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ISBN 978-3-7065-5850-1

Buchgestaltung nach Entwürfen von hoeretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol

Satz: Studienverlag/Da-TeX Gerd Blumenstein, Leipzig

Umschlag: Studienverlag/hoeretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol

Umschlagabbildungen:

Reihe 1 von links nach rechts: ICT&S Center Salzburg, Gertraud Diendorfer, ICT&S Center Salzburg

Reihe 2: Demokratiezentrum Wien

Reihe 3 von links nach rechts: Gertraud Diendorfer, ICT&S Center Salzburg

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Gertraud Diendorfer/Manfried Welan (Hg.)

Demokratie und Nachhaltigkeit

Verbindungslinien, Potenziale und Reformansätze

Einleitung

Das Themengebiet Demokratie und Nachhaltigkeit ist ein sehr breites Feld mit unterschiedlichen Positionen und Zugängen. Einige davon werden im vorliegenden Sammelband aufgegriffen und diskutiert. Neben einer eingehenden Beschäftigung mit dem Begriff der Nachhaltigkeit an sich wird dessen Verhältnis zu demokratiepolitisch relevanten Forschungsfeldern herausgearbeitet: der Weiterentwicklung demokratischer Instrumente einerseits sowie neuen Konzepten von Staatsbürgerschaft und Citizenship und ihren Implikationen für Bildung andererseits.

Nachhaltigkeit kann als ein zentrales handlungsleitendes Prinzip für ein menschenwürdiges Leben verstanden werden. Als solches spielt das vieldiskutierte Konzept in verschiedenen Bereichen und auf verschiedenen Ebenen eine Rolle. Nachhaltigkeit ökologisch verstanden bezieht sich meist auf den ressourcenschonenden Umgang mit dem Lebensraum Erde. Nachhaltigkeit in einem ökonomischen Sinne bezieht sich auf das Verhältnis von Demokratie und Wirtschaft und fokussiert auf eine aus dem Blickfeld gerückte Kontrolle der Wirtschaft durch das demokratische System. Nachhaltigkeit kann aber auch sozial verstanden werden – hierbei rücken Begriffe wie Solidarität oder soziale Gerechtigkeit in den Vordergrund. Zusammengefasst geht es um die zukünftige Balance zwischen ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Zielen.

Nachhaltigkeit, verstanden als handlungsleitendes Prinzip in den verschiedenen Bereichen, funktioniert nur, wenn Bürger und Bürgerinnen in Entscheidungsprozesse eingebunden und dazu fähig und bereit sind, sich am Prozess der nachhaltigen Entwicklung zu beteiligen. Neben dem Wissen darüber, wie der/die einzelne BürgerIn zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen kann, beeinflussen aber auch andere Faktoren wie beispielsweise die Höhe des Einkommens und gesellschaftliche Stellung, Zeit und Muße sich zu engagieren, die Möglichkeiten und Bereitschaft der BürgerInnen, sich am Prozess einer nachhaltigen Entwicklung zu beteiligen. Welche Rolle aber spielt in diesem Zusammenhang ein demokratisches System? Kann Demokratie in Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung einen Beitrag leisten und wenn ja wie? Gerade in der Revitalisierung von Teilhabe und Mitsprache, also demokratischer Partizipation, Repräsentation und Legitimation, sehen manche Chancen sowohl für die Demokratie als politisches System als auch für eine nachhaltige Entwicklung.

Dieser Sammelband geht daher auch der Frage nach, inwieweit demokratische Strukturen in der Lage sind, eine nachhaltige Gesellschaftsform zu organisieren oder zu fördern, wie umgekehrt eine nachhaltige Entwicklung demokratische Strukturen stärken kann und welche Rolle dabei kommunale und regionale Initiativen und Konzepte spielen.

Nach einem einleitenden Beitrag von Susanne Reitmair-Juárez, in dem verschiedene Definitionen und Kontexte des vielfältig verwendeten Begriffs der Nachhaltigkeit vorgestellt und diskutiert werden, beschäftigt sich der Politologe Ulrich Brand kritisch mit global governance als möglichen Weg zu einer nachhaltigen Demokratie. Im Zuge einer immer stärker voranschreitenden Globalisierung auf allen Ebenen der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik entstehen neue wissenschaftliche Ideen und politische Ansätze, wie die Politik darauf reagieren kann oder soll. Als stärkstes Konzept – auch in der Praxis – hat sich bisher global governance erwiesen: „Regierungsarbeit“ ist nicht mehr auf die nationalstaatliche Ebene beschränkt, sondern ist zunehmend auf internationale Zusammenarbeit im Mehrebenensystem angewiesen. Häufig wird damit auch die Hoffnung verbunden, dass universale Normen und Werte wie Menschenrechte oder Demokratie dabei stärker handlungsleitend seien. Das Potenzial des Konzeptes der global governance für eine Demokratisierung der internationalen Beziehungen wird vom Autor näher beschrieben und ausgeführt, der konkrete Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit, exemplifiziert am Beispiel der internationalen Klimapolitik, wird aber äußerst kritisch und bescheiden eingeschätzt.

Es folgen Beiträge und Analysen, die sich mit Demokratieentwicklung und nachhaltigen Beteiligungsformaten auseinandersetzen. In vielen Staaten wird immer wieder der Ruf nach Reformen des demokratischen Systems laut. Vielfach werden Krisenerscheinungen der repräsentativen Demokratie diagnostiziert, wie etwa sinkende Wahlbeteiligung oder „Politikverdrossenheit“. Im Beitrag der Politikwissenschaftlerin Sigrid Baringhorst zur Nachhaltigkeit durch politischen Konsum und Internetaktivismus wird daher die Frage gestellt, vor welchen Herausforderungen die repräsentative Demokratie derzeit steht und welche Wünsche und Bedürfnisse die Gesellschaft heute an Partizipationsmöglichkeiten äußert. Der Beitrag zeigt mögliche alternative Partizipationsformen, wie bewussten Konsum oder Möglichkeiten des Web 2.0, auf und analysiert deren Stärken und Schwächen als nachhaltige Instrumente zur demokratischen Beteiligung. Dabei werden der Wunsch und die Notwendigkeit zu vermehrter politischer Beteiligung mit den gewandelten Möglichkeiten und Realitäten des 21. Jahrhunderts in Beziehung gesetzt. Häufig wird die Weiterentwicklung bzw. Stärkung von direktdemokratischen Instrumenten dabei als wichtiger Schritt zu einer „nachhaltigen Entwicklung“ von Demokratie gesehen. Der Beitrag von Christoph Konrath zeigt verschiedene Ansätze zu Reformprojekten in verschiedenen Staaten auf, insbesondere in Österreich, ergänzt um Reformprojekte in Finnland und Irland, und zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den dahinterstehenden Überlegungen und Zielsetzungen.

