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Band 5

 

Alexander Knörr

 

Das Zeitportal

 

 

 

 

 

 

 

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Twilight-Line Medien GbR
Obertor 4
D-98634 Wasungen

 

www.twilightline.com
www.chroniken-von-tilmun.de

 

2. Auflage, Januar 2018
ISBN 978-3-944315-62-1
eBook-Edition

 

© 2018 Twilight-Line Medien GbR
Alle Rechte vorbehalten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alle Personen und Handlungen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen oder mit Begebenheiten in der Vergangenheit und Gegenwart sind rein zufällig.

 

Das Zeitportal

 

 

Umlaufbahn um den Zwergplaneten Sedna, 2014

 

Von weitem gesehen schien alles sehr ruhig zu sein. Vor ein paar Stunden nahm eine riesige Armada aus zwölf Zerstörern und einem Trägerschiff mit vierhundert Kampfgleitern, einem Superzerstörer der Gerundi-Klasse, der als Imhoteps Zentrale diente, und dazu noch vierundzwanzig Versorgungsschiffe und dreizehn kleine Kampfkreuzer Position in direkter Nähe der Erde ein. Imhotep war, wie von den Informanten des Widerstandes mitgeteilt, pünktlich auf der Erde angekommen. Es waren leichte Truppenbewegungen auszumachen, aber nichts das Anlass zur Beunruhigung liefern musste. Imhotep würde wohl zuerst ein paar Truppen an strategischen Punkten der Erde platzieren und versuchen die ihm bekannten Zellen des Widerstandes zu dezimieren, bevor er persönlich Fuß auf die Erde setzte. Ein Dilemma wie das von Naheb konnte und durfte er sich nicht leisten.

Glücklicherweise funktionierte der Datenaustausch mit den Informanten, die aus Besatzungsmitgliedern der Nemesis bestanden und in die Reihen der Streitkräfte Tilmuns eingeschleust wurden, perfekt. Und so konnte sich der Widerstand auf die Angriffe größtenteils vorbereiten. Zwar konnten sie nicht alle Nester des Widerstandes verschleiern, aber die Koordinaten der meisten Lager des Widerstandes, deren Lage übermittelt wurde, waren schon veraltet. Die Widerstandszellen zogen mit ihrem Hab und Gut immer mal wieder um. Auch die Hamburger Zentrale war nicht mehr in dem Bürokomplex im Hafengebiet, sondern mittlerweile ein wenig abseits der Stadt in einem Industriegebiet bei Wedel, nördlich der Elbe untergebracht. Hier war es leider nicht so bequem und komfortabel wie in der alten Zentrale. Aber man hatte es sich doch, dank der stetig fließenden Finanzierung des Ordens, recht gemütlich gemacht. Im Innern einer von außen eher abgewrackten Lagerhalle hatten sie mit Bürocontainern eine richtige kleine Anlage errichtet. Unter anderem wohnten hier auch einige Mitglieder des Widerstandes. Und in einer benachbarten Halle mit großem Rolltor waren das erbeutete Shuttle und zwei Kampfgleiter untergestellt. Ebenso ein kleiner Fuhrpark an Geländewagen, Motorrädern und LKW.

In einer Umlaufbahn um den Kleinstplaneten Sedna, am Rande des Sonnensystems, befand sich nun die Nemesis. Auf der Brücke saß Mikesch und spielte mit den Fingern ungeduldig mit einem Stift.

Immer wieder schielte er von seinem Platz mit direktem Blick auf den großen Bildschirm, auf dem die Flotte Imhoteps abgebildet war, nach links zum Kommandostand.

„Wie sieht es aus?“ fragte er dann ungeduldig.

„Wir sind immer noch nicht entdeckt worden.“

Mit einem geräuschvollen Atemzug machte sich Erleichterung bei Mikesch breit, die jedoch nicht lange anhielt. Ihm war diese Situation, fast auf dem Präsentierteller zu sitzen, nicht geheuer. Und er wartete nur darauf, dass ihn die Sensoren der Flotte, die auf der Erde eingetroffen war, entdeckten und angriffen. Schließlich saß auch er in einem Zerstörer der Gerundi-Klasse, der mit seinen 38 km Durchmesser nicht gerade handlich zu verstecken war.

