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Viktimologie und Opferrechte (VOR)
Schriftenreihe der Weisser Ring Forschungsgesellschaft

Band 8

Lyane Sautner/Udo Jesionek (Hrsg.)

Opferrechte in europäischer,
rechtsvergleichender und
österreichischer Perspektive

StudienVerlag

Innsbruck
Wien
Bozen

© 2017 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

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ISBN 978-3-7065-5885-3

Satz und Umschlag: Studienverlag/Karin Berner

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Inhaltsverzeichnis

Geleitwort

Vorwort

I. Grundlagen

Marianne Johanna Hilf
Neue Maßstäbe durch die EU-RL über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten?

Silvia Ulrich/Ines Rössl
Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt

Michael Kilchling
Opferrechte und Restorative Justice

II. Rechtsvergleich Österreich – Deutschland – Schweiz

Lyane Sautner
Opferrechte im Strafprozess in Österreich

Heinz Schöch
Opferrechte im Strafprozess in Deutschland

Marianne Johanna Hilf/Marianne Schwander
Opferrechte im Strafprozess in der Schweiz

III. Opferrechte in Österreich vor bekannten und neuen Herausforderungen

Udo Jesionek
Opferrechte in der Kritik

Karin Bruckmüller/Barbara Unterlerchner
Schutz- und Schonungsrechte für Opfer – insbesondere durch die neue individuelle Begutachtung

Dina Nachbaur
Die richtige Linie. Gesetzliche Grundlagen und praktische Umsetzung der Unterstützungsleistungen für Opfer in Österreich

Wolfgang Gappmayer
Offene Rechtsfragen der Prozessbegleitung im Strafverfahren

Maria Eder-Rieder
Opfer und Rechtsmittelrechte

Franz Galla
Opfer und Medien – Genügt die geltende Rechtslage den Interessen der Opfer?

Astrid Deixler-Hübner/Alexander Meisinger
Opferrechte im Zivilverfahren

Julius Ecker/Erika Wagner
Zivilrecht und Strafrecht am Beispiel der Opfer sexueller Belästigung – neueste Entwicklungen

Autorinnen und Autoren

Geleitwort

Die Stellung des Opfers im Strafverfahren hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich verändert. Lange Zeit wurde das Opfer primär als Zeuge gesehen. Seit der Jahrtausendwende steht sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene der Ausbau der Rechte des Opfers im Strafverfahren verstärkt auf der politischen Agenda. Auf Unionsebene haben diese Arbeiten mit der Opferschutz-Richtlinie 2012/29/EU ihren Höhepunkt erreicht. Die Richtlinie, die in Österreich durch das Strafprozessrechtsänderungsgesetz I 2016 umgesetzt wurde, setzt vor allem mit der individuellen Begutachtung besonderer Schutzbedürfnisse der Opfer und der Verbesserung der Stellung von Opfern einer im EU-Ausland begangenen Tat neue Akzente. Auch zahlreiche Europaratsübereinkommen der letzten Jahre wie das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verpflichten die Vertragsstaaten, den Schutz und die Unterstützung von Opfern zu gewährleisten. Österreich hat bereits in den vergangenen Jahren konsequent Opferrechte verbessert und Maßnahmen für einen effizienten Opferschutz getroffen. Ich bin daher als Bundesminister für Justiz besonders stolz, dass Österreich im Bereich der Opferrechte und des Opferschutzes eine international anerkannte Vorreiterrolle einnimmt. Dies wird auch von allen Experten ausnahmslos anerkannt.

Vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklungen im Bereich der Opferrechte beschäftigt sich der nunmehr vorliegende achte Band der Reihe „Viktimologie und Opferrechte“ mit dem Thema „Opferrechte in europäischer, rechtsvergleichender und österreichischer Perspektive“. Neben grundsätzlichen, länderübergreifenden Themen widmen sich die AutorInnen auch einem unmittelbaren Rechtsvergleich der Stellung des Opfers im Strafprozess in Österreich, Deutschland und der Schweiz sowie aktuellen österreich-spezifischen Fragestellungen.

Ich freue mich, dass die Beiträge das Thema Opferrechte und Opferschutz aus so vielen verschiedenen Perspektiven beleuchten, woran wir uns bei der auch künftigen Weiterentwicklung des Opferschutzes sicher orientieren werden, und wünsche Ihnen eine interessante Lektüre.

Dr. Wolfgang Brandstetter

Vorwort

Der vorliegende achte Band der vom Weissen Ring Österreich herausgegebenen Reihe „Viktimologie und Opferrechte“ dient der Standortbestimmung im großen Themenbereich der Opferrechte. Er spannt den Bogen von einschlägigen europäischen Rechtsakten über einen Vergleich der Opferrechte in den verwandten Strafrechtsordnungen Österreichs, Deutschlands und der Schweiz bis hin zu ausgewählten Fragestellungen betreffend Opferrechte in Österreich.

Seit im Jahr 2008 in Österreich das Strafprozessreformgesetz 2004 in Kraft trat, steht die Beteiligung von Opfern am Strafprozess im Rang eines Prozessgrundsatzes. Opfer haben das Recht, als Verfahrenssubjekte unabhängig von ihrer Rolle als Zeugin/Zeuge und einer allfälligen Privatbeteiligung am Strafverfahren mitzuwirken. Mit der Ankerkennung von Opfern als Verfahrenssubjekte, in der die Ankerkennung ihrer legitimen Interessen an der Durchführung eines Strafverfahrens zum Ausdruck kommt, wurde Österreich zum Vorreiter im Bereich strafprozessualer Opferrechte in Europa.

Seither ist viel geschehen. 2012 wurde die EU-Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten (OpferschutzRL) erlassen, die den Rahmenbeschluss über die Stellung des Opfers im Strafverfahren aus dem Jahr 2001 ablöste. Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) trat 2014 völkerrechtlich in Kraft und wurde im selben Jahr von Österreich ratifiziert. Eine Reihe von Novellen zur StPO führte zu einem weiteren Ausbau, Umbau und teilweisen Rückbau der Opferrechte. Das Strafprozessrechtsänderungsgesetz I 2016 diente der Umsetzung der OpferschutzRL. Unterdessen gerieten Opferrechte in der kriminalpolitischen Diskussion zunehmend in Kritik. All das lässt es angebracht erscheinen, den aktuellen Stand der Opferrechte einer breit angelegten Überprüfung zu unterziehen.

Die Grundlage dafür bilden die Beiträge des ersten Teils des Bandes, die einer europäischen Perspektive gewidmet sind: Prof.in Dr.in Marianne Johanna Hilf beleuchtet die OpferschutzRL, die den zentralen Maßstab für Opferrechte in der EU darstellt. Univ.-Prof.in Dr.in Silvia Ulrich und Univ.-Ass.in Mag.a Ines Rössl analysieren die Istanbul-Konvention und gehen dabei der Frage nach, inwiefern sich daraus Umsetzungsbedarf für die österreichische StPO ergibt. Mit besonderem Fokus auf Opfer von Straftaten befasst sich der Beitrag von Dr. Michael Kilchling zu einer Restorative Justice.

