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Je planmäßiger die Menschen vorgehen,
desto wirksamer trifft sie der Zufall.

Friedrich Dürrenmatt, Schweizer Schriftsteller (1921–1990)

INHALT

  

PROLOG

»SOLL ICH MORGEN ARBEITEN GEHEN?«

ICH BIN DIE, DIE UNTERGEHT  . . .

  

IN KREISCHWEITE

IM HIER UND JETZT

  

EINE LIEBESGESCHICHTE

»ICH STEHE NUR AUF ÄLTERE MÄNNER.«

LIEBE AUF DEN ERSTEN KLICK

ICH WILL NUR DICH

  

AUSNAHMEZUSTAND EINS

WIE IN EINEM FILM

ANDRÉ-NALIN & LÄHMUNG

  

BEREIT FÜR DEN TRAUMPARTNER?

»DAS IST SIE!«

»HAST DU KEINEN BOCK AUF MICH?«

  

AUSNAHMEZUSTAND ZWEI

GEWITTER IM KOPF

»WIE MACHT IHR DAS NUR?«

  

DIE SHANDRÉ-(R)EVOLUTION

»WENN, DANN FLIEGEN WIR GEMEINSAM ZUM MOND«

  

AUSNAHMEZUSTAND DREI

DAS WIRD-SCHON-GEN

DIE AUSNAHMESITUATION BESTÄTIGT DIE REGEL

  

WOHER WIR KAMEN

JEDER MANN WEISS DAS ÜBER MICH

»DANN ZIEH DIR DOCH ERST MAL ’NE HOSE AN«

KEINE LIEBE

»WHERE DO YOU LIVE?«

REGEN

»KANNST DU DIR VORSTELLEN, MIT MIR IN DIESER WOHNUNG ZU  LEBEN?«

  

DAS ERSTE KIND, DIE ERSTE DIAGNOSE

AUSGERECHNET UNSER SOHN SOLL NICHT FURZEN KÖNNEN?!?

»VERDAMMTE KACKSCHEISSE, TUT DAS WEH!«

UNSERE KRISEN UND DER STAFFELSTAB

  

MARI

LIEBER NICHT NOCH EIN KIND?

EINE GANZ NORMALE GEBURT

»KANN EURE MAUS AUCH NOCH NICHT KRABBELN?«

  

ALLER GUTEN KINDER SIND DREI

»WIR HABEN EBEN SEKT GETRUNKEN  . . .«

DIE GEBURT  – EINE (W)HITZIGE ANGELEGENHEIT

DER TORNADO, DER SIE SEIN SOLL

»DIE MARI HATTE EIN ABFALL!«

  

DIAGNOSE

»UND WENN MIT MARI DOCH WAS SCHLIMMES IST?«

DIE ZUKUNFT BLEIBT DIE ZUKUNFT

WAS IST EIGENTLICH GLÜCK?

»CUT!«

»KÖNNTE DAS EIN IMPFSCHADEN SEIN?«

ICH GLAUB NUR AN DIE LIEBE

  

AM ANSCHLAG

»BRING MIR DAS VALIUM!«

»MAMA, WAS IST MIT DIR?«

WER SCHNELLER LACHT, HAT SCHNELLER PAUSE

»WÄRE ES BESSER, EIN ANFALL WÜRDE SIE MITNEHMEN?«

ÄRZTE MIT GRENZEN

»SIE HABEN DOCH KEINE AHNUNG!«

  

DIE FANTASTISCHE VIER

»UM VERHÜTUNG MÜSSEN SIE SICH ERST MAL KEINE GEDANKEN MEHR MACHEN!«

»DREI KINDER SIND GENUG, LASS UNS EIN VIERTES BEKOMMEN.«

»HAST DU DAS LICHT GESEHEN?«

»ICH HABE DAS LICHT GESEHEN!«

ANGELMAN RELOADED?

  

EPILOG

»JE BESSER DER PLAN, DESTO HÄRTER TRIFFT EINEN DAS SCHICKSAL.«

  

DER KURZE DIETZ-WEG

EIN RATGEBER, DER KEINER SEIN WILL

EINLEITUNG (MIT DEM ULTIMATIVEN TIPP)

MARI UND WIE SIE DIE WELT SIEHT

EIERTÄNZE

FRAGEN IST BESSER ALS GLOTZEN

WIE SICH DAS FAMILIENLEBEN VERÄNDERT

WAS MARI ALLES KANN

DAS HANDYULTIMATUM

SHARI SHARI LADY

FUN FACT

»WAS SOLL DIESER ESO-QUATSCH?«

AUCH PROMIS MÜSSEN MAL AUFS KLO

AN DEN GRENZEN DER PRÄNATALDIAGNOSTIK

UMGANG MIT BERÜHRUNGSÄNGSTEN

»DASS SO ETWAS AUCH PROMIS TREFFEN KANN«

INKLUSION: ILLUSION?

