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Die Autoren

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Tobias Warnecke, 1996–2003 Studium der Humanmedizin an der Georg-August-Universität Göttingen, Promotion zum Dr. med. 2005, 2004–2009 Assistenzarzt Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster (Direktor: Univ.-Prof. Dr. E. B. Ringelstein), 2007 Forschungsaufenthalt: Department of Otolaryngology – Head and Neck Surgery, Boston University Medical Center, Boston, USA (Prof. Susan Langmore), 2009–2010 Assistenzarzt Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Münster (Direktor: Univ.-Prof. Dr. V. Arolt), seit 2010 Facharzt für Neurologie, 2010–2011 Funktionsoberarzt Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster (Direktor: Univ.-Prof. Dr. E. B. Ringelstein), Habilitation und Venia legendi im Fach Neurologie (Thema: »Endoskopische Evaluation der neurogenen Dysphagie: Neue Untersuchungsprotokolle und krankheitsspezifische Befunde«), 2012–2013 Oberarzt Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster (Direktor: Univ.-Prof. Dr. E. B. Ringelstein), seit 2013 Oberarzt, Department für Neurologie, Universitätsklinikum Münster (Direktor: Univ.-Prof. Dr. H. Wiendl), Leiter des Bereichs »Parkinson und andere Bewegungsstörungen«, Leiter der Neurophysiologie – Evozierte Potentiale, seit 2017 APL-Professur für Neurologie an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster, FEES-Ausbilder-Zertifikat der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie.

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Rainer Dziewas, 1992–1999 Studium der Humanmedizin an der Universität Essen, Promotion zum Dr. med. 2000, 1999–2004 Assistenzarzt in der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster (Direktor: Univ.-Prof. Dr. E.B. Ringelstein), 2002 Forschungsaufenthalt am Rotman Research Institute, Toronto, Canada (Prof. Dr. Christo Pantev), 2005 Assistenzarzt in der Westfälischen Klinik Münster (Leitender Arzt: Prof. Dr. T. Reker), 2006 Facharzt für Neurologie und Oberarzt in der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster (Direktor: Univ.-Prof. Dr. E.B. Ringelstein), 2007 Habilitation und Venia legendi für das Fach Neurologie (Thema: »Schlaganfall-assoziierte Dysphagie – Physiologische Grundlagen und klinische Konsequenzen«), seit 2010 APL-Professur für Neurologie an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster, 2012 geschäftsführender Oberarzt in der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster (Direktor: Univ.-Prof. Dr. E.B. Ringelstein), seit 2013 Leitender Oberarzt im Department für Neurologie, Universitätsklinikum Münster (Direktor: Univ.-Prof. Prof. h.c. Dr. H. Wiendl), seit 2014 Leiter der Sektion Schlaganfalltherapie und neurologische Intensivmedizin, 2016 Gastprofessur an der Fujita-Health University, Nagoya, Japan, 2017 Gastprofessur an der Katholieke Universiteit Leuven, Belgien; FEES-Ausbilder-Zertifikat der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie.

Tobias Warnecke, Rainer Dziewas

Neurogene Dysphagien

Diagnostik und Therapie

Unter Mitarbeit von Boris Buerke, Inga Claus, Christina Wüller, Stephan Oelenberg, Christine Smoliner, Sönke Stanschus, Sonja Suntrup-Krüger, Inga Teismann, Johannes Wessling, Rainer Wirth

2., erweiterte und überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

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2., erweiterte und überarbeitete Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Umschlagabbildung: © Heike Blum, Department für Neurologie, Universitätsklinikum Münster

Medizinische Illustrationen: © 2012–2017 Heike Blum: Abb. 1.1, 1.3., 1.4., 1.5., 1.6., 1.9., 4.3., 5.8., 5.11., 6.1

© 2017 Esther Gollan: Abb. 1.2

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-030531-1

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-030532-8

epub:   ISBN 978-3-17-030533-5

mobi:   ISBN 978-3-17-030534-2

 

 

 

»Over the next 20 years,

the face of dysphagia evaluation and treatment

may change drastically. […]

It is an exciting and stimulating area

in which to practice.

Our patients benefit from our efforts,

and we derive pleasure from witnessing their progress.

The rewards are great; after all, to many people,

fewer pleasures are more satisfying

than a glass of wine and a good meal.«

 

(Langmore 2001, S. 249)

 

»The best answer to the question of who should

perform FEES is whoever understands oropharyngeal dysphagia

best. […]

FEES now has a secure place in

the armamentarium of tools used to evaluate and manage

this disorder. As the scoring system becomes better validated

and technology allows more quantification of findings,

its use will become ever more valuable«.

 

(Langmore 2017, S. 34–35)

 

 

 

 

 

Zusatzmaterial

Laufend aktualisierte FEES-Videobeispiele für verschiedene Störungsmuster neurogener Dysphagien können mit nachfolgendem Passwort unter dem angegebenen Link kostenfrei heruntergeladen werden:1

http://downloads.kohlhammer.de/?isbn=978-3-17-030531-1 (Passwort: 8fb5WGqE)

1     Wichtiger urheberrechtlicher Hinweis: Alle zusätzlichen Materialien, die im Download-Bereich zur Verfügung gestellt werden, sind urheberrechtlich geschützt. Ihre Verwendung ist nur zum persönlichen und nichtgewerblichen Gebrauch erlaubt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Geleitwort I

 

 

Over the years, the use of flexible endoscopy to evaluate oropharyngeal dysphagia (FEES) has grown incrementally. When I first published on this procedure in 1988, there were only a handful of clinicians using this tool to assess swallowing. Today, FEES is a well-established procedure done throughout the world. It has been embraced by clinical specialists who evaluate this disorder, including speech pathologists, otolaryngologists, phoniatrists, physiatrists, and neurologists.

There have been very few textbooks written about this procedure (Langmore 2001, Aviv and Murray 2005). Therefore, this book by Tobias Warnecke and Rainer Dziewas is a welcome addition. The content of the book is focused on neurologic disorders but will be relevant to practitioners who see other patients as well. In the past 10 years, the authors have published extensively in using FEES with patients after stroke, Parkinsonian disorders, motor neuron diseases or myasthenia gravis. Their approach is to customize the exam in order to uncover the nature of the disorder and to address the specific purpose of the exam. They do not adhere to the »one size fits all« principle at all and I find this a refreshing change from some overly rigid protocols in use. Their studies are also backed up with strong outcome measures, supporting the efficacy of their work.

I have had the pleasure of visiting both authors in Münster and have seen first-hand these clinicians working side by side with speech language pathologists to screen every acute stroke patient with their portable FEES system. The authors are hands-on clinicians, rigorous researchers, and entertaining lecturers. This latest contribution will be a pleasure to read and should prove an invaluable guide to all specialists in dysphagia.

