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  Dorothea Gersdorf– Anleitung zur Gelassenheit | Entspannt glauben– SCM R.Brockhaus

SCM | Stiftung Christliche Medien

ISBN 978-3-417-22700-0 (E-Book)
ISBN 978-3-417-26582-8 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:
CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

© 2014 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG
Bodenborn 43 · 58452 Witten
Internet: www.scmedien.de; E-Mail: info@scm-brockhaus.de

Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:
Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · Bodenborn 43 · 58452 Witten Weiter wurden folgende Übersetzungen verwendet: Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (LUT)
Gute Nachricht Bibel, revidierte Fassung, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 2000 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (GNB)
Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart (EÜ)

Umschlaggestaltung: Dietmar Reichert, Dormagen
Satz: Christoph Möller, Hattingen

Gewidmet meinen Eltern,

durch die ich den Vater im Himmel

kennenlernte

Inhalt

Einleitung

Teil 1: Das harte Joch

1 Abgeschnitten von der Quelle

2 Die Suche am falschen Ort

3 Die verlorene Freiheit

Teil 2: Das Joch der Liebe

„Kommt her zu mir!“

Ins Vaterhaus heimkehren

Auf die richtige Stimme hören

Sich von Gott lieben lassen

„Lernt von mir!“

Sich zu ihm setzen und einfach sein

Authentisch leben

Gott für sich kämpfen lassen

„Findet Ruhe für eure Seelen!“

Gott im Herzen begegnen

Das Gute empfangen, das andere schenken

Gut zu sich selbst sein

„Mein Joch ist sanft!“

Aus der geistlichen Identität leben

Das Leben zu einem Geschenk machen

Dort blühen, wo man gepflanzt ist

Abschließende Gedanken

Dank

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Einleitung

Es war ein unerfreuliches Gespräch mit meinem Mann Rolf, bei dem es um die Gestaltung unseres geistlichen Lebens ging. Ich beklagte mich zum wiederholten Mal darüber, dass wir nicht genug zusammen beteten, während er mit dem Status quo zufrieden war. Schließlich gab er mir zu verstehen, dass es ein generelles Problem sei, dass ich mich nicht entspannen könne. Wir hatten schon eine ganze Weile hin und her diskutiert, ein Wort hatte das andere gegeben, als Rolf mir ernsthaft nahelegte: „Du musst lernen, einfach mal die Zeit verstreichen zu lassen.“

Wie bitte? Hatte ich recht gehört? Mein anfänglich ungläubiges Erstaunen wich im Bruchteil einer Sekunde heftiger Empörung und Abwehr. Allein schon die Formulierung „Zeit verstreichen lassen“ rief in mir Aversionen hervor; meine Nackenhaare hätten sich aufgestellt – hätte ich denn welche gehabt.

Unser Gespräch fiel in einen Lebensabschnitt, in dem wir zusammen mit unseren drei kleinen Kindern in einer überkonfessionellen missionarischen Kommunität lebten und mitarbeiteten – eine äußerst anstrengende Zeit! So war es für uns normal, dass einer von uns beiden am Abend im Rahmen unseres Dienstes unterwegs war. Ich wollte Gott mit all meiner Kraft dienen, und wie sehr war ich darum bemüht, ihm zu gefallen! Ich gab mir alle Mühe, mich ausreichend für ihn zu engagieren, seinen Willen herauszufinden und zu befolgen, ich hielt meine Gebetszeiten ein und vieles mehr. Und dennoch kamen mir immer wieder Zweifel, ob mein Einsatz für Gott genügte. Zweifel, die mein Mann nicht kannte. Deshalb war er auch zutiefst davon überzeugt, dass unsere gemeinsamen Gebetszeiten ausreichten und Gott völlig damit zufrieden war.

Was mich betraf, widersprach der Appell meines Mannes sämtlichen Überzeugungen, zu denen ich in meinem bisherigen Glaubensleben gelangt war. War es nicht so, dass das Wort Gottes uns ausdrücklich dazu aufforderte, die Zeit auszukaufen und die von Gott gegebenen Talente nicht brachliegen zu lassen? Sollten wir nicht mit all unserer Kraft nach Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit trachten? Hatte uns Jesus nicht den klaren Auftrag gegeben, die frohe Botschaft bis ans Ende der Erde weiterzutragen, und legte uns der Apostel Paulus in seinem Brief an Timotheus nicht nahe, sie zur „gelegenen wie zur ungelegenen Zeit“ zu predigen? Wie sollte es bei einem solch gewaltigen Auftrag dann gerechtfertigt sein, kostbare Zeit ungenutzt verstreichen zu lassen? War es zu verantworten, Gottes wertvolle Zeit zu vergeuden? Einfach zu entspannen?