Die Forderung nach mehr und intensiverer Beteiligung von BürgerInnen und zivilgesellschaftlichen Initiativen wirft die Frage nach notwendigen Rahmenbedingungen und Strukturen auf, die für eine nachhaltige Entwicklung solcher Prozesse notwendig sind. Evaluierungen von bereits abgehaltenen Beteiligungsformaten wie etwa BürgerInnenräte haben gezeigt, dass die Faktoren Bildung, Einkommen, und Geschlecht die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, einer Einladung zur Beteiligung tatsächlich zu folgen. Der Beitrag von Eva More-Hollerweger analysiert, welche Rahmenbedingungen dazu beitragen, dass zivilgesellschaftliches Engagement von Individuen, Gruppen oder Organisationen im Dreieck der Interessen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gestärkt auftreten kann.

Ein konkretes Praxisbeispiel dazu liefert der Politikwissenschaftler und Aktivist Bruno Kaufmann mit der Beschreibung der Aktivitäten in der „Demokratiestadt“ Falun. Die schwedische Stadt Falun möchte eine Democracy City werden und hat es sich zum Ziel gesetzt, ihre BürgerInnen zu aktivieren, für demokratische Prozesse auch und gerade auf der kommunalen Ebene zu interessieren und ihre Vorschläge und Wünsche bei der Konzeption von Projekten einzubeziehen. Aktive Bürger­beteiligung wird als die Software bezeichnet, welche die Hardware (die repräsentative Demokratie) ergänzen und ausgestalten müsse.

Ein anderes Praxisbeispiel liefert die Raumplanerin Barbara Saringer-Bory mit der Smart City Wien. Wachsende Städte wie Wien, stehen auch vor enormen Herausforderungen, wie etwa steigendem Ressourcenverbrauch und neue Anforderungen an eine nachhaltige Stadtentwicklung. Das Konzept der Smart Cities versucht, durch produktiven Einsatz von innovativen Technologien vorhandenes Wissen und Strukturen zu bündeln und weiterzuentwickeln, dabei ressourcenschonend vorzugehen und im Sinne der Nachhaltigkeit und der Steigerung der Lebensqualität eine ganzheitliche Sichtweise einzunehmen. Die Stadt Wien hat ebenfalls Smart City-Projekte entwickelt und sieht sich hier in einer Vorreiterrolle. Der Beitrag geht der Frage nach, inwiefern das Konzept der Smart Cities geeignet ist, Fragen der Nachhaltigkeit und der gesellschaftlichen Weiterentwicklung zu beantworten und welchen Mehrwert die verstärkte Einbindung von BürgerInnen in die Stadtentwicklung für deren Nachhaltigkeit bringt.

Zwei abschließende Beiträge befassen sich mit dem Aspekt der Bildung im Kontext von Demokratie und Nachhaltigkeit. Bildung vermittelt Menschen das notwendige Wissen und Kompetenzen, um die Gesellschaft künftig mit gestalten zu können. Bildung ist somit ein gesellschaftlicher Prozess und beeinflusst wesentlich mit, wohin eine Gesellschaft sich künftig entwickeln wird. Der Artikel von Franz Rauch beleuchtet die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft sowie zwischen Bildung und Gesellschaft. Welche Rolle Bildung bei der Gestaltung der künftigen Gesellschaft spielt, wird am Konzept „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung – BNE“ dargestellt.

Der abschließende Beitrag von Gertraud Diendorfer und Susanne Reitmair-Juárez gibt einen Überblick über die Herausforderungen, welche an historisch gewachsene und nationalstaatlich strukturierte Konzepte von Staatsbürgerschaft gestellt werden und zeigt auf, dass auch auf staatlicher bzw. internationaler Ebene eine nachhaltige Weiterentwicklung von Strukturen und Prozessen im Gang ist. Das Konzept der Global Citizenship Education bietet einen möglichen Rahmen, um „Staatsbürgerschaft“ global und in Mehrfachidentitäten zu begreifen und dieses breite Verständnis von Citizenship in das Bildungssystem zu integrieren und dergestalt auf nachhaltige Entwicklung hinwirken zu können. Damit wird das Verhältnis zwischen Bildung und Gesellschaft aus der Perspektive der Global Citizenship Education analysiert.

Gertraud Diendorfer, Manfried Welan

März 2016

Susanne Reitmair-Juárez

Nachhaltigkeit – ein vielseitiger Begriff

Mit dem Erstarken der Ökologie- und Grünbewegungen in den 1980er Jahren und der Durchsetzung der allgemeinen Erkenntnis, dass die Ressourcen auf unserer Erde nicht unendlich sind, erstarkte auch die Debatte um den Begriff der Nachhaltigkeit. In verschiedensten gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Debatten und Politikfeldern taucht das Adjektiv „nachhaltig“ seitdem auf. Nachhaltigkeit ökologisch verstanden bezieht sich meist auf den ressourcenschonenden Umgang mit dem Lebensraum Erde. Nachhaltigkeit in einem ökonomischen Sinne bezieht sich auf die effiziente Nutzung von begrenzten Ressourcen. Nachhaltigkeit kann aber auch sozial verstanden werden – hierbei rücken Begriffe wie Solidarität oder soziale Gerechtigkeit bzw. Generationengerechtigkeit in den Vordergrund. Darüber hinaus wird Nachhaltigkeit oft als Teil des demokratischen Wertekanons oder als handlungsleitendes Prinzip für soziale Gerechtigkeit bezeichnet. Der Begriff der Nachhaltigkeit hat sich in wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Diskursen in den letzten Jahrzehnten etabliert und hat sich auch in den Medien und dem allgemeinen Sprachgebrauch weitgehend durchgesetzt. Häufig wird der Begriff aber verwendet, ohne ihn inhaltlich zu definieren oder einzugrenzen.

Dort setzen auch die Kritiken des Begriffs an: Nachhaltigkeit sei zu einem Modewort verkommen und inzwischen zu umfassend geworden. Für ein analytisches Konzept oder gar ein „handlungsleitendes Prinzip“ sei der Begriff daher zu breit. Dieser Text leistet Begriffsarbeit und versucht das Konzept der „Nachhaltigkeit“ in seinen verschiedenen Aspekten und Kontexten inhaltlich zu fassen. Dies soll zu einer definitorischen Basis für die folgenden Texte dieses Bandes beitragen.