DER HELIKOPTER BLEIBT IM HANGAR

ZORNIGE FRÜCHTCHEN

FRÜCHTE DES ZORNS

POSITIV SEIN STATT HADERN

»ICH KANN IHR KIND HEILEN.«

WIR WAREN ZUERST DA

»WER IST HIER BEHINDERT?«

WARUM DIESES BUCH?

DIE KOPENHAGEN-ARSCHHAAR-GESCHICHTE


DANKSAGUNG

 

PROLOG

»SOLL ICH MORGEN ARBEITEN GEHEN?«

OKTOBER 2015

ANDRÉ»Wollen Sie eine vorläufige Diagnose? Die hundertprozentige wird Ihnen ein Gentest bringen, aber ich habe eine Vermutung. Ich bin mir ziemlich sicher. Also, wollen Sie es wissen?«

Na klar wollten wir. Was sollte denn schon ein einziger Satz aus dem Mund eines fremden Mannes an unserem Leben ändern. Mari bleibt doch Mari. Wir sind doch wir!

Dieses WIR ahnte nicht, was nur Stunden später in unseren Köpfen passieren würde. Und dass dieser eine Satz sehr wohl unser bisheriges Leben und alles, was wir uns bis dahin vorgestellt hatten, komplett auf den Kopf stellen würde. Ein Satz, der uns in ein tiefes Loch stürzen ließ.

Mari war zu diesem Zeitpunkt fast zwei Jahre alt. Seit einem Jahr gärte in uns der Gedanke, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. Wir waren bei mindestens 20 Ärzten. Doch keiner hatte sich zu einer Diagnose hinreißen lassen. Alle lavierten herum, händerringend darum bemüht, ihre Unwissenheit nicht zu offenbaren. Einzig unsere Freundin Isa, selbst Kinderärztin, stellte aus der Ferne, nach vielen Telefonaten, die richtige Diagnose. Es war natürlich nur eine Vermutung, die ich damals nicht wahrhaben wollte. Doch irgendwo in den hinteren Hirnregionen speicherte ich diesen prägnanten Namen des Gendefekts ab. Soweit hinten, dass mir erst viele Tage nach der Diagnose wieder einfallen sollte, dass ich ihn schon einmal gehört hatte.

Wir hatten zwei Jahre voller nicht greifbarer Furcht hinter uns – und der Hoffnung, wir seien nur die üblichen übereifrigen Eltern, die einfach nicht verstehen wollen, dass jedes Kind sein eigenes Tempo hat.

Heute wissen wir: Ja, jedes Kind hat sein eigenes Tempo. Maris Tempo ist besonders eigen. Und eigentlich: besonders.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, was Shari für Klamotten trug und welche Farbe die Wand hinter der Liege hatte, auf der Mari herumkrabbelte. Aber ich kann mich noch an das Wetter erinnern. Es war sonnig und für einen Tag im späten Oktober ganz schön warm.

Irgendwo zwischen Köln und Bergisch Gladbach nimmt meine Erinnerung wieder Fahrt auf. Ich kann mich an den Klang von Sharis Stimme erinnern, an meine Gedanken, die vermeintlich geschärft, klar und rational um die nächsten Tage kreisten. Unterbewusst war ich wohl darauf bedacht, Shari und die Kinder zu schützen, indem ich versuchte, mich an der vermeintlichen Normalität festzuklammern. Unser Sohn, 20 Monate älter als Mari, wartete schließlich mit Sharis Mutter zu Hause auf uns, und unsere damals jüngste Tochter, 18 Monate jünger als Mari (ja, wir haben uns echt beeilt!), schlief in ihrem Autositz.

Shari saß mit den Mädels hinten im Auto.

»Soll ich morgen arbeiten gehen?«, fragte ich.

»Hä? Klar! Warum denn nicht?« antwortete Shari.

Ich erinnere mich daran, über die Tatsache nachgedacht zu haben, dass »Mari« im Japanischen »Wahrheit« bedeutet – und dass ich mich fragte, ob der Arzt eben tatsächlich die Wahrheit ausgesprochen hatte.

»Ihre Tochter hat mit großer Wahrscheinlichkeit einen Gendefekt namens Angelman-Syndrom.«

»Aha. Und was … bedeutet das?«

»Sie wird auf dem Entwicklungsstand eines Kleinkinds bleiben. Sie wird Schwierigkeiten haben, laufen zu lernen; viele lernen es gar nicht. Und sie wird im Laufe ihres Lebens nur höchstens zehn bis zwölf Wörter lernen«, sagte er. Sein Ton: halbtrocken mit einer Note von Einfühlsamkeit.

»Dann schaffen wir 20!«, verließen vier Wörter den Mund eines unbelehrbaren Optimisten.

Wie wir zum Auto gekommen, eingestiegen und losgefahren sind … Ich erinnere mich nicht.

