Alfred Bekker Grusel-Krimi #8: Der Totengräber

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2018.

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Alfred Bekker Grusel-Krimi #8

Der Totengräber

Copyright

1. Kapitel: Das Haus am Friedhof

2. Kapitel:  Der Horror im Keller

3. Kapitel: Die Nacht der Ewigen Lichter

4. Kapitel: Der Unheimliche

5. Kapitel: Böses Erwachen

6. Kapitel: Stimmen aus dem Totenreich

7. Kapitel: Die Toten leben

8. Kapitel: Nächtlicher Spuk

9. Kapitel: Der Geist im Fenster

10. Kapitel: Das Haus am Waldrand

11. Kapitel: Die Nacht der Entscheidung

Sign up for Alfred Bekker's Mailing List

Further Reading: 30 Sternenkrieger Romane - Das 3440 Seiten Science Fiction Action Paket: Chronik der Sternenkrieger

Also By Alfred Bekker

About the Author

About the Publisher

image
image
image

Alfred Bekker Grusel-Krimi #8

image

Übernatürliche Wesen bedrohen die Welt. Dämonen suchen die Menschen heim – und mutige Dämonenjäger begegnen dem Grauen...

––––––––

image

ALFRED BEKKER IST EIN bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Titebild: Klaus Dill

image
image
image

Der Totengräber

image

Horror-Roman

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 115 Taschenbuchseiten.

Ausgerechnet in das verfallene Haus direkt neben dem Friedhof ziehen Brad und seine Mutter ein! Sie haben keine andere Wahl, nachdem Brads Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Zuerst hört Brad ein Stöhnen, dann bemerkt er, dass der Totengräber mitten in der Nacht seltsame Rituale an den Gräbern vollzieht...

image
image
image

Copyright

image

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alles Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

image
image
image

1. Kapitel: Das Haus am Friedhof

image

Das graue Gemäuer des verwitterten Hauses wirkte düster und abweisend. Eine Aura der Fäulnis und des Verfalls umgab das Gebäude. Der Wind wehte einen leicht modrigen Geruch herüber und die Pflanzen im Vorgarten waren verdorrt, so als hätte jegliches Leben versucht, sich von diesem Ort zurückziehen. Gleich dahinter befand sich eine windschiefe, aus dem gleichen grauen Gestein gebaute Kirche – umgeben von einem Friedhof. Knorrige, seltsam verwachsene Bäume wuchsen dort, die aussahen wie dämonische Wächter, die ein magischer Bannspruch hatte erstarren lassen.

„Es wird dir schon gefallen, Brad!“

„Ja, Mom!“

„Wir machen es uns schön hier!“

„Gleich neben einem Friedhof. Na großartig!“

„Brad...“

„Wenn ich jetzt so ein abgefahrener Gruftie wäre, der sich mit Leichenöl einreibt, das Gesicht weiß anmalt und nachts schwarze Messen auf Friedhöfen feiert – dann würde ich mich freuen!“

„Brad, wir haben das doch alles besprochen.“

„Sicher!“

„Es ist nun mal nicht zu ändern.“

„Ich weiß. Aber das heißt doch noch lange nicht, dass ich es deswegen toll finden muss, oder?“

Brad stieg aus der Beifahrertür des Pick Up, dessen Ladefläche mit Umzugskartons beladen war. Eigentlich sogar überladen, aber da ihr altes Haus nur ein paar Straßen entfernt lag, hatte Mom gesagt, dass man es riskieren könnte. Schneller als zwanzig Meilen die Stunde war sie dennoch nicht gefahren. Mit gutem Grund. Unterwegs war ihnen ein kleinerer Karton  auf die Straße gefallen und sie hatte anhalten müssen, um ihn wieder auf den Kasten des Pick Up zu hieven.

Brad Walker blickte seufzend zur niedrigen, etwa hüfthohen Mauer hinüber, die das Grundstück, das zu ihrem neuen Zuhause gehörte, vom Friedhof trennte.

