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Tibor Zenker

Österreich 1938

Hintergründe, Vorgeschichte und Folgen des „Anschlusses“

 

 

 

Copyright © 2015 Der Drehbuchverlag, Wien, und Tibor Zenker 

2. Auflage, 14. Februar 2016 

Alle Rechte vorbehalten 

eBook: Östterreich 1938 - Hintergründe, Vorgeschichte und Folgen des „Anschlusses“ 

ISBN: 978-3-99041-553-5 

Der direkte Weg

 

Der im März und April 1938 vollzogene „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich markierte einerseits die Ersetzung des einen faschistischen, des austrofaschistischen Regimes durch ein anderes faschistisches, das nationalsozialistische. Gleichzeitig handelte es sich hierbei um den Beginn der deutschen Fremdherrschaft in Österreich, denn völkerrechtlich bedeutete der „Anschluss“ die durchaus einseitige Annexion Österreichs durch Deutschland, die durch die inszenierte „Volksabstimmung“ nicht legitimiert wurde. Dennoch weist die deutsch-faschistische Fremdherrschaft durch die zunächst gegebene gleichzeitige partielle Machtübernahme österreichischer Nationalsozialisten eine Besonderheit auf, die bei imperialistischen Annexionen üblicherweise nicht derart zu beobachten ist. Dies hat spezielle Gründe und Hintergründe, wie noch zu zeigen sein wird.

 

Man könnte in Richtung des Jahres 1938 die Jahre 1918, 1927, 1933 und 1934 als folgerichtige Schritte benennen. Im Jahre 1918, als die österreichische Arbeiterklasse durch den imperialistischen Krieg und durch das Beispiel der russischen Oktoberrevolution 1917 durch und durch revolutioniert war, war es die Führung der österreichischen Sozialdemokratie, die ja bereits 1914 den Krieg befürwortet hatte, die nun die Revolution im bürgerlichen Rahmen hielt und die Massen vor der sozialistischen Revolution zurückhielt. Dies wäre damals keiner bürgerlichen Partei mehr möglich gewesen. So ist es das „Verdienst“ der objektiv konterrevolutionären Sozialdemokratie, die österreichische Bourgeoisie vor dem Sozialismus gerettet und gewährleistet zu haben, dass Österreich weiter einen kapitalistischen Entwicklungsweg nahm. Auch in den folgenden Jahren blieb die Sozialdemokratie bei ihrer fatalen reformistischen Ausrichtung und ihrer opportunistischen Politik, die mit ein wenig revolutionärer Rhetorik aufgepeppt wurden, um die Arbeiterklasse zu betrügen und sie vor einer revolutionären Neuorganisierung abzuhalten.

 

Mit Hilfe der Sozialdemokratie einmal wieder auf die Beine und aus der Defensive gekommen, gingen das österreichische Großkapital und der Großgrundbesitz bald wieder zur Offensive über. Der „revolutionäre Schutt“ der Jahre 1918 bis 1920 und auch die Errungenschaften im „Roten Wien“ sollten beseitigt werden. Über die blutige Niederschlagung der Julirevolte 1927, diverse andere Provokationen und Angriffe der Christlichsozialen und der faschistischen Heimwehrbewegung gegenüber den Arbeiterorganisationen und bis zum Korneuburger Eid der Heimwehrbewegung 1930 ist eine Linie markiert, die nirgends anders hinführen konnte als zum Ende der Demokratie 1933/1934.

 

Der fortschreitende Faschisierungsprozess in Österreich wurde manifest, als 1933 der Nationalrat ausgeschaltet wurde; auch wurde schon in diesem Jahr die KPÖ durch die „christlichsoziale“ Regierung Dollfuß verboten, nachdem der Kommunistische Jugendverband bereits 1931 verboten worden war. Die Defensivstrategie der Sozialdemokratie, die eigentlich vielmehr eine „Strategie“ des ständigen Zurückweichens und der permanenten Kapitulation war, hatte diese Entwicklung begünstigt, ebenso folgerichtig kam die Niederlage im kurzen österreichischen Bürgerkrieg im Februar 1934.

 

Als sich am 12. Februar 1934 revolutionäre Teile der Basis des sozialdemokratischen Republikanischen Schutzbundes gegen die Faschisierung zur Wehr setzten und hierbei von den bereits illegalisierten Kommunisten unterstützt wurden, war die Niederlage durch die vorangegangene Politik der Sozialdemokratie, aber auch durch ein verfehltes Organisationsverständnis des Schutzbundes sowie dessen falsche Strategie, mangelhafte bis fehlende Bewaffnung und nicht zuletzt durch offenen Verrat einiger sozialdemokratischer Führer bereits vorprogrammiert. Es folgten vier Jahre der austrofaschistischen Diktatur.