»Soll ich morgen arbeiten gehen?«

Ab da ist alles wieder da. Die Fahrt und das Nach-Hause-Kommen werden mir wahrscheinlich wie ein sehr bewusster Rauschzustand für ewig im Gedächtnis bleiben. Ähnlich wie dieser eine Tag 1999, als ich durch die sonnigen Straßen meines Heimatdorfs hinter dem Sarg meiner Mutter hergehe und mich dabei erwische, wie ich neben mir selbst herlaufe und denke: Das passiert doch gerade nicht wirklich. Und wenn doch, dann hör endlich auf, dich zusammenzureißen!

Shari vergleicht den Moment der Diagnose oft mit der Nachricht vom Tod eines nahestehenden Menschen. Ich habe lange gesagt, dass man das nicht vergleichen kann. Aber sie hat recht.

Heute sehe ich den Moment, die Nachbereitung und die Verarbeitung der Diagnose im selben klaren und zugleich unwirklichen Licht wie die Tage nach dem Tod meiner Mutter.

Dabei war unsere Tochter auf dem Rückweg doch dasselbe fröhliche süße kleine Ding wie auf dem Hinweg.

»Soll ich morgen arbeiten gehen?«

Wie viel Wahrheit, Abstrusität, Klarheit, Verklärung, Traurigkeit, Humor stecken in diesem Satz?

»Warum denn nicht?«

Und wie viel von alledem steckt auch in dieser Antwort?

Dieser kurze Dialog zwischen Shari und mir spricht Bände über uns, unser Leben, unsere Liebe, unsere Sicht auf die Welt und unsere Art, Dinge anzugehen. Und genau davon erzählt dieses Buch. Und zwar so, wie Erinnerung funktioniert. Nicht streng chronologisch. Denn das Leben ist eben kein Protokoll.

ICH BIN DIE, DIE UNTERGEHT . . .

OKTOBER 2018

SHARIMari ist in einem Pflegeheim. Ich bin bei ihr, und wir verbringen unsere gemeinsame Zeit in einem cafeteriaähnlichen Gebäude. Es ist unglaublich laut. Um uns herum klirren Teller, viele Menschen laufen durcheinander. Erwachsene, Jugendliche, Kinder. Menschen mit Behinderung, Menschen ohne Behinderung. sichtbare und unsichtbare Probleme. Eine beklemmende Situation.

Mari sitzt in ihrem Reha-Buggy und wirkt teilnahmslos, starrt Löcher in die Luft. Es macht mich traurig, sie so zu sehen. Ihr echtes, herzliches und unbekümmertes Lachen fehlt. Mein Kind ist nur noch eine leere Hülle. Ganz nah bei mir und trotzdem so weit weg. Ich versuche sie zu füttern, sie abzulenken. Nichts hilft.

Verzweifelt hoffe ich darauf, dass André endlich kommt. Mich unterstützt, mir hilft. In solchen Situationen ist er es, der einen klaren Kopf behält. Der weiterhin positiv denken kann. Wo ist er nur? Ich schiebe Mari durch den Raum und laufe mir Blasen an die Füße. Sie schmerzen. Von André fehlt weiterhin jede Spur. Ich brauche Hilfe, möchte Mari endlich wieder glücklich sehen.

Warum ist sie überhaupt hier? Ihre Geschwister und ihr Zuhause würden sie jetzt wieder lebendiger machen.

Nachmittags machen Mari und ich einen Ausflug mit einer Gruppe aus dem Heim. Betreuer und auch andere Kinder sind dabei. Ein kurzer Moment des Glücks. Es geht mit einem Boot übers Wasser. Wasser ist Maris Element. Neben ihren Geschwistern, ihrem Papa und ihrer Mama hat Wasser die größte heilende Wirkung auf sie.

Plötzlich kentert das Boot, es geht unter. Ich habe Angst um meine kleine Mari. Sie darf nicht untergehen! Doch ich bin es, die mit dem Boot untergeht. Ich bin Mari. Ich blicke durch ihre Augen und versuche, das Boot nach oben zu ziehen und alle anderen Kinder zu retten. Ein kurzer Gedanke geht auch an mein Handy und dass es nicht nass werden darf. Habe ich es vielleicht gar nicht dabei? Und wenn doch, ist es dann für immer verloren? Ich sehe die Sonne durch die Wasseroberfläche über mir leuchten. Ich versuche, nach oben zu schwimmen. Ich kann nicht mehr atmen und muss nach oben. Ich schaffe es nicht. Ich bin hilflos.

 

IN KREISCHWEITE

IM HIER UND JETZT

OKTOBER 2018

ANDRÉ»Mein Gott, was für eine ätzende Nacht!«

»Allerdings …«

»Wo ist Mari?«

»Sie schaukelt im Spielekeller.«

Unsere Kleinste ist um vier Uhr wach geworden und nicht mehr ruhig zu kriegen. Gegen sechs ist sie endlich wieder eingeschlafen. Prompt kam unsere zweitälteste Tochter und machte aus unerfindlichen Gründen einen Riesenalarm, so dass sie damit unseren Sohn weckte, der um 6 Uhr 15 fertig angezogen in unserem Schlafzimmer stand und in die Schule wollte.

