INHALTSVERZEICHNIS

ERSTER BAND

Erster Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Zweiter Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Dritter Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

ZWEITER BAND

Vierter Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Fünfter Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechster Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

DRITTER BAND

Siebter Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Achter Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Neunter Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

VIERTER BAND

Zehnter Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Elfter Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Zwölfter Teil

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Anhang

ERSTER BAND

Inhaltsverzeichnis

ERSTER TEIL

Inhaltsverzeichnis

ERSTES KAPITEL

Inhaltsverzeichnis

Im Jahre nach Erschaffung der Welt, als die Damen kurze Absätze und niedrige Topés, die Herren große Hüte und kleine Haarbeutel, und Niemand leicht Gold auf dem Kleide trug, der nicht wenigstens Silber genug in der Tasche hatte, um es bezahlen zu können, wurde auf dem Schlosse des Grafen von Ohlau ein Knabe erzogen, der bey dem Publikum des dazu gehörigen Städtchens nicht weniger Aufmerksamkeit erregte und in den langen Winterabenden nicht weniger Stoff zur Unterhaltung gab, als Alexander, ehe er auf Abentheuer wider die Perser ausgieng. Graf und Gräfin, deren Liebling er einige Zeit war, nennten ihn Henri, seine Eltern Heinrich, und das ganze Städtchen den kleinen Herrmann, nach dem Geschlechtsnamen seines vorgeblichen Vaters – seines vorgeblichen, sage ich; denn so sehr die körperliche Aehnlichkeit mit ihm es wahrscheinlich machte, daß er sein wahres ächtes Produkt seyn möchte, und so wenig auch der erfahrenste Physiognomist auf den Einfall gekommen wäre, eine andere wirkende Ursache zu vermuthen, so hatte doch Jedermann die Unverschämtheit, troz jenes wichtigen Grundes, ihn seinem Vater völlig abzuläugnen, und zwar aus der sonderbaren Ursache – weil der Sohn ein feiner, witziger, lebhafter Knabe wäre und gerade so viel Verstand, als sein Vater Tummheit, besäße.

Freilich war wohl diese Ursache etwas unzureichend, einem armen Sterblichen seine ehrliche Geburt abzusprechen: auch gab der alte Herrmann nichts weniger zu als daß er tumm sey, und bewies sehr häufig durch die That, daß er sich hierinne nicht irrte: gleichwohl hätten sich die Leute eher bereden lassen, nicht mehr an den Kobold zu glauben, als den jungen Herrmann für den rechtmäßigen Sohn des alten Herrmanns zu erkennen. Indessen, so genau alles, Alt und Jung, in dieser Behauptung übereinstimmte, so verschieden wurden die Meinungen, wenn es darauf ankam, die Entstehung des Knabens zu erklären; und wenn man alles, was darüber gedacht und gesagt worden ist, sorgfältig aufbewahrt hätte, so würde eine solche Samlung ungleich mehr Drucker und Setzer ernähren, als alle Träumereyen der Philosophen. Einige, die des Sonntags zweymal in die Kirche giengen und darum billiger dachten als andre, die wöchentlich nur Eine Predigt hörten, nahmen doch seinem Vater nicht die ganze Ehre des Antheils an der Erzeugung seines Sohns, sondern gestunden mit einem weisen Achselzucken, daß ihm vielleicht die eine Hälfte angehören könnte: allein es wird vermuthlich weltkundig seyn, daß ein gelehrter Akademist die Unmöglichkeit einer solchen Entstehung sonnenklar dargethan hat, und die Anhänger jener Meinung werden mir daher vergeben, daß ich diesem Manne, der den Homer, Virgil und die sämtlichen Erzväter des alten Testaments auf seine Seite zu bringen weis, eher Glauben beymesse, als ihnen – Leuten, die nie ein griechisches Wort gesehn haben.

Der Herr Major im lezten Kriege mag ihn wohl zurückgelassen haben, sagten andere Leute, die sich etwas besser auf Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit verstunden.

Er ist ein Sohn von dem Herrn Grafen, zischelte sich Jedermann ins Ohr, der auf die Gunst neidisch war, die die Herrmannische Familie von dem Grafen genoß; und dieses war das ganze Städtchen. – Tausend ähnliche besser und schlechter gegründete Vermuthungen erzählte man sich als Wahrheiten, vertraute man sich mit geheimnißreicher Miene. Wenn in den kühlen Abendstunden des Sommers zwo Nachbarinnen vor der Thür beysammensaßen, wenn sich zwo Freundinnen am Brunnen trafen, bey dem Spinnrocken oder der Kaffeetasse plauderten, war zuverlässig der kleine Herrmann ihr Gespräch. Wer aber unter allen am sichersten der Wahrheit zu viel weder zur Rechten noch zur Linken gehen wollte, der versicherte schlechtweg – der kleine Herrmann ist ein Hurkind.

Natürlicher Weise muß mir unendlich viel daran liegen, daß diese Meinung nicht unter meinen Lesern Glauben gewinnt, da der Kunstgriff, den Helden seiner Geschichte aus einer Galanterie entstehen zu lassen, seit des alten Homers Zeiten schon so abgenuzt ist, daß sich ein honneter Dichter schämen muß, etwas mit Hurkindern zu thun zu haben. Es ist eine auf Urkunden gegründete Wahrheit, daß der alte Herrmann den Dienstag nach Misericordias unter priesterlicher Einsegnung das Recht empfieng, einen Sohn zu zeugen, und daß seine innig geliebteste Frau Ehegattin ihn den vierten Advent des nämlichen Jahres gegen Sonnenuntergang mit einem wohlgestalten Knäblein erfreute, welches zugestoßner Schwachheit halber in derselben Nacht die Nothtaufe empfieng; und dieses war der Herrmann, dessen Geschichte ich erzähle. Wer nach einem so einleuchtenden Beweise noch eine Minute zweifelt, muß entweder mich oder meinen Herrmann hassen.

ZWEITES KAPITEL

Inhaltsverzeichnis

An einem sehr heißen Sommertage, gerade als die Sonne in den Krebs treten wollte, gieng der Graf Ohlau, seine Gemahlin am Arme und in Begleitung seiner sämtlichen Domestiken, überaus prächtig in der neuangelegten Lindenallee spatzieren, welches er jeden Sonntag bey heiterm Wetter zu thun pflegte. Das ganze Städtchen, das seine Liebe zur Pracht kannte, paradirte alsdann auf beiden Seiten der Allee in den auserlesensten Feierkleidern: Männer und Weiber, Kinder und Eltern machten eine Gasse auf beiden Seiten und sahen mit gaffender Bewunderung das starre goldreiche Kleid ihres hochgebornen Herrn Grafen nebst einem langen Zuge von reicher Liverey durch die doppelte Reihe gravitätisch dahinwandern. Nero konnte nicht grausamer zürnen, wenn er auf dem Theater sang und diesen oder jenen Bekannten unter den Zuschauern vermißte, als der Graf Ohlau, wenn bey diesem sonntägigen feierlichen Spatziergange Jemand von den Einwohnern des Städtchens fehlte: ob er gleich einen solchen Verächter seiner Hoheit nicht, wie jener Heide, köpfen ließ, so war doch allemal in so einem Uebertretungsfalle auf einen heftigen Groll und bey der nächsten Gelegenheit auf eine empfindliche Rache zu rechnen. Obgleich zuweilen die Sonne so brennende Strahlen auf die Versammlung warf, daß die kahlen Köpfe der Alten, wie Ziegelsteine, glühten, daß die weißgepuderten Parucken der Rathsherrn von der geschmolzenen Pomade mohrenschwarz, und die schönen schneeweißen Mädchengesichter rothbraun und mit Sommersproßen und Blattern von der Hitze gezeichnet wurden, so wagte es doch Niemand, so lange sich der Graf in der Allee aufhielt, den Schatten zu suchen: man schwizte, ächzte und ward gelassen zum Märtirer des herrlichen Kleides, das der Graf zu begaffen gab. Er selbst machte sich mit der nämlichen Standhaftigkeit zum Opfer seines Stolzes, und seine Gemahlin – mehr aus Gefälligkeit gegen ihn als aus eigner Neigung – steckte sich jedesmal in einen großen Fischbeinrock und ein schweres reiches Kleid, um die Herrlichkeit seines Spatziergangs vermehren zu helfen.

