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Marcus Hammann/Martin Lindner (Hrsg.)

Lehr- und Lernforschung in der Biologiedidaktik Band 8

Marcus Hammann/Martin Lindner (Hrsg.)

Lehr- und Lernforschung in der Biologiedidaktik

Band 8

„Biologiedidaktik als Wissenschaft“

21. Internationale Tagung der Fachsektion Didaktik der Biologie im VBIO, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 2017

StudienVerlag

Innsbruck
Wien
Bozen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Vorstellungen zu Konzepten und Erkenntismethoden

Irene Lampert/Kai Niebert
Alltagsvorstellungen zu den planetaren Belastungsgrenzen

Denis Messig/Jorge Groß/Ulrich Kattmann
Fotosynthese verstehen – didaktische Rekonstruktion der Pflanzenernährung

Bianca Reinisch/Dirk Krüger
Vorstellungen von Lehramtsstudierenden zu fiktiven Szenarien zum Beobachten und Experimentieren

Wissenschaftsreflexion

Mario Kötter/Marcus Hammann
Epistemische Kompetenz: Wissenschaftsreflexion im naturwissenschaftlichen Unterricht

Modellieren und Modellkompetenz

Johannes Meister/Annette Upmeier zu Belzen Naturwissenschaftliche Phänomene mit Liniendiagrammen naturwissenschaftlich-mathematisch modellieren

Maria Kolaxidi-Kothe/Dirk Krüger/Annette Upmeier zu Belzen Drama-based Modeling zur Förderung von Modellkompetenz – Strukturierung von Ansätzen mit szenischen Methoden aus theoretischer Perspektive

Vermittlungsexperimente und Interventionen

Mathias Trauschke
Energie als Bilanzierungsgröße verstehen – über die Lernwirksamkeit von Sankey-Diagrammen

Johanna Kranz/Katrin Kaufmann/Tobias Tempel/Andrea Möller Beeinflussung des Lernens der Variablenkontrollstrategie durch aktiven Gedächtnisabruf

Anne Cohonner/Jürgen Mayer
Wirksamkeit von Konsolidierungsmaßnahmen durch Üben beim Forschenden Lernen

Marie Eschweiler/Doris Elster
„Kleine Teilchen – Große Wirkung?“
Eine Unterrichtsintervention zur Förderung der Risikomündigkeit in Bezug auf die Nanotechnologie

Susan Pollin/Carolin Retzlaff-Fürst
Förderung von Wohlbefinden und sozialer Kompetenz bei
Schüler*innen durch naturwissenschaftlichen Unterricht im Schulgarten

Joachim Schneider/Steffen Schaal
Smartphone-Spiele in der BNE – Förderung von Bewertungskompetenz durch Geogames

Aufgaben und Assessment

Sabrina Mathesius/Annette Upmeier zu Belzen/Dirk Krüger
Eyetracking als Methode zur Untersuchung von Lösungsprozessen bei Multiple-Choice-Aufgaben zum wissenschaftlichen Denken

Sarah Dannemann/Monique Meier/Dagmar Hilfert-Rüppell/Bianca Kuhlemann/Axel Eghtessad/Kerstin Höner/Corinna Hößle/Maike Looß
Erheben und Fördern der Diagnosekompetenz von Lehramtsstudierenden durch den Einsatz von Vignetten

Kristin Helbig/Sarah Lena Günther/Daniel Rehfeldt/Dirk Krüger Umgang mit Schülervorstellungen zum Blutkreislauf: Validierung eines Videovignettentests

Professionalisierung von Lehramtsstudierenden der Biologie

Antje Saathoff/Corinna Hößle
Professionalisierung durch Lehr-Lern-Labore: Lehramtsstudierende der Biologie reflektieren ihren Unterricht

Renata Ryplova
Reading comprehension skills and understanding of graphs among undergraduate south bohemian university students of biology

Einstellungen von Schüler*innen und Biologielehrkräften

Julia Holzer/Doris Elster
Empirische Studie zur Bereitschaft deutscher und spanischer Jugendlicher zur Stammzellenspende für Leukämiepatienten

Christoph Thyssen/Alexander Finger/Daniel Laumann/Christoph Vogelsang Erfahrungen, Einstellungen und motivationale Orientierungen von angehenden Biologielehrkräften zum Einsatz digitaler Medien im Unterricht

Benedikt Heuckmann/Marcus Hammann/Roman Asshoff
Entwicklung, Erprobung und Validierung eines Erhebungsinstruments zur Erfassung von Einflussfaktoren auf die Intention, das Thema Krebserkrankungen zu unterrichten

Biodiversität und regionale Lernorte

Judith Wiegelmann/Jörg Zabel
„Dieser Fluch des Wissens …“ Wie vereinen Biodiversitätsforscher ihr professionelles Wissen mit ihrem persönlichen Naturerleben?

Lars Paschold
Lehrer-Landwirt-Tandem: Evaluation eines Trainingskonzepts für Kooperationen zwischen Lehrkräften und Landwirten zur Erschließung landwirtschaftlicher Betriebe als regionale Lernorte für Schulen

Ergebnisse von Round-Table-Gesprächen

Julia Arnold/Julia Schwanewedel/Steffen Schaal/Ulrich Kattmann
Der Beitrag des Biologieunterrichts zum Thema Gesundheit:
Ergebnisse des Round-Table-Gesprächs „Gesundheitsbildung – quo vadis!?“

Tobias Held/Frauke Voitle
Herausforderungen und Potenziale interdisziplinärer Forschung

Autorenverzeichnis

Vorwort

Dieser Band ist der achte in der Reihe „Lehr- und Lernforschung in der Biologiedidaktik“, in der die Fachsektion Didaktik der Biologie im VBIO (FDdB) aktuelle Forschungsarbeiten veröffentlicht. In der vorliegenden Publikation finden Sie eine Auswahl von Beiträgen der 21. Internationalen Tagung der Fachsektion Didaktik der Biologie im VBIO (FDdB) „Biologiedidaktik als Wissenschaft“, die im September 2017 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg stattfand.