Mein Mann nahm meine Einwände mit ruhiger Gelassenheit zur Kenntnis, ohne etwas darauf zu erwidern. Wir sahen uns eine Weile schweigend an, und während ich vergeblich darauf wartete, dass er konterte, spürte ich zu meinem eigenen Erstaunen, wie mein Zorn verrauchte, meine Empörung nachließ und ich nachdenklich wurde. Rolfs Worte rührten etwas in mir an. Da war etwas wie eine leise Ahnung, dass in ihnen eine wichtige Botschaft für mich lag, die ich allerdings noch nicht verstand, und er mir eine Fährte legte, von der ich noch nicht wusste, wohin sie mich führen würde. Mir schien es, als würde in mir eine verborgene Sehnsucht angerührt, die noch keinen Namen hatte, die aber im weitesten Sinne etwas mit Aufatmen, Zur-Ruhe-Kommen und gelassener Heiterkeit zu tun hatte. Es fühlte sich an wie eine Einladung, die Seele baumeln zu lassen, als ob mir jemand die Erlaubnis zusprach, dass ich es mir gut gehen lassen dürfe. In meiner Seele entstand als Resonanz auf die Worte meines Mannes eine leise Bewegung, für die mir folgendes Bild kam: ein Glas, gefüllt mit klarem Wasser, von dessen Grund sich zarte Bläschen zaghaft, aber stetig lösen und nach oben perlen, einem unbekannten und dennoch vertrauten Raum entgegen.

Die Natur folgt einem ständigen Rhythmus zwischen Anspannung und Entspannung: Ebbe und Flut, Frühling und Herbst, Sommer und Winter, Wind und Flaute. Auch in unserem Leben gibt es diese Abfolge: einatmen und ausatmen, wachen und schlafen, arbeiten und ruhen, lachen und weinen, geben und nehmen. Im Idealfall befinden sich beide Pole in einem guten Gleichgewicht. Als mein Mann mir damals sagte, ich müsse es lernen, einfach mal die Zeit verstreichen zu lassen, veranlasste er mich dazu, mir über diese Dinge im Hinblick auf mein Leben Gedanken zu machen. Er hätte auch sagen können: „Du musst lernen, dich mal zu entspannen“, oder noch konkreter: „Du musst lernen, entspannter zu glauben.“ Denn dies war es, worum es eigentlich ging. Er hatte damit eine echte Not angesprochen, die es in mir und meinem Leben gab. Letztlich hatte er erkannt und thematisiert, dass es in puncto Anspannung bzw. Entspannung bei mir eine Schräglage gab. Das spürte ich selbst, wusste aber nicht, wie ich es hätte ändern können.

In der Tat sehnte ich mich nach nichts mehr als nach einer entspannten Gottesbeziehung, einem Glauben, der von ruhiger Gelassenheit und Zuversicht geprägt war. Ich sehnte mich danach, bei Gott in die Stille zu finden. Doch gleichzeitig war da ein Unvermögen, das sich beispielsweise darin ausdrückte, dass ich nur schwer in die Anbetung fand. Immer wieder plagten mich diffuse, wiederkehrende Schuldgefühle, die mich mit der Frage quälten, ob ich gehorsam genug sei und Gott mit meinem Leben wirklich zufrieden. Auch Selbstzweifel spielten dabei eine Rolle,Immer wieder plagten mich diffuse, wiederkehrende Schuldgefühle, die mich mit der Frage quälten, ob ich gehorsam genug sei und Gott mit meinem Leben wirklich zufrieden.gespeist aus der Unart, mich ständig mit anderen zu vergleichen. Daraus erwuchs viel Unzufriedenheit mit mir selbst und meinem Leben. Denn ich war auf die Stärken anderer fokussiert und gleichzeitig – wie konnte es anders sein – auf meine Schwächen. Diese Rastlosigkeit und Anspannung spürte ich nicht nur in geistlichen Dingen und in meiner Gottesbeziehung, sondern auch in anderen Bereichen meines Lebens.

Pastor Manfred Lanz beschreibt ähnliche Erfahrungen folgendermaßen:

In einer Zeit tiefster Not und Verlorenheit schrie ich zum Herrn und er errettete mich. Seine Gnade und Errettung schenkten mir neues Leben. Leidenschaft, Begeisterung und eine tiefe Freude über die Erlösung erfüllten mein Herz. Dann folgte ein gewisser, unmerklicher Prozess. Zunehmend spielten Pflichterfüllung, Leistung und Disziplin eine entscheidende Rolle. […] Getrieben von Aufgaben und Zielen, diente ich Gott und wollte mein Bestes geben, ihm und anderen Menschen zu gefallen. Mein Innerstes war jedoch nicht zutiefst befriedet und befriedigt.1