Es ist übrigens Sonntag.

Nur eine schläft. Mari! Ich wecke sie um acht, und sie begrüßt mich und den Tag mit einem Lachen. Während wir unser sonntägliches Ritual mit ausgiebigem Frühstück vorbereiten, obwohl unsere Nerven wegen der Eskapaden ihrer Geschwister blank liegen, schaukelt Mari im Spielekeller und freut sich ihres Lebens. Vor drei Wochen war es noch undenkbar, sie so lange unbeaufsichtigt zu lassen – und unvorstellbar, dass sie diese Fröhlichkeit an den Tag legte. Diese Fröhlichkeit, die sie so ausmacht und die während der Epilepsiephase fast komplett verschwunden war. Mit ihrer Behinderung zu leben ist für uns inzwischen ein Klacks. Nur die verdammte Epilepsie bricht uns regelmäßig das Genick. Aber eins nach dem anderen … Fangen wir mit Maris Eltern an und wie sie sich kennenlernten.

 

EINE LIEBESGESCHICHTE

»ICH STEHE NUR AUF ÄLTERE MÄNNER.«

DEZEMBER 2009

SHARI»Da kenne ich einen.«

»Ach ja?«

Und selbstlos hat er mich weitergereicht. Ich gebe zu: Das Ganze war kein Zufall. Mir war durchaus klar, dass Niklas sehr gut mit André befreundet ist. Und dass André Single ist. Der Weg über Niklas war mein strategischer Zug, um nicht allzu offensiv mit meinen Annäherungsversuchen anzurücken. Denn ja, ich war Fan. Ich bin Fan. Von André und von dem, was er macht. Ingo aus Alles was zählt ist mein Held, ich liebe seine Musik. Und so ein Serienstar bekommt ja bekanntlich des Öfteren nette Angebote, im besten Fall von schönen, jungen Damen. Da wollte ich mich nicht einreihen, also musste jeder Schritt gut durchdacht sein. André passte genau in mein Beuteschema: smarter Typ Mitte 30, wesentlich älter als ich. Lustig und nicht auf den Mund gefallen. Intelligent, attraktiv und charismatisch. Und obwohl ich ihn persönlich nicht kannte, hat er mir sehr gefallen. Eine Schwärmerei. Und dank der modernen Welt des Internets, ein paar Fotos von einem uns beiden bekannten Fotografen und einem Wink von Niklas musste glücklicherweise auch André feststellen, dass wir uns zwingend treffen sollten. Beste Voraussetzungen also für die große Liebe. Love at First Sight, arrangiert über Fotos auf Facebook. Klingt großspurig, gebe ich zu. Besser könnten es sich die Autoren einer Daily Soap nicht ausdenken. Aber es war real. Wir waren damals vielleicht beide genau am richtigen Punkt in unserem Leben, um die große Liebe kennenzulernen.

Ich hatte gerade eine aufregende Zeit in Hamburg hinter mir: ein Praktikum bei einem Online-Magazin. Gleichzeitig mein erster Sprung ins kalte Wasser. Erwachsenwerden. Und das, was andere Mädels in zehn Jahren testen, habe ich kurzerhand in sechs Monaten abgearbeitet. Eine für mich aufreibende und emotionale Zeit. Ich habe das erste Mal alleine gewohnt. In einer fremden Stadt. Ich war das erste Mal komplett auf mich alleine gestellt, hatte meinen ersten richtigen Job. Eine Zeit des Umbruchs. Affären mit vergebenen Männern, One-Night-Stands, ich habe meine Grenzen ausgetestet. Einzelheiten erspare ich euch, schon aus Rücksicht auf meine Mutter.

Und wann genau ist man bereit für den Traummann oder die Traumfrau? So viel kann ich sagen: Zurück in Köln war ich nicht mehr dieselbe Shari. Erwachsener, freier und bestimmt auch etwas entspannter. Ich war fest entschlossen, mich erst mal auf mich und mein Studium zu konzentrieren. Wahrscheinlich die beste Voraussetzung für ein Treffen mit dem Traummann. Für ein Treffen mit André.

Und André? Ich bin mir sicher, er hat alles bis zum Maximum ausgereizt in seinem Leben. Feiern, Alkohol, Frauen und Beziehungen. Ich kenne ein paar Details. Bei vielen Dingen habe ich meine Zweifel, dass diese Erfahrungen für seine Entwicklung wirklich nötig waren. Sie haben ihn allerdings zu dem Mann gemacht, den ich heute so sehr liebe.

Einen Tag nach unserem Kennenlernen hat er E-Mails an ein paar Damen verschickt. »Ich habe jemanden kennengelernt, wir können uns nicht weiter treffen.« Er hat mir das ein paar Monate später erzählt, als ich kurzzeitig mal Angst vor dem Moment hatte, an dem er mich doch »zum Mond schießt«.