Ein Mann war damit beschäftigt, die Gräber zu pflegen.

Brad konnte nur seinen gekrümmten Rücken sehen. Der Rest seiner Gestalt verschwand hinter einer Hecke.

„Der Bus zu deiner High School in Stamford fährt gleich hier um die Ecke“, sagte Mom. „Du wirst in Zukunft also etwas länger schlafen können!“

„Super!“, maulte Brad.

„Man muss eben auch das Positive sehen! Trotz allem!“

„Tut mir leid, wenn ich im Moment nicht so’n sonniges Gemüt habe, Mom.“

„Ach, Brad!“

„Eigentlich hatte ich gedacht, ich kann ab nächstem Jahr mit dem Wagen fahren, sobald ich den Führerschein habe“, gab Brad zurück. Aber er ahnte bereits, dass auch daraus nichts werden würde. Das war nur einer von mehreren Träumen, die er wohl begraben musste.

Mom seufzte.

Das allein hätte als Antwort schon völlig ausgereicht. Den Rest konnte Brad sich denken. Er konnte sich gerade noch zurückhalten und verzichtete darauf, ihre Worte mitzusprechen, was sie immer besonders ärgerte. Aber das hatte sie im Moment nicht verdient, fand er. Immerhin ging es ihr ja auch nicht gut.

„Brad, du weißt doch, wie es finanziell um uns steht.“

Brad verdrehte die Augen.

„Ja, sicher...“

„Wir werden den Pick Up verkaufen, sobald der Umzug erledigt ist. Und dann müssen wir mit einem Wagen auskommen.“

Brad schluckte. Seine Stimme klang heiser. „Ja, habe ich mir schon gedacht. Und diesen einen Wagen brauchst natürlich du, um ins Büro zu kommen!“ Zum Glück lagen jetzt erstmal Sommerferien vor ihm, sodass er sich darüber erst in drei Monaten zu ärgern brauchte.

Mrs. Dorothy Walker zögerte mit ihrer Antwort. Sie schluckte. Brad bemerkte, dass ihre Augen rot wurden. Und er selbst fühlte auch einen Kloß im Hals. Dads Tod war erst ein paar Monate her. Er war bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen und lag jetzt auf dem Friedhof von Willington, Connecticut, einer kleinen Stadt direkt an der Küste des Long Island Sound. Bis Stamford waren es nur wenige Kilometer und um nach New York zu kommen, brauchte man anderthalb Stunden mit dem Wagen.

So fern man einen Wagen hat!, dachte Brad etwas verdrießlich. Willington war ein verschlafenes Nest und Brad hätte heulen können, wenn er daran dachte, dass die coolste Stadt der Welt nur anderthalb Autostunden entfernt lag!

Dad hatte ihm einen Wagen versprochen, wenn er die Fahrlizenz in der Tasche hatte.

Aber für die Walkers hatte sich im Handumdrehen alles geändert.

Dad hatte als Anwalt gut verdient, aber er war nie besonders sparsam gewesen. Drei Autos für eine Familie, in der nur zwei Personen einen Führerschein besaßen, waren schon recht üppig. Mit dem Sportflitzer, den er sich selbst zu Weihnachten geschenkt hatte, war Dad dann auf der Küstenstraße Richtung New York State verunglückt. Er war sofort tot gewesen. Man hatte nichts für ihn tun können. Jetzt lag er auf genau jenem Friedhof, in dessen Nachbarschaft Brad und seine Muter notgedrungen gezogen waren, denn die Villa auf der anderen Seite von Willington war nicht mehr zu halten gewesen. Schon zu Dads Lebzeiten war sie eigentlich eine Nummer zu groß und luxuriös im Vergleich zu den finanziellen Möglichkeiten der Familie. Mom hatte zwar neben ihrem Job in einem Steuerberaterbüro noch versucht, i Versicherungen zu verkaufen, aber es war schnell klar geworden, dass es einfach nicht reichte. Das Haus musste verkauft werden.