Die Fachsektion Didaktik der Biologie (FDdB) im VBIO feierte 2017 ihr 40-jähriges Jubiläum. Mit dem Titel der Tagung wird das Thema der zweiten Tagung der FDdB im VBIO aus dem Jahre 1980 aufgegriffen. Biologiedidaktische Forschung bezieht sich auf die fachspezifischen Anforderungen des Lehrens und Lernens und damit auf eine spezifische Domäne, die Biowissenschaften. Den Gegenstandsbereich fachdidaktischer Forschung hat die KVFF (1998), die Vorläufergesellschaft der GFD (Gesellschaft für Fachdidaktik), in einem Grundsatzpapier folgendermaßen zum Ausdruck gebracht:

Fachdidaktik ist die Wissenschaft vom fachspezifischen Lehren und Lernen innerhalb und außerhalb der Schule. Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit befasst sie sich mit der Auswahl, Legitimation und der didaktischen Rekonstruktion von Lerngegenständen, der Festlegung und Begründung von Zielen des Unterrichts, der methodischen Strukturierung von Lernprozessen sowie der angemessenen Berücksichtigung der psychischen und sozialen Ausgangsbedingungen von Lehrenden und Lernenden. Außerdem befasst sie sich mit der Entwicklung und Evaluation von Lehr-Lernmaterialien.

Deutlich wird in dem Zitat der Anwendungsbezug fachdidaktischer Forschung. Grundsätzlich wird Wissen angestrebt, das zur Verbesserung der Qualität des Fachunterrichts genutzt werden kann. Oft sind Entwicklungskomponenten in den Forschungsprozess integriert, beispielsweise wenn innovative Unterrichtskonzepte entwickelt werden, um anschließend zu untersuchen, ob sich durch ihren Einsatz die Qualität des Fachunterrichts verbessern lässt. Es wird aber auch Forschung betrieben, die sich auf die Grundlagen des fachspezifischen Lehrens und Lernens bezieht. Dabei nutzt fachdidaktische Forschung häufig – aber nicht ausschließlich – die Methoden empirischer Sozialforschung. Diese werden im Zuge fachdidaktischer Forschungsvorhaben auf den zugrundeliegenden Gegenstand bezogen und adaptiert.

Das Thema der Tagung „Biologiedidaktik als Wissenschaft“ ist in vielfacher Weise auf- und angenommen worden. Der Bogen der hier versammelten Aufsätze reicht von bildungstheoretischen Überlegungen bis zu biologiedidaktischer Lehr-Lernforschung.

Für das Begutachtungsverfahren stellten sich renommierte Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker zur Verfügung. Wir danken den folgenden Kolleginnen und Kollegen für die Begutachtung der Manuskripte:

•  Dr. Julia Arnold (Didaktik der Biologie)

•  Dr. Roman Asshoff (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Claudia von Aufschnaiter (Didaktik der Physik)

•  Prof. Dr. Horst Bayrhuber (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Susanne Bögeholz (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Franz X. Bogner (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Arne Dittmer (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Reinders Duit (Didaktik der Physik)

•  Prof. Dr. Doris Elster (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Ulrich Gebhard (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Dittmar Graf (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Helge Gresch (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Harald Gropengießer (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Jorge Groß (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Jörg Großschedl (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Marcus Hammann (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Ute Harms (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Corinna Hößle (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Ulrich Kattmann (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Alexander Kauertz (Didaktik der Physik)

•  Prof. Dr. Michael Komorek (Didaktik der Physik)

•  Dr. Christiane Konnemann (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Kerstin Kremer (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Dirk Krüger (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Martin Lindner (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Jürgen Mayer (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Anke Meisert (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Andrea Möller (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Kai Niebert (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Carolin Retzlaff-Fürst (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Werner Riess (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Angela Sandmann (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Steffen Schaal (Didaktik der Biologie)

•  Dr. Franz-Josef Scharfenberg (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Annette Scheersoi (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Kirsten Schlüter (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Philipp Schmiemann (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Marcus Schrenk (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Julia Schwanewedel (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Ulrike Spörhase (Didaktik der Biologie)

•  apl. Prof. Dr. Christoph Thyssen (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Annette Upmeier zu Belzen (Didaktik der Biologie)

•  Prof. Dr. Andreas Vorholzer (Didaktik der Physik)

•  Prof. Dr. Jörg Zabel (Didaktik der Biologie)

Die Herausgeber

Vorstellungen zu Konzepten und Erkenntismethoden

 

Irene Lampert/Kai Niebert

Alltagsvorstellungen zu den planetaren Belastungsgrenzen

Zusammenfassung

Das Modell der planetaren Belastungsgrenzen ist ein wissenschaftsbasierter Ansatz, um Umweltveränderungen zu beschreiben. Es identifiziert neun planetare Belastungsgrenzen und hat sich zu einer wichtigen Leitplanke für politische Entscheidungen entwickelt. Um das Modell für die Vermittlung im naturwissenschaftlichen Unterricht aufzubereiten, geht dieser Beitrag der Frage nach, wie Lernende und Wissenschaftler/innen die planetaren Belastungsgrenzen konzeptualisieren. Die Lernenden können sich relativ gut vorstellen, dass der Mensch derartige Umweltveränderungen initiiert, allerdings nicht, dass der Mensch diese auch eingrenzen kann, was beim Ozonloch der Fall ist. Auch weisen sie eine pessimistische Haltung gegenüber der Zukunft auf. Die Wissenschaftler/innen hingegen glauben an die Möglichkeit reformierender Innovationen, welche ein Handeln innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen ermöglicht.

Abstract

The concept of the planetary boundaries is a science-based approach to describe global Earth System changes. It identifies nine planetary boundaries and has become an important tool for political decisions. This paper addresses the question of how students and scientists conceptualize the planetary boundaries. The results show that students can imagine that humans initiate global environmental changes, but not that humans can also limit them. They also have a pessimistic view towards the future. Scientists, on the other hand, believe in the possibility of reforming innovations that enables action within the planetary boundaries.