 

Susan E Langmore PhD, CCC-SLP, BRS-S

 

Professor, Otolaryngology,

Boston University School of Medicine,

Clinical Professor, Speech Language

Hearing Sciences, Boston University

 

Geleitwort II

 

 

Durch die zunehmend intensivere Behandlung der Schlaganfallpatienten auf den zertifizierten Stroke Units wurde immer offensichtlicher, dass Schluckstörungen (Dysphagien) in dieser Klientel sehr häufig vorkommen und eine große prognostische Bedeutung besitzen. Dysphagie ist z. B. ein schwerwiegender Risikofaktor für Pneumonien, die ihrerseits die häufigste Todesursache akuter Schlaganfallpatienten darstellen.

Mit der Alterung der Bevölkerung und dem stärkeren Hervortreten neurodegenerativer Erkrankungen, aber auch mit dem technologischen und klinischen Fortschritt der besseren und sichereren Erkennung von Dysphagien, ihrer Quantifizierung und verlässlicheren Differenzierung zeigte sich, dass Schluckstörungen ein sehr weit verbreitetes und zunehmend gravierendes klinisches Problem darstellen.

Legt man den heutigen Wissensstand zugrunde, so verfügen wir als Neurologen bereits über ein erhebliches klinisches und technisches differenzialdiagnostisches Know-how, vor allem seit der Einführung der fiberendoskopischen Evaluation des Schluckaktes (FEES). Auch steht bereits ein gutes Arsenal an therapeutischen und differenzialtherapeutischen Maßnahmen zur Verfügung, etwa verschiedene logopädische Techniken, Schlucktraining, operative Eingriffe zur Beseitigung symptomatischer Dysphagien, endoskopische Verfahren, Botulinumtoxin-Behandlung und sensorische elektrische Reizung der Schluckmuskulatur sowie alle Therapien, die auch gegen Myopathien, Myositis und myasthene Syndrome angewandt werden.

Meine langjährigen Mitarbeiter, Herr Prof. Dr. Rainer Dziewas und Herr Privatdozent Dr. Tobias Warnecke, haben sich seit Jahren dem Thema der Dysphagien, ihrer verlässlichen Erkennung, Klassifikation und Evaluation gewidmet und einen großen Erfahrungsschatz sammeln können. Dieses Wissen ist in dem vorliegenden Buch erstmals in toto systematisch dargestellt worden.

Im deutschen Sprachraum ist dieses Buch das erste umfassende Werk zu dieser Thematik mit neurologischer Schwerpunktsetzung. Ich wünsche dem Buch von Warnecke und Dziewas weite Verbreitung und große Akzeptanz und hoffe, dass möglichst viele Neurologen und intensivmedizinisch tätige Ärzte, aber auch Geriater, Logopäden, Sprachtherapeuten und andere Fachdisziplinen von diesem sehr gut gelungenen, umfassenden und dennoch kompakten Buch profitieren mögen.

 

Münster, im Dezember 2012

 

Univ.-Prof. Dr. med. Dr. h.c.E.B. Ringelstein

 

Direktor

Klinik für Neurologie

Universitätsklinikum Münster

Albert-Schweitzer-Campus 1, Gebäude A1

48149 Münster

 

Geleitwort zur 2. Auflage

 

 

Die Neurologie ist heute ein enorm buntes und vielfältiges Fach, das sich zu einer tragenden Säule der medizinischen Versorgung in Deutschland entwickelt hat. Aber auch wissenschaftlich ist die Neurologie Taktgeber und Innovator für viele Bereiche, augenfälliges Beispiel hier die fast explosionsartige Entwicklung der Neuroimmunologie in den letzten zwei Jahrzehnten. Dabei umfasst die moderne Neurologie weiterhin ein breites Spektrum an sehr unterschiedlichen Krankheitsbildern. Neben den großen Gruppen der neurovaskulären, neuroimmunologischen und neurodegenerativen Erkrankungen stehen weitere aufstrebende Gebiete wie die Neuroonkologie, die Neurogeriatrie, die Epileptologie, etc. Die zentrale Aufgabe gerade der universitären Neuromedizin ist es deshalb, trotz dieser Vielfalt Tiefe und Spezialisierung in der Einheit zu entwickeln und zu erhalten.

Mit Beginn meiner Tätigkeit als Direktor des Departments für Neurologie am Universitästklinikum Münster habe ich durch die klinischen und wissenschaftlichen Aktivitäten von Herrn Prof. Dr. Tobias Warnecke und Herrn Prof. Dr. Rainer Dziewas ein neuartiges und tieferes Verständnis für die neurogenen Dysphagien gewinnen können. Tatsächlich galt die Beschäftigung mit dem Symptom der Dysphagie, trotz seiner Häufigkeit und immensen klinischen Bedeutung, innerhalb der Neurologie lange Zeit eher als randständig und »exotisch«. Dies hat sich in den letzten Jahren in Deutschland erheblich gewandelt. Mit Hilfe der modernen apparativen Untersuchungsmethoden gelingt es immer besser, die verschiedenen Formen der Dysphagie pathophysiologisch und phänomenologisch zu klassifizieren. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich völlig neuartige therapeutische Ansätze entwickeln. Dabei wird deutlich, dass es sich bei der neurogenen Dysphagie aufgrund der spezifischen und komplexen Kombination verschiedener Symptome in Abhängigkeit von der zugrundeliegenden neurologischen Erkrankung nicht um ein einfaches Symptom, sondern vielmehr um ein multiätiologisches Syndrom handelt. In Analogie zu den Aphasiesyndromen lässt sich heute von neurogenen Dysphagiesyndromen sprechen, wobei die Ätiologie wesentlicher heterogener als bei den Aphasien ist. Diesen syndromalen Charakter neurogener Dysphagien herauszuarbeiten ist aus meiner Sicht ein zentraler neuartiger Aspekt des vorliegenden Buches in seiner 2. Auflage.

Seit dem Erscheinen der 1. Auflage hat sich dieses Buch schnell zu einem Standardwerk entwickelt. Konsequent wird die moderne neurologische Systematik auf die neurogenen Dysphagiesyndrome angewandt und ihre klinische Relevanz herausgestellt. Den verschiedenen Kapiteln des Buches lässt sich neben den bereits verfügbaren diagnostischen und therapeutischen Verfahren aber auch entnehmen, in welchen Gebieten ein besonders dringender Forschungsbedarf besteht. So existieren zum Beispiel im Bereich der Multiplen Sklerose bislang keine einheitlichen und evidenzbasierten Diagnose- und Therapiestandards für die gerade bei schwer betroffenen Patienten häufig vorhandenen und klinisch äußerst relevanten Schluckstörungen.

Ich beglückwünsche die beiden Autoren zu einer außerordentlich gelungenen Aktualisierung, Weiterführung und Ausdifferenzierung des Themas und wünsche der 2. Auflage dieses Buches deshalb eine große Verbreitung und den Lesern eine anregende Lektüre, die zu einer besseren klinischen Versorgung beitragen und/oder interessante Forschungsprojekte stimulieren soll.