Die Last dieser Feierlichkeit war noch keinen Tag so drückend gewesen, daß der Graf sie nicht hätte ertragen können: doch izt am gemeldeten Sonntage schoß die Sonne bey ihrem Eintritte in den Krebs so empfindliche Strahlen, die wie Pfeile verwundeten. Die Augen der Zuschauer waren matt und blickten mit schwacher Bewunderung auf das apfelgrüne Kleid, in dessen Stickerey die Silberflittern, wie ein gestirnter Himmel, glänzten, und die Folie mit allen Farben des Regenbogens spielte: Jedermann lechzte und dachte, empfand und sagte nichts als – »das ist heiß!« Der Graf wedelte sich unaufhörlich mit dem musselinen Schnupftuche das Gesicht, blies um sich und seufzte einmal über das andre seiner Gemahlin zu – »das ist heiß!« Die Frau Gräfin gieng geduldig an seiner Seite unter dem rothtaffetnen Sonnenschirme, mit glühendem aufgelaufenen Gesichte und klopfendem Busen, wo große Schweißtropfen, wie die Perlen eines starken Morgenthaues, standen, zerrannen und in kleinen Bächen hinabliefen, athmete tief und keuchte nach ihrem Gemahle hin – »das ist heiß!« Laufer, Heiducken, Jäger und Lackeyen, so stolz sie sonst in ihren Galakleidern daherschritten, schlichen mit gesenkten Häuptern, muthlos und schmachtend hinter drein und brummten einander, ein Jeder mit seinem Lieblingsfluche, zu – »das ist heiß!« Es war nichts anders übrig als der Sonne nachzugeben und dem Schatten zuzueilen.

Gerade mußte sich es treffen, daß unter der schattichten Linde, wo der Graf mit seinem Gefolge Schutz suchte, der kleine Herrmann mit einigen seiner Kameraden sein gewöhnliches Spiel spielte: er war König, theilte Befehle aus, die die übrigen vollziehen mußten, und saß eben damals mit völliger Majestät und Würde auf der Bank unter der Linde, um einem Paar Abgesandten Audienz zu geben. So bald sich der Graf dem Baume näherte, liefen die erschrocknen Abgesandten davon, nur der kleine König blieb, in die Hoheit seiner Rolle vertieft, mit gravitätischem Ernste sitzen. Die Mutter, die in der Ferne gegenüber stand, biß sich vor Aerger über die Unhöflichkeit ihres Sohnes in die Lippen, und der Vater hub schon mit Zähneknirschen und einem unwilligen – »du sollst es kriegen« – sein Rohr drohend in die Höhe. Die Gräfin lächelte über die Unerschrockenheit, mit welcher sie der Knabe erwartete, und sagte freundlich zu ihm: Rücke zu, mein Kleiner! – Nein, das kann ich nicht! antwortete der Knabe. Ich muß in der Mitte sitzen; denn ich bin König, und Sie sind nur Graf. – Man lachte und gab, aus Ehrerbietung gegen seine königliche Würde, seinem Verlangen nach.

Ohne langes Besinnen fuhr er in seiner Rolle fort und gab mit der nämlichen Dreistigkeit, womit er seine Gespielen beherrscht hatte, auch dem Grafen Befehle, und weil dieser nicht für nöthig erachtete, sie zu vollstrecken, so versicherte ihn der kleine Monarch, daß er sich einen bessern Unterthan in ihm versprochen hätte, und drohte ihm für seinen Ungehorsam die fürchterlichsten Strafen an. Die Gräfin, die sehr bald merkte, daß alle diese Ideen, ob es gleich nur Kinderspiel war, dem Stolze ihres Gemahls widrig wurden, suchte den Knaben auf etwas anders zu lenken und bat ihn, seine Majestät einmal bey Seite zu setzen und ihr ein Paar Blumen zu pflücken. Pfeilschnell sprang er von der Bank hinweg, sezte sich ins Graf, pflückte Blumen und band mit dem sorgfältigsten Fleiße ein sehr zierliches Buket, das er der Gräfin mit dem verliebten Anstande eines Schäfers und einem Handkusse überreichte, nebst der galanten Versicherung, daß er sie sehr lieb habe. – Mein Sohn, sagte die Gräfin darauf, du wirst einmal ein großer Mann oder ein großer Narr werden. – Ach, erwiederte der Knabe mit kindischer Naifetät, mit dem großen Narren hats keine Noth: das will ich wohl bald werden, wenn ich nur erst ein großer Mann bin. –

GRÄFIN

Hast du denn Lust ein großer Mann zu werden?

DER KLEINE

Ja, das werd' ich, und weiter nichts!

GRÄFIN

Auch ein großer Narr?

DER KLEINE

Nein, das ist meine Sache nicht. – Das ist einer, sezte er hinzu und wies mit dem Finger auf den Grafen.

Steifigkeit und Gezwungenheit müssen auf jede richtig gestimmte Seele einen unmittlbaren widrigen Eindruck machen; sonst hätte unmöglich diesem kleinen Schwätzer ein so kindischer Sarkasmus, so voll der bittersten Wahrheit, entwischen können. Der Graf fühlte ihn mit Widerwillen, und es that ihm sehr wehe, daß er nicht zürnen konnte, weil ihn ein Kind gesagt hatte: seine Gemahlin, die seinen Stolz und seine ceremoniöse Eitelkeit innerlich sehr misbilligte und sich nur nicht offenherzig gegen ihn herauszulassen getraute, freute sich im Herzen über den Vorwitz des Bubens und ermahnte ihn zur Behutsamkeit und zum Respekte in seinen Ausdrücken, vielleicht gar in der boshaften Absicht, seine Unverschämtheit noch mehr zu reizen.

Was hast du denn an mir auszusetzen? fragte der Graf mit hastigem Tone, um seine Empfindlichkeit zu verstecken.

DER KLEINE

Sehr viel! – Warum ziehen sie sich denn so warm an? izt in der Hitze? – Sehn Sie! das ist gescheidt angezogen! (wobey er seine kleine rothstreifigte Leinwandjacke aus einander zog und von der Luft durchwehen ließ.)