Einleitung

Zur Beschreibung globaler Umweltveränderungen hat sich das Modell der planetaren Belastungsgrenzen (planetary boundaries) von einem Forschungsmodell zu einer wichtigen Gestaltungslinie von Politik entwickelt. Zum Beispiel wurde basierend auf dem Modell das Ziel, die Erwärmung bei „deutlich unter 2 Grad“ zu begrenzen, formuliert. Verschiedene Staaten erstellen aufbauend auf dem Modell auch bereits ihre Umweltberichterstattung. Analysen der planetaren Belastungsgrenzen legen offen, dass in vier von neun Bereichen kritische Grenzen überschritten wurden: beim Klimawandel, Landnutzungswandel, der Intaktheit der Biosphäre sowie der biogeochemischen Flüsse. Als weitere Bereiche wurden die Ozonverlust in der Stratosphäre, die Nutzung von Süßwasser, die Ozeanversauerung, sowie die Aerosole in der Atmosphäre und das Auftreten menschengemachter Substanzen identifiziert (Rockström et al., 2009, Steffen et al., 2015). Das Modell der planetaren Belastungsgrenzen erlaubt es, erdsystemare Phänomene interdisziplinär und global zu betrachten. Die Aufarbeitung dieses Modells für den Unterricht bietet somit einen wichtigen Beitrag für die Bildung in den Naturwissenschaften. Die vorliegende Analyse will das Modell der planetaren Belastungsgrenzen (Abb. 1 Modell der planetaren Belastungsgrenzen) über eine Didaktische Rekonstruktion für die unterrichtliche Vermittlung zugänglich machen.

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Abbildung 1: Modell der planetaren Belastungsgrenzen

Theoretischer Hintergrund

Erfahrungsbasiertes Verstehen

Für eine erfolgversprechende Vermittlung sollten konstruktivistischen Annahmen folgend die Alltagsvorstellungen der Lernenden zugrunde gelegt werden (Kattmann, 2007). Vorstellungen entwickeln sich aus physischen und sozialen Erfahrungen mit unserer Umwelt und sind oft von erfahrungsbasierten Konzepten geprägt. Lakoff und Johnson gehen davon aus, dass wir bei der Imagination von abstrakten Konzepten mittels Metaphern auf direkt und gegenständlich erfahrbare Vorstellungen aus unserem Alltag zurückgreifen müssen (Lakoff & Johnson, 2008). Die Struktur eines direkt erfahrbaren Quellbereichs wird so zum Aufbau einer konzeptuellen Struktur des nicht direkt erfahrbaren Zielbereichs übertragen. Diese Metaphern sind von wiederkehrenden Mustern geprägt, welche wir mit unserem Körper erfahren (Oben, Unten, Innen, Aussen etc.). Johnson (1987) nennt diese wiederkehrenden verkörperten Muster Bildschemata. Ein in unserem Alltag besonders präsentes Bildschemata ist das Behälterschema (Johnson, 1987), welches wir täglich mehrfach körperlich erfahren (bspw. Raum betreten und verlassen). Weitere prominente Bildschemata sind der Weg (von A nach B), oder Gleichgewichte (Johnson, 1987). In der Kognitionswissenschaft wird dies im theoretischen Konstrukt der Embodied Cognition oder erfahrungsbasiertes Verstehen zusammengefasst. Die genutzten metaphorischen Ausrücke lassen dabei Rückschlüsse auf erfahrungsbasierte Konzepte zu, welche unsere Vorstellungen prägen. Niebert und Gropengießer (2015) zeigten auf, wie dieses Wissen für die Gestaltung von Interventionen genutzt werden kann.

Stand der Forschung

Bis anhin wurden keine Vorstellungen zum Modell der planetaren Belastungsgrenzen erhoben. Auch gibt es nur teilweise Untersuchungen über Alltagsvorstellungen zu den Teilgrenzen (Klimawandel, Biodiversität etc.):

•  Lehrpersonen setzen Biodiversität oft mit der Diversität von Arten gleich ohne die Variabilität innerhalb und zwischen den Arten sowie die genetische Vielfalt zu berücksichtigen (Nuraeni et al., 2017). Die meist genannten Gründe für den Biodiversitätsverlust sind Umweltverschmutzung, Klimaerwärmung, Jagen, Chemikalien, Zerstörung von Lebensräumen und Abholzung (Kilinc et al., 2013).

•  Im Bezug zum Klimawandel konnte Niebert (2010) zeigen, dass Lernende den Strahlungshaushalt der Erde durch die Denkfiguren Treibhauseffekt und Ozonloch verstehen. Die Ursachen für die globale Erwärmung werden mit den Vorstellungen künstliches versus natürliches CO2 erklärt.

•  Vallera und Bodzin (2016) zeigen in ihrer Untersuchung auf, dass Lernende sowie Lehrpersonen auf unterschiedlichen Stufen die Landwirtschaft durch Stereotype wie „Bauer auf einer grünen Wiese mit freilaufenden Kühen, Hühner und Ziegen“ verstehen.

•  Im Zusammenhang mit der planetaren Belastungsgrenzen Süsswassernutzung wurden bis anhin nur Vorstellungen zum Wasserkreislauf erhoben. Dabei konnten Sadler, Nguyen und Lankford (2017) sowie Ben-zvi-Assarf und Orion (2005) zeigen, dass die Lernenden Verständnisschwierigkeiten mit den physikalischen Dimensionen von Wassersystemen (Oberflächenwasser, Grundwasser, atmosphärisches Wasser, Wasser in biotischen Systemen etc.) haben.

•  Danielson und Tanner (2015) beschrieben, dass Studenten in der Regel keinen Zusammenhang zwischen der Ozeanversauerung, dem CO2 und dem Klimawandel sehen. Die Ozeanversauerung wird unter anderem durch sauren Regen und chemische Verschmutzung begründet.

•  Im Zusammenhang mit der planetaren Belastungsgrenze Aerosole in der Atmosphäre zeigt eine Studie von Muindi et al. (2014) zu Vorstellungen zur Luftverschmutzung, dass die meisten Jugendlichen die Ursachen der Luftverschmutzung in der Industrie sehen und sich der gesundheitsschädlichen Wirkungen bewusst sind.