 

Münster, im September 2017

 

Univ.-Prof. Dr. med. H. Wiendl

 

Direktor

Department für Neurologie

Universitätsklinikum Münster

Albert-Schweitzer-Campus 1, Gebäude A1

48149 Münster

 

Vorwort

 

 

Neurologische Erkrankungen, wie Schlaganfall, Demenz oder Parkinson, sind die häufigsten Ursachen von Schluckstörungen. Neurogene Dysphagien haben für die Betroffenen erhebliche Folgen, da sie zu einer massiven Beeinträchtigung der Lebensqualität, Mangelernährung, Aspirationspneumonien und sogar zum Tod führen können. Es wird geschätzt, dass derzeit etwa 5 Millionen Menschen in Deutschland an einer Dysphagie leiden und bis zu 50% aller neurologischen Patienten eine Schluckstörung aufweisen. Bereits heute spielen die neurogenen Dysphagien in Akutkrankenhäusern, Rehabilitationskliniken, Pflegeeinrichtungen und der ambulanten Patientenversorgung eine große Rolle. Aufgrund der demografischen Entwicklung unserer Gesellschaft wird den neurogenen Dysphagien aber zukünftig eine noch größere Bedeutung zukommen. So führt die zunehmende Bevölkerungsalterung in den nächsten Jahren nicht nur zu einer stetigen Zunahme neurologischer Erkrankungen, sondern damit einhergehend auch zu einem relevanten Häufigkeitsanstieg neurogener Dysphagien.

Vor diesem Hintergrund hat in den vergangenen zehn Jahren eine rasante Weiterentwicklung von neurologischer Dysphagiediagnostik und -therapie stattgefunden. Die Zahl der jährlich neuerscheinenden wissenschaftlichen Publikationen zum Thema »Neurogene Dysphagie« in der medizinischen Datenbank PubMed hat sich zwischen 1990 und 2010 mehr als verdreifacht. In der klinischen Praxis hat sich die endoskopische Evaluation neurogener Dysphagien als apparative Untersuchungsmethode fest etabliert und durch die direkte Visualisierung des Schluckaktes das klinische Verständnis der komplexen Störungsmuster neurogener Dysphagien erheblich vertieft. Bereits heute erlauben spezifische endoskopische Untersuchungsprotokolle standardisierte Untersuchungen spezieller Formen neurogener Dysphagien. Zukünftig werden Schluckendoskopien wahrscheinlich ebenso selbstverständlich zu den von Neurologen eingesetzten instrumentellen Untersuchungsverfahren zählen wie EEG, EMG oder Ultraschall. Aber auch weitere Fachdisziplin, wie Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Phoniatrie, Geriatrie, Gastroenterologie, Pulmonologie, Rehabilitationsmedizin, Logopädie und Zahnmedizin, setzen heute die endoskopische Dysphagieevaluation zur Untersuchung ihrer Patienten ein. Die Entwicklung zahlreicher innovativer Therapieverfahren, wie z. B. die neuromodulatorischen Stimulationsverfahren, wurde so weit vorangetrieben, dass ihr klinischer Einsatz unmittelbar bevorsteht.

Weil Evidenzbasiertheit auch in der Dysphagiologie zum zentralen Qualitätsmerkmal geworden ist, werden große multizentrische Studien in den kommenden Jahren zeigen müssen, wie effektiv diese Interventionsmethoden bei Patienten mit neurogenen Dysphagien im klinischen Alltag tatsächlich sind. Die Grundlagenforschung hat darüber hinaus das neurophysiologische Wissen um die zentralnervöse Steuerung des Schluckaktes erheblich erweitert. Zahlreiche Studien konnten mithilfe von bildgebenden Verfahren neben der schon länger bekannten Rolle des Hirnstamms auch die große Bedeutung des Großhirns für die koordinative Steuerung des Schluckvorgangs belegen und haben therapeutisch potenziell nutzbare Reorganisationsmechanismen aufgedeckt.

Die moderne Diagnostik und Therapie neurogener Dysphagien ist somit ein hochdifferenziertes, expansives und äußerst spannendes Arbeitsgebiet, in dem die verschiedensten Fachgruppen interdisziplinär zusammenarbeiten. Das vorliegende Buch will hierfür praxisbezogenes Wissen auf dem aktuellen Stand der klinischen Forschung vermitteln. Wo immer möglich, werden praktische Hinweise für die Diagnostik und Therapie in der täglichen Betreuung von Patienten mit neurogenen Dysphagien gegeben. Darüber hinaus werden im elektronischen Zusatzmaterial anhand von Videobeispielen verschiedene Störungsmuster neurogener Dysphagien in direktem Praxisbezug demonstriert. Das Buch soll auch Kollegen, die auf diesem Gebiet noch keine speziellen Kenntnisse besitzen, zum leichten Einstieg und zur schnellen Wissensvermehrung dienen. Wir würden uns außerdem sehr freuen, wenn das Buch als Referenzquelle genutzt und von den Lesern hierbei als hilfreich empfunden würde.

Aus der Fülle der herangezogenen Publikationen haben wir für das Literaturverzeichnis am Ende dieses Buchs die aus unserer Sicht besonders relevanten und lesenswerten Bücher, Übersichtsartikel und Originalarbeiten ausgewählt, um den an weiterführender Literatur interessierten Lesern den schnellen Einstieg zu erleichtern. Das vollständige Literaturverzeichnis findet sich im elektronischen Zusatzmaterial (Hinweis: In der 2. Auflage ist das vollständige Literaturverzeichnis im Buch enthalten!).

Nur noch sehr selten werden in medizinischen Fachbüchern Zeichnungen von Illustratoren mit spezieller medizinischer Expertise angefertigt. Wir freuen uns deshalb besonders, dass Frau Blum für dieses Buch zahlreiche aussagekräftige Abbildungen erstellt hat, die das Verständnis des hochkomplexen Ablaufs des Schluckaktes erheblich vertiefen. Frau Kühnle Zerpa und Herrn Dr. Poensgen vom Kohlhammer Verlag danken wir für die hervorragende Zusammenarbeit und die geduldige Unterstützung bei der Fertigstellung dieses Buchs.

Selbstverständlich wird dieses Buch trotz aller Sorgfalt auch Verbesserungswürdiges enthalten. Es ist deshalb unser großer Wunsch, dass uns die Leser etwaige Fehler mitteilen, Anregungen und Kommentare zukommen lassen sowie mit konstruktiver Kritik dazu beitragen, eine spätere Auflage weiter zu optimieren.

 

Tobias Warnecke und Rainer Dziewas

 

Münster, Dezember 2012

 

Vorwort zur 2. Auflage

 

 

In den vergangenen gut viereinhalb Jahren seit Erscheinen der 1. Auflage dieses Buches haben sich Diagnostik und Therapie neurogener Dysphagien wiederum erheblich weiterentwickelt. Die endoskopische Evaluation des Schluckaktes (FEES) ist innerhalb der Neurologie in Deutschland mittlerweile zum zentralen Untersuchungsverfahren geworden, mit dem diagnostische Schritte und Behandlungsabläufe gesteuert werden. Um dem gewachsenen Wissensstand Rechnung zu tragen und eine breite Ausbildung in der Schluckendoskopie zu ermöglichen, wurden von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Schlaganfallgesellschaft ein FEES Ausbildungscurriculum für neurogene Dysphagien erarbeitet, dem sich mittlerweile auch die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie angeschlossen hat.

