zu Boden.

    „Öha!“, rief er dabei überrascht. „Was wär’ denn nachher des?“ Augenblicklich griffen zahlreiche erbötige Hände nach ihm und zerrten ihn wieder mehr oder weniger behutsam zurück auf seinen Stuhl. „Ordonanz! Kerl! Bring’ ma noch ein Flascherl Schnaps! Und Beeilung, wenn ich bitten darf!“

    Sofort hastete nun ein einfacher Soldat, der offensichtlich als Kellner ins Offizierskasino abkommandiert war, in einen Nebenraum und kam kurz darauf mit dem Georderten auf einem Silbertablett wieder.

    „Her damit, Bursche!“, lallte Slatin Pascha und riss die Flasche an sich.  Nachdem er einen kräftigen Schluck daraus genommen hatte, schien es, als hätte er eine phantastische Idee, denn auf einmal, von einer Sekunde auf die andere, blickte er besonders schlau.

    „Das Bürscherl kauf ich mir“, sprudelte es undeutlich über seine Lippen. „Seine Majestät haben ja geruht, mich nach Ungarn abzukommandieren. Gut. Befehl ist halt Befehl. Aber die Brut von sein’ Kammerdiener rekrutier’ i ma heut’ Nacht noch als mein’ Fahrer. Dann isses aus mit’n Herumflanieren, Schütze Ketterl! Dann wird pariert!“ Slatin Pascha lachte lauthals auf und nickte. „Ich werd’ den ganzen Trubel als Geheimprojekt tarnen und absolute Informationssperre darüber verhängen. Sollte der Falott es wagen, mit sein’ Großvater Kontakt aufzunehmen, rauch’ i eahm in der Pfeif’n!“

    „Bravo! Hört, hört!“ Die wankenden Kameraden waren über die Maßen begeistert, als sie von dem grandiosen Vorhaben Slatin Paschas erfuhren.

    „Was soll mir denn noch viel passieren?“, lallte dieser nun weiter. „Gouverneur und General war ich schon, Leutnant bin ich jetzt. Tiefer werd’ ich wohl nimma fall’n.“ Er nahm einen Schluck aus der Flasche und glitt zu Boden, wo er dann schließlich, in Gesellschaft einer dort bereits seit längerem illuminiert ruhenden Vorhut, einschlief.

KAPITEL III

 

- Jean-Pauls qualvolle Liaison mit Ibolya Hegedüs und deren überraschende Begegnung mit einem Fronturlauber -

 

- Julia Fazekas weiht Ibolya in ihr letales Geheimnis ein -

 

- Im Totenhaus der Marika Kardos -

 

 

„Na, los, komm schon“, rief Ibolya Hegedüs und gab dem französischen Kriegsgefangenen Jean-Paul einen kräftigen Hieb mit ihrer Gerte auf den Allerwertesten. Der Jüngling schrie auf. Er ahnte, was auf ihn zukam, denn das Mädchen genoss im Lager einen denkbar schlechten Ruf als grausame Hetäre, die ihre krankhaft verwirrte Triebhaftigkeit mit Brutalität zu verbinden pflegte.

    Während sie ihn solcherart demütigend durch die Ortschaft drangsalierte, griff das entfesselte Mädchen dem Kriegsgefangenen mehrmals  hochmütig und schamlos auf dessen Männlichkeit. Widerstand war zwecklos, die Angst vor einer Exekution zu groß. So winselte Jean-Paul lediglich und schwor freilich insgeheim Rache, sollte sich irgendwann eines fernen Tages die Gelegenheit dazu bieten.

    Was war denn bloß in diese vormals ehrbaren und tugendhaften Frauen gefahren, denn Ibolya Hegedüs war beileibe nicht die einzige im Dorf, die auf diese unbegreifliche Weise ihr Mütchen kühlte. Es war, als legte sich der düstere Schleier einer frivolen, ausschweifenden Epidemie über die ortsansässigen Bäuerinnen, eine teuflische Lustseuche, der sie sich widerstandslos und gierig auslieferten. Viele dieser verwerflichen Weiber, denen die Niedertracht plötzlich so viel zu bedeuten schien, konnten über Nacht ihre aggressiv-sexuellen Triebe und Träume in einem bislang ungeahnten Ausmaß ausleben, und sie taten es auch reichlich. Aber wer meinte, dass dies schon alles gewesen wäre, der hatte sich gründlich getäuscht.