Der Stand der Forschung zeigt, dass Vorstellungen zu Teilen der Belastungsgrenzen bekannt sind. Erkenntnisse über Vorstellungen zum Zusammenspiel der Grenzen sind jedoch ein fachdidaktisches Desiderat.

Forschungsfragen

Leitend für die hier vorgestellte Untersuchung sind folgende Forschungsfragen:

•  Welche Vorstellungen haben Lernende und Wissenschaftler/innen von zentralen Aspekten der planetaren Belastungsgrenzen?

•  Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich zwischen den Vorstellungen von Lernenden und Wissenschaftler/innen finden?

Untersuchungsdesign und Methode

Um das Modell der planetaren Belastungsgrenzen für die Vermittlung im naturwissenschaftlichen Unterricht aufzubereiten, wird das Modell der Didaktischen Rekonstruktion als Forschungsrahmen genutzt. Dabei werden fachliches Wissen und Vorstellungen von Lernenden wechselseitig aufeinander bezogen, um Leitlinien sowie Lernangebote für einen lernförderlichen Unterricht zu gestalten (Duit, Gropengiesser, Kattmann, Parchmann & Komorek, 2012). Die fachliche Klärung des Modells der planetaren Grenzen erfolgt anhand der Publikationen von Rockström et al. (2009) und Steffen et al. (2015). Bei den Publikationen handelt es sich um die Leitpublikationen in der Forschung zu den Belastungsgrenzen. Die Vorstellungen der Lernenden zum Modell der planetaren Belastungsgrenzen wurden mit einem leitfadenstrukturierten Interview erhoben, wobei zwischen offenen Einstiegsimpulsen, vertiefende Interventionen, Validierungsinterventionen und Schlussinterventionen unterschieden wurde (Niebert & Gropengiesser, 2014). Die Darstellung des Modells der planetaren Belastungsgrenzen (vgl. Abbildung 1) wurde als Interview-material genutzt, um eine Partnerdiskussion zu stimulieren. In der Interviewstudie wurden Vorstellungen von 22 SekundarschülerInnen in der Schweiz im Alter von 14–17 Jahren erhoben. Die Transkripte und die Publikationen wurden mit der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) ausgewertet und mit der Metaphernanalyse nach Schmitt (2016) auf metaphorische Konzepte untersucht.

Ergebnisse

Im Ergebnissteil werden zunächst Vorstellungen der Wissenschaftler/innen und der Lernenden zum Modell der planetaren Belastungsgrenzen als Ganzes und dann beispielhaft zu den Teilgrenzen Süsswassernutzung und Biodiversitätsverlust aufgezeigt. Die beiden Teilbereiche wurden für den Ergebnisteil ausgewählt, da zu beiden Bereichen zumindest teilweise bereits Vorstellungen publiziert sind und so die externe Validität der Analysen geprüft werden kann.

Vorstellungen zum Modell der planetaren Belastungsgrenzen: Zukünftige Entwicklung des sicheren Handlungsraumes

Das von Rockström et al. im Jahr 2009 entworfene und von Steffen et al. im Jahr 2015 weiter entwickelte Modell der planetaren Belastungsgrenzen ist ein wissenschaftsbasierter Ansatz zur Beschreibung globaler Umweltveränderungen. Neun planetare Belastungsgrenzen wurden auf der Grundlage erdsystemarer Erkenntnisse identifiziert und formen die Grenzen eines Parameterraums des Erdsystems, in dem die Menschheit sicher agieren kann. Die Überschreitung einer planetaren Belastungsgrenze erhöht das Risiko, gefährliche Schwellenwerte (tipping points) zu erreichen. Dies kann nichtlineare, plötzliche Änderung der Umwelt auf globaler Ebene auslösen. Als Grundlage für die Quantifizierung der Belastungsgrenzen wird die Erdepoche des Holozäns genutzt, welche vor etwa 10 000 Jahren begann und sich durch geringfügige Schwankung biogeochemischer und atmosphärischer Parameter auszeichnete (Rockström et al., 2009). Dabei werden die Belastungsgrenzen aufbauend auf dem Vorsorgeprinzip gesetzt. Das heißt, hier handelt es sich um normative Setzungen, entlang der Frage wie viel Risiko man in Kauf nehmen will (z. B. 2 Grad Klimaerwärmung). Rockström et al. (2009) und Steffen et al. (2015) sehen in dem Modell eine Leitplanke für politische Entscheidungen, die Erdsysteme innerhalb von Parametern zu halten und die Stabilität gewährleisten.