Die vorliegende 2. Auflage dieses Buches wurde deshalb vollständig überarbeitet, aktualisiert und erheblich erweitert, sodass alle inhaltlichen Vorgaben des FEES Ausbildungscurriculums abgedeckt werden. Neue Abschnitte bzw. Kapitel beschäftigen sich u. a. mit dem oberen Ösophagussphinkter, verschiedenen neuen Screeningverfahren, dem FEES-Ausbildungscurriculum, der High-Resolution-Manometrie, der Presbyphagie, der Intensiv-Dysphagie, dem Tablettenschlucken sowie speziellen Therapien. Es wurde ein Appendix mit den wichtigsten Skalen und Scores für das klinische Management von neurogenen Dysphaggien ergänzt. Außerdem wurden Anregungen von Leserinnen/Lesern der 1. Auflage umgesetzt. Das vollständige Literaturverzeichnis ist jetzt in das Buch integriert. Die Abbildungen finden sich in Farbe bereits an der Stelle, wo sie erwähnt werden und nicht mehr alle zusammen am Ende des Buches. Die medizinische Illustratorinnen Heike Blum und Esther Gollan haben für die 2. Auflage weitere neue Abbildungen erstellt, bei denen es sich nicht um bloße Schemazeichnungen handelt, sondern um äußerst präzise und detailgenaue Darstellungen, die über die Visualisierung der geschilderten Sachverhalte zu einem leichteren Verständnis auch komplexerer Zusammenhänge beitragen sollen.

Unser großer Dank für die wiederum hervorragende Zusammenarbeit und die geduldige Begleitung bei der Fertigstellung der 2. Auflage dieses Buches gilt Herrn Rose, Frau Dr. Boll und Herrn Dr. Poensgen vom Kohlhammer-Verlag. Bei unseren Familien möchten wir uns für die ausdauernde Unterstützung und das Verständnis für unsere Arbeit bedanken.

Es bereitet uns eine große Freude mitzuerleben, wie in unzähligen neurologischen Kliniken die FEES mittlerweile ebenso selbstverständlich von Neurologen eingesetzt wird wie EEG, EMG oder Ultraschall. Darüber hinaus sind wir beeindruckt, mit welchem Enthusiasmus und welcher Motivation vielerorts die neurogene Dysphagie von multidisziplinären Teams, bestehend aus Logopäden und Ärzten verschiedener Fachrichtungen (neben Neurologen insbesondere auch Geriater, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, Phoniater und Radiologen), untersucht und behandelt wird. Diese Dysphagie-Teams wurden jüngst als ideale »Think Tanks« beschrieben, weil Probleme aus verschiedensten Blickwinkeln betracht und dadurch gemeinsam kreative Ideen und Lösungsansätze generiert werden können. In diesem Sinne wünschen wir den Lesern der 2. Auflage unseres Buches eine gewinnbringende Lektüre und würden uns über Anregungen zur weiteren Optimierung der Inhalte sehr freuen.

 

Tobias Warnecke und Rainer Dziewas,

 

Münster, Januar 2018

 

Inhalt

 

 