Wir beide sind traurig über jedes Jahr, das wir ohneeinander verbracht haben, weil wir uns noch nicht kannten. Unglaublich, dass es überhaupt eine Shari ohne André gegeben hat. Wie gerne hätten wir uns schon früher getroffen. Ich mit 14, André mit 25. Okay, das wäre verwerflich gewesen. Wir waren an diesem Tag, zu dieser Zeit, bereit und offen füreinander. Wir waren frei. Wer weiß, ob es zu einem anderen Zeitpunkt so gut gepasst hätte. Nicht nur wegen des Altersunterschieds. Wir beide hatten unsere Geschichte, die uns an diesem Tag zusammengebracht hat.

Und ja, Liebe muss sich entwickeln. Zuneigung, Vertrauen, Intimität, Fürsorge – so was braucht Zeit. Aber der bekannte Blitz ist damals direkt bei uns eingeschlagen. Wir haben uns stundenlang unterhalten und die Leute um uns herum komplett ausgeblendet. Wir konnten und können die Hände nicht voneinander lassen.

Und wir haben direkt am ersten Abend auf den Tisch gebracht, was uns wichtig ist. Inklusive Themen wie Heiraten und Kinder. Was wir erwarten von unserem Partner, von einer Beziehung, von unserem Leben.

Liebe auf den ersten Blick? Wir sind reflektiert genug, um zu wissen, dass das vielleicht eine von uns konstruierte Illusion ist. Etwas, das wir im Nachhinein auf unseren ersten gemeinsamen Moment projizieren, weil er für uns so einzigartig und besonders war. Aber wir haben uns tatsächlich von der ersten Sekunde an mehr als gut verstanden. Der gleiche Humor, der gleiche Musikgeschmack, ähnliche Ansichten über Glauben und Medizin, über Politik und Menschen. Es hat einfach gepasst. Wir haben eine ganze Nacht, unsere erste Nacht, in Andrés Küche gesessen, um am nächsten Tag zu verkünden, dass es uns beiden sehr ernst ist. Am vierten. Tag hat André seinen halben Kleiderschrank freigeräumt und mich gebeten, bei ihm einzuziehen. Seit diesem ersten Abend haben wir nur wenige Nächte nicht miteinander verbracht. Weil André arbeiten musste, wir diverse Junggesellenabschiede gefeiert haben oder ich aufgrund der Geburten unserer vier Kinder im Krankenhaus gelegen habe.

Jede Sekunde, die wir nicht miteinander verbringen, ist mit Sehnsucht gefüllt. Wir sind verrückt nacheinander, heute mehr als früher, jeden Tag ein bisschen mehr.

LIEBE AUF DEN ERSTEN KLICK

DEZEMBER 2009

ICH WILL NUR DICH

WENN ES NICHT ROCKT

DANN MUSS ES ROLLEN

WAS ICH NICHT WILL

MUSS AUCH KEINER FÜR MICH WOLLEN

DOCH WENN AUS NACHLÄSSIGKEIT

LÄSSIGKEIT GEWORDEN IST

BLEIB NICHT WIE DU BIST

BLEIB NICHT WO DU BIST

DANN KAMST DU

DURCH MEINE TÜR

UND PLÖTZLICH WEISS ICH WAS ICH WILL

MIT WEM UND WOFÜR

UND WENN DIE NACHT DANN WIEDER

ZUM TAG GEWORDEN IST

BLEIB, WO DU BIST

UND BLEIB, WIE DU BIST

ICH WILL NUR DICH

ICH STEH AUF DICH

SEIT ICH WEISS DASS ES DICH GIBT

BEI ALLEM WAS MIR HEILIG IST

ICH HAB NOCH NIEMALS SO GELIEBT

UND WENN AUS LUFTSCHLÖSSERN

EIN PALAST GEWORDEN IST

BLEIB WO DU BIST UND BLEIB WIE DU BIST

ICH WILL NUR DICH

ANDRÉAlles, was in diesem Songtext steht, ist wahr. Und alles, was ich jetzt erzähle, ist auch wahr. Und ja, ich weiß, wie unglaubwürdig, verträumt und realitätsfern es klingt. Ich selbst hätte es vor diesem Tag im Dezember 2009 genauso wie die meisten von euch als die völlig verballerte, romantisierte Schmonzette eines liebestrunkenen Vollidioten beziehungsweise die in der Nachbereitung aufgehübschte Story eines frustrierten Mittvierzigers gesehen.

Aber es ist so wahr wie die Tatsache, dass wir immer noch ein Paar sind, obwohl wir dieses Buch gemeinsam geschrieben haben.