 

 

 

Imhoteps-Flotte im Erdorbit

 

Imhotep hatte sein fürchterliches Grinsen auf dem Gesicht, für das er berühmt war. Auf den Bildschirmen vor ihm waren Bilder zu sehen, die von den kleineren Kampfkreuzern direkt zu seinem Kontrollstand übertragen wurden und die zeigten, wie sie die vermeintlichen Unterschlupfe des Widerstandes auf der Erde angriffen. Die Aktion war ein voller Erfolg. Seine Getreuen hatten ein Dutzend Gebäude auf der gesamten Erdkugel in Schutt und Asche gelegt. Gegenwehr hatten sie keine. Und auch hier machte sich dann wieder die Überheblichkeit der Nukarib breit. Denn anstatt sich zu fragen warum sich niemand bei der Zerstörung wehrte, warum noch nicht mal einzelne Schützen auf den Dächern der Gebäude wahrgenommen wurden, klopften sich Imhotep und seine Gesellen lieber auf die Schulter und sagten sich, wie gut sie dies alles hinbekommen hatten.

Der Weltregierung, die den Nukarib wohlgesonnen war, hatte er schon per Holophon seine erste „Aufwartung“ gemacht. Nun, da die Nester des Widerstandes fast ausradiert worden waren, würde er bald persönlich in dem großen Tempel erscheinen, den die Erdlinge in der Metropole New York errichtet hatten, und dort zu der offiziellen Regierung und den ausgewählten Wirtschaftsvertretern sprechen. Die Wirtschaftsvertreter waren sowieso diejenigen, die für ihn und Tilmun die wichtigen Leute darstellten. Mit ihrer Hilfe konnten sie den Planeten Erde schnell und sicher unter Kontrolle bringen. Diese Leute hatten schon vorher die Fäden in der Hand gehalten und waren nun auch wieder mit von der Partie. Denn, wie die Nukarib schon lange wussten, die wirklich Regierenden waren nicht die vom Volk gewählten und sogenannten Volksvertreter. Hinter den Kulissen zogen andere die Fäden. Diese waren ähnlich strukturiert wie die Herrscherfamilien auf Tilmun. Nur waren es hier auf der Erde statt zwanzig nunmehr dreizehn Familien, die als wahre Herrschermächte der Erde fungierten. Auch auf der Erde selbst spekulierten einige intelligenteren Exemplare der Menschheit schon lange über die Verschwörungen hinter den offiziellen Regierungen der Erde. Sie waren der Wahrheit auch hier sehr nahegekommen. Denn diese Leute deckten immer wieder pikante Details auf, die alle in dieselbe Richtung führten – zu den dreizehn Familien oder Blutlinien, wie sie oft genannt wurden, die seit Jahrhunderten auf der Erde die wahren Herrscher stellten. Die Präsidenten der Länder der Erde oder seit Neuestem der Weltregierung wurden von ihnen mehr oder weniger eingesetzt. Natürlich gaukelte man den menschlichen „Würmern“, wie sie von den Nukarib gerne genannt wurden, vor, sie würden in demokratischer Wahl selbst über ihr Schicksal bestimmen. Aber die Wirklichkeit sah anders aus. Einzig und alleine die dreizehn Blutlinien bestimmten über die wahren Geschicke der Erde, und die vom Volk gewählten Präsidenten waren nur die Marionetten in ihren Händen.