Die Anfänge des Nachhaltigkeitsbegriffs

Etwa im Jahr 1713 verfasste Hans Carl von Carlowitz, Oberberghauptmann im damaligen Königreich Sachsen, eine Abhandlung über wirtschaftlichen Waldbau. Die Förderung von Bodenschätzen war im damaligen Sachsen die Grundlage des wachsenden Wohlstands, war aber an die ausreichende Verfügbarkeit von Brennholz, also genügend Wald, gebunden. Deshalb verfasste Carlowitz einen Text über „continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung“ (von Carlowitz/Hamberger 2013: 26) des Waldes als Grundlage dieses wichtigen Wirtschaftszweigs (Bauchmüller 2014: 3). Das Wort „nachhaltend“ wurde in dem Text wohl eher beiläufig verwendet und „erst durch retrospektive Konstruktion wurde aus der Formulierung die Geburtsstunde eines Fachbegriffs“. Im Lauf der Zeit entwickelte sich Nachhaltigkeit vor allem in der Forstwirtschaft zu einem wichtigen Prinzip (Uekötter 2014: 10).

Im beginnenden 19. Jahrhundert gab es auch noch eine andere Bedeutung von „Nachhalt“, nämlich im Sinne von „Reserve für den Notfall“. Das bedeutete, dass nicht die forst- oder montanwirtschaftliche Nutzung des Waldes im Vordergrund stehen sollte, sondern ein möglichst vielfältiger Wald, in dem die Menschen im Notfall verschiedenste Tiere und Pflanzen vorfinden würden, um einige Zeit überleben zu können. Die Debatte darüber, in welcher Weise die vorhandenen Wälder vornehmlich genutzt werden sollen, wurde noch über Jahrzehnte geführt. Letztlich setzte sich die Ansicht durch, dass der Wald kein öffentlich verfügbares Allgemeingut (im Sinne von Nachhalt oder Allmende), sondern möglichst effizient (nachhaltend) für die (Montan-) Wirtschaft eingesetzt werden sollte (Uekötter 2014: 11). Gleichzeitig markierte der Beginn der planmäßigen, effizienten Waldnutzung zu wirtschaftlichen Zwecken auch den Beginn der Forstwissenschaft.

Dieser kurze historische Exkurs zeigt einige Aspekte des Nachhaltigkeitsdiskurses, die bis heute wichtig sind: Erstens galt der ursprüngliche Gedanke der Wirtschaft (und nicht der Ökologie), zweitens kam die Aufforderung zur nachhaltigen Nutzung „von oben“, von staatlicher Seite und drittens wurden technische Neuerungen und Lösungsansätze (Forstwissenschaft) als eine Notwendigkeit für nachhaltiges Wirtschaften angesehen. Nachhaltigkeit wird also von Beginn an vorwiegend als ressourcenökonomisches Prinzip verstanden (Pufé 2014: 16).

Nachhaltigkeit als Konzept des 20. Jahrhunderts

Im 20. Jahrhundert etablierte sich der Begriff der Nachhaltigkeit nur langsam in Wissenschaft und Politik und in weiterer Folge auch im öffentlichen Diskurs. Im Jahr 1972 veröffentlichten WissenschaftlerInnen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) im Auftrag des Club of Rome eine Studie unter dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“. Darin wiesen die ForscherInnen unter Leitung von Dennis Meadows erstmals darauf hin, dass das vorherrschende Wirtschaftsmodell, das auf stetigem Wachstum und Ressourcenausbeutung basiert, früher oder später an seine natürlichen Grenzen stoßen würde. Es sei auf einer Welt mit begrenzten Ressourcen schlicht unmöglich, dass Bevölkerung, Wirtschaft und Wohlstand unbegrenzt wachsen könnten. Der Bericht entwarf mehrere Zukunftsszenarien, die jeweils einen sehr starken Abfall im Lebensstandard der Menschen und in der Anzahl der Weltbevölkerung prognostizierten, sollten bisherige Prinzipien und Strukturen des Weltwirtschaftssystems beibehalten werden. Dies war ein wichtiger erster Schritt für die moderne Nachhaltigkeitsdebatte, die stark auf die bereits wahrnehmbaren Umweltschäden und erste negative Auswirkungen der Globalisierung auf verschiedene Regionen der Welt fokussierte (Bauchmüller 2014: 3).

Als nächster wichtiger Schritt in der modernen Nachhaltigkeitsdebatte wird der Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft“ der World Commission on Environment and Development (so genannte Brundtland-Kommission) gesehen. Diese wurde von der UN-Generalversammlung beauftragt, sich mit dem Thema der „nachhaltigen Entwicklung“ zu befassen und veröffentlichte 1987 ihren Bericht. Darin erarbeitete die Kommission eine bis heute gängige Definition: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne die Fähigkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre Bedürfnisse zu befriedigen“ (UN World Commission on Environment and Development 1987: 37). Damit werden Aspekte der Generationengerechtigkeit sowie die ökonomische Dimension deutlich angesprochen. Zudem lässt die Formulierung „Bedürfnisse befriedigen“ auch Platz für einen breiteren Zugang beispielsweise in Richtung globaler Solidarität und Ökologie (Pufé 2014: 16). Diese Definition verdeutlicht außerdem eine Unterscheidung zwischen Prozess und Zustand: Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung „bezeichnet einen Prozess gesellschaftlicher Veränderung, während der Begriff der Nachhaltigkeit (…) einen Zustand beschreibt“ (Grunwald/Kopfmuller 2006: 7).

Der Bericht wurde zu einer „bewegten Zeit“ veröffentlicht: Einerseits hatten sich in den 1970er und 80er Jahren verschiedene Grünbewegungen in den (west-)europäischen Ländern formiert. 1983 zog die Grüne Partei in den deutschen Bundestag ein, 1986 in den österreichischen Nationalrat. Gesellschaftspolitisch wurden Fragen der Umwelt- und Energiepolitik verstärkt thematisiert. Besonders der so genannte „saure Regen“ und das Waldsterben waren (auch politisch) sehr wichtige Themen. Es wurden erstmals politische Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen, die durchaus dazu beitrugen, dessen Auswirkungen abzuschwächen, wie etwa der verpflichtende Einbau von Katalysatoren in Kraftfahrzeugen. Andererseits machten große Umweltkatastrophen wie etwa der Reaktorunfall in Tschernobyl mögliche Gefahren von neuen Technologien sichtbar und verdeutlichten auf drastische Weise die globale Verbundenheit (und Abhängigkeit) aller Menschen und aller Länder – auch über Generationen hinweg. Es wurde deutlich, dass die Folgen der menschlichen Handlungen für die Umwelt und auch für die Menschen nicht an nationalstaatlichen Grenzen Halt machen. Der Begriff der Nachhaltigkeit wurde in dieser Zeit jedoch noch nicht vorrangig verwendet, man sprach hauptsächlich von „Umwelt“ und „Ökologie“ (Uekötter 2014: 14).

UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung

Der nächste große Entwicklungsschritt für ein Konzept der Nachhaltigkeit war die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro. Eines der Ziele dieser Konferenz mit rund 10.000 Delegierten aus 178 Staaten war es, die Empfehlungen der Brundtland-Kommission hinsichtlich des Ziels einer „nachhaltigen Entwicklung“ weiterzuentwickeln und zu politisch und rechtlich verbindlichen Handlungsvorgaben zu finden. Am Ende der Konferenz wurden fünf Dokumente verabschiedet, die teils wichtige Prinzipien und Regelungen festschrieben, die bis heute als wegweisend in den Bemühungen um Umweltschutz, weltweite soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung gelten. Neben der Klimaschutzkonvention, die sich der Begrenzung der Klimaerwärmung widmet, der Biodiversitätskonvention, der Walddeklaration sowie der Vorbereitung für die Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung erlangten vor allem zwei Dokumente große internationale Bedeutung: Die Agenda 21 sowie die Deklaration über Umwelt und Entwicklung.

Die Deklaration über Umwelt und Entwicklung verankerte in 27 Grundsätzen erstmals das „Recht auf nachhaltige Entwicklung“ (sustainable development) für alle Menschen und legte für die Umweltpolitik unter anderem das Vorsorge- und das Verursacherprinzip fest, worauf bis heute internationale Verfahren im Umweltbereich beruhen. In dieser Deklaration wurde festgehalten, dass die Staaten der Welt zwar in unterschiedlichem Ausmaß zur globalen Umweltverschmutzung beitragen, dass aber alle Staaten eine gemeinsame Verantwortung für den Schutz des Planeten haben. Die Staaten verpflichten sich unter anderem, „nicht nachhaltige Produktionsweisen und Konsumgewohnheiten ab[zu]bauen und [zu] beseitigen und eine geeignete Bevölkerungspolitik [zu] fördern“ (Rio Deklaration 1992, Grundsatz 8). Weiters wird der Beitrag der Wissenschaft und des Technologietransfers zwischen Staaten zur Stärkung der nachhaltigen Entwicklung und des Umweltschutzes betont. Es wird allerdings auch daran festgehalten, dass nachhaltige Entwicklung dazu beitragen solle, das Wirtschaftswachstum auf der ganzen Welt (möglichst gleichermaßen) zu fördern. Dieser grundsätzliche Zugang zu Nachhaltigkeit und Umweltschutz, nämlich dass diese beiden Ziele eher eine Funktion, ein „Nebenprodukt“ des vorherrschenden Wirtschaftssystems, nicht aber handlungsleitendes (und damit möglicherweise auch begrenzendes) Prinzip wirtschaftlichen Handelns seien, wird bis heute von GlobalisierungskritikerInnen vehement angeprangert (siehe unter anderem den Beitrag von Brand in diesem Band). Die Deklaration scheint die Erkenntnisse des Berichts „Die Grenzen des Wachstums“ aus 1972 in dieser Hinsicht zu ignorieren, da nachhaltige und gerechte Nutzung der begrenzt vorhandenen Ressourcen nicht als vorrangiges Ziel oder Notwendigkeit formuliert wird, sondern nur als Mittel zu weiterem Wirtschaftswachstum verstanden wird.

Das zweite Dokument der UN-Konferenz aus 1992, das in Bezug auf Nachhaltigkeit langfristig einflussreich wurde, ist die so genannte Agenda 21. Sie stellt ein umfangreiches „Aktionsprogramm“ mit Handlungsvorschlägen für den sozialen, ökologischen und ökonomischen Bereich dar und fordert entschlossenes Handeln der jeweiligen Regierungen ein, um gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen AkteurInnen effektiv gegen Armut, Ungerechtigkeit, Umweltprobleme etc. vorzugehen und eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen zu erreichen. Explizit wird die Verantwortung an die Nationalstaaten übertragen, die im Zusammenspiel mit AkteurInnen der verschiedenen politischen Ebenen (von der Gemeinde bis zur internationalen Ebene), der Zivilgesellschaft und wissenschaftlichen Institutionen geeignete Aktionspläne und Programme erarbeiten und umsetzen sollen (Agenda 21, 1992). Während in der Deklaration über Umwelt und Entwicklung also die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung stark betont wurde, fokussiert die Agenda 21 auf die Beteiligung und Eigenverantwortung möglichst vieler AkteurInnen in diesem Prozess.

Die Erde als globale Allmende

Ab den 1970er Jahren beginnt also der Begriff der Nachhaltigkeit im internationalen Diskurs an Bedeutung zu gewinnen, wobei auf die Tatsache fokussiert wird, dass unser Planet und seine Ressourcen begrenzt sind und sich alle überlegen müssen, „wie sich eine wachsende Zahl von Menschen gemeinsam in der Welt einrichtet“ (Bauchmüller 2014: 5). Die Erde wurde als eine Art „globale Allmende“ verstanden. Eine nachhaltige und umweltschonende Nutzung der vorhandenen Ressourcen würde internationale Kooperation und Koordinierung von Politik und wirtschaftlichem Handeln erfordern, um eine gerechte Verteilung (zwischen den Menschen, aber auch zwischen Generationen) zu erreichen. Damit wären wiederum tiefgreifende Veränderungen der gegenwärtigen Wirtschaftsstrukturen und der ungerechten Verteilung von Wohlstand auf der Welt verknüpft. Stattdessen setzte sich bereits auf der UN-Konferenz von Rio de Janeiro 1992 ein ökonomisch-technologisches Verständnis von Nachhaltigkeit durch, das eher die Bewahrung von bekannten Strukturen und die Erhaltung von Wohlstand und bestimmten Lebensweisen (in einem Teil der Welt) durch „technischen Fortschritt“ zum Ziel hat (ebd.). Es werden zwar auf internationalen Konferenzen der Klimawandel und seine künftigen Auswirkungen auf die Menschheit selten bestritten und von WissenschafterInnen wie von PolitikerInnen werden entschlossene Maßnahmen zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung eingefordert. Diese Ankündigungen werden jedoch nur selten in konkrete, einschneidende politische Maßnahmen umgesetzt. Dies mag ein Grund sein, warum die Wissenschaft dazu übergegangen ist, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels zu beziffern, um sich in der Politik mehr Gehör zu verschaffen. Der ehemalige Weltbank-Ökonom Nicholas Stern publizierte beispielsweise im Auftrag der britischen Regierung 2006 die Studie Review on the Economics of Climate Change, in der er die wirtschaftlichen Folgen der globalen Erwärmung bis 2100 auf jährlich etwa 5,5 Billionen Euro schätzt (Stern 2006; Pufé 2014: 17). Damit verband sich die Hoffnung, dass konkrete Zahlen auch eher zu konkreten Maßnahmen führen würden.