Bei den Lernenden zeigen sich zwei zentrale Vorstellungen zum sicheren Handlungsraum: Umweltveränderungen sind irreversibel. Bei Überschreitung einer Belastungsgrenze treten unumkehrbare Folgen auf: „Wird eine Grenze überschritten, sind die Schäden irreversibel. Man kann es nicht mehr rückgängig machen“ (Hans, 16). An dieser Vorstellung wurde von einem Grossteil der Lernenden auch festgehalten, nachdem aufgezeigt wurde, dass sich das Ozonloch von der unsicheren Zone ausserhalb der Grenze zurück in die sichere Zone innerhalb der Grenze gebildet hat. Begründet wurde dies mit der Unfähigkeit der Menschen sich und ihre Lebensweise ändern zu können, um die Grenzen nicht weiterhin zu belasten. Darüber hinaus wird die Vorstellung Umweltveränderungen sind Einbahnstrassen deutlich, der zufolge es nicht möglich ist, im sicheren Handlungsraum zu bleiben („Es steigt ja sowieso weiter“). Teilweise werden auch planetare Belastungsgrenzen, die noch nicht überschritten wurden, abgelehnt: „Für mich wurden alle Grenzen überschritten, also eigentlich alles ist weit im unsicheren Bereich.“ Als Ursachen für die kontinuierliche und irreversible Steigerung in die unsichere Zone werden durchweg Handlungen des Menschen beschrieben: „Dass meine Art diese Welt zerstört, finde ich schlimm“ (Simon, 15). Die metaphorischen Wendungen der Lernenden zu „zerstörerischen“ Handlungen des Menschen können im Konzept „MENSCHEN SIND ZERSTÖRER“ zusammengefasst werden. Dabei wird der Mensch als einzige Ursache von Umweltveränderungen genannt (Umweltveränderungen sind Menschengemacht). Bei den Beschreibungen wird die Erde als leidendes Lebewesen personifiziert, wie die Aussage von Hannes (16) aufzeigt: „Die Erde ist sehr stark davon betroffen und muss darunter auch sehr viel leiden “. Gemäss Lea (15) solle sich die Erde dabei gegen die Handlungen des Menschen wehren: „Ich hoffe, dass es uns die Erde irgendwann einmal heimzahlen wird “ (Lea, 15). Der Erde wird dabei anthropomorphisiert. Metaphorische Wendungen der Lernenden, welche der Erde menschliche Eigenschaften zusprechen, werden im metaphorischen Konzept „ERDE IST PERSON“ zusammengefasst. Besonders eindrücklich ist dabei die Vorstellung Umweltveränderung ist Selbstzerstörung: „Unsere Menschenspezies, ist das dümmste, das unsere Evolution hervorgebracht hat. Seit er entstanden ist, hat er einen beispielslosen Siegeszug über die Natur geführt und zerstört sich damit selbst“ (Fabian, 16). Die Menschen werden dabei als Herrscher über die Erde dargestellt: „Es zeigt sich, dass der Mensch immer mehr zum Herrscher über die Erde geworden ist, vorher hat sie über ihn geherrscht“ (Andreas, 16). Darin werden zwei unterschiedliche Perspektiven deutlich: Bei Fabian zerstörte der Mensch von Beginn an die Erde, während dies für Andreas erst im Laufe der Entwicklung erfolgte. Die aktuellen globalen Veränderungen werden als künstlich und somit vom Menschen gemacht imaginiert: „Die Veränderungen sind nicht mehr natürlich, sie sind von Menschenhand gemacht“ (Ute, 15). Die Natur bzw. das Natürliche ist gut, während das vom Menschen gemachte bzw. das Künstliche schlecht ist. Dieser naturalistische Fehlschluss (Moore & Baldwin, 1993) konnte auch schon von Niebert (2010) bei Schülervorstellungen zum Klimawandel beobachtet werden.

Als Hauptursache für die Umweltveränderungen wird die wachsende Weltbevölkerung genannt. Diese wird von den Lernenden untrennbar mit einer gesteigerten Produktion von Konsumgütern und Nahrungsmitteln (Rodung der Wälder für Palmöl, Ausfischung der Meere, Jagen), erhöhtem Platzbedarf wie Wohnraum und besonders gesteigerter Verschmutzung (Chemikalien und Plastik im Wasser) verbunden. Die Verschmutzung spielt bei der Zerstörung der Natur eine massgebliche Rolle.

Die Analyse der fachlichen Vorstellung (Rockström et al., 2009; Steffen et al., 2015) zeigt drei Charakteristika im Bezug zum sicheren Handlungsraum auf (vgl. Abb. 2a Vorstellungen zum sicheren Handlungsraum):

(1) Als Ausgangspunkt der Beschreibung eines sicheren Handlungsspielraums dienen die stabilen Umweltbedingungen vor Beginn der Industrialisierung. Das die Argumentation leitende Schema ist hier das Gleichgewicht bzw. das Schema Stabilität vs. Instabilität. (Rockström et al., 2009; Steffen et al., 2015). (2) Wurden Belastungsgrenzen überschritten, können sich diese durch Reduzierung der anthropogenen Belastung wieder stabilisieren (Abb. 2a I, bspw. Ausdünnung des stratosphärischen Ozons). (3) Es müsse nach Steffen et al. (2015) Ziel sein die Grenzen einzuhalten. Begründet wird dieses Ziel folgendermassen: „A continuing trajectory away from the Holocene could lead […] to a very different state of the Earth system, one that is likely to be much less hospitable to the development of human societies“ (vgl. Abb. 2a II und III, Rockström et al., 2009; Steffen et al., 2015). Die Autoren nehmen hier eine klar anthropozentrische Perspektive ein, indem sie normativ die vorige Erdepoche als Wunschzustand definieren, um menschlichen Gemeinschaften eine sichere Entwicklung zu ermöglichen. Metaphorische Wendungen wie „could push the planet out of the desired Holocene state“ und „Earth System is under human pressure“ (Rockström et al., 2009) zeigen darüber hinaus auf, dass eine erdgeschichtliche Epoche räumlich reifiziert und als sicher imaginiert wird. Die menschlichen Handlungen als Ursachen für das Verlassen des Holozäns werden nicht abschliessend differenziert. Neben der Verschmutzung der Ökosysteme durch die Industrie, die Nutzung von Flüssen für die landwirtschaftliche Bewässerung, das Abholzen von Regenwäldern werden auch abstraktere Gründe wie das Wachstum der Weltbevölkerung und das nicht nachhaltige Wirtschaften mit Ressourcen der Erde genannt (Rockström et al., 2009; Steffen et al., 2015). Das Konzept „Wege im sicheren Zustand Holozän“ wurde mit metaphorischen Konzepten wie „PATHWAYS WITHIN THE BOUNDARIES ARE SAFE“ („to make choices between pathways for piecemeal maneuvering within the safe operating space“ Steffen et al., 2015) „PLANETARY BOUNDARIES ARE PLANETARY PLAYING FIELD“ („Planetary boundaries define, as it were, the boundaries of the „planetary playing field“ for humanity.“ Rockström et al, 2009), und „PLANETARY BOUNDARIES ARE SAFE OPERATING SPACE“ beschrieben. Das Holozän wird als „sicherer Behälter“ reifiziert, innerhalb dessen politisch und wirtschaftlich Pfade beschritten werden können, die die Erde nicht belasten. Im Folgenden werden nun Vorstellungen zu ausgewählten Belastungsgrenzen beschrieben:

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Abbildung 2: Vorstellungen zum sicheren Handlungsraum