Die Miete für das alte Haus am Friedhof war nicht einmal halb so hoch wie die Abzahlungsraten für ihr vorhergehendes Zuhause.

„Auf jeden Fall haben wir auch hier Platz genug!“, meinte Mom und versuchte damit etwas positive Stimmung zu verbreiten.

Zweckoptimismus!, erkannte Brad und dachte nicht im Traum daran, da mitzuspielen. Wenn etwas der totale Mist ist, sollte man es auch so nennen! Jedenfalls hatte Brad keinesfalls vor, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

„Sieht aus wie das Horror-Haus von Norman Bates in den Psycho-Filmen!“, lautete daher Brads bissiger Kommentar. „Pass auf, dass wir im Keller nicht irgendeine mumifizierte Oma finden oder jemand eine präparierte Leiche im Tiefkühlschrank vergessen hat!“

„Ach, Brad!“

„Jedenfalls riecht es selbst hier draußen schon so. Einmal eingetrocknete Leiche mit Spinnwebenüberzug und einer extragroßen Portion Staub gefällig? Kriegst du wahrscheinlich umsonst, wenn du auf den Boden steigst.“

„Jetzt übertreibst du!“

„Das ist noch nett ausgedrückt.“

Mom verdrehte genervt die Augen.

„Brad! Was redest du da? Gib dem Haus `ne Chance!“

Brad zuckte mit den Schultern.

„Klar!“

„Die Alternative ist nur, dass du im Garten dein Zelt aufschlägst!“

„Sicher! Gras und Unkraut stehen so hoch, dass mich dann nicht mal die Zombies bemerken würden, die hier wahrscheinlich nachts aus den Gräbern steigen!“

„Du bist unmöglich!“

„Nein“, sagte er. „Nicht ich bin unmöglich, sondern dieses Haus. Es ist unmöglich, sich in dieser Bruchbude wohl zu fühlen!“

*

image

SIE GINGEN ZUR TÜR. Bislang hatte nur Mom das Haus von innen gesehen. Brad war in der Schule gewesen, als sie es besichtigt hatte. In der Zwischenzeit wäre zwar durchaus noch Gelegenheit genug gewesen, sich das neue Zuhause doch noch anzusehen, aber irgendetwas in Brad hatte sich zutiefst dagegen gesträubt. So als hätte er es so lange wie möglich vermeiden wollen, diesen Ort aufzusuchen.

Jetzt gab es keine Ausflucht mehr.

Und kein Zurück.

Schmerzlich wurde ihm dies bewusst und er fühlte einen dicken Kloß im Hals, sodass er kaum zu schlucken vermochte.

Vielleicht hatte er es insgeheim einfach nicht wahrhaben wollen, dass diese Bruchbude demnächst sein Zuhause sein sollte.

Mom schloss die Tür auf.

Mit einem Knarren öffnete sie sich.

„Na großartig, wenn jetzt gleich ein Gespenst mit rasselnden Ketten um die Ecke kommt, wundere ich mich über gar nichts mehr!“

„Ein bisschen Öl wird es schon richten, Brad!“

„Wenn man diese Wände zu streng ansieht, fallen sie doch in sich zusammen!“

„Du übertreibst!“

Innen herrschte Halbdunkel. Ein eigenartiger, feuchter und leicht modriger Geruch stieg ihm in die Nase. Wie in einer Gruft!, dachte er. Alles abgestanden und modrig. Wahrscheinlich gammeln irgendwo noch ein paar mumifizierte Ratten vor sich hin... 

Es hatte hier seit Jahren niemand mehr gewohnt und das bedeutete, es konnte Wochen dauern, bis dieser Gestank verschwunden war. Brad drückte auf den Lichtschalter. Nichts geschah.

