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DORA

Javier Medina Bayo

DORA

Eine Frau,
die zu lieben
verstand

Adamas

Originaltitel:
Una luz encendida -Dora del Hoyo
© Ediciones Palabra S.A., 2011

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1
Kindheit und Jugend

Kapitel 2
Jung und entschlossen, ihren Weg zu gehen

Kapitel 3
Gott ruft

Kapitel 4
Der Umzug nach Rom

Kapitel 5
Villa Tevere

Kapitel 6
Sommer in der Nähe des Gründers

Kapitel 7
Albarosa

Kapitel 8
Arbeitsam und fromm, eine Frau, die zu lieben verstand

Kapitel 9
Leben der Kindschaft

Kapitel 10
Von Rom aus in die ganze Welt

Kapitel 11
Eine jugendliche Achtzigjährige

Kapitel 12
Der körperliche Verfall

Kapitel 13
Doras letztes Weihnachten

Anmerkungen

»Ihr seid wie das brennende Licht am Tabernakel zur Ehre des Herrn.«

Hl. Josemaría Escrivá:
Aus einem Beisammensein mit Frauen des Werkes,
die sich beruflich den häuslichen Arbeiten widmen,
5. September 1973.

Vorwort

Dora del Hoyo wurde 1914 in einem kleinen kastilischen Dorf geboren. Nach der Volksschule begann sie, noch sehr jung, als Hausmädchen zu arbeiten. Nach Ende des Bürgerkriegs zog es sie 1939 nach Madrid auf der Suche nach einer lebenserfüllenden Aufgabe. Dort begegnete sie eher zufällig dem Opus Dei und dem heiligen Josemaría Escrivá.

1946 übersiedelte sie nach Rom, dort starb sie am 10. Januar 2004. Abgesehen von einigen kurzen Aufenthalten in London, Paris, Italien und Deutschland verbrachte sie ihr Leben in der Ewigen Stadt, wo sie sich ihrer beruflichen Arbeit bis wenige Wochen vor ihrem Tod widmete.

Diese ersten Informationen könnten den Eindruck erwecken, das Leben Doras müsse wenig ereignisreich gewesen sein. Gewiss taucht ihr Name nicht in Zeitungen und Magazinen auf. Doch deshalb anzunehmen, ihr Leben sei monoton und wenig einflussreich gewesen, stimmt nicht, wirft man einen Blick in den Internet-blog über Dora; dort kann man beispielsweise lesen: »Dora hatte große Bedeutung für das Opus Dei«1, »sie hat mir einen deutlichen Weg für mein Leben vorgegeben«2, »ihr Handeln und ihr Beispiel sind ein Ansporn für unsere Arbeit«3, »hoffentlich erscheint eine Lebensbeschreibung über diese außergewöhnliche Frau«4.

Und so sind es seit Doras Tod bis heute weltweit mehr als 300 Personen, in der Mehrzahl Frauen gleichen Berufs, die ganz spontan mit ähnlichen Worten den positiven Einfluss Doras auf ihr Leben schriftlich festhalten wollten, überzeugt, dass Dora eine ungewöhnliche Frau war aufgrund ihres menschlichen Profils und ihrer christlichen Tugenden.

Selbst wenn jemand Dora nur hin und wieder begegnete – wie etwa ein Zahnarzt –, genügten wenige Stunden, um das gewisse Etwas zu bemerken, das große Seelen ausmacht. Jener Zahnarzt stellte fest: »Sie verbreitete eine heitere Gelassenheit gegenüber demjenigen, der, sei es zufällig oder von Berufs wegen, mit ihr Umgang hatte.«5

Außerdem liegen Gebetserhörungen vor, die ihrer Fürbitte zugeschrieben werden:

»Am 11. Dezember 2009 hatte ich einen Verkehrsunfall, bei dem ich mir das rechte Handgelenk brach (die beiden Unterarmknochen standen schief mit Beschädigungen der Köpfe, doch ohne offene Wunde), außerdem verletzte ich mir die Bänder am rechten Fuß. Im November des Vorjahres hatte ich einen Schlaganfall erlitten mit rechtsseitiger Körperlähmung, so dass der Autounfall den Heilungsprozess verzögerte. Für meine berufliche Arbeit brauche ich Wendigkeit und Handfertigkeit. Ich bat Dora darum, diese Arbeit wieder aufnehmen zu können, die sie selbst ausgeübt hatte. Seit fünf Monaten bin ich nun wieder restlos hergestellt.«6

»Ich hatte meine Brille verlegt, ohne die ich meine Näharbeiten nicht wahrnehmen konnte. Zu zweit durchsuchten wir das ganze Haus, besonders jene Stellen, an denen ich mich während der letzten Stunden aufgehalten hatte (…). Auch nach einem Tag fand sich die Brille nicht, und ich begann nervös zu werden und sagte mit lauter Stimme: Komm, Dora, hilf mir beim Suchen! Dabei stellte ich mir ihr Gesicht vor. Am nächsten Tag ging ich noch einmal ins Wohnzimmer und siehe da, die Brille lag vor Doras Foto. Ich bedankte mich bei ihr und bat sie um Verzeihung, dass ich während der Suche an ihrer Hilfe zu zweifeln begonnen hatte.«7

»Auf ihre Fürsprache hat, infolge einer Reihe von Zufällen, die ja göttliche Vorsehung sind, der arbeitslose Sohn meiner Haushaltshilfe nach Monaten wieder eine Anstellung als Chauffeur gefunden.«8

»Im August erlitt eine Bekannte eine äußerst schmerzhafte Nierenkolik. Sie suchte die Notstation eines Hospitals in Saragossa auf. Dort gab man ihr Medikamente zur Linderung der Schmerzen und zum Abflauen der Infektion. Damit müsste, so sagte man ihr, der Nierenstein innerhalb einiger Tage ausgetrieben werden. Als sich jedoch nichts rührte, brachte man sie in die Universitätsklinik von Navarra. Hier bestätigte man ihr die Richtigkeit der bisherigen Behandlung und bat sie um Geduld. Wenn sich auch nach zwei Wochen noch nichts getan habe, werde man sie operieren. Zu wissen, dass alles seinen richtigen Weg genommen hatte, beruhigte sie zwar, doch litt sie unter unsäglichen Schmerzen (…). Da sie sich aber weiterhin in Geduld üben sollte, bat ich Dora um so eindringlicher um ihre Fürsprache. An einem bestimmten Tag bat ich um Heilung noch am selben Tag, und so geschah es dann.«9

Viele weitere Beispiele ließen sich anführen. Bis heute liegen mehr als 400 Berichte über Gebetserhörungen und Gnadenerweise auf Doras Fürsprache hin aus 33 Ländern und allen Erdteilen vor.

Um festzustellen, ob jemand »heilig« genannt werden kann, muss zunächst geprüft werden, ob die betreffende Person, wie der Fachausdruck heißt, »im Rufe der Heiligkeit« und »im Rufe von Wundern« (»fama signorum«) steht; das heißt, ob eine angemessene Zahl von Christgläubigen der Überzeugung ist, dass diese Person in jeder Hinsicht beispielhaft gelebt hat, und diese Christgläubigen sich deshalb angeregt fühlen, Gott auf deren Fürsprache um Gunsterweise zu bitten, die dann auch erhört worden sind.

