Ursula Ott

Schöner scheitern

Warum es genauso schwierig ist, die Welt zu retten, wie den richtigen Biergarten zu finden

 

 

 

Originalausgabe

Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

© 2006 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

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eBook ISBN 978-3-423-40141-8 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-24555-5

 

Inhaltsübersicht

Vorwort

Warum es genauso schwierig ist, ... die Welt zu retten,

wie ... selbständig ein Regal aufzubauen

... zusammen mit einem Mann einen Fernseher zu kaufen

... so sportlich zu werden wie mein Freund

... jeden Tag fünf Minuten den Beckenboden zu trainieren

... endlich ein paar Kilo abzunehmen

... wilden Sex mit diesem ölverschmierten Automechaniker zu haben

... ein Bahn-Comfort-Kunde zu werden

... in aller Ruhe Geld auszugeben

... sich über einen Geschenkgutschein zu freuen

... sich permanent einzubringen

... die neueste Version eines Computerprogramms zu laden

... einen wirklich billigen Flug zu buchen

... sich seine PIN-Nummern zu merken

... ein effizienter Nutzer von Post und Telefon zu werden

... eine ganz normale Familie zu sein

... Kinder frühkindlich zu fördern

... Essen zu kochen, das aussieht wie auf dem Rezept

... den perfekten Strand zu finden

... Söhne zu echten Männern zu erziehen

... den perfekten Sonntag zu verbringen

... in der Heimat heimisch zu sein

... total gelassen älter zu werden

... im Bett so auszusehen wie im Porno

... ein idyllisches Wochenende auf dem Land zu verbringen

... ein mobiler Mensch zu sein

... den perfekten Biergarten zu finden

Vorwort

Mein erstes Klassentreffen fand 1992 statt. Zehn Jahre nach dem Abitur, erste Bilanz. Es war sehr, sehr anstrengend. Angela hatte unseren Mathelehrer geheiratet und schon das dritte Kind, Martin übernahm gerade die Anwaltskanzlei seines Vaters, Eva war nach dem Physikum dabei, ihren Facharzt in Neuropsychiatrie zu machen, später sollte sie die Praxis ihrer Mutter übernehmen. Alles lief nach Plan, so sah es zumindest aus, und erst spätabends, nach dem achten Bier, traute sich wenigstens Max zuzugeben, dass das kleine Ingenieurbüro, das er nach seinem Maschinenbaustudium gegründet hatte, bislang nur rote Zahlen schrieb.

Weitere zehn Jahre später traf man sich wieder. Diesmal versuchte erst gar niemand so zu tun, als sei alles in Ordnung. Der Mathelehrer hatte sich auf seine alten Tage wieder seiner Ex-Frau zugewandt, Angela studierte per Fernuniversität Japanisch, Martins Anwaltskanzlei hatte zu wenig Klienten, weshalb Martin jetzt dabei war, seinen Lebenstraum zu verwirklichen und eine Tauchschule auf den Malediven aufzumachen. Eva hatte im Lauf der vorgeschriebenen Eigenanalyse herausgefunden, dass sie eigentlich Frauen liebt. Und die kleine Firma von Max war endgültig pleitegegangen, nachdem Max die Frau seines Kompagnons geschwängert und sich alle zerstritten hatten. Der Abend war viel lustiger als der erste. Keiner versuchte dem anderen mehr vorzumachen, dass sein Leben nach Plan verlaufe. Es herrschte eine anarchische Freude daran, dass es offenbar gar nie einen Plan gegeben hatte. Das war uns jetzt klar geworden.

Meine Generation, in den fetten 60er Jahren geboren, hatte Großes vor. Unsere Eltern, im Krieg geboren und im Wirtschaftswunder herangewachsen, gaben uns den Glauben an Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit mit. Wer will, der kann, sie hatten es uns vorgemacht. Es würde jetzt immer bergauf gehen. Wir bekamen eine erstklassige Schulbildung, wir waren von klein auf perfekt versorgt mit Schluckimpfungen und Schulzahnarzt, mit Fahrradpass und Dr. Sommer, mit Tanzkurs und der Pille, mit Weltspartag und Bausparvertrag.