Tot.

„Toll, Mom! Du kannst gleich den Elektriker anrufen – mal vorausgesetzt, die Telefonleitung ist überhaupt noch in Ordnung – was ich sehr bezweifle.“

„Das Telefon wird erst nächste Woche angeschlossen“, erwiderte Mom. „Aber da wir beide ein Handy haben, dürfte das auch kein Problem sein.“

Brad sah sich die leeren Räume einen nach dem anderen an. Sie waren sehr hoch und jeder Schritt hallte darin auf gespenstische Weise wider.

Mom redete irgendetwas davon, dass man eigentlich zusätzliche Decken einziehen müsste, zum die Heizkosten im Griff zu behalten, aber Brad hörte ihr nicht weiter zu.

Er ging hinauf ins Obergeschoss. Überall lag eine dichte Staubschicht. Spinnenweben spannten quer über die Treppe.

„Mom, das ist ekelhaft hier!“, beklagte sich Brad.

„Wenn alles hergerichtet ist, wird es richtig gemütlich“, antwortete sie aus der Küche.

„Leere Versprechungen!“

„Was hast du gesagt?“

„Nichts, Mom.“

Schließlich hatte Brad das Obergeschoss erreicht. Er betrat eines der Zimmer. Ein Schrank war dort vom Vorbesitzer zurückgelassen worden. Das dunkle Holz wies Verzierungen in Form von chinesischen Drachen auf, deren Gesichter wie die Fratzen missgünstiger Geister wirkten.

Er konnte nicht anders, trat an den Schrank heran und versuchte vorsichtig, ihn zu öffnen. Aber er war verschlossen. Dort wo seine Hände das Holz berührt hatten, entstanden Linien in der Staubschicht. Linien, die für den Bruchteil einer Sekunde die Konturen eines Gesichts zu ergeben schienen.

Brad zuckte zusammen. Er fühlte einen Schauder wie nie zuvor in seinem Leben. Für einen kurzen Moment war er unfähig zu atmen. Der Puls schlug ihm bis zum hals. Ein stöhnender Laut drang von Ferne in sein Bewusstsein.

„Brad!“, kreischte eine Stimme.

„Brad!“

„Brad!“

Erst beim dritten Mal begriff er, dass es seine Mutter war.

Die Konturen im Staub waren plötzlich nicht mehr da.

Fängst du jetzt schon an zu spinnen?, ging es ihm durch den Kopf. Ist vielleicht doch alles ein bisschen viel gewesen in letzter Zeit? Dads Tod und alles, was damit zusammenhängt, hat unser Leben ziemlich durcheinander gewirbelt.

„Brad, warum gibst du eigentlich keine Antwort?“, rief Mom ziemlich sauer. „Muss ich erst die ganze Nachbarschaft zusammenschreien, damit du mir die Gnade einer Gesprächsaudienz gibst?“

Brad atmete tief durch und blickte zur Seite aus dem Fenster, von wo man einen hervorragenden Rundumblick über zwei Drittel des Friedhofs hatte. „Diese Nachbarschaft hört dich sowieso nicht, gleichgültig, wie laut du schreist!“, murmelte er.

„Was ist?“, rief Mom.

„Ich komme gleich!“, antwortete Brad.

„Du könntest mir mal anfassen! Allein schaffe ich diese Kiste nicht!“

„Sofort!“, sagte Brad nun leicht genervt.

Sein Blick blieb nun bei dem Mann hängen, dessen Rücken er hinter einer Hecke hatte hervortauchen sehen. Brad trat näher an die Fensterfront heran. Jetzt sah er den Mann von oben. Er war inzwischen an einem anderen Grab damit beschäftigt, die Blumen wieder in Ordnung zu  bringen.