Der zweite Teil des Bandes soll einen Rechtsvergleich der strafprozessualen Opferrechte in Österreich, Deutschland und der Schweiz ermöglichen. Die Beiträge von Univ-.Prof.in Dr.in Lyane Sautner, Prof. em. Dr. Heinz Schöch sowie Prof.in Dr.in Marianne Johanna Hilf und Prof.in (FH) Dr.in Marianne Schwander folgen einer einheitlichen Gliederung, was es der Leserin/dem Leser erleichtern soll, Regelungsstrukturen und die spezifische Ausgestaltung von Opferrechten in diesen Ländern zu vergleichen.

Ausgewählten Fragen zu Opferrechten in Österreich ist der dritte Teil des Bandes gewidmet. Die hier versammelten Beiträge setzen zum einen die österreichische Rechtslage in Bezug zu den Vorgaben der einschlägigen europäischen Rechtsakte; zum anderen fließen in sie die Erfahrungen aus nunmehr fast zehn Jahren der Opferbeteiligung im österreichischen Strafprozess ein. Das Themenspektrum reicht über den Strafprozess und die Opferhilfe hinaus und umfasst ebenso Fragen des Medien-, Zivil- und Zivilprozessrechts. Eröffnet wird der dritte Teil des Bandes mit dem Beitrag von Hon.-Prof. Dr. Udo Jesionek, der die strafprozessualen Opferrechte in einen historischen Kontext stellt und sich mit der zunehmenden Kritik an der Opferbeteiligung im Strafverfahren auseinandersetzt. Die Rechte auf Schutz und Schonung von Opfern behandeln Dr.in Karin Bruckmüller und Mag.a Barbara Unterlerchner, MA die dabei besonderes Augenmerk auf die von der OpferschutzRL vorgegebene individuelle Begutachtung von Opfern legen, durch die eine allfällige besondere Schutzbedürftigkeit ermittelt werden soll. Die gesetzlichen Grundlagen und Fragen der praktischen Umsetzung der Opferhilfe in Österreich erörtert MMag.a Dr.in Dina Nachbaur, ebenfalls mit besonderem Fokus auf die aus der OpferschutzRL abzuleitenden neuen Standards für die Unterstützung von Opfern. Offene Rechtsfragen der Prozessbegleitung im Strafverfahren diskutiert RA Ing. Dr. Wolfgang Gappmayer. Univ.-Prof.in DDr.in Maria Eder-Rieder analysiert die Opfern im Strafverfahren zur Verfügung stehenden Rechtsmittelrechte. Der Frage, ob Persönlichkeitsrechte von Opfern im Zusammenhang mit medialer Berichterstattung ausreichend geschützt werden, geht RA Mag. Franz Galla nach. Welche Rechte Opfer in einem Zivilprozess haben, auf den sie nach einem Strafverfahren zur Geltendmachung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche häufig angewiesen sind, erörtern Univ.-Prof.in Dr.in Astrid Deixler-Hübner und Univ.-Ass. Mag. Alexander Meisinger. Schließlich zeigen Univ.-Prof.in Dr.in Erika Wagner und Univ.-Ass. Mag. Julius Ecker anhand des neu gefassten Tatbestands der sexuellen Belästigung und daran anknüpfender Ansprüche auf Schadenersatz auf, wie Zivilund Strafrecht im Bereich der Opferrechte miteinander verschränkt sind.

Für die mit großer Sorgfalt und unermüdlichem Einsatz durchgeführte redaktionelle Bearbeitung der Beiträge sei Frau Univ.-Ass.in Mag.a Melanie Halbig, Abteilung für Strafrecht und Rechtspsychologie der Johannes Kepler Universität Linz, herzlich gedankt!

Linz, Wien im März 2017

Lyane Sautner, Udo Jesionek

I. Grundlagen

Marianne Johanna Hilf

Neue Maßstäbe durch die EU-RL über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten?

1 Einführung

1.1 Titel und Inhalt der OpferschutzRL

Die häufig abgekürzt als EU Opferrechtsrichtlinie oder OpferschutzRL apostrophierte Richtlinie1 ist das Herzstück eines EU Gesamtpakets zur stärkeren Berücksichtigung der Bedürfnisse und Interessen von Opfern von Straftaten, das aktuell geschnürt ist aus der im Jahr 2004 erlassenen EU RL zur Entschädigung der Opfer von Straftaten2, dem Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung3 aus 2002 und 2008, der RL zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer4 aus 2011, der RL über die Europäische Schutzanordnung5 aus 2011, der RL zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie6 aus 2011 sowie der Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen7 aus 2013, und ersetzt zugleich den aus dem Jahr 2001 stammenden Rahmenbeschluss über die Stellung des Opfers im Strafverfahren8.

Nach dem Titel der OpferschutzRL, der von „Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten“ spricht, geht es um mehr als um Opferschutz im eigentlichen Sinne, der lediglich als ein Aspekt neben den Rechten und der Unterstützung genannt wird. Freilich kann man den Begriff „Opferschutz“ auch in einem umfassenden Sinne verstehen, dies tut der Titel der OpferschutzRL aber gerade nicht. Der Titel war von Anbeginn an (und auch nach dem Erlass der OpferschutzRL) in Diskussion und unterscheidet sich wesentlich vom Titel des ersetzten Rahmenbeschlusses; bloß geringfügig auch von jenem des Kommissionsvorschlags für die RL9, der noch von „Mindeststandards für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie für die Opferhilfe“ sprach.

Aus dem Inhalt der OpferschutzRL, der gem den Kapiteln 2 bis 4 „Information und Unterstützung“, „Teilnahme am Strafverfahren“ sowie „Schutz der Opfer und Anerkennung von Opfern mit besonderen Schutzbedürfnissen“ umfasst, geht hervor, dass Opfer auch explizit als solche bezeichnete „Rechte“ auf Unterstützung und auf Schutz haben (sollen). Insoweit müssten sich die „Rechte“ im Titel der OpferschutzRL, die ja neben Unterstützung und Schutz genannt werden, sowohl auf prozedurale Rechte ieS, also insb Beteiligungsrechte, Informationsrechte sowie Einflussnahmerechte, als auch auf Unterstützungs- und Schutzrechte beziehen. Weshalb neben (den Rechten auf) Unterstützung und Schutz im Titel ausgerechnet die prozeduralen Rechte, etwa durch explizite Bezeichnung als solche bzw als Teilnahmerechte, nicht eigens hervorgehoben werden, erklärt sich erst aufgrund eines eingehenderen Studiums des Inhalts der OpferschutzRL, wonach gerade bei der prozessrechtlichen Stellung des Opfers angesichts der unterschiedlichen in der EU vertretenen Rechtssysteme äußerste Zurückhaltung geübt wird10. Nicht zuletzt deshalb fokussiert sich die OpferschutzRL tatsächlich auf den Schutz und die Unterstützung von Opfern von Straftaten und nicht so sehr auf deren Stellung im Strafverfahren, wie man aufgrund ihrer Substitutenrolle betreffend den Rahmenbeschluss, der immerhin im Titel explizit bzw sogar ausschließlich auf „die Stellung des Opfers im Strafverfahren“ Bezug nahm, hätte annehmen können. Was die geforderte Rolle des Opfers im Strafverfahren betrifft, so geht allerdings auch der Rahmenbeschluss nicht über die Vorgaben der Richtlinie hinaus.