Und seit die Nukarib wieder Kontakt mit den Menschen hatten, waren immer schon Gespräche mit diesen wahren Herrschern geführt worden. Und auch hier dachten die „Würmer“, dass die Nukarib erst dann Kontakt zur Erde hatten, als sie die vermeintliche Bedrohung inszenierten. Aber weit gefehlt. Schon seit Jahrhunderten stehen die Nukarib und damit die Herrscherfamilien von Tilmun mit den Herrscherfamilien der Erde in engem Kontakt. Es gab gegenseitige Besuche – ja, auch Vertreter dieser terranen Herrscher waren schon auf der Heimatwelt der Nukarib und wurden in den Palast eingeladen. Dort wurden die Geschicke der Menschheit besprochen und dort kam man gemeinsam auf die Idee, die Holografietechnik der Nukarib zu nutzen, um diese beeindruckende Inszenierung ins Leben zu rufen. Damit man einen Grund fand, die Erde offiziell zu besuchen und die „Ernte“, die seit Jahrtausenden gezüchtet und geplant wurde, einzufahren. Wenn die normalen Erdlinge wüssten, wie die Verstrickungen zwischen den Menschen und Nukarib wirklich seit Jahrhunderten liefen, gäbe dies wohl Massenaufstände, die niemand gebrauchen konnte. Das wäre nicht gerade förderlich, um die Pläne aller Parteien durchzusetzen. Denn eben diesen Parteien ging es nur um eines – Vermehrung des Wohlstandes und des Einflusses! Um Macht!

Imhotep war sich sicher, dass er mit der Hilfe der heimlichen Herrscherfamilien und ihrem Einfluss die Menschen bald soweit hatte. Soweit, dass sie wieder die alten Götter anbeteten und einsahen, dass nun jede weitere Gegenwehr vollkommen nutzlos war. Dann hätten sie ein wichtiges Zwischenziel erreicht!

Imhotep freute sich diebisch auf den Erfolg, der zum Greifen nahe war. Damit konnte er nicht nur bei den Herrschern von Tilmun punkten, sondern auch einen entscheidenden Schritt nach vorne im Wettkampf mit Enkidu – seinem Erzfeind – machen. Enkidu, der das Glück hatte, selbst zu einer der Herrscherfamilien zu gehören. Dieser Wicht hatte schon lange einen Denkzettel von ihm verdient.

 

 

 

Tempelanlage Kordin, Malta, 20.000 Jahre vor unserer Zeit

 

Stumm saß Janek da. In der einen Hand ein Stück Fladenbrot, in der anderen einen Spalt Ziegenkäse, die er abwechselnd in eine Schale gewürztes Öl tauchte, die Janek auf seinem Knie balancierte, und diese zum Mund führte. Andächtig saß er kauend da und war gleichwohl fasziniert von dem, was nun folgen sollte. Angespannt bis in die letzte Faser seines Körpers. Eigentlich wollte er vor lauter Aufregung gar nichts essen, aber der Priester hatte ihnen allen empfohlen, dass sie sehr wohl die dargereichten und wahrscheinlich sogar geweihten Speisen essen sollten – damit ihnen die Zeremonie nichts anhaben würde. Janek kannte sich da ebenso wenig aus wie seine etwa zwanzig Mitstreiter, die um ihn herum wie er auf Steinen saßen und ebenso kauend abwarteten.

Sie hatten sich hier getroffen und lange auf diesen Zeitpunkt gewartet. „Man muss eben Geduld haben, um von den Priestern empfangen zu werden und dieses Wunder mit anschauen zu dürfen“ dachte sich Janek. Und er wartete schon sehr lange auf diesen Moment, der nun langsam näher rückte. Kaum hatte er den letzten Bissen seiner geweihten Speisen heruntergeschlungen, ertönte eine tiefe Fanfare und an einer Seite des im Halbrund vor ihm liegenden Tempels bewegte sich wie von Geisterhand geführt, sanft und lautlos gleitend, eine silbrig glänzende Tür und schwang weit auf. In die geöffnete Tür trat nun der Hohepriester, von hinten angestrahlt von scheinbar Tausenden von Kerzen, die ihren Lichtschimmer in der ganzen Farbenpracht des Regenbogens abgaben. Alle rund um Janek rissen sie die Augen auf und standen blitzschnell auf. Kaum waren sie vor der geöffneten Tür des Tempels versammelt, sprach der Hohepriester zu ihnen und lud sie ein näher zu treten. Wie in Trance bewegte sich der Tross hinein in den Tempel, der ansonsten immer verschlossen war. Wie in Trance, weil sie strikt den Hinweisen des Hohepriesters Folge leisteten, um ja keinen Fehler zu machen und um nicht doch noch vor den Priestern der Götter in Ungnade zu fallen.