Es war allerdings nicht irgendein Grab, sondern das seines Vaters. Das ist vielleicht das einzig gute an diesem Umzug, dachte Brad. Dad ist uns auf diese Weise nahe. Dass sein Vater nicht mehr am Leben war, hatte Brad noch lange nicht verarbeitet. Wenn er allein war, sprach er manchmal mit ihm, so wie er es früher getan hatte, als er noch lebte. Manchmal half ihm das. Aber es kam auch vor, dass die Traurigkeit dadurch nur noch schlimmer wurde. Er hatte dann ein Gefühl, als würde ihm jemand die Luft abschnüren und den Brustkorb zusammendrücken. Irgendwann, so hoffte er, würde das aufhören. Allerdings hatte er bis jetzt eher das Gefühl, dass es von Mal zu Mal schlimmer wurde und nicht schwächer.

Mit Mom konnte er im Moment über viele Dinge nicht sprechen – und über seine Trauer schon gar nicht. Sie hatte Dads Tod selber noch nicht einmal ansatzweise verwunden.

„Wo bleibst du denn, Brad?“

Brad starrte zu dem Grab seines Vaters hinunter.

JEFFERSON R. WALKER – den Namenszug konnte man sogar hier oben noch lesen. Der Grabstein war frisch und sauber – im Gegensatz zu den verwitterten Exemplaren, die man ansonsten überwiegend hier finden konnte.

In diesem Augenblick blickte der Mann, der sich um die Blumen kümmerte, auf.

Sein Gesicht war bleich und eingefallen wie ein Totenschädel. Die Gesichtsknochen traten deutlich hervor. Die Haut war pergamentartig. Er hatte so gut wie keine Haare mehr auf dem Kopf und wirkte uralt.

Der Mann trug eine Sonnenbrille mit pechschwarzen Gläsern und schien Brad zu mustern. Dieser war für einen Moment wie hypnotisiert.

Dann nahm der Mann die Brille ab.

Rote Augen kamen zum Vorschein. Der Unheimliche starrte Brad an und plötzlich spielte ein Lächeln um seinen lippenlosen Mund.

image
image
image

2. Kapitel:  Der Horror im Keller

image

Der Elektriker kommt erst morgen“, sagte Mom. „Es scheint wirklich ein Fluch auf diesem Haus zu liegen. Die Toilette funktioniert übrigens auch nicht.“

„Gott sei Dank haben wir noch bis Ende der Woche Zeit“, erwiderte Brad.

Mom nickte. „Ja. Aber diese Zeit werden wir auch brauchen, um alles herzurichten.“

„Hast du Reverend Donaldson mal gefragt, wer vorher hier gewohnt hat?“

„Nein. Warum sollte ich?“

Brad zuckte die Achseln „Nur so. Würde mich halt interessieren.“

„Soweit ich weiß, steht das Haus schon länger leer, als wir in Willington wohnen.“

Eine Antwort, die Brad abwimmeln sollte. Aber so leicht ließ er nicht locker. „Könnte es vielleicht sein, dass dafür ein triftiger Grund existiert?“

„Was denn für ein Grund?“

Die zu einem Gesicht geformten Staubspuren fielen Brad wieder ein – und plötzlich veränderten sich vor seinem inneren Auge dessen eher unklare Konturen zu den Gesichtszügen des alten, bleichen Mannes mit der Sonnenbrille.

Brad versuchte den Gedanken daran so gut es ging zu verscheuchen. Was er da auch gesehen hatte – an übernatürliche Erscheinungen glaubte er nicht.