Stellt euch einen Typen vor, der mit Mitte 30 noch keine Beziehung auf die Reihe gekriegt hat, die länger als drei Monate ging. Der zehn Jahre On/Off der kränksten Art hinter sich hat. Der sich einen Sport daraus gemacht hat, nicht alleine nach Hause zu gehen. Der in einer Nacht mehr Bier getrunken und mehr Kippen geraucht hat als der Durchschnittsdeutsche in einem Quartal. Der mehr vergessen hat, als die meisten Leute jemals wissen werden (danke, Bob). Der auf einem Tisch eingeschlafen ist und daraufhin drei Monate mit einer tauben Hand rumlaufen musste. Der mindestens dreimal in der Woche bis morgens feiern war, und das so exzessiv, dass einige Leute immer wieder dachten, da sei Koks im Spiel. (War aber zum Glück nie mein Ding. Damit wäre ich wahrscheinlich neun Tage lang wach geblieben.)

Dieser Typ geht also eines Abends zu seiner Tür, öffnet und sieht: Sie.

Sie tritt ein – und ist nie wieder gegangen.

»Soll ich dir die Wohnung zeigen?«

»Klar!«

Ich deute auf die 0,5 Quadratmeter große Speisekammer.

»Da geht’s zum Ostflügel, aber ich zeig dir erst mal den Westflügel und das Billardzimmer!«

In Wahrheit stolpern wir durch mein erweitertes Wohnzimmer, hin zu meinem Schlafzimmer mit dem Schrank, den ich nur drei Tage später freiräumen werde, um ihr anzubieten, bei mir einzuziehen.

Zurück in der Küche trinken und lachen wir, als gäbe es kein Morgen mehr. Und während sich drei ebenfalls anwesende Freunde von mir über Fußball unterhalten, reden wir über eine Hochzeit im Schloss. Und der Typ, der eigentlich nicht mehr in Betracht gezogen hat, jemals zu heiraten, beginnt sich mit diesem Gedanken anzufreunden. Und der Typ, der die Hoffnung aufgegeben hat, geplant (!) Vater zu werden, stellt die eine Frage, die jede andere Frau in die Flucht geschlagen hätte: »Willst du Kinder?«

Seit dieser Nacht, vor neun Jahren, haben wir vielleicht 20 Nächte nicht miteinander verbracht.

Kein Wunder, dass wir inzwischen so viele Kinder haben.

 

AUSNAHMEZUSTAND EINS

WIE IN EINEM FILM

AUGUST 2018

SHARIEin Jahr anfallsfrei. Und dann, letzte Woche Dienstag, der Anruf aus dem Kindergarten. Am ersten Tag nach den Sommerferien: »Mari ist nicht mehr ansprechbar. Wir glauben, dass sie einen Anfall hat.«

Der erste Anfall im Kindergarten. Ich hatte die Erzieher im Kindergarten zwar morgens darauf vorbereitet, dass Mari gerade in einem Medikamentenentzug ist und wir mit dem Schlimmsten rechnen müssen, doch nun war ich es, die unvorbereiteter und überraschter nicht hätte sein können. »Ich komme«, habe ich gesagt und mich umgehend ins Auto gesetzt. Wie in einem Film bin ich zum Kindergarten geflogen. Ohne Rücksicht auf Verkehrsteilnehmer oder Tempolimits, gedanklich immer bei meinem Kind. Ich hatte Angst. Davor, dass Mari leidet – aber vor allem davor, dass ich alleine bin und hilflos. Dass ich nicht weiß, was zu tun ist oder wie ich ihr helfen kann.

Mari lag auf dem Boden im Therapieraum des Kindergartens. Ein schlimmer epileptischer Anfall. Beziehungsweise das, was die Mediziner einen »Status epilepticus« nennen: ein mehr als 20-minütiger Anfall oder eine Serie von Anfällen ohne eine echte Erholung dazwischen. Rhythmisch hat sie mit Armen und Beinen auf den Boden geschlagen, Schaum hat sich vor ihrem Mund gebildet, ihre Augen haben sich weggedreht. Um mich herum tausend Leute und ich trotzdem ganz allein. Allein mit Mari. Allein mit meinem Kind. Schluchzend habe ich über ihr gehangen und immer wieder nach André und dem Rettungswagen gerufen. Denn obwohl ich weiß, dass Mari Epileptikerin ist, obwohl ich schon diverse Anfälle mit ihr erlebt habe, bin ich jedes Mal aufs Neue so geschockt, hilflos und verängstigt, wie man nur sein kann.

Die Erklärung für die Anfälle liegt nahe: der Entzug. Zur Erklärung: Mari bekommt ein Medikament namens Pharma GABA, das sie entspannter macht. Ein Nahrungsergänzungsmittel, mit dem sie ausgeglichener und aufnahmefähiger ist. Und es lässt sie endlich durchschlafen! Leider findet bei diesem Medikament eine Gewöhnung statt. Das bedeutet, dass es nach einiger Zeit nicht mehr wirkt. Nach sechs Monaten, wenn wir Glück haben. Manchmal auch schon nach sechs Wochen. Hilfe bringt dann leider nur ein Medikamentenentzug. Ganz langsam dosieren wir das Medikament runter in der Hoffnung, dass wir Mari anfallsfrei durch diese Phase bekommen. Denn ein zu schneller Entzug löst auf jeden Fall Anfälle aus. Ist das Medikament komplett runterdosiert, folgt eine zweiwöchige Pause. Anschließend dosieren wir das Medikament ganz langsam wieder ein, so dass dann bei voller Gabe des Medikaments hoffentlich wieder der gewünschte Effekt eintritt.