Ja, die Hohepriester stehen im direkten Kontakt mit den Göttern, die sich von den Menschen nicht nur wegen der unheimlichen Weisheit und der magischen Dinge unterschieden, die sie mit ihren seltsamen Geräten anstellen konnten – nein, auch durch ihr Aussehen, mit ihrem hünenhaften Antlitz, mit ihrer großen Hakennase und den lang gezogenen Ohrläppchen. Und die Priester hatten dazu noch lange, nach oben gezogene Köpfe.

Kaum standen Janek und die anderen an der Schwelle zum Tempel, durchfuhr sie ein wohliges Kribbeln, das sie am ganzen Körper umspielte und ihnen die Haare wortwörtlich zu Berge stehen ließ. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus – jetzt wussten sie warum sie vorher essen sollten. Ohne etwas im Magen zu haben, wären sie wahrscheinlich ohnmächtig geworden. Weiter ging es, fast noch benommen von dem elektrischen Schauer, an ein großes Becken mit sechs abgetrennten Kammern. Von denen sie jetzt einer nach dem anderen jeweils ein kleines Becherchen von jeder Flüssigkeit, die sich darin befand, trinken mussten. Das war wohl der unangenehme Teil des sich nähernden Wunders gewesen, nicht nur dass es ihnen allen sehr schlecht ging nach dem sie durchfahrenden Schock im Eingangsbereich, das Zeug, das sie tranken, schmeckte auch mehr als schal und Janek war sich sicher, dass dieses Getränk sicherlich nicht zu ihrem Leibgetränk werden würde.

Nun versammelten sich die Teilnehmer dieser mysteriösen Prozession im großen Saal des Tempels und standen rund herum auf dem Steinboden auf festgelegten und vom Priester ihnen gezeigten Stellen. Das mystische Licht erlosch und Dunkelheit machte sich breit. Der Priester sprach wieder zu ihnen und beschwor sie, dass sie jetzt die Heimat der Götter sehen würden, dass sie förmlich zur Heimat der Götter reisen und diese erleben würden!

Und schon fielen von verschiedenen Punkten der Decke und von einzelnen Nischen Lichtstrahlen ins Dunkel des Tempelraumes. Vor ihren Augen formten sich verschiedene Punkte um einen sehr hell leuchtenden und großen Punkt in der Mitte. Ein kleinerer, roter Punkt rotierte in unmittelbarer Nähe zu dem großen und hell leuchtenden. Die anderen Punkte, in verschiedenen Farben leuchtend und teilweise mit Ringen versehen, waren viel weiter entfernt, drehten sich um diese beiden hellen Gebilde und um sich selbst.

Wie in einer wilden Fahrt auf den Gefährten der Priester und Göttersöhne in den göttlichen Spuren im Kalkstein des heiligen Berges kam es Janek und den anderen nun vor, als sie sich einem der Punkte, der blau und grün leuchtete, rasend schnell näherten. Auf einmal waren sie mittendrin in der Welt der Götter! Überall sahen sie die Götter in ihren wallenden Gewändern, mit ihren langen Ohren und Hakennasen, und die Priester mit turmartigen Schädeln zwischen den hohen Gebäuden wandeln, die alle die Sonne wiederspiegelten. Sie sahen riesige Pyramiden mit strahlend weißen Wänden und goldenen Spitzen, und Götter, die umherflogen in ihren fliegenden Wagen, die so ähnlich aussahen wie die fliegenden Wagen, die Janek immer mit dieser komischen Flüssigkeit befüllen musste, wenn die Göttersöhne und Priester zu ihm und seinem Lehrmeister kamen, um ihre Wagen reinigen und eben damit füllen zu lassen.