Außerdem bestimmt die kirchliche Gesetzgebung, dass dieser Ruf »spontan und nicht künstlich hervorgerufen (…), dauerhaft und beständig ist und unter vertrauenswürdigen Menschen und in einem signifikanten Teil des Volkes Gottes Verbreitung findet«10. Es reicht nicht eine flüchtige Begeisterung und noch viel weniger ein künstlich erzeugtes Phänomen, es muss sich um eine wahre Verehrung handeln, die sich in Raum und Zeit ausgebreitet hat. Deshalb wartet man seit dem Tod eines Dieners oder einer Dienerin Gottes fünf Jahre bis zur offiziellen Eröffnung eines Seligsprechungsprozesses.11

Genau das ist im Falle von Dora del Hoyo gegeben. Nach dem von der Kirche vorgesehenen Zeitraum hat der Prälat des Opus Dei entschieden, den Seligsprechungsprozess zu beginnen. Die Eröffnungssitzung über Leben und Tugenden von Dora del Hoyo vor dem Tribunal der Prälatur Opus Dei fand am 18. Juni 2012 statt.

Wie gesagt, haben mehrere hundert Personen ihre Erinnerungen an Dora niedergeschrieben. Ich habe Dora selbst nicht kennengelernt, habe jedoch alle Zeugnisse gelesen und kann aufgrund dessen versichern, dass Doras Persönlichkeit sehr beeindruckend gewesen sein muss. Der Leser möge sich selbst davon überzeugen. Dabei werden sich jene Worte bestätigen, »dass echte Tugend nicht traurig und unsympathisch ist, sondern froh und liebenswürdig«12.

Kapitel 1
Kindheit und Jugend

Salvadora Honorata del Hoyo Alonso (Dora) wurde am 11. Januar 1914 in Boca de Huérgano (Provinz León) als fünftes Kind der Eheleute Demetrio del Hoyo (1872–1948) und Carmen Alonso (1876–1948) geboren. Ihre Geschwister hießen Alfonso (1903–1923), Palmira (1905–2001), Nieves (1909–2003), Isabel (1910–2002) und Dimas (1917–1980). Fünf Tage nach ihrer Geburt wurde sie am 16. Januar in der Pfarrkirche San Vicente getauft, Taufpate war Ramiro Alonso y Alonso.1

Die Provinz León, im Nordosten Spaniens auf der Hochebene von Altkastilien gelegen, ist heute 16.000 Quadratkilometer groß und hat knapp eine halbe Million Einwohner. Die Winter sind kalt und frostig, die Sommer heiß. Der Landstrich ist nicht mit natürlichen Ressourcen gesegnet. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts warf die Landwirtschaft infolge der Trockenheit – die heutigen Stauseen sind jüngeren Datums – nicht einmal ein Minimum an gesichertem Wohlstand ab. Deshalb wanderten viele aus der Region aus. Ihre Hauptstadt heißt ebenfalls León, deren Gründung auf das Jahr 79 v. Chr. zurückgeht.

Ihr Name leitet sich vom Lateinischen Legio her und weist auf den militärischen Ursprung zur Römerzeit hin. Bedeutung in der Geschichte Spaniens gewinnt León indes erst nach der arabischen Invasion 711 im Zuge der »Reconquista«2. Leóns soziale Entwicklung wurde im Laufe der Jahrhunderte durch den »Camino de Santiago« gefördert, der durch leonisches Gebiet führte und, wie bekannt, im Mittelalter zu den bedeutenden Vermittlern von Ideen, Kunst und Kultur wurde.

Der Ort Boca de Huérgano3 liegt 1.100 Meter über dem Meeresspiegel, etwa 100 Kilometer von León entfernt. Als Dora zur Welt kam, hatte er ungefähr 200 Einwohner und knapp 70 Häuser. Der Bach Portilla, der in den Esla, einen Nebenfluss des berühmten Duero, mündet, bewässerte nur spärlich die Felder, auf denen Getreide und Gemüse angebaut wurde, außerdem Grünfutter für etwas Vieh. Heute hat der Ort um die 600 Bewohner.

Doras Vater, Demetrio del Hoyo, war in der Landwirtschaft tätig. Dora beschreibt ihn als ernst, wortkarg und von gutem Charakter, ein Mann christlicher Gesinnung, moralisch rechtschaffen und mit gesundem Menschenverstand, wie wir später noch sehen werden. Die finanzielle Situation der Familie war recht bescheiden.