1.2 Vom Rahmenbeschluss zur OpferschutzRL

International betrachtet hat sich die Europäische Union vergleichsweise spät mit den Opfern von Straftaten auseinandergesetzt. Während im Rahmen der Vereinten Nationen11 sowie des Europarats12 die Sensibilisierung für die Bedürfnisse der Opfer von Straftaten und die Erkenntnis der Notwendigkeit der Einführung von Rechten von Opfern – als Ergebnis (aber auch Basis weiterer) viktimologischer Forschungen – gegen Mitte der 1980er-Jahre eingesetzt hatte, war dies in der Europäischen Union erst 15 Jahre später der Fall. Der Grundstein wurde mit dem Rahmenbeschluss über die Stellung des Opfers im Strafverfahren im Jahr 2001 gelegt13. Nach Pemberton/Groenhuijsen14 war der Hauptantrieb für die Befassung mit dem Opferschutz auf europäischer Ebene die Verringerung der besonderen Schwierigkeiten von „cross-border victims“ im Lichte der Personenfreizügigkeit, was nicht ohne eine Synchronisierung mit der Position aller Opfer, also auch der Opfer im eigenen Staat, geschehen konnte. In diesem Sinne liegt die Stellung jener Personen, die in einem anderen Staat als ihrem Wohnsitzstaat Opfer einer Straftat wurden, im Herzen des Rahmenbeschlusses15. Mit dem Rahmenbeschluss nahm auch eine (durchaus stete) weitere Entwicklung ihren Ausgang, die allerdings bis zum heutigen Tage (wir schreiben das Jahr 2017) noch keinen vollkommen zufriedenstellenden Abschluss gefunden hat. Zwar ist als Erfolg zu verbuchen, dass der Opferschutz bzw die Opferrechte mittlerweile allgemein – wenngleich in einem europäischen Nordwest/Südost-Gefälle16 – als essenzielle Aspekte (auch) der Strafrechtsordnung anerkannt werden, doch besteht die bisherige weitere Entwicklung vorrangig im Monitoring der Umsetzung der existierenden europäischen Verpflichtungen und der konsequenten Feststellung immer noch erheblicher Umsetzungsdefizite, was wiederum vorrangig zur Schaffung weiterer – wenngleich rechtlich durchschlagskräftigerer – europäischer Rechtsdokumente geführt hat17, auf deren nationale rechtliche und praktische Umsetzung man baut.

Der Befund, „dass der Rahmenbeschluss [an sich] unzureichend war, um den Bedürfnissen der Opfer angemessen Rechnung zu tragen und sicherzustellen, dass ihnen in allen Mitgliedstaaten bestimmte Verfahrensrechte zuteil werden“18 in Verbindung mit dem Ergebnis der Umsetzungsberichte der Europäischen Kommission zum Rahmenbeschluss aus den Jahren 200419 und 200920 – kurz zusammengefasst: mangelnde Compliance der Mitgliedstaaten, und dies sowohl mit Blick auf die rechtliche Umsetzung als auch auf die praktische Handhabung21 – waren die Auslöser für den Erlass der OpferschutzRL.

In diesem Sinne kommt auch die vom DG Justice in Auftrag gegebene Untersuchung „A Study for an Impact Assessment on Ways of Improving the Support, Protection and Rights of Victims across Europe“ aus dem Jahr 2010 zum folgenden Schluss22: Trotz der Schaffung eines Mindestkanons an Opferrechten im Rahmenbeschluss aus dem Jahr 2001 sowie der Richtlinie aus 2004, wird den Opferbedürfnissen in der EU durchwegs noch nicht gehörig Rechnung getragen. Dies manifestiert sich darin, dass Opfer weder darauf vertrauen können, mit Würde und Respekt behandelt zu werden, noch ausreichend Unterstützung zu erhalten; ebenso wenig werden Opfer ausreichend vor Eingriffen in ihre Privatsphäre sowie Gefährdungen durch die Täterin/den Täter geschützt. Opfer können sich darüber hinaus nicht darauf verlassen, ausreichend Zugang zum Recht zu erhalten (sei es aufgrund mangelnder Information, sprachlicher oder rechtlicher Unterstützung oder schlicht logistischer Unzulänglichkeiten), hinzu kommt mangelnde Entschädigung sowie restorative justice.

Auf dem Weg bis zum Erlass der OpferschutzRL forderte der Europäische Rat im Stockholmer Programm23, welches die Leitlinien der Europäischen Union im Bereich der Innen- und Sicherheitspolitik für die Jahre 2010 bis 2014 festlegt, unter der Überschrift „Opfer von Straftaten, einschließlich Terrorismus“ die Kommission sowie die Mitgliedstaaten ua auf zu prüfen, wie zum einen die Rechtsvorschriften und zum anderen die praktischen Unterstützungsmaßnahmen zum Schutz von Opfern verbessert werden könnten sowie die Durchführung der bestehenden Rechtsinstrumente zu verbessern; speziell sollte geprüft werden, ob ein umfassendes europäisches Rechtsinstrument zum Opferschutz erstellt werden könnte, welches die RL zur Opferentschädigung aus dem Jahr 2004 sowie den Rahmenbeschluss aus dem Jahr 2001 auf Basis deren Bewertung zusammenfasst. Der Europäische Rat hebt in diesem Kontext neben den Terrorismusopfern weitere besonders schutzbedürftige sowie besonders gefährdete Personen hervor, wie etwa Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt oder Opfer mit einer fremden Staatsangehörigkeit.

Die Europäische Kommission stufte die Schaffung eines höheren Schutzniveaus für Opfer von Straftaten als strategische Priorität ein und begründete in ihrer Mitteilung zur „Stärkung der Opferrechte in der EU“24 vom 18. Mai 2011 den Handlungsbedarf im Bereich des Opferschutzes auf europäischer Ebene insb damit, dass ein Mindestsockel an Opferrechten das gegenseitige Vertrauen der Menschen in die Justizsysteme der Mitgliedstaaten stärke. Es seien die Grundrechtestandards auch für Opfer im Strafverfahren zu wahren. Überdies reduziere die Befriedigung der Opferbedürfnisse die Gesamtkosten der Straftat25. Zugleich legte die Kommission ein Legislativpaket, bestehend aus einem Vorschlag für eine RL über Mindeststandards für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie für die Opferhilfe und einem Vorschlag für eine Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen vor26.