Weiter ging diese rasante Reise und Janek und seine Gefährten fühlten sich, als wären sie wirklich mittendrin im Geschehen – sie flogen über dichte Wälder, Seen und riesige Städte aus silbern glänzenden Häusern und goldenen Kuppeln. Sie sahen allerlei wundersame Dinge, die Janek kaum beschreiben konnte, so seltsam waren diese. Viel seltsamer als die Dinge, die sie hier auf dem heiligen Berg tagtäglich sahen. Und die waren schon wundervoll und fremd. Nach einiger Zeit war das Schauspiel zu Ende und Janek und seine Gefährten wurden nun vom Priester wieder herausgeführt aus dem Tempel, heraus in die reale Welt – aber nicht ohne den Rat zu hören, dass sie allen ihren Freunden und Verwandten von den Wundern berichten sollten, die sie erlebt hatten.

 

 

 

Bravilmor, Planet Eureka

 

Es war stickig und heiß, bei 45 Grad Celsius im Schatten und wahrlich nicht das ideale Wetter, um körperlich schwer zu arbeiten.

Anfangs dachte Martin noch, dass er sich an die Arbeit gewöhnen könnte, aber nun waren schon einige Monate vergangen und die Arbeit stank ihm gewaltig. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn er war von Enkidu zu einer der niedersten Arbeiten eingesetzt worden. Zum Scheiße schippen! Und die stank bis zum Himmel! Vor allem bei diesen Temperaturen.

Martin hatte sich, wie auch die anderen in seiner Truppe, ein Tuch vor Nase und Mund gebunden, das sie immer mit einer Tinktur einrieben, die die Frauen aus Blüten gewannen und die recht gut roch. Aber den Gestank der Gülle konnte auch dieses Mittel nur eindämmen, nicht komplett übertünchen.

Und Martin fühlte sich genauso wie die Gülle, die er schippte. Wo war er da nur hineingeraten? Die Selbstzweifel quälten ihn immer wieder. Warum musste er denn unbedingt in den Widerstand? Warum hatte er sich nicht mit der Situation zufriedengegeben und musste unbedingt den Retter für Melanie, Isolde und Klara machen? Hätte er sich da rausgehalten, würden sie zwar hier in Gefangenschaft schuften, aber Melanie wäre noch am Leben! Er war schuld daran, dass sie ermordet wurde. Wenn er nicht gewesen wäre, dann wäre sie nie im Auftrag von Enkidu zurück auf die Erde gekommen, hätte ihn nicht hierhergelockt und es wäre nichts passiert. Und hätte er sich von Anfang an nicht gegen die Nukarib und ihre Implantate gestemmt, dann wären sie zwar alle hier im Lager, aber eben zusammen und am Leben und könnten ihre kleine Familie hier neu entfalten. Es war alles Scheiße!

„Martin, hör auf damit!“ riet ihm sein Kollege Mario.

„Mit was soll ich aufhören?“ fragte Martin ganz verdutzt und sah ihn etwas perplex an.

„Du denkst schon wieder. Und nein, du bist nicht daran schuld!“

„Mario, du kennst mich schon sehr gut“ gab ihm Martin als Antwort und ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen.

„Wir sollten lieber darüber nachdenken, wie wir hier rauskommen“, schlug Mario vor.

„Das, mein Freund, werden wir alleine nicht schaffen!“

„Alleine vielleicht nicht, aber deine Freunde vom Widerstand vielleicht. Und hier gibt es noch genügend, die auch abhauen würden. Sie brauchen nur einen Anführer. Und du, lieber Martin, bist der geborene Anführer! Du hast auf der Erde schon eine leitende Position im Widerstand innegehabt und würdest das hier ebenso meistern. Aber du ertrinkst in deiner Trauer und in Selbstmitleid, anstatt die Sache in die Hand zu nehmen!“

Martin schaute Mario mit entsetzten Augen an. Natürlich wusste er, dass Mario recht hatte. Aber jetzt, als dieser ihm die Wahrheit dermaßen schonungslos auftischte, begriff er erstmalig, dass es wirklich so war.