  1. Geleitwort I
  2. Geleitwort II
  3. Geleitwort zur 2. Auflage
  4. Vorwort
  5. Vorwort zur 2. Auflage
  6. 1 Neuroanatomische und -physiologische Grundlagen des normalen und gestörten Schluckaktes
  7. 1.1 Der normale Schluckakt
  8. 1.2 Der gestörte Schluckakt
  9. 1.3 Zentralnervöse Steuerung des Schluckaktes
  10. 1.3.1 Schluckzentren des Hirnstamms
  11. 1.3.2 Supramedulläre Steuerung des Schluckaktes
  12. 1.3.3 Hemisphärenspezialisierung
  13. 1.3.4 Kortikale Plastizität – Kompensation krankheitsbedingter Defizite
  14. 1.3.5 Kortikale Plastizität – Sensible Stimulation als Motor der Reorganisation
  15. 2 Klinische Diagnostik der neurogenen Dysphagie
  16. 2.1 Vorbemerkung
  17. 2.2 Anamnese
  18. 2.3 Screeningverfahren zur Einschätzung des Aspirationsrisikos
  19. 2.4 Ausführliche klinische Schluckuntersuchung
  20. 3 Endoskopische Evaluation des Schluckaktes und weitere apparative Methoden zur Diagnostik neurogener Dysphagien
  21. 3.1 Fiberoptische endoskopische Evaluation des Schluckaktes (FEES)
  22. 3.1.1 Einführung
  23. 3.1.2 Apparative Voraussetzungen
  24. 3.1.3 Standard-FEES-Protokoll
  25. 3.1.4 Spezielle neurologische Untersuchungsprotokolle
  26. 3.1.5 Allgemeine Befunde und ihre Graduierung
  27. 3.1.6 Endoskopische Klassifikation neurogener Dysphagien
  28. 3.1.7 Dokumentation neuroendoskopischer Dysphagiebefunde
  29. 3.1.8 Ausbildungscurriculum »FEES für Neurogene Dysphagien«
  30. 3.2 Videofluoroskopische Evaluation des Schluckaktes (VFSS)
  31. 3.2.1 Indikationen
  32. 3.2.2 Technik
  33. 3.2.3 Strahlenbelastung
  34. 3.2.4 Kontrastmittel
  35. 3.2.5 Durchführung
  36. 3.2.6 Befundung
  37. 3.2.7 VFSS und FEES im Vergleich
  38. 3.3 Manometrische Evaluation des Schluckaktes
  39. 3.3.1 Konventionelle Manometrie
  40. 3.3.2 High Resolution Manometrie
  41. 3.4 Elektromyografische Evaluation des Schluckaktes
  42. 3.5 Sonografische Evaluation des Schluckaktes
  43. 3.6 Magnetresonanztomografie und Computertomografie zur Evaluation des Schluckaktes
  44. 3.7 Differenzialindikation der apparativen Dysphagiediagnostik
  45. 4 Spezielle Untersuchungsbefunde neurogener Dysphagien
  46. 4.1 Schlaganfall
  47. 4.2 Demenzen
  48. 4.2.1 Demenz vom Alzheimertyp
  49. 4.2.2 Vaskuläre Demenz
  50. 4.2.3 Frontotemporale Demenzen
  51. 4.2.4 Lewy-Körperchen-Demenz
  52. 4.2.5 Exkurs: Presbyphagie
  53. 4.3 Extrapyramidalmotorische Erkrankungen
  54. 4.3.1 Parkinson-Syndrome
  55. 4.3.2 Chorea
  56. 4.3.3 Dystonien
  57. 4.3.4 Morbus Wilson
  58. 4.4 Entzündliche und infektiöse ZNS-Erkrankungen
  59. 4.4.1 Multiple Sklerose
  60. 4.4.2 Bakterielle und virale Meningoenzephalitiden
  61. 4.4.3 ZNS-Listeriose
  62. 4.4.4 Poliomyelitis und Post-Polio-Syndrom
  63. 4.4.5 Tetanus
  64. 4.5 Tumoren
  65. 4.5.1 Hirntumoren und -metastasen
  66. 4.5.2 Meningeosis neoplastica
  67. 4.5.3 Paraneoplastische Syndrome
  68. 4.6 Motoneuronerkrankungen
  69. 4.6.1 Amyotrophe Lateralsklerose
  70. 4.6.2 Hereditäre spastische Spinalparalyse
  71. 4.6.3 Spinobulbäre Muskelatrophie (Kennedy-Syndrom)
  72. 4.7 Neuropathien
  73. 4.7.1 Guillain-Barré-Syndrom
  74. 4.7.2 Critical-Illness-Polyneuropathie/ -Myopathie
  75. 4.8 Erkrankungen der neuromuskulären Erregungsübertragung
  76. 4.8.1 Myasthenia gravis
  77. 4.8.2 Lambert-Eaton- Myasthenie-Syndrom
  78. 4.8.3 Botulismus
  79. 4.9 Myopathien
  80. 4.9.1 Myositiden
  81. 4.9.2 Okulopharyngeale Muskeldystrophie
  82. 4.9.3 Okulopharyngodistale Myopathie
  83. 4.9.4 Metabolische Myopathien
  84. 4.9.5 Fazioscapulohumerale Muskeldystrophie
  85. 4.9.6 Myotone Dystrophien
  86. 4.10 Trauma
  87. 4.10.1 Schädelhirntrauma
  88. 4.10.2 Rückenmarkstrauma
  89. 4.11 Psychogene Dysphagien
  90. 4.12 Sonstige
  91. 4.12.1 Hereditäre Ataxien
  92. 4.12.2 Morbus Niemann-Pick Typ C
  93. 4.12.3 Arnold-Chiari- Malformation Typ I
  94. 4.12.4 Palataler Myoklonus (Gaumensegeltremor)
  95. 4.12.5 Morbus Forestier
  96. 4.12.6 Operationen
  97. 4.12.7 IgLON5-Syndrom
  98. 4.12.8 Internistische Erkrankungen
  99. 4.13 Strukturierter Algorithmus zur Differenzialdiagnostik neurogener Dysphagien
  100. 5 Einsatzmöglichkeiten der FEES auf der Stroke Unit und der neurologischen Intensivstation
  101. 5.1 Stroke Unit
  102. 5.1.1 Dysphagiediagnostik auf der Stroke Unit
  103. 5.1.2 Graduierung und Management der schlaganfallbedingten Dysphagie
  104. 5.2 Neurologische Intensivstation
  105. 5.2.1 Epidemiologie und Komplikationen der Intensivdysphagie
  106. 5.2.2 Ätiopathogenese der Intensiv-Dysphagie
  107. 5.2.3 Einsatzmöglichkeiten der FEES auf der Intensivstation
  108. 6 Therapie neurogener Dysphagien
  109. 6.1 Evidenzbasierte Medizin
  110. 6.2 Allgemeine Therapie
  111. 6.2.1 Logopädische Schlucktherapie
  112. 6.2.2 Medikamentöse Therapie
  113. 6.2.3 Chirurgische Therapie
  114. 6.3 Spezielle Therapie
  115. 6.3.1 Schlaganfall
  116. 6.3.2 Demenzen
  117. 6.3.3 Morbus Parkinson (idiopathisches Parkinson-Syndrom)
  118. 6.3.4 Progressive supranukleäre Paralyse
  119. 6.3.5 Multisystematrophie
  120. 6.3.6 Dystonien
  121. 6.3.7 Morbus Wilson
  122. 6.3.8 Chorea Huntington
  123. 6.3.9 Multiple Sklerose
  124. 6.3.10 Tetanus
  125. 6.3.11 Hirntumoren
  126. 6.3.12 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
  127. 6.3.13 Spinobulbäre Muskelatrophie (Kennedy-Syndrom)
  128. 6.3.14 Guillain-Barré Syndrom
  129. 6.3.15 Myasthenia gravis
  130. 6.3.16 Myopathien inkl. Myositiden
  131. 6.3.17 Schädelhirntrauma
  132. 6.3.18 Hereditäte Ataxien
  133. 6.4 Neurostimulation
  134. 6.4.1 Transkranielle Magnetstimulation
  135. 6.4.2 Transkranielle Gleichstromstimulation
  136. 6.4.3 Elektrische Pharynxstimulation
  137. 6.4.4 Neuromuskuläre Elektrostimulation
  138. 7 Ernährungsmedizinische Aspekte neurogener Dysphagien
  139. 7.1 Einführung
  140. 7.2 Pathophysiologie der Mangelernährung
  141. 7.3 Diagnostik der Ernährungssituation
  142. 7.4 Therapie der Mangelernährung
  143. 7.4.1 Orale Ernährungstherapie
  144. 7.4.2 Künstliche Ernährung
  145. Literaturverzeichnis
  146. Abkürzungen
  147. Stichwortverzeichnis
  148. Verzeichnis der Autoren und Mitarbeiter
  149. Appendix: Skalen und Scores
  150. Fragebogen »Lebensqualität von Personen mit Schluckbeschwerden« (McHorney et al. 2000; dt. Übersetung: Gabriel 2004)
  151. Fragebogen zur Beurteilung von Dysphagien bei Parkinson-Patienten mit Schluckbeschwerden (SDQ-PD-dV) (Manor et al. 2007; dt. Übersetzung: Simons 2012)
  152. Münchener Dysphagie Test – Parkinson’s Disease (MDT-PD) (Simons 2012)
  153. Gugging Swallowing Screen (GUSS) (Trapl et al. 2007)
  154. Bogenhausener Dysphagie-Score (BODS) (Bartolome et al. 2013)
  155. Fiberoptischer endoskopischer Dysphagie-Schweregrad-Score für akute Schlaganfallpatienten (FEDSS, »Münsteraner Dysphagie-Score«) (Dziewas et al. 2008b)
  156. FEES-Levodopa-Test (Warnecke et al. 2010c)
  157. FEES-Tensilon-Test (Warnecke et al. 2008b)
  158. 4-Punkte-Sekretbeurteilungsskala nach Murray (Murray et al. 1996; dt. Übersetzung: Hey et al. 2014)
  159. 8-Punkte-Penetrations-Aspirations-Skala nach Rosenbek (Rosenbek et al. 1996a, deutsche Übersetzung: Hey et al. 2014)
  160. The Functional Oral Intake Scale (FOIS) (Crary et al. 2005)
  161. The Dysphagia Outcome and Severity Scale (DOSS) (O’Neil et al. 1999)