Eine aus ökonomischer Perspektive häufig genannte Definition von Nachhaltigkeit, die den geforderten Paradigmenwechsel verdeutlicht, lautet: „Nachhaltigkeit bedeutet, nicht Gewinne zu erwirtschaften, die dann in Umwelt- und Sozialprojekte fließen, sondern die Gewinne bereits umwelt- und sozialverträglich zu erwirtschaften“ (Pufé 2014: 16). Die Umweltproblematik muss als Gesellschaftskrise und als politische Herausforderung verstanden werden, nicht als „Naturkatastrophe“ (Brunnengräber 2011: 95).

Nachhaltigkeit als handlungsleitendes Prinzip

Wenn man nun die verschiedenen historischen wie aktuellen Bedeutungen von Nachhaltigkeit zusammenfasst, wie sie in politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatten verwendet werden, so zeigt sich ein sehr vielfältiges und breites Konzept. Der Idee der Nachhaltigkeit liegt das Bewusstsein für die Endlichkeit natürlicher Ressourcen und für die „absoluten Grenzen der Belastbarkeit“ der Erde zugrunde, was wiederum Fragen der gerechten Verteilung von knappen Ressourcen aufwirft (Bauchmüller 2014: 4). Das bedeutet, dass neben der ökonomischen (nachhaltige Nutzung von Ressourcen) auch eine ökologische (Verhinderung oder Verringerung von Umweltschäden) sowie eine normative (globale Verteilung, soziale Gerechtigkeit, Generationengerechtigkeit, Solidarität) Komponente eine wichtige Rolle für das Verständnis von Nachhaltigkeit spielen. Es geht eben nicht nur um die ökonomisch effiziente und ökologisch verträgliche Nutzung von Ressourcen, sondern es geht auch um die Verteilung von Wohlstand, um den Zugang zu Ressourcen, um die Gewährleistung bzw. Ermöglichung eines menschenwürdigen Lebens für alle Menschen auf der Welt. Es geht um Gerechtigkeit, Solidarität und um eine grundlegende Wertedebatte: Etwa 1,37 Milliarden Menschen (das sind etwa 25 Prozent der Weltbevölkerung) müssen täglich mit weniger als 1,25 US-Dollar auskommen. 2,56 Milliarden Menschen verfügen über weniger als 2 Dollar pro Tag. Dagegen haben etwa 15 Prozent der Menschen, vor allem im globalen Norden bzw. „dem Westen“, täglich etwa 75 Dollar zur Verfügung. Einer Studie der NGO Oxfam zufolge besitzen die 62 reichsten Menschen der Welt etwa so viel, wie die ärmeren 3,6 Milliarden Menschen (die halbe Weltbevölkerung) zusammen (Oxfam 2016). Solche Zahlen verdeutlichen die extreme globale Ungleichheit, die durch die Folgen des Klimawandels in Zukunft noch verstärkt wird (Leist 2011: 36).

Gleichzeitig erfordert nachhaltiges Handeln (egal ob aus wirtschaftlicher oder aus politischer Sicht) einen Perspektivenwechsel der Akteure: Welche Auswirkungen haben unsere Handlungen auf Menschen, auf Gesellschaften, auf die Umwelt in anderen Regionen der Welt? Welche Auswirkungen hat das menschliche Handeln der Gegenwart auf künftige Generationen? Nachhaltigkeit beruht auf einer langfristigen und umsichtigen Perspektive und stellt somit auch ein handlungsleitendes Prinzip dar, das unsere Handlungen mitunter begrenzen sollte. Gleichzeitig ist eine Verknüpfung von globalen und lokalen Handlungsansätzen möglich und notwendig (Glokalität). Diese Prinzipien des Nachhaltigkeitskonzepts erfordern wiederum eine Identifikation möglichst vieler Menschen und deren aktive Einbeziehung in die Entwicklung von nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensformen (Pufé 2014: 20). Wie bereits in der Agenda 21 herausgearbeitet wurde, kann Nachhaltigkeit zwar als Ziel oder handlungsleitendes Prinzip „von oben“ vorgegeben werden, für die Umsetzung braucht es aber die Beteiligung und Identifikation einer großen Bandbreite an AkteurInnen. Neben den vielfältigen inhaltlichen Aspekten von Nachhaltigkeit, die bereits herausgearbeitet wurden, ist daher als methodischer Zugang die Beteiligung der Menschen (als BürgerInnen) an nachhaltigen Konzepten zentral. Bei der Abschätzung von Folgen unseres heutigen Handelns sowie bei der Verhinderung oder Verminderung von Umweltschäden oder von negativen Auswirkungen auf Menschen spielen wiederum technische und wissenschaftliche Lösungen eine große Rolle im Diskurs um nachhaltige Entwicklung (Bojanowski 2014: 8).