„Ach Mario, auch wenn du recht hast, glaube mir, ich habe so viel Mist die letzten Jahre durchgemacht, ich habe einfach keine Kraft mehr.“

„Aha, und meinst du, du hättest diesen Mist alleine durchgemacht? Schau dich um! Hier sind Millionen Menschen auf Eureka, die sich freiwillig gemeldet hatten um dem sicheren Tod auf der Erde zu entkommen und hier in ein sorgenfreies Leben überzugehen. Und was haben sie erhalten? Frondienste der niedersten Art müssen sie als Sklaven erledigen. Hier wird man wegen den geringsten Fehlern umgebracht – nur weil es den angeblichen „Göttern“ so passt oder weil diese mit dem falschen Bein aufgestanden sind. Ein jedes Mal, wenn der Widerstand auf Eureka einen Erfolg verbuchen konnte, wurden Unschuldige mit dem Tode bestraft, zu Tausenden! Und du meinst, DU hättest ein schweres Los? Wir alle haben diese Scheiße am Hals und wir alle würden liebend gerne darauf verzichten!“

Martin musste schlucken und bekam kein Wort heraus, doch Mario machte weiter:

„Und es liegen noch mehr als eine Milliarde Menschen in den Hallen, die noch gar nichts von ihrem „Glück“ wissen! Sie werden irgendwann als „Nachschub“ aufgetaut und dann kommen sie von jetzt auf gleich in die Hölle! Sie werden erfahren, dass sie von ihren Familien getrennt wurden, dass ihre Kinder, wie alle Kinder hier auf Eureka, noch einmal verschleppt wurden. Niemand weiß wo unsere Kinder sind. Auch deine Klara ist darunter und meine Eva und mein Sohn Jürgen. Der Hass in den Menschen ist stetig am Steigen. Aber jeder unkoordinierte Aufstandsversuch wird brutal niedergeschlagen. Das haben wir alles schon hinter uns. Wir brauchen Leute wie dich, die uns führen und unsere Aktionen gezielt planen und durchführen. Und du versinkst in Selbstzweifel.“

Mario fing wieder an zu schippen, schüttelte den Kopf und brummelte weiter vor sich hin. Martin war wie benommen von alledem und ihm gingen tausende Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. Er stand minutenlang bewegungslos da und schaute ins Leere, als er dann wieder zu sich kam, sagte er erst in einer monotonen Stimmlage: „Du hast recht. Ich muss aus meinem Trott herauskommen und mich wieder darauf besinnen, was ich wollte, bevor ich hierherkam.“

Dann wurde sein Ton aggressiver und sein Gesichtsausdruck wechselte von gleichgültig in zutiefst entschlossen: „Wir müssen uns koordiniert auflehnen! Und es muss noch mehr wie uns geben, die Leute führen können. Wir müssen sie finden, uns zusammenschließen und diese elenden Bastarde von innen heraus bekämpfen! Und wenn ihr meint, ich könnte euch anführen, dann werde ich das auch tun!“

Mario fuhr herum und lachte: „Endlich bist du wach geworden! Aber schrei hier nicht so rum, die Wärter kriegen das sonst mit. Lass uns heute Abend darüber reden. Freut mich, dass du zurück bist.“

Damit klopfte er Martin auf die Schulter.

Beide machten sich wieder daran ihre Arbeit zu verrichten, aber in Martin brodelten tausend Gedanken was er wie unternehmen könnte, um seine ursprünglichen Ziele weiterzuverfolgen. Und es gab ja auch noch Arsinoe und ihre Truppen, die dort draußen im Urwald steckten und es begrüßen würde, wenn sich in den Lagern Widerstandszellen formieren würden um ihre Arbeit zu unterstützen. Irgendwie musste er Kontakt zu ihr herstellen. Aber wie?