Die Mutter, Carmen Alonso, besaß ein lebhafteres Gemüt und strahlte große Sympathie aus. Ihren Töchtern flößte sie Liebe zu den häuslichen Arbeiten ein, außerdem brachte Carmen ihnen eine Fülle von Volksweisheiten bei. Im Laufe der Jahre hörten Mitbewohnerinnen aus Doras Mund Sprüche über Haus und Küche, die sie von ihrer Mutter gehört hatte. Im Hinblick auf die Sauberkeit der Kochtöpfe »sagte sie voll Ernst, wir dürften es nicht so weit wie eine gewisse Marcela aus ihrem Dorf kommen lassen: sie spülte die Kochtöpfe nicht, sondern benutzte sie ungereinigt wieder. So kam der Tag, wo es ihr nicht mehr möglich war zu kochen, weil das Kochgeschirr bis zum Rand vor Dreck nur so starrte. Dora wusste das amüsant zu erzählen, und wir lachten uns tot.«4 Oder um den Gebrauch des Fingerhuts bei Näharbeiten zu erläutern, zitierte sie: »Nähen ohne Fingerhut heißt wenig nähen und nicht gut.«5

Das Zuhause von Demetrio und Carmen war tief im christlichen Glauben verwurzelt und von natürlichen Tugenden geprägt. Zweifellos die beste Schule für die Kinder. Hier lernten sie den katholischen Glauben kennen und sich rechtschaffen zu verhalten, die Arbeit zu lieben und sich von Herzen zu freuen. In späteren Jahren »erinnerte sich Dora häufig an alles, was sie von der Mutter gelernt hatte, besonders zu beten und an die anderen zu denken. Als sie noch klein war, forderte die Mutter Dora auf, viel für Russland zu beten, für diejenigen, die im Krieg waren, und für die Kinder, die ihre Väter verloren. Sie müsse viel beten für alle Notleidenden und für die, die der Kirche den Rücken kehrten. Das half ihr zeitlebens und führte sie dazu, für alles Unheil in der Welt zu beten und zu sühnen.«6

Wie damals in den meisten spanischen Familien üblich, ging man sonntags zur Heiligen Messe und pflegte die traditionellen christlichen Andachtsübungen: das Rosenkranzgebet in der Familie, Novenen zu Ehren der Gottesmutter etc.7. Ihre Mutter brachte ihr zudem die mancherorts gepflegte Tradition der »›Sieben Sonntage des hl. Josef‹ bei und auch, sie jeweils mit dem Empfang der Beichte zu verknüpfen. Sie sagte dann zu den Kindern: Geht zur Beichte, denn heute ist Sonntag des hl. Josef.«8

Es scheint, dass die vier Töchter, vor allem Palmira und Isabel, einen äußerst lebhaften Charakter besaßen, den sie von ihrer Großmutter mütterlicherseits, Sinforosa Valbuena, geerbt hatten.9 Offenbar standen die Mitglieder dieses Familienzweiges im Ruf, ein robustes Temperament zu haben und große Intelligenz. Unter ihnen stach Antonio Valbuena hervor, ein leonischer Schriftsteller, der 1844 geboren und »der Hässliche aus Pedrosa« genannt wurde, wegen der Narbe, die er im Gesicht trug, und wegen seines Geburtsortes. Damals galt er als einer der heftigsten literarischen Kritiker seines Landes, berühmt wegen seiner Attacken auf die Königliche Akademie der Spanischen Sprache, in der er eine Gefahr für die kastilische Sprache sah.