„Was für ein Grund? Mom, das dürfte sogar dir aufgefallen sein! Dies ist eine Bruchbude. Beim ersten Sturm fliegt das Dach weg oder es stürzt wie ein Kartenhaus in sich zusammen!“

„Das stimmt nicht, Brad.“

„So?“

„Der Reverend hat mir ein Gutachten gezeigt, danach ist mit der Bausubstanz alles in Ordnung. Es sind lediglich ein paar kleinere Schönheitsreparaturen durchzuführen.“

*

image

DIE NÄCHSTEN TAGE VERBRACHTEN sie damit, ihre Sachen von einem Haus zum anderen zu fahren. Für den Transport der Möbel engagierte Mom dann doch eine Firma, als sie einsah, dass sie das allein mit Brads Hilfe nicht bewältigen konnte. Außerdem drängte die Zeit. Die Villa war verkauft und die Walkers mussten zu einem festgelegten Termin raus. Schafften sie das nicht, wäre sogar Miete für das ehemals eigene Haus fällig gewesen. Ein Betrag, der ein großes Loch in die ohnehin knappe Haushaltskasse gerissen hätte.

Am Freitag kam der Elektriker. Er hieß Davis und war ein breitschultriger Mann mit roten Haaren.

„Also, ich hätte nicht gedacht, dass das Haus noch mal jemand kauft“, bekannte Davis grinsend. „Ein richtiges Hexenhaus. Ich hoffe, Sie haben nicht allzu viel dafür bezahlt, Ma’am!“

Mom hatte die Arme vor der Brust verschränkt und warf Brad einen genervten Blick zu. „Wir haben es gemietet“, bekannte sie. „Außerdem wohnen wir hier nur übergangsweise, bis wir etwas Besseres gefunden haben.“

„Sicher, Mrs. Walker. Am besten, Sie zeigen mir jetzt mal den Sicherungskasten!“

„Ich schätze, der ist im Keller, aber genau weiß ich das auch nicht.“

„Ich werde ihn schon finden. Haben Sie eine Taschenlampe?“

„Mein Sohn hat eine.“ Mom wandte sich an Brad und fragte: „Wärst du so freundlich und würdest Mister Davis in den Keller leuchten?“

„Klar.“

*

image

BRAD HOLTE SEINE TASCHENLAMPE und wartete an der Kellertür.

Davis erkundigte sich inzwischen bei Mrs. Walker, ob das Licht bei der Hausbesichtigung denn noch funktioniert hätte.

„Es hat funktioniert, da bin ich mir ganz sicher“, behauptete sie. „Glauben Sie, ich hätte das Haus genommen, wenn das nicht klar gewesen wäre?“

„Dann geht die Rechnung an den Vermieter?“

„Ja.“

„Ist das nicht die Kirchengemeinde von Willington?“

„Genau.“

Davis atmete tief durch und fragte: „Waren Sie schon im Keller?“

„Nein. Der war mir ziemlich gleichgültig.“

„Dann wollen wir mal sehen, was uns da erwartet.“ Er grinste. „Man erzählt sich ja ziemlich seltsame Geschichten über dieses Haus. Angeblich soll’s hier spuken. Aber diese Geschichten rühren sicher nur daher, weil es so nahe am Friedhof liegt.“

„Wahrscheinlich“, gab Mrs. Walker ziemlich einsilbig zurück. Davis schien sich gerne etwas unterhalten zu wollen, Mom hatte dazu aber offensichtlich keine Lust.

Die erste Schwierigkeit war, dass sich die Kellertür nicht öffnen ließ. Keiner der Schlüssel, die man Mom gegeben hatte, passte.

„Also, Ma’am, wenn Sie wollen, komme ich auch Montag wieder, wenn Sie Ihren Vermieter erst um die Erlaubnis fragen wollen, die Tür aufzubrechen!“, meinte Davis.

Aber das wollte Mom nicht.

Die Sache mit dem Strom sollte jetzt so schnell wie möglich über die Bühne gebracht werden.

Also entschied sie, dass die Tür aufgebrochen werden sollte.

Der Elektriker hebelte die Tür mit einem Schraubenzieher aus. Das Holz war so morsch, dass das Schloss kaum noch halt hatte. Alles zerbröselte zu einer faserigen, übel riechenden Masse. Käfer quollen aus dem Holz hervor und krabbelten anschließend über den Boden. Brad trat ein paar von ihnen tot.