 

 

 

Tlalpan, Mexico

 

In einem halb zerfallenen Hinterhofhaus in einem Stadtviertel von Mexico City hatten sich etwa dreißig Männer und Frauen versammelt. Felipe Gonzalez, der Anführer der örtlichen Widerstandsgruppe gegen die Nukarib-Besatzer, hatte zu seinem wöchentlichen Treffen eingeladen und es waren wieder mehr gekommen als in der Woche zuvor. Felipe hielt in und um Mexico City viele dieser Treffen ab. Es gab allein hier mittlerweile Tausende von Widerstandskämpfern, die nicht wie andere wahllos auf die Besatzer in den Straßen zielten, sondern ihre Anschläge koordinierten. Sie waren auch dem offiziellen Netzwerk des Widerstandes angeschlossen, der von Deutschland aus organisiert und finanziert wurde.

Die Luft war stickig und von Ozon geschwängert. Typisch für den Moloch von Mexico City. Ein Umstand, an den sich die Einheimischen schon lange gewöhnt hatten. Es war nun sechs Monate her, dass die Truppen Tilmuns unter dem Kommando von Imhotep eingetroffen waren.

Die Nukarib hatten seit einiger Zeit offiziell ein „Kommunikationszentrum“ in der Stadt eingerichtet. Hinter dem Namen versteckte sich schlichtweg eine Zentrale, um möglichst viele Menschen für die Ziele der Nukarib zu begeistern. Diese Ziele waren vordergründig alle gar nicht mal so übel. Man wollte die Arbeitslosigkeit reduzieren, den Wohlstand dafür anheben, die Slums verschwinden lassen und in neuen Fabriken der Nukarib sollten viele Menschen Arbeit finden. Die Sozialstruktur sollte verbessert werden. All das waren Dinge, die hier unbedingt gebraucht wurden, und so fanden sie auch regen Zuspruch. Was die Nukarib aber wirklich vorhatten, kam hier nicht zur Sprache. Denn ihre Bemühungen hatten nur den einen Zweck, die Menschen auf ihre Seite zu ziehen und damit Unterstützung zu erhalten in ihrem großen Plan, den Planeten nicht nur zu besetzen, sondern auch, zusammen mit der Schattenregierung der Erde, auszubeuten. Dies sollte natürlich nicht mehr in dem Stil geschehen, wie man das früher schon versucht hatte. Die Nukarib merkten schnell, dass sie mit der „Götter-Nummer“ hier auf der Erde nichts mehr ausrichten konnten. Also passten sie sich an, unterwanderten die großen Betriebe und damit die Arbeitgeber, die Politik und die sozialen Gefüge. Und das Kommunikationszentrum sollte den direkten Kontakt zwischen Bürgern und Nukarib anstreben. Menschen wie Felipe, die wussten was die Besatzer wirklich vorhatten, wurde speiübel, wenn sie an die üblen Machenschaften Imhoteps und seiner Truppen dachten. Leider gab es aber immer noch viel zu viele Menschen, die einfach nicht die Augen aufmachten. Die nicht begriffen, dass es nicht „zu unserem Schutz“ sein kann, wenn bewaffnete Nukarib-Milizen überall auf dem Erdball Streife liefen, wenn ihre Raumgleiter und ihre gepanzerten Fahrzeuge durch die Gegend flogen und fuhren, wenn Straßensperren errichtet wurden, um zu kontrollieren wer wann wohin unterwegs war und wenn die örtlichen Polizeibehörden und das Militär der Länder plötzlich zusammen mit den Nukarib agierten.

Die meisten Menschen ergaben sich der Situation. Manche liefen blindlings zu den Besatzern über und verbündeten sich mit ihnen – in der Hoffnung, dass sie damit einen besseren Stand in der Gesellschaft und damit im Gefüge der Besatzer oder besser gesagt, der neuen Herrschaft, innehatten. Aber viele wehrten sich und immer mehr schlossen sich dem organisierten Widerstand an.