Die Gräfin verbarg eine boshafte Freude hinter dem Fächer und machte ihm den Einwurf, daß sich eine solche Kleidung nicht für den Grafen schicke.

DER KLEINE

Warum denn nicht? Wenn sie sich für mich schickt!

DIE GRÄFIN

Und du bist doch ein König!

DER KLEINE

O sie sind eine scharmante Frau: ich habe Sie wahrhaftig recht lieb, das können Sie glauben. Wenn ich groß bin, will ich Sie heirathen.

DIE GRÄFIN

Du mich? – Ich habe ja schon einen Mann.

DER KLEINE

Ja – (wobey er den Grafen mit schiefem verächtlichen Blicke vom Kopf bis zu den Füßen übersah) – den hätt' ich nicht genommen.

DIE GRÄFIN

Warum denn nicht?

DER KLEINE

Weil er so viel Silber auf dem Rocke hat.

DIE GRÄFIN

Du wirst also vermuthlich kein Silber tragen, wenn wir einander heirathen?

DER KLEINE

Also wollen Sie mich? – Geben Sie mir Ihre Hand darauf!

DIE GRÄFIN

Hier ist sie. – Warum bist du denn aber dem Silber so gram?

DER KLEINE

Weil es zu gepuzt aussieht.

DIE GRÄFIN

Ich merke also wohl, du bist kein Liebhaber vom Gepuzten.

DER KLEINE

Garnicht! Wenn ich auch einmal ein großer Mann bin, geh ich doch nicht anders wie itzo.

DIE GRÄFIN

Was für ein großer Mann denkst du denn zu werden?

DER KLEINE

Das weis ich selber noch nicht recht. Sonst wollt' ich immer ein König werden: aber das gefällt mir nicht mehr. Ich will lieber zur See gehen und Länder entdecken.

DIE GRÄFIN

Da wirst du mich bald zur Wittwe machen.

DER KLEINE

Ja, wenn ich Sie heirathe! – (Vor Freuden that er zwey große Sprünge bey diesen Worten.) – Da bleib' ich lieber zu Hause bey Ihnen und werde recht gelehrt – recht erstaunend gelehrt! Hernach müssen die Leute aus der ganzen Welt zu mir kommen und mich sehen wollen: die Königin aus Saba muß zu mir kommen: da lös' ich ihr Räthsel auf.

DIE GRÄFIN

Die gute Frau ist schon lange todt.

DER KLEINE

Es wird doch wohl eine Andre wieder da seyn. Die bringt mir dann große Geschenke – Gold, Silber, Weihrauch –

DIE GRÄFIN

Du bist ja kein Liebhaber von Gold und Silber.

DER KLEINE

Ach, ich behalte nichts davon: ich schenke alles wieder weg, alles.

DIE GRÄFIN

Das ist edelmüthig. – Ich dächte, so ein munterer Bursch, wie du, gienge lieber in den Krieg.

DER KLEINE

Nein, das ist gar nicht meine Sache.

DIE GRÄFIN

Warum nicht?

DER KLEINE

Das Pulver macht schmuzige Hände: die Soldaten sehen mir alle zu wild aus; und im Kriege wird man ja todt geschossen!

DIE GRÄFIN

Du mußt die Andern todt schiessen, damit sie dich nicht todt schießen können.

DER KLEINE

Ich sollte Jemanden todt schießen? – Das könnt' ich nicht. Das thät mir so weh als wenn meine Mutter eine Henne abschlachtet. – Ich kann gar kein Blut sehn – (sezte er mit leisem Tone und halbem Schauer hinzu)

DIE GRÄFIN

Bist du so mitleidig?

Ach, seufzte der Knabe, und Thränen standen ihm in den dunkelblauen Augen, ich kann gar nicht sterben sehn! Auch keinen Menschen, dem etwas weh thut! Der lahme Görge hier in der Stadt – wenn ich den mit seiner Stelze kommen sehe – ach, da geh' ich allemal in eine andere Gasse, daß ich nicht vor ihm vorbey muß. –

Dort kömmt die Kutsche! unterbrach der Graf freudig ihr Gespräch, der unterdessen voller Ungeduld, wie auf Feuer, dagesessen, und nach der lange verschobnen Ankunft des blauen Staatswagens geseufzt hatte.

Bey seinem Vergnügen an der Pracht spielten Kutschen und Pferde keine geringe Rolle: er verschrieb sich alle mögliche Risse von Staatskarossen und den sämtlichen übrigen Arten von Wagen, und Niemand durfte ihm leicht ein merkwürdiges Fuhrwerk oder Pferdegeschirr nennen, ohne daß er nicht den Auftrag bekam, eine Zeichnung davon zu schaffen. Keine Schmeicheleyen und kein Geld wurden dabey gespart, den Zeichner und Kommissionar zur Beschleunigung seines Wunsches aufzumuntern: empfahl sich einer unter den erhaltnen Rissen durch unwiderstehliche Schönheiten, so wurde er ausgeführt, und jedesmal, wenn so ein neues Werk vollendet und zum erstenmale gebraucht wurde, empfieng das ganze Schloß einen Schmaus, wie andere Leute zu geben pflegen, wenn sie ein Haus gebaut haben. Schade war es nur, daß die herrlichen Gebäude allemal aus einem doppelten Grunde unbrauchbar und meistens auch ziemlich abgeschmackt waren: seine Leidenschaft für die Pracht zog Schönheit und Geschmack so wenig zu Rathe, daß jedes Fleckchen von der Decke bis zur Radeschiene, von dem äußersten Ende der Deichsel bis zu der äußersten Spitze des lezten Eisens hinter dem Kasten, mit Gold beklebt werden mußte, wofern es andre Ursachen nur im mindsten zuließen: auf der andern Seite wollte sein Geiz – wovon ihm eine starke Dosis zu Theil geworden war – jenen prächtigen Kunstwerken die Dauerhaftigkeit einer ägyptischen Pyramide geben und rieth ihm, sie so massiv, so plump bauen zu lassen, daß selten eine Kutsche nach geendigter Schöpfung mit weniger als acht Pferden von der Stelle gebracht werden konnte. Dieselben Ursachen machten auch seine Pferdegeschirre zu wahren Meisterstücken des schlechten Geschmacks: sie waren alle so schwer, daß unter der kostbaren Last die armen Rosse ihres Lebens nicht froh wurden und meistens zwey Tage eine Entkräftung fühlten, wenn sie einmal eine Stunde lang in ihrem ganzen Schmucke an so einem vergoldeten Hause gezogen hatten. Bey einer solchen Bewandniß ist es kein Wunder, daß der Herr Graf während der vorhergehenden Unterredung seiner Gemahlin mit dem kleinen Herrmann so lange auf den blauen Wagen warten mußte, ob er gleich beinahe schon angespannt war, als der Spatziergang eröfnet wurde: das ungeheure Gebäude konnte bey der gewaltigen Hitze nicht anders als in dem Tempo eines gemeinen Mistwagens fortbewegt werden, und noch blieben die niedergeschlagnen Pferde alle sechs Schritte einmal stehen, um auszuschnauben.