    Als Ibolya Hegedüs mit ihrem bedauernswerten Opfer zu ihrem etwas abseits am Dorfrand gelegenen, kleinen Häuschen abbog und ihn den Schotterweg entlang schubste, erstarrte sie jäh. Das hatte einen guten Grund, denn im verwilderten Vorgarten saß ihr Mann Péter im Gras und blickte ihr finster entgegen. Er schien sie bereits eine zeitlang beobachtet zu haben.

    „Péter“, flüsterte sie überrascht, als sie zaghaft näher trat. „Was tust du denn hier?“

    Der heimgekehrte Bauer lachte höhnisch auf. „Das wollte ich dich ja gerade fragen“, sagte er dann. „Also, was soll das? Bist du jetzt endgültig zu einer billigen Hure verkommen? Red’ schon! Los! Ich beobacht’ dich schon die ganze Zeit, du Schlampe!“

    „Ja, sag, wie sprichst denn du mit mir, Péter?“, hauchte das Luder, senkte errötend ihr Köpfchen und schloss dabei scheinheilig die Augen.

    „Ich bin noch nicht lang daheim, eine Stunde höchstens, und hab’ schon so ziemlich alles gehört über dich und deine wahre Natur! Na wart’!“

    „Über meine Natur hast du was gehört. Von wem denn?“ Das Mädchen führte ihre Hände erschrocken vor den Mund und öffnete scheu nun wieder die großen Augen. Sie blickte ihrem Gatten direkt ins Antlitz, engelsgleich, so, als könne sie kein Wässerchen trüben. Péter Hegedüs, dieser schlichte Mensch, der die dunklen Niederungen der menschlichen Seele meist nur als Opfer, kaum aber jemals als vorbedachter Täter erfuhr, wurde nun tatsächlich durch die heimtückische Taktik seiner Gemahlin unsicher. Zu unschuldig und lauter stellte sich ihm diese Teufelin in ihrer nunmehr einzigen Möglichkeit, der improvisierten Flucht nach vorne, dar. So konnte sich seiner Meinung nach kein Mensch verhalten, der jene Gräueltaten begangen hatte, welche man von ihr berichtete.

    In diesem Moment wusste Péter Hegedüs, dass seine Gattin unschuldig war. Auch diese wusste es nun, denn seine vormals verwirrten, finsteren Gesichtszüge wurden nun erheblich weicher. Schon wollte er auf sie zustürmen, sie umarmen und fest an sich drücken, als er jedoch plötzlich innehielt. Ein letzter Zweifel hatte sich gemeldet. Also blieb er, wo er war, und blickte seine Frau streng an. Das Mädchen aber, welches durch das naiv unverstellte Mienenspiel ihres Gatten sofort des Zwiespalts gewahr wurde, in dem dieser momentan steckte, musste aus diesem Grunde beinahe laut auflachen, verkniff es sich jedoch und verwandelte gerade noch im letzten Moment ihre böse Häme in ein gespieltes Hüsteln. 

    „Und der da?“, sagte das Bäuerlein nun in einem letzten, trotzigen Aufflackern und zeigte dabei auf Jean-Paul. „Was ist mit dem? Ich habe euch eine Weile beobachtet.“

    Ibolya setzte die unschuldigste Miene auf, die sie in ihrem diabolischen Talon hatte. Mit ihren fragenden, braunen Augen sah sie jetzt ihren Gemahl wie ein zartes Rehlein an.

   „Aber mein Herz“, wisperte sie kaum hörbar, und führte ihre beiden Hände sanft und beruhigend über seinen vor Erregung bebenden Oberkörper bis tief nach unten in eheliche Bereiche, „wenn man die nicht antreibt, arbeiten sie doch überhaupt nichts. Glaubst du, mir hat das gefallen?“

    Péter Hegedüs antwortete zuerst mit kläglichen Winsellauten, dann nahm er die Teufelin entschlossen bei der Hand und zog sie ins Haus.

    „Komm!“, schrie er, und seine begehrende Stimme schien keine Widerrede zu dulden, „komm, jetzt zeig ich’s dir! Wird ja auch schon langsam Zeit! Gleich da drin in der Küche am Tisch! Mach schon!“