Es folgten der Budapest-Fahrplan27 des Rates zur Stärkung der Rechte und des Schutzes von Opfern, insb im Strafverfahren im Juni 2011 sowie die Mitteilung der Kommission: „Auf dem Weg zu einer europäischen Strafrechtspolitik: Gewährleistung der wirksamen Durchführung der EU-Politik durch das Strafrecht“28 im September desselben Jahres.

Vom Kommissionsvorschlag bis zum definitiven Erlass der OpferschutzRL vergingen gerade einmal eineinhalb Jahre. Dieses ausgesprochen zügige Verfahren fand allerdings keine Entsprechung bei der Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten. Mit Ablauf der Frist am 16. 11. 2015 (Art 27) hatten nach Auskunft der Kommission gerade einmal fünf Mitgliedstaaten die Vorgaben der OpferschutzRL innerstaatlich umgesetzt. Eine Handvoll weiterer Mitgliedstaaten war bzw ist gerade daran, die Vorgaben umzusetzen. Der Umsetzungsbericht der Kommission folgt am 16. 11. 2017 (Art 29). Bis zum 16. 11. 2017 (und danach alle drei Jahre) haben die Mitgliedstaaten der Kommission jene Daten zu übermitteln, aus denen hervorgeht, wie und in welchem Umfang die Opfer ihre in der OpferschutzRL festgelegten Rechte wahrgenommen haben (Art 28).

1.3 IVOR Report 2016

Die jüngste Studie, IVOR29, die sich mit der Umsetzung opferorientierter Reformen in den Strafjustizsystemen der EU-Mitgliedstaaten befasst, ist soeben (2016) erschienen und attestiert weiterhin signifikante Umsetzungsdefizite.

Das sich auf die Jahre 2014 bis 2016 fokussierende Projekt IVOR will basierend auf einem Überblick über die existierende Forschung betreffend Opferrechte und Opferhilfe sowie vor dem Hintergrund der „societal ecology“ dazu beitragen, praktische Empfehlungen und Maßnahmen zur Förderung der Umsetzung der OpferschutzRL zu entwickeln. IVOR eruiert den Entwicklungsstand der Opferhilfe (im Sinne aller Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung von Opfern, einschließlich der Opferrechte) in den Mitgliedstaaten sowie die fördernden und hemmenden Faktoren, um letztlich Ideen zu formulieren, wie die Opferhilfe künftig weiterentwickelt werden kann. Zu diesem Zweck erfolgt eine Analyse der (als besonders wichtig eingestuften) internen Kohärenz der Opferhilfe (betreffend Gesetzgebung und Organisationspraxis in den Mitgliedstaaten, einschließlich der Erfüllung der Standards der OpferschutzRL) sowie deren externen Kohärenz (also vor dem jeweiligen ökologischen Hintergrund). Als Hauptproblembereiche, die überwiegend die praktische Umsetzung innerhalb bestehender Opferhilfemechanismen betreffen, werden identifiziert: die Definition des Opferbegriffs (Art 2 der OpferschutzRL), Opferunterstützungsdienste (Art 8 und 9), Wiedergutmachungsdienste (Art 12), Opfer mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat (Art 17), individuelle Begutachtung (Art 22), besonders schutzbedürftige Opfergruppen (Art 23 und 24), Schulung (Art 25), Zusammenarbeit und Koordinierung von Diensten (Art 26). Die drei Hauptbefunde bzw Monita sind laut IVOR Report: 1. das Fehlen jeglicher empirischer Fundierung opferorientierter Reformen; 2. die Existenz eines Nord/West – Süd/Ost Gefälles im Bereich der „societal ecology“ (als Zusammenfassung all jener Faktoren, in deren Umfeld Opferhilfe geschieht, also etwa Gesundheitswesen, Sozialhilfeorganisationen, Versicherungen als spezifische Akteure, aber auch historische, kulturelle und politische Realitäten, das Vertrauen in Polizei und Gerichte); 3. der Umstand, dass die OpferschutzRL zu einer Verbesserung der Stellung von Opfern zwar beiträgt, doch noch nicht im zu erwartenden Ausmaß, wobei die Hauptprobleme bei der Umsetzung in nationales Recht in Auslegungsunterschieden von Schlüsselbegriffen und -konzepten liegen, wie zB die Art der individuellen Begutachtung oder die Bedeutung von „restorative justice“.

2 Ziele, Grundprinzipien, Inhalt der OpferschutzRL

2.1 Ziele

Die in der OpferschutzRL formulierten Bestimmungen verfolgen gem Art 1 Abs 1 das Ziel, „… sicherzustellen, dass Opfer von Straftaten angemessene Informationen, angemessene Unterstützung und angemessenen Schutz erhalten und sich am Strafverfahren beteiligen können.“

Auf die Interpretationsbedürftigkeit bzw Dehnbarkeit des Begriffes „angemessen“ muss nicht eigens hingewiesen werden. „Angemessene“ Informationen beziehen sich freilich stets (nur) auf jene Rechte, die Opfern in einer Rechtsordnung überhaupt zugestanden werden; sofern sich Informationen nicht auf die Ausübung von Rechten beziehen, ergibt sich deren Reichweite aus den in der OpferschutzRL festgelegten Mindeststandards. Dasselbe gilt für die angemessene Unterstützung sowie den angemessenen Schutz. Eine Beteiligungsmöglichkeit am Strafverfahren muss nicht in angemessenem Ausmaß gewährt werden, worin sich bereits ein Hinweis auf die besondere Zurückhaltung der OpferschutzRL in Bezug auf Teilnahmerechte von Opfern verbirgt.

Unter der Überschrift „Ziele“ wird in Art 1 des Weiteren auf die fundamentale Bedeutung der Anerkennung als Opfer und der „respektvolle[n], einfühlsame[n], professionelle[n] und diskriminierungsfreie[n] Behandlung“ hingewiesen30 sowie auf besondere Bedürfnisse von Kindern als Opfer, wobei letzteres sowohl mit Blick auf die Überschrift als auch mit Blick auf den Ansatz der OpferschutzRL, sämtliche vulnerablen Opfer besonders zu schützen, ein wenig restriktiv erscheint. Im Rahmenbeschluss, der hinsichtlich des zu gewährleistenden Schutzniveaus im Übrigen auch bei der vagen Umschreibung als „angemessen“ verblieb, findet sich Achtung und Anerkennung noch als im Titel des Art 2 explizit hervorgehobener Grundsatz, nicht als ein Ziel. Allerdings gekoppelt mit der auffallend weichen Formulierung, wonach sich die Mitgliedstaaten lediglich weiterhin nach Kräften bemühen, die entsprechende Behandlung des Opfers zu gewährleisten. Gem der OpferschutzRL „stellen“ die Mitgliedstaaten dies immerhin „sicher“.