Vorstellungen zu Ursachen und Folgen der Süsswassernutzung

Alle untersuchten Lernenden zeigen sich überrascht, dass die Belastungsgrenzen in der Süsswassernutzung noch nicht überschritten sind: „Es überrascht mich, dass die Grenze noch nicht überschritten ist, weil das meiste Süßwasser verschmutzt ist“ (Hannah, 15). Die Aussage von Hannah legt nahe, welche Vorstellung zu den Ursachen des Süsswassermangels beim Grossteil der untersuchten Lernenden vorherrscht: Die Belastungsgrenzen in der Süsswassernutzung werden aufgrund anthropogener Verschmutzungen überschritten. Das derzeitige Einhalten der Belastungsgrenze wird teilweise mit dem Schmelzen der Pole erklärt: „Es wird immer mehr Wasser, weil die Pole schmelzen. Darum ist es hier im sicheren Bereich innerhalb der Grenzen“ (Sina, 14). Die Ursache anthropogener Verschmutzung des Süsswassers für den Süsswassermangel wird unterschiedlich erläutert: (1) aufgrund der Süsswassernutzung durch industrielle Prozesse: „Das Wasser wird durch die Atomkraftwerke radioaktiv verseucht“ (Nico, 15) und (2) durch Müll, welcher in die Gewässer gelangt: „Wenn Müll in einen Fluss gelangt, fließt das in einen See und davon trinken wir“ (Sandra, 15). Metaphorische Wendungen der Lernenden, welche die Süsswassernutzung mit Verschmutzung gleichsetzen, werden im metaphorischen Konzept „SÜSSWASSERNUTZUNG IST VERSCHMUTZUNG“ zusammengefasst. Diese Süsswassernutzung wird von den Lernenden in einem irreversiblen Verlust an Süsswasser konzeptualisiert im Sinne des metaphorischen Konzepts „SÜSSWASSERNUTZUNG IST WENIGER WERDEN“. Die Folgen der Süsswasserverschmutzung sind gemäss der Lernenden neben dem Mangel an „sauberem“ Süsswasser die Notwendigkeit, auf verschmutztes Wasser ausweichen zu müssen: „Die Filteranlagen sind nicht darauf spezialisiert diese kleinen Teilchen herauszufischen, das gelangt dann schlussendlich in unser Trinkwasser. Dann trinken wir Plastik und das ist auch nicht ideal für uns“. Eine weitere Folge ist die Gefährdung aquatischer Tiere: „Durch den Abfall werden auch die Tiere die darin leben gefährdet. Und das geht dann wiederum auf die Intaktheit der Biosphäre“ (Sandra, 15). Rockström et al. (2009) und Steffen et al. (2015) zeichnen ein differenzierteres Bild zu den Folgen des Süsswassermangels: Austrocknung von Flüssen, Beeinflussung terrestrischer Produktion von Biomasse und Sequestrierung von Kohlenstoff, Bedrohung der Wasserversorgung für Menschen und aquatische Wasserbedürfnisse sowie Beeinflussung lokaler und regionaler Niederschlagsmuster. Die untersuchten Lernenden hinterfragen die Darstellung der planetaren Belastungsgrenze der Süsswassernutzung und machen darauf aufmerksam, dass Süsswassermangel regionsabhängig ist. Im Gegensatz zur Schweiz herrsche in anderen Ländern mit bspw. Wüstenregionen ein Süsswassermangel: „Wir in der Schweiz sind ziemlich selbstversorgend, aber wenn man da Dubai in der Wüste anschauen würde, wäre dort die Grenze überschritten“ (Lino, 16).

Anthropogene Verschmutzung als Ursache für Süsswassermangel wird von den Wissenschaftler/innen nicht beschrieben. Rockström et al. (2009) und Steffen et al. (2015) betonen hingegen den dominierenden Einfluss des Menschen auf das Süsswasser: „The global freshwater cycle has entered the Anthropocene because humans are now the dominant driving force altering global-scale river flow“ (Rockström et al., 2009). Diese Vorstellung wird mit dem metaphorischen Konzept „SÜSSWASSER IST IN MENSCHENHAND“ verdeutlicht. Gemäss Rockström et al. (2009) und Steffen et al. (2015) hat die Süsswassernutzung die planetare Belastungsgrenze noch nicht überschritten. Als Haupttreiber wird jedoch die Nahrungsmittelproduktion gesehen: „However, the pressure on global freshwater resources is growing rapidly, mainly due to increasing food demands“ (Rockström et al., 2009).

Vorstellungen zu Ursachen und Folgen des Biodiversitätsverlusts

Die Lernenden nennen als Hauptursache für den Biodiversitätsverlust den Einfluss der Menschen: Artensterben durch Umweltverschmutzung und Artensterben durch Zerstörung des Lebensraumes. Im Bezug zur Umweltverschmutzung werden Mülldeponien genannt, welche sich auf die Gesundheit und die Überlebensfähigkeit der Tiere auswirke: „Bei den Mülldeponien werden die Müllsäcke unter den Boden geschoben, was die Tiere krank macht, weil sie den Plastik darin essen. Das hat schlechte Folgen und darum sterben viele Tiere“ (Fiona, 15). Auch wurde die Verschmutzung durch Abgase, Öl und Chemikalien aufgeführt: „Der Artenverlust ist wegen der Verschmutzungen, Öle, Abgase und Plastik und so weiter“ (Frank, 15). Anthropogene Verschmutzungskonzepte als Ursache des Biodiversitätsverlusts werden ausnahmslos von allen Lernenden aufgezeigt. Die weitere von den Lernenden aufgezeigte Ursache ist die Zerstörung des Lebensraums: „Wir nehmen den Tieren den Lebensraum weg“ (Klara, 15). Diese Wegnahme oder Zerstörung des Lebensraums wird hauptsächlich durch eine vermehrte Bebauung ausgelöst: „Wenn wir alles bebauen, wie Großstädte haben wir keine Natur mehr“ (Bianca 15). Andererseits wird die erhöhte Nahrungsmittelproduktion angeführt: „Problematisch sind Palmplantagen oder Sojaplantagen. Die zerstören den Lebensraum von Tieren und Pflanzen“ (Lukas, 16).