„Hier unten scheint noch länger niemand gewesen zu sein, als im Rest des Hauses“, stellte Davis fest.

Brad ging mit der Lampe voran. Angst hatte er nicht. Er war jetzt nicht mehr in einem Alter, in dem man sich vor dem Gang in den finsteren Keller fürchtete. Nur dieser Geruch raubte ihm fast den Atem. Modrig und feucht roch es. Wie in einer Gruft. Asseln krochen über die Treppenstufen, brachten sich vor den Füßen der Menschen in Sicherheit und flohen in die Ritzen zwischen den Steinen.

Am Fuß der Treppe begann ein Korridor.

Es gab neben der Tür auch einen Lichtschalter, der offenbar zu einer einsamen Glühbirne an der Decke gehörte. Brad betätigte den Schalter.

„Alles tot“, sagte er.

„Ich fürchte, das könnte eine größere Operation werden“, glaubte der Elektriker. 

Dann hatten sie den Sicherungskasten erreicht.

„Den Strahl genau hier hin, Junge!“, forderte Davis.

Brad leuchtete genau dorthin, wohin Davis es verlangte.

„Können Sie schon was sagen?“, rief Mom, die darauf verzichtet hatte, mit in den Keller zu kommen.

„Oh, oh“, murmelte der Elektriker nur vor sich hin. Zu einer weitergehenden Diagnose wollte sich Davis im Moment offenbar noch nicht herablassen.

Plötzlich zuckte ein Blitz die frei an der Decke verlegte Leitung entlang. Funken tanzten und ein bläulicher Schimmer bildete sich wie eine Aura. Die Glühbirne begann zu leuchten. Funken sprühten nun auch aus dem Sicherungskasten heraus. Davis stand wie erstarrt da und wurde von der bläulichen Aura umgeben. Er zitterte, murmelte Worte vor sich hin, die eigenartig dumpf klangen. Stöhnende Laute kamen jetzt aus dem Mund des Elektrikers.

Dann zerprang die Glühbirne.

Brads Taschenlampe erlosch ebenfalls. Es war vollkommen finster in dem modrig-kalten Korridor. Nur die bläuliche Aura schwebte jetzt durch die Luft, näherte sich Brad. Dieser fühlte, wie eine Kraft ihn zu Boden schleuderte und niederdrückte.

Die blau schimmernde Aura war über ihm. Er wollte schreien, aber nicht ein einziger Laut kam ihm über die Lippen. Brad war wie erstarrt.

Die blaue Aura löste sich langsam auf.

Kurz bevor sie ganz verschwand, hatte Brad den Eindruck, eine Stimme zu hören. Aber er verstand die Worte nicht. Im nächsten Moment herrschte vollkommene Finsternis.

Brad versuchte die Taschenlampe einzuschalten, aber sie funktionierte nicht. Mom kam die Treppe hinunter.

„Brad, was ist los?“

„Ich weiß nicht. Ein elektrischer Schlag oder so etwas. Meine Lampe...“

Mom nahm sie ihm aus der Hand. Sie ließ sich plötzlich wieder einschalten, als ob nichts gewesen wäre.

Sie leuchtete auf Davis, der stöhnend am Boden lag. Er war unfähig zu sprechen. Seine Augen waren vor Angst geweitet.

„Wir müssen den Notarzt rufen“, sagte Mom.

*

image

EIN KRANKENWAGEN TRAF wenig später ein und holte Davis ab.

Ein paar Leute aus der Nachbarschaft standen in der Nähe herum, um zu sehen was los war. Unter anderem erschien auch Reverend Donaldson.