Hinter der Zielformulierung in Art 1 verbirgt sich allerdings – in Zusammenschau mit den in der OpferschutzRL festgelegten Mindeststandards, den (insgesamt 72!31) Erwägungsgründen sowie den Vordokumenten32 – das Ziel der weiteren Stärkung des Opferschutzes, dh Verbesserung der schon existierenden (angemessenen?) Mindeststandards, durch Einführung eines höheren Mindeststandardniveaus auf dem Boden des im Jahr 2012 seit 11 Jahren bestehenden Rahmenbeschlusses sowie der damals bereits seit 27 Jahren existierenden Resolutionen und Empfehlungen der Vereinten Nationen sowie des Europarats33. Dies gilt auch für den endgültigen Richtlinientext, wenngleich sich dieser als Kompromisspapier teilweise erheblich vom Kommissionsvorschlag unterscheidet.

2.2 Opferbegriff

Hauptbezugspunkt für die in den weiteren Kapiteln der OpferschutzRL verbrieften Rechte bildet die Definition des Opferbegriffs in Art 2 Z 1 lit a. Die OpferschutzRL folgt dabei nicht dem Rechtsgutskonzept, sondern wählt vielmehr – wie dies auf internationaler Ebene nicht zuletzt wegen des Zusammentreffens von civil lawund common law-Systemen üblich (aber auch der Thematik inhaltlich angemessener) ist – ein Betroffenheitskonzept.

„Opfer“ einer Straftat ist nicht die Trägerin/der Träger des durch den konkreten Straftatbestand geschützten Rechtsguts, sondern – gemäß der deutschsprachigen Fassung – jede „natürliche Person, die eine körperliche, geistige oder seelische Schädigung oder einen wirtschaftlichen Verlust, der direkte Folge einer Straftat war, erlitten hat“ (sog direkte Opfer)34.

Auffallend ist an dieser Opferdefinition, dass auf der einen Seite Beeinträchtigungen etwa der Ehre, der Freiheit oder der sexuellen Integrität nicht explizit aufgezählt, auf der anderen Seite aber geistige und seelische Schädigungen als selbstständige Kategorien genannt werden, was letztlich bedeutet, dass alle (so auch Kollektivrechtsgüter schützende) Delikte individuelle Opfer zeitigen können, sofern im konkreten Fall Personen individuell unmittelbar seelisches Leid davontragen können. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie etwa den Körperverletzungs- bzw Gesundheitsschädigungsdelikten sowie allenfalls Drohung, wird schließlich die geistige oder seelische Integrität allein und als solche von keinem Straftatbestand geschützt. Im Übrigen begründet wirtschaftlicher Verlust als solcher, dh ohne besondere emotionale Betroffenheit, die Opfereigenschaft.

Will man Ehre, Freiheit oder sexuelle Integrität nicht notwendigermaßen lediglich unter seelisches Leid subsumieren, so überrascht deren Fehlen in der ansonsten so umfassenden Opferdefinition doch ein wenig. Vergleicht man nun zunächst die Opferdefinition der OpferschutzRL mit jener des Rahmenbeschlusses in der jeweils deutschen Fassung, so zeigt sich, dass Übereinstimmung bezüglich der Arten der Beeinträchtigungen bzw Betroffenheit besteht: Explizit aufgelistet werden jeweils körperliche, geistige, seelische und wirtschaftliche Schäden. Der – entscheidende! – Unterschied liegt jedoch darin, dass es im Rahmenbeschluss noch hieß: Opfer ist „eine natürliche Person, die einen Schaden, insbesondere eine Beeinträchtigung ihrer körperlichen oder geistigen Unversehrtheit, seelisches Leid oder einen wirtschaftlichen Verlust als direkte Folge“ von Straftaten erlitten hat. Ausgerechnet der Hinweis auf die bloß demonstrative Aufzählung fehlt aber in der OpferschutzRL, was einen Unterschied für die rechtliche Interpretation macht, wenngleich freilich geistige und seelische Beeinträchtigungen – wie erwähnt – bereits sehr umfassende Kategorien darstellen.

Der Blick in die englischen Sprachfassungen von Rahmenbeschluss und OpferschutzRL führt allerdings zu dem überraschenden Ergebnis, dass es in beiden Fassungen „including“ heißt. Selbst wenn man „including“ nicht als Hinweis auf eine demonstrative Aufzählung werten würde, was allerdings nicht ernsthaft begründbar erscheint, so bliebe dennoch die Frage offen, wie es auf dieser Basis zu zwei – unterschiedlichen Sinn generierenden – deutschen Übersetzungen kommen konnte.

Als „Opfer“ betrachtet die OpferschutzRL überdies (unterschiedslos alle) „Familienangehörige[n] einer Person, deren Tod eine direkte Folge einer Straftat ist, und die durch den Tod dieser Person eine Schädigung35 erlitten haben“ (sog indirekte Opfer)36. Im Rahmenbeschluss waren indirekte Opfer noch nicht explizit in der Opferdefinition zu finden. Die Gruppe der indirekten Opfer gem OpferschutzRL kann – ebenso wie jene der Nicht-Opfer-Familienangehörigen gem Art 2 Z 1 lit b – im Einzelfall zahlenmäßig beschränkt werden; bei indirekten Opfern kann bestimmten Familienangehörigen ein Vorrang der Rechteausübung eingeräumt werden (Art 2 Z 2).

Eine andauernde Diskussion auf internationaler Ebene dreht sich um die Frage der korrekten Bezeichnung des Opfers im Lichte der Unschuldsvermutung als bloß mutmaßliches Opfer37. Die OpferschutzRL selbst bezeichnet und behandelt als („echtes“) Opfer jede der Opferdefinition entsprechende Person, „unabhängig davon, ob der Täter ermittelt, gefasst, verfolgt oder verurteilt wurde“38. Wesentlich ist, und dem trägt die OpferschutzRL Rechnung, dass – gerade im Lichte eines ihrer obersten Gebote, nämlich der Vermeidung sekundärer Viktimisierung – alle Personen, die durch eine Straftat beeinträchtigt wurden, von Anfang an – freilich unter Wahrung der Unschuldsvermutung gegenüber der/dem Verdächtigen – als Opfer mit den entsprechenden Rechten anerkannt und behandelt werden. Eine Bezugnahme auf die – die Tatverdächtige/den Tatverdächtigen schützende – Unschuldsvermutung in der Opferdefinition ginge fehl. Die Unschuldsvermutung bleibt auch bei Anerkennung einer Person als Opfer einer Straftat unangetastet, schließlich wird mit der Behandlung als Opfer keine Aussage darüber getroffen, ob die/der (konkrete) Tatverdächtige schuldig ist, die konkrete Tat begangen zu haben.