Weiter geschilderte Ursachen für den Biodiversitätsverlust sind die Abholzung wie Chantal (15) zusammenfassend beschreibt: „Da immer mehr abgeholzt wird, gibt es immer weniger Tiere“ und die Jagd, wie Branca (14) aufzeigt: „Viele Tiere, zum Beispiel Nashörner, werden gejagt“. Doch auch die Tiere als Bedrohung, wie Sonja (15) folgend darstellt: „Denn wenn wir den Tieren quasi ihr Land wegnehmen, kommen sie zu uns, dann töten wir diese Tiere, weil sie eine Bedrohung darstellen, und dann geht diese Zahl noch weiter zurück.“, werden als Ursachen genannt. Ausserdem führe gemäss Linus (15) die Überfischung zu einem Biodiversitätsverlust in marinen Systemen „Diese Bodenkratzer [Schiffe] sacken alles ein, was zwischen Meeroberfläche und Boden ist, da ist kein Entkommen für Fische und dann hat man wieder eine gewisse Prozentzahl an Fischen ausgefischt“. Auch hier zeigt sich das metaphorische Konzept „MENSCHEN SIND ZERSTÖRER“. Die Handlungen des Menschen werden als ausschlaggebend für den Verlust an Biodiversität bezeichnet. Eine bei den Lernenden vorherrschende Vorstellung zur Bedeutung der funktionalen Diversität beschrieben Leandro und Sonja: „Jede Art hat ihren Teil im Ökosystem und leistet ihre Aufgaben damit das aufrecht erhalten bleibt“ (Leandro, 15). Die Tiere leben in einem System und bei Verlust einer Tierart, wirke sich dies auf das ganze System aus: „Die Arten sind wie eine Uhr: Wenn das kleinste Zahnrad fehlt, dann geht die ganze Uhr nicht mehr. Es kann eine Art aussterben und extrem viele sind betroffen“ (Sonja, 16). Diese von der Lernerin aufgemacht Analogie zeigt ein systemisches Verständnis der Biodiversität. Folglich gelingt es den Lernenden die Wechselwirkungen zwischen den Arten und zwischen den Ökosystemen und ihrer Biota zu erkennen. Metaphorische Wendungen, in denen die Natur in einem Gleichgewicht dargestellt wird, welches nicht gestört werden darf, werden im metaphorischen Konzept „NATUR IST GLEICHGEWICHT“ zusammengefasst: „Es ist das Gleichgewicht der Natur. Wenn die kleinste Sache, die am tiefsten in der Nahrungskette steht, stirbt, dann sterben immer mehr Tiere“ (Pascal, 15). Wendungen, wie „Wenn die Biodiversität ausgestorben ist, kann man sie nicht mehr zurückholen“ (Mario, 16) weisen auf das Konzept ARTENSTERBEN IST IRREVERSIBEL hin, demzufolge die Auswirkungen des kontinuierlichen Biodiversitätsverlust zu einem irreversiblen Aussterben von Arten führe. Dabei wird ausschliesslich auf die genetische Vielfalt fokussiert.

Die Vorstellungen der Wissenschaftler/innen zu Ursachen des Biodiversitätsverlusts unterscheiden sich bis auf einen Punkt grundsätzlich von denen der Lernenden. Weder Verschmutzungskonzepte noch Bebauung werden als Ursachen genannt: „In the last 20 years, however, about half of the recorded extinctions have occurred on continents, primarily due to land-use change, species introductions, and increasingly climate change, indicating that biodiversity is now broadly at risk throughout the planet“ (Rockström et al., 2009). Folglich nennen die Wissenschaftler/innen als Hauptursachen für den Biodiversitätsverlust den Landnutzungswandel, Einführung neuer Spezies und den Klimawandel. Als Folgen des Biodiversitätsverlusts zeigen Rockström et al. (2009) und Steffen et al. (2015) auf, dass der Biodiversitätsverlust sich auf die Resilienz der weiteren planetaren Belastungsgrenzen auswirke und den Verlust an genetischem Informationsmaterial. Auch erläutern sie die Vorstellung, dass sich der Biodiversitätsverlust auf globale Ökosysteme auswirke: „The importance of biodiversity for sustaining ecosystem functioning and services and for preventing ecosystems from tipping into undesired states“ (Rockström et al., 2009). Dabei wird nicht, wie bei den Lernenden, die Biodiversität, sondern die Erde als System bezeichnet, in dem die Biodiversität eine wichtige Rolle spielt: „the role of the biosphere in Earth-system“ (Steffen et al., 2015). Dieser Sachverhalt verdeutlicht das metaphorische Konzept „EARTH IS SYSTEM“. Auch Rockström et al. (2009) betonen die Relevanz der Arten für das Ökosystem: „Species loss, therefore, affects both the functioning of ecosystems and their potential to respond and adapt to changes in physical and biotic conditions.“. Dabei verdeutlichen sie die Funktion der Biodiversität zur Aufrechterhaltung der Ökosysteme: „environmental variation among species in an ecosystem maintains resilience to disturbances“ (Rockström et al., 2009). Die Idee der Resilienz wird dabei als Biodiversität ist Stabilität ausgedrückt. Die Wissenschaftler/innen sprechen keine Irreversibilität an, jedoch eine Nicht-Nachhaltigkeit: „There is ample evidence that the current and projected extinction rates are unsustainable“ (Rockström et al., 2009).

Diskussion und Ausblick

Im folgenden Abschnitt sollen die Vorstellungen der Lernenden und Wissenschaftler/innen vergleichend diskutiert werden.

Die Ergebnisse zeigen, dass trotz einiger Unterschiede Wissenschaftler/innen und Lernende – in verschiedenen Reflexionsgraden – oft ähnliche Vorstellungen zum Modell der planetaren Belastungsgrenzen aufweisen:

Gemeinsam ist beiden, dass sie den Menschen als Treiber der derzeitigen Umweltveränderungen sehen. Wie die Menschen diese Umweltveränderungen vorantreiben, stellen sie sich unterschiedlich vor. Die Wissenschaftler/innen nehmen einen erdgeschichtlichen Bezug ein, während die Lernenden die Ursachen pauschal in „zerstörerischen“ Handlungen des Menschen beschreiben. Ein weiterer Unterschied zeigt sich darin, dass die Lernenden die Erde als Person beschrieben, welche sich rächt, leidet und krank ist. Diese auch schon von Kattmann (2005) aufgezeigten Personifizierungen machen die Veränderungen für die Lernenden verstehbar, indem die Natur als handelnde und fühlende Akteurin beschrieben wird.