 

1          Neuroanatomische und -physiologische Grundlagen des normalen und gestörten Schluckaktes

 

1.1       Der normale Schluckakt

Schlucken ist eine lebenswichtige motorische Aktivität des Menschen. Der Schluckakt dient dem Transport von Speichel und Nahrung von der Mundhöhle in den Magen unter gleichzeitigem Schutz der Atemwege. Obwohl der Schluckakt willentlich eingeleitet werden kann, läuft er meist unbewusst ab. Im Wachzustand schluckt der gesunde Mensch außerhalb der Mahlzeiten in Abhängigkeit von der Speichelproduktion etwa einmal pro Minute, im Tiefschlaf sistieren Speichelfluss und Schlucken nahezu vollständig. Die Schluckfrequenz steigt auf drei pro Minute, wenn ein Bonbon gelutscht wird und für eine kleine Mahlzeit werden etwa 30 Schlucke benötigt (Martin et al. 1994). Binnen eines Tages schluckt ein gesunder Erwachsener etwa 1000-mal (Dodds 1989).

Der Schluckakt lässt sich in die orale Vorbereitungsphase, die orale, pharyngeale und ösophageale Phase einteilen. Die einzelnen Phasen sind nicht strikt voneinander getrennt, sondern zeigen in ihren dynamischen Abläufen fließende Übergänge.

(1) In der oralen Vorbereitungsphase wird die Nahrung zerkaut und mit Speichel gemischt. Das Gaumensegel (Velum palatinum) ist gesenkt und schließt gemeinsam mit der Zunge die Mundhöhle ab (velolingualer Abschluss), um zu verhindern, dass Speisematerial vorzeitig in den mittleren Rachenabschnitt (= Oropharynx) gelangt. Der Luftweg ist offen, Rachen (Pharynx) und Kehlkopf (Larynx) befinden sich in Ruhestellung. Gegen Ende dieser Phase formt die Zunge einen Speisebolus und hält ihn im vorderen bis mittleren Gaumenbereich rundherum umschlossen. Dazu legt sich die Zunge hinter den oberen Schneidezähnen an den harten Gaumen an (image Abb. 1.1). Neben diesem »Schneidezahntyp« gibt es als Variante den sogenannten »Schöpflöffeltyp« (Dodds 1989), der den Bolus im vorderen Mundbodenbereich unter der Zunge positioniert und ihn zu Beginn der oralen Phase mit einer schaufelnden Bewegung auf den Zungenrücken hebt. Die Dauer der oralen Vorbereitungsphase hängt von Bolusgröße und -konsistenz ab und ist interindividuell variabel.

(2) Die Zunge befördert den Bolus in der anschließenden oralen Phase durch sequenzielle Wellenbewegungen am harten Gaumen entlang in den Oropharynx. Die Lippen sind dabei geschlossen, die Wangen tonisiert, sodass ein leichter Unterdruck in der Mundhöhle den Transport erleichtert. Das Ende dieser ebenfalls willkürlich ablaufenden Phase markiert die Triggerung des Schluckreflexes (image Abb. 1.1). Die orale Phase dauert weniger als eine Sekunde.

(3) Die pharyngeale Phase ist nicht mehr willentlich steuerbar und beginnt mit Auslösung des Schluckreflexes. Während bei jungen Menschen der Schluckreflex durch Kontakt des Bolus mit den vorderen Gaumenbögen ausgelöst wird, verlagern sich die Hauptauslösezonen bei älteren Menschen nach dorso-kaudal in Richtung Zungenbasis. Zu Beginn der reflektorischen Bewegungskette hebt sich das Velum, um den oberen Rachenabschnitt (= Nasopharynx) abzuschließen (velopharyngealer Verschluss) und eine nasale Regurgitation des Speisebreis zu verhindern. Die Atmung sistiert kurzzeitig, meist in der Exspirationsphase. Eine schnelle, kolbenartige Rückwärtsbewegung der Zungenbasis drückt den Bolus in den unteren Rachenabschnitt (= Hypopharynx). Zeitgleich heben sich Zungenbein (Hyoid) und Larynx nach superior-anterior, was zu einer Erweiterung des Hypopharynx führt und die durch Relaxation eingeleitete Öffnung des oberen Ösophagussphinkters unterstützt. Aus der Hebung des Kehlkopfs und der Erweiterung des geöffneten Speiseröhreneingangs resultiert ein Unterdruck, der den Bolus nach unten zieht (hypopharyngealer Saugpumpenstoß). Zum Schutz der Atemwege vor Aspiration schließt sich die Stimmritze (Glottis). Der Kehldeckel (Epiglottis) legt sich, dem Druck des Zungengrundes bei der Aufwärtsbewegung nachgebend, über den Larynxeingang. Der Bolus gleitet über die Epiglottis und die Sinus piriformes, wobei er durch sequenzielle Kontraktionen der Pharynxmuskulatur schlundabwärts transportiert wird (image Abb. 1.1). Die pharyngeale Phase dauert ca. 0,7s.

(4) Wenn die Kontraktionswelle den oberen Ösophagussphinkter erreicht, erlangt dieser seinen Dauertonus zurück und die ösophageale Phase beginnt. Hyoid und Larynx sind in ihre Ruheposition zurückgekehrt. Der nasopharyngeale Verschluss ist wieder geöffnet, sodass die Atmung fortgesetzt werden kann. Durch eine primäre peristaltische Welle wird der Speisebrei in den Magen befördert, was je nach Nahrungskonsistenz bis zu zehn Sekunden dauern kann (image Abb. 1.1). Lokale Dehnungsreize in der Speiseröhre lösen im Anschluss eine sekundäre peristaltische Reinigungswelle aus (Dodds et al. 1990, Bartolome et al. 2010).

Insgesamt erfordert der stereotyp erscheinende, aber hoch komplexe Schluckakt die bilaterale, koordinierte Aktivierung und Inhibition von mehr als 25 Muskelpaaren in Mundhöhle, Rachen, Kehlkopf und Speiseröhre (image Abb. 1.2).

Am Schluckakt sind fünf Hirnnerven ebenso wie die Ansa cervicalis (C1–C3) beteiligt: Die Koordination der Kaumuskulatur wird durch den 3. Ast (V3) aus dem N. trigeminus (V) vermittelt. Die orofaziale Muskulatur, die für den Mundschluss wichtig ist, wird durch den N. facialis (VII) innerviert. Der N. hypoglossus (XII) versorgt die intrinsische Zungenmuskulatur, wohingegen die ihn begleitenden Spinalnerven C1 bis C3 die extrinsischen Muskeln der Zunge innervieren. Die Muskulatur des weichen Gaumens, des pharyngealen Isthmus wie auch die Konstriktor- und Levatormuskeln des Pharynx werden von N. glossopharyngeus (IX) und N. vagus (X) (image Abb. 1.3) aktiviert. Die Innervation der intrinsischen Kehlkopfmuskeln und der Speiseröhre erfolgt über den N. vagus (X). N. trigeminus (V3), N. facialis (VII) sowie die Ansa cervicalis versorgen gemeinsam die supra- und infrahyoidale Muskulatur, welche die Bewegungen von Zungenbein und Kehlkopf koordinieren (Donner 1985, Dodds et al. 1990).