Nachhaltigkeit in der Wirtschaft

Inzwischen hat das Konzept der nachhaltigen Entwicklung auch auf die Wirtschaft Einfluss genommen – zumindest oberflächlich. Beispielsweise verfassen ca. 90 Prozent der Unternehmen, die im Deutschen Aktienindex DAX erfasst sind, so genannte Nachhaltigkeitsberichte, in denen die Bemühungen der Unternehmen für Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften aufgelistet werden (Bauchmüller 2014: 4). Es gibt einen Dow Jones Sustainability Index, der Firmen neben ihrer finanziell-ökonomischen Performance auch für ihre Nachhaltigkeitsstrategien bewertet (Pufé 2014: 18). Viele Unternehmen betreiben auch ökologische „Kompensationsprogramme“, wie etwa regelmäßig Bäume pflanzen zu lassen, um den Verbrauch von Papier und anderen Rohstoffen in der täglichen Arbeit zu kompensieren. Manchmal erscheint es schwierig, tatsächlich ernst gemeinte Bemühungen von PR-orientiertem greenwashing von Firmen-Images zu unterscheiden (Bauchmüller 2014: 4). Die bestehende Konjunktur des Nachhaltigkeitsbegriffs und seine (manchmal unreflektierte) Anwendung in immer neuen Kontexten könnten zu einer Überdehnung des Konzepts führen, sodass letztendlich alles und nichts mit „nachhaltiger Entwicklung“ gemeint sein kann. Um zu verhindern, dass der Nachhaltigkeitsbegriff zu einer „Leerformel“ verkommt, schlagen die Bildungs- und KommunikationswissenschaftlerInnen Erben und de Haan vor, folgende Fragen zu stellen und gesellschaftlich auszuhandeln (Erben/de Haan 2014: 21f):

Führt das Handeln – ob individuell, auf Seiten der Wirtschaft, der politischen Steuerung, in den Institutionen – zu einer Reduktion des ökologischen Fußabdrucks (footprint)?

Dient das staatliche, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Handeln der Steigerung der Wohlfahrt und des Wohlbefindens, also der Verbesserung der Lebensqualität?

Befördert das Handeln in der Politik, in den Unternehmen, in den Institutionen und zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüssen die Teilhabe aller an den Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen (handprint)?

Demokratie und Nachhaltigkeit

Wie bereits festgehalten, braucht der Prozess der nachhaltigen Entwicklung bzw. der nachhaltigen Veränderung bestehender Strukturen die Beteiligung und Identifikation möglichst vieler Menschen. Dies ist Grundlage der Agenda 21, die der Beteiligung der Zivilgesellschaft großen Stellenwert beimisst (Agenda 21, 1992) und wird von einigen AutorInnen als eine Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung von neuen, nachhaltigen Konzepten in Politik und Wirtschaft angesehen. So beschreiben beispielsweise Leggewie und Welzer politische und bürgerschaftliche Partizipation als integralen Bestandteil einer „Klimapolitik von unten“ (Leggewie/Welzer 2008/2009: 29). Demnach könne der Umbau der Industriegesellschaft nur funktionieren, „wenn er als Projekt angelegt wird, in das sich die Gesellschaftsmitglieder identitär einschreiben können, ihn also als ihr Projekt begreifen (…). Das wiederum geht nur, wenn das Politikangebot partizipatorisch und aktivierend gedacht ist“ (Leggewie/Welzer 2008/2009: 30). Nachhaltigkeit – verstanden als handlungsleitendes Prinzip – funktioniert also nur, wenn Bürger und Bürgerinnen in Entscheidungsprozesse eingebunden werden und dazu fähig und bereit sind, sich am Prozess der nachhaltigen Entwicklung zu beteiligen. In dieser Herangehensweise wird das Konzept der Nachhaltigkeit stark mit Partizipation sowie mit demokratischen gesellschaftlichen Prozessen verknüpft. „Der Nachhaltigkeitsgedanke beruht letztlich auf einer außerwissenschaftlichen, lebensweltlichen Vision und seine Umsetzung bedarf eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses“ (Jessel 2013: 73). Dies ist auch ein Grundgedanke dieses Buchs. Häufig wird zwar ein schleichender Erosionsprozess der Demokratie beobachtet, da „mehr und mehr Politikbereiche aus den Parlamenten ausgelagert und der vermeintlichen Expertise externer Kommissionen unterstellt werden“ (Müller 2011: 16); aber gerade in der Revitalisierung von Teilhabe und Mitsprache, also demokratischer Partizipation, Repräsentation und Legitimation werden Chancen sowohl für die Demokratie als politisches System als auch für eine nachhaltige Entwicklung gesehen.

Demgegenüber attestieren andere AutorInnen gerade der demokratischen Regierungs- und Gesellschaftsform mangelnde Fähigkeit zur nachhaltigen Ausrichtung. Dies wird zum einen mit Parteien-, Politik- und Demokratieverdrossenheit argumentiert, zum anderen wird der Demokratie als Herrschaftsform attestiert, sie sei zu gegenwartsfixiert und richte sich nach der aggregierten Mehrheit, die allerdings nur selten mit vernünftigen Maßnahmen im Sinne einer langfristigen nachhaltigen Entwicklung vereinbar wäre (Embacher 2009; Blühdorn 2010: 47; Hausknost 2011). Der Politikwissenschafter Ingolfur Blühdorn plädiert für ein offenes Nachdenken über mögliche Grenzen der Demokratie bzw. demokratisch-partizipatorischer Ansätze auch und vor allem bei „nachhaltigen“ Politikfeldern wie der Umweltpolitik. Er nennt die langfristige Nicht-Lösung der Umweltkrise aufgrund einer „auf Dauer gestellten Politik der Nicht-Nachhaltigkeit“ als durchaus mögliche (wenn auch nicht erstrebenswerte) Alternative – besonders aufgrund der starken Konsumorientierung der Menschen und der tiefen Verankerung von „wirtschaftlichen Logiken“ in unseren Lebensweisen und Handlungen (Blühdorn 2011: 21). Es besteht zwar grundsätzlicher Konsens darüber, dass es mehr Nachhaltigkeit und drastische Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels brauche, jedoch ist es von diesem prinzipiellen Konsens noch ein weiter Weg zur Veränderung der eigenen Lebensgewohnheiten und der tatsächlichen Umsetzung von nachhaltigen Strategien (Erben/de Haan 2014: 21), wie auch die bisherige Darstellung der politischen Entwicklungen zeigte.