Bis heute habe ich viele Christen kennengelernt, die mit ähnlichen Symptomen ringen. Diese Menschen zeichnen sich in der Regel durch folgende Eigenschaften aus: Sie lieben Jesus und wollen ihm dienen – mit allem, was sie sind und haben. Sie sind gewissenhaft und stetig, sie haben ein hohes Verantwortungsgefühl, neigen zu Perfektionismus und stellen hohe Anforderungen an sich selbst. Gleichzeitig haben sie ein feines Gewissen und sind anfällig für Schuldgefühle; oft kommen sie nur schwer zur Ruhe. Sie ringen häufig mit Symptomen wie Unzufriedenheit mit sich selbst, nagenden Selbstzweifeln oder innerer Anspannung. Viele beschreiben es so, dass sie in ihrem Glauben und ihrer Beziehung zu Gott nicht so recht froh werden. So kann es kommen, dass im Grunde alles, was uns Gott eigentlich zum Segen dienen lassen will, bei ihnen Druck erzeugt: die Zeiten, die sie mit Gott verbringen, von der Anbetung und Fürbitte über ihr Bibelstudium bis hin zu ihrem Gemeindeengagement – es gibt keinen Bereich, der davon ausgenommen ist. Alles, was ihnen zu Beginn ihres Christseins eine Lust war, kann zu einer Last werden. Immer neue geistliche Erfahrungen oder religiöse Gefühle erleben zu wollen, auch das kann in Leistungsstress ausarten. Sogar ihr Verweilen bei Gott kann für sie zu einer angespannten Pflichtübung werden.

Warum ist das bei manchen Menschen so? Wie kann es sein, dass Gottes liebevolles Angebot, das die einen mit Freude und Dankbarkeit annehmen und ausschöpfen, für andere zu einem schweren Joch wird, die Bibel spricht von einem Joch der Knechtschaft (Galater 5,1)? Weshalb geraten etliche Christen im Laufe ihres Glaubenslebens in das Fahrwasser von Leistungsstress, Anspannung und Frust?

Es gibt seelische und geistige Mechanismen, die hierbei eine Rolle spielen und die wir kennen sollten. Zudem haben wir es mit bestimmten biblischen Prinzipien zu tun, die, wenn sie im Leben eines Menschen wirksam sind, folgerichtig zu einer solchen Entwicklung führen müssen. Sie entfalten nicht selten ihre Wirksamkeit im Zusammenspiel mit den persönlichen inneren Konflikten und Verwundungen eines Christen. Die beschriebene Not ist zudem häufig nur vor dem Hintergrund der speziellen Lebensgeschichte eines Menschen verständlich.

Meine Erfahrung ist, dass der Weg aus einer solchen Problematik heraus darüber führt, dass diese dahinter liegenden, oft sehr verborgenen Zusammenhänge erkannt werden. In den Psalmen fand ich ein Gebet König Davids, in dem er unsere Not in Worte fasst und Gott um Hilfe bittet: Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz. Prüfe mich und erkenne meine Gedanken! Und sieh, ob ein Weg der Mühsal bei mir ist, und leite mich auf dem ewigen Weg! (Psalm 139,23-24).

Wege der Mühsal entstehen, wenn ein Joch der Knechtschaft auf uns lastet. Daher wollen wir uns zunächst mit diesem harten Joch befassen, denn um es ablegen zu können, müssen wir es zuerst „begreifen“. Gott muss uns dabei helfen, denn es geht um Motive unseres Herzens, die uns oft nicht bewusst sind. Wenn wir uns nach Veränderung sehnen so wie ich damals, müssen wir zunächst verstehen, warum unser Leben von solcher Hast und Unruhe geprägt und unser Weg manchmal so anstrengend und schwer ist. Wir müssen erkennen, was unser Sein und unseren Glauben belastet, denn Jesus sagt ausdrücklich, dass sein Joch nicht schwer ist:

Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen! Und ich werde euch Ruhe geben. Nehmt auf euch mein Joch, und lernt von mir! Denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen, denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. (Matthäus 11,28)

Diese Verse sind mir im Hinblick auf unser Thema wichtig geworden. Daher werden wir sie genauer studieren, nachdem wir uns mit dem Joch der Knechtschaft befasst haben. Sie werden uns im 2. Teil durch dieses Buch begleiten, wir werden uns gewissermaßen an ihnen „entlangarbeiten“. Wie können wir Jesu „Kommt her zu mir“ Folge leisten? Was meint Jesus, wenn er sagt, sein Joch sei nicht schwer? Was haben wir uns unter dem „leichten Joch Jesu“ vorzustellen? Wie kann ein Prozess gelingen, der uns zu Jesus führt und bei dem wir von seinem Wesen lernen und bei ihm zur Ruhe finden? Mit diesen Fragen wollen wir uns befassen.

Veränderung ist möglich, Gott sei Dank. Zwanzig Jahre sind seit jenem Gespräch mit meinem Mann vergangen – Jahre, in denen es mir gelang, meinen mühseligen Weg zu verlassen, und in denen ich es tatsächlich gelernt habe, Zeit verstreichen zu lassen. Und ich lerne es immer noch. Aber ich bin auf einem guten Weg, die eingeschlagene Richtung stimmt.