„Das Haus ist alt“, erklärte er. „Das Stromnetz ist sicher renovierungsbedürftig. Dass es so marode ist, hatte ich nicht erwartet. Ich sorge natürlich dafür, dass ein anderer Elektriker sich der Sache annimmt.“

„Okay“, sagte Mom. „Ich hoffe nur, dass Mister Davis nichts Ernsthaftes geschehen ist...“

Unter den Schaulustigen, die dem Rettungsteam des Krankenwagens dabei zusahen, wie sie Davis abtransportierten, fiel Brad ein Mädchen auf, das auf dieselbe Schule ging wie er. Sie war eine Klasse unter ihm und hieß Lana McKee. Ihren Namen wusste Brad nur deswegen, weil sie den Vorlesewettbewerb auf County-Ebene gewonnen hatte und ihr Name in der Zeitung erwähnt worden war.

Dass Lana aus Willington kam, war Brad klar gewesen. Sie hatte ja denselben Bus benutzt. Aber er hatte nicht geahnt, dass sie aus diesem Teil des Ortes kam.

Lana hatte langes, dunkles Haar, das seidig glänzte. Es fiel ihr offen bis über die Schultern. Brad grüßte sie flüchtig.

Er hatte eigentlich keine Lust, sich mit ihr zu unterhalten. Zumindest nicht hier und jetzt. Eigentlich wäre es ihm liebsten gewesen, wenn niemand an seiner Schule erfahren hätte, dass er nun in einem baufälligen Gebäude wohnte, das sich sehr bald in eine Schutthaufen zu verwandeln drohte. Aber das war wohl nicht zu vermeiden.

Sie trat auf ihn zu.

Ziemlich bestimmt wirke sie dabei.

„Hi!“, sagte sie. „Du bist Brad, nicht wahr?“

„Ja.“

Brad fragte sich woher sie das wusste. Hatte sie extra nachgefragt oder einfach nur aufmerksam den Gesprächen gelauscht, die Brad mit seinen Freunden führte?

Egal, dachte er. Im Moment war ihm ohnehin alles ziemlich gleichgültig. Zu frisch war noch der Eindruck des Erlebten. Er wusste einfach nicht, wie er dieses Erlebnis einordnen sollte. Ein gewöhnlicher Stromschlag ist das nicht gewesen!, dachte er. Das kann mir niemand erzählen...

„Ich habe nicht gewusst, dass du jetzt hier wohnst“, sagte sie. Sie kam noch etwas näher. „Ihr müsst aufpassen, Brad...“

„Wieso das denn?“

„Dass euch nicht auch ein Unglück geschieht – dir und deiner Mom.“

Brad wollte sie fragen, was ihre Worte zu bedeuten hätten, aber der Notarzt unterbrach jetzt die Unterhaltung. Er hieß Dr. Reilly und fragte: „Du bist Brad Walker?“

„Ja, der bin ich.“

„Deine Mom macht sich Sorgen, du könntest auch etwas von dem Stromschlag abbekommen haben, der Mister Davis so schwer getroffen hat.“

„Ich wurde nur zu Boden geworfen“, antwortete Brad wahrheitsgemäß. „Sonst ist nichts geschehen.“

„Solltest du in nächster Zeit irgendwelche Beschwerden haben, dann muss sich ein Arzt darum kümmern.“

„Ja.“

„Wahrscheinlich hast du großes Glück gehabt.“

„Das weiß ich jetzt auch.“

„Offenbar gibt es einen Schutzengel, der auf dich aufpasst.“

„An so etwas glaube ich nicht“, sagte Brad sehr ernst und setzte in Gedanken hinzu: Nicht mehr. Dads Tod auf der Küstenstraße hatte vieles verändert, aber das Wesentlichste davon war vielleicht, dass Brad seine Glauben daran verloren hatte, dass das Gute immer siegte. Das stimmte einfach nicht. Ich brauche keinen Schutzengel. Aber Dad hätte ihn nötig gehabt. Und wenn es so etwas gäbe, wäre er noch am Leben.

Dr. Reilly runzelte die Stirn.