Freiheit der Menschen bedingt auch gesellschaftliche Verantwortung

Unsere Gesellschaft, das Wirtschaftssystem, die Umwelt, Technologien, etc. verändern sich stetig. Aufgabe des demokratischen politischen Systems ist daher unter anderem, auf diese vielfältigen Veränderungen zu reagieren bzw. diese Veränderungen in eine möglichst nachhaltige (in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht) Richtung zu beeinflussen. Wie bereits aufgezeigt, sind umfassende Veränderungsprozesse nur möglich, wenn die Mehrheit der Menschen sie mittragen, sich mit ihnen identifizieren und sie auch – zumindest bis zu einem gewissen Grad – mitgestalten können. Eine wichtige Frage, die daher anfangs gestellt werden muss, ist „Wie kann man den Prozess des Wandels so attraktiv gestalten, dass Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen die Zielrichtungen des Wandels aufnehmen und ihm Vorschub leisten?“ (Heinecke et al. 2013: 36). Demokratische Systeme garantieren die Freiheit der Menschen – mit dieser Freiheit geht aber auch eine gesellschaftliche Verantwortung einher. Ein wichtiger Aspekt in der Debatte um die Stärkung von Demokratie und Teilhaberechten im Sinne der Nachhaltigkeit sind daher die Rahmenbedingungen, welche sinnvolle und nachhaltige Teilhabe an demokratischen Prozessen (auf den verschiedenen politischen Ebenen) benötigen. Die Politologin Rita Trattnigg und die Historikerin Petra Schneider weisen dem entsprechend darauf hin, dass Partizipation keineswegs als Allheilmittel betrachtet werden dürfe, da entscheidend sei, „wer mit welchen Interessen woran partizipiert“ (Trattnigg/Schneider 2011: 7). Das ambivalente Verhältnis von Demokratie und Nachhaltigkeit bietet daher großen Spielraum für neue Modelle der (politischen) Partizipation, des (wirtschaftlichen) Handelns und der (persönlichen) Lebensführung.

Literatur

Bauchmüller, Michael (2014): Schönen Gruß aus der Zukunft. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Nachhaltigkeit. 64. Jhg. Vol. 31–32, S. 3–6.

Blühdorn, Ingolfur (2010): Nachhaltigkeit und postdemokratische Wende. Zum Wechselspiel von Demokratiekrise und Umweltkrise. In: vorgänge, Vol. 2, S. 44–54.

Blühdorn, Ingolfur (2011): Zur Zukunftsfähigkeit der Demokratie. Nachdenken über die Grenzen des demokratischen Optimismus. In: Trattnigg, Rita/Schneider, Petra (Hg.): Demokratie und Umweltkrise. Brauchen wir mehr Mitbestimmung? Wissenschaft & Umwelt Interdisziplinär Vol. 14. Wien, S. 19–28.

Bojanowski, Axel (2014): Verwirrende Werbefloskel. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Nachhaltigkeit. 64. Jhg. Vol. 31–32, S. 7–8.

Brunnengräber, Achim (2011): Akteure des Wandels? Warum die sozial-ökologische Krise nicht mit „Global Governance“ zu beheben ist. In: Trattnigg, Rita/Schneider, Petra (Hg.): Demokratie und Umweltkrise. Brauchen wir mehr Mitbestimmung? Wissenschaft & Umwelt Interdisziplinär Vol. 14. Wien, S. 92–98.

Embacher, Serge (2009): Demokratie! Nein Danke? Demokratieverdruss in Deutschland. Bonn.

Erben, Friedrun/de Hann, Gerhard (2014): Nachhaltigkeit und politische Bildung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Nachhaltigkeit. 64. Jhg. Vol. 31-32, S. 21–27.

Grunwald, Armin/Kopfmüller, Jürgen (2006): Nachhaltigkeit. Frankfurt a.M.

Hausknost, Daniel (2011): Die Kunst des Unmöglichen. Zivilgesellschaftliche Organisationen und die Grenzen demokratischen Wandels. In: Trattnigg, Rita/Schneider, Petra (Hg.): Demokratie und Umweltkrise. Brauchen wir mehr Mitbestimmung? Wissenschaft & Umwelt Interdisziplinär Vol. 14. Wien, S. 124–134.

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Leggewie, Claus/Welzer, Harald (2008/2009): Können Demokratien den Klimawandel bewältigen? In: Transit – europäische Revue Vol. 36, S. 25–43.

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Meadows, Dennis et al. (1972): Die Grenzen des Wachstums.

Müller, Klaus (2011): Globalisierung und Demokratie. Chancen für eine ökologische Global Governance? In: Trattnigg, Rita/Schneider, Petra (Hg.): Demokratie und Umweltkrise. Brauchen wir mehr Mitbestimmung? Wissenschaft & Umwelt Interdisziplinär Vol. 14. Wien, S. 10–18.

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UN-Konferenz (1992): Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung. Rio Deklaration.

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Ulrich Brand

Global Governance: Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Demokratisierung und demokratischer Nachhaltigkeit?

Ban Ki-moon freute sich. „Das war ein großer Tag!“ beginnt er sein abschließendes Statement des von ihm einberufenen außerordentlichen Klimagipfels der Vereinten Nationen. Regierungsspitzen aus 100 Ländern und 800 führende VertreterInnen von Unternehmen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft wollten sich Ende September 2014 in New York auf eine langfristige Vision und Strategie einigen, um dem Klimawandel effektiv zu begegnen (/). Am Wochenende zuvor demonstrierten mehrere Hunderttausend Menschen für eine entschiedenere Klimapolitik. Für ein paar Tage fand das Klimathema weltweit Beachtung. Das war in Zeiten der Ukraine-Krise und den Schrecken im Nahen und Mittleren Osten nicht zu unterschätzen.

Ob der UN-Generalsekretär den Berufsoptimisten gab oder wirklich an eine rasche Neuorientierung glaubte, sei dahingestellt. Die Zeit drängte wirklich und bislang blieb die internationale Klimapolitik hinter den selbstgesteckten Zielen zurück. Selbst in Deutschland geriet die weltweit beachtete Energiewende (Ausstieg aus der Atomenergie) unter Druck.

Das Treffen zeigte die Dringlichkeit der beiden Fragen, die mir von den HerausgeberInnen des Bandes im Hinblick auf die internationale Politik und die Gestaltung der Globalisierung gestellt wurden: „Welches Potenzial hat das Konzept der Global Governance für eine Demokratisierung der internationalen Beziehungen? Welchen Beitrag kann Global Governance zu einer stärkeren Orientierung auf Nachhaltigkeit leisten?“ Daher möchte ich im ersten Teil die aktuellen klima­politischen Diskussionen darstellen und einschätzen, um anschließend die Debatte um Global Governance nachzuzeichnen: Stärken, Auslassungen und Potenzial für ein plausibles und der Realität angemessenes Verständnis aktueller Entwicklungen. Die Verknüpfung der beiden Teile erfolgt zunächst wiederum im Hinblick auf die internationale Klimapolitik und abschließend aus der Perspektive einer notwendigen Demokratisierung internationaler Politik1.