 

In diesem Sinne führt ein direkter Weg von 1918 ins Jahr 1934. Er ist markiert durch die Fehler und den Verrat der Führung der Sozialdemokratie an der Arbeiterklasse. Der parlamentarische, „demokratische Weg“ der Sozialdemokratie zum Sozialismus, wie ihn der „Austromarxismus“ vorgab, konnte nicht nur niemals zum Sozialismus führen, sondern er musste geradezu zwangsläufig den Sieg des Faschismus begünstigen.

 

Doch so sehr die Sozialdemokratie eine Verantwortung trägt, so liegt die Schuld für die Tragödie von 1938 bei den Bürgerlichen, bei den „Christlichsozialen“. Denn natürlich waren es sie – und nur sie –, die 1933 den Parlamentarismus beseitigten und 1934 jegliche Demokratie. Das Ende der Demokratie und die Errichtung der faschistischen Diktatur in Österreich im Februar 1934 tragen bereits die Vorbedingungen für das Ende Österreichs in sich, das im März 1938 folgte. Die innerfaschistische Auseinandersetzung zwischen Austrofaschisten und Nationalsozialisten wurde, unter kontinuierlicher Preisgabe jedes ernsthaften Verteidigungswillens seitens des Austrofaschismus, gemäß imperialistischer Logik zugunsten des Stärkeren entschieden, d.h. zugunsten des deutschen Faschismus, wenngleich auch die österreichischen Nationalsozialisten ihren Anteil daran hatten.

 

Auch in dieser Hinsicht gibt es einen direkten Weg, der vom Februar 1934 zum März 1938 führt. Diesen Weg markierten das profaschistische österreichische Großkapital und der Großgrundbesitz sowie ihre Organisationen wie die Christlichsoziale Partei, die Heimwehr und später die Vaterländische Front. 1938 wurde in Österreich ein faschistisches Regime beseitigt und durch ein anderes faschistisches Regime ersetzt. Gänzlich andere Voraussetzung hätte es 1938 für deutsche Annexionsbestrebungen gegeben, wäre es damals um den Erhalt der demokratischen österreichischen Republik gegangen. Doch es zeigte sich eben auch 1934, dass die Demokratie dem Großkapital immer nur aufgezwungen und nur so stark ist, wie diejenigen Kräfte, die bedingungslos dazu bereit sind, sie zu verteidigen.

 

Es waren bereits 1933/34 bis 1938 und noch mehr danach vor allem die österreichischen Kommunisten, die genau dazu bereit waren, unterstützt von aufrechten Sozialdemokraten und ehrlichen christlichen Demokraten. Die demokratischen Kräfte waren 1934 und 1938 offenkundig zu schwach entwickelt, als dass die Tragödie von 1938 und der darauf folgende Zweite Weltkrieg 1939 bis 1945 zu verhindern waren.

 

Für die Kommunisten und linken Sozialisten der Gegenwart ist aus den Jahren der beiden faschistischen Diktaturen in Österreich und deren Vorgeschichte vor allem eines zu lernen: Ohne Verteidigung der demokratischen und nationalen Souveränität Österreichs ist auch jeder Kampf um den Sozialismus hinfällig, ja dieser Kampf beginnt geradezu mit dem Kampf um demokratische und nationale Selbstbestimmung. Nur auf dieser Grundlage ergibt sich eine Strategie, die den direkten Weg zur sozialistischen Revolution und zum Sozialismus in Österreichs Farben ermöglicht – ohne ultralinke, vermeintliche Abkürzungen, ohne reformistische Sackgassen.

Zum Charakter des Faschismus

 

Georgi Dimitroff charakterisierte den Faschismus 1935 im Sinne einer besonderen bürgerlichen Herrschaftsform als „die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, der am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“ [1] Damit ist in wenigen Worten bereits recht viel über Ursache, Herkunft, Funktion und Zielsetzung des Faschismus gesagt, daher an dieser Stelle nur eine kurze Rekapitulation.

 

Der spezifische Klassencharakter des Faschismus ist ein finanzkapitalistischer, d.h. er markiert die Herrschaft der Monopolbourgeoisie oder der Finanzoligarchie (genauer: der aggressivsten Teile derselben), womit seine historische Verortung gleichzeitig am monopolkapitalistischen Stadium des Kapitalismus, am Imperialismus [2] festgemacht ist. Palmiro Togliatti stellte die Behauptung auf: „Man kann nicht das Wesen des Faschismus bestimmen, wenn man nicht den Imperialismus kennt.“ [3] Dies ist deshalb von Bedeutung, weil der Faschismus als äußerste Konsequenz imperialistischer Barbarei nicht nur auf dem Boden des Imperialismus entsteht, sondern auch das ureigenste Produkt desselben ist. Der Drang des Monopolkapitals nach Reaktion und Gewalt sowie nach unbeschränkter politischer Alleinherrschaft entspringt dem ökonomischen Zwang, Monopolprofite zu erlangen. Das ist die ökonomische Grundlage des Faschismus. Doch faschistische Form nimmt dieser Drang erst mit dem Eintritt des Kapitalismus ins Stadium seiner allgemeinen Krise an, d.h. mit dem Ersten Weltkrieg und verstärkt durch dessen Folgen. [4]

