cover

image

cover

title

INHALTSVERZEICHNIS

DER GROSSE REGEN

VON MEISTERN UND NOVIZEN

SPUREN IM SCHNEE

EPILOG

DER GROSSE REGEN

Kurz vor Mitternacht brach das Unwetter los. Mit lautem Prasseln ging der Regen nieder und es folgte ein Sturm, dass in den Dörfern die Dachpfannen flogen. Die Wettergläser sollten tatsächlich recht behalten. Dabei hatte es kurz zuvor noch ganz anders ausgesehen und an Regen war nicht zu denken gewesen. Seit Wochen hatte die Hitze nunmehr über dem Land gelegen, ohne dass auch nur die kleinste Wolke am Horizont erschienen war. Die Wälder waren zu stickigen Backöfen geworden, in den Sümpfen kochte das Wasser, ja selbst in den Schluchten der Bleiberge hatte die Luft vor Hitze zu flimmern begonnen. Einen so heißen Sommer, wie diesen im Jahre 634 (nach Zeitrechnung des Unkrautlands), hatte es lange nicht mehr gegeben.

Jetzt aber änderte sich das Wetter und zwar gewaltig. Unter lautem Donner durchzuckten Blitze die Nacht, und es peitschte der Regen, dass sich die Bäume bogen. Für die Geister und Gespenster war es eine reine Freude.

In der Ginsterklause, einem einsamen und verschlafenen Weiler am Fuß der Bleiberge, hatte man zu dieser späten Stunde längst die Lichter gelöscht. Die Straßen waren verlassen und die Türen verschlossen. Einzig hinter den Fensterläden von Nickelrings berühmter Koboldschmiede glimmte noch der Schein glühender Kohlen hervor. Niffel Nickelring, seines Zeichens Sichelschmied, hatte just in dieser Nacht gar wichtige Dinge vorgehabt. Kunstfertig wollte er seine alte Sense schleifen, da ein gekonnter Schliff bei klarer Mondnacht stets das beste Ergebnis hervorbrachte … gemäß streng geheimem Koboldrezept, versteht sich. Doch leider fiel der Plan sprichwörtlich ins Wasser. Denn von einer klaren Mondnacht konnte wahrlich nicht mehr die Rede sein. Der Sturmwind rüttelte an den Läden und beutelte die kleine Schmiede, dass den Raben im Gebälk Hören und Sehen verging.

Angespannt stand Niffel neben dem Amboss und ließ die Mundwinkel hängen. »Von wegen wolkenlose Nacht«, grummelte er, »da fliegt mir ja das ganze Haus davon.«

Er betrachtete die wackelnden Dachbalken und zog den Kopf ein. Keine Frage, einen solchen Sturm hatte er noch nie erlebt. Draußen heulte der Wind und mit lauten Schlägen trommelte der Regen gegen die Tür. Es war zum Fürchten.