Endlich langte die blaue fensterreiche Karosse bey der Linde an: sechs Perlfarben zogen sie unter einem blausamtnen, mit goldnen Tressen und unzählbaren Schnallen gezierten Geschirre: sie hiengen traurig den schöngeflochtnen, mit goldnen Rosen geschmückten Hals, und fühlten ihr glänzendes Elend so stark, daß sie nicht einmal die funkelnde Quaste auf dem Kopfe schüttelten. Graf und Gräfin stiegen hinein, und ohne daß man es gewahr wurde, wie ein Wind, wischte der kleine Herrmann hinter ihnen drein – pump! saß er da, dem hochgebornen Paare gegenüber. Der Graf erschreckte ihn zwar durch die auffahrende Frage – »was willst du hier?« – allein der Knabe antwortete ihm unerschüttert: »Ich will einmal sehn, wie sichs in so einem Wagen fährt.«

Unterwegs machte er sehr oft die Anmerkung, daß diese Art zu fahren für ihn erstaunend langweilig wäre, bezeugte auch zuweilen ein großes Verlangen, aus dem Kasten herauszugehn, und da ihn die Gräfin zur Ruhe vermahnte, versicherte er, daß er nur aus Liebe zu ihr sich so lange darinne zurückhalten ließe.

Allmählich begann der zweite Akt des Spatziergangs. Wenn der Graf sich bey dieser Sonntagskomödie mit der ganzen Commun seiner Residenz einige Zeit von der Sonne hatte sengen und brennen lassen, erschien gewöhnlich, wie itzo, eine von seinen schwerfälligen Staatskutschen, worinne er mit der Langsamkeit einer Leichenbegleitung durch die Alleen eines Lustwäldchens fuhr: die ganze Stadt folgte ihm alsdann zu Fuß auf beiden Seiten und hinten nach, und jeder Knabe hatte die Erlaubniß, ein Band, ein Schnupftuch oder jede andre Sache, die weich genug war, um keine Beulen zu machen, wenn sie einen Kopf traf, in den Wagen zu werfen. Nach geendigter Spatzierfahrt sammelte der Kammerdiener alle hineingeworfne Lappen in einen Korb, trat mit ihm mitten auf den Schloßhof, die Stadtjugend stellte sich in einem Zirkel um ihn, und sobald der Graf das Fenster öfnete, fieng er an, ein Band, ein Tuch nach dem andern in die Höhe zu halten und nach dem Eigenthümer desselben zu fragen: wer sich dazu bekannte und sein Recht aus gültigen Gründen beweisen konnte, erhielt bey der Rückgabe etwas Geld: waren die Ansprüche so verwickelt und zweifelhaft, daß sich der Kammerdiener ohne Verletzung seines Richtergewissens nicht zu entscheiden getraute, so mußte der Zweykampf den Ausschlag thun: die Kompetenten traten in die Mitte des Kreises, rangen mit einander, und wer den andern zuerst niederwarf, besaß das Band und den damit verbundnen Preis ungestört bis in alle Ewigkeit, wenn es auch gleich dem Ueberwundnen gehörte. Während der Austheilung wurde ein Faß voll Bier in Bereitschaft gesezt, auf einen kleinen Wagen geladen; und hatte jedes Band seinen Besitzer gefunden, so spannte sich ein Trupp Knaben daran und zog ihn, Musik voraus, in den herrschaftlichen Garten, wo in einem alten Pavillon die Mädchen warteten, um mit ihnen gemeinschaftlich den Abend unter Tänzen und Liedern hinzubringen. Sehr oft sah der Graf mit seiner Gemahlin ihren jugendlichen Ergötzlichkeiten zu, wenigstens waren doch auf allen Fall die Eltern zugegen, um Unordnungen vorzubeugen und durch ihre Gegenwart Reizungen zu unterdrücken, welche der Tanz leicht erweckt.

Der kleine Herrmann, der aus Liebe zur Gräfin die ganze Fahrt hindurch bis zur Ankunft auf dem Schlosse in der Kutsche ruhig ausgehalten hatte, bat sich die Erlaubniß aus, bey der darauf folgenden Preisaustheilung die Stelle des Kammerdieners zu vertreten: und auf Zureden seiner Gönnerin bewilligte ihm der Graf seine Bitte. Er sammelte die zahlreichen Bänder und Tücher aus dem Wagen mit eilfertiger Geschäftigkeit zusammen und trat mit dem völligen feyerlichen Anstande eines Richters, unter der Begleitung des Kammerdieners, der Korb und Geld neben ihm her trug, in den Kreis seiner erstaunten Kameraden. Sie murmelten zwar einander einige kleine Hönereyen zu, daß ihres Gleichen über sie erkennen sollte: allein Graf und Gräfin öfneten das Fenster, und man schwieg. Der neue Richter schwenkte ein Band in die Luft, fragte, wem es gehörte, gab es dem ersten, der mit einem deutlichen Mir antwortete, aber kein Geld, verfuhr mit den übrigen eben so, und Niemand bekam Geld. Der Kammerdiener, dieser neuen Praxis ungewohnt, wollte ihm ins Amt greifen; die ganze versammelte Jugend wurde schwürig und wollte die alte Prozeßordnung hergestellt wissen: doch die Gräfin rief – »laßt ihn nur machen!« – und man mußte sich beruhigen. Als der Korb ausgeleert war, befahl er einem Jeden nach der Reihe, seine eingelösten Bänder zu zählen, und wer die meisten hatte, bekam das wenigste Geld: ein einziger Knabe, der nur eins in den Wagen geworfen und auch nur eins zurückgefodert hatte, erhielt den höchsten Preis – gerade so viel, als alle übrige zusammen. Natürlich mußten die Andern über ihre getäuschte Unverschämtheit unwillig werden, und weil kein Mittel zu einer größern Rache vorhanden war, schimpfte, schmähte, verspottete man die neue Weisheit des Richters: der Kammerdiener, dem es auch nicht anstund, daß der Knabe klüger seyn wollte, als er alter Mann, suchte ihn anzuhetzen und in einen Streit zu verwickeln, wo er nothwendig den Kürzern ziehen würde. Leid' es nicht! zischelte er ihm leise zu: allein er bekam nichts als die stolze Antwort – »Das schadet mir nichts, ich bleibe dennoch, wer ich bin« – und so wanderte unser kleine Herrmann, voll edlen Bewußtseins, nach dem Zimmer des Grafen.

Der Empfang von Seiten der Gräfin war ungemein lebhaft und freundlich, und selbst ihr Gemahl fühlte in dem Verfahren des Knaben bey der Preisaustheilung so etwas, das mehr als einen gemeinen Geist voraussezte. Sie lobten ihn beide, beschenkten ihn, und der Graf gab sich selbst die gnädige Mühe, ihn mit hoher Hand in seinen Staatszimmern herumzuführen; denn nach seinen Begriffen war es die größte Gnadenbezeugung, wenn er Jemandem Gelegenheit gab, ihn in seiner Pracht zu bewundern. – Wie gefällt dir das alles? fragte der Graf. – »Ganz wohl, erwiederte der Knabe; nur das viele Gold kann ich nicht leiden.« – Was möchtest du nun am liebsten unter allen diesen Sachen haben? fieng die Gräfin an. – »Nichts als das!« antwortete der Kleine und wies auf ein Porträt der Gräfin.