Von Kindesbeinen an lernten die Kinder ernsthaft zu arbeiten, ohne Launen und ohne der Bequemlichkeit nachzugeben. »Auch wenn sie in einer Gegend von großer Kälte und hohen Schneebergen wohnten, dispensierten die Eltern sie nie wegen der rauen Witterung vom Schulunterricht.«10

Jahre später erinnerte sich Dora, dass ein junger Mann, Freund der Familie, nach den Strapazen der Feldarbeit auf dem Heimweg vorbeischaute und, die Hände in die Hüften gestemmt, stöhnte: »Ich bin total erschöpft! Als er dann gegangen war, wandte sich Demetrio sehr ernst an seine Kinder: Diese Worte will ich niemals aus eurem Munde hören. Auch wenn Dora noch sehr klein war, hatten sie sich ihr tief eingeprägt; und sie erzählte es so lebendig, dass einem die Lust verging, sich über etwas zu beklagen.«11

Schon in jungen Jahren blieb ihr Schmerz nicht erspart. 1923 starb der Bruder Alfonso. Die Todesursache ist unbekannt, ob es die Folge eines Unfalls war oder einer mehr oder weniger langen Krankheit. Jedenfalls erfuhr Dora im Alter von neun Jahren erstmals die Flüchtigkeit irdischen Lebens, das Leiden eines Todkranken, den Schmerz ihrer Eltern und Geschwister und die christliche Annahme des Todes.

Im Elternhaus erwarb sich Dora viele praktische Fertigkeiten, wie sie für ein Leben auf dem Lande typisch sind: »Sie wusste, wie man eine Kuh zerlegt, sie kannte die feinsten Stücke und konnte Chorizo und Blutwurst herstellen. (…) Sie besaß guten Geschmack und die Gabe, den springenden Punkt zu finden.«12

Sie wusste, wie man landwirtschaftliche Arbeiten verrichtet: »Als einmal ihr Vater krank war, übernahm sie das Mähen mit der Sense; sie mähte mit den Jungen des Dorfes um die Wette und gewann, denn sie mähte allein ein ganzes Feldstück.«13 Sie lernte Kürbisse ziehen, beliebt zur Herstellung einer Konfitüre, die »Engelhaar« genannt wurde. Später werden wir noch sehen, wie sie während ihrer Jahre in Rom Dutzenden Frauen aus der ganzen Welt – neben vielen anderen Rezepten – das Zubereiten dieser Süßspeise beibrachte.

Alles in allem war die Atmosphäre in Doras Elternhaus von gegenseitiger Zuneigung zwischen Eltern und Kindern geprägt, und jeder hatte etwas zu tun. »Sie liebte ihre Eltern und Geschwister und erinnerte sich gern an die Winterabende im Kreis der Familie. Der Vater strickte Wollstrümpfe mit vier Nadeln, die Mutter und ihre Schwestern webten, und hin und wieder konnten sie die Mutter dafür gewinnen, ihnen etwas außer der Reihe zu spendieren, sei es Schinken, Wein oder je nach Jahreszeit Kastanien.«14

Dora war fünf oder sechs Jahre alt, als sie eingeschult wurde. Sie lernte Lesen, Schreiben und Rechnen. Man las den Katechismus des Padre Astete, den sie nach Jahren noch auswendig konnte. Die Schulbibliothek besaß nur ein einziges, freilich berühmtes Buch, den Quijote von Cervantes.15 Zu dieser Zeit gab es in Spanien noch keine Schulpflicht, deshalb absolvierte sie nicht die Sekundarstufe.

Dora war ein normales Kind. Zum Zeitvertreib genügten ihr die einfachen Dinge, wie sie ein Dorf zu bieten hat.