Der aktuelle Entzug, so viel ist jetzt leider klar, findet trotz langsamer Herunterdosierung nicht ohne Anfälle statt. Seit dem ersten Anfall ist eine Woche vergangen. An Maris Zustand hat sich nichts geändert. Sie krampft fast täglich. Wir hangeln uns von Minute zu Stunde, von Stunde zu Tag. Immer in der Hoffnung, wir schaffen es wenigstens kurz ohne Anfall. Und ohne Valium. Denn das bekommt sie, wenn sie krampft. Oder wenn sie nachts so laut und so lange schreit, dass wir keinen anderen Weg sehen, um sie zu beruhigen. Ein Medikament, das sie ruhigstellt und gleichzeitig eine fast berauschende Wirkung auf sie hat. Und die Entzugsphase mit den Anfällen bedeutet für uns nicht nur schlaflose Nächte: Wir lassen Mari keine Sekunde aus den Augen und sind jederzeit auf Abruf. Alles dreht sich um Mari. Wir sprechen mit Ärzten, sind oft im Krankenhaus.

Auch für Maris Geschwister ist das eine Herausforderung. Oft parken wir sie bei Nachbarn und Babysittern und rasen ohne große Erklärungen davon. Wir wissen, dass das Spuren hinterlässt. Wir versuchen, das mit ihnen aufzuarbeiten. Dabei beschäftigen uns eigentlich nur Themen wie die Notfallnummer, der Notarzt und das Notfallmedikament, also Valium.

Und wie sollte es anders sein: André hat gerade so viel Arbeit wie lange nicht mehr. Ja, und Maris Geschwister haben genau jetzt Kindergartenferien. Die Einschulung unseres Sohnes steht bevor, ein Buch gilt es zu schreiben – und was ist überhaupt mit uns? Mit Shandré?

Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir noch mal an so einen Punkt kommen. Diese Phase macht uns klar, dass wir immer mit allem rechnen müssen. Dinge, die wir über andere Angelman-Kinder gelesen und arrogant von uns weggeschoben haben – à la »So was ist uns zum Glück erspart geblieben« –, werden uns nicht erspart bleiben.

Heute Morgen bin ich aus diesem Traum erwacht, in dem Mari in einem Pflegeheim lebt. In dem ich versuche, alles zu geben, aber merke, dass ich keine Kraft mehr habe, uns vor dem Ertrinken zu retten. Wir hatten Mari abgegeben. Wir hatten Mari aufgegeben. Dazu mein Handy, das eine bestimmte Bedeutung hat für die Beziehung zwischen André und mir. Ich habe in diesem Traum so große Angst, dass das Handy nass wird. Dass es kaputtgeht.

Ich habe André davon erzählt. Der Traum ist bezeichnend für mein Leben. Für die Situation, in der ich gerade gefangen bin. In Sorge um mein Kind, dem ich scheinbar nicht helfen kann. Gleichzeitig voller Angst, meine anderen Kinder und meinen Mann aus den Augen zu verlieren. Ich bin kraftlos. Trotzdem stark und voller Liebe. Denn obwohl es noch nicht in greifbarer Nähe ist, sehe ich Licht am Ende des Tunnels.

ANDRÉ-NALIN & LÄHMUNG

AUGUST 2018

ANDRÉ»André! Die Shari hat gerade angerufen. Mari hat einen Anfall im Kindergarten.«

Ich stehe im Büro unseres Producers und rede mit ihm über die Abnahme der gerade abgedrehten Folgen durch RTL. Ein voller Erfolg. Ich grinse noch, als ich mich zu Sandra umdrehe, die mir diesen Satz zuruft. Ich nicke Peter, unserem Producer, zu und gehe einen Raum weiter zu unserem Disponenten. Der arme Marcel hat gerade dermaßen den Kaffee auf. Er muss drei Ausfälle von Kollegen kompensieren und kommt mit der Planung der Drehtermine nicht hinterher. In den zwölf Jahren, die ich für die Serie drehe, habe ich noch nie eine so verfahrene Disposituation erlebt. Und mein eigenes Pensum ist gerade ebenfalls so hoch, wie es selten war. Alleine heute habe ich noch acht Szenen zu drehen. »Meine Tochter hat einen Anfall und ich …« – »Fahr!«, sagt Marcel. – »Aber …«

»Fahr!« Ich bin baff. Marcel hat noch nicht einmal nachgedacht, und all der Stress und Ärger, die ihm mein Wegfahren bereiten wird, scheinen ihm in diesem Moment egal zu sein.