Die Vorstellung – »ich gefalle« – verbreitet über weibliche Nerven jederzeit so eine eigne lebhafte Behaglichkeit, daß ihr ein Frauenzimmer auch bey einem sechsjährigen Knaben nicht widerstehen kann: die Gräfin gieng, ohne ein Wort zu sagen, in ihr Zimmer und kam mit einem Miniaturgemählde zurück, das sie ihrem Lieblinge – denn das war er nun völlig – zum Geschenk überreichte. – Wenn dir, sagte sie, die Frau auf dem großen Gemählde hier so wohlgefällt, so will ich dir ihr Porträt im Kleinen geben: behalt es zu meinem Andenken! – Der Knabe that einen freudigen Sprung, seine ganze Miene wurde Vergnügen, er küßte das Bild etlichemal und bat um ein Band: die Gräfin vertröstete ihn bis zur Zurückkunft in ihr Zimmer: hurtig machte sich der galante Bube sein Knieband los, zog es durch das Oehr des Porträts und hieng es um den Hals. – »Mein Orden ist tausendmal schöner als Ihrer,« sprach er zum Grafen und drückte sich das Bild so fest an die Brust, daß die Gräfin sich nicht enthalten konnte, ihm für diese unschuldige Schmeicheley einen derben Kuß auf die runden rothen Backen zu drücken.

Man öfnete die beiden Flügel der Thür: der Graf erblickte die Spieltische in völliger Bereitschaft: – »zum Spiel!« rief er und bot seiner Gemahlin die Hand, die sie ungern annahm, weil sie sich von ihrem kleinen Liebhaber trennen sollte. Zugleich gab er einem Laufer Befehl, den Knaben zu seinen Eltern zurückzubringen: das war ein Donnerschlag für den armen Verliebten. Er schluchzte, gieng niedergeschlagen und langsam zur Gräfin, faßte ihre Hand, küßte sie und brach in lautes Weinen aus: die Dame ward durch die kindische Betrübniß so gerührt, daß ihr eine Thräne über die Wange herabrollte: mit hastiger Bewegung riß sie den weinenden Knaben zurück, gab ihm zween recht feurige Küsse, reichte mit einem Seufzer dem versilberten strotzenden Herrn Gemahle die Hand und gieng an den Spieltisch.

Die Mutter erwartete ihn an der Thür, als er mit dem Laufer angewandert kam, und empfieng ihn mit lautem Jubel über das Glück und die Gnade, die ihm heute wiederfahren wäre, und belud seinen Ueberbringer mit so vielen unterthänigsten und allerunterthänigsten Danksagungen dafür, daß sie einen Maulesel nicht schwerer hätte bepacken können. Desto mehr war der Vater wider sie und seinen Leibeserben aufgebracht: er hielt es schlechterdings für eine Beschimpfung seiner Familie, daß sein Sohn sich zu dem Grafen drängte, und wollte ihn kraft der väterlichen Gewalt, zu seinem Besten, mit einer nachdrücklichen Züchtigung bestrafen, wenn nicht die Mutter noch zu rechter Zeit hinzugesprungen wäre und den armen Jungen unter dem ausgeholten Ruthenhiebe weggerissen hätte. – »Mag er mich schlagen! sagte der kleine Heinrich; hab ich doch mein liebes Bild« – und dabey küßte er das Porträt der Gräfin.

Dies war, beyläufig gesagt, der Zeitpunkt, wo das Stadtpublikum an der ehelichen rechtmäßigen Zeugung des Knaben zu zweifeln anfieng.

DRITTES KAPITEL

Inhaltsverzeichnis

Die Gräfin, die – wie man bereits gemerkt haben wird – mehr eitel, als stolz, war, fand in der kindischen Liebe des kleinen Herrmanns so viel schmeichelndes, daß sie nach aufgehobner Tafel, als sie ihr Gemahl auf ihr Zimmer gebracht hatte, das Gespräch sogleich auf ihn lenkte. Sie bestand darauf, daß man einem so viel versprechenden Subjekte eine beßre Erziehung verschaffen müßte, als er bey seinen Eltern haben könnte, und that deswegen den Vorschlag, ihn auf das Schloß zu nehmen und den Unterricht und die Aufsicht des Lehrers mitgenießen zu lassen, den man ohnehin für die kleine Ulrike – eine arme Schwestertochter des Grafen – bezahlte. Ihr Gemahl machte zwar Einwendungen, und darunter eine, die weiser war als alle, die er gewöhnlich zu machen pflegte: er besorgte nämlich, daß man den Knaben durch eine vornehme, seinem Stand und Vermögen nicht angemeßne Erziehung nur unglücklich machen werde. Wir geben ihm, sagte er, eine Menge Bedürfnisse, die er in seiner Eltern Hause nie würde kennen lernen; wir fachen seinen Ehrgeiz nur noch mehr an, da er schon für sich stark genug ist; durch den beständigen Umgang mit dem andern Geschlechte wird seine natürliche Empfindlichkeit erhöht, er wird weichlich, wollüstig und vielleicht gar ein Geck. Haben Sie nicht seinen übermäßigen Stolz bemerkt? – Wenn man sieht, daß er Ihr Liebling ist, wird ihm Jedermann schmeicheln, um Ihnen zu schmeicheln, und in zwey Jahren ist er sonach der verdorbenste, aufgeblasenste und unerträglichste Bursch, der Niemanden in der Welt achtet, als sich selbst. Ihre Güte ist auf alle Fälle zuversichtlich sein Unglück. – Es geht schlechterdings nicht, sezte er mit seinem gewöhnlichen peremtorischen Tone hinzu.

Der Graf machte sehr oft dergleichen gute oder schlechtere philosophische Anmerkungen und Einwendungen bey jeder Gelegenheit, aber niemals im eigentlichen Ernste, um zu widerlegen oder die vorgeschlagne Sache zu hindern, sondern blos aus Räsonnirsucht, um seinen vorgeblichen Verstand zu zeigen: räumte man ihm daher seine Einwürfe als unüberwindlich ein, so war nichts leichter, als ihn unmittelbar durch diese stillschweigende Anerkennung seiner Ueberlegenheit zu der nämlichen Sache zu bereden, die er bestritten hatte. Seine Gemahlin kannte alle feste und schwache Plätze seines Charakters so genau, daß sie eine Karte davon hätte zeichnen können, und gestand ihm deswegen in dem vorhabenden Falle mit betrübter Verlegenheit zu, daß es freilich unmöglich sey, so starke und vernünftige Gegengründe zu entkräften. – Man muß also darauf denken, sezte sie hinzu, wie man den Burschen auf eine weniger gefährliche Art unterstüzt.

Aber, fiel ihr der Graf ins Wort, man kann es ja versuchen: merkt man, daß er durch seinen Aufenthalt bey uns verschlimmert wird, so schickt man ihn wieder zu seinen Eltern. Aber freilich, liebe Gemahlin, Sie sind schwach: wenn Sie einmal etwas lieben, dann fällt es Ihnen schwer, sich davon zu trennen: Ihre Liebe wird gleich zu heftig.

Freilich wohl, gnädiger Herr! antwortete die Gräfin seufzend und zupfte mit einiger Verlegenheit an ihrem Kleide. Ich erkenne wohl, wie sehr Sie Recht haben, daß meine Liebe die Leute meistens verdirbt: ich fühle meine Schwäche in diesem Punkte. – Wir wollen den Burschen lassen, wo er ist.