 

Was ist weiters über die Charakteristik des Faschismus zu sagen, wenn wir die oben zitierten Worte Dimitroffs auffächern? [5] – Der Faschismus ist die offene Diktatur im Gegensatz zur verdeckten des bürgerlich-demokratischen Parlamentarismus; er ist Terrorherrschaft im Gegensatz zum bürgerlichen Rechtsstaat; die Ausrichtung der faschistischen Diktatur ist besonders reaktionär, d.h. nicht nur antiliberal, sondern vor allem konsequent und möglichst eliminatorisch antisozialistisch und antikommunistisch, eben auch antizipiert konterrevolutionär; der Faschismus stützt sich zumeist auf einen überaus chauvinistischen Nationalismus, im Inneren wie nach außen; zuletzt bedeutet der Faschismus eine aggressive Außenpolitik, nicht nur diplomatischer, sondern vor allem ökonomischer und auch militärischer Natur, wobei dies in seiner Intensität immer nach Maßgabe der regionalen und globalen Stärke des betreffenden Staates zum Ausdruck kommt.

 

Nur besteht kein Zweifel am faschistischen Charakter der NS-Diktatur, d.h. „Hitler-Deutschlands“ – im Gegenteil, der deutsche Faschismus gilt gemeinhin (und durchaus berechtigt) als klassisches Beispiel des Faschismus. „Klassisch“ bedeutet jedoch nicht, dass im Rahmen einer Faschismusbestimmung jedes Diktaturregime an der Intensität und den speziellen Ausprägungen des NS-Faschismus zu messen ist, sondern nur, dass im deutschen Fall alle Aspekte des Faschismus in besonders deutlicher, extremer und „reiner“ Form zutage getreten sind. Die Bestimmung eines Regimes als faschistisch kann also gerade nicht mit der deutschen Schablone vorgenommen werden, was für uns von wesentlicher Bedeutung ist.

 

Denn in Österreich war und ist umstritten, ob bezüglich des Dollfuß- und Schuschnigg-Regimes von 1934 bis 1938 überhaupt von einer faschistischen Diktatur gesprochen werden soll, ob es sich nicht „nur“ um ein „autoritäres Regime“ gehandelt hätte oder um ein Art „Halbfaschismus“ (Otto Bauer). Insofern wird der Terminus „Austrofaschismus“ bezüglich seiner inhaltlichen Richtigkeit generell in Zweifel gezogen – und dies durchaus in vermeintlichen „Standardwerken“ zum Thema [6] sowie auch von prominenten sozialdemokratischen Historikern. Dies kann zweierlei Gründe haben: Einerseits, im „gut gemeinten“ Fall, werden angeblich fehlende Merkmale, wie z.B. die fehlende Massenbasis des Austrofaschismus, angeführt, die jedoch keineswegs konstituierende Merkmale des Faschismus sind – so sieht z.B. Reinhard Kühnl, durchaus ein linker Faschismusforscher, dem selbstverständlich keinerlei Beschönigungsintention bezüglich des Ständestaatregimes zu unterstellen ist, Österreich 1934-1938 lediglich als „Grenzerscheinung des Faschismus“. [7] Andererseits – und dies ist die schäbige Variante – hat man es mit (bürgerlichen und auch sozialdemokratischen) Vertretern der antikommunistischen Totalitarismus-Doktrin zu tun, die einerseits den Kapitalismus von jeder Verantwortung für den Faschismus freisprechen und zugleich den Sozialismus pauschal diskreditieren möchten. [8]

 

Keine Überraschung ist es jedenfalls, wenn in Österreich konservative bürgerliche Kreise den faschistischen Charakter des „Ständestaates“ in Abrede stellen möchten, denn es war ja die unmittelbare Vorläuferorganisation der heutigen ÖVP, die Christlichsoziale Partei (CSP), die mithilfe der zur paramilitärischen Vorfeldorganisation degradierten Heimwehrbewegung das fragliche Diktaturregime errichtet hat, wobei die personellen Kontinuitäten bezüglich CSP, Heimwehr, der austrofaschistischen Einheitspartei „Vaterländische Front“ und ÖVP eben allzu evident sind.

 

Durchaus bemerkenswert ist jedoch, dass man sich mitunter auch in der Sozialdemokratie um die Reinwaschung des „Ständestaates“ vom „Faschismusvorwurf“ bemühte und bemüht. Berechtigt wurde Otto Bauer, Chefideologe des so genannten „Austromarxismus“„“„“