Diskussionsstrang Nachhaltigkeit: internationale Klimapolitik

Die 1992 in Rio de Janeiro unterzeichnete und 1994 in Kraft getretene Klima­rahmenkonvention hat sinnvollerweise festgelegt, dass konkrete Emissionsgrenzen immer wieder neu verhandelt werden müssen. So kam es 1997 zum Kyoto-Protokoll, das nach langen Verhandlungen 2005 in Kraft trat und 2012 auslief (vgl. Brunnengräber et al. 2008; Wissen 2010; aus geschlechterkritischer Perspektive: Dannecker/Rodenberg 2014). Bei der (jährlich stattfindenden) Vertragsstaatenkonferenz Anfang Dezember 2014 in Lima wurde ein eher vager Fahrplan festgelegt, um bis 2020 ein neues Klimaabkommen abzuschließen. Beim Nachfolgetreffen im Dezember 2015 in Paris wurden die vorher von den Staaten festgelegten „geplanten nationalen Beiträge zur Treibhausgasminderung“ (englisch INDCs, Intended Nationally Determined Contributions) nun vereinbart. Es handelt sich also um freiwillige Ziele, die die Staaten sich selbst auferlegen. Trotz des Vertrages von Paris, der nun in den nationalen Parlamenten ratifiziert werden muss, ist die Einhaltung der Vereinbarungen unsicher. Politik mit hoher Priorität sieht anders aus.

Bei aller vermittelten Aufbruchsstimmung fragt man sich zuallererst, warum die in New York, Lima und Paris Versammelten nicht schon in den letzten 25 Jahren so gehandelt haben und weshalb die Emissionen weiter steigen. Warum muss der UNO-Chef im Jahr 2014 als frohe Botschaft verkünden, dass die Finanzmarktakteure ein gutes Investitionsklima in kohlenstoffarmen Bereichen wünschen, dass institutionelle Anleger bis Ende nächsten Jahres 100 Milliarden Dollar ausgeben wollen und die Versicherungsindustrie 84 Milliarden Dollar (/)?

Man wird das Gefühl nicht los, das sich schon bei der „Rio plus 20“ Konferenz im Juni 2012 einstellte: Nachhaltige Entwicklung allgemein und Klimaschutz im Besonderen treten zwar auf der Stelle, sollen nun aber zum großen Geschäft werden. Eine „Grüne Ökonomie um jeden Preis“ (Brand 2012). Ban Ki-moon ist ja für seinen wirtschaftsfreundlichen Kurs bekannt, bei dem er keine Unterschiede macht, woher das Kapital kommt. Die Politik, so die Annahme, soll den geeigneten politischen Rahmen schaffen.

Das führt zu der schon fast absurden, beim New Yorker Treffen als Erfolg dargestellten Meldung, dass Regierungen und Unternehmen die Entwaldung beim Aufbau von Palmöl-Plantagen bis 2020 durch Aufforstungen komplett ausgleichen wollen. So stellen sich die weltweiten FührerInnen die Welt vor und es wurde kein Widerspruch übermittelt: Kleinbauern und Kleinbäuerinnen werden in Ländern wie Indonesien zu Hundertausenden von ihrem Land vertrieben, eine mächtige Klasse der Großgrundbesitzer noch mächtiger, Primärwald unwiederbringlich abgeholzt (Pichler 2014). Aber irgendwie kriegen wir das hin durch Aufforstungen anderswo, egal mit welchen Bäumen und wie energieintensiv auch immer, ob lokal angepasst oder nicht – zero net deforestation heißt der begriffliche Nebel, der vielen Menschen die Lebensgrundlage entzieht und dessen klimapolitischer Nutzen zweifelhaft ist.

Im September 2014, eine Woche vor dem New Yorker Meeting, wurde der verkündete klimapolitische Optimismus von einer Studie hochrangiger Politiker und Wissenschaftler unterfüttert. Eine „Globale Kommission zu Wirtschaft und Klima“ skizziert die Konturen einer New Climate Economy, die in den Grundzügen dem UNO-Gipfel entspricht (Global Commission on the Economy and Climate 2014; Darstellung und Kritik von Spash 2014). Einige bemerkenswerte Vorschläge werden formuliert: Es sollen keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden, die aktuell weltweit jährlich ausgegebenen 600 Milliarden Subventionen für fossile Energieträger sollen deutlich reduziert werden, die derzeit 100 Milliarden für erneuerbare Energien erhöht werden.

Doch der Titel der vom ehemaligen mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón geleiteten Kommission zeigt die Grundbotschaft an: Better Growth, Better Climate. Das ist nicht additiv gemeint, sondern als Kausalität. Kernpunkte sind nicht eine bessere Wirtschaft im Sinne qualitativer Veränderungen, eine Vielfalt von Instrumenten gegen den Klimawandel, ein endlich eingelöster Nord-Süd-Ausgleich oder grundlegend andere Lebensweisen. Es wird noch nicht einmal der Zusammenhang umgedreht, also zumindest suggeriert, dass der erfolgreiche Kampf gegen den Klimawandel zu besserem Wirtschaftswachstum führen könnte. Nein, das Wirtschaftswachstum bleibt die als notwendig erachtete Triebkraft für alles. Derart vermeinen die AutorInnen wohl, in diesen Zeiten Überzeugungsarbeit leisten zu können (Global Commission on the Economy and Climate 2014).

Eine weitere Botschaft lautet: Der Einstieg in den Ausstieg aus der kohlenstoffbasierten Wirtschaft ist kaum teurer, als wenn alles so weitergeht wie bisher. Das angegebene Zeitfenster, das die Menschheit hat, um die schlimmsten Konsequenzen des Klimawandels abzuwehren, wird mit 15 Jahren angegeben.

Man erinnere sich: Ende Oktober 2006 veröffentlichte eine Gruppe um Nicholas Stern, der auch der aktuellen Kommission angehört, den nach ihm benannten Bericht The Economics of Climate Change (2006). Der wurde weltweit dafür bekannt, dass vorgerechnet wurde, dass ein baldiger Umstieg deutlich kostengünstiger ist, als wenn wir noch lange warten. Geschehen ist so gut wie nichts. Wenn man die „Berichterei“ und „Gipfelei“ positiv wenden will, so kann man sie als versuchte Selbstbindung der Eliten verstehen. Dass mit Beginn der Weltwirtschaftskrise 2008 viele Vorschläge des Stern-Berichtes über den Haufen geworfen wurden, ist auch kein Argument gegen einen neuerlichen Versuch. Dennoch bleiben nach über zwei Jahrzehnten Klimapolitik starke Zweifel.