Eine Verwandte und Freundin der frühen Jahre, Patrocinio Rodriguez del Hoyo, erinnerte sich, dass sie nachmittags »Kirschen, Birnen und andere Früchte pflückten, die in den Obstgärten wuchsen, denn wir hatten immer Hunger. Es war die Vorkriegszeit und nahezu unmöglich, auch nur das Nötigste zu bekommen.«16 Sie begingen auch den »Tag des Baumes«, an dem sie Kiefern pflanzten; jedes Kind hatte seine eigenen Bäumchen, die es solange begoss, bis dass sie angegangen waren.17

Eine andere Liebhaberei Doras war die Aufzucht von Kaninchen, die sie mit Grünzeug vom Straßenrand fütterte. »Unweigerlich stach sie sich beim Pflücken, die Stacheln blieben in den Fingern stecken und entzündeten sich manchmal, so dass sie zu eitern begannen. Ihre Mutter nahm sie mit zum Arzt und einmal fragte sie ihn, wie man die Entzündungen vermeiden könne. Nun, aufpassen, war die Antwort. Aber das ist unmöglich, denn die Pflanzen sind voll Stacheln. Daraufhin meinte der Arzt, sie solle stets Wasserstoffsuperoxyd benutzen, der die Stacheln verbrenne.«18

Patrocinio weiß zu berichten, dass Dora als Kind durchaus eitel war. Sie machte sich gerne fein und sah immer sehr gepflegt aus. Unter ihrem Schmuck gab es ein Kämmchen, das sie besonders schön fand. Dieses Schmuckstück brachte ihr infolge einer ungerechten Behandlung ein starkes Missvergnügen ein. »Eines Tages stellte ihr die Lehrerin, vielleicht war sie in diesem Moment unser überdrüssig, eine Frage, die Dora nicht beantworten konnte; sie gab ihr daraufhin Stockschläge auf den Kopf, bis dass das Kämmchen zerbrach. Dora weinte untröstlich.«19

Schon bald nahm sie eine Arbeit als Hausangestellte an, um zum Unterhalt der Familie beizutragen. Soweit wir wissen, erhielt sie ihre erste Anstellung im Haus des Dorfarztes. »Seine Frau konnte ruppig sein und wählerisch, worunter Dora bisweilen zu leiden hatte. Damals gab es noch keine Waschmaschinen, so dass sie die Windeln im verschneiten oder gefrorenen Stausee waschen musste, einerlei, wie lange es dauerte; und wenn sie zurückkam, roch die Hausfrau daran, um sich zu überzeugen, dass sie auch kein Bleichmittel benutzt hatte.«20

Ab 1931 wurde die gesellschaftliche Situation in Spanien von Tag zu Tag konfliktgeladener. Die soziale Ungleichheit hatte zur Folge, dass antichristliche Ideologien, die Hass und Gewalt verbreiteten, zu Streiks, Aufruhr, Unruhen, Aufständen und erbitterten religiösen Verfolgungen führten. Für den gewöhnlichen Bürger war es riskant, sich auf der Straße sehen zu lassen.

Aus Dora war inzwischen eine unternehmungsfreudige junge Dame geworden, entschlossen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ihr Heimatort Boca de Huérgano war ihr zu eng geworden und bot keine Möglichkeiten, aus sich etwas zu machen. Und obgleich das herrschende öffentliche Klima alles andere als günstig war, entschloss sie sich zwischen 1934 und 1935, mit ihrer Schwester Isabel nach Astorga (León) zu gehen und bei einem Industriellen eine Stelle als Hausangestellte anzunehmen. Dieser Aufgabe ging sie einige Zeit nach, bis die konfliktgeladene Situation in der Stadt eskalierte und daraufhin »sich das Familienoberhaupt entschloss, alle Bediensteten zu entlassen mit der Begründung, nicht dafür verantwortlich sein zu wollen, wenn ihnen seinetwegen etwas zustoße.«21

So blieb Dora nichts anderes übrig, als in ihr Dorf zurückzukehren und dort bis zum Ende des Bürgerkriegs (1936–1939) zu bleiben.