Es kam dann einiges dazwischen. Die Wirtschaft brach ein. Die Scheidungsziffern schnellten nach oben. Die Arbeitslosigkeit stieg auf Rekordhöhe, der Neue Markt implodierte. Und so fragen wir uns, wenn wir uns heute treffen, nicht nur: Wann hast du geheiratet? Sondern auch: Wann habt ihr euch scheiden lassen? Wann hast du den tollen Job bekommen – und wann hast du ihn verloren?

Scheitern gehört mittlerweile zur Normalbiografie. Es ist kein individuelles Versagen mehr, es ist der Preis der Freiheit. Weil wir so gut ausgebildet worden sind und uns angeblich alle Türen offen stehen – eben deswegen gehen wir ab und zu mal durch eine falsche. Weil wir uns durch keinen materiellen Zwang und durch keine religiöse Norm mehr an eine unglückliche Ehe gebunden fühlen – beenden wir sie im Zweifelsfall und gehen mit dem Nächsten. Anything goes. Deshalb geht auch manches schief. Und wenn Plan B nicht funktioniert, gibt es auch noch C und D.

Kein Lebensweg ist heute mehr linear. Permanent erfinden wir uns selber neu, jonglieren mit Liebe, Arbeit, Lernen (gerne »lebenslang«), Kindern, Eltern. Die Multi-Options-Gesellschaft zwingt uns jeden Tag zu unzähligen Entscheidungen – und jede einzelne kann sich im Nachhinein als genau die falsche herausstellen. Wählen wir den Handytarif E-plus oder Alice, gehen wir walken oder ins Fitnessstudio, kochen wir mit dem Wok oder mixen wir Bärlauchpesto, fliegen wir für 29 Euro nach Venedig oder nach Wien? Was für ein Privileg, so viele Freiheiten zu haben – aber wer so viele Versuche offen hat, der muss auch mit ein paar Irrtümern leben können.

Noch ist das Scheitern in Deutschland nicht wirklich salonfähig. Auf der Bühne, im Roman, im Comic – klar, saukomisch dieser Donald Duck, legendär der tapsige Charlie Chaplin, ein herrlich überforderter Versager, dieser Homer Simpson. Wenn sich bei ›Uups, die Pannenshow‹ ein Heimwerker nach dem andern von der Leiter manövriert, brüllen wir vor Schadenfreude. Und auch die gescheiterten Ehen der Fußballprofis und Fernsehmoderatoren erfüllen uns mit großer Genugtuung. Guck mal, die. Peinlich. Wir aber, wir sind dagegen die strahlenden Helden. Wären wir jedenfalls gern.

Wehe, wir selber stehen mit Mitte 40 ohne festen Job da. In Holland wären wir die Helden: Der traut sich was, der fängt noch mal von vorn an. In Deutschland ist er – gescheitert. Peinlich. Wehe, wir sind schweineglücklich mit der neuen Liebe. In Amerika würden sie sagen: Hey Baby, enjoy it. In Deutschland regiert der Neid: Wie, der hat sich getraut wegzugehen. Aha, erste Ehe gescheitert?

Im verzagten Deutschland geht man noch immer lieber den sicheren Weg. Während die 20-Jährigen von heute alle Unsicherheiten haben, betonieren sich die 50-Jährigen in der Bastion ihrer vermeintlich sicheren Jobs ein. Während alle Welt darauf reagiert, dass Familien heute anders aussehen als vor 50 Jahren, propagieren wir weiter die Rama-Familie: mit einem Brötchenverdiener und einer Hausfrau. Auf sie ist das Steuersystem, die Krankenversicherung und die Waschmittelwerbung ausgerichtet. Nur richtig Weiß macht glücklich. Bloß nicht dran rütteln.

Dieses bräsige Verharren haben österreichische Werber vor kurzem zu der genialen Kampagne »Hättiwari« verarbeitet: Der »Hättiwari« ist ein Verbalakrobat, einer, der immer nur redet, statt zu handeln. Aber ein Volk von Hättiwaris erfindet kein Auto und keine Symphonie und entdeckt keine neuen Landkarten. Wer aus Angst vor dem Stolpern gar keine Sprünge macht, kann sich auch gleich lebendig begraben lassen.

Obwohl alle Biografien inzwischen Brüche haben, obwohl jeder Umwege geht, gilt als Ziel nach wie vor: der Traum von den eigenen vier Wänden. Die Suche nach dem Mr Right. In acht Wochen zur Bikini-Figur. Kochen wie die Profis. Ihr Sohn wird später Flugzeuge bauen, Sie können jetzt schon eine Versicherung abschließen. Alles gar nicht zu schaffen.