Ich schminke mich ab, ziehe mich um, packe meine Sachen und spiele in einer seltsamen Ruhe alles durch, was mich erwartet. Ich gehe aus meiner Garderobe und fange an zu rennen. Ich steige in mein Auto. Zugeparkt. Aussteigen und Alarm schlagen oder rangieren? Ich zittere, bleibe aber ruhig. Rangieren geht schneller. Zwei kostbare Minuten und ich habe endlich ausgeparkt. An der Schranke das nächste Hindernis. KARTE NICHT LESBAR. Das passiert zwar manchmal, ist aber schon verdammt lange her. Ich ziehe die Karte weg und halte sie wieder vor den Sensor. KARTE NICHT LESBAR. Noch mal. KARTE NICHT LESBAR. Dann raste ich aus und fluche und schreie dem mechanischen Schrankenwärter entgegen, dass er jetzt endlich die verfickte Schranke hochfahren soll. Ich wäge ab, ob ich bereit bin, die Schranke zu durchbrechen, und sage mir dann: »Was, wenn es nur ein kleiner Anfall war und alles längst geregelt ist?!« Da geht endlich die Schranke auf. Weiter zur Ampel. Rot. Natürlich. Ich schaue links, rechts. Alles frei. Der Motor heult auf und ich fahre nacheinander über zwei rote Ampeln. Immer noch zitternd, aber vollkommen fokussiert und konzentriert. Ich rufe Shari an. Sie ist relativ gefasst. »Ich weiß noch nichts. Bin gleich im Kindergarten.« Ich überschreite die Geschwindigkeit um das Doppelte. Mari hatte bisher mehr als zehn Anfälle und, warum auch immer, ich war bei JEDEM dabei. Ich konnte immer agieren. Jetzt bin ich 20 Kilometer entfernt und will so schnell wie möglich bei meinem Mädchen sein. An der Zufahrt zu unserem Dorf blockiert ein Unfall die Straße. Mit Reifenquietschen lege ich einen U-Turn hin. Alle halten mich für bekloppt. Zu Recht. Ich komme am Kindergarten an und der Notarztwagen ist bereits vor Ort. Ich renne rein und öffne die Tür zu dem Raum, in dem Mari den Anfall bekommen hat. Ich sehe Shari, die über Mari gebeugt ist. »Wie lange?«, frage ich. »Sie krampft seit fast 30 Minuten«, entgegnet Uta, ihre Einzelfallhilfe – der einzige Mensch, der Mari fast so gut kennt wie Shari und ich. »Das ist viel zu lang!« Ich spreche aus, was alle schon wissen. »Was hat sie bekommen?« »5 mg oral und vom Notarzt noch mal 15 mg …«, sagt Shari verzweifelt. »Amsterdamer?« Gemeint ist die Kinderklinik in der Amsterdamer Straße in Köln.

»Amsterdamer! Ich trage sie« antworte ich. Ich bringe Mari zum Rettungswagen und lege sie auf die Bahre.

»Fahr du mit. Ich packe das gerade nicht und fahre mit dem Auto zur Klinik«, sagt Shari. Da ist es wieder. Dieses blinde Vertrauen, Dinge schnörkellos aussprechen zu können, wie sie sind, und seine Schwächen und Stärken in kritischen Momenten richtig einschätzen zu können. Ich bleibe also bei Mari, schnalle mich an und halte ihre Hand. An diesen Anblick gewöhnt man sich wohl nie. Diesen Anblick, wenn dein Kind vor dir liegt und nicht mehr da ist. Kein Lächeln, ein kaum merkbares, flaches Atmen, die nach oben verdrehten Augen. Um es in aller Härte, mit allem Realismus zu sagen: Sie sieht aus, als sei sie tot. Ich weiß, dass sie es nicht ist, denn ich hatte das, wie gesagt, schon ein paar Mal gesehen, aber dieses Mal habe ich das unbestimmte Gefühl, dass es kein gutes Ende nehmen würde.

»Wie viel Uhr ist es?«, frage ich die Ärztin, die bei mir sitzt »10 Uhr 55«, antwortet sie, während sie versucht, ruhig zu wirken. »Verdammt, komm jetzt da raus, Schatz!«, sage ich und halte weiter Maris Hand. Ich küsse sie, kitzle sie in der Handfläche (was sie so liebt), streichle ihr Haar – aber nichts tut sich. Einer der Rettungssanitäter nimmt ein in Plastikfolie eingepacktes Teddybärchen aus einem der Schränke. Er öffnet die Folie und reicht mir das Kuscheltier. Ich ignoriere das Bärchen, nehme die Folie und raschele damit an Maris Ohr. Irgendwann bekomme ich ein Lächeln. Endlich! Aber eine Sache schockiert mich zutiefst: Sie lächelt nur halbseitig. Die andere Seite ist gelähmt.