Wie für die meisten ihrer Landsleute war es für sie eine leidvolle Zeit, auch wenn das ländliche Umfeld die Bewohner mit dem Nötigsten zum Leben versah und Boca de Huérgano von Kampfhandlungen verschont blieb. Nicht zu wissen, wie es dem Bruder Dimas ging, der eingezogen worden war und an einer der blutigsten Schlachten des ganzen Krieges in Teruel teilnahm, besorgte die Familie. Nahezu alle seine Kampfgenossen starben an der Front, während er sich dank eines Lazarettaufenthaltes infolge einer Beininfektion retten konnte.

Als Dora erfuhr, Dimas sei in einem Lazarett, suchte sie ihn dort auf.22 Das war unter den damaligen Umständen alles andere als leicht und eine Reise dieser Art riskant. Großherzig, wie sie war, meldete sie sich als Krankenschwester, um den Verwundeten beizustehen, doch ihr Ersuchen wurde nicht angenommen.23

Kapitel 2
Jung und entschlossen, ihren Weg zu gehen

Am Ende des Spanischen Bürgerkrieges war Dora 25 Jahre alt, charmant, gut erzogen, intelligent, besonders begabt für häusliche Arbeiten, dazu sehr dienstbereit. Sie war still und im Umgang eher trocken – darin ihren leonischen Landsleuten ähnlich –, doch sie besaß ein großes Herz.

In ihrer Jugend hatte sie, wie es heißt, zwei Verehrer: der erste – es war wohl nur eine Bekanntschaft, nichts weiter – fiel im Krieg; der andere war, wie sie sagte, recht sonderbar, und da keine gute Ehe zu erwarten war, ließ sie von ihm ab.1

Angespornt von ihrem Ehrgeiz, es im Leben zu etwas zu bringen, ging sie nach Madrid. Hier erfuhr sie eine unschätzbare Hilfe von der Kongregation der Töchter von der Unbefleckten Empfängnis für den Häuslichen Dienst und den Schutz junger Mädchen, 1876 von der heiligen Vicenta María Vicuña gegründet, um mittellosen Frauen eine Anstellung in vertrauenswürdigen Familien zu besorgen. In Madrid verfügte die Kongregation über ein Haus für Frauen (ein »Kolleg«), in dem die jungen Mädchen, falls erforderlich, unterkommen konnten und geistlich betreut wurden.

Dora, die von diesem verdienstvollen Apostolat erfahren hatte, wandte sich an den Häuslichen Dienst. Die Ordensschwestern schlugen ihr eine Anstellung als Hausgehilfin in Diensten der Marquise de Almunia vor, die den Orden um vertrauenswürdiges Personal gebeten hatte.2 Man erklärte Dora die Modalitäten, die sie zu beachten hatte, und sie begab sich direkt dorthin. Es wurde ein voller Erfolg, wenn auch nur für kurze Zeit.

Doras menschliche Qualitäten standen außer Frage. Unter der Obhut der Schwestern von der Unbefleckten Empfängnis war es für sie ein Leichtes, andere Anstellungen zu finden, die dem Standard der damaligen Zeit entsprechend gut bezahlt waren. Dora liebte ihren Beruf, und so wundert es nicht, dass sie bald gut kochen, waschen, bügeln und nähen konnte. Ihrer natürlichen Anlage entsprechend sah sie immer gepflegt und elegant aus, ob in ihrer Arbeitsuniform oder wenn sie Straßenkleidung trug.

Damals wechselte sie recht häufig ihren Dienstherrn mit mehr oder weniger positiven Erfahrungen. So nahm sie eine Stellung an, wo der Hausherr darauf bestand, täglich Innereien vom Kalb nach Madrider Art serviert zu bekommen, so dass Dora dieses Gericht schließlich nicht mehr sehen konnte.3

Für kurze Zeit arbeitete sie auch in Santander. Ebenso in Bilbao, wo sie eine wenig erbauliche Erfahrung machen musste, von der Rosalía López berichtet: »Dora arbeitete im Haushalt einer adeligen Dame – einer Marquise oder Herzogin; als sie dieser einmal auf einem Tablett eine Tasse anreichen wollte, stolperte sie und fiel unglücklich zu Boden. Die Hausherrin fragte sie daraufhin lediglich, ob die Tasse etwas abbekommen habe.«4 Solch menschliches Desinteresse schmerzte Dora tief.