Von besonderer Relevanz für den ungestörten Ablauf des Schluckaktes sind die zeitgerechte Öffnung und der zeitgerechte Verschluss des oberen Ösophagussphinkters (OÖS). Dieses zentrale Element der pharyngealen Phase wird durch die feinabgestimmte Kontraktion und Relaxation von den OÖS öffnenden und diesen verschließenden Muskelgruppen exekutiert. Die OÖS-Öffnungsmuskeln werden in eine vordere und hintere Muskelgruppe differenziert (Lang 2012). Zu der vorderen Muskelgruppe gehören zum einen die oberen Zungenbeinmuskeln (M. geniohyoideus, M. mylohyoideus, M. stylohyoideus, M. hyoglossus, M. digastricus Venter anterior). Alle diese Muskeln haben ihren Ursprung oberhalb des Hyoids und setzen an der Oberseite des Hyoids an. Ihre Kontraktion zieht den hyolaryngealen Komplex

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Abb. 1.1: Phasen des Schluckaktes (© 2012-2017 Heike Blum)
A: Orale Vorbereitungsphase; B: orale Phase; C: Auslösung des Schluckreflexes am Beginn der pharyngealen Phase; D: pharyngeale Phase, E: Ende der pharyngealen Phase kurz vor Verschluss des oberen Ösophagussphinkters; F: ösophageale Phase.

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Abb. 1.2a: Anatomie der Schluckmuskulatur (© 2017 Esther Gollan)

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Abb. 1.2b: Anatomie der Schluckmuskulatur (© 2017 Esther Gollan)

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Abb. 1.3: Verlauf des N. glossopharyngeus und des N. vagus (© 2017 Heike Blum)

nach vorne und oben. Die unteren Zungenbeinmuskeln umfassen den M. thyrohyoideus, M. sternohyoideus, M. sternothyroideus und M. omohyoideus. Diese Muskeln setzen an der Unterseite des Hyoids an und ziehen den hyolaryngealen Komplex nach vorne und unten. Die hintere Muskelgruppe wird von den M. stylopharyngeus, M. palatopharyngeus und M. pterygopharyngeus gebildet. Diese Muskeln setzen an der Rachenhinterwand an und ziehen diese nach hinten und oben. Die Schließmuskeln des OÖS werden durch den M. cricopharyngeus, kaudale Anteile des M. constrictor pharyngis inferior sowie die zervikale Ösophagusmuskulatur gebildet. Der M. cricopharyngeus setzt am Cricoid an und formt einen Muskelstrang am Übergang zwischen Pharynx und Ösophagus. Seine Pars obliqua zieht zur medianen Raphe des M. constrictor pharyngis inferior, seine Pars transversa verläuft ohne mediane Raphe. In dem muskelschwachen Bereich zwischen beiden Anteilen dieses Muskels befindet sich das sogenannte Kilian-Dreieck, die Prädilektionsstelle für das Zenker-Divertikel. Unterhalb der Pars transversa schließt sich die durchgehend quergestreifte Muskulatur des zervikalen Ösophagus an (Lang 2012).

Der Schluckakt wird in die orale Vorbereitungsphase, die orale, die pharyngeale und die ösophageale Phase unterteilt. An Steuerung und Ausführung des Schluckaktes sind die Hirnnerven V, VII, IX, X und XII sowie mehr als 25 Muskelpaare beteiligt. Dem oberen Ösophagussphinkter, der aus Öffnungs- und Schließmuskeln besteht, kommt eine besondere klinische Bedeutung für den ungestörten Ablauf des Schluckens zu.

1.2       Der gestörte Schluckakt

Der gestörte Schluckakt wird medizinisch als Dysphagie bezeichnet. Der Begriff Dysphagie leitet sich von der altgriechischen Vorsilbe dys = »gestört« sowie dem Verb phagein = »essen« ab, bedeutet wörtlich also »Störung des Essens«. Obwohl die Epidemiologie der Dysphagie in der allgemeinen Bevölkerung unzureichend untersucht ist, wurde geschätzt, dass in Deutschland etwa fünf Millionen Menschen an einer Schluckstörung leiden. Oropharyngeale Dysphagien, die häufiger vorkommen als ösophageale Dysphagien, sind in der allgemeinen Bevölkerung sehr häufig und kommen etwa ebenso oft vor wie die »Volkskrankheit« Diabetes mellitus. Oropharyngeale Dysphagien betreffen 13% der Gesamtbevölkerung ab einem Lebesalter von 65 Jahren und höher. Am höchsten ist die Prävalenz oropharyngealer Dysphagien in der Gruppe alter Patienten mit neurologischen Erkrankungen. Mit zunehmendem Lebensalter nimmt auch die Prävalenz oropharyngealer Dysphagien zu. Die Prävalenz oropharyngealer Dysphagien beträgt 16% bei unabhängig lebenden Personen im Alter von 70-79 Jahren und steigt ab einem Alter von 80 Jahren in dieser Gruppe auf 33% an. Deshalb nimmt weltweit die Prävalenz oropharyngealer Dysphagien in den sog. alternden Gesellschaften zu (Kuhlemeier 1994, Clavé und Shaker 2015, Wirth et al. 2016, Dziewas et al. 2017).

Neurologische Erkrankungen stellen die häufigste Ursache von Dysphagien dar. Schluckstörungen, die durch neurologische Erkrankungen bedingt sind, werden als neurogene Dysphagien bezeichnet. Der Begriff »neurogen« umfasst in diesem Zusammenhang also alle neurologisch bedingten Dysphagien und schließt damit üblicherweise auch Dysphagien infolge von Myopathien ein. Die sonst in der Neurologie grundlegende Differenzierung zwischen »neurogen« (durch das Nervensystem oder einen Nerven bedingt) vs. »myogen« (durch den Muskel bedingt) wird bei Verwendung dieser Bezeichnung nicht adressiert. Die Bezeichnung »myogene Dysphagie« ist im deutschen und englischen Sprachraum daher auch nicht gebräuchlich. Von den neurogenen Dysphagien müssen insbesondere Dysphagien infolge von Erkrankungen aus dem Bereich der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (HNO), wie z. B. Tumoren oder Entzündungen des Schlucktraktes, aus dem Bereich der inneren Medizin und hier insbesondere der Gastroenterologie, wie z. B. das Zenker-Divertikel oder die Refluxkrankheit, sowie aus dem Bereich der Psychiatrie, z. B. der Globus pharyngis, abgegrenzt werden. Es sei noch auf eine Besonderheit der Klassifikation hingewiesen: Wenn HNO-Erkrankungen eine Schluckstörung infolge Läsionen schluckrelevanter Hirnnerven bedingen, könnte die Dysphagie formal auch als »neurogen« klassifiziert werden, weil eine Störung des (peripheren) Nervensystems die Ursache ist. Üblicherweise werden solchermaßen entstandene Schluckstörungen aber der HNO zugeordnet, da Diagnose und Therapie hier wesentlich in den Bereich dieser Fachrichtung fallen.