Alles fing damit an, dass Gott begann, „mein Herz zu erkennen“. Wenn Gott sich um unser Herz kümmert und es „erkennt“, dann wird es sehr persönlich und intim, wie es bei Herzensangelegenheiten nun einmal der Fall ist. Dann geht es um Themen wie Vertrautheit, Nähe, Hingabe – kurzum, es geht um Beziehung, denn unser Herz ist ein Kontaktorgan. Gott möchte mit uns über Beziehungen bzw. unsere Beziehungsschwierigkeiten sprechen, denn häufig liegt hier der Kern unserer Mühsal. Dabei geht es ihm nicht nur um die Beziehung zu ihm, sondern genauso um unseren Umgang mit anderen Menschen und nicht zuletzt mit uns selbst, da diese drei Ebenen unseres Seins untrennbar zusammengehören und ineinandergreifen.

Gottes Wiederherstellung, sein Weg, uns in seinen Frieden zu bringen, betrifft alle drei Beziehungsbereiche, und von ihnen handeln auch die folgenden Kapitel. Es geht darum, wie Gott uns verändert und heilt, uns von unserer Rastlosigkeit und Mühsal befreit, uns zur Ruhe und auf dem ewigen Weg zum Ziel bringt. Wertvolle Denkanstöße dafür bekam ich – abgesehen von der Bibel – durch die inspirierende Lektüre alter und moderner christlicher Mystiker (das Thema Mystik und deren biblische Grundlage wird ab Seite 103 ausführlicher behandelt), im Austausch mit meinem Mann, meinen Kindern und Freunden. Manche Gedanken und Impulse sprach Gott auf seine sanfte und gleichzeitig eindringliche Weise in mein Herz und in mein Leben hinein.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Teil 1 | Das harte Joch | Für die Freiheit hat Christus uns frei gemacht. Steht nun fest und lasst euch nicht wieder durch ein Joch der Sklaverei belasten! (Galater 5,1)
Teil 1 Das harte Joch Für die Freiheit hat Christus uns frei gemacht. Steht nun fest und lasst euch nicht wieder durch ein Joch der Sklaverei belasten! (Galater 5,1)

Vor einiger Zeit wachte ich eines Morgens mit Kopfschmerzen auf. Als sich die Schmerzen hartnäckig hielten und sich über zwei bis drei Tage in meiner Stirn festsetzten, wurde ich stutzig. Ich fing an, mir Gedanken zu machen, denn über die Jahre hatte ich gelernt, meine Körpersprache ernst zu nehmen. Gab es etwas, worüber ich mir wortwörtlich den Kopf zerbrach?

Zuerst tappte ich im Dunkeln, aber nach und nach kam ich den Hintergründen auf die Spur. Ich war kurz davor, mit dem Schreiben dieses, meines vierten Buches zu beginnen – eine Tätigkeit, die ich normalerweise mit Lust und Freude in Angriff nehme. Warum dann aber die Kopfschmerzen? Dazu muss man wissen, dass ich die Themen meiner ersten Bücher selbst ausgewählt habe, weil sie mir auf dem Herzen lagen und ich es wichtig fand, darüber zu schreiben. Ich hatte die Manuskripte also geschrieben und erst danach dem Verlag vorgelegt, ohne im Voraus zu wissen, ob dieser sie annehmen würde. Das war zwar ein Risiko gewesen, gab mir aber den Freiraum, in aller Ruhe und ohne Zeitdruck zu arbeiten.

Diesmal aber war es anders, denn der Verlag war mit der Anfrage auf mich zugekommen, ob ich nicht über das Thema „Entspannt glauben“ (zu dem ich schon eine Andacht verfasst hatte) ein ganzes Buch schreiben wolle. Ich hatte zugesagt und befand mich nun in der Situation, meine Zusage halten zu müssen. Der Verlag hatte mir zwar für den Abgabetermin alle Freiheit gelassen, aber ich fühlte mich trotzdem irgendwie unter Druck.

Interessant, dachte ich, das, was mir vorher eine Lust war, wird mir plötzlich zur Last. Wie kann das sein? Wie kommt es, dass ein und dieselbe Tätigkeit mir das eine Mal mühelos von der Hand geht und das andere Mal Kopfzerbrechen verursacht und zur Qual wird? Wie kommt es, dass aus der Kür eine Pflicht wird?

Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass ich mit diesen Überlegungen schon beim Thema des Buches war; meine Kopfschmerzen bescherten mir einen idealen Einstieg! Denn ich entdeckte, dass genau dies die Entwicklung ist, die viele Christen in ihrem Glaubensleben durchlaufen – so auch ich. Als ich mit neunzehn Jahren zum Glauben an Jesus kam, erlebte ich eine fast euphorische Zeit. Ich hatte das – oder eher den – gefunden, nach dem ich mich, ohne es zu wissen, seit meiner Kindheit zutiefst gesehnt hatte: Gott. Oder besser gesagt: Er hatte mich gefunden. Die Erfahrung, dass er sich mir gezeigt hatte als jemand, der an mir interessiert ist, mit mir in Beziehung treten will und sich mir sehr real mitteilt, begeisterte mich total und ließ mich auf rosa Wolken schweben. Alles war neu, alles war leicht, das Leben war schön! Ich erlebte meine ersten Gebetserhörungen, las in der Bibel und erfuhr, dass mir das, was mir zuvor ein Buch mit sieben Siegeln gewesen war, verständlich und zugänglich wurde und lebendig zu mir sprach. Dieses Hoch hielt über einige Wochen an und ich war erfreut über die Tatsache, dass offenbar wirklich „alles neu geworden war“, so wie ich es in Gottes Wort gelesen hatte.

Erst später erfuhr ich von der korrekten Übersetzung dieser Textstelle, die da heißt: „Neues ist geworden“ (Epheser 2,1), wodurch mir dann einiges klarer wurde. Wenn wir zum Glauben an Jesus kommen, wird nicht automatisch alles neu, jedoch Grundlegendes: Unser Geist, der zuvor durch die Sünde tot war, wird durch Gottes Geist zu neuem Leben erweckt, womit das Fundament zu einer Erneuerung unseres gesamten Seins gelegt ist. Sie geschieht allerdings nicht ad hoc, sondern in einem lebenslangen Prozess. Zunächst war ich also irritiert, als ich nach einiger Zeit wieder unsanft auf dem Boden der Tatsachen aufschlug und sich Altes bemerkbar machte, das ich längst meinte, überwunden zu haben. Also war doch nicht alles neu geworden?! Mein kompliziertes Wesen, alte Probleme und Regungen meldeten sich zurück, die mich alles andere als euphorisch stimmten. Das neue Leben war wohl doch nicht immer leicht und schön, und auch mein neuer Glaube war es nicht mehr. Meine Beziehung zu Jesus, die mich vorher Mein Glaube wurde zusehends schwierig und mühselig, ohne dass ich genau hätte sagen können, warum eigentlich. Aus der Kür war schleichend eine Pflicht geworden.begeistert hatte, überzog sich nach und nach mit einem Grauschleier; Gebetszeiten, in die es mich zuvor magnetisch gezogen hatte, dehnten sich zäh in die Länge und wurden zur Last. Dies wiederum rief in mir Zweifel hervor, ob ich noch auf dem richtigen Weg, ob meine Hingabe an Gott ausreichend war. Verstand ich ihn? Wie konnte ich mir sicher sein, seinen Willen zu kennen? Gott erschien mir plötzlich rätselhaft, unerreichbar und fern, und ich war mir überhaupt nicht mehr gewiss, ob er mir zugeneigt war und mich liebte. Vielleicht gab es in meinem Leben noch Blockaden oder Schuld, die mir den Glauben erschwerten und Gott dazu veranlassten, sich von mir zu distanzieren?

Mein Glaube wurde zusehends schwierig und mühselig, ohne dass ich genau hätte sagen können, warum eigentlich. Aus der Kür war schleichend eine Pflicht geworden; man könnte auch sagen: Aus dem leichten Joch war ein schweres geworden. Bei alledem spürte ich sehr deutlich, dass diese Entwicklung nicht die war, die Gott für mich vorgesehen hatte. Das konnte es nicht sein! Aber was dann?

1 Abgeschnitten von der Quelle

1 Abgeschnitten von der Quelle

Um zu erklären, wie ein Christ unter das harte Joch und auf den Weg der Mühsal gerät, muss ich ein wenig ausholen. Keiner von uns wird als Christ geboren. Wir alle sind Heiden, wenn wir das Licht der Welt erblicken: Denn es ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt und erlangen nicht die Herrlichkeit Gottes (Römer 3,22b-23). Jeder von uns trägt von Geburt an die Merkmale seines tiefen Falls in und an sich: die Gebrochenheit. Obwohl der Mensch ursprünglich nach Gottes Bild geschaffen wurde, verlor er die Herrlichkeit seiner Ebenbildlichkeit dadurch, dass er der Sünde Raum gab. Was dies bedeutet, beschreibt der katholische Theologe Raniero Cantalamessa, Prediger des päpstlichen Hauses, eindrücklich:

Nur die göttliche Offenbarung weiß, was Sünde ist […] Aus sich selbst heraus kann kein Mensch sagen, was Sünde ist, und zwar aus dem einfachen Grund, weil er selbst sich in der Sünde befindet. Alles, was er über die Sünde sagt, kann im Grunde nur ein Palliativ, eine Verharmlosung der Sünde selbst sein. Eine lasche Vorstellung von der Sünde zu haben – hat jemand gesagt –, sei Teil unseres Sünder-Seins. […] Wenigstens dies sollt ihr wissen: dass die Sünde etwas viel Ernsteres, unendlich viel Ernsteres ist, als ich begreiflich machen kann.2