Was aber zur Vermeidung von sekundärer Viktimisierung essenziell ist, ist die Behandlung einer Person, der (offensichtlich) Leid zugefügt wurde, als Opfer mit Respekt und unter Gewährung sämtlicher ihm zustehender Rechte. Dass sich darunter vereinzelt auch Nichtopfer befinden, ist zum Schutze der Mehrzahl der tatsächlichen Opfer (von welcher Täterin/welchem Täter auch immer) hinzunehmen. Nicht erst mit der rechtskräftigen Verurteilung der Täterin/des Täters wird die beeinträchtigte Person zum Opfer, das ist sie vielmehr schon zuvor (mit Ausnahme jener Fälle, in denen dies wahrheitswidrig behauptet wird). Mit der rechtskräftigen Verurteilung einer konkreten Person wird allerdings erst definitiv bestätigt, dass eine konkrete Person nachgewiesener Maßen Opfer einer Straftat des konkret hierfür Verurteilten ist, was aus Opferperspektive bedeutet, dass die Täterin/der Täter hiermit zur Verantwortung gezogen wird. Ein (echtes) Opfer als lediglich „mutmaßliches“ Opfer zu desavouieren (und damit indirekt der Verleumdung zu verdächtigen) und ihm damit den nötigen Respekt zu versagen, vermag mehr Schaden anzurichten als einem Nichtopfer eine Zeit lang ihm nicht gebührende Anerkennung als Opfer zu gewähren, zumal gerade die Unschuldsvermutung durch die Zuschreibung der Opferrolle gar nicht tangiert werden kann. In diesem Kontext ist zu erwähnen, dass Verfahren zur Anerkennung des Opferstatus als degradierend empfunden werden können, was einen besonders gravierenden Fall sekundärer Viktimisierung darstellen kann.

Der Begriff der „Straftäterin“/des „Straftäters“ wird in der OpferschutzRL nicht definiert, doch stellt Erwägungsgrund 12 aus gutem Grund explizit klar, dass er sich für „die Zwecke dieser Richtlinie … auch auf eine verdächtige oder angeklagte Person, bevor ein Schuldeingeständnis oder eine Verurteilung erfolgt ist“, bezieht und „nicht die Unschuldsvermutung“ berührt.

Für eine gehörige Umsetzung der OpferschutzRL ist es im Übrigen entscheidend, dass all jene Personen, die unter den weiten Opferbegriff der OpferschutzRL zu subsumieren sind, von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auch definitionsgemäß als „Opfer“ bezeichnet und damit als Opfer anerkannt werden. Die von den meisten Mitgliedstaaten gewählte allzu enge Fassung des Kreises jener Personen, die als Opfer gelten, betrifft einen der Hauptumsetzungsmängel betreffend den Rahmenbeschluss.

Das Ausmaß der Opfern zu gewährenden prozeduralen Rechte ist damit schließlich noch nicht festgelegt39.

An verschiedenen Stellen hebt die OpferschutzRL spezifische Opfergruppen – insb Opfer von geschlechtsbezogener Gewalt (va Frauen), Kinder, Opfer von Menschenhandel sowie Opfer von Terrorismus40 – hervor, konkret aufgrund ihrer besonderen Bedürfnisse bzw ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit nicht zuletzt im Hinblick auf die Gefahr sekundärer Viktimisierung. Insgesamt gibt es also zwei Gruppen: Opfer und besonders schutzbedürftige Opfer.

2.3 Grundprinzipien

2.3.1 Individueller Ansatz – besondere Schutzbedürftigkeit

Ein Grundprinzip, das in der OpferschutzRL im Vergleich zum Rahmenbeschluss essenziell weiterentwickelt wurde, ist jenes der Berücksichtigung der Individualität und damit Unterschiedlichkeit der Opfer von Straftaten. Opfer sind keine homogene Gruppe, sondern vielmehr Individuen in individuellen Situationen und haben daher unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen41. Relevant sind neben dem Delikt und den konkreten Tatumständen die persönlichen Eigenschaften des Opfers, insb Alter, Geschlecht, Ausländereigenschaft, Schwächen und Fähigkeiten, aber auch frühere Erfahrungen, nicht zuletzt mit der Strafjustiz. Manche Opfer bedürfen besonderer Unterstützung, allenfalls bestehen auch besondere Schutz-bedürfnisse. Viktimologische Forschung hat zutage gebracht, dass zwar insgesamt lediglich eine Minderheit der Opfer besondere Unterstützung iwS benötigt, jedoch von den besonders unterstützungsbedürftigen Opfern nur etwa ein Drittel eine solche tatsächlich erhält42.

Ein besonderes Anliegen der OpferschutzRL ist neben der Nichtdiskriminierung, der adäquaten Unterstützung und dem adäquaten Schutz die – freilich auch schon im Rahmenbeschluss geförderte, nunmehr aber noch stark intensivierte – Vermeidung sekundärer Viktimisierung, somit Schutz insb im Sinne von Schonung, welche in den Erwägungsgründen 9, 17, 46, 52 bis 55, 57 und 58 sowie den Art 9, 12, 18, 22 und 26 ihren besonderen Ausdruck findet.

Die OpferschutzRL handelt die – sich zwar teilweise überschneidenden, jedoch grundlegend unterschiedlichen – Fragen des Schutzes vor Beeinträchtigungen der Privatsphäre, des Schutzes vor Gefährdungen insb durch die Verdächtige/den Verdächtigen bzw die Verurteilte/den Verurteilten sowie des Schutzes im Sinne von Schonung, dh Schutz vor sekundärer Viktimisierung durch unziemliche Behandlung im Rahmen des Strafverfahrens, unter einem Titel, nämlich dem (allumfassenden) „Schutz“ der Opfer, ab (vgl Art 18 ff, 22 ff) und befindet sich damit in guter Gesellschaft mit vielen anderen internationalen Opferschutzrechtsakten.

Seinen Höhepunkt findet der individuelle Zugang der OpferschutzRL in Art 22, der eine frühzeitige (und bei wesentlichen Änderungen zu aktualisierende) individuelle Begutachtung der Opfer zur Ermittlung besonderer Schutzbedürfnisse vorsieht43. Diese Begutachtung dient gem Abs 1 der Feststellung,

„ob und inwieweit ihnen Sondermaßnahmen im Rahmen des Strafverfahrens gem Artikel 23 und Artikel 2444 infolge ihrer besonderen Gefährdung hinsichtlich sekundärer und wiederholter Viktimisierung, Einschüchterung und Vergeltung zugute kommen würden.“

Aus dem Wortlaut ergibt sich mehr oder weniger deutlich, dass grundsätzlich alle Opfer und nicht lediglich bestimmte – mutmaßlich besonders schutzbedürftige – Opfer (überhaupt) einer individuellen Begutachtung zu unterziehen sind45. Die Formel, Opfer seien „nach Maßgabe der einzelstaatlichen Verfahren“ einer solchen Begutachtung zu unterziehen, stellt jedenfalls eine Möglichkeit dar, richtlinienkonform konkretisierende Modalitäten vorzusehen; das Ausmaß der Begutachtung darf nach Art 22 Abs 5 entsprechend der mutmaßlichen Schutzbedürftigkeit variieren. Eine explizite Aufzählung erfahren Opfergruppen, die ihrerseits „im Rahmen“ der individuellen Begutachtung „besondere Aufmerksamkeit“ erhalten sollen.