Nach Schätzungen weisen etwa 50% aller neurologischen Patienten eine neurogene Dysphagie auf (Clavé du Shaker 2015). Bereits im Jahr 2001 wurde von Doggett und Mitarbeitern (2001) berechnet, dass in den USA pro Jahr etwa 300000–600000 Menschen an einer neurogenen Dysphagie erkranken. Die häufigste Form neurogener Dysphagien ist die schlaganfallbedingte Dysphagie. Neurogene Dysphagien können zu Störungen in einer, mehrerer oder aller der in Kapitel 1.1 beschriebenen Phasen des Schluckaktes führen (image Kap. 1.1). Daraus können vielfältige Symptome resultieren, die wichtigsten werden im Folgenden kurz beschrieben:

•  Leaking: Der Bolus gleitet unkontrolliert nach vorne aus dem Mund heraus (= anteriores Leaking) oder nach hinten in den Rachen hinein (= posteriores Leaking).

•  verzögerte Schluckreflextriggerung: Der Schluckreflex wird zu spät ausgelöst. Die Folge ist oft ein Pooling (Ansammlung) von Bolusteilen im Hypopharynx vor Auslösung des Schluckreflexes.

•  Penetration: Der Bolus gelangt in den Kehlkopfeingang, bleibt aber oberhalb der Stimmlippen liegen.

•  Aspiration: Der Bolus dringt unter das Niveau der Stimmlippen in die obere Luftröhre ein.

•  stille Penetration/Aspiration: Bolusmaterial gelangt ohne Auslösung eines Husten- oder Schluckreflex in den Kehlkopfeingang bzw. die Luftröhre. Stille Penetrationen/Aspirationen sind deshalb besonders gefährlich, weil sie weder vom Patienten wahrgenommen noch mithilfe der klinischen Untersuchung entdeckt werden.

•  Residuen oder Retentionen: Bolusmaterial verbleibt nach dem Schluckvorgang im Schlucktrakt und wird nicht weitertransportiert (in der Mundhöhle = orale Residuen, im Rachen = pharyngeale Residuen, in der Speiseröhre = ösophageale Residuen). Eigentlich bezeichnet Retention den Vorgang, der Residuen zur Folge hat, im internationalen Sprachgebrauch werden beide Begriffe aber meist synonym verwendet.

•  Reflux: Material aus tiefer gelegenen Abschnitten des Schlucktraktes fließt zurück in höher gelegene Abschnitte.

•  Odynophagie: Das Schlucken ist schmerzhaft. Ein schmerzhaftes Schlucken kommt als isoliertes Symptom neurogener Dysphagien nur selten vor.

•  Hypersalivation = vermehrter Speichelfluss, der bei neurogenen Dysphagien zumeist durch die verminderte Fähigkeit zum Abschlucken von Speichel und nicht durch eine vermehrte Speichelproduktion bedingt ist. Es wird dann auch von Pseudohypersalivation oder Sialorrhoe gesprochen.

Abbildung 1.4 veranschaulicht wesentliche Symptome neurogener Dysphagien. Eine detaillierte Beschreibung findet sich in Kapitel 3.1.

Wesentliche klinische Folgen neurogener Dysphagien für die Betroffenen sind eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität, Mangelernährung (= Malnutrition), Flüssigkeitsmangel (Dehydratation), Lungenentzündung (= Aspirationspneumonie) und Abhängigkeit von Sondenernährung. Bei sehr schweren Dysphagien kann zum Schutz vor Aspirationen ein Luftröhrenschnitt (= Tracheotomie) mit Einsatz einer Trachealkanüle erforderlich werden. Darüber hinaus stellen aus Dysphagien resultierende Aspirationspneumonien bei vielen neurologischen Erkrankungen die häufigste oder eine der häufigsten Todesursachen dar.

Durch neurologische Erkrankungen hervorgerufene Schluckstörungen werden als neurogene Dysphagien bezeichnet. Neurogene Dysphagien können potenziell alle vier Phasen des Schluckaktes beeinträchtigen.

Für ein adäquates Verständnis der komplexen Störungsmuster neurogener Dysphagien sowie der verfügbaren Therapieoption ist die Kenntnis der zentralnervösen Steuerung des Schluckens unabdingbar, die im folgenden Abschnitt dargestellt wird.

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Abb. 1.4: Klinisch relevante Symptome neurogener Dysphagien (© 2017 Heike Blum)
A: Leaking (= Störung der oralen Vorbereitungsphase und/oder der oralen Phase); B: verzögerter Schluckreflex (= Störung der pharyngealen Phase); C: Residuen; D: Penetration; E: Aspiration.

1.3       Zentralnervöse Steuerung des Schluckaktes

1.3.1     Schluckzentren des Hirnstamms

Das präzise Muster sequenzieller Stimulation und Inhibierung der verschiedenen am Schluckakt beteiligten Muskeln wird durch ein im Hirnstamm lokalisiertes Schluckzentrum gesteuert. Es lässt sich in drei funktionelle Ebenen gliedern (Broussard et al. 2000). Periphere Afferenzen und absteigende (efferente) kortikale Signale bilden die Eingangsebene des Schluckzentrums. Mit den motorischen Hirnnervenkernen sind die Neuronen der Ausgangsebene verbunden. Als Organisationsebene ist eine Gruppe von Interneuronen zwischengeschaltet, die den eigentlichen Central Pattern Generator (CPG) des Schluckaktes bildet. Er gliedert sich in eine Dorsal Swallowing Group (DSG), gelegen im Nucleus tractus solitarius (NTS) respektive der angrenzenden Formatio reticularis, und in eine Ventral Swallowing Group (VSG) oberhalb des Nucleus ambiguus in der ventrolateralen Medulla oblongata. In jeder Hälfte des Hirnstamms liegt jeweils ein CPG, beide arbeiten streng synchron. Nach einseitiger sensibler Reizung wird der Schluckakt zunächst im ipsilateralen Zentrum programmiert und anschließend an den kontralateralen CPG übermittelt.

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Abb. 1.5: Schematische Organisation des medullären Schluckzentrums (© 2017 Heike Blum)

Periphere und zentrale Informationen erreichen das Zentrum über den Nucleus tractus solitarius (NTS) der Dorsal Swallowing Group (DSG). Diese aktiviert die Ventral Swallowing Group (VSG) der ventrolateralen Medulla oblongata (VLM) nahe dem Nucleus ambiguus (nA). Die VSG verteilt das Bewegungsprogramm auf die motorischen Hirnnervenkerne und die Spinalnerven C1–C3 (modifiziert nach Jean 2001).

imageAbb. 1.5