Sünde bedeutet: Abkehr von Gott, Bruch – der Mensch brach mit seinem Schöpfer. Sünde bedeutet Trennung. Als Menschen sind wir Gebrochene, auch in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen. Und wir sind uns selbst entfremdet. Unser Grundproblem ist Bindungsverlust. Dort, wo Adam und Eva noch in trauter Zwei- bzw. Dreisamkeit mit Gott wandelten, begannen sie nach ihrem Fall, sich vor Gott und voreinander zu verstecken. Angst, Scham und Schuldgefühle waren nun ihre ständigen Begleiter, wurden Teil ihres falschen Selbst und führten zu einem Leben in permanenter Entfremdung und Trennung.

Der gebrochene Mensch ist abgeschnitten von der Quelle des Lebens: dem Vater der Liebe. Ursprünglich dazu berufen, alles für unser Leben und unser Gedeihen direkt von Gott zu erhalten, finden wir vielfach nicht den Zugang zu ihm. Die Sünde trennt uns vom Segen, von der Lebensfülle und Versorgung, die Gott uns eigentlich zugedacht hatte. Gott hat durch Jesus Christus zwar eine Lösung für dieses Problem bereitgestellt: Ganz unverdient, aus reiner Gnade, lässt Gott sie vor seinem Urteil als gerecht bestehen – aufgrund der Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist (Römer 3,23-24; GNB). Zunächst aber müssen wir feststellen, dass jeder von uns in diesem Mangelzustand zur Welt kommt und prägende Jahre seines Lebens darin verharrt, bis zu dem Zeitpunkt, an dem er sich bewusst Gott zuwendet und sein Versöhnungsangebot in Jesus Christus annimmt – bei mir waren das 19 Jahre.

Eins der größten Probleme des Menschen besteht darin, dass er während dieser prägenden Jahre, auch bei aller menschlichen Liebe, die er (hoffentlich) erfährt, vom liebevollen Zuspruch Gottes abgeschnitten ist. Uns fehlt das „sehr gut“ Gottes: Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut (1. Mose 1,31). Als Gebrochene sind wir geistlich taub; uns fehlt die Bestätigung dessen, der uns allein dieses „sehr gut“ vermitteln und zusprechen kann, das wir so existenziell benötigen, um uns selbst als wertvoll erachten zu können. Wir können die zärtliche Stimme nicht mehr hören, die uns zuspricht: „Du bist mein geliebtes Kind. So, wie du bist, mag ich dich. Du bist wertvoll in meinen Augen!“

Stattdessen kennen die allermeisten Menschen das Gefühl von Mangel, Makel und Bedürftigkeit von klein auf. Wir haben immer zu wenig, das spüren wir schmerzhaft. Aus dieser Beobachtung heraus hat der österreichische Angst- und Psychotherapeut Alfred Adler in Bezug auf unsere Verletzlichkeit und Bedürftigkeit gesagt: „Menschsein heißt, sich minderwertig fühlen.“ Als Christen machen wir zwei Faktoren aus, die für dieses grundlegende Mangelempfinden des Menschen verantwortlich sind: seine grundsätzliche Gebrochenheit durch sein Getrenntsein vom „großen Bejaher“ sowie seine Verletzungen und Enttäuschungen auf menschlicher Ebene, die er sich im Laufe seines Lebens zuzieht.

Das Minderwertigkeitsgefühl ist also ein Grundproblem des Menschen und die Basis jeglicher psychischen Störung und Krankheit, einer jeden Beziehungsstörung. Es beinhaltet das Empfinden, nicht liebenswert zu sein. Auch Thomas A. Harris hat das erkannt und schon vor vielen Jahren in seinem Klassiker Ich bin o.k. Du bist o.k. thematisiert. Sehnen wir uns nicht alle nach der inneren Gewissheit, dass wir so, wie wir sind, okay und geliebt sind, dass alles mit uns in Ordnung ist und dass uns jemand dieses Okay zuspricht und in seine Arme schließt? Im Sehnen wir uns nicht alle nach der inneren Gewissheit, dass wir so, wie wir sind, okay und geliebt sind, dass alles mit uns in Ordnung ist und dass uns jemand dieses Okay zuspricht und in seine Arme schließt?tiefsten unseres Inneren sind wir uns nämlich überhaupt nicht sicher, dass wir in Ordnung sind; das bestätigt sich in der Seelsorge immer und immer wieder. Da unsere Selbstzweifel aber so unangenehm sind, verdrängen wir sie gern und geben uns bewusst selbstsicher. Wir wollen nicht wahrhaben, wie es in Wahrheit um uns steht. Viele von uns tun im Brustton der Überzeugung kund, dass sie Minderwertigkeitsgefühle nicht kennen. Merkwürdig nur, dass meine Kollegen und ich in unseren Seminaren immer wieder die gleiche Erfahrung machen. Da sollen die Teilnehmer fünf ihrer Schwächen und zehn ihrer Stärken aufschreiben – und was passiert? Die fünf Schwächen sind ruckzuck zu Papier gebracht. Für die meisten stellt es jedoch ein echtes Problem dar, ihre Stärken in den Blick zu bekommen; sie tun sich wirklich schwer damit und müssen erst lange überlegen. Spätestens dann werden diejenigen, die vorher von ihrem starken Selbstbewusstsein überzeugt waren, nachdenklich.