Es sind dies gem Art 22 Abs 3 Opfer, die infolge der Schwere der Straftat eine beträchtliche Schädigung erlitten haben; Opfer von Hasskriminalität und von in diskriminierender Absicht begangenen Straftaten; sowie Opfer, die aufgrund ihrer Beziehung zur/zum und Abhängigkeit von der Täterin/vom Täter besonders gefährdet sind. „Dabei“ (wiederum) sollen folgende Personen „gebührend“ berücksichtigt werden: Opfer von Terrorismus, organisierter Kriminalität, Menschenhandel, geschlechtsbezogener Gewalt, Gewalt in engen Beziehungen, sexueller Gewalt oder Ausbeutung, Hassverbrechen sowie Opfer mit Behinderungen. Opfer „im Kindesalter“, dh vor Vollendung des 18. Lebensjahres (siehe Art 2 Z 1 lit c), gelten gem Art 22 Abs 4 als Opfer mit besonderen Schutzbedürfnissen, es bedarf (dennoch) einer individuellen Begutachtung zur Feststellung der Notwendigkeit von Sondermaßnahmen gem Art 23 und 24. Insgesamt erschließt sich der Inhalt des Art 22 nur mühsam.

Abs 6 fordert überdies explizit, die Opfer „eng“ in die individuelle Begutachtung einzubeziehen, was bei einer ernsthaften individuellen Begutachtung freilich „state of the art“ sein müsste, und daher auch ihre Wünsche zu berücksichtigen, so „unter anderem auch [den] Wunsch, nicht in den Genuss von Sondermaßnahmen … zu kommen“. Gar nicht erst in den Genuss einer individuellen Begutachtung zu kommen, scheint allerdings nicht zur Disposition zu stehen. So wird aus diesem neuen Recht eine Pflicht des Begutachten-Lassens für das Opfer, was im Lichte des zugrundeliegenden Zwecks, nämlich der Vermeidung von sekundärer Viktimisierung, einen kontraproduktiven Aspekt darstellt. Umgekehrt gibt es im Übrigen kein Rechtsmittel gegen den Entscheid, Opfer ohne besonderes Schutzbedürfnis zu sein46.

Während der individuelle Ansatz der OpferschutzRL an sich als sehr positiv und weiterführend bewertet wird, hat die Regelung des Art 22 über die individuelle Begutachtung in Bezug auf ihre Details zu erheblichen Kontroversen geführt und steht immer noch in der Kritik, dass damit zum einen Unmögliches und zum anderen Unzumutbares gefordert werde47. Konkret stellt sich die Frage, wer zu Beginn des Strafverfahrens innerhalb welchen Zeitraums (fünfzehn Minuten? eine Stunde?) mithilfe welcher Instrumente eine solche Begutachtung seriöser Weise vornehmen soll. Beim – im Lichte des Gesagten kaum bewerkstelligbaren – Versuch der richtlinienkonformen Umsetzung entsteht zudem die nicht gering zu schätzende Gefahr der Überbeanspruchung, dh Belastung und abermaligen Viktimisierung der Opfer48 sowie der Überbeanspruchung bzw eigentlich die unrealistische Erwartungshaltung gegenüber den damit beauftragten bzw involvierten Behörden und Stellen, was anstelle der gewünschten Stärkung des Opferschutzes aufgrund des dadurch eintretenden Phänomens der „victim fatigue“49 zum gegenteiligen Effekt führen kann.

2.3.2 Anwendungsbereich der Opferschutzstandards

Der räumliche, sachliche und zeitliche Geltungsbereich der in der OpferschutzRL festgelegten Standards und Rechte wird dem Grundsatz nach in den Erwägungsgründen umschrieben. Die Opferrechte finden demnach Anwendung auf Straftaten, die in der Europäischen Union begangen werden sowie auf Strafverfahren, die in der Europäischen Union geführt werden50. Dies bedeutet, dass die OpferschutzRL auch auf EU-Auslandstaten Anwendung findet, somit Opfern von Straftaten, die nicht in der EU begangen wurden, Rechte gewährt, sofern das Strafverfahren in der EU geführt wird.

Sowohl mit Blick auf EU-Inlandstaten als auch (in der EU verfolgten) Auslandstaten spielt es keine Rolle, ob das Opfer EU-Bürgerin/EU-Bürger, EU-Ausländerin/EU-Ausländer oder staatenlos ist; ebensowenig kommt es auf seinen Aufenthaltsstatus an51. Opfern von Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit kommen allenfalls besondere Schutzrechte zu.

Art 17, der sich im Kapitel über die Teilnahme am Strafverfahren findet, nimmt schwerpunktmäßig Bezug auf die Rechte der Opfer mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat, insb auf die Aufnahme der Aussage sowie die Anzeigeerstattung.

Aus den Erwägungsgründen52 ergeben sich im Übrigen die Leitlinien für jenen Fall, in dem das Opfer das Hoheitsgebiet des EU-Tatorts verlässt. Danach soll der EU-Tatortstaat nicht weiter verpflichtet sein, dem Opfer

„Hilfe, Unterstützung und Schutz zu gewähren, es sei denn dies steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Strafverfahren, die der Mitgliedstaat aufgrund der betreffenden Straftat durchführt, wie es bei besonderen Schutzmaßnahmen während des Gerichtsverfahrens der Fall wäre.“

Der EU-Wohnsitzstaat des Opfers „sollte in einem Umfang Hilfe, Unterstützung und Schutz gewähren, der der Erholungsbedürftigkeit des Opfers gerecht wird.“

Erwägungsgrund 38 fordert die Gewährung „spezialisierte[r] Unterstützung“ und rechtlichen Schutz für besonders schutzbedürftige Personen, sowie explizit auch für Personen, „die sich in Situationen befinden, in denen sie einem besonders hohen Risiko einer Schädigung ausgesetzt sind, wie beispielsweise“ Gewaltopfer oder „Personen, die Opfer anderer Arten von Straftaten in einem Mitgliedstaat werden, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen oder in dem sie nicht ihren Wohnsitz haben“. Das „Recht auf eine Entscheidung über Entschädigung durch den Straftäter und das einschlägige anwendbare Verfahren sollten“ nach Erwägungsgrund 49 „auch für Opfer gelten, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Straftat begangen wurde, ansässig sind.“

Zum zeitlichen Anwendungsbereich hält die OpferschutzRL in Erwägungsgrund 37 fest: Unterstützung soll dem Opfer gewährt werden, von „dem Zeitpunkt an, zu dem die zuständigen Behörden Kenntnis von dem Opfer haben, während des Strafverfahrens wie auch für einen angemessenen Zeitraum nach dem Verfahren“. Aus Erwägungsgrund 22 ergibt sich im Übrigen, dass das Strafverfahren mit der Anzeigeerstattung bzw der Aufnahme amtswegiger Ermittlungen beginnt.