Fraglos fühlte sie sich im Haus des herzoglichen Paares de Nájera, das einem alten Adelsgeschlecht entstammte, am wohlsten. Die Eheleute waren ohne Kinder geblieben und verfügten über eine stattliche Dienerschaft: vier Dienstmägde, einen Diener, einen Hausmeister und weiteres Personal. Sie bezahlten ihre Angestellten ungewöhnlich gut. Aufgrund ihrer herausragenden Fähigkeiten schätzten sie Dora besonders und betrauten sie mit Feinarbeiten verschiedenster Art zur Zufriedenheit aller. Die Herzogin zeigte Dora ihre große Wertschätzung und schenkte ihr gute Kleidung und feine Wäsche.

Aber wie schon erwähnt, ging es Dora nicht nur um ein gutes Gehalt oder eine angenehme Unterkunft. Sie wollte die Welt, fremde Sprachen und andere Kulturkreise kennenlernen. Als sich die Gelegenheit bot, mit einem Diplomatenehepaar nach Berlin zu gehen, überlegte Dora nicht zweimal, sondern entschloss sich, mit ihnen in die deutsche Reichshauptstadt zu ziehen.5 Das war 1943, als in Europa der Zweite Weltkrieg tobte.

Ihre Dienstherren, die davon erfuhren, rieten Dora, ihr Vorhaben noch einmal zu überdenken. Der Herzog höchstpersönlich, der sich nie an sie gewandt hatte, ließ sie in sein Arbeitszimmer rufen, um ihr zu sagen, sie sei verrückt und wisse wohl nicht, wie kritisch die Situation in Deutschland sei; er sagte ihr ihren Untergang voraus, denn es würde sehr schwierig werden, sollte sie sich in Berlin nicht wohlfühlen, nach Spanien zurückzukehren, ja sie riskiere nicht weniger als ihr Leben.6

Aber Dora blieb bei ihrem Vorhaben und bemühte sich um einen Pass. Glücklicherweise traf wenig später ein Telegramm ein, in dem ihre künftige Herrschaft sie anwies, bis zum kommenden Herbst auf ihre Kosten in Spanien zu bleiben.

Daraufhin entschied sich Dora, den Sommer bei ihren Eltern zu verbringen und ihnen bei der Ernte zu helfen. Kaum dort angekommen, schwante ihrem Vater, dass sie etwas im Schilde führte, er las es ihr von den Augen ab, wie es nur das elterliche Herz zu tun vermag, denn sie hatte viel Gepäck dabei. Jahre später erinnerte sich Dora: »Er sagte mir, er habe den Eindruck gewonnen, dass ich heiraten oder ins Ausland gehen wolle. Ich antwortete ihm: Jawohl, nach Deutschland. Das verwehrte mir mein Vater rundheraus und verbot mir, dorthin zu fahren. So musste ich dem Ehepaar schreiben und vom Vertrag zurücktreten.«7

Dank Demetrio del Hoyos gesundem Menschenverstand ließ Dora von jener Reise ab, die unabsehbare Folgen hätte mit sich bringen können. Sie kehrte also nach Madrid und in den Haushalt des herzoglichen Paares de Nájera zurück. Die Stunde Gottes sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Kapitel 3
Gott ruft

Am 2. Oktober 1928 gründete der heilige Josemaría Escrivá auf göttliche Eingebung das Opus Dei.1 Er wollte die gewöhnlichen Christen daran erinnern, dass sie berufen sind, sich inmitten der Welt zu heiligen und durch die Arbeit und die normalen Gegebenheiten des Lebens apostolisch zu wirken.

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