Zumindest ist es tödlich langweilig. Das Scheitern ist viel interessanter als der Erfolg, soll der englische Dandy Max Beerbohm gesagt haben. Auf jeden Fall ist es sehr viel lustiger.

... die Welt zu retten

Ich hatte einen Plan, und der ging so: Die Welt, die ich in einem ziemlich maroden Zustand vorfand, sollte ein bisschen besser aussehen, wenn ich dereinst wieder abtrete. Retten wäre zu hoch gegriffen, ich bin ja nicht Jesus. Aber sagen wir: Was die Gerechtigkeit angeht, hätte sie vielleicht ein Update verdient. Eine aktuellere Version der Programme arm-reich, Mann-Frau, oben-unten, doch, doch, so viel müsste schon drin sein.

Die Idee an sich war vielleicht schon ein bisschen verwegen, aber der Weg dahin war definitiv naiv. Ich bin in den wilden 70ern aufgewachsen, als speziell Frauen dachten, es sei einfach nur das falsche Geschlecht am Ruder. Würden erst mal massenhaft Frauen Abitur machen, studieren und Vorstandsvorsitzende werden, sähe die Welt besser aus. Stiege mehr Farbe aus schwarzen Staatskarossen, gäbe es mehr zu lachen auf Parteitagen und mehr Spaß in deutschen Betten. Kurz: Dürften Frauen überall mitspielen, käme so richtig Musik in die Bude.

Letzteres übrigens ist eingetreten. Wo auch immer wir Frauen hinkommen, steigt der Lärmpegel, es ist unentwegt ein Geschnatter und Gekicher. Bloß die Welt sieht immer noch so aus, obwohl wir Frauen brav Abitur gemacht und studiert haben. Weil ziemlich wenige von uns da oben angekommen sind, wo man auf die entscheidenden Tasten drücken und das neue Programm laden kann.

Das liegt schon mal daran, dass Frauen selbst im Vorzimmer der Macht immer noch das Dienstmädchen spielen. Ich werde nie vergessen, wie ich mit einer Gruppe hochkarätiger Kolleginnen das Bundeskanzleramt besichtigte, geführt von einer immens klugen Frau, der Architektin Charlotte Frank. Frauen hätten sie vieles fragen können über die höchste Macht im Staate und ihre architektonische Inszenierung. Aber was wollten die Kolleginnen als Erstes wissen: »Uiuiui, so viele Fenster – wie kriegt man die denn geputzt?«

Dabei muss man schon froh sein, wenn Frauen eine sachliche Frage stellen, ohne vorweg zu betonen, wie doof sie sind. Denn auch das hält unser ganzes Geschlecht kollektiv davon ab, es nur einen Schritt weiterzubringen. Natürlich sind manche Frauen doof, aber das ist nicht schlimm, weil auch sehr, sehr viele Männer doof sind. Männer setzen als Vorstandsvorsitzende 50 Millionen Euro in den Sand, werden erst nach zehn Jahren gefeuert und nennen dies anschließend ein »perfektes Timing«. Frauen dagegen kommen zu einem Vortrag, haben die Folien vergessen, stellen sich ans Pult und sagen erst mal: »Ich bin so doof, ich habe tatsächlich die Folien im Büro liegen lassen.« Das würde kein Mann sagen. Männer würden sich denken, dumm gelaufen. Oder per Taxi unauffällig die Folien beschaffen. Würden im Zweifelsfall behaupten, Folien seien sowieso derart aus der Mode und würden neuesten amerikanischen Wahrnehmungsstudien zufolge nur ablenken vom Inhalt des Vortrags. Deshalb hätten sie spontan beschlossen, das Publikum herauszufordern und frei zu sprechen. Irgendwas in der Art. Aber nie, nie, nie würden Männer behaupten, dass sie doof doof doof sind.

Genau das schrieb mir bei der ersten Lesung meines ersten Buchs die Verlagsfrau, die für nichts anderes bezahlt wird, als Bücher zu Lesungen zu schicken. »Doof doof doof« stand schon in der Betreffzeile der E-Mail. Sie hatte vergessen, die Bücher rechtzeitig loszuschicken. Das ist übrigens ein Standardfehler bei Lesungen, und man ist schon erstaunt. Eine Lesung ohne Buch ist wie die Detroit-Motor-Show ohne Autos. Würde Männern nicht passieren. Zumindest würden sie’s nicht zugeben. Frauen schon.