Das nächste Ziel, das vom Widerstand in einer gezielten Aktion ausgeschaltet werden sollte, war eben dieses Kommunikationszentrum. Gleichzeitig sollten auch noch zwei gute Dutzend der von den Nukarib zusammen mit den Behörden eingerichteten Kontrollstellen in und um die Stadt Mexico City angegriffen werden. Mit Sprengaktionen und dem Beschuss mittels mobiler Raketenwerfern sollten viele kleine Gruppen zeitgleich die Angriffe durchführen. Ein eindeutiges Zeichen gegen die Besatzung! Und ein Zeichen der Stärke des Widerstands.

Felipe war gerade mittendrin in seiner Rede und wollte eben einen Aufruf starten, wer sich denn aktiv an den kommenden Anschlägen beteiligen wollte, als zeitgleich sowohl die Eingangs- als auch die Nebentüre und ein Dachfenster eingeschlagen wurden. Felipe sah von seinem erhöhten Standpunkt aus, dass mehrere kleine, runde Gebilde in den Raum geworfen wurden.

„Granaten!“ rief er laut aus und seine Mannen versuchten sich in Deckung zu begeben. Unter lautem Knall explodierten die Granaten und gaben einen zähen, weißen Nebel preis. Es waren Rauchbomben. Nun wurde es noch lauter und Einsatzkräfte der Polizei und Nukarib-Milizen stürmten in das kleine Häuschen. Ohne Nachfrage, ohne Warnung wurde sofort scharf geschossen. Die Aufschreie der Widerständler waren eine Mischung aus Angstschrei, Panik und Schmerzensschreien. Von außen her feuerten die Milizen in die Gruppe, die keinen Ausweg fand und verzweifelt versuchte irgendwie zu entkommen. Einige fielen getroffen zu Boden und wurden von den nächsten in ihrer Panik überlaufen und zu Tode getrampelt. Felipe sprang von der kleinen Erhebung aus Holzpaletten in die Menge und duckte sich. Direkt um ihn herum schlugen die Projektile der Milizen ein. Er sah wie die Körper von der Wucht der Einschläge herumgewirbelt wurden, wie Blut und Haut, Knochensplitter und Organe aus eben noch lebenden Menschen, aus seinen Freunden, herausgerissen und im Raum und auf anderen Menschen verteilt wurden. Elvira stand direkt vor ihm, sie war seine Nachbarin und die gute Seele der Widerstandszelle, die nur dabei war, weil ihre drei Söhne von den Nukarib entführt worden waren und sie diese mit ihrem Beitrag hier irgendwie rächen wollte. Felipe starrte auf ihren Hinterkopf, der von einem Geschoss wortwörtlich weggesprengt wurde. Elviras Gehirn verteilte sich hinter ihr und langsam sackte sie zu Boden, direkt in die Arme Felipes, der versuchte ihren Aufschlag zu mildern. Doch er wusste, dass niemand ihr nun helfen konnte. Seinen Mund zu einer Grimasse geformt konnte er noch nicht einmal mehr schreien. Er stockte und Tränen liefen ihm über seine Wangen. Er senkte seine Stirn auf das, was von Elviras Kopf noch übrig war und sein ganzer Körper zuckte durch sein Weinen, das ihn wie Krämpfe schüttelte. Dann erwischte es ihn selbst und sein Körper wurde erst links zur Seite gerissen, als eine Kugel sich in seiner Schulter fing. Ungläubig schaute er seine Schulter an, aus der nun Blut sickerte. Er wollte gerade aufstehen, als die nächste Kugel seine Stirn traf und seinen Kopf nach hinten schleuderte. In dem Moment, als auch sein toter Körper auf den Boden und Teile seiner Kämpfer aufschlug verebbte das Feuer der Milizen. Innerhalb weniger Sekunden war der Auftrag erfüllt. Felipe und seine Widerstandskämpfer lagen tot in einer großen Blutlache am Boden. Kreuz und quer übereinander. Einzelne Leiber zuckten noch und ebenso hörte man hier und da noch ein Stöhnen oder den Ruf nach Hilfe. Die Nukarib wanderten durch die toten Leiber und schossen dort, wo noch Leben in irgendeiner Form vorhanden war, weitere Male auf die sterbenden Körper. Bis alles ruhig und jeder Widerstandskämpfer getötet war.