Gemeinsam ist den Lernenden und Wissenschaftlern, dass sie aufbauend auf dem Schema stabil vs. instabil argumentieren, um die Veränderungen der Umweltbedingungen zu beschreiben: Ohne menschlichen Einfluss sind die Erdsysteme stabil, während menschliche Handlungen zunehmend in die Instabilität führen. Im Unterschied zu den Lernenden weisen die Wissenschaftler/innen die Vorstellung auf, dass sich durch eine Reduktion von anthropogener Belastung planetare Belastungsgrenzen wieder stabilisieren können – solange entsprechende Schwellenwerte noch nicht überschritten wurden. Die Lernenden hingegen beschreiben eine kontinuierliche und irreversible Überschreitung der planetaren Belastungsgrenzen. Diese Vorstellung ist nicht nur fachlich problematisch, sondern kann durch ihre defätistische Perspektive auch eine Hilf- und Tatenlosigkeit begünstigen. Hier ist somit ein zentraler Interventionsbedarf angezeigt. So könnten beispielsweise historisch wirksame Mechanismen diskutiert werden, die ein Einhalten einzelner Belastungsgrenzen möglich machten, wie z. B. das Montreal-Protokoll zum Verbot von ozonschädigenden Substanzen. Dabei muss jedoch zwischen reversiblen (z. B. CO2-Emissionen) und irreversiblen (z. B. Abnahme genetische Vielfalt) Grenzüberschreitungen unterschieden werden.

Im Bezug zur planetaren Belastungsgrenze Süsswassernutzung zeigen sich hauptsächlich unterschiedliche Vorstellungen. Für die Lernenden tritt eine Überschreitung der Belastungsgrenzen durch eine Verschmutzung oder durch Wassermangel auf. Die Lernenden unterscheiden auch nicht zwischen Meer- und Süßwasser, wenn sie das Schmelzen der Polkappen für die bisherige Nicht-Überschreitung der Belastungsgrenze anführen.

Die Wissenschaftler/innen nennen im Gegensatz zu den Lernenden keine Verschmutzungskonzepte als Ursachen für einen Süsswassermangel, sondern weisen auf den zukünftigen erhöhten Nahrungsmittelbedarf der Menschen hin, welcher den Druck auf die Süsswasserressourcen verstärken wird. Folglich muss den Lernenden vermittelt werden, dass ein Schmelzen der Polkappen nicht zu einem „mehr“ an Süsswasser führt und nicht anthropogene Verschmutzung, sondern die Nahrungsmittelproduktion ausschlaggebend für eine mögliche Überschreitung der planetaren Belastungsgrenze Süsswassernutzung ist. Hier könnten die lokal ungleichen Wasservorkommen in gemässigten und ariden Breiten thematisiert werden. Das Konzept des virtuellen Wassers und damit die Wasserbilanz von Produkten wäre eine interessante, in ihrer Wirksamkeit zu evaluierende Intervention. Die Überschätzung der Wassernutzung könnte auf den Fokus vieler Umweltbildungsmaßnahmen auf das „Wassersparen“ zurückzuführen sein. Hier kann eine Orientierung am Modell der planetaren Belastungsgrenzen Grundlage für eine evidenzbasiertere Auswahl von Kontexten für Bildungsangeboten werden.

Im Bezug zur Intaktheit der Biosphäre werden besonders Unterschiede in den Vorstellungen der Lernenden und Wissenschaftler/Innen ersichtlich. Beispielsweise zeigen die Lernenden Verwechslungen zwischen Art, Population und Individuum auf. Auch werden lokale Einflüsse des Menschen wie Jagd, lokale Verschmutzungen oder der Verlust einzelner Lebensräume als Hauptursachen des Biodiversitätsverlustes imaginiert. Die von den Wissenschaftlern beschriebene zentrale Rolle der Eutrophierung von Lebensräumen durch Überdüngung, der Einführung neuer Spezies und ebenfalls als Ursache angeführte Pestizideinsatz, wird nicht thematisiert.

Zusammengefasst zeigt sich, dass Lernende stärkere Schwierigkeiten beim Verstehen einzelner Belastungsgrenzen als beim Verstehen des Modells als Ganzes haben. Die interdisziplinäre Betrachtung der einzelnen Belastungsgrenzen ist im Zusammenhang mit den globalen Herausforderungen höchst relevant. Die Vorstellungen zu den einzelnen planetaren Belastungsgrenzen sind bisher sehr ungleich oder gar nicht erforscht, ebenso wie das Konzept der planetaren Belastungsgrenzen selbst. Solches Wissen ist für die adäquate naturwissenschaftliche Unterrichtsvermittlung angesichts der globalen Herausforderungen aber nötiger als je zuvor. Die konzeptuelle Aufarbeitung des Modells der planetaren Belastungsgrenzen kommt dieser Forderung nach. Das Modell ist für Schule insofern hoch interessant, da es sowohl aus überfachlicher Perspektive (z. B. Friedenserziehung, Umwelterziehung, Bildung für Nachhaltigkeit) als auch aus genuin fachlicher Perspektive (z. B. Chemische Gleichgewichte, Biodiversität) nutzbar wird. Niebert (2016) konnte aufzeigen, dass das Modell entlang üblicher naturwissenschaftlicher Curricula in den Unterricht implementierbar ist. Dadurch wird ein Verstehen der globalen Umweltveränderungen möglich, und die heutigen Lernenden und damit künftigen Bürger/Innen und Entscheidungsträger/innen werden damit sprach- und partizipationsfähig. Ziel wäre es, ihnen ein fachlich angemessenes Verstehen der heutigen und zukünftigen globalen Herausforderungen zu ermöglichen.

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Denis Messig/Jorge Groß/Ulrich Kattmann

Fotosynthese verstehen – didaktische Rekonstruktion der Pflanzenernährung

Zusammenfassung