Aber, nahm der Graf mit einer kleinen Hastigkeit das Wort, warum wollen Sie es denn nicht versuchen, wenn sie Ihr Vergnügen dabey finden? – Wollen Sie zuweilen eine kleine freundschaftliche Warnung von mir annehmen, im Falle daß Sie zu weit gehen –

DIE GRÄFIN

O mit Freuden, gnädiger Herr. Sie wissen, wie willig ich mich von Ihnen leiten lasse, wie gern ich Ihre Vernunftgründe zugebe, daß ich leicht von etwas abstehe, wenn Sie es misbilligen –

DER GRAF

Ja, ich kenne Ihre Güte –

DIE GRÄFIN

Nennen Sie das nicht Güte, gnädiger Herr! Pflicht, Schuldigkeit ist es. Ich schätze mich glücklich genug, daß ich fähig bin, die Richtigkeit und Billigkeit Ihrer Einwendungen und Befehle einzusehen: auf keinen andern Verstand, als auf diesen, mache ich Anspruch.

DER GRAF

War denn Ihre Absicht, daß der Knabe bey uns auf dem Schlosse wohnen sollte?

DIE GRÄFIN

Meine Absicht war es allerdings; denn eine doppelte, so ganz entgegengesezte Erziehung –

DER GRAF

Würde ihn nur verderben! Was er in den Paar Stunden, die er sich bey uns aufhielt, Gutes lernte, würde er den übrigen Theil des Tages bey seinen Eltern wieder vergessen; die Fehler, die er bey uns ablegte, würde er dort wieder annehmen. Sein Vater ist ohnehin etwas ungeschliffen. Das thäte gar nicht gut: wenn er einmal besser erzogen werden soll, so muß er von der Lebensart seiner Eltern gar nichts mehr zu sehen bekommen. Zudem wäre mirs auch unangenehm, ihn unter uns zu leiden, wenn er hernach wieder mit seines Gleichen, mit gemeinen Jungen auf der Gasse spielen und herumlaufen dürfte.

DIE GRÄFIN

Ihre Bedenklichkeiten sind völlig gegründet: es läßt sich nicht das mindeste dawider einwenden. – Ich will mir die Grille wieder vergehen lassen: der Junge mag bleiben, wo er ist. –

Aber wozu denn? rief der Graf mit ereiferter Güte. Ich will dem Haushofmeister befehlen, daß er –

DIE GRÄFIN

Ich bitte Sie, gnädiger Herr! Verursachen Sie sich meinethalben nicht die Beschwerlichkeit, einen Jungen um sich zu sehn, der Ihnen freilich anfangs nicht mit der gehörigen Ehrerbietung begegnen wird –

DER GRAF

Das besorge ich eben. Er hat noch keine Manieren, ist auch wohl zuweilen ungezogen: aber ich denke, er soll sich durch unsern Umgang bald bilden.

DIE GRÄFIN

Das hoff' ich! – Mir sollte die Sorge für seine Erziehung ein süßes Geschäfte seyn. –

Nach einer kleinen tiefsinnigen Pause sezte sie traurig und mit nassen Augen hinzu: Da mir das Glück keine eignen Kinder zu erziehen giebt, muß ich die mütterlichen Vergnügen an fremden genießen.

Aber, warf ihr der Graf ein, Sie werden sich zu sehr an den Knaben fesseln, sich zu sehr mit ihm abgeben und dadurch eine unendliche Last auf sich laden.

DIE GRÄFIN

Meine Last dabey wäre sehr gering: allein für Sie, gnädiger Herr, könnte sie größer seyn, als ich wünschte. – Es mag unterbleiben.

DER GRAF

Nein doch! Sie sollen sich schlechterdings meinetwegen kein Vergnügen versagen.

DIE GRÄFIN

Und ich will schlechterdings kein Vergnügen genießen, das Ihnen nur Eine misvergnügte Minute machen könnte. Wollte ich doch, daß ich nicht so unbescheiden gewesen wäre, Ihnen von meinem unüberlegten Einfalle etwas zu sagen!

DER GRAF

Ihr Einfall muß befriedigt werden: ich geb' es nicht anders zu.

DIE GRÄFIN

Gnädiger Herr, ich müßte mir selbst Vorwürfe machen, wenn ich aus Unbesonnenheit Ihre Güte so mißbrauchte –

DER GRAF

Ich will nun, ich will.

Nunmehr war er auf den Punkt gebracht, wohin er sollte: er sagte die lezten Worte mit so einem auffahrenden positiven Tone, daß nur noch Eine Gegenvorstellung nöthig war, um ihn zornig zu machen. War er einmal unvermerkt dahin geleitet, daß er die Sache selbst verlangen und befehlen mußte, die er anfangs bestritt und im Grunde sehr ungern sah, so hatte die Gräfin zu viel Feinheit, um seinen Stolz bis auf das äusserste zu treiben und einen wirklichen Zorn abzuwarten, sondern sie ergab sich nunmehr mit anscheinendem Widerwillen. – Ich unterwerfe mich Ihrem Befehle, sprach sie mit einer tiefen Verbeugung und küßte ihm ehrerbietig die Hand: Sie können meiner Dankbarkeit gewiß seyn, und eben so sehr meiner Folgsamkeit, so bald Ihnen Ihre Güte nur die mindste Beschwerlichkeit –

Denken Sie nicht mehr daran! unterbrach sie ihr Gemahl. Ihr Vergnügen und das meinige können nie ohne einander seyn. –

Er sagte gleich darauf mit der verbindlichsten Freundlichkeit gute Nacht und trieb die Verbindlichkeit so weit, daß er unmittelbar nach seiner Ankunft in seinem Zimmer bey dem Ausziehen dem Kammerdiener Befehl gab, noch denselben Abend zu dem Einnehmer Herrmann zu gehen und ihm zu melden, daß er sich morgen früh um sieben Uhr vor des Grafen Zimmer einfinden solle.

Die ganze Herrmannische Familie lag schon in tiefem Schlummer: der Hausvater schnarchte bereits so lieblich und mit so mannichfaltigen Veränderungen alle Oktaven durch, daß die arme Ehegattin an seiner Seite nicht fünf Minuten zusammenhängenden vernünftigen Schlummer zuwege bringen konnte. Eben war es ihr geglückt, alle Hindernisse zu überwältigen und in einen sanften erquickenden Schlaf dahinzusinken, als der Kammerdiener des Grafen an der Thür rasselte, und da er diese verschlossen fand, an die niedrigen Fensterladen so emphatisch mit geballten Fäusten anpochte, daß die beiden Eheleute vor Schrecken im Bette weit in die Höhe prellten. Halb aus Scham, halb aus Furchtsamkeit wollte die erwachte Frau das Fenster nicht öfnen, sondern stieß den wieder eingeschlafnen Gemahl so heftig in die Ribben, knipp ihn in die Wangen und paukte ihm endlich so derb auf der Brust herum, daß sich der arme Mann mit einem erstickenden Husten aufrichtete und ein schlaftrunknes »Was giebts?« herauszukrächzen anfieng, als der ungeduldige Kammerdiener mit verdoppelter Stärke an den Laden donnerte. Urplözlich raffte sich der Mann in der Betäubung auf, rennte an das Fenster, riß den Laden auf, faßte den Abgesandten des Grafen bey dem Kopfe und schüttelte ihn mit so lebhaftem Grimme, daß er vor Schmerz laut zu heulen anfieng. – Ich bins ja, rief er einmal über das andre und nennte seinen Namen. – So? sind Sies? rief Herrmann voller Erstaunen. Hier haben Sie Ihre Haare wieder. – Er hatte dem armen kahlköpfichten Alten in der Hitze der vermeinten Beleidigung fast das ganze kleine Tupé ausgerissen, und lieferte es ihm, wie ers zwischen den Fingern hielt, unbeschädigt wieder aus. Natürlich konnte eine so gewaltthätige Scene nicht ohne Wortzank ablaufen: beide stritten und schimpften, bis sich die Frau vom Hause einfand, ihren Mann vom Fenster wegzog und sich höflich bey dem Kammerdiener nach seinem Verlangen erkundigte: er richtete seine Bothschaft aus und gieng mit einer angenehmen Ruh, sein ausgerauftes Tupé in der Hand, nach dem Schlosse zurück.