2 Die Suche am falschen Ort

2 Die Suche am falschen Ort

Woher kommt diese Diskrepanz zwischen unserer Selbstwahrnehmung und der Realität? Auf geistlicher Ebene sicher daher, dass wir von der Quelle abgeschnitten sind. Gleichzeitig sind wir von klein auf schmerzlich mit unserem Mangel konfrontiert. Wir sind umgeben von solchen, die größer, besser, schneller sind als wir. Wir leben in einer Welt, in der „die Großen“ etwas gelten, diejenigen, die Leistung bringen, erfolgreich und schön sind. So lernen wir schon sehr früh, dass wir uns etwas einfallen lassen müssen, um mithalten zu können. Wir lernen bereits in frühen Jahren, dass wir etwas dafür tun müssen, um anerkannt und wertgeschätzt zu werden – die Konkurrenz ist schließlich groß, genauso wie unser Mangel.

Ich hatte beispielsweise immer einen großen Bruder vor der Nase, der weitaus erfolgreicher in der Schule war als ich, die ich mich immer nur im Mittelmaß bewegte. Dies war einer der primären Konflikte in meinem Leben. Wie stark mich dieser empfundene Mangel jedoch geprägt hat und bei meinen Problemen eine Rolle spielte, habe ich erst viel später erkannt.

Während „die Sünde“ Trennung von Gott bedeutet (genauso wie die Entfremdung von uns selbst und von anderen), kommen nun „die Sünden“ ins Spiel. Damit sind Haltungen und Verhaltensweisen gemeint, letztlich unsere Lebens- und manchmal auch Überlebensstrategien, mit denen wir nach dem suchen, was wir durch die Trennung von unserem Schöpfer so schmerzlich vermissen: Segen, Sinn, Glück, Zufriedenheit, Liebe und das Gefühl, wertvoll zu sein. Da es unerträglich ist, mit diesem Mangel zu leben, zielen unsere Strategien im Wesentlichen darauf ab, selbst für die Stillung unserer Bedürfnisse zu sorgen, insbesondere darauf, das Okay der anderen zu bekommen. Im Nachhinein ist mir klar, dass dies auch die Triebfeder für all meine Anstrengungen war. Ich wollte so gut werden wie mein Bruder, ich wollte die gleiche Anerkennung erringen, die er genoss. Unbewusst meinte ich, nur dadurch das Okay der anderen, nach dem ich mich so sehr sehnte, zu erhalten.

Alle unsere Bemühungen, unsere Bedürfnisse woanders als bei Gott zu stillen – selbst in gesundem Maße in von Gott gesegneten Beziehungen –, müssen dazu führen, dass wir sündigen. Wir sind nicht Sünder, weil wir sündigen, sondern anders herum: Wir sündigen, weil wir Sünder sind, weil wir Getrennte und Gebrochene sind. Im Buch Jeremia klagt Gott: Denn zweifach Böses hat mein Volk begangen: Mich, die Quelle lebendigen Wassers, haben sie verlassen, um sich Zisternen auszuhauen, rissige Zisternen, die das Wasser nicht halten (Jeremia 2,13).

Aus Zisternen zu schöpfen bedeutet, dass wir unseren Mangel nicht mehr von Gott ausfüllen lassen, sondern von etwas oder jemand anderem. Wenn Gott in unserem Herzen und Leben nicht mehr den Platz ausfüllt, der ihm zukommt, wird etwas anderes automatisch seinen Platz einnehmen, und das können Dinge, Vorstellungen oder Menschen sein. Damit heben wir sie in eine Position, die ihnen nicht gebührt. Unser von Gott losgelöstes Wesen, dieses falsche Selbst, empfängt seine „Nahrung“ aus den Zisternen dieser Welt, die vielfältige Namen tragen und uns immer eine Belohnung offerieren, sei es Anerkennung, Reichtum, Schönheit, moralische Überlegenheit oder Macht. Daher geben wir sie auch nicht leicht auf. Unser trotziges und zugleich ängstliches Herz meint nämlich, nicht ohne diese „Gaben“ leben zu können, es wird geradezu süchtig danach.

?Wonach hungerst du verzweifelt? Was meinst du, unter allen Umständen haben, erreichen, darstellen zu müssen? Wonach verbiegst du dich?