2.3.3 Rechtsstellung des Opfers
2.3.3.1 Das Opfer als Partei?

Keine Weichenstellung enthält die OpferschutzRL betreffend die Rolle des Opfers im Strafverfahren. Ein Grundprinzip der OpferschutzRL ist vielmehr jenes, wonach der Umfang der von den Mitgliedstaaten zu gewährleistenden prozeduralen Opferrechte von der jeweils bestehenden nationalen formellen Rolle des Opfers abhängig gemacht werden darf, während Unterstützung und Schutz allen Opfern iSd Richtlinien-Definition zuteil zu werden hat. Positiv formuliert handelt es sich um das Grundprinzip der Achtung der formellen Rolle des Opfers in der jeweiligen nationalen Rechtsordnung.53 Die OpferschutzRL übt also allergrößte Zurückhaltung bezüglich der in den Mitgliedstaaten anzutreffenden unterschiedlichen rechtlichen Rollen, in denen das Opfer die Strafrechtsbühne betritt. Erwägungsgrund 20 hält fest:

„Die Stellung von Opfern in der Strafrechtsordnung und die Frage, ob sie aktiv am Strafverfahren teilnehmen können, sind im Einklang mit der jeweiligen nationalen Rechtsordnung von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich … Die Mitgliedstaaten sollten [sic!] festlegen, welche … Kriterien [also, ob Opfer Parteistellung bzw welche sonstige Stellung sie haben] einschlägig sind, um den Anwendungsbereich der in dieser Richtlinie festgelegten Rechte zu bestimmen, wenn Bezugnahmen auf die Stellung des Opfers in der einschlägigen Strafrechtsordnung vorhanden sind“54.

Inwieweit einem Opfer daher aktive Teilnahmerechte am Strafverfahren zukommen, hängt letztlich und ausschließlich von der ihm nach der jeweiligen nationalen Rechtsordnung zugebilligten verfahrensrechtlichen Stellung – sei es etwa als Zeugin/Zeuge, partie civile, Nebenklägerin/Nebenkläger, Privat(an)klägerin/ Privat(an)kläger, Subsidiaranklägerin/Subsidiarankläger oder Partei – ab und wird von der OpferschutzRL gerade nicht bestimmt.

Wenngleich auf der offiziellen Website der EU nachzulesen ist, dass bereits der Rahmenbeschluss – und umso mehr die OpferschutzRL – dazu dienen sollte, sicherzustellen, „dass Opfer aktiv an den Verfahren teilnehmen können, angemessene Rechte haben und während des Strafverfahrens gerecht behandelt werden“55, so fordert die OpferschutzRL dennoch keine bestimmte (Mindest-)Stellung, geschweige denn Parteistellung, des Opfers im Strafverfahren, sondern lässt dies lediglich als eine Option offen.

Nicht zu vernachlässigen ist allerdings der Umstand, dass lediglich diese Zurückhaltung eine Einigung auf die (übrigen) in der OpferschutzRL enthaltenen Rechte des Opfers ermöglicht hat. Hinzu kommt der Umstand, dass die prima vista stärkste Verfahrensrolle in Form der Parteistellung auch mit erheblichen Einbußen hinsichtlich des Schutz- und Schonungsaspekts verbunden ist. Ist das Opfer Partei, so wird der Grundsatz der „Waffengleichheit“ plötzlich auch auf das Opfer anwendbar, wodurch dieses zur direkten Zielscheibe und verwundbar wird.

Das EU Guidance Document der Kommission, das als Interpretationshilfe der Erleichterung der Umsetzung der OpferschutzRL dienen soll, hält dazu fest, dass sich die „formelle Rolle“ des Opfers lediglich auf die Bestimmung (des Ausmaßes) seiner prozeduralen Rechte bezieht, dh viele der in der OpferschutzRL stipulierten Teilnahmerechte kommen nur Opfern mit einer entsprechenden nationalen Verfahrensstellung zugute (siehe dazu unten 2.4). Die Definition des Opferbegriffs an sich steht demgegenüber nicht zur Disposition. Eine Person, die unter die Opferdefinition des Art 2 der OpferschutzRL fällt, ist Opfer, unabhängig von ihrer nationalen rechtlichen Stellung im Strafverfahren56! Der vorhandene Ermessensspielraum sollte die Mitgliedstaaten keinesfalls zu einer „zu restriktiven“ Umsetzung der OpferschutzRL verleiten, um deren Zwecke, nämlich alle Opfer zu unterstützen und zu schützen, zu verwirklichen57.

2.3.3.2 „Rechte“ des Opfers?

Unabhängig von der konkreten Rolle, die einem Opfer in einem mitgliedstaatlichen Strafverfahren zuteil wird, stellt sich die ebenso fundamentale Frage, ob die gemäß der OpferschutzRL zu gewährleistenden Mindeststandards überhaupt Rechte des Opfers verbriefen bzw ob die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, „echte“ Opferrechte (im Einklang mit der jeweiligen Rolle des Opfers im nationalen Strafverfahrensrecht) einzuführen. Dies würde voraussetzen, dass diese durchsetzbar sind.

Rechtsmittel sieht die OpferschutzRL allerdings gerade keine zwingend vor. Der langen Liste an „Rechten“ stehen – abgesehen von Art 7 Abs 7 im Kontext von Dolmetschleistung und Übersetzung58 – lediglich zwei Bestimmungen gegenüber, die Bezug auf die Überprüfung von Entscheidungen nehmen, einmal betreffend den Verfolgungsverzicht (Art 11; siehe unten 2.3.5) sowie einmal betreffend die Verletzung von Opferrechten durch Strafbehörden generell (Art 4 Abs 1 lit h; siehe unten 2.4.1.1). Beide Bestimmungen überlassen allerdings die Einführung entsprechender Kontrollmöglichkeiten, insb in Gestalt von Beschwerdeverfahren, dem völlig freien Ermessen der Mitgliedstaaten, indem einmal die Einschränkung „im Einklang mit ihrer [also der Opfer] Stellung in der betreffenden Strafrechtsordnung“, einmal die Einschränkung „verfügbare“ Beschwerdeverfahren gewählt wird. Auch Erwägungsgrund 33 fordert die Unterrichtung der Opfer „über ein etwaiges Recht, gegen eine Entscheidung über die Freilassung des Täters Rechtsbehelf einzulegen“, lediglich dann, „wenn nach den einzelstaatlichen Vorschriften ein solches Recht besteht.“