Unbekümmert, ob dieses hohe Verlangen des Grafen nach der Gegenwart des alten Herrmanns Gnade oder Ungnade für ihn bedeuten möchte, legte er sich wieder ins Bette und brummte nicht wenig, daß man ihn um einer solchen Kleinigkeit willen in dem Schlafe störte. Seine Ehefrau hingegen, die den Werth der Bothschaft besser fühlte, warf sogleich ihren kattunen ziegelfarbnen Nachtmantel um sich, zündete Licht an und war schon von so großen Gedanken schwanger, daß ihr beide Backen vor Erwartung glühten. Sie wollte ihre Muthmaßungen ihrem Manne mittheilen, aber da war keine Antwort! Als eine sorgsame Hausfrau, holte sie das feinste Hemde ihres Mannes herbey, nähte daran zwey starre ungeheure Manschetten, wo auf einem musselinen Grunde große Tulpen und Rosen in einem Relief von dickem Zwirne prangten. Oft ruhte die Nadel, und oft rückte in vielen Minuten die Arbeit nicht um Einen Stich weiter; denn die geschäftige Einbildungskraft unterhielt die gute Frau mit einer solchen Menge Aussichten, Gnadenbezeugungen und Lobsprüchen über das Verhalten ihres Sohns – der nach ihrer Meinung den verlangten Besuch veranlaßt haben mußte – mit so herrlichen Scenen künftiger Größe und künftigen Wohlseyns, daß sie sogar in der Selbstvergessenheit zweimal die Arbeit unter den Tisch fallen ließ; und der Nachtwächter meldete eben grunzend unter ihrem Fenster, daß es zwölfe geschlagen habe, als sie den lezten Knoten machte. Darauf ergriff sie das beste Kleid in ihres Mannes Garderobe, jagte den Staub mit lauten Stockschlägen heraus und bürstete so lange, bis sich kein Fäserchen mehr darauf blicken ließ. Die lezte und beschwerlichste Arbeit war noch übrig: die Stuzperücke mußte beinahe ganz umgeschaffen werden: Hofnung und Freude gaben ihren Händen ungewöhnliche Geschicklichkeit, sie schlugen meisterhafte Locken: alle gelangen auf den ersten Wurf, als wenn sie ein schöpferisches Dichterfeuer belebte, und nunmehr wurde, in Ermangelung des Puders, durch ein Sieb auf die schöne Frisur in so reichlichem Ueberflusse Mehl gestreut, daß der stattliche Stuz in der schlecht erleuchteten Stube wie ein Morgenstern glänzte. Wirklich fieng auch schon die Morgendämrung an, als sie mit Wohlgefallen den lezten Blick auf ihre Arbeit warf und zum Bette zurückkehrte.

Die Ruhe war unmöglich: ihre Gedanken ließen sie nicht einschlafen: kaum krähte der Hahn zum zweitenmale, als sie wieder aufsprang, um den übrigen Staat für ihren Mann in Bereitschaft zu setzen. Sie weckte ihn, und machte indessen Anstalt zum Kaffe.

Herr Herrmann dehnte sich dreimal mit einem lauten Stöhnen und stund auf, achtete weder des schöngepuderten Stutzes, noch der blumenreichen Manschetten, noch des übrigen wohlgesäuberten Putzes, ob er gleich ausgebreitet vor seinen Augen dalag, sondern zog seine gewöhnliche Alltagskleidung an, einen grautuchnen Ueberrock und graue wollne Strümpfe, kämmte sein Haar in Eine große Rolle, wie es ihm von sich selbst zu fallen beliebte, und pfiff dabey ein sehr erbauliches – »Wach auf mein Herz und singe.«

Die Frau brachte den Kaffe, und der Aerger erstickte den guten Morgen, den sie schon halb ausgesprochen hatte, als sie ihren Mann in seiner schlechten Alltagsmontur erblickte: sie ward bleich, zitterte, sezte den Kaffe auf den Tisch, stemmte die Arme in die Seiten, wollte sehr pathetisch in Verwundrung und Vorwürfe ausbrechen und – verstummte: der Aerger schnürte ihr die Kehle zu. Sie gieng hinaus in die Küche und weinte bitterlich. Indessen schenkte sich ihr Ehegatte ein und pfiff dabey sein Morgenlied so munter und so durchdringend hell, wie ein Gimpel, schlurfte einen Schluck aus der Tasse und pfiff weiter, suchte seine Tabakspfeife, fand sie nicht, fluchte ein Paar Donnerwetter und pfiff weiter. Wie unsinnig lief er mit abwechselndem Fluchen und Pfeifen in der Stube herum, störte alles um, wo eine Tabakspfeife versteckt seyn konnte, stieß an den Perückenstock, daß der schöne Stuz über das saubre braune Kleid herunterstürzte und auf seinem ganzen Wege, wie ein ausgeschütteter Mehlsack, eine dicke Wolke von sich blies: eine Flasche mit einem Reste vom gestrigen Abendtrunke rollte nach langem Taumeln über den Tisch hin und ließ eine große See von Bier zurück, ehe sie auf den Fußboden herabsprang und in kleine Scherben zerbrach.

Das Geräusch der zerbrechenden Flasche rief die erschrockne Ehefrau in die Stube: sie trat betrübt, mit rothen aufgelaufnen Augen herein, als eben ihr wütender Gemahl das trefliche Hemde zusammengedrückt in der Faust hielt, und ohne sich zu bedenken, in die Biersee gerade hineinwarf. – »Ach!« rief die Frau an der Thür aus, und ein Strom von Thränen brach ihr aus den Augen. Ohne ihren schmerzhaften Seufzer wahrgenommen zu haben, drehte sich der Mann und lief hastig auf sie zu. – Nillchen, Nillchen! schrie er, wo ist meine Pfeife?

Die Frau konnte ihm mit nichts antworten als mit Thränen und einem doppelten – Ach!

Nillchen, was ist dir denn? fragte er und suchte in dem Tischkasten. – Was ist dir denn?

DIE FRAU

Ach! du wirst mich noch vor der Zeit ins Grab bringen.

DER MANN

Schaff mir nur erst meine Pfeife! – Ich dich ins Grab? – Warum denn, Nillchen?