Neben dem Bild der Zisterne verwendet Jeremia noch einen zweiten Vergleich:

So spricht der HERR: Was haben doch eure Väter Unrechtes an mir gefunden, dass sie von mir wichen und hingen den nichtigen Götzen an und wurden so zunichte […] Denn geht hin zu den Inseln der Kittäer und schaut, und sendet nach Kedar und gebt genau acht und schaut, ob‘s daselbst so zugeht: ob die Heiden ihre Götter wechseln, die doch keine Götter sind. Aber mein Volk hat seine Herrlichkeit eingetauscht gegen einen Götzen, der nicht helfen kann! (Jeremia 2,5.10-11; LUT)

Wo immer etwas anderes oder ein anderer an die Stelle Gottes tritt, wird es bzw. er zu einem Götzen für uns. Wir suchen unser Heil dann nicht bei Gott, der Quelle allen Segens, sondern bei materiellen oder ideellen Dingen oder auch bei Menschen, indem wir von ihnen fordern: „Gib mir Bedeutung, gib mir Wert und Lebenssinn! Mach, dass ich mich nicht einsam fühle! Fülle meine innere Leere aus! Sag mir, dass ich okay bin!“ Daher wird Götzendienst im Neuen Testament als etwas bezeichnet, bei dem das eigene Ich an die Stelle Gottes gesetzt wird.3 Denn Gott, der uns Menschen unaussprechlich liebt, lässt unsere Untreue nicht kalt; er reagiert darauf mit Eifersucht (vgl. 1. Mose 20,5). Raniero Cantalamessa schreibt:

Beim Menschen ist die Eifersucht immer ein Zeichen von Schwäche […] Die Eifersucht Gottes ist ein Zeichen von Liebe und heiligem Eifer, nicht von Unvollkommenheit […] Er weiß, wenn es [sein Geschöpf] sich den Götzen in die Arme wirft, liefert es sich der Lüge und dem Nichts aus. Der Götzendienst in all seinen Formen ist in der ganzen Bibel der schreckliche Rivale Gottes; die Götzen sind die „falschen Geliebten“.4

Es zerreißt Gott das Herz, aber er bleibt sich selbst treu. Er hat die Menschen als freie Geschöpfe geschaffen und nun muss er mit ansehen, wie sie sich den Götzen zuneigen und unter das Sklavenjoch von Sünde und Fluch geraten. Er lässt sie ziehen, und was das bedeutet, können nur Eltern ermessen.

Zisternen und Götzen arbeiten immer mit Belohnungen; sie „geben“ uns etwas dafür, dass wir uns an sie binden und Sättigung bei ihnen suchen. Sich bei ihnen zu laben, beschert uns immer eine gewisse Befriedigung. Da also unser Gewinn, unsere Belohnung, beträchtlich ist, übersehen wir leicht die Kehrseite. Denn Götzen bieten ihre Dienste nie umsonst an, sondern fordern immer eine Gegenleistung. Wir haben immer einen Preis zu zahlen – den Preis der Unfreiheit. „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“, so sagt es ein altes Sprichwort.

Auf unser Thema bezogen bedeutet dies: Wo immer irgendetwas oder irgendjemand für uns zu einem Götzen wird, geraten wir unweigerlich in ein Abhängigkeitsverhältnis. Götzen verlangen immer einen Tribut. Sobald wir etwas zum Götzen erheben, geben wir ihm Macht in unserem Leben. Wir werden abhängig vom Erfolg, von der Anerkennung anderer, von Materiellem. Wir geraten unweigerlich unter ein Joch der Sklaverei. Wir sind nicht mehr frei: Wir müssen uns durchsetzten, wir müssen die Aufmerksamkeit anderer erringen, wir müssen beruflich Karriere machen, weil wir daraus alles ziehen, was wir zum Leben brauchen. Und noch mehr: Wir nehmen sogar das Wesen dessen an, dem wir dienen, es wird zu einem Teil unserer Identität, einem falschen Selbst. So kommt es dann, dass das Fazit eines Lebens lauten kann: Arbeit war sein Leben, seine Identität – er „war“ Arbeit. Die Bibel beschreibt das so: Denn von wem jemand überwältigt ist, dem ist er auch als Sklave unterworfen (2. Petrus 2,19b).

Das Joch der Knechtschaft zu tragen, kann Unterschiedliches bedeuten. Es kann bedeuten, dass ich mir keinerlei Fehler erlauben darf, sondern ohne Ausnahme erfolgreich sein muss, denn nur dann meine ich, die gewünschte Anerkennung zu bekommen. Dieses Joch kann darin bestehen, dass ich nicht mehr die Wahl habe, ob ich mir das schicke Kleid kaufe oder es bleiben lasse – nein, ich muss es haben. Wenn die Aufmerksamkeit oder Nähe eines Menschen für mich zum Götzen geworden ist, dann geht auch hier die Freiheit verloren. Dann kann der andere mir nicht mehr freiwillig Liebe und Aufmerksamkeit geben, dann muss