Frauen laden mich gerne zu richtigen Weltrettungsveranstaltungen ein. Und ich komme ja auch gerne. Erzähle von der Pisa-Studie, von Erziehungs-Katastrophen oder Gewalt gegen Frauen. Große Themen, die schon mal ein bisschen kleiner aussehen, wenn man auf dem Plakat das O in meinem Namen mit rotem Buntstift ausmalt und noch ein Strichweiblein daneben kritzelt. Oder den Ort der Veranstaltung vergisst und – blöd blöd blöd – der Lokalzeitung aus Versehen den Titel der Folgeveranstaltung durchgibt. »Keine Ahnung, wie das passieren konnte«, seufzt dann die Veranstalterin, und man sitzt da mit 30 Frauen, die etwas über den Aufstand der Mütter von der Plaza de Mayo wissen wollen. Das ist natürlich auch eine Weltrettungsveranstaltung, eine sehr ehrenwerte sogar – bloß blöd, dass ich da jetzt auf der Bühne sitze und Lustiges aus meinem Erziehungsalltag erzählen will.

Allerdings ist das alles besser als vor nur drei Leuten zu sitzen, die sich bei strömendem Regen durch ein unwirtliches Kasernengebiet in jene aufwendig renovierte Kulturscheune gequält haben. Denen man eigentlich einzeln gratulieren müsste und sie links und rechts küssen. Auf keinen Fall haben sie verdient, dass die Frauenbeauftragte zur Begrüßung den drei Aufrechten erst mal sagt: »Also, ich bin nicht schuld daran, dass heute Abend so wenig gekommen sind.«

Ganz suspekt sind mir inzwischen die zahlreichen großen Wir-retten-die-Welt-Veranstaltungen. Die werden, man glaubt es kaum, nach wie vor finanziert von der EU, der UNO oder dem Bundesfrauenministerium. Es trifft sich regelmäßig derselbe Club von circa 50 Weltretterinnen, die quer durch die Welt jetten, um sich in jeweils relativ identischer Besetzung gegenseitig mit vielen bunten Karten zu beweisen, dass die Welt sehr, sehr schlecht ist. Und wehe, da schert eine aus. Neulich war ich auf einer Konferenz, bei der ein paar euphorische Polinnen, Tschechinnen und Ungarinnen sagten, sie fühlten sich eigentlich gar nicht so diskriminiert. Die Mädels waren Anfang 20, hatten coole schwarze Brillen, eine sehr große Klappe und einen Ausbildungsplatz beim Radio. Große Empörung bei den Weltretterinnen. Wie jetzt – nicht diskriminiert? Kennen Sie denn das CEDAW-Protokoll? Ratlosigkeit bei den jungen Osteuropäerinnen – sie kannten den iPod, sie kannten MTV und sie kannten den DAX. Aber die »Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (CEDAW)« – ne, hatten sie noch nix von gehört. Siehste mal, triumphierten die Weltretterinnen, deshalb wisst ihr auch noch gar nicht, wie schlecht es euch geht.

Inzwischen glaube ich: Die meisten Frauen wollen gar nicht, dass die Welt gerettet werden soll. Dann müssten sie sich ja glatt ein anderes Thema suchen. Solange die Welt schlecht ist, können sie zur UNO-Weltfrauenkonferenz nach Peking fahren und darüber reden, dass die Welt schlecht ist. Fünf Jahre später können sie in derselben Besetzung nach New York fahren und »Peking plus fünf« begehen. Zum Glück stellt sich in New York heraus, dass seit Peking nix besser geworden ist. Deshalb trifft frau sich weitere fünf Jahre später zu »Peking plus zehn«, diesmal in Berlin. Das Eröffnungspodium heißt dreisterweise »Ich war in Peking«. Reicht offenbar schon als Programm. Man stelle sich mal vor, Männer würden ein Forum »Ich war in Davos« nennen.

Und so erkläre ich die Idee, mit anderen Frauen für eine bessere Welt zu kämpfen, vorerst für gescheitert. Die meisten wollen gar keine bessere Welt – eine schlechte kommt ihren Interessen weitaus mehr entgegen.