DIE FRAU

Du fragst noch? – Sieh nur, was du gemacht hast! dann brauchst du gewiß nicht mehr zu fragen.

DER MANN

Was hab' ich denn gemacht, Nillchen? – Ja, etwas umgeworfen! die Flasche zerbrochen! Warum thust du alle die Sachen nicht an ihren rechten Ort?

DIE FRAU

So? – Erst sitz' ich die ganze Nacht auf und breche mir den Schlaf ab; und hernach bin ich gar noch Schuld daran, wenn du, wie ein Heide, alles zerschlägst und verdirbst?

DER MANN

Du hast nicht geschlafen? – Warum denn, Nillchen?

DIE FRAU

Warum denn als deinetwegen? – Hab' ich denn nicht gesessen und genäht, daß mir das Blut aus den Nägeln hätte springen mögen? –

Da liegts, das schöne Hemde! fuhr sie nach einer Pause schluchzend fort und wischte sich mit der Schürze die Augen. – Da liegts! ich kanns vor Jammer gar nicht ansehn.

DER MANN

Ja – und mein schönes braunes Kleid – ach Zeter! wer hat denn das so entsetzlich zugerichtet? das sieht ja aus als wenns im Mehlkasten gesteckt hätte. Kehr' es doch, Nillchen!

DIE FRAU

Daß ich eine Närrin wäre! Wer den Unflath gemacht hat, salva venia, der mag ihn wieder wegkehren.

DER MANN

Wer hats denn gethan? – Doch wohl der Junge? Die Brut hat niemals die Gedanken beysammen.

DIE FRAU

Ja, der Junge! der gute Junge hat die Gedanken besser beysammen als der Vater.

DER MANN

Wär ichs gewesen?

DIE FRAU

Wer denn sonst? – Ich habe an der Perücke gekämmt, daß mir der Arm noch wehe thut: wer siehts ihr nun an? – Ich möchte dir sie gleich ins Gesicht werfen.

DER MANN

Spaße nicht, Nillchen!

DIE FRAU

Ja, ich und der Spaß, wir kämen wohl zusammen! – Was willst du denn nun machen, du alter Schmaucher? Du wirst doch nicht in der häßlichen Kutte zum Grafen gehn wollen? Was würde denn der Herr sprechen?

DER MANN

Mag er sprechen, was er will! Wenn ich ihm so nicht gut genug bin, so mag er mich lassen, wo ich bin: ich verlange ja nicht nach ihm.

DIE FRAU

Schäme dich, Adam! so eine hohe Gnade!

DER MANN

Ich mag keine von ihm. Ich habe so lange ohne sie gelebt –

DIE FRAU

Adam, sey doch nicht so grießgramicht! Sey ja hübsch freundlich gegen den Herrn Grafen! bücke dich fein tief und antworte nicht immer so kurz weg, wie du zu thun pflegst! Daß du ja nicht so schlecht hin »Ihr Diener« zum Herrn Grafen sprichst: er nimmts sehr übel, wenn man nicht unterthäniger Diener sagt.

DER MANN

Nillchen, ich will sagen, wie mirs gefällt. Ich thue dem Grafen meine Arbeit redlich, und er giebt mir dafür mein Brod: außerdem bin ich weder sein unterthäniger noch sein gehorsamer Diener; aber sein Diener bin ich – denn er bezahlt mich dafür – nicht ein Haar breit mehr noch weniger!

DIE FRAU

Es ist aber doch einmal Mode –

DER MANN

Ach was Mode! die Mode gehört für die Narren: genug ich gebe mich für nichts schlechteres aus, als ich bin. – Mache mir den Kopf nicht warm, Nillchen! ich bin so heute nicht aufgeräumt, daß ich meine Pfeife nicht habe.

DIE FRAU

Du hast ja izt keine Zeit zum Rauchen. Wenn du nun mit dem Tabaksgeruche zum Grafen kämst –

DER MANN

Mag er sich die Nase zuhalten, wenn ihm mein Geruch nicht ansteht! Ich verlange nicht von ihm, daß er sich nach mir richten soll: aber ich werde mich auch nicht nach ihm richten. Das wär der erste, ders so weit bey mir brächte.

DIE FRAU

Zieh dich nur allgemach an –

DER MANN

Anziehn? Wozu denn? – Nicht eine Faser! Wenn ich mir in dem Rocke nicht zu schlecht bin, so werd' ichs dem Grafen wohl auch nicht seyn.

DIE FRAU

Du alter Adam! man hat doch nichts als Schande von dir.

DER MANN

Nillchen, Nillchen! nicht zu viel geschwazt! –

Ist es denn nicht wahr, schluchzte die Frau mit halb weinendem Tone. Ich werde gewiß noch vor Aerger über dich sterben.

DER MANN

Sey kein Narr, Nillchen!

DIE FRAU

Wenn ich nur schon todt wäre! – (Dabey brach sie in völliges Weinen aus.) – Ich muß mich ja in die Seele schämen, wenn die Frau Gräfin meinen Mann so einhergehen sieht, wie einen schmuzigen Budel –

DER MANN

Nillchen, es klopft Jemand. –

Nillchen öfnete die Thür, und es trat ein abermaliger Bote vom Herrn Grafen herein, der ihn mit Ungeduld erwartete. Er nahm Hut und Stock und gieng, ohne ein Wort zu sagen, fort, ob ihm gleich seine Frau mit Thränen um den Hals fiel und ihn um Gottes willen bat, sie und die ganze Familie nicht durch seine schlechte Kleidung zu entehren.

Thränend gieng sie an das Fenster, sah durch die Scheibe dem Starrkopfe nach und bedachte nunmehr erst, daß sie ihm nicht hätte widersprechen sollen, um ihn dazu zu bewegen, was sie wünschte. Nicht weniger war sie nunmehr wegen seiner Aufführung bey dem Grafen besorgt.

Der Graf bat ihn mit ungewöhnlicher Herablassung, daß er ihm und seiner Gemahlin die Erziehung seines Sohns überlassen möchte, und stellte ihm, statt der Bewegungsgründe, die große Liebe und Gnade der Gräfin für den Knaben und die wichtigen Vortheile vor, die diesem in Ansehung seines künftigen Glücks daraus zuwachsen würden: er suchte seinen Eigennuz und Ehrgeiz in das Spiel zu ziehen und führte ihm zu Gemüthe, daß er ohne die mindsten Unkosten auf diese Weise einen Sohn erhalten werde, der alle Stadtkinder an Bildung, Wissenschaft und guten Manieren übertreffe. Der alte Herrmann stand unbeweglich da, beide Hände über einander auf den Knopf seines knotichten Stocks gelegt, die eine hinterste Spitze seines großen Hutes zwischen den zwey Vorderfingern der linken Hand. – Nein, sagte er endlich trocken, als ihn der Graf fragte, was er zu thun gesonnen wäre – Nein, daraus wird nichts. Wer den Jungen gemacht hat, wird ihn auch erziehen. Mein Sohn soll kein Schmarotzer bey Grafen und Edelleuten werden. Wenn er so viel lernt, wie ich, daß er sich sein Brod nothdürftig verdienen kann, da hat er genug: nach den übrigen Fratzen soll er mir nicht eine Hand aufheben. –